© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 – 038/16 Zur Existenz objektiver Bewertungskriterien für eine Verletzung nationaler Sicherheitsinteressen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 038/16 Seite 2 Zur Existenz objektiver Bewertungskriterien für die Verletzung nationaler Sicherheitsinteressen Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 038/16 Abschluss der Arbeit: 4. März 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 038/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Definitionen 4 2.1. Sicherheit 4 2.2. Sicherheitsinteressen 5 3. Die objektive Verletzung von Sicherheitsinteressen durch verbotene Formen völkerrechtlichen Handelns 6 3.1. Verletzung der territorialen Integrität 7 3.2. Verbot rechtswidriger Interventionen 7 3.3. Gewaltverbot 7 4. Der Verstoß gegen politische Verträge als objektives Bewertungskriterium für die Verletzung von Sicherheitsinteressen 8 5. Fazit 8 Literatur- und Quellenverzeichnis 9 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 038/16 Seite 4 1. Einführung In den internationalen Beziehungen häufen sich in jüngster Vergangenheit die Vorwürfe von Staaten, ihre Sicherheitsinteressen würden durch die Militär- oder Rüstungspolitik anderer Staaten oder Organisationen gefährdet. Ein prominentes aktuelles Beispiel hierfür stellt die Russische Föderation dar, die der NATO und den USA – spätestens seit der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf der 43. Münchner Sicherheitskonferenz vom 9. bis zum 11. Februar 2007 – immer wieder die Verletzung ihrer Sicherheitsinteressen vorhält. 1 Hierzu trügen nach russischer Auffassung insbesondere die im Jahr 1999 begonnene schrittweise NATO-Osterweiterung, die bereits teilweise vollzogene Stationierung von Elementen des künftigen globalen Raketenabwehrsystems (Ballistic Missile Defence System - BMD) in Rumänien und Polen durch die USA sowie die nach Annexion der Krim und Ausbruch der Ukraine-Krise intensivierten Manöveraktivitäten der NATO auch in ost- und südosteuropäischen Staaten und im Schwarzen Meer bei. Im diesem Zusammenhang soll die vorliegende Arbeit die Frage beantworten, ob in den internationalen Beziehungen Bewertungskriterien existieren, auf deren Grundlage objektiv festgestellt werden kann, wann die Sicherheitsinteressen eines Staates als berührt angesehen werden können . Hierzu prüft die Arbeit zunächst, ob es allgemein anerkannte Definitionen der Begriffe „Sicherheit“ und „Sicherheitsinteressen“ gibt und wer für die Festlegung nationaler Sicherheitsinteressen zuständig ist. Anschließend stellt diese Arbeit Formen zwischenstaatlichen Handelns aus dem universellen Völkerrecht vor, die als allgemein anerkannte und damit objektive Bewertungskriterien für das Berühren bzw. das Verletzen von Sicherheitsinteressen herangezogen werden können. Abschliessend prüft diese Arbeit, ob auch – unterhalb dieser Schwelle der im universellen Völkerrecht enthaltenen Handlungsmuster – in anderen zwischen den o.a. Konfliktparteien geschlossenen völkerrechtlichen Verträgen (hier: die NATO-Russland-Grundakte 2 vom 27. Mai 1997) Aktionen einer Vertragspartei genannt werden, die von einer anderen Vertragspartei als Verletzung ihrer Sicherheitsinteressen bewertet werden können. 2. Definitionen 2.1. Sicherheit Objektiv bedeutet Sicherheit die Abwesenheit von Gefahr und subjektiv die Gewissheit, vor Gefahren geschützt zu sein. Sicherheit ist ein Zustand ohne Sorge und Gefahr, wobei Gefahr als die Möglichkeit des Eintritts eines als negativ bewerteten Ereignisses definiert werden kann. Aus dieser abstrakten Definition von Sicherheit folgen zwei Konsequenzen, die auf den subjektiven 1 Vgl. u.a. Meyer, Cornelia (2014): ARD-Interview mit Wladimir Putin: Der Faktencheck. Aktualisiert am 17. November 2014, 17:46 Uhr. Abrufbar unter: http://web.de/magazine/politik/ard-interview-wladimir-putin-faktencheck- 30215748 (letzter Zugriff: 1. März 2016). 2 Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags- Organisation und der Russischen Föderation (NATO-Russland-Grundakte), Paris, 27. Mai 1997. Abrufbar unter: http://www.nato.diplo.de/contentblob/1940894/Daten/189459/1997_05_Paris_DownlDat.pdf (letzter Zugriff: 1. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 038/16 Seite 5 Gehalt von Sicherheit verweisen. Erstens kann man sich in falscher Sicherheit wiegen, weil eine objektive Bedrohung als solche nicht wahrgenommen wird. Ebenso kann durch Fehlwahrnehmung eine Gefahr eruiert werden, die objektiv gar nicht vorhanden ist. Da aber für das soziale Handeln Meinungen über Tatsachen oft relevanter sind als die Tatsachen selbst, kann die Wahrnehmung einer vermeintlichen Bedrohung Handlungen auslösen, mit denen die bedrohliche Reaktion des Gegners erst hervorgerufen wird. 3 Darüber hinaus ist die subjektive Werteskala bestimmend , „welche Ereignisse als Gefahr oder Bedrohung wahrgenommen werden: Die Definition dessen, was als Gefahr und Bedrohung erscheint, korreliert mit dem, was unter Sicherheit verstanden wird. Je ausufernder das Sicherheitsbedürfnis bzw. -interesse wird, desto größer wird der Horizont möglicher Gefahren.“ 4 2.2. Sicherheitsinteressen Dadurch, dass Sicherheit, wie unter Ziff. 2.1 gezeigt, ein seinem Wesen nach subjektiver Begriff ist, obwohl er eine objektive Komponente einschließt, wird die Definition objektiver Sicherheitsinteressen erschwert. Ein weiteres prinzipielles Problem bei der Definition von Interessen im Allgemeinen und Sicherheitsinteressen im Besonderen besteht darin, „Individuen oder Kollektivsubjekten objektive [Sicherheits-]Interessen zuzuschreiben. Entweder wird die Skala der zu sichernden Werte und Interessen so abstrakt angesetzt, dass das „Überleben“ des Systems das objektive Interesse ist oder es werden die staatlichen Interessen aus der gesellschaftlichen Struktur abgeleitet.“ 5 Da die Perzeption von Sicherheit und Sicherheitsinteressen durch unterschiedliche, sich verändernde Elemente (politische Entwicklungen im Innern und im Äußeren, gesellschaftliche Strömungen, etc.) beeinflusst wird, sind sowohl der Begriff „nationales Interesse“ als auch der Terminus „nationale Sicherheitsinteressen“ nicht klar und eindeutig zu definieren, zumal – analog zur Sicherheit – zwischen objektiven und subjektiven Sicherheitsinteressen unterschieden werden muss. 6 Zuständig für die Definition der Sicherheitsinteressen sind die Nationalstaaten selbst. Dies gilt sogar innerhalb inter- oder supranationaler Organisationen wie NATO bzw. EU 7, deren jeweilige Sicherheitsinteressen grundsätzlich nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der nationalen Sicherheitsinteressen ihrer Mitglieder darstellen. Die Nationalstaaten kommunizieren ihre subjektiven Sicherheitsinteressen im Allgemeinen durch sicherheitspolitische Grundlagendokumente 3 Wortmann, Rolf (1988): Frieden und Sicherheit: Die Krise der westdeutschen Sicherheitspolitik. Leske + Budrich, Opladen, 1988, S. VII f. 4 Ebenda, S. VIII. 5 Ebenda, S. VI f. 6 Gruner, Wolf D. (2014): Der Wiener Kongress 1814/15 – Seine Rolle im europäischen Transformationsprozess vom 18. zum 19. Jahrhundert. In: Bachem-Rehm et al. (Hrsg.): Teilungen überwinden: Europäische und Internationale Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Festschrift für Wilfried Loth, S. 262. 7 „Sicherheitsinteressen [...], deren Definition in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt.“ Vgl. Richtlinie 2009/81/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 13. Juli 2009, Ziff. 16. Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32009L0081 (letzter Zugriff: 1. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 038/16 Seite 6 wie beispielsweise Russland Anfang 2016 durch seine neue „Nationale Sicherheitsstrategie bis 2020“. Hier heißt es u.a.: „Auf lange Sicht sind die nationalen Interessen […] die Sicherung des Status der Russischen Föderation als eine der führenden Weltmächte, eine Rolle, welche auf die Aufrechterhaltung der strategischen Stabilität zielt und auf gegenseitige Partnerschaft in einer polyzentrischen Welt.“ 8 Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit gelegt, die Souveränität , die territoriale und staatliche Integrität des Landes, die Stärkung des nationalen Konsens und die Verbesserung der Lebensqualität, die Entwicklung und den Erhalt der Kultur sowie die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. 9 3. Die objektive Verletzung von Sicherheitsinteressen durch verbotene Formen völkerrechtlichen Handelns Das Nebeneinander unabhängiger, in einer Rechtsgemeinschaft miteinander verbundener Staaten setzt die Geltung gewisser elementarer Normen voraus. Das universelle Völkerrecht legt diese Grundrechte und -pflichten fest, die für den Erhalt der Rechtsgemeinschaft insgesamt und den ihrer Mitglieder strukturell notwendig sind. Zu ihnen zählen die Rechte auf Gleichheit, Existenz, Unabhängigkeit, auf Selbstverteidigung, Souveränität, Teilnahme am zwischenstaatlichen Verkehr und Schutz der Ehre. 10 „Die Pflicht zur Respektierung der Existenz anderer Staaten umfasst im Einzelnen etwa die Verpflichtung , die territoriale Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit eines Staates zu achten sowie jede hiergegen gerichtete Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen. Bestandteil dieser Pflicht ist es ebenfalls, andere Staaten nicht in der Ausübung ihrer Staatsgewalt zu beeinträchtigen und nicht in die anderen Staaten vorbehaltenen Angelegenheiten zu intervenieren .“ 11 Ein Eingriff in diese staatlichen Grundrechte, deren Aufgabe darin besteht, die staatliche Eigenständigkeit eines jeden Mitglieds der Staatengemeinschaft zu schützen und den Fortbestand des internationalen Systems zu sichern, 12 verletzt, soweit er gegen den Willen des betroffenen Staates geschieht, dessen Sicherheitsinteressen und zieht grundsätzlich eine Befassung des VN- Sicherheitsrates nach sich. Die Befassung des VN-Sicherheitsrates mit solchen Grundrechtseingriffen , die in den folgenden Unterkapiteln weiter ausgeführt werden, stellt somit ein objektives Bewertungskriterium für eine Verletzung von Sicherheitsinteressen dar. 8 Quelldokument auf Russisch. Abrufbar im Internetportal der russischen Regierung unter: http://publication .pravo.gov.ru/Document/View/0001201512310038?index=0&rangeSize=1 (letzter Zugriff: 2. März 2016). 9 Vgl. Hyland, Julie (2016): Neue Sicherheitsstrategie der Russischen Föderation. Politik im Spiegel vom 7. Januar 2016. Abrufbar unter: http://politik-im-spiegel.de/neue-sicherheitsstrategie-der-russischen-fderation/ (letzter Zugriff : 2. März 2016). 10 Vgl. Dahm, Georg; Delbrück, Jost; Wolfrum, Rüdiger (2002): Völkerrecht Band I/3: Die Formen des völkerrechtlichen Handelns; Die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft, S. 776. De Gruyter Recht, Berlin, 2002. Signatur der Bibliothek des Deutschen Bundestages: JUR 11.07 4. 11 Ebenda, S. 779. 12 Vgl. ebenda, S. 777. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 038/16 Seite 7 3.1. Verletzung der territorialen Integrität Der Grundsatz, dass die territoriale Integrität von Staaten zu achten ist, ist allgemein anerkannt. Er wird primär auf den Schutz der Grenzen bezogen und korrespondiert insoweit mit dem noch zu behandelnden Gewaltverbot (vgl. Ziff. 3.3). Das Gebot zur Achtung der territorialen Integrität verbietet ganz allgemein alle Staatshandlungen im Ausland, durch die in die Gebietshoheit des Territorialstaates ohne dessen Einwilligung und ohne Vorliegen eines entsprechenden völkerrechtlichen Rechtstitels eingegriffen wird. In der völkerrechtlichen Praxis werden daher neben dem Eindringen staatlicher Flugzeuge oder Schiffe in fremde Hoheitsräume oder Grenzverletzungen zur Festnahme oder Entführung einer Person im Ausland durch Geheimdienste auch Hoheitsmaßnahmen mit Wirkung für Personen, die sich auf dem Staatsgebiet eines anderen Staates aufhalten oder das ergreifen und Durchsetzen von Maßnahmen gegen Sachen und Rechte in einem anderen Staat angesehen. 13 Durch solche Maßnahmen werden stets die Sicherheitsinteressen des betroffenen Staates berührt. 3.2. Verbot rechtswidriger Interventionen Das Verbot, völkerrechtswidrig in einem anderen Staat zu intervenieren, ist neben dem Gewaltverbot und der Garantie der territorialen Integrität der Staaten ein völkerrechtlicher Schutzmechanismus für die einzelstaatliche Souveränität. Unter Intervention wird in diesem Zusammenhang „die Einmischung eines Staates in die inneren und äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates ohne Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes verstanden. […] Die Einmischung muss in Angelegenheiten vorgenommen werden, die zur alleinigen Zuständigkeit des anderen Staates gehören (domaine reserve). Da die militärische Gewalt vom Gewaltverbot umfasst wird, erfasst das Interventionsverbot auch bzw. gerade die nichtmilitärische Gewalt, d.h. u.a. Eingriffe politischer und wirtschaftlicher Art. Diese Mittel müssen unter Androhung oder Anwendung von Zwang gegen den anderen Staat angewandt werden, um unter das Interventionsverbot zu fallen.“ 14 3.3. Gewaltverbot Das Gewaltverbot schützt den territorialen Bestand der Staaten sowie ihre Entscheidungsfreiheit. Eine Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit ist in der Form einer Beschränkung der freien Willensentschließung oder Willensausübung denkbar. „Unter physischer Gewalt fallen u.a. militärische Kampfhandlungen, die militärische Besetzung mit und ohne Kriegserklärung, die militärische Unterstützung von Aufständischen, die Entsendung von Freiwilligen zur Teilnahme an militärischen Aktionen, auch die Unterstützung von terroristischen Aktivitäten, das völkerrechtswidrige Belassen von Truppen auf fremdem Gebiet, die Beschießung fremden Gebiets mit Flugzeugen oder Raketen, die Blockierung fremder Küsten oder Häfen oder eine Landblockade.“ 15 Hinzugekommen sind heute Cyber-Angriffe, wenn diese in ihren Auswirkungen die Schwelle zum bewaffneten Konflikt überschreiten und sich mit der Wirkung herkömmlicher Waffen vergleichen lassen. 13 Vgl. ebenda, S. 791 ff. 14 Vgl. Rechtslexikon.net (2014): Interventionsverbot. Abrufbar unter: http://www.rechtslexikon.net/d/interventionsverbot /interventionsverbot.htm (letzter Zugriff: 2. März 2016). 15 Dahm; Delbrück; Wolfrum (2002), a.a.O., S. 823. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 038/16 Seite 8 4. Der Verstoß gegen politische Verträge als objektives Bewertungskriterium für die Verletzung von Sicherheitsinteressen Der Verstoß einer Vertragspartei gegen sicherheitspolitische Grundsätze, auf die sich zwei oder mehr Parteien in einer gemeinsamen Erklärung oder in einem politischen Vertrag geeinigt haben, könnte ein objektives Bewertungskriterium für eine Verletzung der Sicherheitsinteressen eines anderen Staates darstellen. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass diese Grundsätze keine Interpretationsspielräume zulassen. Einen solchen Vertrag stellt beispielsweise die NATO-Russland-Grundakte dar, die die Russische Föderation und die NATO in Paris am 27. Mai 1997 unterzeichnet haben. Hier verpflichtete sich die NATO u.a., keine substantiellen Kampftruppen im Gebiet der Mitgliedstaaten permanent zu stationieren. 16 Gerade in diesem Zusammenhang wirft Russland der nordatlantischen Allianz einen Verstoß gegen die Grundakte und eine Verletzung seiner Sicherheitsinteressen vor. Allerdings weist dieser Punkt einen erheblichen Interpretationsspielraum auf, da bei den Vertragsverhandlungen keine quantitativen Kennwerte über Geographien, die Dauer von Truppenaufenthalten , die Personalstärke oder die Anzahl an Waffensystemen festgelegt worden waren. Wären solche Kennwerte damals festgelegt worden, könnten diese heute, wenn quantitative Kennwerte – beispielsweise bei Manövern – überschritten würden, als objektives Bewertungskriterium für die Verletzung von Sicherheitsinteressen herangezogen werden 5. Fazit Ein objektives Bewertungskriterium, dass Sicherheitsinteressen eines oder mehrerer Staaten berührt sein können, stellt die Befassung des VN-Sicherheitsrates mit dem völkerrechtswidrigen Verhalten von Staaten oder (Terror-)Organisationen dar, durch das der Frieden bedroht oder gebrochen wird oder das Angriffshandlungen umfasst. Unterhalb des universellen Völkerrechts ließen sich objektive Bewertungskriterien für die Verletzung von Sicherheitsinteressen nur aus politischen Verträgen oder Erklärungen mit sicherheitspolitischem Fokus ableiten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die getroffenen Absprachen eindeutig sind, keine breite Auslegung zulassen und von den Vertragsparteien in gleicher Weise interpretiert werden. Im Falle der NATO-Russland-Grundakte fehlt eben diese Eindeutigkeit. Somit fehlen in der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzung zwischen der NATO und der Russischen Föderation jenseits des universellen Völkerrechts objektive Bewertungskriterien für die Verletzung von Sicherheitsinteressen. Ende der Bearbeitung 16 Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags- Organisation und der Russischen Föderation Paris, 27. Mai 1997. Abrufbar unter: http://www.nato.diplo.de/contentblob /1940894/Daten/189459/1997_05_Paris_DownlDat.pdf (letzter Zugriff: 1. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 – 038/16 Seite 9 ANLAGE Literatur- und Quellenverzeichnis Dahm, Georg; Delbrück, Jost; Wolfrum, Rüdiger (2002): Völkerrecht Band I/3: Die Formen des völkerrechtlichen Handelns; Die inhaltliche Ordnung der internationalen Gemeinschaft. De Gruyter Recht, Berlin, 2002. Signatur der Bibliothek des Deutschen Bundestages: JUR 11.07 4. Gruner, Wolf D. (2014): Der Wiener Kongress 1814/15 – Seine Rolle im europäischen Transformationsprozess vom 18. zum 19. Jahrhundert. In: Bachem-Rehm et al. (Hrsg.): Teilungen überwinden : Europäische und Internationale Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Festschrift für Wilfried Loth. Hyland, Julie (2016): Neue Sicherheitsstrategie der Russischen Föderation. Politik im Spiegel vom 7. Januar 2016. Abrufbar unter: http://politik-im-spiegel.de/neue-sicherheitsstrategie-derrussischen -fderation/ (letzter Zugriff: 2. März 2016). Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags -Organisation und der Russischen Föderation Paris, 27. Mai 1997. Abrufbar unter: http://www.nato.diplo.de/contentblob/1940894/Daten/189459/1997_05_Paris_DownlDat.pdf (letzter Zugriff: 1. März 2016). Präsident der Russischen Föderation (2015): Nationale Sicherheitsstrategie bis 2020. Quelldokument auf Russisch, abrufbar im Internetportal der russischen Regierung unter: http://publication .pravo.gov.ru/Document/View/0001201512310038?index=0&rangeSize=1 (letzter Zugriff: 2. März 2016). Rechtslexikon.net (2012): Abrufbar unter: http://www.rechtslexikon.net (letzter Zugriff: 4. März 2016). Richtlinie 2009/81/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 13. Juli 2009, Ziff. 16. Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex% 3A32009L0081 (letzter Zugriff: 1. März 2016). Wortmann, Rolf (1988): Frieden und Sicherheit: Die Krise der westdeutschen Sicherheitspolitik. Leske + Budrich, Opladen, 1988