© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 041/13 Zu den völkerrechtlichen Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung des griechisch-deutschen Verhältnisses Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 2 Zu den völkerrechtlichen Grundlagen und Grenzen kriegsbedingter Reparationen unter besonderer Berücksichtigung des griechisch-deutschen Verhältnisses - Vertraulich - Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 041/13 Abschluss der Arbeit: 26. Juni 2013 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 5 2. Allgemeine materiell-rechtliche Aspekte von Reparationsansprüchen 6 2.1. Der völkerrechtliche Reparationsbegriff 6 2.2. Der Zeitpunkt der Entstehung völkerrechtlicher Reparationsansprüche 6 3. Spezifische Vertragsregelungen mit Auswirkung auf das griechisch-deutsche Verhältnis 9 3.1. Reparationsansprüche auf der Grundlage friedensvertraglicher Regelungen 9 3.2. Londoner Abkommen über deutsche Auslandsschulden (1953) 9 3.3. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland (1960) 10 3.4. Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (1990) 12 3.4.1. Positionen zur Regelung der Reparationsfrage durch den Zweiplus -Vier Vertrag 12 3.4.2. Zur allgemeinen Drittwirkung völkerrechtlicher Verträge 13 3.4.3. Zur besonderen Drittwirkung des Zwei-plus-Vier-Vertrages 14 3.5. Charta von Paris für ein neues Europa (1990) 15 4. Der Verlust von Reparationsansprüchen 16 4.1. Verwirkung und Einrede im Völkerrecht 16 4.2. Ausdrückliche unilaterale Verzichtserklärung 17 4.3. Implizite unilaterale Verzichtserklärung 18 4.4. Stillschweigende Zustimmung im Völkerrecht 18 5. Völkerrechtlich relevante tatsächliche Umstände im griechisch-deutschen Reparationsverhältnis 20 5.1.1. Dauer des Stillschweigens 20 5.1.2. Grenzen der Durchsetzbarkeit während des Kalten Krieges 20 5.1.3. Briefwechsel von 1960 20 5.1.4. Öffentliche Stellungnahmen griechischer Regierungsmitglieder 21 5.1.5. Deutsche Wiedervereinigung und wiederholte Kundgabe der Rechtsansicht 21 5.1.6. Einschätzung der Vereinten Nationen 22 5.1.7. Vertrauensschutz 22 5.1.8. Rechtssicherheit 22 6. Aktuelle Konkretisierung weiterer Ansprüche 23 6.1. Zwangsanleihe 23 6.2. Öffentliche Diskussion des Anspruchsumfangs 23 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 4 7. Prozessuale Aspekte 24 7.1. Internationaler Gerichtshof (IGH) 25 7.2. Internationale schiedsgerichtliche Verfahren 26 7.3. Gerichtshof der Europäischen Union 26 7.4. Innerstaatliche Verfahren in Deutschland 26 7.5. Innerstaatliche Gerichtsbarkeit anderer Staaten 27 8. Individuelle Ansprüche 27 9. Literatur 30 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 5 1. Einführung Die Frage nach offenen Reparationsansprüchen Griechenlands gegen die Bundesrepublik Deutschland bedarf einer knappen Erläuterung ihres geschichtlichen Zusammenhangs:1 Die am Zweiten Weltkrieg beteiligten Staaten trafen 1945 keine umfassende Vereinbarung bezüglich der Reparationspflichten des Deutschen Reichs. So war die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht nicht mit einer inhaltlich hinreichend konkretisierten Anerkennung von Reparationspflichten des Deutschen Reichs verbunden. Die Londoner Konferenz über deutsche Auslandsschulden endete 1953 mit dem Abschluss eines Abkommens, das die Frage der Reparationspflichten Deutschlands gegenüber seinen ehemaligen Kriegsgegnern einem endgültigen Friedensvertrag vorbehielt. Der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 („Zwei-plus-Vier-Vertrag“), der anstelle eines Friedensvertrages geschlossen wurde, regelt nach Auffassung der Bundesregierung abschließend alle Rechtsfragen bezüglich der Kriegsfolgen und Reparationspflichten. Soweit aus öffentlich zugänglichen Quellen ersichtlich, hat Griechenland seit Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrags auf internationaler Ebene kein rechtsförmiges Verfahren eingeleitet, um Reparationsansprüche gegen Deutschland geltend zu machen. Gleichwohl halten nach Presseberichten verschiedene griechische Politiker die Rechtsfolgen des Zweiten Weltkrieges im griechisch-deutschen Verhältnis für nicht umfassend und abschließend geregelt. Vor diesem Hintergrund beschreibt die vorliegende Ausarbeitung die aus völkerrechtlicher Sicht wesentlichen Voraussetzungen und Grenzen etwaiger Reparationsansprüche (Kapitel 2 bis 5) sowie die aktuelle öffentliche Diskussion innerhalb Griechenlands über konkrete Anspruchsgrundlagen und den vorstellbaren Umfang möglicherweise geltend gemachter Ansprüche (Kapitel 6). Ebenfalls kurz umrissen werden die prozessualen Aspekte der Geltendmachung von Reparationsansprüchen , insbesondere die Frage nach gerichtlichen Zuständigkeiten hierfür (Kapitel 7). Da in der aktuellen öffentlichen Diskussion die Frage nach zwischenstaatlichen Reparationszahlungen oft mit der Problematik individuellen Schadensersatzes für die griechischen Opfer deutscher Wehrmachtsverbrechen verknüpft wird, skizziert die Ausarbeitung auch die Völkerrechtslage in diesem Bereich (8. Kapitel).2 Die vorliegende Ausarbeitung behandelt die Reparationsfrage auf der Grundlage von rechtswissenschaftlicher Fachliteratur und Presseberichten. Eine Analyse der Akten der nationalen Regie- 1 Zu den historischen Hintergründen vgl. Pierre d’Argent, Reparations after World War II, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article ?script=yes&id=/epil/entries/law-9780199231690-e391&recno=1&searchType=Quick&query=Reparations +after+World+War+II (letzter Zugriff 06.06.2013). Siehe hierzu auch Sven Felix Kellerhoff, Schuldet Deutschland den Griechen 70 Milliarden, in: Die Welt, 17.09.2011, http://www.welt.de/politik/deutschland/article 13610386/Schuldet-Deutschland-den-Griechen-70-Milliarden.html (letzter Zugriff 19.06.2013). 2 Innerstaatliches Recht bleibt im Rahmen der vorliegenden Ausarbeitung weitgehend außer Betracht: Deutsche Gesetze entfalten ihre rechtlichen Wirkungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung; im Völkerrecht begründete Reparationsansprüche hingegen können durch innerstaatliches, einseitig erlassenes Recht nicht verkürzt werden oder untergehen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 6 rungen konnte im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht durchgeführt werden. Dies wäre jedoch erforderlich , um den tatsächlichen Stand der bilateralen Rechtsbeziehungen wissenschaftlich umfassend aufarbeiten zu können. Im übrigen geht die nachfolgende Darstellung für den vorliegenden Zusammenhang von einer völkerrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland mit dem Deutschen Reich aus.3 2. Allgemeine materiell-rechtliche Aspekte von Reparationsansprüchen 2.1. Der völkerrechtliche Reparationsbegriff Das Völkerrecht der Gegenwart bezeichnet als „Reparationen“ jede Zahlung, die ein Staat leistet, um eine Verletzung des Völkerrechts wiedergutzumachen.4 Soweit die völkerrechtliche Literatur den Reparationsbegriff auf die Wiedergutmachung von Kriegsfolgen bezieht, verwendet sie den Begriff nicht einheitlich: (a) Zum Teil werden alle Kompensationszahlungen des kriegsverlierenden / reparationsverpflichteten Staates an den kriegsgewinnenden / reparationsberechtigten Staat als Reparationen bezeichnet . Es wird also nicht danach differenziert, ob der reparationsverpflichtete Staat gegenüber dem reparationsberechtigten Staat das Völkerrecht verletzt hat. Dieses Verständnis des Reparationsbegriff scheint allerdings zunehmend außer Gebrauch zu fallen. (b) Zum Teil bezeichnet die völkerrechtliche Literatur auch im Kontext der Kriegsfolgen als Reparationen alle Zahlungen, die geleistet werden, um eine Völkerrechtsverletzung zu kompensieren , sei es eine Verletzung in Gestalt eines rechtswidrigen Angriffs oder durch ein Verbrechen im weiteren Kriegsverlauf. Die vorliegende Darstellung folgt diesem neueren Reparationsbegriff. 2.2. Der Zeitpunkt der Entstehung völkerrechtlicher Reparationsansprüche Die Frage nach dem Bestehen von Reparationsansprüchen ist zunächst untrennbar verknüpft mit der Problematik, zu welchem Zeitpunkt und wodurch derartige Ansprüche rechtliche Existenz erlangen. Daher soll hier in Grundzügen erläutert werden, wann und wie ein völkerrechtlicher Reparationsanspruch entsteht. 3 Vgl. BVerfGE 36, 1, 15 f. 4 Die Darstellung folgt Dinah Shelton, Reparations, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article?script=yes&id=/epil/entries /law-9780199231690-e392&recno=1&searchType=Quick&query=reparations (letzter Zugriff 06.06.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 7 In bestimmten Rechtsgebieten erwächst die Pflicht, Schadensersatz zu leisten, bereits mit dem Eintritt des schädigenden Ereignisses, auch wenn die genaue Höhe des Schadensersatzes zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststeht.5 Weite Teile der völkerrechtswissenschaftlichen Literatur vertreten die Auffassung, der Reparationsanspruch entstehe „dem Grunde nach zwischen den kriegsführenden Staaten mit dem schadensstiftenden Ereignis“.6 Dafür, dass der Rechtsgrundsatz einer zeitgleichen Entstehung von Schaden und Ersatzpflicht auch im Völkerrecht gilt, könnte auch Art. 1 des Entwurf der Völkerrechtskommission (ILC) zur Staatenverantwortlichkeit von 2001 sprechen: Danach verpflichtet jede Völkerrechtsverletzung eines Staates diesen zur Wiedergutmachung des daraus erwachsenen Schadens.7 Auf die vorliegende Problematik angewandt würde dieser Ansatz die rechtliche Möglichkeit eröffnen , dass ein völkerrechtlicher Reparationsanspruch eines Gläubigerstaates bereits während des den Anspruch begründenden Krieges entstanden sein könnte, und zwar unabhängig von einer späteren Feststellung durch eine zwischenstaatliche vertragliche Vereinbarung. Allerdings ist zu bedenken, dass die 2001 von der ILC festgestellten Grundsätze zur Beurteilung, wann aus Sicht des Völkergewohnheitsrechts Reparationsansprüche entstehen, nur zum Teil der Staatenpraxis bis 1945 und damit letztlich der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Völkerrechtslage entsprochen haben. Soweit ersichtlich, war die Staatenpraxis zum Recht der Kriegsreparationen 1945 noch nicht im Sinne des ILC-Entwurfs abgesichert. Historisch betrachtet8 wurde der Reparationsanspruch zumindest bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Recht des Siegers verstanden, der sich für seine Kriegskosten schadlos hielt. Auf die Rechtmäßigkeit oder -widrigkeit eines etwaigen Angriffs bzw. weiterer Kriegshandlungen kam es 5 Eine entsprechende Regelung findet sich im deutschen Zivilrecht in § 823 Abs. 1 BGB, http://www.gesetze-iminternet .de/bgb/__823.html (letzter Zugriff 17.06.20913). 6 Statt vieler: Bert Eichhorn, Reparation als völkerrechtliche Deliktshaftung, Baden-Baden 1992, S. 189. 7 Im Wortlaut: „Every internationally wrongful act of a State entails the international responsibility of that state“, http://untreaty.un.org/ilc/reports/2001/english/chp4.pdf (letzter Zugriff 06.06.2013). Der Entwurf der ILC bildet den gegenwärtigen Stand des Völkergewohnheitsrechts ab, vgl. Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 9. Auflage, Tübingen 2008, S. 249. 8 Die nachstehenden rechtsgeschichtlichen Ausführungen folgen im wesentlichen Randall Lesaffer/Mieke van der Linden, Peace Treaties after World War I, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article?script=yes&id=/epil/entries/law- 9780199231690-e368&recno=1&searchType=Quick&query=Peace+Treaties+after+World+War+I (letzter Zugriff 06.06.2013), (m.w.N.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 8 dabei nicht an.9 Folgte man dieser nach überwiegender Ansicht nicht mehr zeitgemäßen Doktrin, so wären Reparationsansprüche infolge des Zweiten Weltkriegs jedenfalls nicht im Zeitpunkt des schadensbegründenden Verhaltens, sondern erst mit oder nach Kriegsende entstanden. Die Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg verknüpften Kriegsschuld und Reparationspflicht .10 Die Tatsache, dass Höhe und Dauer der Reparationszahlungen erst später durch eine zu diesem Zweck eingerichtete Kammer11 bestimmt werden sollten, ändert nichts daran, dass die Reparationspflichten der Schuldnerstaaten dem Grunde nach bereits bestanden. Denn hier ist zwischen der vorgelagerten Entstehung eines Reparationsanspruches dem Grunde nach und dessen späterer konkreten Bezifferung zu differenzieren. Der Wortlaut des die Reparationspflicht begründenden Art. 231 Versailler Vertrag legt nahe, dass die vertragliche Regelung als konstituierend für den Anspruch verstanden wurde.12 Desweiteren führt eine Zusammenschau der Staatenpraxis zwischen den beiden Weltkriegen nicht zum Nachweis konsistenten Völkergewohnheitsrechts , wonach in diesem Zeitraum Reparationspflichten unabhängig von einer friedensvertraglichen Regelung anerkannt worden wären.13 Wollte man die überwiegende Staatenpraxis der Zwischenkriegszeit zur Grundlage machen, so wäre daraus wohl eher der Schluss zu ziehen, dass ein Gläubigerstaat auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs etwaige Reparationsansprüche noch auf ausdrückliche friedensvertragliche Regelungen stützten musste. Sofern Reparationsforderungen eines Gläubigerstaates gegenüber einem Schuldnerstaat an ein Ereignis oder Verhalten im 21. Jahrhundert anknüpfen, lässt sich argumentieren, dass Völkerrechtsverletzungen eines Staates unmittelbar dessen Pflicht auslösen, den hieraus entstandenen Schaden wiedergutzumachen.14 Hingegen ist in bezug auf ein Ereignis oder Geschehen vor bzw. bis 1945 mit überzeugenden Gründen vertretbar, dass die rechtliche Existenz von Reparationsansprüchen zum damaligen Zeitpunkt damals von deren völkervertraglicher Konkretisierung abhing . Dies spricht für die Vermutung, dass es einer ausdrücklichen internationalen Vereinbarung 9 Dies lag nicht zuletzt darin begründet, dass die zwischenstaatlichen Beziehungen von der Doktrin des „ius ad bellum“, d.h. der Vorstellung der Möglichkeit eines gerechten Kriegs, geprägt waren und das umfassende Gewaltverbots von Art. 2 Nr. 4 Charta der Vereinten Nationen noch keine Geltung beanspruchte. Anders die gegenwärtige Rechtslage: Der Angreifer haftet für alle Schäden, die aus einer illegalen Aggression oder im Zuge der Kriegsführung aus Verletzungen des humanitären Völkerrechts erwachsen, vgl. Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts II. Bd. Kriegsrecht, München/Berlin 1962, § 48 S. 238 f. 10 Art. 231 Versailler Vertrag. (1919) 225 CTS 188, http://www.documentarchiv.de/wr/vv.html (letzter Zugriff 06.06.2013). 11 Art. 233 und 234 Versailler Vertrag (Anm. 10). 12 Art. 231 Versailler Vertrag: „Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an…“ (Anm. 10). Die Formulierung impliziert die Idee der Begründung einer Verbindlichkeit durch übereinstimmende Willenserklärungen, also eine vertragliche Grundlage. 13 Vgl. Randall Lesaffer/Mieke van der Linden, (Anm. 8). 14 Dies entspricht dem gegenwärtigen Stand des Völkergewohnheitsrechts, wie er in Art. 1 des zitierten ILC-Entwurfs von 2001 zum Ausdruck kommt, siehe bereits oben (Anm. 7). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 9 bedurfte, um Grund und Höhe der Reparationspflichten eines Schuldnerstaates gegenüber einem Gläubigerstaat spezifisch festzustellen. 3. Spezifische Vertragsregelungen mit Auswirkung auf das griechisch-deutsche Verhältnis 3.1. Reparationsansprüche auf der Grundlage friedensvertraglicher Regelungen Wie bekannt, schlossen Deutschland und seine ehemaligen Kriegsgegner unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg keinen Friedensvertrag. Die bedingungslose Kapitulation der Deutschen Wehrmacht war ein völkerrechtlich bindender unilateraler Akt, der lediglich die militärischen Feindseligkeiten beendete, Reparationsfragen jedoch aussparte.15 Dass in den folgenden Jahren kein Friedensvertrag geschlossen wurde, lag nicht zuletzt in der Auseinanderentwicklung der alliierten Siegermächte begründet.16 Eine umfassende vertragliche Regelung der Reparationspflichten Deutschlands gegenüber allen Kriegsgegnern blieb somit vorerst aus. Folgt man der völkerrechtlich im Hinblick auf die Ereignisse vor bzw. bis 1945 nach wie vor vertretbaren Position, dass Reparationsansprüche nur und erst durch deren friedensvertragliche Feststellung entstehen 17, so wären entsprechende Forderungen eines Gläubigerstaates in Ermangelung einer Vereinbarung als gegenstandslos zu betrachten. Geht man hingegen von der für den Fortgang der Untersuchung notwendigen Arbeitshypothese aus, dass Reparationsansprüche auch vor bzw. bis 1945 unabhängig von einer friedensvertraglichen Feststellung entstehen konnten, so ist gleichwohl zu klären, ob entsprechende Ansprüche nach wie vor bestehen. 3.2. Londoner Abkommen über deutsche Auslandsschulden (1953) Im Rahmen der Londoner Konferenz über deutsche Auslandsschulden schlossen die Vertragsstaaten 1953 ein Abkommen, das u.a. auch die Frage der aus dem Zweiten Weltkrieg erwachsenden Kriegsreparationen zum Gegenstand hatte (Londoner Abkommen).18 Hierzu hieß es in Art. 5 Abs. 2 Londoner Abkommen: „Eine Prüfung der aus dem Zweiten Weltkriege herrührenden Forderungen von Staaten, die sich mit Deutschland im Kriegszustand befanden oder deren 15 Vgl. hierzu den 4. Punkt der Kapitulationserklärung: „Diese Kapitulationserklärung ist ohne Praejudiz für irgendwelche an ihre Stelle tretenden allgemeinen Kapitulationsbestimmungen, die durch die Vereinten Nationen und in deren Namen Deutschland und der Deutschen Wehrmacht auferlegt werden mögen.“ http://web.archive .org/web/20070926235313/http://www.museum-karlshorst.de/html/sammlung/img/Kapitulationsurkunde _KH1.jpg (letzter Zugriff 11.06.2013). 16 Susanne Wasum-Rainer, Völkerrechtsfreundlichkeit in der politischen Praxis der deutschen Exekutive, in: Thomas Giegerich (Hrsg.), Der „offene Verfassungsstaat“ des Grundgesetzes, nach 60 Jahren, Berlin 2010, S. 125 ff., 126. 17 Siehe oben, Kapitel 2.2. (am Ende). 18 BGBl. 1953 II 331. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 10 Gebiet von Deutschland besetzt war, und von Staatsangehörigen dieser Staaten gegen das Reich und im Auftrag des Reichs handelnde Stellen oder Personen einschließlich der Kosten der deutschen Besatzung, der während der Besetzung auf Verrechnungskonten erworbenen Guthaben sowie der Forderungen gegen die Reichskreditkassen, wird bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt.“ Griechenland hat sich durch seine ausdrückliche Zustimmung und Ratifikation völkervertragsrechtlich an das Londoner Abkommen gebunden.19 Damit hat Griechenland sich auch verpflichtet , vorläufig keine Zahlungsansprüche zu erheben. Auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 2 Londoner Abkommen kam es zum damaligen Zeitpunkt nicht zu einer klärenden Feststellung des Umfangs etwaiger Reparationsansprüche; alle möglicherweise bestehenden Forderungen wurden auf unbestimmte Zeit gestundet.20 Zu unterstreichen ist jedoch, dass ein Moratorium nicht als Forderungsverzicht missverstanden werden darf: Das Bestehen etwaiger Reparationsansprüche blieb durch das Londoner Abkommen unberührt. Art. 5 Abs. 2 Londoner Abkommen könnte sogar dahingehend verstanden werden, dass hiermit nicht nur der vorläufige Verzicht auf eine Geltendmachung von Reparationsansprüchen , sondern auch das bisherige Ausbleiben und die weitere Notwendigkeit einer endgültigen Regelung ausdrücklich bestätigt wird. 3.3. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland (1960) Durch den Vertrag vom 18. März 1960 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen worden sind, verpflichtete sich Deutschland zur Zahlung von 115 Millionen DM an Griechenland.21 Der Vertrag bezog sich allerdings nur auf den Ersatz von Schäden an Freiheit, Gesundheit und Leben derjenigen griechischen Staatsange- 19 Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Abkommens über deutsche Auslandschulden vom 4. Juli 1956, BGBl. 1956 II 864, http://www.bgbl.de/Xaver/text.xav?bk=Bundesanzeiger _BGBl&start=%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl256024.pdf%27]&wc=1&skin=WC#__Bundesanzeiger _BGBl__%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl256024.pdf%27]__1371463119652 (letzter Zugriff 17.06.2013). 20 Der BGH bestätigt diese Einschätzung und folgt hierbei der offiziellen Position der Bundesregierung, wie sie zugrundeliegenden Verfahren als Parteivortrag zum Ausdruck kam. Siehe BGH, Urteil vom 26.06.2003, AZ III ZR 245/98, Rz. 28 ff., insbesondere Rz. 29, http://beck-online.beck.de/Default.aspx?vpath=bibdata %2fzeits%2fNJW%2f2003%2fcont%2fNJW.2003.3488.1.htm#Y-300-Z-NJW-B-2003-S-3488-N-1-NAME- GRUENDE1 (letzter Zugriff 18.06.2013). Siehe auch die Vorinstanz OLG Köln 7. Zivilsenat, 27. August 1998, Az: 7 U 167/97. 21 Art. 1 des Vertrages, BGBl. 1961 II S. 1597, http://www.bgbl.de/Xaver/text.xav?bk=Bundesanzeiger _BGBl&start=%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl261s1596.pdf%27]&wc=1&skin=WC#__Bundesanzeiger _BGBl__%2F%2F*[%40attr_id%3D%27bgbl261s1596.pdf%27]__1371213358468 (letzter Zugriff 17.06.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 11 hörigen, die aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren.22 Die beiden Vertragsparteien trafen also bewusst keine umfassende Regelung aller zwischenstaatlichen Ansprüche; ebenso wenig regelten sie die individuellen Ansprüche aller Geschädigten; vielmehr differenzierten sie zwischen den unterschiedlichen Opfergruppen nach dem Kriterium der nationalsozialistischen Motivation der Verfolgung. Der Vertrag stellte ausdrücklich nur für genau diejenigen Fragen, die den Vertragsgegenstand bildeten, eine abschließende Regelung dar.23 Ein Briefwechsel zwischen dem Auswärtigen Amt und dem griechischen Botschafter in Deutschland zu dem Vertrag vom 18. März 1960 ist im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Darin führt der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes aus: „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland geht davon aus, dass die Königlich Griechische Regierung künftig an sie mit dem Verlangen nach Regelung weiterer Fragen, die aus nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen während Kriegs- und Besatzungszeit herrühren, nicht herantreten wird.“24 In Antwort auf dieses Schreiben führte der griechische Botschafter aus: „[Die Regierung des Königreichs Griechenland] behält sich jedoch vor, mit dem Verlangen nach Regelung weiterer Forderungen, die aus nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen während Krieg- und Besatzungszeit herrühren, bei einer allgemeinen Prüfung gemäß Artikel 5 Abs. 2 des Abkommens über deutsche Auslandsschulden vom 27. Februar 1953 heranzutreten.“25 Dieser Dissens bezieht sich jedoch nur auf Ansprüche, die aus individueller Verfolgung erwachsen . Selbst durch diesen Dissens wird also nicht infrage gestellt, dass der Vertrag keineswegs beabsichtigt , Reparationsfragen im Sinne eines zwischenstaatlichen Ersatzes kriegsbedingter Schäden zu regeln.26 Weder bestätigten die Vertragsparteien mit dem Vertragsabschluss, dass solche Ansprüche nach ihrer Ansicht bereits vorvertraglich entstanden seien, noch begründete der Vertrag durch eine verbindliche Feststellung das Bestehen berechtigter Reparationsansprüche. 22 Art. 1 des Vertrages (Anm. 21). 23 Art. 3 des Vertrages (Anm. 21). 24 BGBl. 1961 II S. 1598, (Anm. 21). 25 BGBl. 1961 II 1598, (Anm. 21). 26 Bernhard Kempen, Der Fall Distomo: griechische Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland , in: Hans-Joachim Cremer u.a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, Berlin u.a. 2002, S. 179 ff., S. 192:“Die Wiedergutmachungsverträge knüpfen […] tatbestandlich nicht an beliebige Kriegsschäden […] an. Das deutsch-griechische Wiedergutmachungsabkommen lässt folglich […] die Reparationsforderungen Griechenlands unberührt.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 12 3.4. Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (1990) Der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 („Zwei-plus-Vier-Vertrag“)27 trat nach Art. 9 Zwei-plus-Vier-Vertrag „für das vereinte Deutschland, die Französische Republik, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und die Vereinigten Staaten von Amerika am Tag der Hinterlegung der letzten Ratifikations- oder Annahmeurkunde durch diese Staaten in Kraft.“28 3.4.1. Positionen zur Regelung der Reparationsfrage durch den Zwei-plus-Vier Vertrag Der Zwei-plus-Vier-Vertrag erwähnt Reparationsansprüche nicht ausdrücklich: weder in einem diese bestätigenden, noch in einem sie versagenden Sinne. Nach Ansicht der Bundesregierung29, der sich auch die deutsche Rechtsprechung30 angeschlossen hat, regelt der Vertrag gleichwohl auch Reparationsansprüche: So sei das in Art. 5 Abs. 2 Londoner Abkommen vorgesehene Moratorium bezüglich etwaiger Reparationsansprüche ausgelaufen, als der Zwei-plus-Vier-Vertrag in Kraft trat. Eine weitere friedensvertragliche Regelung hinsichtlich der Rechtsfolgen des Zweiten Weltkrieges werde es nicht mehr geben.31 Es entspreche dem Willen aller Vertragspartner des Zwei-plus-Vier-Vertrages, dass die Reparationsfrage in bezug auf Deutschland nicht mehr vertraglich geregelt werden solle.32 Der Bundesgerichtshof verweist in diesem Zusammenhang u.a. auch auf die Erklärung der Bundesregierung vom 27. Oktober 1997 im Bundestag. Danach sei es zwar wegen der bekannten Gegensätze der vier Hauptsiegermächte in der Nachkriegszeit nicht zu der im Londoner Schuldenabkommen vorgesehenen endgültigen Regelung der Reparationszahlungen gekommen, die Reparationsfrage sei gleichwohl fünfzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges obsolet geworden, der Zwei-plus-Vier-Vertrag beantworte die Reparationsfrage abschließend und endgültig.33 27 Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 („Zwei-plus-Vier- Vertrag“), BGBl. 1990 II 1318; in Kraft seit dem 15. März 1991, BGBl. 1991 II 585, http://www.auswaertigesamt .de/cae/servlet/contentblob/373162/publicationFile/3828/ZweiPlusVier%20%28Text%29.pdf (letzter Zugriff 06.06.2013). 28 Siehe oben (Anm. 27). 29 BT-Drucks. 13/8840, S. 2, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/088/1308840.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013), sowie Plenardebatte des Bundestages am 6. Juli 2000, BT-Plenarprotokoll 14/114 S. 10755, http://dip21.bundestag .de/dip21/btp/14/14114.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013). 30 BGH, Urteil vom 26.06.2003, AZ III ZR 245/98, 2. Leitsatz (Anm. 20). 31 BGH, Urteil vom 26.06.2003, AZ III ZR 245/98, Rz. 30 (Anm. 20). 32 BGH, Urteil vom 26.06.2003, AZ III ZR 245/98, Rz. 30 (Anm. 20). 33 BGH, Urteil vom 26.06.2003, AZ III ZR 245/98 (Anm. 20), mit Verweis auf BT-Drucks.13/8840 S. 2 (Anm. 29) sowie die Plenardebatte des Bundestages am 6. Juli 2000, BT-Plenarprotokoll 14/114 S. 10755 (Anm. 29). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 13 Andererseits finden sich im völkerrechtlichen Schrifttum vereinzelt Stimmen, die den reparationsrechtlichen Regelungsgehalt des Zwei-plus-Vier-Vertrages bezweifeln. So wird vorgetragen, eine abschließende Regelung würde ausdrückliche Bestimmungen erfordern; eine implizite Regelung genüge nicht; der Zwei-plus-Vier-Vertrag schweige jedoch zur Frage möglicher Reparationsansprüche .34 3.4.2. Zur allgemeinen Drittwirkung völkerrechtlicher Verträge Folgt man der Position der Bundesregierung, dass der Zwei-plus-Vier-Vertrag durch Auslassung die Reparationsfrage implizit regele (siehe Kapitel 3.4.1), so stellt sich aus völkerrechtlicher Sicht die Frage, wie sich Vereinbarungen von Vertragsparteien auf Nicht-Vertragsstaaten auswirken. Gemäß Art. 34 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) begründet ein Vertrag für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung weder Pflichten noch Rechte. Ein Drittstaat ist dabei nach Art. 2 (h) WVK jeder Staat, der nicht Vertragspartei geworden ist, selbst wenn er zuvor bei der Aushandlung des Vertrags eine gewisse Rolle gespielt haben mag.35 In dem völkerrechtlichen Grundsatz, dass völkerrechtliche Verträge keine vertraglich begründeten Rechtsverluste von Drittstaaten ohne deren Zustimmung herbeiführen können, schlägt sich die souveräne Gleichheit der Staaten nieder.36 Dass Verträge keine rechtlichen Nachteile oder Pflichten Dritter begründen können, galt bereits im Römischen Recht.37 Dieser Grundsatz, der oft kurz als „pacta tertiis-Prinzip“ bezeichnet wird,38 ist nahezu weltweit nachweisbar und im Völkerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 (1) (c) IGH Statut anerkannt. Zudem ist er durch zahlreiche Gerichtsentscheidungen bestätigt und als Völkergewohnheitsrecht 34 Siehe etwa Marc Jacob, London Agreement on German External Debts (1953), Rz. 42, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article ?script=yes&id=/epil/entries/law-9780199231690-e1536&recno=1&searchType=Quick&query=London +Agreement+on+German+External+Debts+ (letzter Zugriff 06.06.2013):“Any final settlement would arguably require some form of regulation rather than complete silence on the matter.” Jacob (Rz. 43.) führt weiter aus: “In 1990 the (politically unpalatable) argument could have been made that there was still missing former territory following West Germany’s merger with Eastern Germany and that a deferral of repayments under Art. 25 [London Agreement] and/or an exclusion of reparations under Art. 5 [London Agreement ] was for this reason still warranted.” 35 Budislav Vukas, Treaties, Third-Party Effect, Rz. 1, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article?script=yes&id=/epil/entries /law-9780199231690-e1450&recno=2&searchType=Quick&query=treaties%2C+third+party (letzter Zugriff 17.06.2013). 36 Dieses elementare und durch die VN-Charta bestätigte Prinzip der Völkerrechtsordnung impliziert, dass kein Staat für einen anderen eine Regelung treffen kann („par in parem non habet imperium“), siehe Artikel 2 Nr. 1 VN-Charta, http://www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013). 37 Der Absatz folgt im wesentlichen den Ausführungen von Budislav Vukas, Treaties, Third-Party Effect, Rz. 2 (Anm. 35). 38 Abzuleiten von der Formel „pacta tertiis nec nocere nec prodesse possunt“, d.h.: Verträge können Dritten weder schaden noch nützen, http://un-interpreters.org/glossaries/latinp-v.html (letzter Zugriff 17.06.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 14 akzeptiert. Der pacta tertiis-Grundsatz ist mithin in seiner systematischen Stellung in der Völkerrechtsordnung mehrfach abgesichert: vertraglich, als allgemeiner Rechtsgrundsatz, gewohnheitsrechtlich und als Konkretisierung der souveränen Gleichheit der Staaten. Hieraus kann geschlossen werden, dass er auch als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts im Sinne vom Art. 25 Grundgesetz zu werten ist.39 Damit ist die völkerrechtliche Regel, dass völkervertragliche Vereinbarungen nicht zu Lasten Dritter gehen dürfen, Bestandteil des deutschen Bundesrechtes. 3.4.3. Zur besonderen Drittwirkung des Zwei-plus-Vier-Vertrages Das einzige im Zwei-plus-Vier-Vertrag namentlich erwähnte bilaterale Rechtsverhältnis zu einem Drittstaat (Nicht-Vertragsstaat) ist das zwischen Polen und Deutschland: Art. 1 Abs. 2 Zwei-plus- Vier-Vertrag verweist auf eine selbständige völkerrechtliche Vereinbarung zwischen den beiden Staaten zur Bestätigung der bestehenden Grenzen.40 Aus völkerrechtlicher Sicht schließt sich an die obigen Ausführungen (siehe Kapitel 3.4.2) die Frage an, ob die Anwendung des pacta tertiis-Grundsatzes eine Modifikation erfährt, weil die Parteien des Zwei-plus-Vier-Vertrages diesen „statt eines Friedensvertrages“ schlossen. Die Kompetenz der vier Hauptsiegermächte, bei der friedensvertraglichen Regelung der Kriegsfolgen des Zweiten Weltkrieges stellvertretend für alle ehemaligen Kriegsgegner Deutschlands aufzutreten, wurde im zeitlichen Zusammenhang des Zwei-plus-Vier-Vertrages von keinem anderen hierdurch mittelbar betroffenen Staat in einem rechtsförmigen Verfahren infrage gestellt. Auch Griechenland hat zu diesem Zeitpunkt keinen förmlichen Protest gegen den Abschluss des Zweiplus -Vier-Vertrages an Stelle eines Friedensvertrages erhoben.41 Gleichwohl ist für das Argument, dass bei Friedensverträgen bzw. Verträgen, die an deren Stelle geschlossen werden, allgemein eine Ausnahme vom pacta tertiis-Grundsatz gelten solle, keine völkerrechtliche Basis im Sinne einer entsprechenden Staatenpraxis erkennbar. Teile des völkerrechtlichen Schrifttums argumentieren, das völkerrechtliche Verbot der Verträge zu Lasten Dritter sei auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag nicht anwendbar, weil es sich bei diesem Vertrag um einen sogenannten Statusvertrag handele.42 Unter einem Status versteht das Völkerrecht in diesem Zusammenhang Rechtsverhältnisse wie etwa die territoriale Zugehörigkeit eines Gebiets zu einem Staat oder seine für alle Staaten verbindliche Qualifikation als entmilitarisierte 39 Die Anerkennung als Völkergewohnheitsrecht oder als allgemeiner Rechtsgrundsatz im Sinne von Art. 38 (1) (c) IGH Statut sind in ständiger Rechtsprechung durch das BVerfG bestätigte Geltungsgründe i.S.v. Art. 25 GG, siehe die Nachweise bei Hans D. Jarass, Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland , Kommentar, München 2009, Art. 25, Rz. 5 und 7. 40 Siehe oben (Anm. 27). 41 Vgl. allg. zu den Rechtsfolgen eines Protests: Christophe Eick, Protest, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article ?script=yes&id=/epil/entries/law-9780199231690-e1460&recno=1&searchType=Quick&query=protest (letzter Zugriff 17.06.2013). 42 Bernhard Kempen, Der Fall Distomo: griechische Reparationsforderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland , in: Hans-Joachim Cremer u.a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, Berlin u.a. 2002, S. 179 ff., S. 194. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 15 Zone.43 Das Wesentliche an einem in diesem Sinne verstandenen Status ist, dass dieser allen Staaten gegenüber gleichen Inhalts ist und nur gleichen Inhalts sein kann. Dem könnte entgegen gehalten werden, dass ein Reparationsverhältnis keinen völkerrechtlichen Status in diesem Sinne, sondern lediglich eine bilaterale Zahlungspflicht zum Inhalt hat. Um dies anhand eines Beispiels zu verdeutlichen: Jeder Staat, der sich eines (aus dem Zweiten Weltkrieg oder einem anderen Sachverhalt herrührenden) Reparationsanspruches berühmt, ist an die Festlegung der deutschen Ostgrenze durch die Vertragsparteien des Zwei-plus-Vier-Vertrages gebunden, selbst wenn ihm dadurch in einer besonderen Fallkonstellation ein rechtlicher Nachteil erwachsen sollte. Dies berührt jedoch nicht die Frage, ob ein Reparationsanspruch überhaupt entstanden ist und ggf. noch fortbesteht. Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies konkret: Folgt man der Position, dass ein Gläubigerstaat aus dem Zweiten Weltkrieg herrührende Reparationsansprüche erworben haben kann, ohne dass diese Ansprüche in einem Friedensvertrag ausdrücklich festgestellt wurden, so ließe sich hieran anschließend aus völkerrechtlicher Sicht argumentieren, diese Ansprüche seien zumindest nicht schon durch den bloßen Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages erloschen. 3.5. Charta von Paris für ein neues Europa (1990) Die von Griechenland mit unterzeichnete „Charta von Paris für ein neues Europa“ von 199044 enthält unter der Überschrift „Einheit“ nachfolgende Ausführungen: „Wir nehmen mit großer Genugtuung Kenntnis von dem am 12. September 1990 in Moskau unterzeichneten Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland und begrüßen aufrichtig, dass das deutsche Volk sich in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und in vollem Einvernehmen mit seinen Nachbarn in einem Staat vereinigt hat. Die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ist ein bedeutsamer Beitrag zu einer dauerhaften und gerechten Friedensordnung für ein geeintes demokratisches Europa, das sich seiner Verantwortung für Stabilität, Frieden und Zusammenarbeit bewusst ist.“45 Die rechtliche Bedeutung der „Kenntnisnahme mit großen Genugtuung“ durch die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der Pariser Konferenz bedarf der Auslegung: 43 Grundlegend Eckart Klein, Statusverträge im Völkerrecht - Rechtsfragen territorialer Sonderregime, Berlin u.a. 1980, S. 21 ff. 44 Charta von Paris für ein neues Europa, angenommen am 21. November 1990 als Schlussakte der KSZE-Sondergipfelkonferenz vom 19.-21. November 1990 in Paris. Teilnehmerstaaten: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Heiliger Stuhl, Irland, Island, Italien - Europäische Gemeinschaft , Jugoslawien, Kanada, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Monaco, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Schweden, Schweiz, Spanien, Tschechische und Slowakische Föderative Republik, Türkei, Ungarn, Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten von Amerika, Zypern, http://www.osce.org/de/mc/39518 (letzer Zugriff 14.06.2013). 45 Charta von Paris für ein neues Europa (Anm. 44). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 16 Einerseits ließe sich deren Zustimmung zur Charta von Paris als uneingeschränkte Akzeptanz des Zwei-plus-Vier-Vertrages verstehen, die den Verzicht auf Reparationen mit umfasste. Ein starkes Argument für diese Position ist zunächst der Wortlaut der Charta, der auf den Zwei-plus-Vier- Vertrag als abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland verweist. Desweiteren ließe sich diese Interpretation darauf stützen, dass die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der Pariser Konferenz keinerlei Vorbehalt zur Charta von Paris äußerten. Ein Vorbehalt wäre aus völkerrechtlicher Sicht das am besten geeignete und klarste Mittel gewesen, wenn der Vertreter eines Teilnehmerstaates hätte deutlich machen wollen, dass sein Staat die Reparationsfrage nach wie vor nicht für erledigt erachte. Andererseits ließe sich argumentieren, die „Kenntnisnahme“ durch die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten der Pariser Konferenz stehe unter der allgemeinen Überschrift der deutschen „Einheit“. Sowohl dieser Wortlaut als auch der systematische Zusammenhang sprechen nicht unbedingt dafür, die „Kenntnisnahme mit großer Genugtuung“ als umfassenden und endgültigen Verzicht eines jeden einzelnen Teilnehmerstaates auf Reparationen auszulegen. Die „Genugtuung“ über die abschließende Regelung könnte insofern auch einfach nur dahingehend ausgelegt werden, dass die Staats- und Regierungschefs der Teilnehmerstaaten die Wiedervereinigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR bei gleichzeitig endgültigem Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete begrüßten. Zweifel an einer extensiven Auslegung der „Kenntnisnahme mit großer Genugtuung“ ließen sich nicht zuletzt damit begründen, dass in der gesamten Charta kein einziger ausdrücklicher Hinweis auf Reparationsfragen oder vergleichbare konkrete Rechtsfolgen des Zweiten Weltkriegs enthalten ist. 4. Der Verlust von Reparationsansprüchen Unabhängig von der Rechtsfrage, ob ein Gläubigerstaat jemals Reparationsansprüche gegenüber einem Schuldnerstaat erworben hat, ist aus völkerrechtlicher Sicht stets zu prüfen, ob entsprechenden , möglicherweise entstandenen Ansprüchen ein Gegenrecht des Schuldners entgegen steht. Diese Rechtsfolge kann z.B. infolge einer ausdrücklichen Verzichtserklärung (4.2.), einer impliziten Verzichtserklärung (4.3.) oder einer stillschweigenden Zustimmung (4.4.) eintreten. 4.1. Verwirkung und Einrede im Völkerrecht Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die im Völkerrecht ebenso wie in nationalen Rechtsordnungen gelten, zählt der Gedanke, dass die Forderung eines Gläubigers, einen einmal erworbenen Anspruch zu befriedigen, rechtsmissbräuchlich werden kann. So kann ein Anspruch durch Verwirkung untergehen, so dass er rechtlich nicht mehr existiert, oder seiner Befriedigung kann eine dauerhafte Einrede des Schuldners entgegenstehen, so dass der Anspruch zwar rechtlich („theo- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 17 retisch“) noch existiert, er aber vom Schuldner nicht mehr erfüllt werden muss. Beide Gegenrechte werden in Teilen der Völkerrechtswissenschaft und -praxis unter dem Begriff estoppel erörtert 46. Der Internationale Gerichtshof (IGH) definiert estoppel wie folgt: „[T]he principle operates to prevent a State contesting before the Court a situation contrary to a clear and unequivocal representation previously made by it to another State, either expressly or impliedly, on which representation the other State was, in the circumstances, entitled to rely and in fact did rely, and as a result that other State has been prejudiced or the State making it has secured some benefit or advantage for itself.”47 Zu betonen ist, dass im Völkerrecht der Gedanke der Verwirkung eher restriktiv ausgelegt wird.48 4.2. Ausdrückliche unilaterale Verzichtserklärung Eine ausdrückliche unilaterale Verzichtserklärung, die zur Verwirkung eines Anspruchs führen kann, muss nach den allgemeinen Maßstäben des IGH für einseitige Rechtsakte den völkerrechtlichen Bindungswillen des erklärenden Staates deutlich erkennen lassen und dem Empfängerstaat der Erklärung zur Kenntnis gebracht werden.49 Im vorliegenden Zusammenhang könnte eine entsprechende Erklärung Griechenlands dem Beispiel Finnlands gefolgt sein und die Reparationsfrage damit endgültig geklärt haben.50 Aus öffentlich zugänglichen Unterlagen ist jedoch nicht ersichtlich, dass Griechenland jemals eine völkerrechtlich bindende unilaterale Erklärung mit dem Inhalt eines abschließenden und umfassenden Reparationsverzichts abgegeben hätte. Auf der Grundlage der verfügbaren Informationen kann somit eine Verwirkung (estoppel) infolge einer ausdrücklichen unilateralen Verzichtserklärung (clear, unequivocal and express representation ) vorliegend nicht festgestellt werden. 46 Zur Verwirkung im Völkerrecht siehe eingehend Thomas Cottier/Jörg Paul Müller, Estoppel, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber _article?script=yes&id=/epil/entries/law-9780199231690-e1401&recno=1&searchType=Quick&query=estoppel (letzter Zugriff 17.06.2013). 47 ICJ, Case concerning the Temple of Preah Vihear, (Cambodia v. Thailand), Merits, Judgment of 15 June 1962, Dissenting Opinion of Sir Percy Spender, http://www.icj-cij.org/docket/files/45/4885.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013). 48 Vgl. hierzu Juliane Kokott, Missbrauch und Verwirkung von Souveränitätsrechten bei gravierenden Völkerrechtsverstößen , in: Ulrich Beyerlin u.a. (Hrsg.), Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, Berlin u.a. 1995, S. 135 ff. 49 Stephan Hobe (Anm. 7), S. 210 50 Im einzelnen siehe Bert Eichhorn, Reparation als völkerrechtliche Deliktshaftung, Baden-Baden 1992, S. 144, Fn. 134. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 18 4.3. Implizite unilaterale Verzichtserklärung In Anwendung der zitierten Rechtsprechung des IGH (siehe 4.1.) könnte sich die Verwirkung entsprechender Ansprüche, bzw. eine dauerhafte Einrede hiergegen, im vorliegenden sachlichen Zusammenhang möglicherweise daraus ergeben, dass einer Darlegung des Gläubigerstaates der Erklärungswert eines impliziten, klaren und unmissverständlichen Forderungsverzichts (clear, unequivocal and implied representation) beizumessen ist, sofern der Schuldnerstaat sich auf diesen Erklärungswert verlassen durfte und verlassen hat (entitled to rely and in fact did rely) und entweder ihm dadurch ein rechtlicher Nachteil (prejudice) erwachsen, oder dem Gläubigerstaat ein Vorteil (benefit or advantage) zugewachsen ist. 4.4. Stillschweigende Zustimmung im Völkerrecht Wie andere (Teil-)Rechtsordnungen kennt auch das Völkerrecht in spezifischen Zusammenhängen die Rechtsfigur der stillschweigenden Zustimmung (tacit consent51 bzw. acquiescence52). Die ausdrückliche, völkerrechtlich bindende Zustimmung53 eines Staates kann in der Regel durch seine stillschweigende Zustimmung (tacit consent) ersetzt werden, wenn dies für den Anwendungsbereich eines bestimmten völkerrechtlichen Vertrages ausdrücklich vorgesehen ist.54 Es gibt jedoch keine für die Frage von Reparationsansprüchen infolge des Zweiten Weltkriegs einschlägigen völkerrechtlichen Verträge, in denen eine entsprechende tacit consent Klausel vereinbart worden wäre. Daher ist vorliegend vor allem die Möglichkeit einer völkerrechtlichen Zustimmung durch bloße Duldung, der der Erklärungswert einer stillschweigenden Zustimmung beigemessen wird (acquiescence ), in Betracht zu ziehen. Eine spezifisch völkerrechtliche Definition der stillschweigenden Zustimmung (acquiescence) lautet wie folgt: „In international law, the term ‘acquiescence’—from the Latin quiescere (to be still)—denotes consent. It concerns a consent tacitly conveyed by a State, unilaterally, through silence or inaction, in circumstances such that a response expressing disagreement or objection in 51 Eingehend Doris König, Tacit Consent/Opting Out Procedures, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/ViewPdf/epil/entries/law- 9780199231690-e1478.pdf?stylesheet=EPIL-display-full.xsl (letzter Zugriff 06.06.2013). 52 Eingehend Nuno Sergio Marques Antunes, Acquiescence, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/ViewPdf/epil/entries/law-9780199231690- e1373.pdf?stylesheet=EPIL-display-full.xsl (letzter Zugriff 06.06.2013). 53 Wenn Griechenland der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen diplomatischer, nicht-veröffentlichter Kommunikationen zugesichert haben sollte, keine Reparationsforderungen im Hinblick auf die Folgen des Zweiten Weltkrieges mehr erheben zu wollen, so könnte es dadurch seinen Anspruch verwirkt haben, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu tun. Ob es jedoch jemals eine solche vertrauliche ausdrückliche Zusicherung gegeben hat, ist aus allgemein zugänglichen öffentlichen Quellen nicht ersichtlich. 54 Doris König, Rz. 3 (Anm. 51). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 19 relation to the conduct of another State would be called for. Acquiescence is thus consent inferred from a juridically relevant silence or inaction . Qui tacit consentire videtur si loqui debuisset ac potuisset (he who keeps silent is held to consent if he must and can speak).“55 Die völkerrechtlichen Voraussetzungen einer Verwirkung infolge stillschweigender Zustimmung umfassen mithin das Schweigen oder die Untätigkeit eines Staates im Hinblick auf das Handeln eines anderen Staates, soweit konkrete Einzelfall-Umstände vorliegen, aufgrund derer eine ausdrückliche Reaktion des schweigenden bzw. untätigen Staates erwartet werden durfte. Die Feststellung, ob in einer bestimmten Situation von einem Staat eine ausdrückliche Reaktion erwartet werden darf, ist stark von Billigkeitserwägungen (aequitas) getragen. So spielt bei der Konkretisierung der Verhaltenserwartungen die Pflicht der Staaten, nach Treu und Glauben (bona fide) zu handeln, eine entscheidende Rolle.56 Insgesamt betrachtet sind Inhalt und Grenzen des völkerrechtlichen Instituts der Verwirkung infolge stillschweigender Zustimmung stark durch unbestimmte Rechtsbegriffe und weite Beurteilungsspielräume geprägt. Die Verwirkung durch stillschweigende Zustimmung bezieht ihre Legitimität aus den übergeordneten Zielen des Völkerrechts: Dieses soll die Verhältnisse zwischen den Staaten stabilisieren, Frieden erhalten, Konflikte vermeiden und Rechtssicherheit herstellen. Ob im einzelnen Fall eine Verwirkung infolge stillschweigender Zustimmung zu bejahen ist, ist nicht zuletzt im Lichte dieser übergeordneten Ziele der Völkerrechtsordnung zu beurteilen. Ein stillschweigender Verzicht kann im Interesse eines Staates liegen, wenn ein ausdrücklicher Verzicht innenpolitisch schwer durchsetzbar wäre. In die Billigkeitserwägungen ist daher der Gesichtspunkt einzustellen, dass das völkerrechtliche Institut der Verwirkung infolge stillschweigender Zustimmung - entgegen erstem Anschein - oft keine unzumutbare Härte darstellt gegenüber dem Staat, der einen Anspruch verliert, sondern durchaus den innenpolitischen Interessen der Regierung des stillschweigend verzichtenden Staates entsprechen kann. Ob im Einzelfall Umstände dafür sprechen, dass ein Staat nach Treu und Glauben hätte ausdrücklich protestieren57 müssen, um der stillschweigenden Zustimmung zu entgehen, ist letztlich eine Tatsachenbewertung. Unterschiedliche Völkerrechtswissenschaftler vertreten daher in konkreten Einzelfällen oft einander widersprechende Ergebnisse. 55 Nuno Sergio Marques Antunes, Rz. 2 (Anm. 52). 56 Nuno Sergio Marques Antunes, Rz. 19 f. (Anm. 52). 57 Zum Protest siehe bereits oben (Anm. 41). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 20 5. Völkerrechtlich relevante tatsächliche Umstände im griechisch-deutschen Reparationsverhältnis Im Hinblick auf das griechisch-deutsche Reparationsverhältnis gibt es zahlreiche völkerrechtlich relevante tatsächliche Umstände, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht umfassend und abschließend bewertet werden können. Besondere Bedeutung dürfte jedoch den nachfolgend kurz benannten Umständen zukommen. 5.1.1. Dauer des Stillschweigens Im vorliegenden Sachverhalt könnte dem schlichten Umstand ein besonderes Gewicht zukommen , dass der potentielle Gläubigerstaat seine Reparationsforderungen selbst 68 Jahre nach Kriegsende, 60 Jahre nach Abschluss des Londoner Abkommens sowie 23 Jahre nach Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages und Annahme der Charta von Paris noch nicht in einem förmlichen völkerrechtlichen Verfahren geltend gemacht hat. Soweit aus öffentlich zugänglichen Quellen ersichtlich , hat Griechenland während dieses langen Zeitraums keine völkerrechtliche Lösung der Reparationsfrage in einem rechtsförmigen Verfahren angestrebt. Weder hat es förmliche Verhandlungen mit dem Ziel einer völkervertraglichen Regelung initiiert, noch hat es sich aktiv um eine schiedsgerichtliche Lösung bemüht. 5.1.2. Grenzen der Durchsetzbarkeit während des Kalten Krieges In den Jahren des Kalten Krieges unmittelbar nach dem Londoner Abkommen von 1953 konnte Griechenland als Staat mittleren Gewichts und angesichts der Interessengegensätze zwischen den vier Hauptsiegermächten des Zweiten Weltkrieges kaum erwarten, diese Mächte gegen ihren Willen zum Abschluss eines Friedensvertrages, einschließlich einer Reparationsregelung, mit den beiden deutschen Staaten bewegen zu können. Dass Griechenland Art. 5 Abs. 2 Londoner Abkommen akzeptierte und in den darauf folgenden Jahren auf einen geeigneten Zeitpunkt wartete, könnte eher als realistische Einschätzung der damaligen politischen Kräfteverhältnisse zu werten sein denn als ein Verhalten, mit dem Griechenland stillschweigende Zustimmung zum Ausdruck gebracht hätte. Spätestens seit Beendigung des Kalten Krieges und Annahme der Charta von Paris für ein neues Europa von 1990 dürfte ein Verweis auf mangelnde Durchsetzungsmöglichkeiten jedoch jede Berechtigung verloren haben. 5.1.3. Briefwechsel von 1960 In dem bereits zitierten Briefwechsel von 196058 verwies die Regierung Griechenlands auf Art. 5 Abs. 2 Londoner Abkommen. Damit machte sie 1960 ihre Erwartung deutlich, es werde eine völkervertragliche Regelung der griechischen Ansprüche geben. Aus völkerrechtlicher Sicht scheint vertretbar, dass der Briefwechsel zumindest bis zum Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages 1990 eine Verwirkung griechischer Ansprüche infolge stillschweigender Zustimmung hemmte. Nach Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages 1990 liegt eine schlichte Berufung auf den Briefwechsel von 1960 hingegen fern. Vielmehr hätte Griechenland 1990 formell Protest59 einlegen 58 Siehe oben (Anm. 24 und 25). 59 Siehe oben (Anm. 41). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 21 können und, wenn es hätte sicher stellen wollen, dass es seiner Ansprüche auch zukünftig nicht verlustig gehen würde, wohl auch müssen. 5.1.4. Öffentliche Stellungnahmen griechischer Regierungsmitglieder Gegen eine Verwirkung infolge stillschweigender Zustimmung im unmittelbaren Zusammenhang der deutschen Wiedervereinigung lassen sich verschiedene öffentliche Stellungnahmen höchster Vertreter der griechischen Staatsregierung anführen: Als sich die deutsche Wiedervereinigung abzeichnete, kündigte der damalige griechische Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis im April 1990 öffentlich an, Griechenland werde Entschädigung für zugefügte Zerstörungen verlangen .60 Im November 1990 – weniger als zwei Monate nach Abschluss und vier Monate vor dem Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier Vertrages - erklärte der damalige griechische Außenminister Antonis Samaras öffentlich, Griechenland fordere „mit Nachdruck“ Reparationen von Deutschland .61 Diese Position bestätigte Antonis Samaras knapp drei Monate nach dem Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier Vertrages im Juni 1991 und gab zu verstehen, dass es keine Verzichtserklärung Griechenlands gebe und die Reparationsfrage offen bleibe.62 Allerdings handelt es sich bei diesen öffentlichen Stellungnahmen um politische Erklärungen, die an die griechische Öffentlichkeit oder nationale und internationale Medien gerichtet waren, nicht aber um Erklärungen, die einen völkerrechtlichen Bindungswillen erkennen ließen und der Bundesrepublik in einem förmlichen diplomatischen Verfahren zur Kenntnis gebracht wurden. 5.1.5. Deutsche Wiedervereinigung und wiederholte Kundgabe der Rechtsansicht Allein die Tatsache der deutschen Wiedervereinigung könnte aus völkerrechtlicher Sicht als ein spezifischer Umstand zu werten sein, aufgrund dessen eine ausdrückliche Reaktion Griechenlands in den üblichen Handlungsformen zwischenstaatlicher Beziehungen erwartet werden durfte. Deutschland stellte nach Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages mehrfach klar, es halte die Reparationsfrage durch diesen Vertrag für abschließend geregelt. Deutschland hat diese Position als Parteivortrag im Rahmen verschiedener gerichtlicher Verfahren63, u.a. auch vor griechischen Zivilgerichten , bekräftigt. Die deutliche und unbedingte Positionsbestimmung Deutschlands könnte als ein Umstand gewertet werden, aufgrund dessen eine ausdrückliche, rechtsförmige Reaktion Griechenlands erwartet werden durfte, wenn Griechenland seine Reparationsforderungen nicht verwirken wollte. 60 Die Tageszeitung Nr. 3254 vom 06.11.1990, S. 8. 61 A.a.O. (Anm. 60). 62 Wirtschaftswoche Nr. 024 vom 07.06.1991, S.36. 63 Siehe Kapitel 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 22 Folgt man dieser Wertung, so hätte Griechenland zumindest im Rahmen diplomatischer Kommunikationen ausdrücklich darauf hinweisen müssen, es gedenke zu einem späteren Zeitpunkt Reparationsansprüche aus dem Zweiten Weltkrieg zu erheben. 5.1.6. Einschätzung der Vereinten Nationen Ein weiterer spezifischer Umstand, aufgrund dessen kurz nach der deutschen Wiedervereinigung eine ausdrückliche Reaktion Griechenlands erwartet werden durfte, könnte in einer offiziellen Verlautbarung der Vereinten Nationen liegen, die die von der Bundesrepublik Deutschland erbrachten Reparationsleistungen würdigt als „the most comprehensive and systematic precedent of reparations by a government to groups of victims for redress of wrongs suffered“.64 Griechenland hat dieser Einschätzung nicht offiziell widersprochen. 5.1.7. Vertrauensschutz Wie aus offiziellen Verlautbarungen deutscher Regierungsvertreter hervorgeht, haben sich diese auf das Ausbleiben weiterer Forderungen verlassen.65 Völkerrechtliche Gründe, warum sich Deutschland nicht auf den Erklärungswert der bisherigen griechischen Unterlassung einer rechtsförmigen Geltendmachung von Ansprüchen hätte verlassen dürfen, sind nicht ersichtlich. Der einem potentiellen Schuldnerstaat durch das Vertrauen in das Verhalten eines potentiellen Gläubigerstaats erwachsene Nachteil kann z.B. darin gesehen werden, dass die Rechtssicherheit in den bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten durch den Verzug bei der Geltendmachung erschüttert wird, oder dass der potentielle Schuldnerstaat zugunsten des potentiellen Gläubigerstaates bereits in anderen völkerrechtlichen Zusammenhängen vermögenswirksame Dispositionen getroffen hat, die er seinerseits anderenfalls möglicherweise unterlassen hätte. 5.1.8. Rechtssicherheit Die Rechtssicherheit im Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland würde 68 Jahre nach den Kriegsverbrechen in Griechenland, 60 Jahre nach dem Londoner Abkommen und 23 Jahre nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag durch die späte Geltendmachung von Reparationsansprüchen aus dem Zweiten Weltkrieg erheblich erschüttert. Die Orientierung des Völkerrechts an seinem übergeordneten Ziel, Rechtssicherheit zu schaffen, könnte in dem spezifischen Kontext zum 64 United Nations Economic and Social Council E/CN, 4 Sub. 2/1993/8 vom 2. Juli 1993, zitiert nach Dieter Blumenwitz , Die Fragen der deutschen Reparationen, in: Hans-Joachim Cremer u.a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, Berlin u.a. 2002, S. 63 ff., S. 76. 65 Vgl. u.a. BT-Drucks. 13/8840; Plenardebatte des Bundestages am 6. Juli 2000, BT-Plenarprotokoll 14/114 (jew. Anm. 29); Darstellung der Bundesregierungen vor dem BGH (Anm. 20, Anm. 30 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 23 gegenwärtigen Zeitpunkt als ein Umstand zu werten sein, aufgrund dessen eine frühere ausdrückliche und rechtsförmige Geltendmachung der Ansprüche Griechenlands erwartet werden durfte, sofern es seine Reparationsansprüche nicht verwirken wollte. 6. Aktuelle Konkretisierung weiterer Ansprüche 6.1. Zwangsanleihe In einer Kurzinformation berechneten die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages im April 2012 die griechischen Zwangsanleihe von 1942 (Anhang 3).66 6.2. Öffentliche Diskussion des Anspruchsumfangs Griechische Forderungen nach deutschen Reparationszahlungen für Kriegsschäden aus dem Zweiten Weltkrieg werden von einzelnen griechischen Politikern immer wieder erhoben. Die politische Diskussion schlägt sich auch in der Presse nieder.67 Die nachfolgend zitierten Presseberichte spiegeln die Grundlinien dieser öffentlichen Auseinandersetzung wider, befassen sich jedoch nicht auf rechtswissenschaftlicher Ebene mit der Problematik. Presseberichte aus den Jahren 2012 und 2013 nehmen verstärkt Bezug auf verschiedene griechische Politiker, die die Rechtsfolgen des Zweiten Weltkrieges im griechisch-deutschen Verhältnis für nicht umfassend und abschließend geregelt hielten: “He [der griechische Außenminister] underlined that the issue of German war reparations is still open and that Greece raises the issue regularly within the framework of bilateral meetings between senior government officials and competent ministries.”68 Ein Bericht der Tageszeitung „Die Welt“ verweist auf die öffentliche Diskussion in Griechenland, in der mögliche tatsächliche geschichtliche Grundlagen potentieller Reparationsansprüche genannt , jedoch keiner rechtswissenschaftlichen Begründetheitsprüfung unterzogen werden: die Auferlegung von Besatzungskosten in Höhe von 2,5 Milliarden Reichsmark im Jahre 1942, die Ausplünderung der griechischen Wirtschaft durch Zwangsexporte durch die „Deutsch-Griechische Warenausgleichsgesellschaft“ sowie eine griechische Zwangsanleihe an die Reichsbank, de- 66 , Berechnung zur sogenannten griechischen Zwangsanleihe von 1942, Kurzinformation, 3. April 2012, WD 4: Haushalt und Finanzen, WD4-3000-93/12 (Anhang 3). 67 Siehe hierzu Anhang 1 und 2. 68 Vgl. statt vieler die Antwort des griechischen Außenministers auf eine parlamentarische Anfrage, Athens News Agency, 28. Februar 2012, http://www.hri.org/news/greek/apeen/2012/12-02-28_3.apeen.html (letzter Zugriff 11.06.2013): Siehe auch: (ohne Autor), Greek parliament debates German war reparations issue, BBC Monitoring Europe vom 25.04.2013 um 13:29:06 (Anhang 1); (ohne Autor), Athen setzt Deutschland nicht mit Nazi-Regime gleich (Anhang 1); Till Hoppe/Gerd Höhler, Athen besteht auf Prüfung von Reparationsansprüchen, Handelsblatt Nr. 076 vom 19.04.2013, S. 11 (Anhang 1). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 24 ren Gesamtsumme nach einem Bericht des Auswärtigen Amtes vom 12. April 1945 an die Reichsbank 476 Millionen Reichsmark betragen habe, deren Rechtsnatur als reparationsfähiger Kriegsschaden jedoch umstritten sei.69 Die Tageszeitung „Die Welt“ berichtet über einen politischen Aktivisten, der davon ausgehe, dass Deutschland Griechenland mindestens 160 Milliarden Euro plus Zinsen auf diese Summe seit 1945 schulde.70 Der Bericht verweist auch auf ein geheimes Gutachten, das im Auftrag der gegenwärtigen griechischen Regierungskoalitionsparteien erstellt worden sei. Nach diesem unveröffentlichten und daher keiner wissenschaftlichen Analyse zugänglichen Gutachten stünde Griechenland eine Entschädigung für die Verheerungen und Plünderungen griechischen Eigentums unter deutscher Besatzung sowie für die bereits genannte Zwangsanleihe zu, wobei Griechenland nie auf die Ansprüche verzichtet habe.71 Ohne eine rechtswissenschaftlich differenzierende Betrachtung der Anspruchsgrundlagen nennt Gerd Höhler in einem Beitrag für den „Tagesspiegel“ eine Gesamtsumme von „100, 160, vielleicht sogar 300 Milliarden Euro“; der höhere Betrag ergebe sich infolge der Einbeziehungen möglicher Ansprüche aus dem Ersten Weltkrieg.72 7. Prozessuale Aspekte Ausgangspunkt des Völkerrechts ist der Grundsatz, dass kein Staat verpflichtet ist, sich einem Gericht zu unterwerfen; prozessuale Handlungsmöglichkeiten eines potentiellen Gläubigerstaates hängen also davon ab, dass sich der potentielle Schuldnerstaat freiwillig einer Gerichtsbarkeit unterwirft, sei es für den Einzelfall, sei es in allgemein abstrakter Form. Auch verfügen internationale Gerichte selbst nicht über einen Apparat zur unmittelbaren Zwangsvollstreckung ihrer Entscheidungen und sind daher zunächst auf die freiwillige Zusammenarbeit eines verurteilten Staates angewiesen.73 69 Sven Felix Kellerhoff, Schuldet Deutschland den Griechen 70 Milliarden, in: Die Welt, 17.09.2011 (Anhang 1); siehe auch oben, Kapitel 6.1. 70 Boris Kálnoky / Dimitra Moutzouri, "Herr Schäuble, reden Sie über die Kriegsschulden!", Athen fordert Entschädigung . Wie viel, ist noch offen. Die Rede ist von 160 Milliarden Euro, plus Zinsen seit 1945, DIE WELT, 26.04.2013, Nr. 97, S. 7 (Anhang 1); ebenso Till Hoppe/Gerd Höhler (Anm. 68). 71 A.a.O. (Anm. 70). 72 Gerd Höhler, Schuld und Schulden // Griechenland meldet Reparationsforderungen gegen Deutschland an - Berlins Rolle in der Krise hat antideutsche Gefühle verstärkt, Der Tagesspiegel Nr. 21656 vom 11.04.2013, S. 5 (Anhang 1). 73 Stephan Hobe (Anm. 7), S 291. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 25 7.1. Internationaler Gerichtshof (IGH) Der IGH ist nicht automatisch für alle Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen (VN) zuständig; auch für seine Entscheidungsbefugnis bedarf es grundsätzlich einer Zustimmung der Streitparteien.74 Allerdings gilt hier, dass ein Staat, der sich freiwillig der Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen hat, dessen Urteil nach Art. 94 VN-Charta zu befolgen hat.75 Im wesentlichen regelt das IGH-Statut drei Möglichkeiten, die Zuständigkeit des IGH für die Entscheidung einer streitigen Rechtssache zu begründen: (a) Eine Zuständigkeit des IGH kann gem. Art. 36 Abs. 1, 1. Alt. IGH Statut darauf beruhen, dass die Streitparteien dem IGH eine Rechtssache unterbreiten. Einer gemeinsamen Unterbreitung steht es gleich, wenn eine beklagte Partei sich rügelos vor dem Gericht zur Sache einlässt.76 (b) Eine Zuständigkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 1, 2. Alt. IGH Statut würde einen bi- oder multilateralen Vertrag voraussetzen (den es im vorliegenden Zusammenhang nicht gibt). (c) Eine Zuständigkeit des IGH nach Art. 36 Abs. 2 IGH Statut kommt in Betracht, wenn die Streitparteien eine freiwillige Unterwerfungserklärung abgegeben haben, mit der sie in generellabstrakter Form die Zuständigkeit des IGH in streitigen Rechtssachen anerkennen. Die Bundesrepublik Deutschland hat zum 1. Mai 200877 eine „Erklärung über die Anerkennung der obligatorischen Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs nach Artikel 36 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs“ abgegeben.78 Allerdings bezieht sich diese Anerkennung auf „alle Streitigkeiten, die nach dem Datum dieser Erklärung entstehen, in bezug auf Situationen oder Tatsachen, die auf das genannte Datum folgen“79. Die Unterwerfungserklärung bezieht sich mithin nicht auf streitige Sachverhalte, die sich vor dem 01.05.2008 ereignet haben. 74 Stephan Hobe (Anm. 7), S 291 ff. mit Verweis auf Art. 36 Abs. 1 IGH-Statut http://www.un.org/Depts/german /un_charta/charta.pdf (letzter Zugriff18.06.2013). 75 Art. 94 VN-Charta: „(1) Jedes Mitglied der Vereinten Nationen verpflichtet sich, bei jeder Streitigkeit, in der es Partei ist, die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zu befolgen. (2) Kommt eine Streitpartei ihren Verpflichtungen aus einem Urteil des Gerichtshofs nicht nach, so kann sich die andere Partei an den Sicherheitsrat wenden; dieser kann, wenn er es für erforderlich hält, Empfehlungen abgeben oder Maßnahmen beschließen, um dem Urteil Wirksamkeit zu verschaffen.“ Charta der Vereinten Nationen und Statut des Internationalen Gerichtshofs , http://www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf (letzter Zugriff18.06.2013). 76 Stephan Hobe (Anm. 7), S 296. 77 Nach Angaben des IGH, siehe http://www.icj-cij.org/jurisdiction/index.php?p1=5&p2=1&p3=3&code=DE (letzter Zugriff 18.06.2013). 78 Deutscher Bundestag Drucksache 16/9218, 05. 05. 2008, Unterrichtung durch die Bundesregierung, Erklärung über die Anerkennung der obligatorischen Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs nach Artikel 36 Abs. 2 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/092/1609218.pdf (letzter Zugriff 18.06.2013). 79 Abs.1 der Erklärung (Anm. 78). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 26 7.2. Internationale schiedsgerichtliche Verfahren Im Rahmen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit wählen die Parteien einer streitigen Rechtssache auf der Grundlage einer Vereinbarung die Richter, das Verfahrensrecht und das anwendbare materielle Recht. Schiedsgerichtliche Verfahren sind auf internationaler Ebene weit verbreitet. Die Parteien haben hier große Gestaltungsspielräume.80 7.3. Gerichtshof der Europäischen Union Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) „sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.“81 Jeder Mitgliedstaat kann den Gerichtshof der Europäischen Union anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderer Mitgliedstaat gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen der Europäischen Union verstoßen hat.82 Der EuGH ist somit kein Rechtsprechungsorgan mit einer Allgemeinzuständigkeit für alle Streitigkeiten zwischen EU-Mitgliedstaaten , sondern wird nur im Rahmen seiner EU-rechtlich definierten Zuständigkeiten tätig. 7.4. Innerstaatliche Verfahren in Deutschland Innerstaatliche deutsche Gerichte sind ebenso wenig wie die bisher genannten Gerichte ein geeignetes Forum für die hypothetische Geltendmachung staatlicher Reparationsansprüche, die aus dem Zweiten Weltkrieg resultieren sollten. So hat nach bereits zitierter höchstrichterlicher bundesdeutscher Rechtsprechung die „Zurückstellung der Prüfung der in Art. 5 II des Londoner Schuldenabkommens bezeichneten Forderungen … mit dem In-Kraft-Treten des Vertrags vom 12. 9. 1990 über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland (Zwei-plus-Vier-Vertrag) geendet“.83 Der BGH führt ferner aus: „Nach dem Verständnis und Gesamtzusammenhang des zur Tatzeit (1944) geltenden deutschen Rechts waren die dem Deutschen Reich völkerrechtlich zurechenbaren militärischen Handlungen während des 80 Siehe im einzelnen Stephan Hobe (Anm. 7), S 310 ff. sowie Charles H. Bower II, Arbitration, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.); Max Planck Encyclopedia of Public Internationale Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article?script=yes&id=/epil/entries/law-9780199231690-e11&recno=83&letter=A (letzter Zugriff 18.06.2013). 81 Art. 19 Abs. 1 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union, ABl. C 115/13 vom 09.05.2008, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:115:0013:0045:DE:PDF (letzter Zugriff 18.06.2013). 82 Art. 259 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Abl. C 115/47 vom 09.05.2008, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:115:0047:0199:DE:PDF (letzter Zugriff 18.06.2013). 83 BGH, Urteil vom 26.06.2003, AZ III ZR 245/98, 2. Leitsatz, S. 3488 (Anm. 20). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 27 Kriegs im Ausland von dem - eine innerstaatliche Verantwortlichkeit des Staats auslösenden - Amtshaftungstatbestand des § 839 BGB i.V. mit Art. 131 WRV ausgenommen“.84 Der als Arbeitshypothese unterstellte Versuch einer Geltendmachung von Reparationsansprüchen hätte im Lichte der materiell-rechtlichen Auffassung der deutschen Rechtsprechung keine Aussicht auf Erfolg. 7.5. Innerstaatliche Gerichtsbarkeit anderer Staaten Jedes Verfahren gegen einen Staat vor den Gerichten eines anderen Staates widerspricht dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. Dieser Grundsatz ist als notwendiges Ordnungsprinzip der Staatengemeinschaft völkergewohnheitsrechtlich allgemein akzeptiert85 und als fundamentaler Grundsatz der VN in deren Charta verankert.86 Der allgemeine Grundsatz wurde vom IGH 2012 im Hinblick auf Rechtsfolgen des Zweiten Weltkrieges im Verhältnis zwischen Deutschland, Italien und Griechenland ausdrücklich bestätigt.87 Ausländische innerstaatliche Gerichte können demnach nur dann ein geeignetes Forum darstellen , wenn und soweit die Bundesrepublik sich diesem freiwillig unterwirft und darauf verzichtet , sich auf die souveräne Gleichheit der Staaten zu berufen. 8. Individuelle Ansprüche Nicht vom Reparationsbegriff erfasst sind individuelle Ansprüche auf Schadensersatz, die von individuellen Opfern von Kriegsverbrechen unmittelbar gegen einen anderen Staat gestellt werden . Diese Ansprüche können in der Regel erst nach Kriegsende und nur vor den inländischen Gerichten des verletzenden Staates erhoben werden. Derartige Ansprüche spielen in der aktuellen griechischen Diskussion um die Wiedergutmachung von Kriegsfolgen eine wichtige Rolle, sind aber völkerrechtsdogmatisch und begrifflich von dem rein zwischenstaatlich zu verstehenden Reparationsverhältnis zu trennen. Allerdings können individuelle Ansprüche auf Schadensersatz für Kriegsfolgen oder gar Kriegsverbrechen auch von einem Staat im Namen seiner Staatsangehörigen gegenüber einem verletzenden Staat geltend gemacht werden. Die in diesem Sinne mediatisierten Individualansprüche werden im völkerrechtlichen Schrifttum zumeist ebenfalls unter den Reparationsbegriff eingeordnet. 84 A.a.O., S. 3492 (Anm. 20, 83). 85 Im einzelnen siehe Juliane Kokott, Staes, Sovereign Equality, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article ?script=yes&id=/epil/entries/law-9780199231690-e1113&recno=2&searchType=Quick&query=equality (letzter Zugriff 18.06.2013). 86 Art. 2 Nr. 1 VN-Charta, http://www.un.org/Depts/german/un_charta/charta.pdf (letzter Zugriff 18.06.2013). 87 ICJ, Jurisdictional Immunities of the State, (Germany v. Italy: Greece Intervening), 3 February 2012, Judgment, http://www.icj-cij.org/docket/files/143/16883.pdf. (letzter Zugriff 17.06.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 28 In der rechtswissenschaftlichen Diskussion um eine angemessene Wiedergutmachung von Kriegsfolgen spielen individuelle Schadensersatzansprüche seit einigen Jahren eine zunehmende Rolle.88 So argumentieren Teile des völkerrechtlichen Schrifttums im Gegensatz zur Position der deutschen Rechtsprechung, es gebe - gerade auch im Hinblick auf Verbrechen der deutsche Wehrmacht in Griechenland - sowohl im deutschen Staats- und Amtshaftungsrecht als auch im Völkerrecht anwendbare Rechtsgrundlagen für Schadensersatzforderungen der griechischen Opfer .89 Dabei setzt die Berufung auf Amts- oder Staatshaftungsansprüchen voraus, dass diese Haftungsgrundlagen auch für individuelle Schäden in Folge der Verletzung von Kriegsvölkerrecht anwendbar sind. Noch lange nach Ende des Zweiten Weltkrieges war die Rechtslage in dieser Hinsicht eindeutig: Das Völkerrecht erkannte individuelle Schadensersatzansprüche für Kriegsschäden nicht an. Erst in den letzten Jahrzehnten, im Zuge des sich wandelnden Verständnisses der Menschenrechte und des damit einhergehenden verbesserten Individualrechtsschutzes, wurden individuelle Schadensersatzansprüche für Kriegsschäden vorstellbar – wenngleich diese Ansprüche nicht in das Recht der Vergangenheit zurückprojiziert werden können.90 Die in Wissenschaft und Rechtsprechung allmählich zunehmende Tendenz zur völkerrechtlichen Anerkennung von individuellen Schadensersatzansprüchen für Kriegsschäden mag auch bei griechischen Opfern bzw. deren Nachfahren Hoffnungen geweckt haben, doch noch Genugtuung für die während des Zweiten Weltkrieges erlittenen Verbrechen zu erfahren. Seit Mitte der 1990er Jahre erheben sie entsprechende Forderungen. 88 Allgemein hierzu Commentary on the Additional Protocols of 8 June 1977 to the Geneva Conventions of 12 August 1949, International Committee of the Red Cross, Geneva, 1987, S. 1055-57, insbesondere Rz. 3657. 89 Statt vieler Andreas Fischer-Lescano und Carsten Gericke, Der IGH und das transnationale Recht, in: Kritische Justiz, Heft 1, 2010 (Jahrgang 43), S. 78–88, S. 81 (m.w.N.). 90 Vgl. Simone Gorski, Individuals in International Law, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article?script=yes&id=/epil/entries /law-9780199231690-e829&recno=1&searchType=Quick&query=Individuals+in+International+Law (letzter Zugriff 17.06.2013). Rainer Hofmann, Compensation for Personal Damages Suffered during World War II, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article ?script=yes&id=/epil/entries/law-9780199231690-e274&recno=1&searchType=Quick&query=Compensation +for+Personal+Damages+Suffered+during+World+War+II (letzter Zugriff 17.06.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 29 Große internationale Aufmerksamkeit fand in diesem Zusammenhang vor allem die gerichtliche Auseinandersetzung um Wiedergutmachung für das SS-Massaker in dem griechischen Dorf Distomo .91 In diesem Fall hatten die griechischen Kläger vor verschiedenen nationalen92 und internationalen Gerichten93 versucht, Schadensersatz nicht nur von den Tätern selbst, sondern auch von der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten. Urteile griechischer Zivilgerichte, die den Nachfahren der Opfer Schadensersatz zusprachen, durften bisher nicht vollstreckt werden. Die Unzulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen hat zunächst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in der Sache Kalogeropoulou and others v. Greece and Germany94 sowie im Februar 2012 der Internationale Gerichtshof in seiner Entscheidung Jurisdictional Immunities of the State (Germany v. Italy: Greece Intervening)95 bestätigt . Vollstreckungsmaßnahmen wären auf der Grundlage der beiden Entscheidungen nur dann rechtlich zulässig, wenn die Bundesrepublik Deutschland freiwillig auf ihre Staatenimmunität verzichtete und sich der Vollstreckung unterwürfe. Es gibt es jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür , dass die Bundesregierung in diesem Sinne zu handeln gedenkt. Urteile deutscher Zivilgerichte ließen die Schadensersatzansprüche der griechischen Opfer bzw. ihrer Nachfahren im wesentlichen daran scheitern, dass es zumindest 1944, d.h. zum Zeitpunkt der von Deutschen verübten Verbrechen, keine materiell-rechtliche Grundlage für individuelle Schadensersatzansprüche der Opfer von Kriegsrechtsverletzungen gegeben habe. So urteilte der BGH: 91 Zum historischen Geschehen siehe Dieter Begemann, Distomo 1944, in: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 30 ff. 92 Siehe Versäumnisurteil des Zivilgerichts erster Instanz („Protodikeio“) von Livadia vom 30.10.1997 sowie Urteil des Obersten Hellenischen Gerichts („Areios Pagos“) (Prefecture of Voiotia v. Federal Republic of Germany, case No. 11/2000, ILR, Vol. 129, S. 513) vom 04.05.2000. Am 17.09.2000 bestätigte das Oberste Sondergericht Griechenlands („Anotato Eidiko Dikastirio“) Deutschlands Immunität gegenüber den Entscheidungen der griechischen Zivilgerichte (Margellos v. Federal Republic of Germany, case No. 6/2002, ILR, Vol. 129, S. 525). Auf deutscher Seite siehe LG Bonn, OLG Köln sowie in letzter Instanz der BGH, Urteil vom 26. Juni 2003, AZ: III ZR 245/98, NJW 2003 S. 3488 (Anm. 20). 93 Siehe v.a. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kalogeropoulou and others v. Greece and Germany (Application No. 59021/00, Decision of 12 December 2002, ECHR Reports 2002-X, S. 417; ILR, Vol. 129, S. 537). 94 Kalogeropoulou and others v. Greece and Germany, 59021/00, Decision , Court (First Section), 12/12/2002, http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/Pages/search.aspx#{%22fulltext%22:[%22Kalogeropoulou%20and%20others %20v.%20Greece%20and%20Germany%22]} (letzter Zugriff 18.06.2013). 95 ICJ, Jurisdictional Immunities of the State, (Germany v. Italy: Greece Intervening), 3 February 2012, Judgment, http://www.icj-cij.org/docket/files/143/16883.pdf. (letzter Zugriff 17.06.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 30 „Nach der im Zweiten Weltkrieg gegebenen Rechtslage standen im Falle von Verletzungen des Kriegsvölkerrechts etwaige Schadensersatzansprüche gegen den verantwortlichen fremden Staat nicht einzelnen geschädigten Personen, sondern nur deren Heimatstaat zu.“96 Dies bestätigte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen das zitierte Urteil und führte aus: „Ungeachtet von Entwicklungen auf der Ebene des Menschenrechtsschutzes , die zur Anerkennung einer partiellen Völkerrechtssubjektivität des Individuums sowie zur Etablierung vertraglicher Individualbeschwerdeverfahren geführt haben, stehen sekundärrechtliche Schadensersatzansprüche wegen völkerrechtswidriger Handlungen eines Staates gegenüber fremden Staatsangehörigen grundsätzlich nach wie vor nur dem Heimatstaat zu.“97 Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde in materiell-rechtlicher Hinsicht vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt.98 Der rechtliche Rahmen für Wiedergutmachungsansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland , die vor deutschen Gerichten geltend gemacht werden, könnte sich in absehbarer Zukunft möglicherweise weiterentwickeln: Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich einer dort gegenwärtig anhängigen Verfassungsbeschwerde zu einem anderen Sachverhalt steht aus.99 Allerdings ist kaum zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht durch seine Entscheidung die Rechtslage rückwirkend ändert. 9. Literatur Pierre d’Argent, Reparations after World War II, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law (online edition), http://mpepil.com/subscriber_article ?script=yes&id=/epil/entries/law-9780199231690-e391&recno=1&search- Type=Quick&query=Reparations+after+World+War+II (letzter Zugriff 06.06.2013). 96 BGH, Urteil vom 26.06.2003, AZ III ZR 245/98, 3. Leitsatz. (Anm. 20). 97 BVerfG - 2 BvR 1476/03- vom 15.02.2006, Rz. 21, http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen /rk20060215_2bvr147603.html (letzter Zugriff 17.06.2013). 98 http://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Justiz /JJT_20110531_AUSL000_000BSW24120_0600000_000/JJT_20110531_AUSL000_000BSW24120_0600000_00 0.pdf (letzter Zugriff 18.06.2013). 99 BVerfG Aktenzeichen 2 BvR 2660/06 und 2 BvR 487/07. In diesem Fall geht es in materieller Hinsicht um Schadensersatzansprüche ziviler Opfer im Rahmen des Kosovokrieges 1999. Zur Position der Bundesregierung im Verfahren siehe http://www.nato-tribunal.de/varvarin/Stellungnahme_d_Bundesregierung_nebst_Anlagen.pdf (letzter Zugriff 17.06.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 041/13 Seite 31 Dieter Begemann, Distomo 1944, in: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Orte des Grauens. Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, Darmstadt 2003, S. 30 ff. [BT-Bibliothek Signatur M 572982]. Friedrich Berber, Lehrbuch des Völkerrechts II. Bd. Kriegsrecht, Berlin u.a. 1962 [BT-Bibliothek Signatur M 504379-2]. Dieter Blumenwitz, Die Frage der deutschen Reparationen, in: Hans-Joachim Cremer u.a. (Hrsg.), Tradition und Weltoffenheit des Rechts, Festschrift für Helmut Steinberger, Berlin u.a. 2002, S. 63 ff. [BT-Bibliothek Signatur M 575595]. Ders., Die Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland : Ein völkerrechtlicher Beitrag zur künftigen Deutschlandpolitik, Berlin 1966 [BT-Bibliothek Signatur M 512153]. 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