© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 - 041/17 Die Konzeption der „Inneren Führung“ der Bundeswehr Entstehungsgeschichte – Inhalte – Herausforderungen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Führungskultur 9 3.2. „Innere Führung“ und Traditionsverständnis 10 3.3. Zur Anwendung der Konzeption der „Inneren Führung“ 12 4. Zusammenfassung 13 Literaturhinweise 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 4 1. Einleitung Jüngste Ereignisse wie beispielsweise die entwürdigenden Aufnahmerituale am Ausbildungszentrum der Bundeswehr für Spezielle Operationen in Pfullendorf oder der Fall der rechtsextremen , wegen Terrorverdachts inhaftierten Bundeswehrsoldaten sowie die im Rahmen der anschließenden Nachforschungen entdeckten Wehrmachtsdevotionalien und die ans Licht der Öffentlichkeit gelangten Informationen zur Verwendung nationalsozialistischer Symbole durch einzelne Soldaten der Bundeswehr 1 haben die Frage nach der Führungskultur innerhalb der deutschen Streitkräfte in den Mittelpunkt der aktuellen Debatte gerückt. In einem ersten zusammenfassenden Ermittlungsbericht der Bundeswehr zu den Geschehnissen in Pfullendorf heißt es, es seien „gravierende Defizite in Führung, Ausbildung, Erziehung sowie Dienstaufsicht festzustellen “ 2. Vor diesem Hintergrund befasst sich die folgende Ausarbeitung mit der Konzeption der „Inneren Führung“. Sie stellt zunächst die Entstehungsgeschichte dieser Führungskonzeption der Bundeswehr und ihres Namens dar und erläutert anschließend das Selbstverständnis der „Inneren Führung “ sowie ihre Grundsätze und Grundlagen. Hierbei zeigt die vorliegende Arbeit u.a. auf, welche Rolle die „Innere Führung“ der Wehrmacht im Traditionsverständnis der Bundeswehr zumisst sowie welche Herausforderungen mit der Anwendung dieser Führungsphilosophie verbunden sind. Abschließend liefert diese Arbeit Hinweise zu aktuellen Ausarbeitungen zum Thema „Innere Führung“. 2. Die Entstehungsgeschichte der „Inneren Führung“ und ihres Namens Erste Ideen zu einer neuen Führungskonzeption künftiger deutscher Streitkräfte gehen auf die „Denkschrift über die Aufstellung eines deutschen Kontingents im Rahmen einer übernationalen Streitmacht zur Verteidigung Westeuropas“ vom Oktober 1950, kurz „Himmeroder Denkschrift“, 1 Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen stellt Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen fest, es gebe immer mehr „rechtsradikale“ Verdachtsfälle innerhalb der Bundeswehr. Die aktuellen Zahlen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zeigen jedoch eine andere Tendenz. Wie bspw. die Frankfurter Allgemeine berichtet , sei „seit dem Ende der Wehrpflicht 2011 [..] der Militärische Abschirmdienst bei der Bundeswehr [zwar] mehr als 2.500 rechtsextremistischen Verdachtsfällen nachgegangen. Doch die Tendenz war klar abnehmend – und nur bei einem minimalen Teil erhärtete sich der Verdacht.“ Vgl. MAD-Zahlen zeigen: Es gibt immer weniger „rechtsradikale“ Verdachtsfälle in der Bundeswehr – nicht mehr. faz.net vom 11. Mai 2017. Abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/soldaten-am-rechten-randknapp -2500-rechtsextreme-verdachtsfaelle-seit-ende-der-wehrpflicht-15010299.html (letzter Zugriff: 16. Mai 2017). 2 Skandal-Kaserne Pfullendorf – Bundeswehrausbilder zwangen Soldatin zum Stangentanz. Spiegel-Online vom 14. Februar 2017. Abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-skandal-in-pfullendorfsadistische -praktiken-in-der-ausbildung-a-1134529.html (letzter Zugriff: 8. Mai 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 5 zurück. Zu diesem Zeitpunkt wurde mit Blick auf die Binnenstruktur der künftigen westdeutschen Streitkräfte erstmals vom „inneren Gefüge“ 3 gesprochen. 4 Zur Ausgestaltung der künftigen Bundeswehr tagte damals vom 6. bis 9. Oktober 1950 in Himmerod der die Regierung in Sicherheits - und Aufrüstungsfragen beratende „militärische Expertenausschuss“. Zu dieser in vier Ausschüssen organisierten Expertengruppe zählten insgesamt 15 Personen, die zur Zukunft der Bundeswehr teils sehr gegenteilige Auffassungen vertraten. Im Mittelpunkt der Diskussionen zu den künftigen deutschen Streitkräften stand in Himmerod der später auch die öffentlichen Auseinandersetzungen dominierende Spannungsbogen zwischen den Begriffspaaren Nation und Europa, Bürgerstaat und Militärstaat, staatliche und demokratische Kontrolle des Militärs, Feindbild und Antikommunismus, Restauration und Reform, Militarismus und Soldatentum, neuer Inhalt und alte Formen, demokratische Grundrechte und soldatische Pflichten, Erziehung und Ausbildung sowie Eid und Gelöbnis. 5 Insbesondere einige der zehn ehemaligen Wehrmachtsgenarale und -admirale der Expertengruppe zeigten sich gegenüber Militärreformen wenig aufgeschlossen. So prallten beispielsweise im Allgemeinen Ausschuss die vergangenheitsbelasteten Empfehlungen des ehemaligen Generals der Infanterie, Hermann Foertsch, auf die äußerst demokratischen Postulate des Majors a.D. Graf von Baudissin. „Erst die ultimative Drohung Baudissins, den fertigen Entwurf der Denkschrift, in dem kein einziger Satz zur Reform des Militärs stand, nicht zu unterzeichnen, erzwang das Zugeständnis, durch bescheidene Ergänzungen des Textes eine normative Wertewende vorzunehmen. […] Baudissin konnte an einigen zentralen Stellen eingefügte Regelsätze für die neue Orientierung geben, ohne den fest gefügten Kontext voller Zeugnisse, welche die Wehrmacht zum Maß aller Dinge nahmen, sprengen zu können. So erklärte er aus Gründen der politischen und historischen Ethik, dass ,ohne Anlehnung an die Formen der alten Wehrmacht heute grundlegend Neues zu schaffen‘ sei. Daher, den Begriff ,neue Wehrmacht‘ vermeidend , wurde konkretisiert: ,Das deutsche Kontingent darf nicht Staat im Staate werden.‘ Die Kongruenz zu Staat, Politik und Gesellschaft kam in dem Kernsatz zum Tragen: ,Das Ganze wie der Einzelne haben aus innerer Überzeugung die demokratische Staats- und Lebensform zu bejahen .‘“ 6 Die Ergebnisse der Arbeitstagung wurden in der „Himmeroder Denkschrift“ zusammengefasst und am 9. Oktober 1950 Bundeskanzler Adenauer vorgelegt. 3 Der Begriff „Inneres Gefüge“ geht auf die Zeit des Nationalsozialismus zurück und meinte bereits dort die Binnenstruktur der Wehrmacht. Vgl. Bald, Detlef (2005a): Die gespaltene Ausrichtung der Bundeswehr – oder: warum sich die Bundeswehr mit der „Inneren Führung“ seit 1950 schwer tut. In: S+F Sicherheit und Frieden 4-2005 (Themenschwerpunkt: Bundeswehr und Innere Führung), S. 179. Abrufbar unter: http://www.sicherheit-und-frieden.nomos.de/fileadmin/suf/doc/ SuF_05_04.pdf (letzter Zugriff: 8. Mai 2017). 4 Opitz, Eckhardt (2001): Vom Söldner zum Wehrpflichtigen als Staatsbürger in Uniform. Der Wandel des Menschenbildes und dessen Bedeutung für die Führung. In: Führungsdenken in europäischen und nordamerikanischen Streitkräften im 19. und 20. Jahrhundert. Herausgegeben von Gerhard P. Groß. Vorträge zur Militärgeschichte, Band 19, herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, S. 327 f. 5 Löh, Marion; Stoeck, Klaus (1996): Pazifismus – Wiederbewaffnung – Bundeswehr. Diplomica Verlag GmbH, S. 59f. 6 Bald, Detlef (2005a), a.a.O., S. 179. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 6 Seit 1953 wurde das Reformkonzept, das seither insbesondere mit dem Namen Baudissins, aber auch mit den späteren hohen Bundeswehroffizieren Hans Speidel, Adolf Heusinger, Johann Adolf Graf von Kielmansegg und Ulrich de Maizière (alle Mitglieder des Himmeroder Expertenausschusses ) verbunden ist, „Innere Führung“ genannt. Mit größten Anstrengungen war es diesen Vordenkern damals gelungen, den vergangenheitsbelasteten Begriff „Inneres Gefüge“ (siehe Fn. 2) zu verhindern und – nachdem „Staatsbürger in Uniform“ als Begriff für das Reformkonzept bei den Reformgegnern auf völliges Unverständnis gestoßen war – als Sammelbegriff wenigstens „Innere Führung“ einzuführen. 7 Mit diesem Konzept sollten historische Erfahrungen wie der „preußische Drill“, die Reichswehr als „Staat im Staate“ oder wie die Wehrmacht als „willfähriges Instrument des nationalsozialistischen Gewaltregimes“ auf jeden Fall verhindert werden. 8 Am 5. März 1953 wurde die Konzeption offiziell unter der Bezeichnung „Innere Führung“ durch die Dienststelle Blank – dem späteren Verteidigungsministerium – übernommen. Eine erste Auflage des Handbuches „Innere Führung“ erschien im Jahr 1957. Ein qualitativer Unterschied der „Himmeroder Denkschrift“ gegenüber bestand hier darin, dass in ihm die Frage nach dem Gewissen aufgegriffen wurde. Ausdrücklich wurde hervorgehoben, dass sich der Eidgeber mit seinem Eid nicht dem Eidnehmer total ausliefert. Damit wurde das Gewissen über einen Eid sowie daraus scheinbar resultierende Verpflichtungen gestellt und der Ungehorsam für Fälle legitimiert, in denen ein Befehl keinen dienstlichen Zweck verfolgt, die Menschenwürde verletzt oder durch sein Befolgen eine Straftat begangen würde. 13 Jahre nach dem missglückten Hitler-Attentat am 20. Juli 1944 wollte man hiermit, was damals in der Bundesrepublik bei weitem noch nicht selbstverständlich war, die „Männer das 20. Juli“ tatsächlich auch als Vorbilder anerkennen. 9 3. Die Konzeption der „Inneren Führung“ Beim politischen Neuaufbau Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg galt es, aus der Vergangenheit zu lernen. Als erste Konsequenz gab sich die 1949 neu entstehende Bundesrepublik Deutschland mit dem Grundgesetz (GG) eine neue Verfassung. Mit Art. 1 Abs. 1 GG Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. wurde als Antwort auf die jüngste Geschichte die neue Richtung vorgegeben. Damit wurde ein völlig neues Werte- und Normensystem in Kraft gesetzt, das radikal mit der kollektivistisch 7 Bald, Detlef (2005b): Die Bundeswehr: eine kritische Geschichte, 1955–2005, S. 49. 8 Opitz (2001), a.a.O., S. 327. 9 Elßner, Thomas R. (2005): Innere Führung und Transformation der Bundeswehr – Anmerkungen zu 50 Jahren Innere Führung in der Bundeswehr. In: S+F Sicherheit und Frieden 4-2005 (Themenschwerpunkt: Bundeswehr und Innere Führung), S. 191 f. Abrufbar unter: http://www.sicherheit-und-frieden.nomos.de/fileadmin/suf/doc/ SuF_05_04.pdf (letzter Zugriff: 8. Mai 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 7 orientierten Ideologie des Nationalsozialismus brach. Der Mensch als Individuum sollte im Mittelpunkt allen staatlichen Handelns stehen. 10 Mit dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum 5. Mai 1955 wurde auch die Frage eines nationalen Wehrbeitrages grundsätzlich entschieden. Die historisch einmalige Herausforderung , neu aufzustellende Streitkräfte in ein bestehendes Staatswesen einzubinden, galt es zu meistern. Ziel dabei war, das Menschenbild unseres Grundgesetzes auch für den Soldaten zur verbindlichen Vorgabe zu machen. Er sollte Soldat mit allen verfassungsmäßigen Rechten als Staatsbürger sein. Seine Rechte sollen nur insoweit eingeschränkt werden, wie dies für die Aufrechterhaltung der Funktion der Streitkräfte geboten ist. 11 Aus diesen Vorgaben heraus wurde auf Grundlage der Himmeroder Ergebnisse die Konzeption der „Inneren Führung“ im Amt Blank finalisiert. Mit ihrer Hilfe sollte die unverzichtbare hierarchische Struktur der neu aufzubauenden Armee mit ihrem Prinzip von Befehl und Gehorsam mit den Grundrechten des Bürgers in Einklang gebracht und ein „Staatsbürger in Uniform“ geschaffen werden. Die damals entwickelte Konzeption mit ihren Grundsätzen und Zielen bildet bis heute die nahezu unveränderte, verbindliche Grundlage für das Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten sowie für die Führungskultur innerhalb der Bundeswehr, die in der Zentralen Dienstvorschrift A-2600/1 „Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur“12 festgeschrieben ist. 3.1. „Innere Führung“: Selbstverständnis – Grundsätze und Grundlagen – Führungskultur“ 13 Die Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 „Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur “ legt dar, dass die Grundsätze der „Inneren Führung“ die Grundlage für den militärischen 10 Konzeption der Inneren Führung (Stand: 25. November 2015). Herausgeber der Internet-Seite: Bundeswehr. Abrufbar unter: http://www.innerefuehrung.bundeswehr.de/portal/a/innerefue/start/grundlagen/konzeption_der_inneren _fuehrung/!ut/p/z1/hU5PC4IwHP0sHbzuNxTNui3qEkaGSrpLTF3TWE7mcn38DE9B0bu9vzygkAPt2NgKZlrVM TnxggaXTRilkbty3TQLA0wO2118yo4u9j04_wvQycY_QDAkNYdi2lj-3IgCSIACvbGRPVGvtJHcIFa9H0LRsK6WPFY VmYU9UCFVOV8nXemFAqjmV665Rg89yY0x_bB2sIOttUgoJSRHNXfwt0ajBgP5RxD6e26x58sxIosXS_gKbA!!/ dz/d5/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922TU860AMDEPQUO20L6 (letzter Zugriff: 8. Mai 2017). 11 Ebenda. 12 Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 „Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur“. Hrsg.: Bundesministerium der Verteidigung. Abrufbar unter: http://www.innerefuehrung.bundeswehr.de/resource/resource /UlRvcjZYSW1RcEVHaUd4cklzQU4yMzFYNnl6UGxhbm1vNGx0VVVuZlIvZ0ViME9KcWVqa3dPeUVJeG- NPR0x4OXVkMWtQWlliYlFwSDZJYllqZFJk-blN5a2ZvK0EvUGtMUWU5ZnFFZUlBSVU9/ZDv%20A_2600_1% 20Innere%20F%C3%BChrung_Selbstverst%C3%A4ndnis%20und%20F%C3%BChrungskultur.pdf (letzter Zugriff: 8. Mai 2017). 13 Die Inhalte dieses Kapitels fußen im Wesentlichen auf: Ebenda sowie Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur. Hrsg.: Bundesministerium der Verteidigung / Presse- und Informationsstab. Stand: Januar 2010. Abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/Infomaterial /BMVg/Innere_Fuehrung.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (letzter Zugriff: 9. Mai 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 8 Dienst in der Bundeswehr legen und das Selbstverständnis der Soldatinnen und Soldaten bestimmen . Sie sollen Leitlinie für die Führung von Menschen und den richtigen Umgang miteinander sein. 3.1.1. Selbstverständnis Die „Innere Führung“ soll gewährleisten, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft bleibt und es keine wesentlichen gesellschaftlichen Unterschiede zu ihrem zivilen Umfeld gibt. Diese Aufgabe der „Inneren Führung“ hat mit der Aussetzung der Wehrpflicht noch an Bedeutung gewonnen. 14 „Innere Führung“ ist die Grundlage des militärischen Dienstes in der Bundeswehr und bestimmt die Gesamtheit von Führung, Erziehung und Ausbildung. Sie ist in diesem Verständnis keine eigenständige Aufgabe, sondern bestimmt das soldatische Selbstverständnis, das beim Führen im Gefecht ebenso zur Geltung kommt wie beim Gestalten des Innendienstes. 3.1.2. Grundsätze und Grundlagen Die Grundsätze der „Inneren Führung“, aus denen Soldatinnen und Soldaten Sicherheit für ihr Handeln ableiten sollen, finden insbesondere in folgenden Kriterien ihre konkrete Ausprägung: 15 Integration in Staat und Gesellschaft, Leitbild vom „Staatsbürger in Uniform“, ethische, rechtliche und politische Legitimation des Auftrages, Verwirklichung wesentlicher staatlicher und gesellschaftlicher Werte in den Streitkräften, Grenzen für „Befehl und Gehorsam“, Anwendung des Prinzips „Führen mit Auftrag“, Wahrnehmung der gesetzlich festgelegten Beteiligungsrechte der Soldatinnen und Soldaten sowie Wahrnehmung des im Grundgesetz garantierten Koalitionsrechts. 14 Vgl. hierzu: Groth, Andreas (2012): Nachwirkungen der Wehrpflicht – Die Demokratie stecken sich die Soldaten in die Tasche. faz.net vom 12. Januar 2012. Abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/nachwirkungen -der-wehrpflicht-die-demokratie-stecken-sich-die-soldaten-in-die-tasche-11598897.html (letzter Zugriff: 9. Mai 2017). 15 Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 „Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur“, a.a.O., Ziff. 316. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 9 Die „Innere Führung“ steht damit für die Einordnung der Bundeswehr in den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Ihre Grundsätze beruhen auf ethischen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Grundlagen und entsprechen den militärischen Erfordernissen. Das wesentliche Fundament der ethischen und rechtlichen Grundlagen stellt dabei das Grundgesetz dar: Das Wertesystem des Grundgesetzes garantiert vor allem Menschenwürde, Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Gleichheit, Solidarität und Demokratie. Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde sind Verpflichtung des Staates und damit auch der Bundeswehr. In dieser Verpflichtung findet der Dienst in der Bundeswehr für jeden Einzelnen die ethische Rechtfertigung und zugleich seine Begrenzung. Die in der Würde des Menschen begründeten Werte sind die Grundlage für die Grundsätze der „Inneren Führung“ und damit für die Rechtsnormen innerhalb der Bundeswehr. Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gelten die Grundrechte grundsätzlich in gleichem Umfang wie für alle anderen Bürgerinnen und Bürger. 16 Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr werden in ihren Rechten dadurch geschützt, dass Umfang und Grenzen der Befehlsbefugnis der Vorgesetzten und der Gehorsamspflicht der Untergebenen gesetzlich festgelegt sind. Aus der Wahrnehmung der ihnen gesetzmäßig zustehenden Rechte dürfen den Soldatinnen und Soldaten keine Nachteile erwachsen. 3.1.3. Führungskultur Die „Innere Führung“ soll fester Bestandteil jeglicher Führungstätigkeit in allen Bereichen der Bundeswehr sein. Sie gilt auf allen Ebenen und ist für jede Soldatin und jeden Soldaten verbindlich und durchdringt als grundlegendes Führungs- und Verhaltensprinzip den gesamten Dienst der Bundeswehr. Verständnis und Weiterentwicklung der „Inneren Führung“ sollen sich aus der täglichen Führungspraxis durch die Vorgesetzten ergeben. Die überzeugendste Vermittlung der „Inneren Führung“ ist das vorbildhafte Vorleben, Erleben und Gestalten ihrer Grundsätze im Dienst und im Einsatz. Zusätzlich soll auch durch „politische Bildung“ das Prinzip der „Inneren Führung“ verständlich gemacht werden, indem die Geschichtskenntnisse der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vertieft und ihnen politische Zusammenhänge erklärt, aber insbesondere auf Basis des Grundgesetzes ihr Wertebewusstsein gefördert wird. Die „Innere Führung“ ist verpflichtende Grundlage allen Verhaltens in der Bundeswehr im Grundbetrieb wie im Einsatz. Alle Soldatinnen und Soldaten, aber insbesondere solche in Führungsverwendungen , sollen ihr Verhalten und Handeln an den Grundsätzen der „Inneren Führung “ ausrichten. Die „Innere Führung“ prägt somit in bedeutendem Maße die Führungskultur der Bundeswehr. 16 Einzelne Grundrechte sind aufgrund militärischer Erfordernisse durch Wehrgesetze eingeschränkt. Dabei sind die Grundrechte im Kern erhalten. Darüber wachen neben verschiedenen militärischen auch zivile Instanzen, vor allem die Gerichtsbarkeit. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 10 3.2. „Innere Führung“ und Traditionsverständnis Das von Graf von Baudissin entwickelte Konzept der „Inneren Führung“ mit dem Leitbild eines „Staatsbürgers in Uniform“ sollte die Grundlage für einen Bruch mit den überkommenen Traditionen der Wehrmacht darstellen, den militärischen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime im Traditionsbild der neuen Bundeswehr etablieren und zur Förderung des Aufbaus einer eigenen Tradition der neuen deutschen Streitkräfte aufrufen. Eingang in ministerielle Weisungen fanden diese Ideen zuerst am 1. Juli 1965 im Erlass „Bundeswehr und Tradition“ des damaligen Verteidigungsministers Kai-Uwe von Hassel und am 20. September 1982, als der damalige Verteidigungsminister Hans Apel die bis heute gültigen „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr“ 17 erließ. In den „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr“, heute als Anlage 7.3 Teil der Zentralen Dienstvorschrift A-2600/1, heißt es u.a.: Die Geschichte deutscher Streitkräfte hat sich nicht ohne tiefe Einbrüche entwickelt. In den Nationalsozialismus waren Streitkräfte teils schuldhaft verstrickt, teils wurden sie schuldlos missbraucht. Ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich, kann Tradition nicht begründen. (Ziffer 6) In der Traditionspflege der Bundeswehr sollen solche Zeugnisse, Haltungen und Erfahrungen aus der Geschichte bewahrt werden, die als ethische und rechtsstaatliche, freiheitliche und demokratische Traditionen auch für unsere Zeit beispielhaft und erinnerungswürdig sind. (Ziffer 15) Soldatische Erfahrungen und militärische Leistungen der Vergangenheit können für die Ausbildung der Streitkräfte von Bedeutung sein. Dabei ist stets zu prüfen, inwieweit Überliefertes angesichts ständig sich wandelnder technischer und taktischer, politischer und gesellschaftlicher Gegebenheiten an Wert behält. Die Geschichte liefert keine Anweisungen für künftiges Verhalten, wohl aber Maßstäbe und Orientierungen für Haltungen. (Ziffer 19) Die Bundeswehr pflegt bereits eigene Traditionen, die weiterentwickelt werden sollen. (Ziffer 20) Das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen ist erlaubt. Es dient der Kenntnis und dem Interesse an der Geschichte und belegt , was gewesen ist. Die Art und Weise, in der wehrkundliche Exponate gezeigt werden, muss die Einordnung in einen geschichtlichen Zusammenhang erkennen lassen. Die äußere Aufmachung muss diesen Richtlinien entsprechen. (Ziffer 25) 17 Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr vom 20. September 1982. Hrsg.: Bundesministerium der Verteidigung. In: Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 „Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur“, a.a.O., Anlage 7.3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 11 Sowohl die Konzeption der „Inneren Führung“ mit ihrem Tenor, dass nur das aus der Wehrmacht als traditionsstiftend übernommen werden könne, was im Einklang mit den Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands stehe, 18 als auch die genannten Erlasse führten nicht hinlänglich dazu, dass unerwünschte Wehrmachtstraditionen aus der Bundeswehr verschwanden. U.a. bezieht sich dabei die Kritik an der Beibehaltung solcher Traditionen auf verschiedene Kasernen, bei denen nach Auffassung einiger Historiker und Publizisten aus heutiger Sicht fragwürdige Wehrmachtsangehörige Namensgeber gewesen sind 19 und von denen einige noch heute kontrovers diskutierte Namen tragen. 20 Aber auch die jüngst bekannt gewordene Verwendung nationalsozialistischer Symbole durch einzelne Soldaten der Bundeswehr 21 und die ungenehmigte Ausstellung von Devotionalien aus der Zeit des Nationalsozialismus 22 zeigen, dass der nach Erlasslage erforderliche, differenzierte Umgang mit Wehrmachtstraditionen und der seit den Gründerjahren der Bundeswehr angestrebte Bruch mit dem Nationalsozialismus immer noch nicht verlässlich in den Köpfen aller Soldaten und Soldatinnen der Bundeswehr verankert ist. 18 „Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr. Einzige Ausnahme sind einige herausragende Einzeltaten im Widerstand. Aber sonst hat die Wehrmacht nichts mit der Bundeswehr gemein.“ Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen am 3. Mai 2017 in Illkirch (Elsass). Vgl. Von der Leyen in Illkirch (Elsass) – „Wehrmacht nichts gemein mit Bundeswehr." SWR aktuell vom 3. Mai 2017. Abrufbar unter: http://www.swr.de/swraktuell/bw/suedbaden/von-der-leyen-in-illkirch-elsass-wehrmachtnichts -gemein-mit-bundeswehr/-/id=1552/did=19474678/nid=1552/230755/ (letzter Zugriff: 16. Mai 2017). 19 „Besonders umstritten sind in den letzten 15 Jahren die Kasernennamen der Bundeswehr gewesen. Nicht alle Namensgeber entsprechen heutigen Kriterien.“ Winfried Heinemann in Militärgeschichte 1–2, Verlag E. S. Mittler, 2002, S. 55; siehe auch: Knab, Jakob (1995). Falsche Glorie: das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Ch. Links Verlag, S. 10. 20 Bereits seit den Anfangsjahren der Bundeswehr wird in Politik und Gesellschaft über die Benennung von Bundeswehrkasernen kontrovers diskutiert. Dies führte in mehreren Fällen zu Namensänderungen. Im parlamentarischen Raum wurde zuletzt die Umbenennung der nach dem Wehrmachtsoberst Helmut Lent benannten Bundeswehr- Kaserne in Rotenburg diskutiert. Vgl. BT-Drs. 18/05596 „Diskussion um die Umbenennung der nach dem Wehrmachts -Flieger Helmut Lent benannten Bundeswehr-Kaserne in Rotenburg“, Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 6. April 2017. Abrufbar unter: http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/055/1805596.pdf (letzter Zugriff : 8. Mai 2017). Bis zum 15. Mai 2017 lag hierzu noch keine Antwort der Bundesregierung vor. Darüber hinaus steht die Benennung der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf in der wissenschaftlichen und öffentlichen Diskussion. Das Verhältnis des Namensgebers dieser Bundeswehrkaserne zum Widerstand des 20. Juli 1944 ist unter Historikern umstritten. Vgl. Heinemann, Winfried (2012): Kasernennamen und „neue“ Traditionsräume. In: Heinemann, Winfried; Birk, Eberhard; Lange, Sven (Hrsg.): Tradition für die Bundeswehr: neue Aspekte einer alten Debatte, BoD – Books on Demand, 2012, S. 167 ff. Zur aktuellen Diskussion siehe auch Wehrmachtsandenken in Kasernen – Noch "Wehrkunde" oder schon Extremismus? tagesschau.de vom 9. Mai 2017. Abrufbar unter: http://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr-467.html (letzter Zugriff: 9. Mai 2017) oder Käppner , Joachim (2017): Bundeswehr: Bilder und Vorbilder. In Süddeutsche Zeitung vom 13. Mai 2017, S. 4. 21 Vgl. Fn. 1. 22 Anm. d. Verf.: Nicht jede Wehrmachtsdevotionalie muss zwangsläufig ein Zeichen von Rechtsradikalismus sein, sondern könnte in einer Kaserne auch als Anschauungsobjekt für Unterrichte im Rahmen der „politischen Bildung“ oder der wehrgeschichtlichen Ausbildung aufbewahrt werden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 12 Hier stellt sich die Frage, warum in der Bundeswehr trotz der Konzeption der „Inneren Führung“ und trotz der Erlasslage weiterhin Anknüpfungspunkte an nationalsozialistisches Gedankengut bestehen. Die Ursachen hierfür und für andere Verfehlungen von Soldaten der Bundeswehr dürften, wie das Folgekapitel verdeutlicht, weniger in der Konzeption und einem Erfordernis zu ihrer Weiterentwicklung liegen als vielmehr in der Notwendigkeit einer intensiveren Befassung mit den Grundsätzen der Konzeption in Ausbildung und Dienstbetrieb. 3.3. Zur Anwendung der Konzeption der „Inneren Führung“ Menschenführung, auch im Einsatz und im Gefecht, politische Bildung sowie Recht und soldatische Ordnung sind die wichtigsten Bereiche des soldatischen Dienstes, die unmittelbar auf den Menschen bezogen sind. Hier liegen insbesondere für die Vorgesetzten die hauptsächlichen Gestaltungsfelder der „Inneren Führung“. 23 Neben diesen drei hauptsächlichen gibt es laut Zentraler Dienstvorschrift A-2600/1 weitere Gestaltungsfelder, mit denen ebenfalls unverzichtbare Beiträge zum Gelingen von „Innerer Führung“ geleistet werden. Sie müssen von Fall zu Fall durch die Vorgesetzten in einem umfassenden Verständnis berücksichtigt werden. Dies sind: 24 Dienstgestaltung und Ausbildung, Informationsarbeit, Organisation und Personalführung, Fürsorge und Betreuung, Vereinbarkeit von Familie und Dienst, Seelsorge und Religionsausübung sowie sanitätsdienstliche Versorgung. Während Grundsätze wie die Achtung des „Primats der Politik“ oder das Handeln nach „Recht und Gesetz“ als Restriktionen die Wirkungsmöglichkeiten von Vorgesetzten begrenzen oder festlegen, geben die oben genannten Gestaltungsfelder einen mehr oder weniger großen Handlungsspielraum . Bei der Ausgestaltung dieser Handlungsspielräume bedarf es eines Transfers der allgemein gehaltenen Grundsätze bzw. Maßstäbe der „Inneren Führung“ in die Praxis. Dieses ist die wesentliche Führungsleistung von Vorgesetzten, die „in jeder Führungssituation die teilweise gegensätzlichen Prinzipien und Interessen abwägen, situationsgerecht entscheiden und zu einem möglichst konsistenten und widerspruchsfreien Handlungszusammenhang integrieren “ 25 können müssen. 23 Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 „Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur“, a.a.O., Ziff. 6.2. 24 Ebenda, Ziff. 6.3. 25 Schwarz, Günter (1994): Innere Führung: Eine Herausforderung für uns alle. Zur Anwendung einer anspruchsvollen Führungsphilosophie. In: Reader Sicherheitspolitik VII.4. Hrsg.: Bundesministerium der Verteidigung, Fü S I 3, S. 3 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 13 Drei Problemfelder können diese Transfer- bzw. Führungsleistung beeinflussen: 26 das Akzeptanzproblem: Vorgesetzte müssen die Grundsätze der „Inneren Führung“ anwenden wollen; das Kompetenzproblem: Vorgesetzte müssen durch Ausbildung und Beispiel lernen und trainieren, wie man die Grundsätze in konkreten Entscheidungs- und Führungssituationen anwenden kann. Sie dürfen hierbei nicht ausschließlich ihrem Gefühl vertrauen oder ihrer Intuition folgen, ohne die Kriterien der „Inneren Führung“ bewusst zu berücksichtigen; sowie das Organisationsproblem: der große Freiraum, den die Konzeption der „Inneren Führung“ den Vorgesetzten in der Theorie belässt, muss auch in der Praxis gewährleistet sein und darf nicht durch innerorganisatorische bürokratische Regelungssysteme oder auch durch Vorgesetzte , die nicht im Sinne der Grundsätze der „Inneren Führung“ handeln, versperrt werden. Ohne eine vollumfängliche Akzeptanz der Grundsätze der „Inneren Führung“ und ohne die Fähigkeit, diese in konkreten Entscheidungs- und Führungssituationen anwenden zu können, besteht das Risiko, dass einzelne Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ethisch, rechtlich, politisch und gesellschaftlich gesetzte Grenzen überschreiten. In welchem Umfang, wo und bei welchen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr allerdings Akzeptanz- und Kompetenzprobleme mit Blick auf die Konzeption der „Inneren Führung“ tatsächlich für die jüngst aufgedeckten Missstände in der Bundeswehr verantwortlich sind, bedarf einer tiefergehenden Analyse. 4. Zusammenfassung Mit der im Zuge der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland entwickelten Konzeption der „Inneren Führung“ sollte sichergestellt werden, dass die Bundeswehr nicht „Staat im Staate“ wird, sondern in der Mitte der Gesellschaft steht, dass sie mit den undemokratischen Traditionen der Wehrmacht bricht, den militärischen Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime im Traditionsbild etabliert und eine eigene Tradition aufbaut. Zudem sollte so ihren Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ ein auf ethischen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Grundlagen fußender Handlungsrahmen zur Verfügung gestellt werden. Die Konzeption der „Inneren Führung“ liefert die theoretischen Grundlagen, damit Vorgesetzte in jeder Führungssituation in diesem Handlungsrahmen die teilweise zwischen den Erfordernissen des militärischen Auftrages und der geistigen und moralischen Mündigkeit des Staatsbürgers bestehenden gegensätzlichen Interessen abwägen, situationsgerecht entscheiden und zu einem möglichst konsistenten und widerspruchsfreien Handlungszusammenhang integrieren können. Damit dies gelingt und keine ethischen, rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Grenzen überschritten werden, bedarf es allerdings neben der Akzeptanz der „Inneren Führung“ als Führungskonzeption insbesondere der Fähigkeit, ihre Grundsätze in konkreten Entscheidungsund Führungssituationen anzuwenden. 26 Ebenda, S. 4. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 14 Die Herausforderung der politischen und militärischen Führung lautet, in der Bundeswehr Akzeptanz - und Kompetenzprobleme weitgehend auszuschließen, um die Wahrscheinlichkeit für künftiges Fehlverhalten innerhalb der Streitkräfte möglichst gering zu halten. *** Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/17 Seite 15 Literaturhinweise 27 Bald, Detlef (2005): Die gespaltene Ausrichtung der Bundeswehr – oder: warum sich die Bundeswehr mit der „Inneren Führung“ seit 1950 schwer tut. In: S+F Sicherheit und Frieden 4-2005 (Themenschwerpunkt: Bundeswehr und In-nere Führung), S. 179. Abrufbar unter: http://www.sicherheit -und-frieden.nomos.de/fileadmin/suf/doc/SuF_05_04.pdf (letzter Zugriff: 8. Mai 2017). Berns, Andreas (2015): Innere Führung - längst „überholte“ Dienstvorschrift oder gelebter Anspruch ? In: Österreichische Militärzeitung 5/2015, S. 554–561. 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