WD 2 – 3000 -039/16 (03.03.2016) © 2016 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Ausländische Investoren, deren Herkunftsstaat Vertragsstaat des Energiecharta-Vertrags (ECT) ist, können nationale Gerichte, Ad-hoc-Schiedsgerichte oder bestimmte internationale Schiedsinstanzen 1 anrufen, wenn sie davon ausgehen, dass die Regierung des Gaststaates gegen die Investitionsschutzbestimmungen in Teil III der ECT verstoßen und der Gaststaat sich dem Verfahren unterworfen hat (Art. 26 Abs. 2 Buchstaben a bis c ECT, Abs. 1, Punkt 15 des Leitfadens zum ECT). Insoweit ergäbe sich im Falle eines möglichen Kohleausstiegs oder bei Auflagen für Kohlekraftwerke kein grundsätzlicher Unterschied zu Verfahren im Rahmen des Atomausstiegs.2 Bereits das Vattenfall-I-Verfahren betraf Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Hamburg-Moorburg .3 Auch durch den Erwerb ehemaliger Vattenfall-Anlagen durch andere ausländische Investoren ergäben sich keine grundsätzlichen Besonderheiten, solange es sich um Investoren eines Vertragsstaates handelt (Art. 26 Abs. 2 ECT, Punkt 15 des Leitfadens). Entscheidend für den Verfahrensverlauf 4 und die Erfolgsaussichten ist – neben dem jeweiligen Sachverhalt im Einzelfall5 – die Art und Ausgestaltung der konkreten Auflagen und Regelungen selbst. Insofern ist eine 1 Dazu gehören ICSID und seine Zusatzeinrichtung, das Institut für Schiedsverfahren der Stockholmer Handelskammer und Schiedsgerichte nach UNCITRAL-Schiedsordnung, Art. 26 Abs. 4 ECT, Punkt 15 des Leitfadens, http://www.energycharter.org/fileadmin/DocumentsMedia/Legal/ECTC-en.pdf (letzter Zugriff: 03.03.2016). 2 Siehe dazu Vattenfall AB (Sweden) et al v. Germany (Vattenfall II), registriert am 31.05.2012, ICSID Case No. ARB/12/12; ferner die Anlagen und Nathalie Bernasconi-Osterwalder/Martin D. Brauch, Der aktuelle Stand bei Vattenfall geg. Deutschland II: Die deutsche Öffentlichkeit wird im Unklaren gelassen, International Institute for Sustainable Development (IISD), Briefing Note (Dezember 2014), http://www.iisd.org/sites/default/files/publications /state-of-play-vattenfall-vs-germany-II-leaving-german-public-dark-de.pdf (letzter Zugriff: 03.03.2016). 3 Vattenfall AB, Vattenfall Europe AG, Vattenfall Europe Generation AG & Co. KG (Sweden) v. Federal Republic of Germany, ICSID Case No. ARB/09/6, Vergleich vom 11.03.2011, http://www.energycharter.org/fileadmin /DocumentsMedia/Disputes/ISDSC-024a.pdf (letzter Zugriff: 03.03.2016). Siehe dazu ferner Markus Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsrecht, 2013, https://www.rph1.rw.fau.de/files/2016/02/vattenfall-.pdf (letzter Zugriff: 02.03.2016), S. 6 ff. 4 Siehe dazu Art. 26 ECT und die Schiedsordnungen der jeweiligen Schiedsinstanz. 5 Siehe dazu auch Darius Reinhardt, Vattenfall vs. Deutschland (II) und das Internationale Investitionsschutzregime in der Kritik, in: Kritische Justiz 2014, S. 86–94, S. 89. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Möglichkeit von Investor-Staat-Verfahren nach dem Vertrag über die Energiecharta bei Betriebs- oder Umweltauflagen für Kohlekraftwerke Kurzinformation Möglichkeit von Investor-Staat-Verfahren nach dem Vertrag über die Energiecharta bei Betriebs- oder Umweltauflagen für Kohlekraftwerke Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 abstrakte Einschätzung ohne Kenntnis der Regelungen oder der Rahmenbedingungen eines möglichen Kohleausstiegs sowie der Vereinbarungen mit dem betreffenden Investor nicht möglich. Die ECT hat einen weiten Anwendungsbereich, der Investitionen (inkl. verschiedener Eigentumsformen und anderer dinglicher, gewerblicher und vertraglicher Rechte) im Rahmen wirtschaftlicher Aktivitäten im Energiesektor umfasst.6 Für Investoren stehen bei Investitionsschutzklagen regelmäßig folgende Grundsätze und Gewährleistungen der ECT im Vordergrund: - faire und gerechte Behandlung (fair and equitable treatment, FET, Art. 10 Abs. 1 ECT) - Schutz gegen (entschädigungslose) Enteignung (Art. 13 ECT) - (Ab-)Schirmklausel (umbrella clause, Art. 10 Abs. 1 S. 5 ECT), und – ggf. ergänzend – - Nichtdiskriminierung (Ungleichbehandlung/Meistbegünstigung; Art. 10 Abs. 1, 3, 7 ECT).7 Nach dem Grundsatz fairer und gerechter Behandlung sind Vertragsstaaten zur Schaffung und Förderung „stabile[r], gerechte[r], günstige[r] und transparente[r] Bedingungen für Investoren“ verpflichtet. Darunter können auch sog. legitime Erwartungen von Investoren auf ein „sicheres Investitionsumfeld“, ggf. auch auf den Fortbestand einer Rechtslage im Sinne eines Vertrauensschutzes , fallen, wenn Schiedsgerichte das Ziel des Übereinkommens – den Investitionsschutz – hoch gewichten.8 Dies ist in der Vergangenheit bereits bei staatlichen Maßnahmen entgegen vorheriger Zusagen oder unvorhersehbarer Änderung der Rechtslage angenommen worden.9 Art. 13 ECT kann neben klassischen Enteignungen auch den Schutz gegen Maßnahmen gleicher Wirkung, also gegen faktische oder indirekte Enteignung durch staatliche Regelungen und Auflagen , umfassen. Die Reichweite der Auslegung obliegt der Einschätzung des Schiedsgerichts.10 Nach der umbrella clause sind Gaststaaten zudem zur Erfüllung „alle[r] Verpflichtungen, die sie gegenüber einem Investor oder einer Investition eines Investors einer anderen Vertragspartei eingegangen sind“, verpflichtet. Hier könnten Investoren geltend machen, dass Staaten etwa durch Genehmigungen, (privatrechtliche) Vereinbarungen, z.B. in Staat-Investor-Verträgen, oder andere 6 Siehe dazu Krajewski, Fn. 3, S. 3 f., 2. 7 Siehe, insbes. zum Fall Vattenfall II, Krajewski, Fn. 3, S. 4 f.; Nathalie Bernasconi-Osterwalder/Rhea Tamara Hoffmann, The German Nuclear Phase-Out Put to the Test in International Investment Arbitration? Background to the new dispute Vattenfall v. Germany (II), IISD, Briefing Note (Juni 2012), http://www.iisd.org/pdf/2012/german _nuclear_phase_out.pdf (letzter Zugriff: 02.03.2016), S. 5 ff., S. 8 (zur Stellung und Herleitung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung); Reinhardt, Fn. 5, S. 88. 8 Reinhardt, Fn. 5, S. 89, der darauf hinweist, dass auch der Umweltschutz als Zielbestimmung des ECT laut Präambel als entgegenstehender Belang berücksichtigt werden kann. Laut Bernasconi-Osterwalder/Hoffmann, Fn. 7, S. 7 m.w.N., haben Schiedsgerichte trotz der Präambel öffentliche Belange bisher eher selten berücksichtigt. Siehe zur weiteren Berücksichtigung des Umweltschutzes in der ECT Krajewski, Fn. 3, S. 3. 9 Krajewski, Fn. 3, S. 4; Bernasconi-Osterwalder/Hoffmann, Fn. 7, S. 7 m.w.N. 10 Siehe zu verschiedenen Bewertungs- und Abwertungsmöglichkeiten hinsichtlich der Aufhebung der Verlängerung von Laufzeiten im Fall Vattenfall II Reinhardt, Fn. 5, S. 89; Bernasconi-Osterwalder/Hoffmann, Fn. 7, S. 6. Kurzinformation Möglichkeit von Investor-Staat-Verfahren nach dem Vertrag über die Energiecharta bei Betriebs- oder Umweltauflagen für Kohlekraftwerke Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Maßnahmen Verpflichtungen eingegangen seien, die sie durch die neue Rechtslage verletzten.11 Die Bundesrepublik Deutschland hat von der Möglichkeit, die Reichweite der Klausel zu begrenzen , bislang keinen Gebrauch gemacht. 12 Die Erfolgsaussichten der Klagen ausländischer Investoren hängen von der Auslegung und Anwendung dieser Grundsätze und insbesondere der genannten Rechtsbegriffe durch das angerufene Schiedsgericht ab, die häufig – auch entsprechend der jeweiligen Besetzung des Schiedsgerichts – variiert.13 Eine vergleichende Einschätzung dieser Auslegungen wird dadurch erschwert, dass laufende und abgeschlossene Schiedsverfahren inkl. der Schiedssprüche – trotz des derzeitigen Trends zu Transparenzregeln – häufig der Vertraulichkeit unterliegen.14 Die Streitbeilegungsmöglichkeiten von Investoren jenseits der ECT ergeben sich aus dem Inhalt des jeweiligen Handelsabkommens, insbesondere seinem Anwendungsbereich, den materiellen Gewährleistungen und den konkreten Investitionsschutzklauseln. Inwiefern Investoren Klagerechte nach zukünftigen Handelsabkommen zustehen werden, kann daher nicht beantwortet werden . Zur Vertiefung werden dem anfragenden Büro die folgenden Artikel zur Verfügung gestellt: - Darius Reinhardt, Vattenfall vs. Deutschland (II) und das Internationale Investitionsschutzregime in der Kritik, in: Kritische Justiz 2014, S. 86–94 (Anlage 1). - Markus Krajewski, Vattenfall, der deutsche Atomausstieg und das internationale Investitionsrecht , 2013, https://www.rph1.rw.fau.de/files/2016/02/vattenfall-.pdf (Anlage 2). - Nathalie Bernasconi-Osterwalder/Rhea Tamara Hoffmann, The German Nuclear Phase- Out Put to the Test in International Investment Arbitration? Background to the new dispute Vattenfall v. Germany (II), IISD, Briefing Note (Juni 2012), http://www.iisd.org/pdf/2012/german_nuclear_phase_out.pdf (Anlage 3). Ende der Bearbeitung 11 So zur Laufzeitverlängerung bei Kernkraftwerken Reinhardt, Fn. 5, S. 90; mit Beispielen Krajewski, Fn. 3, S. 4. 12 Reinhardt, Fn. 5, S. 90; Bernasconi-Osterwalder/Hoffmann, Fn. 7, S. 8. Zu Beschränkungsmöglichkeiten, u.a. zum Ausschluss der Geltung für vertragliche Ansprüche, siehe m. w. N. Krajewski, Fn. 3, S. 4. 13 So für den Grundsatz fairer und gerechter Behandlung Bernasconi-Osterwalder/ Hoffmann, Fn. 7, S. 7; zu verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten dieses Grundsatzes für Schiedsgerichte konkret Reinhardt, Fn. 5, S. 89. 14 Siehe insbesondere zu Transparenzregeln im Rahmen der ICSID- und UNCITRAL-Schiedsordnungen ausführlich Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste (2014), WD 2 – 3000 – 184/14, Vertraulichkeit versus Transparenz in Schiedsgerichtsverfahren am Beispiel der Vattenfall-Klage gegen Deutschland, S. 5 ff, sowie kritisch Bernasconi-Osterwalder/Brauch, Fn. 2, S. 4 ff.