Erklärungen und Vorbehalte der Bundesrepublik Deutschland zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 2 – 039/07 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasserinnen: Erklärungen und Vorbehalte der Bundesrepublik Deutschland zur Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen Ausarbeitung WD 2 – 039/07 Abschluss der Arbeit: 8. März 2007 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Rechtliche Grundlagen für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge 4 1.1. Völkerrechtliche Verträge 4 1.2. Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge 4 1.2.1. Allgemeines 4 1.2.2. Regelungen im Grundgesetz 5 1.2.2.1. Die Kompetenz des Bundes 5 1.2.2.2. Die Kompetenz der Länder 6 1.2.3. Das Lindauer Abkommen vom 14. November 1957 6 1.3. Organe des Vertragsabschlusses 7 1.3.1. Allgemeines 7 1.4. Verfahren des Vertragsabschlusses 8 1.4.1. Ein - und mehrphasiges Verfahren 8 1.4.2. Regelungen im Grundgesetz 9 1.5. Vorbehalte und Interpretationserklärungen 9 2. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1992 (VN-Kinderrechtskonvention; KRK) 10 2.1. Die Ratifikation der KRK durch die Bundesrepublik Deutschland 11 2.2. Die deutschen Erklärungen und Vorbehalte zur KRK 11 2.3. Die Rücknahme der Interpretationserklärung 13 2.4. Zur Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge 16 - 4 - 1. Rechtliche Grundlagen für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge 1.1. Völkerrechtliche Verträge Ein völkerrechtlicher Vertrag ist jede zwischen zwei oder mehreren Staaten bzw. anderen vertragsfähigen Völkerrechtsubjekten getroffene Vereinbarung, die dem Völkerrecht unterliegt.1 Als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts und Hauptinstrument internationaler Politik kommt völkerrechtlichen Verträgen eine besondere Bedeutung zu. Das Recht der völkerrechtlichen Verträge, das den Abschluss, die Geltung und die Beendigung von Verträgen regelt, galt lange Zeit nur völkergewohnheitsrechtlich. Es ist nunmehr umfassend in drei Übereinkommen kodifiziert worden: im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK) vom 23. Mai 19692, im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und Internationalen Organisationen oder zwischen Internationalen Organisationen vom 21. März 1986 (WVKIO)3 sowie im Wiener Übereinkommen über die Staatennachfolge in Verträge vom 23. August 1978.4 Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland befasst sich in Art. 59, Art. 32, Art. 23 und Art. 24 GG mit Regelungen zu völkerrechtlichen Verträgen. Diese Vorschriften begründen und verteilen Zuständigkeiten, regeln das Verfahren des Vertragsabschlusses und beinhalten darüber hinaus programmatische Vorgaben.5 1.2. Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge 1.2.1. Allgemeines Die Fähigkeit, völkerrechtliche Verträge abzuschließen (Vertragsfähigkeit), kommt grundsätzlich allen Völkerrechtssubjekten zu. In der Regel ist diese Fähigkeit bei den Staaten unbeschränkt6, während sie bei internationalen Organisationen und den anderen Völkerrechtssubjekten Beschränkungen unterliegt, die sich aus den Gründungsverträgen , ihrer speziellen Funktion oder ihrer Anerkennung durch andere Völkerrechtsubjekte ergeben.7 1 Heintschel von Heinegg, S. 71 Rn. 118. 2 BGBl. 1985 II, S. 926. 3 BGBl. II 1990, S. 1414. 4 ILM 1978, S. 1488; die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen bisher nicht ratifiziert . 5 Graf Vitzthum, S. 115 Rn. 57. 6 Problematisch ist in diesem Zusammenhang aber bspw. die Vertragsfähigkeit der Gliedstaaten von Bundesstaaten, deren Umfang sich aus der jeweiligen Verfassung ergibt. 7 Schweitzer, S. 41 Rn. 111. - 5 - 1.2.2. Regelungen im Grundgesetz Das Grundgesetz setzt die Fähigkeit der Bundesrepublik Deutschland voraus, völkerrechtliche Verträge abzuschließen. Eine ausdrückliche Regelung fehlt, ist jedoch auch nicht erforderlich, da die Bundesrepublik Deutschland als Staat nach dem Völkerrecht Vertragsfähigkeit besitzt. Auch die Länderverfassungen setzen die Vertragsfähigkeit der Länder voraus und bestimmen lediglich die Organe, die für den Vertragsabschluss zuständig sind.8 Die Regelungen des Grundgesetzes betreffen mithin nur die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. 1.2.2.1. Die Kompetenz des Bundes Bei Bundesstaaten stellt sich die Frage, ob die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und seinen Gliedstaaten in Fragen der Gesetzgebung und der Verwaltung auch für das Handeln in auswärtigen Angelegenheiten gelten oder ob dem Bund eine ausschließliche Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge zukommen soll. Das Grundgesetz räumt den Ländern zumindest teilweise die Möglichkeit ein, am völkerrechtlichen Verkehr teilzunehmen.9 Dabei trägt es dem Gedanken einer einheitlichen Repräsentation nach außen jedoch insofern Rechnung, als es das Verhältnis von Grundsatz und Ausnahme in Bezug auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern für den auswärtigen Bereich umkehrt. Während nach Art. 30 GG die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben den Ländern obliegt, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt, gilt für die „Pflege“ der auswärtigen Beziehungen gemäß Art. 32 Abs. 1 GG der Grundsatz der Bundeskompetenz .10 Will der Bund einen völkerrechtlichen Vertrag abschließen, der die besonderen Verhältnisse eines Bundeslandes berührt, muss er dieses Bundesland so rechtzeitig anhören, dass die Stellungnahme des Landes noch berücksichtigt werden kann (vgl. Art. 32 Abs. 2 GG). Diese Anhörungspflicht stellt eine Ausformung der Pflicht zur Bundestreue 11 im Sinne einer Bundespflicht zu länderfreundlichem Verhalten dar. Die besonderen Verhältnisse eines Landes sind berührt, wenn der Vertrag Angelegenheiten regelt, 8 Schweitzer, S. 42 Rn. 115. 9 Dazu siehe unten unter 1.2.2.2, S. 6. 10 Geiger, S. 120. 11 Der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens (Bundestreue) ergibt sich aus dem Bundesstaatsprinzip als übergreifendem Rechtsprinzip. Er verpflichtet den Bund und die Länder (auch die Länder untereinander), bei der Wahrnehmung ihrer Kompetenzen die gebotene und ihnen zumutbare Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaates und die Belange der Länder zu nehmen, vgl. Maurer , S. 317 f. Rn. 52; BVerfGE 92, 203 (230). - 6 - die nicht alle Länder gleichermaßen betreffen, sondern ein Land (oder mehrere Länder) besonders hervorhebt.12 1.2.2.2. Die Kompetenz der Länder Nach Art. 32 Abs. 3 GG steht den Ländern die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge für die Materien zu, bei denen sie die ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebung besitzen. Die Bestimmung verweist also auf die Art. 70 ff. GG.13 Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung entfällt die Vertragskompetenz der Länder jedoch, wenn und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat.14 Landesverträge mit auswärtigen Staaten oder sonstigen Völkerrechtssubjekten bedürfen – auch wenn es sich dabei um bloße Verwaltungsabkommen handelt – der Zustimmung der Bundesregierung. Dies gibt der Bundesregierung die Möglichkeit, „eine präventive Bundesaufsicht“ auszuüben und zu verhindern, dass „Länderverträge den Bundesinteressen widerstreiten“.15 Dabei hat die Bundesregierung ein politisches Ermessen, das nur durch das Verbot des Rechtsmissbrauchs begrenzt wird.16 1.2.3. Das Lindauer Abkommen vom 14. November 1957 Bisher nicht abschließend geklärt ist, ob Art. 32 Abs. 3 GG den Ländern ein exklusives oder konkurrierendes Vertragsabschlussrecht in den Bereichen gibt, in denen sie die Gesetzgebungszuständigkeit besitzen. Aus der Perspektive des Bundes geht es darum, ob dieser durch Art. 32 Abs. 1 GG ermächtigt wird, Verträge in den Bereichen abzuschließen , in denen die Länder die Gesetzgebungszuständigkeit besitzen. Das BVerfG hat über diese Frage bislang nicht entschieden.17 Die Praxis hat diese Frage durch die „Verständigung zwischen der Bundesregierung und den Staatskanzleien der Länder über das Vertragsschlussrecht des Bundes“ vom 14. November 195718 (sog. Lindauer Abkommen) einer Lösung zugeführt.19 Dieses legt fest, dass die Länder „ein Entgegenkommen bei der Anwendung des Art. 73 Ziff. 1 und 12 Geiger, S. 122. 13 Schweitzer, S. 43 Rn. 118. 14 Geiger, S. 123. 15 BVerfGE 2, S. 347 ff., 370. 16 Schweitzer, S. 45 Rn. 125. 17 Schweitzer, S. 45 Rn. 126. 18 Lindauer Abkommen v. 14. November 1957 im Internet: http://www.lexexakt.de/glossar/lindauerabkommentxt.php. (Alle Internetangaben Stand: 5.3.2007). 19 Geiger, S. 126. - 7 - 5 sowie Art 74 Ziff. 4 GG für möglich halten.20 Eine Zuständigkeit des Bundes könnte danach z.B. für Konsularverträge, Handels- und Schifffahrtsverträge, … auch insoweit anerkannt werden, als diese Verträge Bestimmungen enthalten, bei denen es zweifelhaft sein könnte, ob sie im Rahmen eines internationalen Vertrages unter die ausschließliche Landesgesetzgebung fallen“. Folglich akzeptieren die Länder diese im Lindauer Abkommen aufgeführten Verträge (unter dort näher bestimmten Voraussetzungen) in Fällen , in denen der Vertragsgegenstand vollständig oder teilweise die Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder berührt und verpflichten sich, dagegen verfassungsrechtlich nicht vorzugehen (vgl. Ziff. 2 des Abkommens).21 In anderen Fällen kann der Bund Verträge abschließen, die ausschließliche Länderkompetenzen betreffen (insbesondere Kulturabkommen), wenn die Länder zugestimmt haben (Ziff. 3). Diese Zustimmung der Länder soll vorliegen, bevor die Verpflichtung völkerrechtlich verbindlich wird. Zudem sollen die Länder an den Vorbereitungen für den Vertragsabschluss möglichst frühzeitig , in jedem Fall rechtzeitig vor der endgültigen Festlegung des Vertragstextes, beteiligt werden.22 Davon abgesehen bleiben die unterschiedlichen Rechtsauffassungen von Bund und Ländern in diesen Bereichen bestehen (Ziff. 1). Die Anwendung des Lindauer Abkommens hat sich in der Praxis bewährt und die Länder haben bislang den – dem Abkommen entsprechenden – Abschluss von Verträgen durch den Bund akzeptiert. Die Verfassungsmäßigkeit des Lindauer Abkommens ist jedoch bis heute umstritten.23 1.3. Organe des Vertragsabschlusses 1.3.1. Allgemeines Nach allgemeinem Völkerrecht werden die Organe, die für den Vertragsabschluss zuständig sind, nach dem innerstaatlichen Recht des jeweiligen Völkerrechtssubjekts bestimmt .24 Für die Staaten wird diese Verweisungsregel in Art. 7 Abs. 2 lit. a WÜK wei- 20 Nach Art. 73 hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung u.a. über: die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung (Ziff. 1) sowie die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schifffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zollund Grenzschutzes (Ziff. 5). Nach Art. 74 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung u.a. auf das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer (Ziff. 4). 21 Vgl. Schweitzer, S. 47 Rn. 128 a. 22 Geiger, S. 127. 23 Schweitzer, S. 47 Rn. 129. 24 Schweitzer, S. 49 Rn. 134. - 8 - ter spezifiziert. Danach gilt (unabhängig von der jeweiligen Verfassung) die – widerlegbare – Vermutung, dass Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Außenminister kraft ihres Amtes als innerstaatlich zuständig „zur Vornahme aller sich auf den Abschluss eines Vertrages beziehenden Handlungen“ angesehen werden. Regelung im Grundgesetz Gemäß Art. 59 Abs. 1 S. 1 GG obliegt dem Bundespräsidenten die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik Deutschland.25 Die Kompetenz ist vom Grundgesetz umfassend angelegt: Sie bezieht sich auf völkerrechtliche Verträge mit anderen Völkerrechtssubjekten und erfasst alle Verträge, unabhängig von ihrem Inhalt. Eine Einschränkung existiert lediglich dahingehend, dass es sich um Verträge des Bundes handeln muss. Verträge, für die die Länder die Kompetenz gemäß Art. 32 Abs. 3 GG besitzen, werden von ihren Organen abgeschlossen. Ob sich die Länder in diesem Bereich durch den Bundespräsidenten vertreten lassen können, ist umstritten.26 1.4. Verfahren des Vertragsabschlusses 1.4.1. Ein - und mehrphasiges Verfahren Beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge ist zwischen dem ein- und dem mehrphasigen Verfahren zu unterscheiden. Beim einphasigen Verfahren können die staatlichen Organe, die den Vertrag ausgehandelt haben, diesen auch selbst verbindlich abschließen . Beim mehrphasigen Verfahren kann der verbindliche Vertragsschluss erst nach Mitwirkung anderer Organe stattfinden. Welches Verfahren zur Anwendung kommt, richtet sich nach innerstaatlichem Recht.27 Beim einphasigen Vertragsschlussverfahren bewirken die Unterzeichnung des Vertrages durch die Vertreter (Art. 12 WVK) oder der Austausch der Vertragsurkunden (Art. 13 WVK) unmittelbar die vertragliche Bindung. Bei der Zustimmung durch Unterzeichnung kommt der Unterzeichnung28 somit eine Doppelfunktion zu: Die Unterzeichnung legt endgültig den Text des Vertrages fest und bewirkt zugleich die vertragliche Bin- 25 Maunz/Dürig, Art. 59 Rn. 3. 26 Schweitzer, S. 50 Rn. 136. 27 Schweitzer, S. 53 Rn. 143. 28 Auch als Zeichnung oder Paraphierung bezeichnet. - 9 - dung. Dieses Verfahren wird in der Regel bei Verträgen von geringerer politischer Bedeutung praktiziert.29 Beim mehrphasigen Verfahren legt die Unterzeichnung lediglich den Vertragstext als endgültig fest. Die Zustimmung zur vertraglichen Bindung vollzieht sich in einem separaten Schritt, meist der Ratifikation durch Austausch oder Hinterlegung der Ratifikationsurkunden (Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 16 WVK).30 1.4.2. Regelungen im Grundgesetz Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln (Alternative 1) oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen (Alternative 2) bedürfen nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG der Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Dieses Gesetz wird als Zustimmungsgesetz oder Vertragsgesetz bezeichnet. Für derartige Verträge ist somit das mehrphasige Verfahren vorgeschrieben. Bei Verwaltungsabkommen kommt hingegen grundsätzlich das einphasige Verfahren zur Anwendung.31 Indem Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG ein Bundesgesetz verlangt, verweist er auf die Vorschriften des Grundgesetzes über das Gesetzgebungsverfahren (Art. 76 ff. GG). Das Vertragsgesetz ergeht somit – wie jedes andere Bundesgesetz in der Bundesrepublik Deutschland – entweder als Zustimmungs- oder als Einspruchsgesetz. Der Bundestag muss somit das Gesetz beschließen. Eine Zustimmung des Bundesrates ist hingegen nur dann erforderlich, wenn es sich um ein Zustimmungsgesetz handelt. Folglich ist stets zu untersuchen, ob es sich bei dem Vertragsgesetz um ein Zustimmungs- oder ein Einspruchsgesetz handelt. Nach dem Grundgesetz liegt ein Zustimmungsgesetz nur vor, wenn das Grundgesetz die Zustimmung des Bundesrates ausdrücklich für ein Gesetz vorschreibt. In allen anderen Fällen handelt es sich um ein Einspruchsgesetz.32 1.5. Vorbehalte und Interpretationserklärungen Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. d der WVK ist ein Vorbehalt „eine wie auch immer formulierte oder bezeichnete, von einem Staat bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder 29 Herdegen, S. 113 f. Rn. 9. 30 Herdegen, S. 114 Rn. 10. 31 Schweitzer, S. 58 f. Rn. 162. 32 Schweitzer, S. 65 f. Rn 179 f. - 10 - Genehmigung eines Vertrages oder bei dem Beitrag zu einem Vertrag abgegebene einseitige Erklärung, durch die der Staat bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern“. Davon abzugrenzen sind so genannte Interpretationserklärungen, die lediglich der Klarstellung dienen und bezwecken, eine bestimmte Auslegung der Norm durchzusetzen, ohne diese zu ändern oder auszuschließen.33 Eine solche Erklärung zur Interpretation stellt jedoch dann einen Vorbehalt dar, wenn die Vertragspartei damit erkennbar nur im Sinne der gegebenen Auslegung gebunden sein will. Die Übergänge zwischen bloßer Erklärung und echtem Vorbehalt sind fließend, was bei einer Abgrenzung im Einzelfall zu Schwierigkeiten führen kann.34 2. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1992 (VN-Kinderrechtskonvention; KRK) Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes gilt als Wegweiser für die Schaffung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Durch die Konvention werden Kinder erstmalig als Inhaber von Rechten und Freiheiten, d.h. als eigenständige Rechtssubjekte, angesehen .35 Die Konvention wurde am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen. Heute sind 191 Staaten an die KRK gebunden. Die Konvention ist damit unter den menschenrechtlichen Übereinkommen dasjenige mit dem höchsten Grad an Zustimmung.36 Das Übereinkommen räumt Kindern bis zu achtzehn Jahren, sofern die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt, sehr detailliert formulierte Rechte ein. Dabei handelt es sich sowohl um bürgerliche und politische als auch um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Das Prinzip des Kindeswohls durchzieht das gesamte Abkommen und ist ausdrücklich in Art. 3 KRK niedergelegt. Nach diesem Prinzip ist bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, vorrangig deren Wohl zu berücksichtigen.37 33 Ipsen, S. 168 Rn. 4. 34 Herdegen, S. 119 Rn. 21. 35 Stender, S. 21 ff. 36 Weiß, S. 17 ff. (Stand 2000). 37 Von Winter/Paulus, WD 2 – 160/06, S. 4. - 11 - 2.1. Die Ratifikation der KRK durch die Bundesrepublik Deutschland Wie bereits festgestellt, beschränkt sich die in Art 32 Abs. 3 GG vorgesehene Kompetenz der Länder zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge auf die Bereiche, in denen den Ländern die ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis zusteht.38 Berührt die völkervertraglich geregelte Materie den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 72, 74 GG), so besteht ein Vertragsabschlussrecht der Länder jedoch nur, soweit nicht der Bund die Materie vertraglich oder gesetzlich geregelt hat.39 Die KRK bezieht sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung, enthält jedoch vereinzelt – z.B. hinsichtlich Art. 28 KRK (Recht auf Bildung) sowie Art. 29 KRK (Bildungsziele) – Regelungen, die in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder fallen. Die Ratifikation der KRK war deshalb mit der bislang ungelösten Streitfrage verbunden, ob der Bund befugt ist, die Abschlusskompetenz trotz (teilweise) fehlender Gesetzgebungszuständigkeit an sich zu ziehen. In Übereinstimmung mit dem Lindauer Abkommen holte die Bundesregierung deshalb vor dem Abschluss der KRK das Einverständnis der Länder ein.40 Die sich hieraus ergebende Veto-Möglichkeit der Länder wurde bereits im Vorfeld des Abschlusses der KRK kritisch beurteilt.41 Die Ratifikation der KRK erforderte gemäß Art. 59 Abs. 2 i.V.m. Art. 84 Abs. 1 GG die Zustimmung des Deutschen Bundestages sowie des Bundesrates in Form eines Bundesgesetzes . Die Zustimmung des Bundesrates war gemäß Art. 84 Abs. 1 GG notwendig, da das Abkommen auch das Verwaltungsverfahren von Landesbehörden regelt.42 Die Konvention trat für die Bundesrepublik Deutschland am 5. April 1992 in Kraft.43 2.2. Die deutschen Erklärungen und Vorbehalte zur KRK Bei der Ratifikation der KRK hatte die Bundesrepublik Deutschland auf Initiative der Bundesländer eine fünfteilige Erklärung abgegeben, die aus vier interpretativen Ab- 38 Dazu s.o. 1.2.2.2, S. 6; vgl. auch Peter, S. 140 (150). 39 S.o. 1.2.2.2, S. 6; Maunz, in: Maunz/Dürig, Art. 32 Rn. 48. 40 Vgl. BT-Drs. 12/42 v. 24. Januar 1991, S. 55. 41 So wurde teilweise angemahnt, es wäre verfassungsrechtlich nicht vertretbar, jedem einzelnen Bundesland eine veto-ähnliche Verhandlungsposition über den gesamten Inhalt eines völkerrechtliche Vertrages einzuräumen; Peter, S. 140 (150). 42 Vgl. BT-Drs. 12/42 v. 24. Januar 1991, S. 5. 43 Vgl. BGBl. II 1990, S. 990. - 12 - schnitten und einem das Jugendstrafrecht betreffenden Vorbehalt bestand.44 Vier der fünf Punkte hat die Bundesregierung durch bundesgesetzliche Erklärungen zurückgenommen .45 Die anhaltende Kontroverse beschränkt sich somit auf den „Abschnitt IV“ der Erklärung, der die Bedeutung der Konventionsvorgaben für die Rechte ausländischer Kinder betrifft.46 Dort heißt es: „Nichts in dem Übereinkommen kann dahin ausgelegt werden, dass die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist; auch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, dass sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthalts zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen“.47 Nach den Angaben der Bundesregierung betrifft die Erklärung in Bezug auf Art. 22 KRK48 die Tatsache, „dass allein aufgrund der Minderjährigkeit weder ein Anspruch auf Einreise noch auf Aufenthalt bestehe. Die Erklärung bestätige lediglich, was durch die Konvention geregelt werde. Sie sei insofern unschädlich“.49 Nach anderer Auffassung schränkt diese erläuternde Erklärung50 dagegen den Konventionsschutz ausländischer 44 Vgl. Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Eckhart Pick v. 22. Dezember 1998, BT- Drs. 14/244 v. 30. Dezember 1998. 45 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 172. Sitzung, Plenarprotokoll 15/172 v. 21. April 2005, S. 16124 (B). 46 Peter (2006), S. 1. 47 Vgl. BGBl. II 1990, S. 990 (991). 48 Art. 22 KRK lautet: ”Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Übereinkommen oder in anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen, denen die genannten Staaten als Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht (lit. a). Zu diesem Zweck wirken die Vertragsstaaten in der ihnen angemessen erscheinenden Weise bei allen Bemühungen mit, welche die Vereinten Nationen und andere zuständige zwischenstaatliche oder nichtstaatliche Organisationen, die mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten , unternehmen, um ein solches Kind zu schützen, um ihm zu helfen und um die Eltern oder andere Familienangehörige eines Flüchtlingskinds ausfindig zu machen mit dem Ziel, die für eine Familienzusammenführung notwendigen Informationen zu erlangen. Können die Eltern oder andere Familienangehörige nicht ausfindig gemacht werden, so ist dem Kind im Einklang mit den in diesem Übereinkommen enthaltenen Grundsätzen derselbe Schutz zu gewähren wie jedem anderen Kind, das aus irgendeinem Grund dauernd oder vorübergehend aus seiner familiären Umgebung herausgelöst ist (lit. b). 49 Vgl. die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 55. Sitzung, Plenarprotokoll 15/55 v. 2. Juli 2003, Anlage 23, S. 4578 (C). 50 In der Literatur wird z. T. die Ansicht vertreten, die Interpretationserklärung der Bundesregierung zur KRK stelle einen Vorbehalt i.S.d. Art. 2 Abs. 1 lit. d der WVK dar, dessen Vereinbarkeit mit - 13 - (Flüchtlings-) Kinder ein.51 Zwar wirke sich die Rücknahme der Interpretationserklärung nicht unmittelbar auf die Rechte der Betroffenen aus. Sie würde jedoch ein deutliches Signal an die Gesellschaft senden und Flüchtlingskindern verstärkten moralischen Schutz bieten, der auch die politische Diskussion über Kinderrechte und über notwendige Gesetzesänderungen auf eine andere Grundlage stellen würde.52 2.3. Die Rücknahme der Interpretationserklärung Die Rücknahme der Interpretationserklärung war in den zurückliegenden vierzehn Jahren mehrfach Gegenstand parlamentarischer Beratungen sowie Kleiner und Großer Anfragen . Auch der Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen ersuchte die deutsche Regierung, die Rücknahme der Erklärungen zu prüfen, da er Zweifel an der Vereinbarkeit der „Erklärungen“ mit der Konvention hatte.53 2.2.1. Zustimmung der Bundesländer Ob die Bundesregierung die Erklärung nur mit Zustimmung der Bundesländer zurücknehmen kann, ist umstritten: Die (jeweilige) Bundesregierung hat im Zusammenhang mit Fragen nach einer Rücknahme der Interpretationserklärung stets darauf verwiesen, dass die Erklärung auf eine Initiative der Länder zurückgehe. Da die KRK innerstaatliche Bereiche betreffe, für die ausschließlich die Bundesländer zuständig seien, komme der Haltung der Bundesländer für die Willensbildung der Bundesregierung besondere Bedeutung zu. Die Länder seien mit der Ratifikation der Konvention nur unter der Bedingung einverstanden gewesen, dass die Erklärung abgegeben wird. Bisher hätten sich die Länder nicht dafür ausgesprochen , die Erklärung zurückzunehmen.54 Eine Rücknahme der Erklärungen allein durch die Bundesregierung sei formal juristisch betrachtet zwar möglich, „würde jedoch die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland verkennen. Auch würde insgedem Ziel und Zweck des Vertrages zweifelhaft sei (Art. 19 lit. WVK bzw. Art. 51 Abs. 2KRK). Die Rechtsfolgen eines unzulässigen Vorbehalts sind jedoch in der WVK nicht abschließend geregelt und daher in der völkerrechtlichen Literatur ebenfalls umstritten; vgl. dazu Peter, S. 144 (146). 51 Vgl. die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/4205 v. 31. Januar 2007; Peter, S. 140 (146). 52 Riedelsheimer, S. 23 (24). 53 Vgl. die Anmerkung 22 der Concluding observations of the Committee on the Right of the Child: Germany-Document CRC/C/15/Add. 43 v. 27. November 1995; vgl. auch die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/4205 v. 31. Januar 2007. 54 Vgl. statt vieler die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 55. Sitzung, Plenarprotokoll 15/55 v. 2. Juli 2003, Anlage 23, S. 4578 (C). - 14 - samt die Verlässlichkeit im Hinblick auf internationale Verträge und Vereinbarungen in Frage gestellt, die ja grundsätzlich von der Bundesregierung und vom Bundesrat gemeinsam zu unterzeichnen seien. 55 Einige Stimmen im Schrifttum stellen einen solch weit reichenden Einfluss der Länder im Rahmen einer Rücknahme der Interpretationserklärung dagegen in Frage. Zwar sei nach dem actus-contrarius-Gedanken die Kompetenznorm des Art. 32 GG auch auf den Fall der Rücknahme anwendbar. Ob die in Folge der Rücknahme gegebenenfalls anstehenden Gesetzesanpassungen die Gesetzgebungskompetenzen der Länder tangieren und damit kongruent eine Länderkompetenz auf dem Gebiet des Auswärtigen auf der Grundlage des Art. 32 Abs. 3 GG begründen, sei jedoch zweifelhaft. Schließlich stehe dem Bund gemäß Art. 73 Nr. 3 GG für die Einwanderung ohnehin die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu. Auch habe der Bund durch den Erlass des Ausländergesetzes , des Asylverfahrensgesetzes sowie des SGB VIII die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis gemäß Art. 74 Nr. 4, 6 und 7 GG an sich gezogen. Bereiche, die in die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fallen, blieben somit im Falle der Rücknahme der Interpretationserklärung unberührt. Folglich bestehe eine grundlegende Entscheidungskompetenz des Bundes bei der Frage der Rücknahme der Erklärung .56 2.2.2. Folgen einer Rücknahme der Interpretationserklärung Auch die Folgen einer Rücknahme der Interpretationserklärung sind umstritten: Die (jeweilige) Bundesregierung hat stets zum Ausdruck gebracht, sie teile die Auffassung des Deutschen Bundestages, dass die Erklärung zurückgenommen werden solle und setze sich auch weiterhin bei den Ländern für eine Rücknahme ein.57 Die Innenministerien von Bund und Ländern vertreten die Auffassung, dass das deutsche Recht im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen stehe, die sich für die Bundesrepublik aus der KRK ergeben. Eine Änderung des nationalen Rechts zur Anpassung an die Vorgaben sei deshalb nicht erforderlich. Weder nach nationalem Recht noch nach internationalen Standards rechtfertige allein die Minderjährigkeit die Einreise oder die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Wer ein Aufenthaltsrecht für sich in Anspruch 55 Vgl. BT-Drs. 15/5806 v. 22. Juni 2005, S. 10. 56 Peter, S. 144 (150 f.). - 15 - nehmen wolle, müsse die dafür erforderlichen materiellen Voraussetzungen erfüllen (z.B. politische Verfolgung, Gefahr für Leib und Leben) und das vorgesehene Verfahren durchlaufen. Minderjährigen Asylsuchenden biete die deutsche Rechtslage die Teilnahme an der gesamten sozialen Struktur wie z.B. kostenlose Teilhabe am Gesundheitssystem , kostenloser Schulbesuch, Aufnahme in Pflegefamilien oder in Jugendhilfeeinrichtungen . Durch die Erklärung sollten lediglich Fehl- bzw. Überinterpretationen der KRK vermieden werden. Diese Auslegung der KRK würde somit im Falle einer Rücknahme der Erklärung weiter gelten. Im Übrigen begründet die Konvention nach Ansicht der Bundesregierung nur eine Staatenverpflichtung und gewähre dem Einzelnen keine unmittelbar geltenden subjektiven Rechte.58 Darüber hinaus könnte nach dieser Auffassung eine offizielle Rücknahme der Erklärung fälschlicherweise als Signal dafür verstanden werden, dass die Bundesregierung nunmehr von ihrer bisherigen Interpretation der KRK abrücke und dass zumindest einzelnen Bestimmungen der KRK eine größere Bedeutung, wenn nicht gar unmittelbare innerstaatliche Geltung, zukomme. Dies würde zu Rechtsunsicherheiten bei der Anwendung bestehender Vorschriften des Ausländerund Asylrechts führen. Erschwernisse bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht Minderjähriger wären die Konsequenz. Schließlich bestünde eine zunehmende Gefahr des Missbrauchs durch Erwachsene, die behaupten, minderjährig zu sein.59 Demgegenüber sind einige Rechtswissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen (NRO) wie Pro Asyl der Ansicht, die deutsche Rechtslage weise im Hinblick auf die Vorgaben der KRK Defizite auf. Nach ihrer Auffassung mache die Rücknahme der Erklärung , in der sie – anders als die Bundesregierung – einen „Vorbehalt“ sehen, eine Fülle von Änderungen des materiellen nationalen Rechts erforderlich. Dazu zählen beispielsweise : - die Streichung der Handlungsfähigkeit nach § 68 AuslG und § 12 AsylVfG; - die Herausnahme der Kindesgruppe aus dem Flughafenverfahren nach § 18 a AsylVfG; - die Verbesserung der aufenthaltsrechtlichen Stellung während des Clearing- Verfahrens; 57 Vgl. nur die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP, BT-Drs. 15/1819 v. 23. Oktober 2003. 58 Vgl. die Antwort der Sozialministerin des Landes Hessen auf die Kleine Anfrage der Abg. Fuhrmann (SPD), Hessischer Landtag, Drs. 15/3612 v. 11. September 2002. 59 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 32. Sitzung, Plenarprotokoll 16/32 v. 6. April 2006, S. 2741 (A); ähnlich auch die Stellungnahmen des Thüringer Innenministeriums v. 18. September 2001 und des Bayrischen Staatsministeriums des Innern v. 21. Oktober 2001. - 16 - - die Herausnahme der Kindesgruppe aus der Unterbringung und der Verteilung nach den §§ 44 ff. AsylVfG und die Einbeziehung in das Aufgaben- und Leistungsspektrum des SGB VIII sowie - die Verbesserung der verfahrensrechtlichen Stellung nach dem Freiheitsentzugsgesetz im Hinblick auf das Abschiebehaftverfahren.60 Nach dieser Ansicht wären Länderinteressen im Falle einer Rücknahme der Interpretationserklärung insoweit berührt, als etwa kindbezogene Leistungen von den Ländern zu erbringen sind oder zuwanderungspolitische Bedenken bestehen. So sehe sich z.B. Hamburg von einer Zuwanderung unbegleiteter Minderjähriger im Vergleich zu den übrigen Ländern weit überproportional betroffen und daher mit der Bewältigung von Sonderlasten konfrontiert.61 Mit welchen finanziellen Auswirkungen im Fall einer Rücknahme der Erklärung zu rechnen ist, ist nicht bekannt. 2.4. Zur Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge Die Zahl der Zuflucht Suchenden hat sich gegenüber der Ausgangslage bei Abschluss der KRK im Jahr 1992 wesentlich verringert.62 Der Personenkreis der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge dürfte davon eine zahlenmäßig kleine Gruppe darstellen. Die Schätzungen mit Blick auf jährlich neu einreisende, unbegleitete Minderjährige unterliegen großen Schwankungen: So reichen Angaben aus dem Jahr 2006 von 30063 bis etwa 2000 Flüchtlingen64 im Alter von 16 bis 18 Jahren, die pro Jahr nach Deutschland kommen. Die Zahl der insgesamt in Deutschland Lebenden wird auf 5.000 bis 10.000 geschätzt. Genaue Zahlen lassen sich nicht feststellen, da die Zahl der unbeglei- 60 Peter, S. 140 (150); vgl. die Antwort der Sozialministerin des Landes Hessen auf die Kleine Anfrage der Abg. Fuhrmann (SPD), Hessischer Landtag, Drs. 15/3612 v. 11. September 2002; Riedelsheimer, S. 24 ff. Die Frage der kindgerechten Unterbringung ließ sich im Rahmen der Ausarbeitung nicht umfassend prüfen. Die Landesregierung Hessen hat erklärt, dass sie bemüht sei, „im Rahmen der ihr zur Verfügung stehenden Mittel und Möglichkeiten darauf hinzuwirken, dass die Versorgung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge bedarfsgerecht auf der Grundlage der Vorgaben durch das SGB VIII (Kinder- und Jugenhilfegesetz) erfolgt“; vgl. die Antwort der Sozialministerin des Landes Hessen auf die Kleine Anfrage der Abg. Fuhrmann (SPD), Hessischer Landtag, Drs. 15/3612 v. 11. September 2002. Zur Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlingen in anderen Bundesländern vgl. z.B. Niedersächsischer Landtag, Drs. 15/833 v. 2. März 2004 sowie Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drs. 18/3775 v. 28. Februar 2006. 61 Peter, S. 140 (151). 62 Peter, S. 144 (150 und Fn. 57) . 63 Vgl. Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 32. Sitzung, Plenarprotokoll 16/32 v. 6. April 2006, S. 2743 (C). 64 Riedelsheimer, S. 24; Goethe-Institut. Im Internet unter: http://www.goethe.de/ins/it/lp/ges/de1764680.htm. - 17 - teten Minderjährigen statistisch nicht erfasst wird65. Dies liegt unter anderem an dem Umstand, dass sie aufgrund der sektoralen Handlungsfähigkeit im aufenthaltsrechtlichen Verfahren (§ 80 AufenthG) und im Asylverfahren (§12 AsylVfG) von Behörden häufig wie Erwachsene wahrgenommen und behandelt werden.66 65 Nach Angaben des Parlamentarischen Staatssekretärs Eduard Lintner v. 25. Juni 1997 (BT-Drs. 13/8097) existieren zwar statistische Zahlen darüber, wie viele unbegleitete Minderjährige an der Grenze Asyl begehrt haben, damit sei aber nichts über die endgültige Zahl der Asylbegehrenden gesagt . 66 Riedelsheimer, S. 24; Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge. Im Internet unter: http://www.b-umf.de/pdf/Wahlpruefsteine%202005.pdf. - 18 - 4. Literaturangaben Geiger, Rudolf (2002): Grundgesetz und Völkerrecht, 3. Auflage, München. Heintschel von Heinegg, Wolff (2005): Casebook Völkerrecht, München. Herdegen, Matthias (2006): Völkerrecht, 5. Auflage, München. Maunz, Theodor / Dürig, Günter (2005): Grundgesetz, Kommentar, Band IV, Art. 28-69, Lieferungen 1-45, München. Maurer, Hartmut (2003): Staatsrecht, 3. Aufl., München. Peter, Erich (2006): Die deutsche Ratifikationserklärung zur UN- Kinderrechtskonvention im Diskurs, Dokumentationen der rechtspolitischen Kontroverse um eine Rücknahme der deutschen Ratifikationserklärung. Im Auftrag der Kindernothilfe e.V., September 2006, Bremen. Peter, Erich (2002): Die Rücknahme des deutschen Ausländervorbehalts zur UN- Kinderrechtskonvention, in: ZAR 4/2002, S. 144-151. Riedelsheimer, Albert (2006): Die Rechte von Flüchtlingskindern stärken, in: Die Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen stärken: Dokumentation eines Fachgesprächs über die Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland. Deutsches Institut für Menschenrechte, Februar 2006, Berlin. Schweitzer, Michael (2004): Staatsrecht III, Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, 8. Auflage, Heidelberg. Stender, Heike (1997): Die Kinderrechtskonvention, in: MRM, Heft 4/ 1997, S. 21- 24. Vitzthum, Wolfgang Graf (2004): Völkerrecht, 3. Auflage, Berlin. Von Winter, Thomas/Paulus, Anna-Maria, Die UN-Kinderrechtskonvention und ihre Bindungswirkung in der deutschen Rechtsordnung, Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 07.09.2006, WD 2 – 160/06 Weiß, Norman (2000): Zehn Jahre Kinderrechtskonvention - ist die Euphorie verflogen ?, in: MRM, Heft 1/2000, S.17 ff.