© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 040/17 Die französische Anti-Terrordatei fichier judiciaire des auteurs d’infractions terroristes im Lichte des Völkerrechts Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 2 Die französische Anti-Terrordatei fichier judiciaire des auteurs d’infractions terroristes im Lichte des Völkerrechts Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 040/17 Abschluss der Arbeit: 23. Juni 2017 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. FIJAIT im Lichte internationaler Konventionen 4 1.1. Art. 8 EMRK 5 1.1.1. Schutzbereich 5 1.1.2. Rechtfertigung von Eingriffen 6 1.1.2.1. Die Ermächtigungsgrundlage 6 1.1.2.2. Kontroll- und Beschwerdemechanismen 7 1.1.2.3. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme 7 1.2. Art. 17 IPBPR 9 2. Rechtsprechung des EGMR zu FIJAIT und FIJAIS 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 4 Dem folgenden Sachstand liegt dem Auftrag eines Abgeordnetenbüros zu Grunde, einerseits die Vereinbarkeit der französischen Anti-Terrordatei fichier judiciaire des auteurs d’infractions terroristes (FIJAIT) mit internationalen Konventionen sowie andererseits die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Hinblick auf FIJAIT zu untersuchen. 1. FIJAIT im Lichte internationaler Konventionen Ob die Einführung der Anti-Terrordatei FIJAIT in Frankreich gegen internationale Konventionen verstößt, ist anhand von Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)12 und Art. 17 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR)3 zu prüfen. Im Ergebnis dürfte eine Verletzung der Vorschriften allerdings zu verneinen sein. Darüber hinaus legt das Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten von 1981 (Datenschutzkonvention)4 Grundsätze für die automatische Datenverarbeitung nieder. Der Europarat hatte sich bereits seit 1968 mit der Gefährdung der Privatsphäre durch die automatische Datenverarbeitung beschäftigt und kam zu dem Schluss, dass sowohl die nationalen Rechtsprechungen als auch die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 Einzelpersonen nicht ausreichend schützen konnten.5 Die Datenschutzkonvention war das erste zwischenstaatliche Datenschutzabkommen. Da sie von allen Mitgliedsstaaten des Europarates ratifiziert wurde, gilt sie als gemeinsamer europäischer Standard in 1 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (unterzeichnet am 4. November 1950, in Kraft getreten am 3. September 1953), verfügbar unter: http://www.coe.int/en/web/conventions/search-on-treaties /-/conventions/treaty/results/subject/3 (zuletzt aufgerufen am 20. Juni 2017). 2 Eine Verletzung der Art. 5 Abs. 1 EMRK (Freizügigkeit), Art. 6 EMRK (das Recht auf ein faires Verfahren), Art. 7 EMRK (Keine Strafe ohne Gesetz) oder Art. 13 ERMK (Recht auf wirksame Beschwerde) kommt nicht in Betracht . Art. 7 EMRK ist nicht verletzt, da aufgrund des präventiven und abschreckenden Charakters der Vorschriften keine Strafe im juristischen Sinne vorliegt. 3 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (angenommen am 16. Dezember 1966, in Kraft getreten am 23. März 1976), verfügbar unter: http://ohchr.org/EN/ProfessionalInterest/Pages/CCPR.aspx (zuletzt aufgerufen am 20. Juni 2017). 4 Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten (unterzeichnet am 28. Januar 1981, in Kraft getreten am 1. Oktober 1985), Europarat, Sammlung Europäischer Verträge - Nr. 108, verfügbar unter: http://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions /rms/0900001680078b38 (zuletzt aufgerufen am 19. Juni 2017). 5 BPB, „Vor 35 Jahren: Datenschutzkonvention des Europarates“ (28. Januar 2016), verfügbar unter: http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/219563/datenschutzkonvention (zuletzt aufgerufen am 20. Juni 2017); Henke, Die Datenschutzkonvention des Europarates (Peter Lang, Frankfurt a.M., 1986), S. 51 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 5 datenschutzrechtlichen Fragen und hat die Rechtsprechung des EGMR maßgeblich mitgeprägt.67 Dieser zieht die Datenschutzkonvention als Auslegungshilfe im Rahmen von Art. 8 EMRK heran. 1.1. Art. 8 EMRK 1.1.1. Schutzbereich Art. 8 EMRK untersagt es einem Staat grundsätzlich, Informationen über die Privatsphäre einer Person zu erheben, zu speichern, für bestimmte Zwecke zu verwerten oder gegenüber Dritten zu offenbaren.8 Um den Schutz personenbezogener Daten konsequent und umfassend zu gewährleisten , geht der EGMR von einem weiten Begriff des Privatlebens aus. Eine Information ist nicht erst privat in diesem Sinne, wenn sie vertraulich ist, sondern es genügt „any information relating to an identified or identifiable individual”.9 Zu derartigen Informationen gehören Aspekte der physischen und psychischen Integrität einer Person (Intims- und Privatsphäre) ebenso wie Beziehungen, die eine Person mit ihrer Außenwelt pflegt (Sozialsphäre).10 Konkret hat der Gerichtshof als Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewertet: die Speicherung von Fingerabdrücken, DNA- und Zellproben von Tatverdächtigen,11 das Führen von personenstandsbezogenen Informationen in einem geheimen Polizeiregister ,12 sowie 6 Paefgen, Der von Art. 8 EMRK gewährleistete Schutz vor staatlichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte im Internet (Springer, Heidelberg, 2016), S. 174. 7 Neben der Datenschutzkonvention und ihrem Zusatzprotokoll von 2001 nimmt der EGMR teilweise auch Bezug zu Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates, insbesondere Empfehlung R (87) 15 (17. September 1987), verfügbar unter: https://rm.coe.int/16804e7a3c (zuletzt aufgerufen am 20. Juni 2017). Diese zielen auf eine Rechtsharmonisierung in den Mitgliedstaaten des Europarates, sind aber lediglich unverbindlicher Natur und bedürfen daher der Umsetzung in nationales Recht. Nichtsdestotrotz zieht der EGMR diese Empfehlung zur Auslegung des Art. 8 EMRK heran (Paefgen, Der von Art. 8 EMRK gewährleistete Schutz [Fn. 6], S. 176). 8 Grabenwarter/ Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention (6. Aufl., Beck, München, 2016), § 22 Rn. 10. 9 EGMR, Rotaru v. Romania (4. Mai 2000), Fall-Nr. 28341/95, Rn. 43. 10 Schabas, The European Convention on Human Rights (OUP, Oxford, 2016), S. 370; EGMR, Rotaru v. Romania (4. Mai 2000), Fall-Nr. 28341/95, Rn. 43; EGMR, Amann v. Switzerland (16. Februar 2000), Fall-Nr. 27798/95, Rn. 65. 11 EGMR, S and Marper v. The United Kingdom (4. Dezember 2008), Große Kammer, Fall-Nr. 30562/04 und 30566/04, Rn. 68. 12 EGMR, Leander v. Sweden (26. März 1987), Fall-Nr. 9248/81, Rn. 13, 48. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 6 das Führen eines Polizeiregisters über verurteilte Sexualstraftäter mit der Verpflichtung, der Polizei Adressänderungen sowie Ein- und Ausreisen auch nach Verbüßung der Strafe anzuzeigen.13 Hierbei wertete der EGMR bereits die Speicherung der Daten als Eingriff in Art. 8 Abs. 1 EMRK, unabhängig von der Frage, ob die Daten später verwendet werden oder sich in irgendeiner Form ungünstig für den Betroffenen auswirken.14 1.1.2. Rechtfertigung von Eingriffen Um Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 EMRK zu rechtfertigen, fordert der EGMR das Vorliegen einer hinreichend bestimmten, gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage sowie angemessene Kontroll- und Beschwerdemechanismen.15 Ferner dürfen Speicherung und Speicherdauer nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen.16 1.1.2.1. Die Ermächtigungsgrundlage Richten nationale Behörden ein Register mit persönlichen Informationen Einzelner ein, muss die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage laut EGMR Bestimmungen enthalten, die die Umstände ihrer Erhebung darlegen, den Ablauf des Verfahrens erläutern und festlegen, welche Informationen gesammelt werden dürfen. Es bedarf einer Regelung über die Speicherdauer und Vorschriften , die die Vernichtung der Daten regeln17, sodass erlangte Daten gelöscht werden, wenn sie für den Zweck, der ihre Erhebung gerechtfertigt hat, nicht mehr gebraucht werden (Grundsatz der Datensparsamkeit). Dem Betroffenen muss der Zugang zum freiheitseinschränkenden Gesetz offen stehen, um potentielle Konsequenzen für seine Lebensführung abschätzen zu können.18 Ferner muss das 13 EGMR, Adamson v. The United Kingdom (26. Januar 1999) Fall-Nr. 42293/98, Rn. 2; EGMR, Gardel v. France (17. Dezember 2009), Fall-Nr. 16428/05, Rn. 58. 14 EGMR, S and Marper v. The United Kingdom (4. Dezember 2008), Große Kammer, Fall-Nr. 30562/04 und 30566/04, Rn. 67; Amann v. Switzerland (16. Februar 2000), Fall-Nr. 27798/95, Rn. 70. 15 Schabas, The European Convention on Human Rights (Fn. 10), S. 383 f.; Grabenwarter/ Pabel, EMRK (Fn. 8), § 18 Rn. 7-11. 16 Schabas, The European Convention on Human Rights (Fn. 10), S. 384. 17 EGMR, S and Marper v. The United Kingdom (4. Dezember 2008), Große Kammer, Fall-Nr. 30562/04 und 30566/04, Rn. 99. 18 EGMR, Leander v. Sweden (26. März 1987), Fall-Nr. 9248/81, Rn. 50; EGMR, Rotaru v. Romania (4. Mai 2000), Fall-Nr. 28341/95, Rn. 52. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 7 Gesetz dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechen, d.h. den betroffenen Personenkreis sowie die Voraussetzung zur und die Mittel für eine Erhebung und Speicherung von Daten spezifizieren.19 Diesen Anforderungen dürfte FIJAIT genügen, da es auf Art. 19 des Gesetzes Nr. 2015-912 vom 24. Juli 201520 beruht und den genannten Anforderungen entspricht. 1.1.2.2. Kontroll- und Beschwerdemechanismen Das nationale Recht muss effektive Rechtsbehelfe bereithalten, um potentiellen Schaden von betroffenen Personen abwehren zu können. Diese Mechanismen sind nach der Rechtsprechung des EGMR umso wichtiger, wenn persönliche Daten automatisch und/oder im polizeilichen Kontext erhoben bzw. verarbeitet werden.21 Im Rahmen der Speicherung bestimmter Daten in FIJAIT werden die betroffenen Personen über die Speicherung ihrer Daten informiert und haben nach Art. 706-25-12 Gesetz Nr. 2015-912 die Möglichkeit, Einspruch gegen die Eintragung beim zuständigen Staatsanwalt bzw. Gericht korrigieren oder löschen zu lassen. 22 1.1.2.3. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme Hinsichtlich der Frage, ob die Regelungen des Registers im Rahmen der Verhältnismäßigkeit in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, müssen einerseits das Recht des Einzelnen, über seine persönlichen Daten frei zu verfügen, und andererseits das öffentliche Interesse, die nationale Sicherheit zu gewährleisten und Straftaten vorzubeugen, gegeneinander abgewogen werden. Die Strafverhütung ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ein legitimes Ziel staatlicher Maßnahmen. Darüber hinaus hat der EGMR schon 1978 den internationalen Terrorismus als Bedrohung der demokratischen Gesellschaften anerkannt und festgestellt, dass die Überwachung von Brief, Post 19 Amann v. Switzerland (16. Februar 2000), Fall-Nr. 27798/95, Rn. 58. 20 Gesetz Nr. 2015-912 vom 24. Juli 2015, auf Französisch verfügbar unter: https://www.legifrance.gouv.fr/affich- Code.do;jsessionid=E5948F50235C0773D13330CDE1B7D63E.tpdila15v_1?idSectionTA=LE- GISCTA000030938452&cidTexte=LEGITEXT000006071154&dateTexte=20170620 (zuletzt aufgerufen am 20. Juni 2017). 21 EGMR, S and Marper v. The United Kingdom (4. Dezember 2008), Große Kammer, Fall-Nr. 30562/04 und 30566/04, Rn. 103; Gardel v. France (17. Dezember 2009), Fall-Nr. 16428/05, Rn. 62. 22 Während ein Anspruch auf Korrektur der Angaben besteht, sobald diese nicht korrekt sind, besteht ein Anspruch auf Löschung der Daten nur, wenn deren Speicherung in Anbetracht des verfolgten Ziels „nicht mehr nötig erscheint“ (Art. 706-25-12 Gesetz Nr. 2015-912). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 8 und Telekommunikation in einer demokratischen Gesellschaft ausnahmsweise notwendig sein kann, um die nationale Sicherheit zu wahren und/oder Straftaten zu verhindern.23 Bei der Auswahl der Mittel stehe den zuständigen Behörden zudem ein Ermessenspielraum zu.24 Gleichwohl dürfen Staaten auch im Bereich von Terrorismusbekämpfung keineswegs wahllos zu Maßnahmen jedweder Art greifen.25 Da der EGMR den Schutz persönlicher Daten als fundamental für die Ausübung des von Art. 8 EMRK garantierten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens einstuft, muss das nationale Recht ausreichend Sicherheitsvorkehrungen treffen, um einen Missbrauch der Daten zu verhindern.26 Vor diesem Hintergrund dürfte die Speicherung von Daten verurteilter Straftäter (Art. 706-25-4 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 Gesetz Nr. 2015-912) verhältnismäßig sein. Auch die Speicherung von Daten noch nicht rechtskräftig verurteilter Straftäter (Art. 706-25-4 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4 Gesetz Nr. 2015- 912) dürfte angesichts der oftmals relativ langen Dauer von Rechtsbehelfsverfahren und des besonders hohen Schutzgutes gerechtfertigt sein. Denn auf Grund der steigenden Zahl terroristischer Attentate (wie etwa am 13. November 2015 in Paris) besteht ein wachsendes Bedürfnis in der Gesellschaft, Terroranschlägen effektiv zu begegnen und das allgemeine Sicherheitsgefühl wiederherzustellen. Zudem steht gerade bei derartigen Angriffen ein hohes Schutzgut – nämlich Leib und Leben – einer großen Vielzahl betroffener Personen dem Interesse am Datenschutz gegenüber. Daher bezweckt die Speicherung in FIJAIT gerade die erleichterte Fahndung nach Straftätern mit terroristischem Hintergrund wie auch die Vermeidung von Wiederholungstaten. Kritisch zu bewerten ist hingegen die Speicherung von Daten von Straftätern, die in Abwesenheit verurteilt wurden (Art. 706-25-4 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4 Gesetz Nr. 2015-912), da diese ihr Recht auf rechtliches Gehör nicht effektiv ausüben konnten. Auch die Registrierung bei bloßer Anklageerhebung (Art. 706-25-4 Abs. 1 Nr. 5 Gesetz Nr. 2015-912) und die Registrierung von Schuldunfähigen (Art. 706-25-4 Abs. 1 Nr. 3 Gesetz Nr. 2015-912) bedarf besonderer Rechtfertigung. Diese Fälle müssen jedoch anhand der Umstände im konkreten Einzelfall beurteilt werden. 23 EGMR, Klass et al. v. Germany (6. September 1978), Große Kammer, Fall-Nr. 5029/71, Rn. 48. Der Fall bezog sich wohlgemerkt nicht auf den internationalen Terrorismus wie er heutzutage verstanden wird, sondern vielmehr auf Terrorismus speziell in Europa sowie Spionage zu Zeiten des Kalten Krieges. 24 EGMR, Gardel v. France (17. Dezember 2009), Fall-Nr. 16428/05, Rn. 60. 25 EGMR, Klass et al. v. Germany (6. September 1978), Große Kammer, Fall-Nr. 5029/71, Rn. 49. 26 EGMR, Gardel v. France (17. Dezember 2009), Fall-Nr. 16428/05, Rn. 62. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 9 1.2. Art. 17 IPBPR Der Menschenrechtsausschuss (MRA) hat die Wichtigkeit des Schutzes der persönlichen Daten bereits in seinem General Comment No. 16 vom 8. April 1988 zum Ausdruck gebracht und klargestellt , dass das Recht auf Datenschutz vom Schutzbereich des Art. 17 IPBPR umfasst ist.27 Beim Datenschutz sei unerheblich, ob die Daten von öffentlichen Stellen, Privatpersonen oder sonstigen Körperschaften erhoben werden.28 Anders als Art. 8 Abs. 2 EMRK spezifiziert Art. 17 IPBPR keine Rechtfertigungsgründe für staatliche Eingriffe. Die Vorschrift verbietet lediglich „willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe“. Nach dem Menschenrechtsausschuss ist das Speichern und Sammeln von persönlichen Informationen in Datenbanken rechtswidrig, wenn das nationale Recht hierfür keine Rechtsgrundlage bereithält .29 Mitgliedstaaten des IPBPR müssten effektive Maßnahmen ergreifen, um sicher zu stellen, dass Informationen, die das private Leben der Personen betreffen, nicht in die Hände von Unbefugten gelangen. Dazu gehöre insbesondere, dass der Einzelne über die Speicherung seiner Daten sowie die Gründe der Maßnahmen in Kenntnis gesetzt wird.30 Ihm müsse zudem eine gesetzlich normierte Möglichkeit eröffnet werden, die Richtigkeit der Daten sowie die Zulässigkeit ihrer Erhebung zu überprüfen und gegebenenfalls korrigieren bzw. löschen zu lassen.31 Im Jahre 2008 beurteilte der MRA den Umsetzungsstand der Konventionsrechte in Frankreich und äußerte im Rahmen einer sogenannten abschließenden Bemerkung (concluding observation) Bedenken hinsichtlich der zunehmenden Verbreitung von Datenbanken, in denen sensible, personenbezogene Daten gesammelt würden: “(…) the Committee is concerned at the proliferation of different databases, and notes that according to reports received, the gathering, storage and use of sensitive personal data contained in databases such as EDVIGE (exploitation documentaire et valorisation de l’information générale) and STIC (système de traitement des infractions constatées) pose concerns with regard to article 17 of the Covenant”.32 Als Konsequenz forderte der Menschenrechtsausschuss Frankreich auf, sicherzustellen, dass: “(a) The gathering and holding of personal information on computers, data banks and other devices, whether by public authorities or private individuals or bodies, is regulated by law; 27 MRA, General Comment No. 16 vom 8. April 1988, verfügbar unter: http://www.refworld.org/docid/453883f922 .html (zuletzt aufgerufen am 20. Juni 2017), Rn. 10. 28 Ibid. 29 Ibid. 30 Ibid. 31 Ibid. 32 MRA, “Concluding Observations of the Human Rights Committee: France (31. Juli 2008); VN-Dok. CCPR/C/FRA/CO/4, Rn. 22. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 10 (b) Effective measures are adopted to ensure that such information does not reach the hands of persons who are not authorized by law to receive, process and use it; (c) Individuals under its jurisdiction have the right to request rectification or elimination of information when it is incorrect or has been collected or processed contrary to the provisions of the law; (d) EDVIGE is restricted to children above the age of thirteen who have been convicted of a criminal offence; (e) STIC is restricted to individuals who are suspected in an enquiry of having committed a criminal offence“.33 Die abschließende Bemerkung lässt in ihren Punkten (d) und (e) erkennen, dass der MRA vor allem auch den Kreis der von einer Speicherung potentiell betroffenen Personen in den Blick nimmt. Abschließende Bemerkungen des Menschenrechtsausschusses gelten als authentische Interpretation des IPBPR, die gewohnheitsrechtsbildend wirken. Die Abschließende Bemerkung ist damit mehr als eine bloße unverbindliche Empfehlung für Frankreich. Insgesamt dürfte das Gesetz Nr. 2015-912 zur Schaffung des FIJAIT aber den Anforderungen des MRAs genügen – gerade weil es darauf abzielt, die Gesellschaft vor wiederholten Terroranschlägen zu schützen und zugleich Mechanismen für den Schutz der von Art. 17 IPBPR verbürgten Rechte bereithält. 2. Rechtsprechung des EGMR zu FIJAIT und FIJAIS Bis dato waren beim EGMR keine Klagen zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Strafregisters FIJAIT anhängig. Der EGMR hatte jedoch bereits in drei Verfahren über die Konformität des in Frankreich geführten Gewalt- und Sexualstraftäterregisters FIJAIS (fichier judiciaire automatisé des auteurs d'infractions sexuelles ou violentes) mit der EMRK zu entscheiden.34 FIJAIS ist für Betroffene mit ähnlichen Einschränkungen verbunden wie FIJAIT, insbesondere sind diese unter Androhung einer Gefängnis- oder Geldstrafe gehalten, ihren Wohnort im Halbjahresrhythmus bei den örtlichen Behörden zu bestätigen bzw. jede Adressänderung zu melden. Die Daten werden in FIJAIS bis zu 30 Jahre gespeichert. Wegen der vergleichbaren Regelungsinhalte hat FIJAIS Indizwirkung für etwaige Verfahren, in denen die Rechtsmäßigkeit des FIJAIT in Frage steht. Der EGMR verneinte in den Verfahren zu FIJAIS trotz der teils gravierenden Einschränkungen für die Betroffenen eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Obwohl die europäische Strafrechtspolitik neben der Bestrafung auch das klare Ziel der Rehabilitierung von Straftätern verfolge (sodass jedem Täter nach Verbüßung seiner Strafe eine faire Chance für einen Neuanfang gegeben werden 33 Ibid. 34 EGMR, Gardel v. France (17. Dezember 2009), Fall-Nr. 16428/05; EGMR, M.B. v. France (17. Dezember 2009), Fall-Nr. 22115/06; EGMR, B.B. v. France (17. Dezember 2009), Fall-Nr. 5335/06. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 040/17 Seite 11 muss), überwiege das Interesse eines Staates, Wiederholungstaten im Bereich des Sexualstrafrechts zu verhindern.35 Hintergrund ist die „fraglos verabscheuenswürdige“ Natur der in Rede stehenden Straftaten, die im konkreten Fall insbesondere minderjährige Opfer betrafen.36 Auch der lange Zeitraum der Datenspeicherung (bis zu 30 Jahren) stehe laut EGMR im Einklang mit Art. 8 EMRK, da den Betroffenen ausreichend Möglichkeiten zur Verfügung stünden, um die Eintragung in das Register überprüfen und im Falle der Unrichtigkeit korrigieren bzw. löschen zu lassen.37 Überträgt man diese Erwägungen auf die Anti-Terrordatei FIJAIT, ist angesichts der Schwere von terroristischen Straftaten sowie der häufig hohen Zahl von wahllos getöteten und verletzten Personen zu vermuten, dass der EGMR auch von der Rechtmäßigkeit von FIJAIT ausgehen wird. Zwar haben die betroffenen Straftäter ihre Adresse alle drei Monate zu bestätigen (und nicht wie bei FIJAIS lediglich alle sechs Monate). Jedoch dürfte der EGMR dies im Hinblick auf das in Europa zunehmend dringlicher werdende Bedürfnis, Terrorismus effektiv zu bekämpfen und zu verhindern, als verhältnismäßig erachten. Ferner werden die in FIJAIT erfassten Daten bereits nach 20 Jahren gelöscht, sodass die Regelung in diesem Zusammenhang weniger einschneidend ausgestaltet ist als bei FIJAIS. *** 35 EGMR, Gardel v. France (17. Dezember 2009), Fall-Nr. 16428/05, Rn. 63 f. 36 Ibid., Rn. 63: „ Sexual abuse is unquestionably an abhorrent type of wrongdoing, with debilitating effects on its victims. Children and other vulnerable individuals are entitled to State protection, in the form of effective deterrence , from such grave types of interference with essential aspects of their private lives“. 37 Ibid., Rn. 67-69.