© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 039/17 Mitwirkung einer ausländischen konsularischen Vertretung bei Wahlen und Abstimmungen des Entsendestaates Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 039/17 Seite 2 Mitwirkung einer ausländischen konsularischen Vertretung bei Wahlen und Abstimmungen des Entsendestaates Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 039/17 Abschluss der Arbeit: 21. April 2017 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 039/17 Seite 3 Die Mitwirkung einer ausländischen konsularischen Vertretung an Wahlen und Abstimmungen, die in ihrem Entsendestaat durchgeführt werden sollen, gehört nach konsularischer Praxis zu den konsularischen Aufgaben gem. Art. 5 lit. m)1 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 (WÜK).2 Allerdings bedarf die Durchführung von Urnenwahlen3 und Volksbefragungen / Abstimmungen einer generellen Zustimmung durch den Empfangsstaat,4 da es sich hier um die Ausübung von Hoheitsgewalt des Entsendestaates auf dem Territorium des Gaststaates handelt.5 Ein Anspruch des Entsendestaates gegenüber dem Empfangsstaat, die Durchführung von Wahlen oder Abstimmungen in seinen Vertretungen zu dulden, ist dem geltenden Gesandtschaftsrecht somit nicht zu entnehmen.6 In der Bundespressekonferenz vom 15. März 2017 führte der Sprecher des Auswärtigen Amtes dazu aus: “Es ist in der Tat so, dass das Völkerrecht einem Staat völlige Freiheit bei der Entscheidung darüber gewährt, ob er es zulässt, zulassen kann und unter welchen Bedingungen er es zulässt, dass hoheitliche Handlungen eines anderen Staates auf seinem Staatsgebiet stattfinden können. 1 Art. 5 lit. m) WÜK enthält eine General- und Auffangklausel hinsichtlich der konsularischen Aufgaben und lautet wie folgt: „Die konsularischen Aufgaben bestehen darin, …. alle anderen dem konsularischen Posten vom Entsendestaat zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen, die nicht durch Gesetze und sonstige Rechtsvorschriften des Empfangsstaats verboten sind oder gegen die der Empfangsstaat keinen Einspruch erhebt oder die in den zwischen dem Entsendestaat und dem Empfangsstaat in Kraft befindlichen internationalen Übereinkünften erwähnt sind.“ Art. 5 WÜK findet seine Entsprechung in § 2 des deutschen Konsulargesetzes (KG) vom 11.9.1974 (BGBl. I S. 2317) 2 BGBl. 1969 II S. 1585. So dürfen etwa konsularische Vertretungen die Wahlen in ihrem Entsendestaat in den Printmedien des Empfangsstaates bekannt machen und den Staatsangehörigen des Entsendestaates über das Wahlrecht Auskünfte erteilen , ohne dass der Empfangsstaat diese Wahlvorbereitungen unter Genehmigungsvorbehalt stellen könnte (vgl. Hecker, Gottfried / Müller-Chorus, Gerhard, Handbuch der konsularischen Praxis, München 2001, § 7 G, Rn. 1). 3 Anmerkung: Das türkische Wahlrecht sieht eine Briefwahl nicht vor. Das türkische Verfassungsgericht hatte diese 2008 wegen Verstoßes gegen das Wahlgeheimnis für verfassungswidrig erklärt. 4 Vgl. dazu Birkenkötter, Hannah, Freiheit der (Auslands-)Wahl: Musste Deutschland der Türkei die Durchführung des Verfassungsreferendums gestatten?, Verfassungsblog v. 30.3.2017, http://verfassungsblog.de/freiheitder -auslands-wahl-musste-deutschland-der-tuerkei-die-durchfuehrung-des-verfassungsreferendums-gestatten/. 5 In der kollektiven Willensäußerung eines Staatsvolkes durch eine Abstimmung ist ebenso ein Hoheitsakt zu sehen wie in der Äußerung oder Handlung eines durch das Staatsvolk konstituierten Staatsorgans (so Breuer, Marten, Verfassungsrechtliche Anforderungen an das Wahlrecht der Auslandsdeutschen, Berlin 2001, S. 191). 6 Vgl. Council of Europe, Explanatory Report to the European Convention on Consular Functions v. 11.12.1964, https://rm.coe.int/CoERMPublicCommonSearchServices/DisplayDCTMContent?documentId=09000016800c92f 2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 039/17 Seite 4 Ein Wahlvorgang ist, wenn Sie so wollen, ein ganz besonders edler hoheitlicher Vorgang. Deshalb unterliegt dieser einer völkerrechtlichen Genehmigungspflicht durch den Gaststaat . Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern das gilt überall auf der Welt.”7 Gleichwohl gestattet die Bundesrepublik Deutschland – vorbehaltlich einer Genehmigung im Einzelfall8 sowie unter Berücksichtigung von Sicherheitsinteressen – ausländischen Staaten grundsätzlich die Durchführung nationaler Wahlen in Deutschland unter den hier lebenden Wahlberechtigten.9 In der Antwort des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Altmaier auf die schriftlichen Fragen der Bundestagsabgeordneten in der Woche vom 12. März 2007 heißt es dazu:10 „Seit 1991 gestattet die Bundesregierung auf der Grundlage eines zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium des Innern und den Innenressorts der Länder abgestimmten Verfahrens hier akkreditierten Vertretungen ausländischer Staaten grundsätzlich nationale Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland vorzubereiten und durchzuführen. Nach diesem Verfahren, das den ausländischen Vertretungen regelmäßig durch Rundnote zur Kenntnis gebracht wird, ist die Briefwahl ohne weiteres gestattet, während eine Urnenwahl grundsätzlich nur in diplomatischen und konsularischen Vertretungen möglich ist und der Genehmigung im Einzelfall bedarf. Diese beantragt die diplomatische Vertretung des betreffenden Staates per Verbalnote beim Auswärtigen Amt. In die Prüfung sind neben dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern auch die Innenressorts der jeweils betroffenen Bundesländer eingebunden. Bei zu erwartenden Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung können Auflagen verfügt oder die Genehmigung versagt werden. Die Bescheidung des Antrags erfolgt durch das Auswärtige Amt per Verbalnote “ 7 Mitschrift der Regierungspressekonferenz vom 15.2.1017, verfügbar unter https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/03/2017-03-15- regpk.html%3Bjsessionid=625AA69E5EBD752F11ED53ECC531224C.s2t1. 8 Ein Antrag an die Bundesregierung auf Zustimmung zu Wahlen/Abstimmungen soll dabei Angaben enthalten zu den Örtlichkeiten, in denen die Wahl durchgeführt werden soll, ferner zu den Öffnungszeiten der Wahllokale sowie zur geschätzten Anzahl der Stimmberechtigten. 9 Wagner, Niklas / Raasch, Holger / Pröpstl, Thomas, WÜK-Kommentar für die Praxis, Berlin: BWV 2007, Art. 5 WÜK, S. 110. Zur Änderung der ursprünglich ablehnenden Haltung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Durchführung von ausländischen Wahlen auf deutschem Territorium vgl. Birkenkötter, Hannah, Freiheit der (Auslands-)Wahl: Musste Deutschland der Türkei die Durchführung des Verfassungsreferendums gestatten?, Verfassungsblog v. 30.3.2017, a.a.O. (Anm. 4). 10 BT-Drs. 16/4698 v. 16.3.2007, S. 5, http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/16/046/1604698.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 039/17 Seite 5 Das Entscheidungsermessen der Bundesregierung könnte seine rechtliche Grenze jedoch dann finden, wenn die Genehmigung eines Referendums in Rede steht, in dem über Fragen abgestimmt werden soll, welche die unverbrüchlichen verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Rechtsstandards und Werte zur Disposition stellen. Zur Entscheidung steht alsbald ein türkisches Referendum über die Einführung der Todesstrafe in der Türkei.11 Hier ließe sich über eine Versagungspflicht der Bundesregierung hinsichtlich der Durchführung eines solchen Referendums in Deutschland diskutieren. Dass die Bundesregierung der Durchführung des türkischen Verfassungsreferendums im April 2017 in den Räumen der türkischen Auslandsvertretungen (und anderen Wahllokalen) zugestimmt hat, ändert nichts daran, dass sie dazu rechtlich nicht verpflichtet war.12 Der Empfangsstaat ist auch nicht verpflichtet, Wahllokale außerhalb diplomatischer / konsularischer Liegenschaften für die Angehörigen des Entsendestaates zur Verfügung zu stellen – kann dies aber durchaus tun.13 An dem grundsätzlichen Genehmigungsvorbehalt für die Durchführung von Wahlen im Empfangsstaat ändert dies nichts. Denn bei Gesandtschaftsräumen handelt es sich nicht um ein Territorium, das sich außerhalb des Staatsgebiets des Gastlandes befindet. Vielmehr ändert die diplomatische bzw. konsularische Nutzung eines Grundstücks nichts daran, dass es dem Hoheitsgebiet des Empfangsstaates zugeordnet bleibt. Würde in einer Auslandsvertretung ohne Zustimmung des Empfangsstaates eine Wahl durchgeführt , ließe sich diese indes nicht ohne Weiteres unterbinden: Ein Verstoß gegen Art. 55 Abs. 2 WÜK, der die Nutzung von Gesandtschaftsräumen für andere als diplomatische bzw. konsularische Zwecke grundsätzlich untersagt, rechtfertigt wohl kaum eine Durchbrechung des Prinzips der Unverletzlichkeit diplomatischer oder konsularischer Räumlichkeiten.14 *** 11 Die Todesstrafe ist gem. Art. 102 GG sowie gem. Protokoll Nr. 6 v. 22.10.2010 zur EMRK (BGBl. 2010 II, S. 1198, 1223) abgeschafft. Anders als das Verbot der Folter oder der Sklaverei ist die Abschaffung der Todesstrafe aber noch kein zwingendes universelles Völkerrecht (ius cogens). Am 15. Dezember 1989 wurde dem Internationalen Zivilpakt von 1966 ein „Zweites Fakultativprotokoll“ über die Abschaffung der Todesstrafe hinzugefügt, das bis heute aber erst 84 (von 193) Staaten ratifiziert haben (http://www.amnesty-todesstrafe.de/index.php?id=44). 12 Birkenkötter, Hannah, Freiheit der (Auslands-)Wahl: Musste Deutschland der Türkei die Durchführung des Verfassungsreferendums gestatten?, Verfassungsblog v. 30.3.2017, a.a.O. (Anm. 4). 13 So werden für die französischen Präsidentschaftswahlen auch die Räumlichkeiten des Institut Français genutzt. Für die Durchführung des türkischen Referendums hatte Deutschland Wallokale in nicht-diplomatischen Liegenschaften geöffnet (vgl. dazu https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/hannover_weserleinegebiet /Tuerkei-Referendum-Wahllokale-sind-geoeffnet,tuerkei900.html). 14 So jedenfalls die Auffassung von Birkenkötter, Hannah, Freiheit der (Auslands-)Wahl: Musste Deutschland der Türkei die Durchführung des Verfassungsreferendums gestatten?, Verfassungsblog v. 30.3.2017, a.a.O. (Anm. 4).