© 2021 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 038/21 Sicherheitspolitische Fragen zu Anti-Personen-Minen, improvisierten Sprengvorrichtungen und explosiven Kampfmittelrückständen unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Lage in Syrien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 2 Sicherheitspolitische Fragen zu Anti-Personen-Minen, improvisierten Sprengvorrichtungen und explosiven Kampfmittelrückständen unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Lage in Syrien Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 038/21 Abschluss der Arbeit: 31. Mai 2021 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 5 2. Völkerrechtliche Grundlagen 6 2.1. Minentypologisierung 7 2.2. Verbotener Anti-Personen-Minen-Typ in Syrien (Beispiel) 8 2.3. Anwendungsabhängig (un-)erlaubter Anti-Personen-Minen-Typ in Syrien (Beispiel) 9 3. Anti-Personen-Minen weltweit 11 3.1. Verbreitung 11 3.2. Anti-Personen-Minen-Bestände 13 3.3. Produktion und Verbreitung 13 3.4. Räumungsfortschritte und -kosten. 14 3.5. Opferzahlen 15 4. Völkerrechtliche Situation 16 4.1. Sicherheitspolitische Situation 16 4.2. Völkerrechtliche Regulierungen 18 4.3. Irreguläre Kampfführung 19 5. Deutsche Friedenspolitik und Hilfeleistungen im Kampf gegen Anti-Personen-Minen 19 5.1. Friedenspolitik der deutschen Regierung 19 5.2. Hilfeleistungen der Bundesrepublik im Kampf gegen Anti- Personen-Minen 20 6. Lage in Syrien 21 6.1. Beispiel 1: Lage Ayn Al Arab/Kobane und Tal Abyad im Anschluss an der Kampagne gegen Daesh zwischen Sommer 2014 und Sommer 2015 22 6.2. Beispiel 2: Alltagslage in Raqqa nach der Befreiung im Jahr 2018 23 6.3. Lagebewertung durch Mine Action Review 26 6.3.1. Anti-Personen-Minen in Syrien 26 6.3.1.1. Lagefeststellungen von Mine Action Review 26 6.3.1.2. Empfehlungen von Mine Action Review 26 6.3.2. Einsatz von Streumunition in Syrien 27 6.3.2.1. Lagefeststellungen von Mine Action Review 27 6.3.2.2. Entschärfungs- und Räumungsmaßnahmen der „Weißhelme“ 2019 27 6.3.2.3. Empfehlungen von Mine Action Review 28 6.3.3. Räumungsarbeiten 29 6.4. Bilanz nach zehn Jahren Bürgerkrieg in Syrien 35 6.4.1. Gesamtbilanz 35 6.4.2. Blindgänger 35 6.4.3. Explosive Vorfälle laut den Vereinten Nationen 36 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 4 6.4.4. Gefahrenbewertung des Landmine Monitor 36 6.4.5. Aktuelle Übersicht der Lage seit Beginn des Bürgerkrieges 38 6.4.6. Gefährdungslage der Zivilbevölkerung seit Beginn des Bürgerkrieges 39 6.4.6.1. Anzahl der zivilen Opfer 39 6.4.6.2. Statistiken zu Ursachen und Auswirkungen 39 6.5. Wirtschaftliche Implikationen 40 6.6. Räumungs- und Hilfebeitrag der Bundesregierung 41 6.6.1. 2019 42 6.6.2. 2018 43 6.6.3. 2017 44 6.6.4. 2016 44 6.6.5. 2015 45 7. Fazit 45 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 5 1. Einführung Weltweit gibt es schätzungsweise 110 Millionen verlegte – und wahrscheinlich noch scharfe Minen –1 die potentielle Gefahren für Menschen bedeuten. Derzeit gibt es etwa 500.000 überlebende Minenopfer2 3, die die Berührung mit einer Mine mit einer Behinderung überlebt haben und von diesem Augenblick an, lebenslange meist kostenintensive Unterstützung und Betreuung brauchen. Erblindung, Gehörverlust, Verbrennungen und Verstümmelungen an Beinen oder Armen sind typische Landminenverletzungen. Ein Großteil der Opfer sind Zivilisten: 2019 lag ihr Anteil bei 80 Prozent.4 Im gleichen Erhebungsjahr waren 43 Prozent der weltweit registrierten Minenopfer Kinder.5 Die Nicht-Regierungsorganisation Handicap International bemerkt in ihrem neuesten Bericht: „Zum fünften Mal in Folge wurden auch 2019 wieder die meisten der Opfer durch selbstgebaute Minen [sogenannte IEDs, A.d.R.]6 verursacht: Von den insgesamt 5.554 registrierten Minenopfern 2019 wurden 2.994 Menschen durch derartige Minen getötet oder verletzt“.7 Von den 5.554 hinzugekommenen Minenopfern im Jahr 2019 waren laut Handicap International etwa 20 Prozent (1.125) im Bürgerkriegsland Syrien.8 1 Facts About Landmines, Minesweeper, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://landminefree.org/facts-aboutlandmines / 2 USA überprüfen Haltung zu Landminen-Verbot, 26. November 2009, Die Zeit, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2009-11/landminen-usa-verbot 3 Der unsichtbare Feind, 19. Juli 2017, Bundesministerium der Verteidigung, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/engagement-in-afrika/herausforderungen/waffenhandel/landminen /der-unsichtbare-feind-12576 4 Landminen, der unsichtbare Feind, Bundesministerium der Verteidigung, undatiert, abgerufen am 20. Mai 2021 unter https://www.bmvg.de/de/themen/dossiers/engagement-in-afrika/herausforderungen/waffenhandel/landminen 5 Landminen Monitor 2020: 5.500 Minenopfer in über 50 Staaten, 12. November 2020, Handicap International e.V., Pressemitteilung abgerufen am 28. Mai 2021 über Pressportal.de unter https://www.presseportal .de/pm/16206/4759908 6 In der englischen Terminologie: Improvised Explosive Device (IED); zu Deutsch: improvisierte Sprengvorrichtung oder auch unkonventionelle Sprengvorrichtung. 7 Landminen Monitor 2020: 5.500 Minenopfer in über 50 Staaten, 12. November 2020, Handicap International e.V., Pressemitteilung abgerufen am 28. Mai 2021 über Pressportal.de unter https://www.presseportal .de/pm/16206/4759908 8 Landminen Monitor 2020: 5.500 Minenopfer in über 50 Staaten, 12. November 2020, Handicap International e.V., Pressemitteilung abgerufen am 28. Mai 2021 über Pressportal.de unter https://www.presseportal .de/pm/16206/4759908 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 6 Diese Zahlen, wie alle Zahlenwerke in dieser Arbeit, müssen mit der nötigen Skepsis und mit dem gebotenen Pragmatismus behandelt werden, denn sie können nur annähernd die Realität abbilden. Egal wie akribisch und fundiert diese Fall- und Opferzahlen erhoben wurden, es muss davon ausgegangen werden, dass in den Wirren des modernen Krieges die zweifelsfrei registrierten Fälle nur einen Bruchteil der Realität darstellen können und dass es eine – vermutlich (sehr) hohe – Dunkelziffer gibt. Diese Dunkelziffer wird in der Regel aber wenig beachtet. 2. Völkerrechtliche Grundlagen Bereits seit 1983 gilt das unter der Ägide der Vereinten Nationen 1980 abgeschlossene Übereinkommen über das Verbot und den Einsatz bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßiges Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (kurz: VN-Waffenübereinkommen).9 Am 1. März 1999 trat zusätzlich das am 18. September 1997 vereinbarte Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personen- Minen und über deren Vernichtung (kurz: Ottawa-Übereinkommen)10 in Kraft, das Anti-Personen- Minen explizit ächtet und ihre Vernichtung regelt. Seit 2010 gilt darüber hinaus das 2008 verabredete Übereinkommen über Streumunition11 (kurz: Oslo-Übereinkommen), welches das Verbot von Streumunition12 regelt. 9 Übereinkommen über das Verbot und den Einsatz bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßiges Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (VN-Waffenübereinkommen), 10. Oktober 1980, Stand vom 10. Mai 2017, S. 34, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://www.bundespublikationen.admin.ch/cshop_mimes _bbl/8C/8CDCD4590EE41ED7909D3684936176DE.PDF 10 Übereinkommen vom 18. September 1997 über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung (Ottawa-Übereinkommen) (Englisches Original und deutsche Übersetzung), 18. September 1997, 15. S., AP Mine Ban Convention Implementation Support Unit Geneva International Centre for Humanitarian Demining, abgerufen am 18. Mai 2021 unter https://www.apminebanconvention.org/fileadmin/APMBC/other_languages/german/MBC/APMBC-Text-ge.pdf 11 Übereinkommen über Streumunition (Oslo-Übereinkommen), (Deutsch, englische, französische Version), Auswärtiges Amt, S. 24, abgerufen am 18. Mai 2021 unter https://www.auswaertigesamt .de/blob/204778/b0c132557a6c64ca67116f638d3be4a2/081203-abkommenstreumunition-data.pdf 12 Streumunition (im Englischen Cluster munition) sind Submunition (im Englischen Bomblets), die in einem Behälter (einer Kassettenbombe, einer Schüttbombe oder einer Artillerierakete) enthalten sind. Nach dem Abwurf (bei Fliegerbomben) oder nach dem Abfeuern verlassen diese kleineren Submunitionen ihren Behälter über dem Zielgebiet und werden unkontrolliert über eine große Fläche verstreut. Das besondere Problem von Streumunition ist, dass Blindgänger besonders häufig sind (manchmal bis zu 30 Prozent), etwa weil die Munition in Bäumen hängen bleibt). Vgl. Cluster Munition Contamination, Where are Cluster Munitions? What is there Legacy?, Factsheet, International Committee of the Red Cross (ICRC), 2010, abgerufen unter https://www.icrc.org/en/doc/assets/files/other/cluster-munition-contamination-factsheet-2010.pdf ; Was ist Streumunition?, Handicap International, abgerufen am 20. Mai 2021 unter https://www.landmine.de/infosueber -minen-und-streumunition/was-ist-streumunition/ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 7 2.1. Minentypologisierung Landminen13 werden grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilt: Anti-Personen-Minen (APM), die zur Bekämpfung von Personen dienen, und Anti-Fahrzeug-Minen (AFM), die zur Bekämpfung von Fahrzeugen dienen. Im Fall von Anti-Personen-Minen wird auch zwischen Spreng-, Splitter- und Richtminen unterschieden , wobei Richtminen14 zur Personen-Bekämpfung in der Praxis eine Unterkategorie der Gattung „Splittermine“ sind. Springminen15, die bei Auflösung zunächst auf etwa einen Meter Höhe hochgeschleudert werden bevor sie explodieren, sind auch eine Unterkategorie der Gattung „Splittermine“. Sprengminen töten oder verletzen aufgrund der Druckwelle nach der Explosion. Bei Splitterminen dagegen wird der Verletzungs- oder Tötungseffekt vorrangig durch Splitter und/oder Stahlkugeln erzeugt, die bei der Explosion vom Sprengstoff auf hohe Geschwindigkeit beschleunigt werden und somit gravierende Verletzungen verursachen können. Die Druckwelle spielt bei diesem Minentypus eine nur sekundäre Rolle. Unterschieden wird auch nach Zündungsmechanismus. Zur Anwendung kommen zum Beispiel Druckzünder (das Opfer läuft auf die Mine), Zugzünder (das Opfer verfängt sich in ein Stolperdraht ), Fernzünder (die Mine wird aufgrund einer Beobachtung bzw. Lagefeststellung von einer Person aus der Ferne aktiviert), etc… Vereinfacht gesagt können zwei Kategorien von Effekten beabsichtigt sein: Verletzung oder Tötung. Wird primär die Tötung einer möglichst großen Anzahl von Personen beabsichtigt, so kommen in der Regel Splitterminen mit hohem Sprengstoffanteil und Stahlkugeln zum Einsatz. Wird primär jedoch „nur“ die Verletzung von Personen – zum Beispiel zwecks Moralzersetzung oder Mobilitätseinschränkung16 – beabsichtigt, so werden in der Regel kleinere Sprengminen verwendet, die – weil sie kein oder kaum Metall aufweisen – besonders schwer aufzuspüren sind. Einen umfangreichen und fachlich qualifizierten Überblick der verschiedenen industriell gefertigten Minentypen und explosiven Kampfmittel sowie eine Auswahl von improvisierten 13 Was sind Landminen?, Handicap International, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://www.landmine.de/infos -ueber-minen-und-streumunition/was-sind-landminen/ 14 Richtminen mit Hohlladungen sind zwar keine Splitterminen, finden in der Anti-Personen-Bekämpfung aber keine Anwendung, da sie zur Bekämpfung von gepanzerten Fahrzeugen ausgelegt sind. 15 Springminen (S-Mine) wurden in Deutschland erfunden und ab 1935 als S.Mi.35 bzw. S.Mi.44 produziert. 16 Eine kämpfende Einheit wird immer ihre Verletzten versorgen. Da Verletzte in der Regel zwei bis drei Soldaten zur Versorgung binden, wird die Kampfkraft der Einheit entsprechend geschmälert. Darüber hinaus wird die Mobilität der Gruppe stark eingeschränkt oder kommt bei hohen Verlusten gar zum Erliegen, da ab dem Zeitpunkt eines Vorfalls, die Marschgeschwindigkeit sich an die der Verletzen richten muss. Aus dieser Logik heraus kann es die Absicht sein, primär zu verletzen anstatt zu töten. Eine solche Taktik entfaltete zum Beispiel der Vietkong im Vietnam-Krieg (1955-75) gegen die Amerikaner. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 8 Sprengvorrichtungen (IED) aus aller Welt bietet die Internet-Seite Collective Awarness To UXO17 (www.cat-uxo.com)18. Minen, die primär (das heißt dem Baumuster und/oder der Anwendung nach) zur Bekämpfung von Personen eingesetzt werden und vom Opfer selbst ausgelöst werden, sind durch das Ottawa- Übereinkommen von 1999 völkerrechtlich wirksam verboten. Minen, die nicht zur Bekämpfung von Personen sondern zur Bekämpfung von Fahrzeugen dienen, fallen nicht unter das derzeitige Verbot. In einigen Fällen bestimmt die Anwendungsform der Mine das Verbot beziehungsweise die völkerrechtliche Zulässigkeit, denn das Ottawa-Übereinkommen verbietet explizit nur Minen, die automatisch auslösen (vgl. Beispiele 2.2 / Abbildung 1). Von Menschenhand ferngezündete Minen werden dagegen nicht erfasst und gelten daher nicht als verboten im Sinne des humanitären Völkerrechts. 2.2. Verbotener Anti-Personen-Minen-Typ in Syrien (Beispiel) Laut zahlreichen übereinstimmenden Berichten von Nicht-Regierungsorganisationen hat die Syrische Nationalarmee schon kurz nach Anfang des Bürgerkrieges im Jahr 201119 angefangen völkerrechtlich verbotene Anti-Personen-Minen an den Grenzen zur Türkei und zum Libanon zu verlegen.20 Zur Anwendung kam unter anderem die Anti-Personen-Mine vom Typ PMN-2 (Russisch: ПМН-2) aus sowjetischer Produktion (das Muster wurde in den 1970er Jahren eingeführt). Die Mine verletzt oder tötet mit einer Ladung von 240g TNT und kann praktisch nicht mehr neutralisiert werden, nachdem sie verlegt wurde, denn die Entschärfung erfordert spezielle Werkzeuge. Auch die Zerstörung in situ durch Zündung von Sprengstoff erfordert einen besonderen Aufwand, da die Mine gegen Überdruck (also gegen eine explosive Druckwelle von außen) geschützt ist. 17 UneXploded Ordnance (UXO) zu Deutsch: nicht explodiertes Kampfmittel. 18 www.cat-uxo.com 19 Als Anfangsdatum für den Bürgerkrieg gilt März 2011. Erste Minen-Verlegungen werden schon 2012 beschrieben. 20 Syria: Army Planting Banned Landmines, Witnesses Describe Troops Placing Mines Near Turkey, Lebanon Borders, 13. März 2012, Human Rights Watch, abgerufen am 21. Mai 2021 unter https://www.hrw.org/news/2012/03/13/syria-army-planting-banned-landmines Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 9 Abb. 1: Völkerrechtlich verbotene Anti-Personen-Mine vom Typ PMN-2 (ПМН-2) aus sowjetischer/russischer Produktion, die laut der Nicht-Regierungsorganisation Human Rights Watch im Januar 2012 von der Syrischen Nationalarmee an der Grenze zur Türkei verlegt wurde.21 2.3. Anwendungsabhängig (un-)erlaubter Anti-Personen-Minen-Typ in Syrien (Beispiel) Das Ottawa-Übereinkommen verbietet explizit nur Minen, die automatisch auslösen, von Menschenhand ferngezündete Minen werden dagegen nicht erfasst, so dass es ein Trugschluss ist, zu glauben, dass Anti-Personen-Minen gänzlich vom Schlachtfeld verschwunden sind. Die 1960 in Dienst gestellte US-amerikanische M18 Claymore22 Anti-Personen-Richtmine, beispielsweise, ist so konzipiert, dass sie bei der Detonation ca. 700 Stahlkugeln in einem 60°- Winkel Richtung Feind projizieren kann. Die effektive Reichweite liegt bei ca. 100m. In einer Entfernung von 50m sind Treffer in der Regel tödlich und die Trefferwahrscheinlichkeit eines Mannziels liegt bei 30 Prozent. Dieses Baumuster wurde von den USA weltweit exportiert und ist mit kleinen Unterschieden von vielen Ländern kopiert oder weiterentwickelt worden. Eine dieser Kopien ist die im Iran hergestellte M18A2, die in Syrien zur Anwendung kam (vgl. Abb. 2). Solche Minen sind umstritten, denn sie können entweder als Falle ausgelegt werden und zum Beispiel mit einem Stolperdraht vom Opfer selbst ausgelöst werden – in welchem Fall 21 Abbildung aus: Syria: Army Planting Banned Landmines, YouTube-Kanal von Human Rights Watch, 14. März 2012, Bild an der Position 0:08 Sekunden, abgerufen am 21. Mai 2021 unter https://www.youtube .com/watch?v=4YmNwIgM76U 22 M18 Claymore, Wikipedia, abgerufen am 21. Mai 2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/M18_Claymore Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 10 sie durch das Ottawa-Übereinkommen verboten sind – oder von einem Menschen fernausgelöst werden – in welchem Fall sie von dem Ottawa-Übereinkommen nicht verboten sind. Abb. 2: Iranische M18A2 Anti-Personen-Richtmine. Die Mine wurde von Antiregierungsmilizen im Juni 2016 bei Aleppo gefunden.23 23 Das Bild stammt aus einem Eintrag vom 17. Juni 2016 von dem mittlerweile gesperrten Twitter-Konto der Gruppe Ajnad al-Sham; Quelle: Iranian directional anti-personnel mines in Syria, Galen Wright, 29. Juni 2016, The Hoplite, Armament Research Services, abgerufen am 21. Mai 2016 unter https://armamentresearch.com/iranian -directional-anti-personnel-mines-in-syria/ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 11 3. Anti-Personen-Minen weltweit24 3.1. Verbreitung 60 Staaten und Gebiete25 sind (Stand Oktober 2020) von Landminen verseucht. Davon sind 33 Staaten Unterzeichner des Ottawa-Übereinkommen, 22 sind keine Unterzeichner und fünf sind „Nicht-Staatliche Gebiete“. Massive Verseuchung (mehr als 100km²) wird in den zehn folgenden Vertragsstaaten vermutet: Afghanistan*, Äthiopien*, Bosnien und Herzegowina*, Jemen*, Kambodscha*, Kroatien*, Irak*, Thailand*, Türkei*, und der Ukraine*.26 27 Die Staaten und Gebiete, wo eine Bedrohung durch Anti-Personen-Minen nachweislich festzustellen ist, sind folgende: Abchasien, Afghanistan*, Ägypten, Angola*, Argentinien*, Armenien, Aserbaidschan, Äthiopien*, Bergkarabach, Bosnien und Herzegowina*, China, Demokratische Republik Kongo*, Ecuador*, Eritrea*, Georgien, Großbritannien*, Indien, Irak*, Iran, Israel, Jemen*, Kambodscha*, Kirgisistan, Kolumbien*, Kosovo, Kroatien*, Kuba, Laos, Libanon, Libyen, Marokko, Mauretanien*, Myanmar, Niger*, Nigeria*, Nordkorea, Oman*, Pakistan, Palästina*, Peru*, Russland, Senegal*, Serbien*, Simbabwe*, Somalia*, Somaliland, Sri Lanka*, Sudan*, Südkorea, 24 In diesem Kapitel wird durchgehend auf das Landminen Faktenblatt 2020 der Nicht-Regierungsorganisation Handicap International als Quelle rekurriert. Das Landminen Faktenblatt 2020 bezieht sich auf das Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition der International Campaign to Ban Landmines – ICBL (zu Deutsch: Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen). Die Initiative wurde im Oktober 1992 von sechs Nicht- Regierungsorganisationen Handicap International (jetzt Humanity & Inclusion), Human Rights Watch, Medico International, Mines Advisory Group, Physicians for Human Rights, und Vietnam Veterans of America Foundation ins Leben gerufen. Das Netzwerk fasst heute über 1.200 nicht-staatliche Organisationen in 90 Ländern zusammen. Handicap International e.V. ist der deutsche Verein der internationalen Organisation Humanity & Inclusion. Der Klarheit halber wurde eine weitestgehend wortgleiche Übernahme vorgezogen, während der Lesbarkeit wegen auf Einführungszeichen verzichtet wurde. Die genaue Fundstelle im Originaldokument wurde in der jeweiligen Fußnote stets angegeben. Vgl. auch: Chronologie der Internationalen Kampagne gegen Landminen, Anne Jung & Ines Thomsen, 15. März 2009, Medico International, abgerufen am 15. Mai 2021 unter der Internationalen Kampagne gegen Landminen - medico international 25 Nicht-staatliche Gebiete werden kursiv dargestellt. 26 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 5, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL-CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 27 Die Vertragsstaaten des Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personen-Minen und über deren Vernichtung (kurz: Ottawa-Übereinkommen) vom 1. März 1999 sind im Text mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 12 Südsudan, Syrien, Tadschikistan*, Thailand*, Tschad*, Türkei*, Ukraine *, Usbekistan, Vietnam, Westsahara, Zypern*.28 Dazu kommen sieben Staaten – allesamt Vertragsstaaten des Ottawa-Übereinkommens – in denen eine gewisse unbestimmte Verseuchung oder eine Restverminung vermutet wird: Algerien*, Burkina Faso*, Kamerun*, Kuwait*, Mali*, Nicaragua*, Tunesien*.29 2019 gab es vom Nichtvertragsstaat Myanmar und von nicht-staatlichen Gruppen in Afghanistan*, Kolumbien*, Indien, Libyen, Myanmar und Pakistan nachweislich neue Kontaminierungen mit Landminen.30 Der Landmine Monitor31, eine Publikation der Internationalen Kampagne für das Verbot von Landminen (Englisch: International Campaign to Ban Landmines – ICBL), stellte schon seit der Veröffentlichung des ersten Berichts im Jahr 1999 und seitdem durchgehend, den Einsatz von Anti-Personen-Minen in Myanmar durch Regierungskräfte und durch verschiedene nichtstaatliche bewaffnete Gruppen (Englisch: Non-State Armed Groups – NSAGs)32 fest. Die Regierung Myanmar bestreitet offiziell einen solchen Einsatz.33 Nichtstaatliche bewaffnete Gruppen verwendeten 2019 in mindestens sechs Ländern Minen: Afghanistan*, Indien, Kolumbien*, Libyen, Myanmar und Pakistan. Bislang unbestätigte Verwendung von Minen durch NSAGs betreffen 13 weitere Länder: Ägypten, Burkina Faso*, Jemen*, Kamerun*, Mali*, Niger*, Nigeria*, Philippinen*, Somalia*, Syrien, Tschad*, Tunesien*, Türkei*. 28 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 2, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 29 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 2, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 30 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 1, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 31 Landmine & Cluster Munition Monitor, abrufbar unter www.the-monitor.org 32 Manchmal auch als Violent Non-State Actors (VNSA) oder Non-State Armed Actors (NSAA) bezeichnet. 33 Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL-CMC), November 2020, S. 24, abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 13 3.2. Anti-Personen-Minen-Bestände Weltweit gibt es immer noch große Bestände an Landminen. Der Landmine Monitor geht davon aus, dass mindestens 30 der 32 Nichtunterzeichnerstaaten des Ottawa-Übereinkommens Landminen lagern. 1999 schätzte der Landmine Monitor, dass die Nichtunterzeichnerstaaten zusammen über 160 Millionen Landminen lagerten. Heute wird von einem weltweiten Bestand von unter 50 Millionen gelagerten Anti-Personen-Minen ausgegangen. Insgesamt wurden bisher 55 Millionen gelagerte Anti-Personen-Minen zerstört. Davon wurden im Jahr 2019 mehr als 269.000 Landminen zerstört.34 Russland als Nicht-Vertragsstaat besitzt mehr als die Hälfte der weltweit gelagerten Anti-Personen -Minen (26,5 Millionen). Drei Vertragsstaaten besitzen etwa 4 Millionen Anti-Personen-Minen, die noch zerstört werden müssen: die Ukraine (3,3 Millionen), Griechenland (343.413) und Sri Lanka (62.510). Griechenland und die Ukraine verstoßen nach wie vor gegen das Übereinkommen, da beide Länder die aufeinander folgenden Fristen für die vollständige Zerstörung ihrer Lagerbestände versäumt haben.35 3.3. Produktion und Verbreitung Im Jahr 1999 wurden etwa 50 Länder als Produktionsstätte von Landminen erfasst. 40 Staaten haben mittlerweile die Produktion von Anti-Personen-Minen eingestellt, darunter drei, die nicht Mitglied des Minenverbotsabkommens sind: Ägypten, Israel und Nepal. 2018 wurden vom Landmine Monitor immer noch 11 Länder als Produzenten von Anti-Personen- Minen genannt. 2019 waren es jedoch schon wieder 12, denn die USA36 wurden wieder in die Liste aufgenommen, so dass nunmehr folgende Länder als Produktionsstätte von Landminen gelten: 34 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 4, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 35 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 4, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 36 Die USA haben ihre politische Verpflichtung von 2016, keine Antipersonenminen mehr herzustellen am 31. Januar 2020 zurückgenommen: vgl. Policy on Landmines, Memorendum, secretary of Defense, Department of Defense, 31. Januar 2020, abgerufen am 17. Mai 2021 unter https://media.defense .gov/2020/Jan/31/2002242359/-1/-1/1/DOD-POLICY-ON-LANDMINES.PDF Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 14 China, Kuba, Indien, Iran, Myanmar, Nordkorea, Pakistan, Russland, Singapur, Südkorea, USA und Vietnam.37 Mindestens acht Nicht-Mitgliedstaaten des Abkommens haben den Export von Anti-Personen- Minen offiziell gestoppt: China, Indien, Israel, Kasachstan, Pakistan, Russland, Singapur und Südkorea. Die Länder, in denen sehr wahrscheinlich aktiv produziert wird, sind: Indien, Myanmar und Pakistan.38 Mindestens neun Staaten, die nicht Vertragsparteien des Minenverbotsabkommens sind, haben formelle Moratorien für den Export von Anti-Personen-Minen erlassen: China, Indien, Israel, Kasachstan, Pakistan, Russland, Singapur, Südkorea und USA. Andere frühere Exporteure, darunter Kuba und Vietnam, haben in Erklärungen angekündigt, dass sie die Ausfuhr eingestellt haben. Der Iran behauptet – trotz gegenteiliger Beweise39 – 1997 seine Exporte gestoppt zu haben.40 3.4. Räumungsfortschritte und -kosten. Vor dem Verbot von Anti-Personen-Minen schätzten die Vereinten Nationen, dass ca. 110 Millionen Landminen in über 70 Ländern verlegt wurden. Das US-Außenministerium schätzte dagegen die Zahl auf 70 Millionen.41 37 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 3, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 38 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 3, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 39 Vgl. z.B. Iranian directional anti-personnel mines in Syria, Galen Wright, 29 Juni 2016, The Hopelite, Armament Research Services abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://armamentresearch.com/iranian-directional-anti-personnel -mines-in-syria/ 40 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 4, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 41 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 3, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 15 Die globalen Mittel für Minenaktionsprogramme erreichten im Jahr 2019 insgesamt 650,7 Millionen US-Dollar. Das waren etwa 48,8 Millionen US-Dollar oder sieben Prozent weniger als im Vorjahr. Trotzdem konnten im Jahr 2019 mindestens 156km² Land von insgesamt 123.375 Minen befreit werden. 2018 waren es 98.000 Minen auf 146 km² Land.42 Zum Vergleich: die nordfriesische Insel Sylt hat eine Fläche von 99,14km².43 Die größten Räumungen, die zusammen rund 86 Prozent ausmachen, finden in Afghanistan, Kroatien Kambodscha und Irak statt. 2019 wurde in Afghanistan, Irak und Jemen die Minenräumung trotz anhaltender Konflikte fortgesetzt.44 Räumungsbemühungen in Syrien werden aufgrund des andauernden Konfliktes und der faktischen Teilung des Landes erschwert. 3.5. Opferzahlen Seit Anfang der Erfassung 1999 hat der Landmine Monitor über 130.000 Minen-Opfer und Opfer von sogenannten explosiven Kampfmittelrückständen45 gezählt, darunter 90.000 Überlebende. Aufgrund der anzunehmenden Dunkelziffer gehen Schätzungen davon aus, dass die reale Zahl bis zu dreimal höher ist. Bis zum Jahr 2000 galt eine allgemeine Schätzung von jährlich bis zu 26.000 Opfern von Landminen.46 Seitdem sind die Opferzahlen sehr spürbar zurückgegangen. 2019 war jedoch das fünfte Jahr in Folge mit außergewöhnlich hohen Zahlen verletzter und getöteter Menschen durch Landminen und explosiven Kampfmittelrückständen. Der Landmine Monitor verzeichnet 5.554 Opfer von Minen und explosiven Kampfmittelrückständen in 50 verschiedenen Ländern und fünf Gebieten, wovon mindestens 2.170 Menschen getötet wurden. Obwohl die Gesamtzahl 2019 niedriger war als im Jahr 2018, war sie immer noch 42 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 5, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 43 Vgl. Sylt, Wikipedia, abgerufen am 17. Mai 2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Sylt 44 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 5, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 45 Gebräuchlich ist auch die englische Bezeichnung Explosive Remnants of War (ERW). 46 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 1, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 16 60 Prozent höher als die niedrigste festgelegte jährliche Zahl von 3.457 getöteten und verletzten Menschen im Jahr 2013. Die anhaltend hohen Zahlen sind vor allem auf Länder mit andauernden oder sich verschärfenden bewaffneten Konflikten zurückzuführen: Afghanistan*, Mali*, Ukraine*, Jemen*, Nigeria*, Irak, Kolumbien*. Von den 5.554 für 2019 verzeichneten betroffenen Menschen waren (so weit Status, Geschlecht und Alter bekannt): 47 80 Prozent zivile Opfer (Anstieg von 12,7 Prozent im Vergleich zum Landminen Monitor 2019 für das Erhebungsjahr 2018) davon 43 Prozent Kinder (Abnahme von 9,3 Prozent im Vergleich zum Landminen Monitor 2019 das Erhebungsjahr 2018) 85 Prozent waren Jungen bzw. Männer, 15 Prozent waren Mädchen bzw. Frauen 4. Völkerrechtliche Situation 4.1. Sicherheitspolitische Situation Besonders das sogenannte Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personen-Minen und über deren Vernichtung (kurz: Ottawa-Übereinkommen) vom 1. März 1999, dem bis heute 164 Staaten beigetreten sind, begründete eine Wende und eine weitreichende Abrüstung beziehungsweise eine de facto weitreichende Ächtung von Landminen48. Trotzdem fehlen weiterhin die Unterschriften von 32 Staaten, darunter auch von entscheidenden Staaten wie Russland (das Land besitzt die Hälfte der Weltbestände), China und den USA. 47 Landminen Faktenblatt 2020, Handicap International, S. 5, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicapinternational .de/sn_uploads/de/document/Fact-Sheet_Landmine-Monitor2020_final.pdf ; Landmine Monitor 2020, 22nd Annual Edition International Campaign to Ban Landmines – Cluster Munition Coalition (ICBL- CMC), November 2020, 132 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media /3168934/LM2020.pdf 48 Die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen (Englisch: International Campaign to Ban Landmines – ICBL) erhielt 1997 den Friedennobelpreis. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 17 Am 31. Januar 2020 haben die USA sogar die Beendigung ihres politischen Verzichts auf der Produktion von Landminen bekanntgegeben und damit eine Kehrtwende gegenüber dem 2014 erklärten Verzicht vollzogen.49 50 Darüber hinaus bewirken die Spannungen mit Russland an der Ostgrenze der EU seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014, Überlegungen von potentiell bedrohten Ländern wie Polen oder Finnland,51 bestimmte Anti-Personen-Minen wieder einzuführen beziehungsweise neuartige Konzepte52 53 einzuplanen, um das Verbot durch das Völkerrecht zu umgehen.54 49 Claymore goodbye? USA verzichten auf neue Antipersonen-Minen, Thomas Wiegold, 27. Juni 2014, Augen geradeaus!, abgerufen am 17. Mai 2021 unter https://augengeradeaus.net/2014/06/claymore-goodbye-usa-verzichten -auf-neue-antipersonen-minen/ 50 Die USA haben ihre politische Verpflichtung von 2016, keine Anti-Personen-Minen mehr herzustellen am 31. Januar 2020 zurückgenommen: vgl. Policy on Landmines, Memorendum, secretary of Defense, Department of Defense, 31. Januar 2020, abgerufen am 17. Mai 2021 unter https://media.defense .gov/2020/Jan/31/2002242359/-1/-1/1/DOD-POLICY-ON-LANDMINES.PDF 51 Besonders im finnischen Fall ist die Überlegung einer Nachrüstung mit Anti-Personen-Minen als Antwort auf die allgemeinen russischen Drohgebärden sowie die Besetzung der Krim im Jahr 2014 aus verteidigungspolitischer Sicht nachvollziehbar. Das Land hat eine Grenze von 1.340 km zu Russland und eine Bevölkerung von nur 5,5 Millionen Einwohner bei einer Gesamtfläche von ca. 338.000 km² (Deutschland 357.000 km²). Unvergessen ist in Finnland auch der Überfall der Sowjetunion am 30. November 1939, der im Winterkrieg (Finnisch: Talvisota; schwedisch: Vinterkriget) vom 30. November 1939 bis zum 13. März 1940 und im Fortsetzungskrieg (Finnisch: Jatkosota, schwedisch: Fortsättningskriget) vom 25. Juni 1941 bis zum 19. September 1944 mündete. Im Zuge dieser bewaffneten Auseinandersetzungen und der darauffolgenden Friedensverträge musste Finnland ca. 10 Prozent seines Territoriums an die Sowjetunion abtreten und erhebliche Kriegsreparationen leisten. 52 Die Rückkehr des Minenkriegs, Björn Müller, 7. Februar 2018, Offizier.ch, (basierend auf dem Manuskript der Sendung Streitkräfte und Strategien, 30. Dezember 2017, NDR), abgerufen am 17. Mai 2021 unter https://www.offiziere.ch/?p=32656 53 Denkbar – und nicht illegal im Sinne des Ottawa-Übereinkommens – wäre zum Beispiel das Anlegen von Minenfeldern, die etwa von Drohnen überflogen bzw. überwacht werden und bei Bedarf manuell von einem Menschen im Hinterland ferngezündet werden. 54 Die Rückkehr des Minenkriegs, Björn Müller, 7. Februar 2018, Offizier.ch, (basierend auf dem Manuskript der Sendung Streitkräfte und Strategien, 30. Dezember 2017, NDR), abgerufen am 17. Mai 2021 unter https://www.offiziere.ch/?p=32656 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 18 4.2. Völkerrechtliche Regulierungen Im Ottawa-Übereinkommen verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten, vereinfacht gesagt, um folgende Schritte:55 - niemals Anti-Personen-Minen zu entwickeln, zu produzieren, anderweitig zu erwerben, zu lagern, aus alten Beständen zurück zu halten oder an dritte zu übertragen, - Minen in ihren Lagerbeständen innerhalb von vier Jahren nach Inkrafttreten des Abkommens zu zerstören, - alle verminten Gebiete auf ihrem Hoheitsgebiet innerhalb von 10 Jahren nach Inkrafttreten des Abkommens zu räumen, - in von Minen betroffenen Ländern Aufklärungsmaßnahmen über minenbezogenen Risiken durchzuführen und die Evakuierung von Zivilisten aus von Minen verseuchten Gebieten zu sichern, - Unterstützung bei der Pflege und Rehabilitierung von Minenopfern sowie an der sozialen und wirtschaftlichen Wiedereingliederung zu leisten, - anderen Vertragsstaaten Unterstützung anzubieten, beispielsweise bei der Versorgung von Überlebenden oder bei der Teilnahme an Räumungsprogrammen , - Verabschiedung nationaler Umsetzungsmaßnahmen (z. B. in Form von nationaler Rechtsvorschriften), um sicherzustellen, dass die Bestimmungen des Vertrags in ihrem Hoheitsgebiet eingehalten werden, - jährlich über die Fortschritte bei der Umsetzung des Vertrags zu berichten, - Minenfreiheit für alle Vertragsstaaten bis 2025 zu erreichen. 55 Treaty in Detail, International Campaign to Ban Landmines, undatiert, abgerufen am 19. Mai 2021 unter http://www.icbl.org/en-gb/the-treaty/treaty-in-detail/treaty-text.aspx (Übersetzung durch den Autor dieser Arbeit . Es gibt keine eine amtliche Übersetzung in deutscher Sprache. Offizielle Versionen des Vertrages sind in Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch, und Spanisch verfügbar). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 19 4.3. Irreguläre Kampfführung In den als „Neuen Kriegen“56 bezeichneten bewaffneten Auseinandersetzungen spielt der Einsatz von „Schwarzmarkt-Minen“57 oder improvisierten Sprengvorrichtungen58 eine zunehmend unglückliche Rolle. Reguläre Streitkräfte können bei Bedarf Minen verlegen, die sich nach einer gewissen Zeit – von, in der Regel, 3 bis 96 Stunden – selbst entschärfen. In regulär geführten Streitkräften werden Lage und Anzahl von verlegten Minen nach strengen Maßstäben dokumentiert59. Dies ist bei irregulären Gruppen und Milizen jedoch nicht der Fall. Daher sind solch mehr oder weniger improvisierte Sprengfälle eine schwer abschätzbare Gefahr – besonders im Rahmen einer Wiederansiedlung der Zivilbevölkerung nach den Kämpfen – denn sie können über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg noch eine reale Gefahr darstellen. Darüber hinaus haben in der Vergangenheit manche Terrorgruppen, allen voran Daesch60, verlorene Gebiete absichtlich mit Landminen verseucht, um eine Rückkehr der Zivilbevölkerung zu erschweren.61 Besonders problematisch ist, dass die Regulierungsmittel des Völkerrechts bezüglich der Kriegführung von irregulären Kampfgruppen nicht greifen. 5. Deutsche Friedenspolitik und Hilfeleistungen im Kampf gegen Anti-Personen-Minen 5.1. Friedenspolitik der deutschen Regierung Deutschland ist Unterzeichnerstaat des VN-Waffenübereinkommen, des Ottawa-Übereinkommen und des Oslo-Übereinkommen. In Deutschland galt bereits seit Juni 1994 ein Exportmoratorium für alle Anti-Personen-Minen, das im Januar 1996 auf unbefristete Zeit verlängert wurde. Im April 1996 erklärte die Bundeswehr 56 Vgl. dazu: Die neuen Kriege, Herfried Münkler, rororo, 2004, 288 S. , https://www.rowohlt.de/buch/herfriedmuenkler -die-neuen-kriege-9783499616532 57 Besonders im Irak ab 2003 haben die Aufständischen über Landminen oder als Landminen umfunktionierte Artilleriegeschosse aus den Arsenalen der ehemaligen irakischen Armee verfügt, die mehrere Jahre lang auf dem Schwarzmarkt verfügbar waren, nachdem die Waffendepots im Nebel des Umsturzes geplündert worden waren. 58 Im englischen Improvised Explosive Device (IED), im Deutschen manchmal auch als Unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung (USBV) umschrieben. 59 Gemäß dem VN-Landminenprotokoll der Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (Englisch: Convention on Certain Conventional Weapons – CCW) vom 10. Oktober 1980, muss die Position von verlegten Minen dokumentiert werden. 60 Daesh (eingedeutscht: Daesch) ist der Akronym für einen auch als Islamic State of Iraq and the Levant (ISIL), im Arabischen al-Dawlah al-Islamīyah fī l-ʻIrāq wa-sh-Shām (Daesh) bzw. Islamic State of Iraq and Syria (ISIS) unerkannten islamischen Protostaat bzw, nach eigener Darstellung, Kalifat. Als Quasi-Staat existierte Daesh von 2014 bis 2019. 61 The threat of the Islamic State’s extensive use of Improvised Explosives, Aaron Anfinson, Nadia Al-Dayel, 21. Juli 2020, International Center for Counter Terrorism – The Hague, abgerufen am 19. Mai 2021 unter https://icct.nl/publication/the-threat-of-the-islamic-states-extensive-use-of-improvised-explosives/ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 20 den vollständigen und bedingungslosen Verzicht auf Anti-Personen-Minen.62 Im gleichen Jahr legte der damalige Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) einen 7-Punkte-Plan zur weltweiten Ächtung von Anti-Personen-Minen vor.63 Damit wurde Deutschland Vorreiter-Nation weltweit. Auch beim „Oslo-Prozess“ zur Ächtung von Streumunition spielte Deutschland eine Vorreiterrolle. Im November 2015 wurden die letzten deutschen Streumunitionsbestände zerstört, wie das Bundeswehr Journal 2015 berichtete: „Zur Zeit des Kalten Krieges verfügte die Bundeswehr über eine halbe Million Behälter Streumunition unterschiedlichen Typs mit insgesamt mehr als 60 Millionen Stück explosiver Submunition. Allerdings hat sie diese Waffen selbst nie eingesetzt. Im Auftrag des Verteidigungsministeriums entsorgten Unternehmen, die auf Kampfmittelbeseitigung spezialisiert sind, in den vergangenen Jahren etwa 50.000 Tonnen der deutschen Cluster-Munition.“64 5.2. Hilfeleistungen der Bundesrepublik im Kampf gegen Anti-Personen-Minen Die politische Vision der Bundesregierung – „Eine minenfreie Welt, in der vulnerable Bevölkerungsgruppen geschützt sind, ihren humanitären Bedürfnissen Rechnung getragen wird und ihre Würde gewährleistet ist“65 – und die angedachte Umsetzungsweise wird in der Strategie des Auswärtigen Amts für Humanitäres Minen- und Kampfmittelräumen im Rahmen der Humanitären Hilfe der Bundesregierung des Auswärtigen Amts veröffentlicht66. In diesem Dokument stellt die Regierung fest: „Das humanitäre Minen- und Kampfmittelräumen ist ein zentraler Bestandteil der humanitären Hilfe und des zivilen Engagements der Bundesregierung in Krisen und Konfikten. Der Sektor verbindet gleichzeitig die Bereiche: humanitäre Hilfe, Abrüstung, Stabilisierung und Entwicklungszusammenarbeit. Zudem ist humanitäres Minen- und 62 Deutschland verzichtet auf die Verwendung, Lagerung und Beschaffung von Anti-Personen-Minen; Deutschland vernichtet alle Anti-Personen-Minen der Bundeswehr nach einem festen Zeitplan; der deutsche Verzicht auf Anti-Personen-Minen gilt zeitlich unbegrenzt und unkonditioniert, d. h. unabhängig von der Entwicklung technischer Alternativen; der völlige Verzicht Deutschlands auf Anti-Personen-Minen ergänzt das bereits bestehende Exportmoratorium. Vgl. : Landminen – Geißeln der Menschheit, Horst Schöttler, Notfallvorsorge 3/1996, abgerufen am 27. Mai 2021 unter http://download.gsb.bund.de/BBK/BBKNV199603.PDF 63 „Dieses Teufelszeug muß weg“ – Klaus Kinkel wirbt für Ächtung von Anti-Personen-Minen, Jochen Pfender, 19. Juli 1996, taz, abgerufen am 20. Mai 2021 unter https://taz.de/!1446994/ 64 Letzte Streubomben der Bundeswehr vernichtet, Bundeswehr Journal, 26. November 2015, abgerufen am 19. Mai 2021 unter https://www.bundeswehr-journal.de/2015/letzte-streubomben-der-bundeswehr-vernichtet/ 65 Auswärtiges Amt für Humanitäres Minen- und Kampfmittelräumen im Rahmen der Humanitären Hilfe der Bundesregierung – 2019-2021, Auswärtiges Amt, 2019, S. 27, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://www.auswaertiges-amt.de/blob/204758/f2a31570b1ea942993cd851024f5514d/minenraeumstrategiedata .pdf 66 Auswärtiges Amt für Humanitäres Minen- und Kampfmittelräumen im Rahmen der Humanitären Hilfe der Bundesregierung – 2019-2021, Auswärtiges Amt, 2019, 40 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://www.auswaertiges-amt.de/blob/204758/f2a31570b1ea942993cd851024f5514d/minenraeumstrategiedata .pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 21 Kampfmittelräumen Ausdruck der deutschen „Außenpolitik mit Mitteln“. Die erste „Strategie des Auswärtigen Amts für Humanitäres Minen- und Kampfmittelräumen im Rahmen der Humanitären Hilfe der Bundesregierung “ wurde 2015 erstellt und ab 2016 implementiert. Seitdem hat sich der Sektor beständig weiterentwickelt und die globalen Bedarfe im Bereich humanitäres Minenräumen haben sich drastisch erhöht – nicht zuletzt durch den massiven Einsatz von improvisierten Landminen und Sprengfallen durch den sogenannten „Islamischen Staat“ in Irak und in Syrien. (…) Diese Strategie dient dem Auswärtigen Amt zur strategischen Orientierung in Maßnahmen zur Unterstützung und Förderung des humanitären Minen- und Kampfmittelräumens im Zeitraum 2019 bis 2021. Sie baut auf der Arbeit und Erfahrung des Auswärtigen Amts im Bereich humanitäres Minen- und Kampfmittelräumen seit 1992 auf und setzt die strategischen Schwerpunkte für die nächsten drei Jahre.“67 6. Lage in Syrien Die Gefährdungslage in Syrien ist besonders dadurch gekennzeichnet, dass nach Gebietsverlusten eine große Anzahl von improvisierten Sprengvorrichtungen (IEDs) von dem sogenannten Islamischen Staat (Daesh) gezielt zurückgelassen wurde, um die rückkehrende Bevölkerung zu terrorisieren. Eine detailliertere Beobachtung und Bewertung der Lage in Syrien ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich. Zur Vertiefung empfiehlt sich hier die Lektüre der Studien Syria Security situation, Country of Origin Information Report vom Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (Englisch: European Asylum Support Office – EASO) (2020)68, Explosive Weapons Use in Syria 67 Auswärtiges Amt für Humanitäres Minen- und Kampfmittelräumen im Rahmen der Humanitären Hilfe der Bundesregierung – 2019-2021, Auswärtiges Amt, 2019, S. 6-7, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://www.auswaertiges-amt.de/blob/204758/f2a31570b1ea942993cd851024f5514d/minenraeumstrategiedata .pdf 68 Syria Security situation, Country of Origin Information Report, Mai 2020, European Asylum Support Office, 322 S. abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://www.ecoi.net/en/file/local/2029305/05_2020_EASO_COI_Report _Syria_Security_situation.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 22 (Report 1, 2, 3, 4)69, The Carter Center (2020), Landmines and Improvised Explosive Devices: The Lingering Terror of the Islamic State von Aaron Anfinson & Nadia Al-Dayel (2020)70 sowie die Recherche Tracing the Supply of Components used in Islamic State IEDs der Nicht- Regierungsorganisation Conflict Armament Research (2016)71. Darüber hinaus ist die ARTE-Reportage Syrien: Die Minensucher von ar-Raqqa72 empfehlenswert. 6.1. Beispiel 1: Lage Ayn Al Arab/Kobane und Tal Abyad im Anschluss an der Kampagne gegen Daesh zwischen Sommer 2014 und Sommer 2015 Im April 2017 publizierte die Nicht-Regierungsorganisation Médecins sans Frontières (Zu Deutsch: Ärzte ohne Grenzen) den Bericht Impact of Mines, Booby traps and Explosives Remnants of War on Civilian in Northern Syria73 und beschrieb die Begleitungserscheinungen des Kampagne gegen Daesh – den selbst ernannten Islamischen Staat (IS) – wie folgt: “Die Bevölkerungsmehrheit des Distrikts Ayn Al Arab / Kobane74 – mehr als 150.000 Menschen – suchte Zuflucht in der Türkei; andere flohen in andere Teile Syriens und in den Irak. Als sich der IS [der selbsternannte Islamische Staat, A.d.Ü.] Ende Januar 2015 zurückzog, kehrten die Bewohner in die Region zurück (…) Bei ihrer Rückkehr stellte die 69 Explosive Munition in Syria, Report 1 (Daraa, Quneitra, and As Sweida Governorates), undatiert, The Carter Center, abgerufen am 31. Mai 2021 unter Explosive Weapons Use in Syria, Report 2 (Damascus City and Rural Damascus Governorate), January 2020, The Carter Center, abgerufen am 31. Mai 2021 unter https://www.cartercenter .org/resources/pdfs/peace/conflict_resolution/syria-conflict/explosive_weapons_contamination_syria_report 2.pdf ; Explosive Weapons Use in Syria, Report 3 (Northwest Syria: Aleppo, Idleb, and Latakia Governorates), August 2020, The Carter Center, abgerufen am 31. Mai 2021 unter https://www.cartercenter .org/resources/pdfs/peace/conflict_resolution/syria-conflict/explosive_weapons_contamination_syria_report 3.pdf ; Explosive Weapons Use in Syria, Report 4 (Northeast Syria: Al Hassakeh, Ar Raqqa, and Deir Ez Zor Governorates), November 2020, The Carter Center, abgerufen am 31. Mai 2021 unter https://www.cartercenter .org/resources/pdfs/peace/conflict_resolution/syria-conflict/weapons-contamination-study-rpt-4.pdf 70 Landmines and Improvised Explosive Devices: The Lingering Terror of the Islamic State, Aaron Anfinson & Nadia Al-Dayel, Studies in Conflict & Terrorism, Routledge, abgerufen am 15. Mai 2021 unter Landmines and Improvised Explosive Devices: The Lingering Terror of the Islamic State (tandfonline.com) 71 Tracing the Supply of Components used in Islamic State IEDs, Conflict Armament Research, 2016, 107 S., abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://www.conflictarm.com/reports/tracing-the-supply-of-components-usedin -islamic-state-ieds/ 72 Syrien: Die Minensucher von ar-Raqqa, Reportage, ARTE, 18. Juni 2018, 23:41 Minuten, abgerufen am 15. Mai 2021 über YouTube unter https://www.youtube.com/watch?v=cC_1IUrWiVw 73 Set to explode - Impact of Mines, Booby traps and Explosives Remnants of War on Civilian in Northern Syria, Médecins sans Frontières, S. 13, April 2017, abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://www.msf.org/sites /msf.org/files/msf-syria-settoexplode.pdf 74 Vgl. ergänzend: Kobane, eine Stadt voller Trümmer und Blindgänger, Mai, 2015, Handicap International, 7.S. abgerufen am 15. Mai 2021 unter https://handicap-international.de/sites/de/files/documents/files/bericht _kobane_mai2015_handicap_international.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 23 Bevölkerung von Ayn Al Arab / Kobane fest, dass die Städte, Dörfer und landwirtschaftlichen Flächen mit einer großen Anzahl von Blindgängern, Minen und Sprengfallen übersät waren. (…) Der umfassende Einsatz explosiver Waffen in urbanen Gebieten, darunter 700 Luftangriffe der [Anti-IS, A.d.Ü] Koalition, zerstörte fast 80 Prozent von Ayn Al Ar-ab / Kobane und hinterließ ein mit Blindgängern stark kontaminiertes Gebiet zurück. Eine internationale Nicht-Regierungsorganisation schätzte, dass die Verseuchung bis zu durchschnittlich zehn explosionsfähige Gegenstände pro Quadratmeter betrug. Ein Experte für die Entsorgung explosiver Kampfmittel, der 2015 in der Region tätig war, erklärte gegenüber MSF, es sei deutlich erkennbar, dass nur wenige der improvisierten Sprengvorrichtungen aus verteidigungstechnischen Gründen verlegt wurden; dem Experten zufolge erfolgte die Verlegung mit der Absicht, der rückkehrenden Bevölkerung größtmögliche Schäden zuzufügen. Eine große Anzahl von Sprengkörpern wurde auf Feldern, in Häusern, hinter verschlossenen Türen, in Spielzeugen und in anderen Gegenständen versteckt, die von Zivilisten jederzeit angefasst werden können. (…) Allein im westlichen Teil der Stadt Kobane gaben internationale Nicht- Regierungsorganisationen und lokale Sicherheitskräfte an, sechs Tonnen an Hauptsprengladungen von improvisierten Sprengvorrichtungen entfernt zu haben. Nach Angaben des Experten wurden fast alle improvisierten Sprengvorrichtungen so konzipiert, dass sie von den zu erwartenden Opfern ausgelöst werden. Nur wenige der Sprengfälle seien für eine Auslösung per Fernbedienung oder Zeitschaltuhr ausgelegt worden.”75 [Daher handelte sich in den allermeisten Fälle um verbotene Kampfmittel im Sinne des humanitären Völkerrechtes, A.d.Ü.]. 6.2. Beispiel 2: Alltagslage in Raqqa nach der Befreiung im Jahr 2018 Ungefähr ein Jahr später, am 1. May 2018, schildert Sarah Aziza in einem Artikel76 der Internet- Publikation The Intercept getitelt: Syrians are returning to homes in Raqqa littered with land mines, but the U.S. may cut funds for clearing the city eindrücksvoll die immer noch desperate Lage der Menschen in der Stadt Raqqa, der ehemaligen „Hauptstadt“ des Protostaates Daesh (Auszug): „Residents of Raqqa have been killed and mutilated by explosives left by ISIS, finding them hidden inside refrigerators, teddy bears, and even under Qurans. (…) 75 Übersetzung ins Deutsche durch den Autor dieser Arbeit. 76 Syrians are returning to homes in Raqqa littered with land mines, but the U.S. may cut funds for clearing the city, Sarah Aziza, The Intercept, 1. Mai 2018, abgerufen am 27. Mai 2021 unter https://theintercept .com/2018/05/01/syria-isis-defeat-landmines-humanitarian-aid/ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 24 “We were seeing men, women, and children with parts of their bodies blown off, with internal injuries, broken bones,” the head of mission for a European medical NGO that works inside Raqqa told The Intercept. (…) It was horrific — people had waited months for the war to end, only to be blown up inside their homes. Others unwittingly triggered explosives hidden on neighborhood streets; children were blasted after picking up shiny objects or climbing over booby-trapped debris. As the casualties climbed into the hundreds, the reality of post-ISIS Raqqa quickly became clear: The retreating caliphate had rendered the city a death trap. While post-conflict zones often require some level of de-mining, the scale of Raqqa’s contamination is virtually unheard-of, said Stewart Wight, a State Department spokesperson (...). Dalgesh Issa of the Kurdish Red Crescent (…) told The Intercept, “The number of mines is unbelievable. In many ways, they have affected the population more than the actual war, because many people fled before the fighting, only to return to be struck by these explosives.” (…) Combined records from the Kurdish Red Crescent and Doctors Without Borders, or MSF, show that over 1,000 adults and children have been injured or killed by mines since October [the liberation of the city], but the true number is likely much higher. (…) The United States has spent about $60 million on stabilization and recovery in Raqqa and the surrounding region, including some support for the de-mining effort, but has focused resources exclusively on “critical infrastructure” such as roads, sanitation facilities, and schools. The task of securing private homes is left to the Raqqa Civilian Council, or RCC, a group of Kurdish and Arab leaders supported by the Syrian Democratic Forces. Civilians in need of de-mining can place themselves on the RCC’s growing list for inspection, but according to a recent Human Rights Watch survey, the RCC is only able to respond to about 10 requests per week. (…) [Für eine Bevölkerung von etwa 300.000 Einwohner im Jahr 2019, A.d.Ü.].77 Instead, many Raqqa residents are resorting to their own ways of checking their homes for mines. “Some test their homes by throwing rocks through the windows, or sending an animal inside the house to see if anything explodes,” said the European NGO source, “or they are just going in themselves to check.” A small industry of amateur 77 Panoramic Report, Assitance Coordination Unit / Information Management Unit, Ar-Raqqa Governate, Dezember 2019, S. 35, abgerufen am 20. Mai 2021 unter https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources /IMU_En-Raqqa-Panoramic____.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 25 “inspectors” has also emerged, offering to sweep a home for a sum as low as $50. Nadim Houry, director of terrorism and counterterrorism for Human Rights Watch, recently visited Raqqa to survey the mine problem, and told The Intercept that many of the civilians attempting to de-mine homes appeared “not to know very well what they were doing” as they entered these potentially lethal buildings.78 Even if initial passes appear clean, residents may still be in danger. Many of the mines are programmed to explode only after multiple stimulations, or after a significant delay, said the European NGO source. “For example, there may be a bomb designed to go off after the 10th time it is triggered. The father may check the home and believe it is clean, so he moves in his family. Only days later, when the wife is cooking or the child runs through the door, does the mine explode.” This phenomenon has led to a shift in the victim demographic over time, he added: “At first, men were being injured or killed while checking their homes. Now we’re seeing more women and children victims, due to these delayed explosions.” (…) Besonders erwähnenswert im oben geschilderten Zusammenhang ist die, für viele Rückkehrerinnen und Rückkehrer kaum erschwingliche medizinische Versorgung. Alleine im Juni 2019 wurden insgesamt 11.580 Patientenzugänge in den verschiedenen Krankenhäusern und Gesundheitszentren (dispensaries) der Stadt registriert. Darunter wurden 1.490 chirurgische Eingriffe durchgeführt. Von diesen 1.490 Operationen wurden allerdings nur 100 kostenlos durchgeführt, in allen anderen Fällen wurden die Patienten und ihre Familien zur Kasse gebeten.79 Da sich in einem vom Krieg zerstörten Land nur ein ganz kleiner Bruchteil der rückkehrenden Bevölkerung eine Operation oder gar einen Arztbesuch finanziell leisten kann, ist es höchstwahrscheinlich, dass die nicht registrierte Todesrate nach einem Anti- Personen-Minen-Unfall besonders hoch sein dürfte. 78 Vgl. Syria: Landmines Kill, Injure Hundreds in Raqqa – More International Support Needed for Clearance, 12. Februar 2018, Human Rights Watch, abgerufen am 20. Mai 2021 unter Syria: Landmines Kill, Injure Hundreds in Raqqa | Human Rights Watch (hrw.org) 79 Panoramic Report, Assitance Coordination Unit / Information Management Unit, Ar-Raqqa Governate, Dezember 2019, S. 41, abgerufen am 20. Mai 2021 unter https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources /IMU_En-Raqqa-Panoramic____.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 26 6.3. Lagebewertung durch Mine Action Review80 Die Nicht-Regierungsorganisation beziehungsweise unabhängige Recherche-Initiative Mine Action Review beobachtet die Situation in den von Anti-Personen-Minen81 und Streumunitionen82 belasteten Ländern. Zu Syrien wurde 2020 folgende Situationen festgestellt und folgende Vorgehensweise zur Linderung der Not empfohlen. 6.3.1. Anti-Personen-Minen in Syrien 6.3.1.1. Lagefeststellungen von Mine Action Review Das reale Ausmaß der Bedrohung durch Anti-Personen-Minen ist unbekannt. Dennoch hat die syrische Regierung die Grenzen zum Libanon und zur Türkei ab 2012 vermint. Laut Mitteilungen von türkischen Behörden sind alleine entlang der syrisch-türkischen Grenze zwischen 613.000 und 715.000 Minen gelegt worden. Hinzu kommen die Minen und improvisierten Sprengvorrichtungen der unterschiedlichen am Bürgerkrieg beteiligten Milizen. 6.3.1.2. Empfehlungen von Mine Action Review Syrien sollte dem Ottawa-Übereinkommen beitreten, Syrien hat im Sinne des Humanitären Völkerrechtes die Pflicht, Minen, die sich in seinem Hoheitsgebiet oder in Gebieten unter seiner Kontrolle befinden, sobald dies möglich ist, zu räumen, Syrien sollte eine für die Minenräumung zuständige Behörde einrichten und den Zugang internationaler Minenräumorganisationen vereinfachen, um ein zielführendes Minenräumprogramm zu ermöglichen, Syrien sollte so bald wie möglich ein Programm zur Untersuchung der Minengefahr einleiten und die Räumung von Minen sowie andere Maßnahmen ergreifen, um das Risiko durch Minen und explosive Kampfmittelrückstände für die Zivilbevölkerung zu verringern. 80 www.mineactionreview.org 81 Anti-Personnel Mine Contamination – Syria, Clearing the Mines 2020, Mine Action Review, abgerufen am 20. Mai 2021 unter http://www.mineactionreview.org/assets/downloads/907_NPA_Clearing_the_Mines _2020_Syria.pdf 82 Understanding of Cluster Munition Remnant Contamination – Syria, Clearing Cluster Munition Remnant 2020, Mine Action Review, abgerufen am 20. Mai 2021 unter http://www.mineactionreview.org/assets/downloads /903_NPA_Cluster_Munition_Remnants_2020_Syria.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 27 6.3.2. Einsatz von Streumunition in Syrien 6.3.2.1. Lagefeststellungen von Mine Action Review Syrien erlebte 2019 mehrere Angriffe mit Streumunition durch Regierungskräfte und ihre russischen Alliierte (zum Beispiel in der Provinz um Idlib, wobei dort eine Schule getroffen wurde). Die Nicht-Regierungsorganisation Syrian Network for Human Right meldete zwischen September 2018 und April 2019 mindestens 24 Angriffe mit Streumunition. 23 Angriffe wurden den syrischen und ein Angriff wurde den russischen Streitkräften zugeschrieben. 6.3.2.2. Entschärfungs- und Räumungsmaßnahmen der „Weißhelme“ 2019 Laut dem neuesten Bericht von Mine Action Review aus dem Jahr 202083, der sich auf das Erhebungsjahr bezieht, hat der syrische Zivilschutz, die sogenannten „Weißhelme“, in den Provinzen Aleppo, Idlib und Hama insgesamt 753 Neutralisierungsaufträge wahrgenommen und somit die Zerstörung von 887 Streumunitionsresten (Cluster Munition Remnants – CMR) sowie 143 weiteren unexplodierten Kampfmittelteilen (Other UneXploded Ordnance – UXO) herbeigeführt. Provinz Aufträge Streumunition zerstört Weitere Kampfmittel zerstört Idlib 327 428 51 Aleppo 289 372 46 Hama 137 87 46 Gesamt 753 887 143 Entschärfungs- und Räumungsmaßnahmen der „Weißhelme“ im Jahr 201984 83 Understanding of Cluster Munition Remnant Contamination – Syria, Clearing Cluster Munition Remnant 2020, Mine Action Review, abgerufen am 20. Mai 2021 unter http://www.mineactionreview.org/assets/downloads /903_NPA_Cluster_Munition_Remnants_2020_Syria.pdf 84 Understanding of Cluster Munition Remnant Contamination – Syria, Clearing Cluster Munition Remnant 2020, Table 1: Syrian Civil Defence CMR clearance 2019, Mine Action Review, S. 168, abgerufen am 20. Mai 2021 unter http://www.mineactionreview.org/assets/downloads/903_NPA_Cluster_Munition_Remnants_2020_Syria.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 28 6.3.2.3. Empfehlungen von Mine Action Review Syrien und Russland sollten den Einsatz von Streumunition sofort einstellen, Syrien sollte ohne Verzug dem Übereinkommen über Streumunition (Englisch: Convention on Cluster Munitions)85 beitreten, Syrien sollte ohne Verzug seinen Verpflichtungen aus dem internationalen Humanitären Völkerrecht umsetzen und so bald wie möglich die Beseitigung von Streumunitionsresten (Englisch: Cluster Munition Remnants – CMR) in seinem Hoheitsgebiet bzw. in den Gebieten unter seiner Kontrolle veranlassen. 85 Das Übereinkommen ist am 1. August 2010 in Kraft getreten und wurde bisher von 110 Staaten ratifiziert (Stand: September 2020). Vgl. The Convention on Cluster Munitions, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.clusterconvention.org/ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 29 Abb.: Minenwarnhinweis. Bild: MatthiasKabel / Wikipedia, 200586 6.3.3. Räumungsarbeiten Die weiterhin unklare Lage in vielen Regionen Syriens erschwert erheblich die Räumungsarbeiten. Von einem nationalen Entminungs- und Räumungsplan unter Leitung der syrischen Regierung ist man noch weit entfernt, denn die Regierung in Damaskus hat zwar die größten Städte des Landes unter ihre Kontrolle gebracht; aber im März 2021 wird immer noch etwa ein Drittel des Landes von verschiedenen Rebellengruppen und Milizen kontrolliert.87 Die Nicht- 86 Mines Warning Sign, MatthiasKabel, 21. Mai 2005, Wikipedia, Lizenz GNU/CC, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Mines_warning_sign.jpg 87 Why has the Syrian war lasted 10 years?, 12 März 2021, BBC, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.bbc.com/news/world-middle-east-35806229 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 30 Regierungsorganisation Mine Action Review stellt in ihrem letzten Bericht88 von 2020 (Betrachtungszeitraum: 2019) folgende Entminungs- und Räumungsbemühungen fest: „In Gebieten unter staatlicher Kontrolle [wurden] hauptsächlich russische und syrische Militäringenieure und Zivilschutzorganisationen [eingesetzt]. Internationale und nationale Minenräumorganisationen führten Räumungsoperationen im Nordosten Syriens durch, das heißt in den von den kurdisch-syrischen demokratischen Kräften (Kurdish Syrian Democratic Forces) kontrollierten Gebieten. Die Türkei berichtete, ihre Sicherheitskräfte hätten Minen und improvisierte Sprengvorrichtungen in den von ihr ab Oktober 2019 besetzten Gebieten Nordsyriens geräumt. Russland setzte ab 2017 mehrere hundert militärische Minenräumer aus dem eigenen Minenräumzentrum der Streitkräfte (Armed Forces Demining Center) ein und führte manuelle Räumungsoperation durch, wobei die Räumungskommandos von Minensuchhunden und Uran-6- Minensuchrobotern unterstützt wurden.“ Abb. 3: Uran-6-Roboter bringt eine improvisierte Sprengvorrichtung zur Detonation im Osten Aleppos, Russische Nachrichtenagentur Ruptly, 04. Januar 2017 (Bild aus einem Video).89 88 Anti-Personnel Mine Contamination – Syria, Clearing the Mines 2020, Mine Action Review, abgerufen am 20. Mai 2021 unter http://www.mineactionreview.org/assets/downloads/907_NPA_Clearing_the_Mines _2020_Syria.pdf (Übersetzung aus dem Englischen durch den Autor dieser Arbeit). 89 Syria: Russian sappers and Uran-6 robot detonate IEDs in Aleppo, 4. Januar 2017, Ruptly, Video 20170104- 018, YouTube-Kanal, abgerufen am 27. Mai 2021 unter https://www.youtube.com/watch?v=1EhPBDAFLpE Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 31 „Russische Truppen boten auch Schulungen für syrische Armeeingenieure an, auf dem Luftwaffenstützpunkt Hmeimim und in Schulungszentren, die im Jahr 2017 in Aleppo und Homs eingerichtet wurden. Anfang Januar 2018 meldeten die russischen Streitkräfte, dass 900 syrische Ingenieure fertig ausgebildet seien. Russland begann 2018 mit dem Abzug von Truppen aus Syrien, einschließlich Minenräumern. Doch das russische Verteidigungsministerium meldete 2020 weiterhin Minenräumungs- und Kampfmittelbeseitigungsaktivitäten 90 in Syrien. Russland bat 2018 andere Länder um Unterstützung. Armenien schickte daraufhin im Februar 2019 eine 83-köpfige Arbeitsgruppe nach Syrien, die sich auf den nördlichen Distrikt von Aleppo konzentrierte. Armenien löste diese erste Arbeitsgruppe durch eine neue nach vier Monaten Einsatz ab. Zu den nationalen Räumungslösungen gehört der syrische Zivilschutz [Englisch: Syrian Civil Defense – SCD, A.d.Ü], der gemeinhin unter der Bezeichnung „Weißhelme“91 bekannt wurde und 2019 mit sechs Räumungsgruppen und drei Verbindungs- / Suchgruppen im Nordwesten Syriens arbeitete. Drei Räumungs- und zwei Überwachungsgruppen wurden in der Provinz Idlib eingesetzt, einem lokalen Konfliktschwerpunkt im Jahr 2019. Darüber hinaus wurden zwei Räumungsgruppen und eine Suchgruppe in Aleppo sowie eine Räumungsgruppe in der Provinz Hama eingesetzt. Diese Räumungsgruppen zerstörten 90 Englisch: Explosive Ordnance Disposal (EOD). 91 Die „Weißhelme“ (Englisch: „White Helmets“ beziehungsweise Syria Civil Defense nach offiziellem Duktus) sind eine zunächst zivilgesellschaftlich spontan entstandene Hilfsbewegung, die ab etwa 2013 dank türkischer und britischer Unterstützung fachlicher und finanzieller Art organisiert wurden. Der Name „Weißhelme“ leitet sich von den leichten – weißen – Kletterhelmen ab, womit sie zum Eigenschutz bei Trümmerarbeiten ausgestattet wurden. Zurzeit wird von einer Stärke von ca. 3.000 Mann ausgegangen. Seit 2013 sind 252 Freiwillige im Dienst getötet und über 500 verletzt worden. Die Weißhelme sind mehrmals selbst Ziel von Attacken von regimetreuen Kräften oder der russischen Luftwaffe gewesen und waren Ziel von extensiven Desinformationskampagnen. Vgl. How the White Helmets of Syria Are Being Hunted in a Devastated Aleppo, Jared Malsin, 25. September 2016, Time, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://time.com/4507009/aleppooffensive -syria-white-helmets-attack/ ; Disinfo: white helmets have staged the use of chemical weapons in Syria, EU vs. Disinfo, Fall 245, bezugnehmend auf die Publikation Moskau: Weißhelme und Al-Nusra-Front planen Provokation in Syrien, 21. Mai 2021 (19:53 Uhr), RT Deutsch, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://de.rt.com/der-nahe-osten/117892-moskau-weisshelme-und-al-nusra/ ; White Helmets (Syrian civil war), Wikipedia, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/White_Helmets_(Syrian_civil_war) ; Offizielle Internet-Seite abgerufen am 28. Mai 2021 unter www.whitehelmets.org/en/ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 32 vorwiegend Streumunitionsreste92 93 und eine Vielzahl anderer nicht explodierter Kampfmittel94. Im Januar 2019 nahmen fünf Mitarbeiter der „Weißhelme“ an einem zweiwöchigen Fernlehrgang zur humanitären Bekämpfung von improvisierten Sprengvorrichtungen teil. Dieser Lehrgang zielte darauf ab Such-, Identifizierungs- und Bedrohungsbewertung zu verbessern, um die Sicherheit der Entschärfungs- und Räumungsgruppen bei ihren täglichen Such- und Rettungsaktivitäten zu verbessern. AFAK95, eine syrische Nicht-Regierungsorganisation, die in Partnerschaft mit dem HALO Trust96 97 arbeitet, führte Anfang 2019 in den südlichen Provinzen Dar'a und Quneitra eine Räumungsaktion durch, bis die Zentralregierung nach einer Armeeoffensive die Kontrolle über das Gebiet zurückerlangte. In Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Zentralregierung im Nordosten, die jedoch vom islamischen Staat zurückerobert wurden, haben humanitäre Minenräumorganisationen und kommerzielle Unternehmen umfangreiche Räumungsarbeiten durchgeführt. Tetra Tech98 arbeitete in Raqqa, Deir Ezzour und nach der Rückeroberung durch die Zentralregierung im Jahr 2019 in Barghuz. Tetra Tech wurde vom US- Außenministerium finanziert und konzentrierte ihre Arbeit auf kritische 92 Englisch: Cluster Munition Remnants (CMR). 93 Der Einsatz von Streumunition kann grundsätzlich der syrischen Nationalarmee bzw. den russischen Streitkräften zugeschrieben werden. 94 Englisch: UneXploded Ordnance (UXO). 95 Die AFAK ist unter ihren beiden Internet-Adressen zur Zeit der Redaktion dieses Sachstandes nicht mehr erreichbar. Laut ihrer Facebook-Seite ist sie in Amman, Jordanien, basiert. Der letzte Eintrag der Facebook-Seite ist jedoch vom 5. Juli 2018. Vg. AFAK Future for Capacity Building, Facebook, abgerufen am 27. Mai 2021 unter https://de-de.facebook.com/AFAKFUTURE.NGO/about/ 96 Der HALO Trust (www.halotrust.org) ist eine apolitische und areligiöse britisch-amerikanische Nicht- Regierungsorganisation, die 1988 von Guy Willoughby, Colin Campbell Mitchell und Sue Mitchell gegründet wurde und sich der Räumung von Landminen und unexplodierten Kampfmitteln verschrieben hat. HALO steht für Hazardous Area Life-support Organization. Es handelt sich nach eigenen Angaben um die in diesem Einsatzbereich größte Nicht-Regierungsorganisation weltweit. Der HALO Trust beschäftigt zurzeit etwa 8.500 Personen, davon 6.000 Minenräumer weltweit. Die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland unterstützen die Aktivitäten der Organisation finanziell. Vgl. Twitter-Konto: https://twitter.com/thehalotrust (abgerufen am 27. Mai 2021) ; Facebook-Konto: www.facebook.com/halotrust/ (abgerufen am 27. Mai 2021) ; HALO Trust, Wikipedia, abgerufen am 27. Mai 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/HALO_Trust 97 Vgl. ergänzend: Bekanntmachungen zu den Aktivitäten des HALO-Trusts in Syrien, abgerufen am 27. Mai 2021 unter www.halotrust.org/where-we-work/middle-east/syria/ 98 Vgl. www.tetratech.com Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 33 Infrastrukturen wie Krankenhäuser, Schulen, Wasserpumpstationen und Stromerzeugungsanlagen. Eine kleine nationale Organisation, die Roj Mine Control Organization (RMCO), führte in Nord- und Nordost-Syrien Räumungen durch, ihr Personal erlitt Berichten zufolge jedoch schwere Verluste bei ihren Versuchen improvisierte Sprengvorrichtungen zu entschärfen. Der Minenräumungsdienst der Vereinten Nationen (United Nations Mine Action Service – UNMAS) unterzeichnete im Juli 2018 mit der syrischen Regierung eine Grundsatzvereinbarung99, in deren Rahmen er im Oktober 2018 zwei Mitarbeiter nach Damaskus entsandte. Nach einem Treffen mit dem stellvertretenden Außenminister Faisal Mikdad im Oktober 2019 in Damaskus, berichtete Agnes Marcaillou, die UNMAS- Direktorin, dass die Regierung der Beteiligung internationaler Minenräumorganisationen zugestimmt hatte. Diese sollten von der Regierung registriert und ihre Tätigkeit sollte daraufhin von der UNMAS koordiniert werden. Die UNMAS erklärte daraufhin, dass Diskussionen im Gange seien, um Planungen bezüglich Suche, Kennzeichnung und Räumung zu implementieren. Bis Mai 2020 hatten sich jedoch keine internationalen Minenräumorganisationen bei der Regierung registriert, und die UNMAS konzentrierte sich daher weiterhin auf die Ausbildung syrischer Partner im Rahmen der Risikoaufklärung und der Datenerhebung. Zwischen Januar und Juli 2019 wurden 365 Gebiete in den Provinzen Aleppo, Nordhama und Idlib untersucht und 370 Sprengkörper wurden gekennzeichnet. Im Januar 2019 startete die UNMAS einen ersten Lehrgang zur Risiko- Abwehr für 26 syrische Mitarbeiter, darunter 16 Frauen. Seitdem haben die Ausbildungsmaßnahmen zur Risiko-Abwehr zugenommen, nicht zuletzt dank gemeinsamer Initiativen mit der UNICEF. Russland kündigte im März 2019 an, eine Million US-Dollar zur Unterstützung der Aktivitäten der UNMAS in Syrien bereitzustellen. Im April 2019 kündigte die UNMAS das Projekt “Humanitarian Mine Action Support to Syria“ an, das zwischen dem 31. März 2019 und 31. März 2020” laufen und mit einer Zuwendung aus Japan in Höhe von 1,4 Millionen US-Dollar aus Japan unterstützt werden sollte. Im Rahmen dieses Projekts sollten voraussichtlich 43.000 Menschen über Risiken und Auswirkungen von Minen und explosiven Kampfmitteln aufgeklärt werden. Es sollten auch eine Risikoanalyse in 85 Gemeinden sowie die Kennzeichnung und Absperrung von verseuchten Gebieten geben. (…) 99 Englisch: Memorandum of Understanding (MoU). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 34 „(…) syrische Minenräumer [haben] Minen und Sprengkörper in Gebieten geräumt (…), die von bewaffneten Oppositionsgruppen zurückerobert wurden. Zu den Aufgaben, die im Jahr 2020 fortgesetzt wurden, gehörte die Räumung der Autobahn Damaskus-Aleppo. Das „Armenische Zentrum für humanitäre Minenräumung und Expertise“100 berichtete, dass die armenischen Armeeingenieure bis April 2020 147.697m² geräumt und mehr als 300 Minen zerstört hatten. Ein armenischer Minenräumer wurde bei der Explosion einer Mine oder einer improvisierten Sprengvorrichtung im März 2019 verletzt, was zur Amputation eines seiner Füße führte. Der Abriss von geräumten Gegenständen wird vom syrischen Militär durchgeführt. Die humanitäre Entminungsaktion im Nordosten Syriens wurde eingestellt, nachdem Präsident Trump im Oktober 2019 den Rückzug der USA aus Syrien verkündet hatte, die Türkei die Invasion und Besetzung von Teilen Nordsyriens im Oktober 2019 durchgeführt hatte, und russische Truppen nach Nordsyrien verlegt wurden. Berichten zufolge wurden einige Räumungsarbeiten bis Anfang 2020 wieder aufgenommen, das Ausmaß ist jedoch unbekannt. Die Firma Tetra Tech101 102 war 2018 mit ungefähr 400 Mitarbeitern im Nordosten Syriens tätig, aber nachdem Präsident Trump im Dezember 2018 die Absicht der USA angekündigt hatte, sich aus Syrien zurückzuziehen , reduzierte das [vom US-Außenministerium finanzierte, A.d.R.] Unternehmen ihren Beitrag auf sieben Mehrzweck-Gruppen. Im Jahr 2019 war das Unternehmen mit nur noch zwei Mehrzweck-Gruppen und zwei Risikoberatungseinheiten vor Ort vertreten. Im Oktober [2019] wurde die Gesamtaktivität schließlich eingestellt. Nach der Einstellung der Operationen in Syrien wurde das Programm im Jahr 2020, als Reaktion auf die COVID-19-Pandemie, vorübergehend eingestellt.“ 100 Armenia’s Centre for Humanitarian Demining and Expertise, Übersetzung ins Deutsche durch den Autors dieser Arbeit. 101 Die US-amerikanische Firma (vgl. www.tetratech.com ) wurde vom US-amerikanischen Außenministerium beauftragt . 102 Ergänzend dazu: US hopes for a quick Syria exit run into a minefield in Raqqa, Jack Detsch, 1. June 2018, Al-Monitor, abgerufen am 27. Mai 2021 unter https://www.al-monitor.com/originals/2018/06/us-hopes-quicksyria -exit-minefield-raqqa.html#ixzz6w3Su82YO und Removing Explosive Hazards to Promote Stability in Northeast Syria, 13. November 2018, Natalie Wazir, US Department of State, abgerufen am 27. Mai 2021 unter https://reliefweb.int/report/syrian-arab-republic/removing-explosive-hazards-promote-stability-northeast-syria Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 35 6.4. Bilanz nach zehn Jahren Bürgerkrieg in Syrien 6.4.1. Gesamtbilanz103 Vor dem Krieg hatte Syrien etwa 22 Millionen Einwohner. Laut dem Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) 104, einer Nicht-Regierungsorganisation, sind 593.000 Menschen in Folge des Konfliktes gestorben. 387.118 Tote – davon 116.911 Zivilisten105 – wurden bis Anfang Dezember 2020 dokumentiert. Hinzu kommen 205.300 verschwundene Personen, wovon bis zu 88.000 Zivilisten in den Foltergefängnissen 106 des Regimes getötet sein könnten. Etwa 2,1 Millionen Zivilisten wurden teils (schwerst-)verletzt. 6,7 Millionen Menschen wurden innerhalb Syriens vertrieben und 5,6 Millionen mussten das Land verlassen. Weil es mindestens 595 völkerrechtswidrige Angriffe, in den allermeisten Fällen von Regierungstruppen oder russischen Kräften, auf 350 Krankenhäuser und Feldlazarette gab, ist nur noch die Hälfte der Gesundheitsinfrastruktur des Landes funktionsfähig geblieben.107 6.4.2. Blindgänger In der Berichtsreihe Explosive Munition in Syria (Berichte 1 bis 4) hat das Carter Center im Jahr 2020 die Gebiete Daraa, Quneitra, As Sweida Governorates, Damascus City, Rural Damascus Governorate, Aleppo, Idleb, Latakia Governorates, Al Hassakeh, Ar Raqqa, und Deir Ez Zor Governorates untersucht und den Einsatz von insgesamt 267.267 explosiven Munition in 2.485 Gemeinden, wobei 23 Gemeinden etwa 43 Prozent der Last zu tragen hatten.108 103 Vgl. Why has the Syrian war lasted 10 years?, 12. März 2021, BBC, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://www.bbc.com/news/world-middle-east-35806229 104 On International Human Rights Day: Millions of Syrians robbed of “rights” and 593 thousand killed in a decade, 9. Dezember 2020, Syrian Observatory for Human Rights, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://www.syriahr.com/en/195385/ 105 80.958 erwachsene Männer, 13.804 erwachsene Frauen sowie 22.149 weibliche und männliche Minderjährige. 106 Vgl. If the Dead could Speak – Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 2015, Human Rights Watch, 92 S. , abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://www.hrw.org/sites/default/files/report_pdf/syria 1215web_0.pdf 107 Illegal Attacks on Health Care in Syria, Physicians for Human Rights, Infografik, abgerufen am 28. Mai 2021 unter http://syriamap.phr.org/#/en 108 Explosive Weapons Use in Syria, Report 4 (Northeast Syria: Al Hassakeh, Ar Raqqa, and Deir Ez Zor Governorates), November 2020, The Carter Center, abgerufen am 31. Mai 2021 unter https://www.cartercenter .org/resources/pdfs/peace/conflict_resolution/syria-conflict/weapons-contamination-study-rpt-4.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 36 Davon ausgehend, dass zwischen 10 Prozent und 30 Prozent dieser Munition nicht explodiert sein dürfte, werden zwischen etwa 26.000 und 80.000 Blindgänger vermutet. 6.4.3. Explosive Vorfälle laut den Vereinten Nationen Die Vereinten Nationen schätzten,109 dass im Jahr 2019 Minen, Streumunition und explosive Kampfmittelrückstände in 2.563 Gemeinden anzutreffen sind. Laut VN sind 11,2 bis 11,5 Millionen der ca. 17 Millionen in Syrien lebenden Menschen von der Gefahr betroffen. Diese Zahlen zeigen eine spürbare Verschlechterung gegenüber dem Vorjahr: im Jahr 2018 galten 1.980 Gemeinden beziehungsweise 10,2 Millionen Menschen als gefährdet. Darüber hinaus wurden im beobachteten Zeitraum 184 explosive Vorfälle110 im täglichen Durchschnitt – also knapp 67.000 im Jahr – registriert. Laut empirischer Daten der VN fordert jede Explosion 1,5 Menschenleben, führt zu (schweren) Verletzungen bei zwei weiteren Menschen, wobei bei einem Drittel der Überlebenden Gliedmaße amputiert werden müssen. 111 Legt man diesen Berechnungsschlüssel zu Grunde, so dürften im Jahr 2019 in Syrien: 97.500 Menschen in einer Explosion ihr Leben verloren haben 130.000 Menschen durch eine Explosion (schwer-)verletzt worden sein 43.000 Menschen mussten vom einem oder mehreren Gliedmaßen amputiert werden 6.4.4. Gefahrenbewertung des Landmine Monitor In einem (Bürger-)Kriegsgebiet ist es oft kaum möglich mit der nötigen Akribie und Sicherheit die Ursache einer Explosion festzustellen. Der Landmine Monitor versucht trotzdem ausschließlich 109 The situation in the Middle East, Report of the Secretary-General on the implementation of resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017), 2401 (2018) and 2449 (2018), (S/2019/820), 24. Oktober 2019, Security Council, United Nations, Dokument S/PV.8645, S.6, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3- CF6E4FF96FF9%7D/s_pv_8645.pdf 110 Bei dieser Statistik ist es nicht ganz klar, ob die Methodik nur Explosionen von Anti-Personen-Minen / improvisierten Sprengvorrichtungen und explosive Kampfmittelrückstände sowie Streumunition miteinbezieht, oder ob andere Sprengmittel auch hinzugezählt wurden. 111 The situation in the Middle East, Report of the Secretary-General on the implementation of resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017), 2401 (2018) and 2449 (2018), (S/2019/820), 24. Oktober 2019, Security Council, United Nations, Dokument S/PV.8645, S.6, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3- CF6E4FF96FF9%7D/s_pv_8645.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 37 die Fälle zu registrieren, die nachgewiesenermaßen auf eine von dem Opfer selbst ausgelöste Detonation einer Anti-Personen-Mine, einer improvisierten Sprengfalle oder eines explosiver Kampfmittelrückständes zurückzuführen sind, und stellte für Syrien im Jahr 2019 fest: „Der Monitor verzeichnete 2019 in Syrien 636 Tote und 489 Verletzte [bei der Detonation von Minen und explosiven Kampfmittelrückständen], wobei im Allgemeinen nur etwas mehr als ein Viertel aller Explosionen tödliche Folgen haben.“112 112 Landmine Monitor 2020, International Campaign tob an Landmines, November 2020, S. 38, abgerufen am 26. Mai 2021 unter http://www.the-monitor.org/media/3168934/LM2020.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 38 6.4.5. Aktuelle Übersicht der Lage seit Beginn des Bürgerkrieges Abb. 4: Politische Karte von Syrien (Administrative Regionen/Provinzen)113 mit Anzahl114 der Minenopfer je Provinz. 113 Syrische Gouvernements, Commonist / TUBS, 10. August 2012, Wikipedia, Lizenz: CC-BY-SA-3.0, abgerufen am 20. Mai 2021 unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Syria,_administrative_divisions_-_de_-_colored .svg 114 Zahlen aus Death Toll in Terms of the Governate (March 2011 – March 2021) in Syria’s Landmines – Silent Killing , The Euro-Mediterranean Human Rights Monitor, April 2021, S. 16, abgerufen am 27. Mai 2021 unter https://euromedmonitor.org/en/article/4315/Syria%27s-Landmines:-Silent-Killing Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 39 6.4.6. Gefährdungslage der Zivilbevölkerung seit Beginn des Bürgerkrieges 6.4.6.1. Anzahl der zivilen Opfer Die Anzahl115 der syrischen Zivilisten, die tödliche Opfer einer Anti-Personen-Mine zwischen März 2011 (Anfang des Bürgerkrieges) und März 2021 beträgt laut dem The Euro-Mediterranean Human Rights Monitor: 2.637 Davon unter anderen: Kinder : 605 Frauen: 277 Journalisten: 9 Sanitäter: 8 Zivilschützer: 6 6.4.6.2. Statistiken zu Ursachen und Auswirkungen Die UNMAS publizierte im Mai 2020 folgende Beobachtungen:116 117 39 Prozent der Vorfälle geschahen in Wohngebieten 34 Prozent der Vorfälle geschahen in Feldern 10 Prozent der Vorfälle geschahen auf oder entlang von Straßen 115 Zahlen aus Death Toll in Terms of the Governate (March 2011 – March 2021) in Syria’s Landmines – Silent Killing , The Euro-Mediterranean Human Rights Monitor, April 2021, S. 10, abgerufen am 27. Mai 2021 unter https://euromedmonitor.org/en/article/4315/Syria%27s-Landmines:-Silent-Killing 116 Victimes of Explosive Ordnance accidents in Syria, Facts & Figures, May 2020, UNMAS, abgerufen am 31. Mai unter https://unmas.org/sites/default/files/unmas_syria_facts_figures_may_20.pdf 117 Die Erhebungsbasis weicht von der vom Euro-Mediterranean Human Rights Monitor ab, gibt jedoch ein gutes Abbild der Wirkung von Anti-Personen-Minen, improvisierte Sprengvorrichtungen und Blindgängern. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 40 Insgesamt wurden bis Mai 2020 12.000 Opfer gemeldet 35 Prozent der Minenopfer starben 65 Prozent der Minenopfer überlebten 50 Prozent der Überlebenden müssen Gliedmaßen amputiert bekommen 20 Prozent verlieren einen Sinn (Augenlicht, Gehör) 66 Prozent werden ein Leben lang behindert sein 6.5. Wirtschaftliche Implikationen Peter Singer, Forscher an der US-amerikanischen Denkfabrik Brookings Institution, verwies schon 2012 auf die in wirtschaftlicher Hinsicht asymmetrische und kaum lösbare Problematik der Anti-Personen-Minen-Kriegführung in Konflikten asymmetrischer Natur, denn die Entschärfungs- und Räumungskosten, der Zeitansatz und die Ressourcenbindung im Rahmen der Wiedererstellung des Friedens übersteigen bei Weitem die Kosten für Anschaffung und Verlegung von Anti-Personen-Minen und improvisierten Sprengvorrichtungen:118 “Eine dauerhafte Bedrohung erfordert eine dauerhafte Fähigkeit, ihr zu begegnen. Mit ihrer zunehmenden und sich ausbreitenden Verwendung stellen improvisierte Sprengvorrichtungen (IEDs)119 120 jedoch immer schwierigere Kostenbilanzprobleme dar. Die Vereinigten Staaten haben in den letzten zehn Jahren rund 17 Milliarden US-Dollar für verschiedene Anti-IED-Geräte ausgegeben, und dabei sind nicht einmal die 45 Milliarden US-Dollar, die wir für minengeschützte Fahrzeuge [MRAP- Programm, A.d.R.]121 ausgegeben haben. Wir müssen herausfinden, wie wir diese Investitionsratio verschieben können. Dies ist nicht nur eine Budgetfrage. Es ist einfach nicht nachhaltig, Milliarden von Dollar auszugeben, um eine Technologie zu bekämpfen, die keine zehn Dollar Wert ist.” In der Tat kosten Anti-Personen-Minen zwischen 3 und 30 US-Dollar, während die Räumung mit 300 bis 1.000 US-Dollar zu Buche schlägt.122 118 The Evolution of Improvised Explosive Devices (IEDs), Peter W. Singer, 7. Februar 2012, Brookings, https://www.brookings.edu/articles/the-evolution-of-improvised-explosive-devices-ieds/ 119 Improvised Explosive Devices (IED). 120 Bei Anti-Personen-Minen in urbanen oder bebauten Zonen verhält es sich ähnlich. 121 Mine-Resistant Ambush Protected (MRAP), zu Deutsch in etwa: „Minen widerstehendes und Hinterhaltgeschütztes Fahrzeug“. Siehe dazu: MRAP, Wikipedia, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://en.wikipedia.org/wiki/MRAP 122 Facts About Landmines, Minesweeper, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://landminefree.org/facts-aboutlandmines / Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 41 Die finanzielle Asymmetrie des „IED-Kriegs“ wird auf absehbare Zeit allerdings kaum aufzuheben sein. Zwar versprechen einige Ansätze, wie der Einsatz von Bienen123 oder Ratten124 zum Aufspüren von Minen, sowie neue Technologien, wie Überwachungs- und Entminungsdrohnen 125, Entminungsroboter und neuartige Sensoren Verbesserungen, aber auch diese Technologien werden unter dem Strich horrende Kosten verursachen. Das Aufspüren von Anti-Personen-Minen und improvisierten Sprengfällen in bebauten Gebieten (das heißt, dort wo die „Neuen Kriege“ ausgetragen werden) wird indes weiterhin eine handwerkliche Sisyphos- Aufgabe und somit eine besonders zeitraubende, personal- und kostenintensive Angelegenheit bleiben. Diese Aufgabe bedeutet zurzeit auch, dass ein Minenräumer getötet und zwei verletzt werden, für alle 5.000 Minen, die neutralisiert werden. 126 6.6. Räumungs- und Hilfebeitrag der Bundesregierung Unten stehend werden die meldepflichtigen Aktivitäten127 der Bundesregierung in Syrien (2015- 2020) im Rahmen des Artikels 7 des Ottawa-Übereinkommens von 1999 aufgelistet. Für den Zeitraum 2011 (Anfang des Bürgerkriegs in Syrien) bis 2014 gibt es keine Eintragungen. 123 How bees and drones team up to find landmines, Chris Baraniuk, BBC, 30. März 2021, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://www.bbc.com/news/business-56344609 124 Auch Hunde können und werden zum Aufspüren von Minen trainiert und eingesetzt. Der Vorteil von Ratten gegenüber Hunden liegt darin, dass Ratten aufgrund ihres geringen Gewichtes Anti-Personal-Minen nicht auslösen können, was bei Hunden unter Umständen vorkommen kann. Vgl. For over 20 years APOPO’s scent detection animals have been detecting landmines and tuberculosis, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://www.apopo.org/en 125 Air Drones for Explosive Landmines Detection (Field report of a low cost unmanned aerial vehicle -ARdrone 2.0- used as a complemented tool for landmine visual detection in rural scenarios), C. Castiblanco, J. Rodriguez, I. Mondragon, C. Parra, and J. Colorado, in ROBOT2013: First Iberian Robotics Conference, Manuel A. Armada & Alberto Sanfeliu Hrsg., Januar 2014, S. 107-114, Springer International Publishing, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.researchgate.net/publication/261471990_Air_Drones_for_Explosive_Landmines_Detection ; Mine Kafon Drone: An Unmanned Airborne Demining System, Horizon 2020, Europäische Kommission, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://cordis.europa.eu/article/id/422614-clearing-landmines-with-the-helpof -drones/de ; Mine Kafon, Offizielle Internet-Seite, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://minekafon.org/ 126 Facts About Landmines, Minesweeper, abgerufen am 28. Mai 2021 unter https://landminefree.org/facts-aboutlandmines / 127 Gemäß Artikel 7 des Ottawa-Übereinkommens ist jeder Vertragsstaat verpflichtet, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen über verschiedene Aspekte der Umsetzung Bericht zu erstatten. Diese Informationen müssen von den Vertragsstaaten jährlich aktualisiert werden und werden als Bericht auf der Internet-Seite des Büros der Vereinten Nationen für Abrüstungsfragen (Englisch: United Nations Office for Disarmament Affairs, UNODA). Die Datenbank Article 7 database (1999 – present) ist unter https://www.un.org/disarmament/antipersonnel -landmines-convention/article-7-reports/article-7-database/ abrufbar. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 42 Zur Einordnung werden für jedes Jahr zusätzlich auch die Mittel für Stabilisierung128 in Syrien sowie die Mittel für Humanitäre Hilfe129 in Syrien und der Region angegeben. Zwischen 2012 und 2019 hat das Auswärtige Amt knapp 3,5 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe und rund 181 Millionen Euro für Stabilisierungsprojekte in der gesamten Region ausgegeben. Die Mittel stammen aus der Abteilung für Krisenprävention, Stabilisierung, Konfliktnachsorge und humanitäre Hilfe.130 6.6.1. 2019 Aktivitätszeitraum: JAN-DEZ 2019131 Gesamtmitteln: EUR 3.530.139,89 Projekte und Partner der Bundesregierung: Projektkosten in EUR Handicap International/Humanity & Inclusion (HI) Minenräumung, Risikoberatung, Unterstützung von Minenopfern 1.585.359,31 Mines Advisory Group (MAG) Minenräumung 444.780,58 United Nations Mine Action Service (UNMAS)* 1.500.000,00 128 2013 und 2014 wurden dem Auswärtigen Amt zur Stabilisierung Syriens vom Bundestag Sondermittel für „Friedensschaffende Maßnahmen“ zugewiesen. Ab 2016 wurden diese Sondermittel aufgrund des fortbestehenden Stabilisierungsbedarfs verstetigt. Im Jahr 2017 wurden knapp 10 Prozent der weltweiten Stabilisierungsmittel des Auswärtigen Amts für Syrien ausgegeben. 2019 wurden für Stabilisierungsmaßnahmen in Syrien 38 Millionen Euro ausgegeben, für 2020 sind 43 Millionen Euro. Vgl. Factsheet – Hilfe für Syrien und Syrische Flüchtlinge, Auswärtiges Amt, Vol. 2, 06-2020, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.auswaertiges -amt.de/blob/1897876/bc1b072256387f684e26a97aae0b903e/factsheet-deutsche-hilfe-syrien-data.pdf 129 Factsheet – Hilfe für Syrien und Syrische Flüchtlinge, Auswärtiges Amt, Vol. 2, 06-2020, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.auswaertiges-amt.de/blob/1897876/bc1b072256387f684e26a97aae0b903e/factsheet -deutsche-hilfe-syrien-data.pdf 130 Factsheet – Hilfe für Syrien und Syrische Flüchtlinge, Auswärtiges Amt, Vol. 2, 06-2020, S.1, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.auswaertiges-amt.de/blob/1897876/bc1b072256387f684e26a97aae0b903e/factsheet -deutsche-hilfe-syrien-data.pdf 131 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction – Reporting Format for Article 7, Reporting State: Germany, Report submitted on 16/03/2020, reporting for time period prior to 31/12/2019, abgerufen am 25. Mai 2021 unter https://geneva-s3.unoda.org/artvii -database-dump/Germany/2020.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 43 Koordinierung der Minenräumungsaktivitäten und Risikoberatung Mittel für Stabilisierung 38.000.000,00 Mittel für Humanitäre Hilfe 642.000.000,00 * Zwischen Januar und Oktober 2019 hat die UNMAS in Damaskus nach eigener Darstellung 70 Risikoberater ausgebildet, die seitdem im ländlichen Damaskus eingesetzt wurden. Sie haben rund 18.000 Menschen in 60 Gemeinden erreicht. Die Vereinten Nationen selbst stellten im Zuge dessen fest: „Diese Nummer ist unbedeutend im Vergleich zu den 11,5 Millionen bedürftigen Menschen“. Erfolgreicher – aber vermutlich wesentlich weniger nachhaltig – war die Informationskampagne der UNMAS über sozialen Medien und Mobiltelefone: „UNMAS initiierte [2019] eine einmonatige Sensibilisierungskampagne in den sozialen Medien und durch Text-Nachrichten, die alle Abonnenten der beiden syrischen Telekommunikationsunternehmen erreichte. Diese Vorgehensweise ermöglichte es, gefahrenbezogene Kurzinformationen an über 55 Millionen Menschen zu übermitteln.“ 132 6.6.2. 2018 Aktivitätszeitraum: JAN-DEZ 2018133 Gesamtmitteln: EUR 2.414.640,19 Projekte und Partner der Bundesregierung: Projektkosten in EUR Handicap International/Humanity & Inclusion (HI) Minenräumung 414.640,19 Mines Advisory Group (MAG) Minenräumung 500.000,00 United Nations Mine Action Service (UNMAS) Koordinierung der Minenräumungsaktivitäten und Risikoberatung 1.500.000.00 132 The situation in the Middle East, Report of the Secretary-General on the implementation of resolutions 2139 (2014), 2165 (2014), 2191 (2014), 2258 (2015), 2332 (2016), 2393 (2017), 2401 (2018) and 2449 (2018), (S/2019/820), 24. Oktober 2019, Security Council, United Nations, Dokument S/PV.8645, S.6, abgerufen am 26. Mai 2021 unter https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3- CF6E4FF96FF9%7D/s_pv_8645.pdf 133 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction – Reporting Format for Article 7, Reporting State: Germany, Report submitted on 03/04/2019, reporting for time period prior to 31/12/2018, abgerufen am 25. Mai 2021 unter https://geneva-s3.unoda.org/artvii -database-dump/Germany/2019.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 44 Mittel für Stabilisierung 29.000.000,00 Mittel für Humanitäre Hilfe 622.000.000,00 6.6.3. 2017 Aktivitätszeitraum: JAN-DEZ 2017134 Gesamtmitteln: EUR 12.331.583,08 Projekte und Partner der Bundesregierung: Projektkosten in EUR DanChurchAid (DCA) Risikoberatung 181.583,08 United Nations Mine Action Service (UNMAS) Koordinierung der Minenräumungsaktivitäten 150.000,00 United States Department of State (US DoS) Räumung von Improvisierten Sprengvorrichtungen 12.000.000,00 Mittel für Stabilisierung 41.000.000,00 Mittel für Humanitäre Hilfe 720.000.000,00 6.6.4. 2016 Aktivitätszeitraum: JAN-DEZ 2016135 Gesamtmitteln: EUR 89.690,62 Projekte und Partner der Bundesregierung: Projektkosten in EUR DanChurchAid (DCA) Risikoberatung 89.690,62 Mittel für Stabilisierung 48.000.000,00 Mittel für Humanitäre Hilfe 640.000.000,00 134 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction – Reporting Format for Article 7, Reporting State: Germany, Report submitted on 02/03/2018, reporting for time period prior to 31/12/2017, abgerufen am 25. Mai 2021 unter https://geneva-s3.unoda.org/artvii -database-dump/Germany/2018.pdf 135 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction – Reporting Format for Article 7, Reporting State: Germany, Report submitted on 27/04/2017, reporting for time period prior to 31/12/2016, abgerufen am 25. Mai 2021 unter https://geneva-s3.unoda.org/artvii -database-dump/Germany/2017.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 038/21 Seite 45 6.6.5. 2015 Aktivitätszeitraum: JAN-DEZ 2015136 Gesamtmitteln: EUR 17.605,92 Projekte und Partner der Bundesregierung: Projektkosten in EUR One Step Further – EOD for Peace e. V. Risikoberatung, Bewertung des Räumungsbedarfes 17.605,92 Mittel für Stabilisierung 6.000.000,00 Mittel für Humanitäre Hilfe 202.000.000,00 7. Fazit Die Minenräumungsarbeiten begannen in Mozambik 1993 nach Beendigung eines jahrelangen Bürgerkriegs137. Erst 2015 – also nach 22 Jahren – konnte das Land als „minenfrei“ erklärt werden. 171.000 Minen aus 1.100 Minenfeldern wurden dafür in mühevoller Arbeit von 16.000 Frauen und Männern entfernt.138 In Anbetracht des hohen Grades der Verseuchung durch Minen, improvisierte Sprengvorrichtungen und Kampfmittelrückstände in Syrien muss davon ausgegangen werden, dass die Räumung eine kostspielige „Generationenaufgabe“ sein wird. Um auf die tödliche Gefahr von Minen aufmerksam zu machen, die weiterhin in vielen ehemaligen und aktuellen Kriegsgebieten im Boden liegen, haben die VN Ende 2005 den 4. April zum „Internationalen Tag der Aufklärung über die Minengefahren und der Unterstützung bei der Minenräumung“ erklärt. *** 136 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on their Destruction – Reporting Format for Article 7, Reporting State: Germany, Report submitted on 27/04/2017, reporting for time period prior to 31/12/2016, abgerufen am 25. Mai 2021 unter https://geneva-s3.unoda.org/artvii -database-dump/Germany/2016.pdf 137 Der Bürgerkrieg dauerte von 1977 bis 1992. 138 Mozambique – A Beacon of Hope, Halo Trust, abgerufen am 25. Mai 2021 unter https://www.halotrust.org/latest /halo-updates/stories/mozambique-a-beacon-of-hope/