WD 2 – 3000 - Nr. 036/16 (22. Februar 2016) © 2016 Deutscher Bundestag Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Die vorliegende Kurzinformation befasst sich mit drei ausgewählten Aspekten der rechtlichen Stellung deutscher Kriegsschiffe, nämlich zum einen mit der Frage, ob sie Teil des deutschen Territoriums sind (1.), welches Recht auf ihnen gilt (2.) und inwieweit sie Immunität genießen (3.). 1. Verhältnis zum deutschen Territorium Das Reichsgericht vertrat die Auffassung, Schiffe stellten „schwimmendes Territorium“ des Flaggenstaates dar (RG, Urteil vom 15. Januar 1917 – III 1/17 –, RGSt 50, 218-222). Die heute wohl herrschende Meinung in der deutschen Völkerrechtslehre lehnt diese Theorie ab.1 Zur Begründung wird zum einen auf die Situation von Schiffen hingewiesen, die sich in fremden Küstenmeeren oder Häfen befinden. Da die Organe des Küstenstaats, soweit das Völkerrecht nicht entgegensteht, die in seinem Küstenmeer oder Binnengewässer befindlichen fremden Schiffe aus originärem Recht betreten dürften, während dies beim Territorium des Flaggenstaats nicht der Fall sei, könne die Hoheitsgewalt des Flaggenstaates über das Schiff nicht seiner Territorialhoheit zugerechnet werden. Zum anderen wird angeführt, dass der von einem Schiff eingenommene Raum anders als das Staatsterritorium die senkrecht anschließenden Wasser- und Luftsäulen nicht einschließe, weshalb rechtlich nichts gegen ein Unterqueren und Überfliegen des Schiffes einzuwenden sei. Nach dieser Auffassung ist das Flaggenprinzip als eigenständige Form der Anknüpfung staatlicher Hoheitsgewalt anzusehen, die den Flaggenstaat lediglich dazu berechtigt , seine Gesetze auf dem Schiff wie auf seinem Territorium durchzusetzen. Die Theorie des „schwimmenden Territoriums“ scheint auch in der deutschen Rechtsprechung allmählich an Boden zu verlieren. Während das Bundesarbeitsgericht im Jahr 1974 noch darauf verwies, dass Schiffe, die die Bundesflagge führen, nach allgemeinem See- und Völkerrecht als deutsches Staatsgebiet gälten (BAG, Beschluss vom 17. September 1974 – 1 ABR 85/73 –, BAGE 26, 242-257, Rn. 38) und auch das Bundessozialgericht im Jahr 1980 Seeschiffe grundsätzlich noch als schwimmendes Gebiet des Flaggenstaates ansah (BSG, Urteil vom 17. Juli 1980 – 7 RAr 1 Siehe Beckert / Breuer, Öffentliches Seerecht, 1991, S. 158 m.w.N.; Wolfrum in: Graf Vitzthum, Handbuch des Seerechts, 2006, S. 303 ff. m.w.N.; Epping in: Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage 2014, S. 51 m.w.N.; Werle/Jeßberger in: Laufhütte / Rissing-van Saan / Klaus Tiedemann, StGB Leipziger Kommentar, 12. Auflage 2007, § 3 StGB, Rn. 71. Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur rechtlichen Stellung deutscher Kriegsschiffe Kurzinformation Zur rechtlichen Stellung deutscher Kriegsschiffe Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 71/79 –, SozR 4460 § 8 Nr. 7, Rn. 16), ließ der Bundesgerichtshof diese Frage in einer Entscheidung aus dem Jahr 2009 ausdrücklich offen (siehe BGH, Beschluss vom 7. April 2009 – 2 ARs 180/09 –, juris Rn. 9). 2. An Bord geltendes Recht An Bord eines Schiffes auf Hoher See gilt grundsätzlich das Recht des Flaggenstaates, im Hoheitsgebiet eines fremden Küstenstaates dagegen grundsätzlich das Recht dieses Staates. Allerdings existieren im letzteren Fall etliche völkerrechtliche Einschränkungen, die sich insbesondere aus der gewohnheitsrechtlichen Pflicht zur Respektierung der Ordnung an Bord und der persönlichen Angelegenheiten der Schiffsbesatzung, dem Recht zur friedlichen Durchfahrt und diversen Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ)2 ergeben.3 Mangels abweichender Regelung gilt all dies auch dann, wenn sich das betreffende Schiff in den Hoheitsgewässern eines EU- oder NATO-Mitgliedsstaates befindet oder einem NATO-Flottenverband unter deutscher Führung unterstellt ist. 3. Immunität Völkerrechtssubjekte werden im völkerrechtlichen Verkehr durch ihre Organe vertreten. Zu diesen zählen unter anderem diplomatische Missionen. Um zu gewährleisten, dass letztere, obwohl sie sich in einem fremden Staat befinden, ungestört ihren Aufgaben nachgehen können, haben sich Vorrechte und Immunitäten diplomatischer Missionen herausgebildet.4 Deutsche Kriegsschiffe sind demgegenüber keine völkerrechtlichen Vertretungsorgane Deutschlands und genießen folglich auch nicht dieselben Vorrechte und Immunitäten wie diplomatische Missionen. Gleichwohl wird ihnen im Bereich fremder Hoheitsgewässer Immunität zugebilligt, sofern sie sich nicht gegen den Willen des fremden Küstenstaates dort aufhalten.5 Dies hat zur Folge, dass der Küstenstaat an Bord des deutschen Kriegsschiffes keine Amtshandlungen vornehmen darf, Schiff und Besatzung nicht der fremden Gerichtsbarkeit unterstehen und der Kommandant des Kriegsschiffes den Organen des Küstenstaates den Zutritt verweigern darf. Gemäß Art. 30 SRÜ darf ein Küstenstaat verlangen, dass ein Kriegsschiff, das seine Gesetze und sonstigen Vorschriften trotz entsprechender Aufforderung nicht einhält, sein Küstenmeer sofort verlässt. Ende der Bearbeitung 2 Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982, BGBl. 1994 II S. 1799. 3 Siehe Beckert / Breuer, Öffentliches Seerecht, 1991, S. 167 f. 4 Siehe Wolfrum in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Auflage 2007, S. 178/182. 5 Siehe Beckert / Breuer, Öffentliches Seerecht, 1991, S. 158 m.w.N.; Heintschel von Heinegg in: Ipsen, Völkerrecht , 6. Auflage 2014, S. 875 m.w.N.