Deutscher Bundestag Wege zum „Global Zero“ Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 – 036/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 2 Wege zum „Global Zero““ Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 036/11 Abschluss der Arbeit: 15. März 2011 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Regierungsinitiativen 4 2.1. Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen 4 2.1.1. Inhalte 4 2.1.2. Überprüfungskonferenz 2010 6 2.1.3. Gruppe der „Freunde des NVV“ 8 2.2. Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen 9 2.3. Kernwaffenfreie Zonen 10 2.4. Haager Verhaltenskodex gegen die Proliferation ballistischer Raketen 11 2.5. Proliferation Security Initiative 12 2.6. Strategisches Konzept der NATO 12 3. Nichtregierungsinitiativen 13 3.1. Weisengruppe Kissinger, Shultz, Perry und Nunn 14 3.2. Internationale Kommission für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung 15 3.3. Initiative „Global Zero“ 16 3.4. Übereinkommen über Atomwaffen 16 3.5. Nuclear Threat Initiative 17 3.6. Middle Powers Initiative 18 4. Zusammenfassung 19 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 4 1. Einleitung Das Thema „Global Zero“ hat seit April 2009 weltweit neuen und unerwarteten Rückenwind erfahren und damit die weltweite nukleare Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung sowie überwachte friedliche Nutzung der Kernenergie. Der Rückenwind wurde in chronologischer Reihenfolge u.a. erzeugt durch die Prager Rede von Präsident Obama am 5. April 2009, den neuen „Strategic Arms Reduction Treaty“ (new START)-Abkommen vom 8. April 2010, den „Nuclear Security Summit“ am 12./13. April 2010 in Washington, die 8. Überprüfungskonferenz zum „Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen“ vom 28. Mai 2010 sowie das Strategische Konzept der NATO vom 30. November 2010. Weniger bekannt, aber für das Thema „Global Zero“ mindestens so bedeutsam ist, dass solche Regierungsinitiativen und –abkommen oftmals mittelfristig durch Nichtregierungsinitiativen angestoßen und auch wesentlich vorbereitet worden sind. Vor diesem Hintergrund stellt die Ausarbeitung ausgewählte Regierungs- und Nichtregierungsinitiativen vor, die das Thema Global Zero in unterschiedlicher Intensität befördert haben bzw. den Regierungen weiterführende Zielsetzungen gegenüber dem aktuellen Stand der Vereinbarungen aufzeigen. 2. Regierungsinitiativen Initiativen für eine weltweite nukleare Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung bedürfen stets eines politischen Momentums und für die Nachhaltigkeit des Ergebnisses völkerrechtlich verbindlicher Bestimmungen einschließlich eines transparenten Regimes der Verifikation. Verträge, Abkommen oder Übereinkommen, die lediglich politischer Natur sind und / oder kein Verifikationsregime beinhalten, müssen als Zwischenschritt und darüber hinaus als Aufruf für weiteren Handlungsbedarf bewertet werden, wenn das ursprüngliche Ziel nicht aufgegeben werden soll. Die Quadratur des Kreises bei Regierungsverhandlungen liegt oftmals darin, dass man für das Thema möglichst alle Staaten „an Bord“ haben möchte, was wiederum zum Konsenszwang und damit zu einer „Verwässerung“ des Ergebnisses führen kann. In Kenntnis dessen werden für Abkommen vorzugsweise regelmäßige Überprüfungskonferenzen vorgesehen, die das Thema prominent auf der Agenda halten und somit ggf. weiterentwickeln können. 2.1. Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen 2.1.1. Inhalte 1968 wurde mit dem „Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen“ („Treaty on the Non- Proliferation of Nuclear Weapons“ - NPT) das Fundament für ein völkerrechtlich verbindliches globales System der nuklearen Nichtverbreitung, nuklearen Abrüstung und der überwachten zivilen Nutzung der Kernenergie geschaffen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 5 Der Vertrag verpflichtet alle Parteien, „Verhandlungen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle (zu führen).“1 Nichtkernwaffenstaaten werden ergänzend aufgefordert, „Sicherungsmaßnahmen“ mit der „Internationalen Atomenergieorganisation“ (International Atomic Energy Agency - IAEA) vorzunehmen „damit verhindert wird, dass Kernenergie von der friedlichen Nutzung abgezweigt und für Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper verwendet wird.“2 Kernwaffenstaaten werden in Artikel I aufgefordert, „Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber an niemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben und einen Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonst wie zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen.“ Im Rahmen der Überprüfungskonferenz 1995 wurde u.a. beschlossen, dass der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen unbefristet verlängert wird. Voraussetzung hierfür war u.a. die Annahme einer Nahost-Resolution für eine Zone frei der „Nuklearwaffen und aller anderen Mas- 1 Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, Artikel VI. 2 Ebenda, Artikel III Abs. 1: „Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Sicherungsmaßnahmen anzunehmen, wie sie in einer mit der Internationalen Atomenergie-Organisation nach Maßgabe ihrer Satzung und ihres Sicherungssystems auszuhandelnden und zu schließenden Übereinkunft festgelegt werden, wobei diese Sicherungsmaßnahmen ausschließlich dazu dienen, die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus diesem Vertrag nachzuprüfen, damit verhindert wird, dass Kernenergie von der friedlichen Nutzung abgezweigt und für Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper verwendet wird. Die Verfahren für die nach diesem Artikel erforderlichen Sicherungsmaßnahmen werden in Bezug auf Ausgangs- und besonderes spaltbares Material durchgeführt, gleichviel ob es in einer Hauptkernanlage hergestellt, verarbeitet oder verwendet wird oder sich außerhalb einer solchen Anlage befindet. Die nach diesem Artikel erforderlichen Sicherungsmaßnahmen finden Anwendung auf alles Ausgangs- und besondere spaltbare Material bei allen friedlichen nuklearen Tätigkeiten, die im Hoheitsgebiet dieses Staates, unter seiner Hoheitsgewalt oder unter seiner Kontrolle an irgendeinem Ort durchgeführt werden.“ Ebenda, Artikel V: „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, geeignete Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass im Einklang mit diesem Vertrag unter geeigneter internationaler Beobachtung und durch geeignete internationale Verfahren die möglichen Vorteile aus jeglicher friedlichen Anwendung von Kernsprengungen Nichtkernwaffenstaaten , die Vertragspartei sind, auf der Grundlage der Gleichbehandlung zugänglich gemacht werden und dass die diesen Vertragsparteien für die verwendeten Sprengkörper berechneten Gebühren so niedrig wie möglich sind und keine Kosten für Forschung und Entwicklung enthalten. Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, können diese Vorteile aufgrund einer oder mehrerer internationaler Sonderübereinkünfte durch eine geeignete internationale Organisation erlangen, in der Nichtkernwaffenstaaten angemessen vertreten sind. Verhandlungen hierüber werden so bald wie möglich nach Inkrafttreten dieses Vertrags aufgenommen. Nichtkernwaffenstaaten, die Vertragspartei sind, können diese Vorteile, wenn sie es wünschen, auch aufgrund zweiseitiger Übereinkünfte erlangen.“ Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 6 senvernichtungswaffen“3, die von Russland, Großbritannien und den USA eingebracht worden war. Die 7. Überprüfungskonferenz endete 2005 ohne Abschlussdokument, da ein Konsens zwischen den westlichen Staaten und der „Bewegung der Ungebundenen Staaten“ (Non-alligned Movement - NAM)4 zu den Zielen des Vertrages und ihrer Realisierung nicht erreicht werden konnte. 190 Staaten gehören dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen an; keine Vertragsparteien hingegen sind Indien, Pakistan und Israel. Der Status von Nordkorea, das am 9. Januar 2003 seinen Rückzug vom Vertrag erklärte, ist offen. Der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen sieht alle fünf Jahre eine Überprüfungskonferenz vor; die neunte ist 2015 zu erwarten . Mit Blick auf die Bestimmungen des Vertrages werden als Kernwaffenstaaten ausschließlich die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (USA, Russland, China , Frankreich und Großbritannien) betrachtet. Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea gelten als Nichtkernwaffenstaaten. Ukraine, Weißrussland, Kasachstan, Südafrika und Brasilien haben bekanntlich auf Kernwaffen verzichtet und gelten daher ebenfalls als Nichtkernwaffenstaaten. 2.1.2. Überprüfungskonferenz 2010 Die 8. Überprüfungskonferenz endete nach vierwöchigen Verhandlungen in New York am 28. Mai 2010 erfreulicher Weise doch mit einem Abschlussdokument. Es beinhaltet u.a. das Kapitel „Überprüfung der Funktion und Wirkung des Vertrages“, das aufgrund des fehlenden Konsenses der Vertragsstaaten in der Verantwortung des Vorsitzenden der Konferenz erstellt worden war. Das operative Kapitel „Schlussfolgerungen und Empfehlungen für Folgemaßnahmen“ beinhaltet im Konsens angenommene Aktionspläne zur nuklearen Abrüstung, zur nuklearen Nichtverbreitung , zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und zur Implementierung der Nahost-Resolution von 1995. Der Aktionsplan zur nuklearen Abrüstung enthält 22 Maßnahmen bzw. Zielsetzungen. Hierzu zählen u.a.: Welt ohne Atomwaffen; Aufforderung der schnellen Ratifizierung des START- Abkommen zwischen den USA und Russland; Reduzierung aller Typen von Nuklearwaffen; Rücknahme der Bedeutung von Atomwaffen in Sicherheitskonzepten; Diskussion zur Vermeidung eines Einsatzes von Atomwaffen; Reduzierung der Einsatzbereitschaft von Atomwaffen; Etablierung weiterer Kernwaffenfreier Zonen (siehe hierzu Kapitel 2.3); Verzicht auf Testversuche mit Atomwaffen; Aufforderung an die Abrüstungskonferenz in Genf, einen Vertrag zum Pro- 3 „Middle East zone free of nuclear weapons and all other weapons of mass destruction.“ Quelle: NPT/CONF.2010/50 (Vol. I), S. 30, Ziffer 7 (a), unter: www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=NPT/CONF.2010/50%20(VOL.I) [28.02.2011]. 4 Zur „Bewegung der Ungebundenen Staaten“ NAM vgl.: http://news.bbc.co.uk/2/hi/asiapacific /country_profiles/2798187.stm [28.02.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 7 duktionsstopp für waffenfähiges spaltbares Material („Fissile Material Cut-Off Treaty“ - FMCT) zu verhandeln. Der Aktionsplan zur nuklearen Nichtverbreitung umfasst 23 Maßnahmen, die im Wesentlichen eine Stärkung der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) und ihrer Kontrollfähigkeiten sowie den Zugang zur nationalen Kernenergie der Vertragsstaaten sicherstellen sollen. Der Aktionsplan zur friedlichen Nutzung der Kernenergie umfasst 18 Maßnahmen, die im Wesentlichen der Sicherheit der Anlagen dienen. Der Aktionsplan zur Implementierung der Nahost-Resolution von 1995 für eine Zone frei der „Nuklearwaffen und aller anderen Massenvernichtungswaffen“ beinhaltet praktische und nachprüfbare Schritte, mit denen der Einstieg in einen Prozess ermöglicht werden soll, so u.a. die Einberufung einer Konferenz in 2012, die Ernennung eines Vermittlers sowie den Aufruf an Israel , dem Vertrag als Nichtnuklearwaffenstaat beizutreten und seine Nuklearanlagen unter Sicherungsmaßnahmen der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) zu stellen. Die seit der 7. Überprüfungskonferenz erfolgten wesentlichen Ereignisse haben die Verhandlungen und das Ergebnis der 8. Überprüfungskonferenz mit beeinflusst. Hierzu zählten u.a. die bekannt gewordene nukleare Weiterverbreitung nach Iran und Nordkorea; Diskussionen und Entscheidungen über die Modernisierung der Nuklearwaffenarsenale in Kernwaffenstaaten; eine zunehmende Tolerierung der außerhalb des Vertrages stehenden Staaten (z.B. Indien, Pakistan und Israel) durch Kernwaffenstaaten; die Prager Rede von Präsident Obama zu „Global Zero“; das START-Abkommen zwischen den USA und Russland; der „Nuclear Security Summit“ in Washington und die erstmalige Offenlegung der Anzahl der nuklearen Sprengköpfe durch die USA und durch Großbritannien. Nachdem die Vertragsstaaten im Rahmen der 7. Überprüfungskonferenz 2005 keinen Konsens für ein Abschlussdokument erreichen konnten, ist es als Erfolg zu bezeichnen, dass 2010 ein solcher überhaupt erreicht worden ist, ergänzt um einen Aktionsplan, der nicht nur die Ziele des Vertrages bestätigt, sondern auch darüber hinaus gehende Maßnahmen beinhaltet. Mit weiter gehenden Forderungen nach konkreten Fristsetzungen für Abrüstungsschritte bzw. Verhandlungen über ein „Übereinkommen über Atomwaffen“ (siehe hierzu Kapitel 3.4) konnte sich die „Bewegung der Ungebundenen Staaten“ (NAM) nicht durchsetzen. Die westlichen Staaten hingegen konnten bei der Nichtverbreitung, insbesondere der Stärkung der Verifikationsinstrumente der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA), über den status-quo hinaus auch keine Fortschritte erreichen. Das Ergebnis 2010 setzt somit das bekannte Dilemma fort: westliche Kernwaffenstaaten fordern vorrangig weitere Bemühungen zur Verhinderung der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und orientieren sich mit dieser Vorgehensweise am Titel des Vertrages (über die Nichtverbreitung von Kernwaffen) sowie dem Inhalt seines Artikel III5. Die „Bewegung der Unge- 5 Siehe Fn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 8 bundenen Staaten“ (NAM) hingegen besteht darauf, dass gemäß Artikel VI6 zunächst greifbare und verifizierbare Abrüstungsschritte bei den Kernwaffenstaaten erzielt werden. Ungeachtet dessen obliegt es nun den Vertragsstaaten, das Ergebnis der 8. Überprüfungskonferenz in ihrem Sinne für eine Weiterentwicklung der Themen der nuklearen Abrüstung, nuklearen Nichtverbreitung und friedlichen Nutzung der Kernenergie zu nutzen. sowie Implementierung der Nahost-Resolution von 1995. Für die erfolgreiche Umsetzung des Aktionsplans zur Implementierung der Nahost-Resolution von 1995 für eine Zone frei der „Nuklearwaffen und aller anderen Massenvernichtungswaffen“ ist eine Teilnahme sowohl seitens Israels als auch Irans an der Konferenz 2012 notwendig.7 2.1.3. Gruppe der „Freunde des NVV“ Am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen kam es am 22. September 2010 durch die entsprechenden Außenminister zur Gründung einer regionenübergreifenden Gruppe von zehn Staaten8, die sich die Förderung nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung im Einklang mit dem Abschlussdokument der 8. Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen zum Ziel gesetzt hat. Als wesentliches Signal dieses Zusammenschlusses wird das erstmalige Zusammenwirkung von westlichen Staaten mit Vertretern der „Bewegung der Ungebundenen Staaten“ (NAM) gesehen.9 Die Gründungserklärung der Gruppe der „Freunde des NVV“ enthält zudem umfassende Vorschläge und Strategien zur weiteren Reduzierung von Nuklearwaffen.10 Um der Gruppe zunehmend politisches Profil zu verleihen, ist 6 Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, Art. VI „Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Massnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung und strenger und wirksamer internationaler Kontrolle .“ 7 „Israel: Abrüstungsplan ist heuchlerisch“, in: Süddeutsche Zeitung, 31. Mai 2010, S. 8. 8 Gründungsmitglieder sind neben den Initiatoren Australien und Japan die Länder Deutschland, Chile, Kanada, Mexiko, die Niederlande, Polen, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate. 9 Vgl. Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2010) vom 27.01.2011, Deutscher Bundestag Drucksache 17/4620, S. 15, unter: http://www.auswaertigesamt .de/cae/servlet/contentblob/561582/publicationFile/146396/1101-Jahresabruestungsbericht-2010.pdf [01.03.2011]. 10 Vgl. Joint Statement by Foreign Ministers on nuclear disarmament and non-proliferation, unter: http://www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/558130/publicationFile/132059/NVV- Ministererklaerung.pdf [01.03.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 9 bereits 2011 – deutlich vor Wiederbeginn des nächsten Überprüfungszyklus in 2015 – ein Außenministertreffen geplant, welches die Bundesregierung ausrichtet werden soll.11 2.2. Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen 1996 wurde „in der Erkenntnis, dass die Einstellung sämtlicher Versuchsexplosionen von Kernwaffen und aller anderen nuklearen Explosionen […] eine wirksame Maßnahme zur nuklearen Abrüstung und jeder Form der Nichtverbreitung darstellt“12, der „Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen“ („Comprehensive Test-Ban Treaty“ - CTBT) einschließlich eines Verifikationsregimes abgeschlossen. Dieser Verzicht soll zum einen eine Entwicklung von Kernwaffen bei Nichtkernwaffenstaaten und andererseits eine Weiterentwicklung bei den Kernwaffenstaaten unterbinden. Der als völkerrechtlich verbindlich verfasste Vertrag konnte, obwohl bereits 153 Staaten diesen ratifiziert und 182 gezeichnet haben, bisher noch nicht in Kraft treten.13 1966 während der Verhandlungen zum Vertrag lag die Einschätzung vor, dass 44 der teilnehmenden Staaten zu den Kernwaffenstaaten und den potentiellen Kernwaffenstaaten gehörten. Mit der Zielsetzung der maximal möglichen Einbindung dieser Gruppe von Staaten ist - in aus heutiger Sicht untypischer Weise - entschieden worden, dass deren Ratifikationen die zentrale Voraussetzung für das Inkrafttreten des Vertrages insgesamt sind. Heute fehlen noch neun dieser 44 Ratifikationen. Hierzu zählen die der Zeichnerstaaten Ägypten, China, Indonesien, Iran, Israel und USA und die der Nichtzeichnerstaaten Indien, Pakistan und Nordkorea. Von einem baldigen völkerrechtlich verbindlichen Inkrafttreten des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen kann daher nicht ausgegangen werden. Ungeachtet dessen hat der Vertrag die Voraussetzungen für ein weltweites Verifikationssystem zur Einhaltung des Testverbots geschaffen. Dabei werden Daten mit Hilfe von Seismik, Infraschall , Hydroakustik sowie Radionuklid- und Edelgasmessung gewonnen und in der im internationalen Datenzentrum in Wien ansässigen „Comprehensive Test-Ban Treaty Organisation“ (CTBTO) ausgewertet. Alle Zeichner des Vertrages, darunter auch die Kernwaffenstaaten China und USA, sind Mitglieder der CTBTO. Mit Stand Ende 2010 sind nach Angaben der Bundesregierung mit weltweit 262 Messeinrichtungen knapp 80% des geplanten Netzwerks in Betrieb. Das Überwachungssystem ist bereits jetzt in der Lage, selbst kleinere unterirdische Nukleardetonationen weltweit sicher nachzuweisen. 11 Vgl. Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2010) vom 27.01.2011, S. 4. 12 Präambel „Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen“; siehe auch: www.ctbto.org, www.bgr.bund.de und www.bfs.de [28.02.2011]. 13 Stand Ende 2010; ratifiziert haben u.a. alle EU- und NATO-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme der USA. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 10 Der Vertrag soll nach seinem Inkrafttreten auch Vorort-Inspektionen in einzelnen Mitgliedstaaten ermöglichen. Alle Aspekte solcher Inspektionen werden bereits jetzt regelmäßig von der CTBTO eingeübt. Zuletzt wurde 2008 in einer integrierten Feldübung in Kasachstan eine komplette Vorortinspektion zur Aufdeckung einer Testexplosion simuliert. Das Inkrafttreten des Vertrages wird alle zwei Jahre durch vertraglich vorgesehene Regierungskonferenzen (zuletzt 2009 in New York) sowie in den Interimsjahren durch Ministererklärungen (zuletzt am 23. September 2010 in New York) gefördert. Im Jahr 2010 haben zwei weitere Staaten den Vertrag ratifiziert; in Indonesien soll die Ratifikation kurz vor dem Abschluss stehen. Deutschland hat die 2009 geäußerte Absicht der US-Regierung, die Ratifizierung im Senat voran zu treiben, begrüßt. China und Indien haben angedeutet, dass sie einer Ratifizierung des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen durch die USA ggf. folgen wollen. Im Rahmen der EU hat sich die Bundesregierung im Übrigen für eine Gemeinsame Aktion zur Unterstützung des CTBTO-Verifikationssystems eingesetzt, die im Juli 2010 mit einem Finanzvolumen von 5. Mio. Euro beschlossen wurde.14 2.3. Kernwaffenfreie Zonen 1959 ist mit dem Antarktisvertrag die erste von bisher sechs „Kernwaffenfreien Zonen“ beschlossen worden. In Artikel 1 des Vertrages heißt es hierzu: „Die Antarktis wird nur für friedliche Zwecke genutzt. Es werden unter anderem alle Maßnahmen militärischer Art wie die Einrichtung militärischer Stützpunkte und Befestigungen, die Durchführung militärischer Manöver sowie die Erprobung von Waffen jeder Art verboten.“15 Ergänzend wird in Artikel 5 festgelegt, „dass Kernexplosionen und die Beseitigung radioaktiven Abfalls in der Antarktis verboten (sind).“ Die weiteren fünf ebenfalls völkerrechtlich verbindlich in Kraft getretenen „Kernwaffenfreien Zonen“ sind: Lateinamerika und Karibik (Vertrag von Tlatelolco, 1967), Südpazifik (Vertrag von Rarotonga, 1985), Afrika (Vertrag von Pelindaba, 1996), Südostasien (Vertrag von Bangkok, 1997) und Zentralasien (Vertrag von Semipalatinsk, 2006). Die fünf Kernwaffenstaaten (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) haben bzw. zielen ergänzend auf die Erteilung einer sog. „negativen Sicherheitsgarantie“. Diese sieht die Zu- 14 Vgl. zum CTBT auch den Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2010) vom 27.01.2011, S. 15 f. 15 www.antarktis.ch/47.htm [28.02.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 11 sage auf vor, dass gegen die Vertragsparteien der jeweiligen Kernwaffenfreien Zone weder Kernwaffen eingesetzt noch ihr Einsatz angedroht werden. Die Nichtkernwaffenstaaten Indien, Pakistan , Israel und Nordkorea lehnen eine solche Vorgehensweise ab. Der Konsens für eine Kernwaffenfreie Zone Nahost, die auf ägyptische Initiative seit 1974 betrieben wird, und die seit 1990 auf das Ziel einer Massenvernichtungswaffenfreien Zone Naher Osten erweitert wurde („Mubarak-Initiative“), konnte bisher nicht erreicht werden. Ein Aktionsplan sieht hier zur Unterstützung aber eine internationale Konferenz 2012 vor, an der alle Staaten der Region teilnehmen sollen.16 2.4. Haager Verhaltenskodex gegen die Proliferation ballistischer Raketen Der 2002 verabschiedete völkerrechtlich nicht verbindliche „Haager Verhaltenskodex gegen die Proliferation ballistischer Raketen“ („The Hague Code of Conduct Against Ballistic Missile Proliferation“ - HCoC) erfolgte in „Anerkennung der Notwendigkeit, die Verbreitung ballistischer Flugkörper, die Massenvernichtungswaffen zum Einsatz bringen können, umfassend zu verhüten und einzudämmen.“17 Der Haager Verhaltenskodex untersagt zwar nicht den Besitz militärischer Trägertechnologie, knüpft ihn jedoch an Prinzipien und vertrauensbildende Maßnahmen, so z.B. an Vorankündigung von Raketenstarts und Jahresberichte der Vertragsparteien. Im Weiteren enthält er darüber hinaus eine Selbstverpflichtung, die Weitergabe militärischer Trägertechnologie einzudämmen. Bis Ende 2010 hatten 131 Staaten den Haager Verhaltenskodex ratifiziert. Er ist in seiner politischen Bedeutung jedoch immer noch stark beschränkt. Das liegt daran, dass wichtige Raketenbesitzerstaaten (u.a. Ägypten, Brasilien, China, Indien, Iran, Israel, Nordkorea, Pakistan, Saudi- Arabien) bisher noch außerhalb stehen. In zentralen konfliktträchtigen Regionen (Nahost, Südasien , koreanische Halbinsel) kann er deshalb noch keine stabilisierende Wirkung entfalten. Seine Wirksamkeit wird aber auch durch die mangelhafte Implementierung seiner vertrauensbildenden Maßnahmen durch die Zeichnerstaaten selbst beeinträchtigt. Die Tatsache, dass derzeit nur noch ca. 20% aller Raketenstarts weltweit angekündigt werden, ist darauf zurückzuführen, dass der überwiegende Teil der Starts auf die USA und Russland entfällt. Es erscheint aber möglich, dass sich diese Probleme überwinden lassen: Nachdem die USA bereits 2009 auf der 8. Zeichnerstaatenkonferenz des Haager Verhaltenskodexes im Mai 2009 indiziert hatten, dass sie ihre Haltung zu Vorankündigungen überprüfen wollen, haben sie 2010 da- 16 Vgl. Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2010) vom 27.01.2011, S. 16. 17 Haager Verhaltenskodex, Ziffer 2 a), in: www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/DOKUMENTE/Abruestung/HCOC_deutsch.pdf [28.02.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 12 mit begonnen, Raketenstarts anzukündigen, wodurch auch Hoffnung darauf entstanden ist, dass Russland seine 2008 eingestellten Notifizierungen wieder aufnimmt.18 2.5. Proliferation Security Initiative Die 2003 von den USA ins Leben gerufene „Proliferation Security Initiative“ (PSI) zielt auf die Unterbindung des Transports von für Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen und Trägertechnologie relevanten Materialien und Technologien. PSI ist kein Übereinkommen oder Vertrag, sondern ein freiwilliges Netzwerk interessierter Staaten, die auf der Grundlage des bestehenden nationalen und internationalen Rechts tätig werden. Durch Networking, Informationsaustausch und praktische Unterbindungsübungen sollen die Möglichkeiten zum Abfangen kritischer Lieferungen verbessert werden. 21 Staaten wirken aktiv an der Initiative mit19; weitere 75 Staaten haben mit Unterzeichnung der „PSI-Prinzipien für Unterbindungsfälle“ („PSI Interdiction Principles“) ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht. Die vorgenannten 21 aktiven Staaten treffen sich im Rahmen der sog. „Operational Experts Group“ (OEG), wobei der Austausch praktischer Erfahrungen auf dem Gebiet der Exportkontrolle in allen Aspekten im Vordergrund steht. 2010 fand ein mehrtägiges Treffen in Tokio statt; für November 2011 ist das nächste Treffen der OEG im Auswärtigen Amt in Berlin geplant. Neben den Treffen der „Operational Experts Group“ finden sog. „Unterbindungsübungen“ zur See, in der Luft und an Land statt, an denen sich Deutschland regelmäßig mit Beobachtern beteiligt . 2009 fand eine Übung in Singapur statt, 2010 in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Singapur und Südkorea.20 2.6. Strategisches Konzept der NATO Das „Strategische Konzept für die Verteidigung und Sicherheit der Mitglieder der Nordatlantikvertrags -Organisation“ ist am 30. November 2010 in Lissabon von den 28 Staats- und Regierungs- 18 Vgl. Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2010) vom 27.01.2011, S. 20. 19 Argentinien, Australien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Russland, Singapur, Spanien, Republik Korea, Türkei sowie die USA. 20 Vgl. Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2010) vom 27.01.2011, S. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 13 chefs der Mitgliedstaaten mit dem Titel „Aktives Engagement, moderne Verteidigung“ verabschiedet worden.21 Nach Auffassung der Bundesregierung enthalte dieses „das klare Bekenntnis zur Bedeutung von Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung als Beitrag zu Frieden, Sicherheit und Stabilität .“ Erstmalig verschreibe sich die NATO dem „Ziel, Voraussetzungen für eine Welt ohne Nuklearwaffen zu schaffen.“22 Im Strategischen Konzept wird festgestellt, dass die Abschreckung „auf der Grundlage einer geeigneten Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten ein Kernelement der Gesamtstrategie “ bleiben werde. Solange es Kernwaffen gibt, werde „die NATO ein nukleares Bündnis bleiben.“ „Der oberste Garant für die Sicherheit der Bündnispartner“ seien „die strategischen nuklearen Kräfte des Bündnisses.“23 Ungeachtet dessen „verpflichten“ sich die Staats- und Regierungschefs „auf das Ziel, die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen.“24 Aus Sicht der Bundesregierung spielt die beschlossene umfassende Überprüfung des NATO- Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs hierbei eine zentrale Bedeutung. Sie wird im Jahr 2011 auch die Tagesordnung des von der Bundesregierung nachdrücklich geforderten und in Lissabon beschlossenen, neu einzurichtenden Abrüstungs- und Rüstungskontrollausschuss beschäftigen .“25 3. Nichtregierungsinitiativen Nichtregierungsorganisationen und interessierte Zivilgesellschaften haben im Bereich der Abrüstung und Nichtverbreitung wesentliche Initiativen gestartet und oftmals Erfolge auf Regierungsebene erst ermöglicht. Jüngstes Beispiel aus dem Bereich der humanitären Rüstungskontrolle ist das am 30. Mai 2008 nach weniger als 16 Monaten Verhandlungen von über 100 Staaten angenommene Oslo-„Übereinkommen über Streumunition“. Während das Konsensprinzip ein Übereinkommen im Rahmen des Rüstungskontrollforums „Waffenübereinkommen der Vereinten Nationen “ seit 2004 blockiert, hat die enge Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft mit den jeweiligen Parlamenten erreicht, dass das Oslo-Übereinkommen bereits am 1. August 2010 für seine Vertragsparteien völkerrechtlich verbindlich geworden ist. Ebenso bedeutsam ist aber auch die „Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen“ („International Campaign to ban Land- 21 http://www.bundesregierung.de/Content/DE/__Anlagen/2010/2010-11-30-neues-strategischeskonzept ,property=publicationFile.pdf [24.01.2011]. Der Titel in englischer Sprache lautet: „Active Engagement, Modern Defence“. 22 Ebenda, S. 38. 23 Ebenda, Ziffer 17. 24 Ebenda, Vorwort, 1. Absatz, 4. Anstrich. 25 Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2010) vom 27.01.2011, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 14 mines“ – ICBL), die zur Annahme des Ottawa-„Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personenminen und über deren Vernichtung “ (Ottawa-Übereinkommen über Anti-Personenminen) 1997 maßgeblich beigetragen hat und im selben Jahr deshalb mit der Verleihung des Friedensnobelpreises ausgezeichnet wurde. 3.1. Weisengruppe Kissinger, Shultz, Perry und Nunn Seit 2007, und damit rund 40 Jahre nach der Annahme des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, hat die sogenannte „Weisengruppe Kissinger, Shultz, Perry und Nunn“26 das Thema einer nuklearwaffenfreien Welt auf die Agenda der sicherheitspolitischen Debatte in den USA und darüber hinaus gesetzt.27 In ihrem Artikel von Januar 2010 unterstreichen die vier ehemaligen US-Politiker im Wesentlichen , dass der nuklearen Gefahr für die nationale Sicherheit der USA mit einem parallelen Ansatz begegnet werden sollte. Dieser sieht zum einen den Erhalt der Abschreckungsfähigkeit und zum anderen Rüstungskontrolle und internationale Programme zur Nichtverbreitung vor. Darüber hinaus appellieren sie dafür, dass die Forderung des ehemaligen US-Präsidenten Reagan nach einem „verifizierten Vertrauen“ („trust by verify“) erneut Grundlage der Verhandlungen werden sollte. Insgesamt warnt die Weisengruppe seit 2007 vor zunehmenden Gefahren des Festhaltens an Kernwaffen mit Blick auf Proliferation und Nuklearterrorismus und fordern in Konsequenz dessen den Erhalt von Verifikationsregiemen bei START sowie eine Wiederbelebung der Zielsetzung einer Kernwaffenfreien Welt („Global zero“). Aus Sicht der „vier Weisen“ sei die einzig verbliebene Ratio für Kernwaffen die Abschreckung anderer Staaten von deren Einsatz. Von der Weisengruppe wurden als konkrete erste Schritte u.a. empfohlen: weitere Reduzierungen seitens der USA und Russlands, Ratifikation des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen, Annahme eines Vertrages zum „Produktionsstopp für waffenfähiges spaltbares Material“ (FMCT), multilaterale Lösungen zum Brennstoffkreislauf sowie eine Aufnahme von Verhandlungen für kooperative multilaterale Verteidigung gegen ballistische Raketen einschließlich von Frühwarnsystemen. 26 Henry A. Kissinger, George P. Shultz, William J. Perry und Sam Nunn. 27 Kissinger/Shultz/Perry/Nunn, „A World Free of Nuclear Weapons” in: The Wall Street Journal, 4. Januar 2007; „Toward a Nuclear-Free World“, in: The Wall Street Journal, 15. Januar 2008 sowie „How to protect our Nuclear Deterrent“ in: The Wall Street Journal, 19. Januar 2010, alle unter: www.nuclearsecurityproject.org/site/c.mjJXJbMMIoE/b.3483737/k.4057/Nuclear_Security_Project_Home.htm [28.02.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 15 3.2. Internationale Kommission für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung Seit 2008 setzt sich neben den vier US-Weisen u.a. die auf Initiative der Regierungen von Australien und Japan ins Leben gerufene „Internationale Kommission für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung“ („International Commission on Nuclear Non-proliferation and Disarmament“ – ICNND) mit einem Dreiphasenansatz für „Global Zero" ein. 2009 sind hierzu konkrete Vorschläge u.a. unter dem Titel „Eliminating Nuclear Threats - A practical Agenda for Global Policymakers“ veröffentlicht worden.28 Grundsätzlich sieht die Internationale Kommission für ihr Ziel des „Global Zero“ drei Phasen vor, die über das Jahr 2025 hinausgehen: Bis 2012 sollen in der ersten Phase im Rahmen der Abrüstung u.a. ein Folgevertrag zu START, eine Überarbeitung der Doktrinen für Kernwaffen (Einsatz nur gegen andere Kernwaffenstaaten ), eine Abgabe von sog. negativen Sicherheitsgarantien an Nichtkernwaffenstaaten erfolgen sowie eine Aufstockung ihrer Bestände vermieden werden. Im Bereich der Nichtverbreitung wird vorrangig ein Erfolg der Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen angemahnt einschließlich verbesserter Sicherheitsbestimmungen und Verifikationsmaßnahmen sowie eine erfolgreiche Verhandlungen zu Resolutionen für Nordkorea und Iran. Ergänzend wird das Inkrafttreten des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen als auch der Abschluss der Verhandlungen zu einem „Produktionsstopp für waffenfähiges spaltbares Material“ (FMCT) angemahnt. Mit Blick auf die Nutzung der Kernenergie wird eine größere Multilateralisierung des Nuklearkreislaufes ebenso empfohlen wie die verstärkte Bewusstseinsbildung von Sicherheitsstandards bei der nuklearen Energieinfrastruktur. Bis 2025 wird als mittelfristige Zielsetzung eine Reduzierung der nuklearen Gefechtsköpfe auf maximal 2.000 ebenso vorgesehen wie der Verzicht auf einen Ersteinsatz von Atomwaffen einschl. hierzu angepasster Bereitschaftszustände. Ergänzend soll u.a. ein „Übereinkommen über Atomwaffen“ entwickelt und unterstützt werden. Nach 2025 soll das Ziel „Null“ („Getting to Zero“) umgesetzt werden. Als Voraussetzung hierzu werden u.a. aufgeführt: die Absage der Notwendigkeit von Kernwaffen zur Abschreckung , eine Etablierung von effektiven vertrauensbildenden Maßnahmen, Schaffung von rechtlich verbindlichen Strafmaßnahmen, die Errichtung eines Brennstoffkreislaufmanagements zur Ausschließung eines Missbrauchs von Uran und angereichertem Plutonium sowie die Sicherstellung, dass Expertenwissen nicht im Sinne der Zielsetzung missbraucht werden kann. 28 International commission on nuclear non-proliferation and disarmament, Eliminating Nuclear Threats - A practical Agenda for Global Policymakers, Canberra, Tokio 2009, unter: http://www.icnnd.org/Reference/reports/ent/contents.html [01.03.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 16 3.3. Initiative „Global Zero“ Ebenfalls seit 2008 setzt sich neben den vier US-Weisen und der „Internationalen Kommission für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung“ eine weitere internationale Initiative für das Ziel „Global Zero“ ein. Sie fordert auf ihrem Internetportal zur Zeichnung der nachfolgenden Erklärung auf: „Wir, die Unterzeichner, glauben, dass wir alle Nuklearwaffen weltweit abschaffen müssen, um unsere Kinder, unsere Enkel und unsere Zivilisation vor der Bedrohung einer nuklearen Katastrophe zu schützen. Wir verpflichten uns daher dazu, für die Abschaffung von Nuklearwaffen zu einem bestimmten Zeitpunkt auf ein rechtlich bindendes, nachprüfbares Abkommen hinzuarbeiten, das alle Nationen einschließt.”29 Unter Leitung des ehemaligen US-Botschafters Richard Burt hat eine Kommission im Februar 2010 einen vierphasigen Aktionsplan vorgelegt. Deutsches Kommissionsmitglied ist Botschafter a. D. Wolfgang Ischinger. Prominente Fürsprecher dieser Initiative sind u.a. Jimmy Carter und Hans-Dietrich Genscher.30 Der „Global-Zero“- Aktionsplan sieht im Wesentlichen eine Vernichtung aller Kernwaffen wie folgt vor: Phase 1 (2010 – 2013): Folgevertrag zu START, Aushandlung einer bilateralen Begrenzung von je 1000 Kernwaffen für USA und Russland. Phase 2 (2014 – 2018): Erweiterung auf ein multilaterales Vertragswerk, Beschluss von USA und Russland, bis 2021 auf 500 Gefechtsköpfe zu reduzieren, für alle anderen Staaten keine Erweiterung der nuklearen Arsenale bis 2018, danach zu den Großmächten proportionale Reduktion bis 2021. Etablierung eines flächendeckenden Kontroll- und Exekutivsystems, Stärkung der Sicherheit bei zivil verwendeten Nuklearanlagen, um der Entwendung von bombenfähigen Nuklearmaterialien vorzubeugen. Phase 3 (2019 – 2023): Aushandeln eines Vertrages zur vollständigen nuklearen Abrüstung, welcher von allen relevanten Staaten unterzeichnet wird. Die Restabrüstung soll phasenweise und jeweils proportional geschehen und jederzeit überprüfbar sein. Phase 4 (2024 – 2030): Erreichen der vollständigen nuklearen Abrüstung, Weiterbetreibung und -entwicklung des Kontroll- und Exekutivsystems, um das Neuaufkommen von Kernwaffen zu verhindern. 3.4. Übereinkommen über Atomwaffen 1997 wurde erstmals ein detaillierter Entwurf für ein völkerrechtlich verbindliches „Übereinkommen über Atomwaffen“ („Nuclear Weapons Convention“ – NWC) vorgestellt. Der Entwurf sieht einschließlich des Verbots von Entwicklung, Test, Herstellung, Lagerung, Weitergabe, Einsatz und Androhen des Einsatzes eine umfassende weltweite Abrüstung von Kernwaffen schritt- 29 http://www.globalzero.org/de/sign-declaration-de [01.03.2011]. 30 Die komplette Liste der Unterzeichner findet sich unter: http://www.globalzero.org/de/komplette-liste [01.03.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 17 weise über einen Zeitraum von 15 Jahren vor.31 Die friedliche Nutzung der Atomenergie hingegen bleibt erlaubt. Der Entwurf wurde erstmals Ende 1997 durch Costa Rica als Dokument in die Vereinten Nationen eingebracht. In diesem wird u.a. festgestellt, dass aktuelle Übereinkommen bzw. vorliegende Vereinbarungen das „Übereinkommen über Atomwaffen“ nicht ersetzen können.32 Der Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-Moon hat im Dezember 2009 erneut für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Initiative für ein Übereinkommen über Atomwaffen neben denen mit einer schrittweisen Vorgehensweise plädiert. Die Initiative für ein umfassendes Übereinkommen über Atomwaffen ist maßgeblich von international tätigen Nichtregierungsorganisationen wie den „Internationalen Ärzten für die Verhinderung des Atomkriegs“ (IPPNW) und dem „Internationalen Netzwerk von Ingenieuren und Wissenschaftlern gegen Proliferation“ (INESAP) angestoßen worden und findet international starke Unterstützung in der „Bewegung der Ungebundenen Staaten“ (NAM). Grundlage der Initiative war das 1996 ergangene Gutachten des Internationalen Gerichtshofs zum Thema der Rechtmäßigkeit der Androhung bzw. des Einsatzes von Nuklearwaffen. Der Internationale Gerichtshof hatte nicht überraschend u.a. zu Art. VI des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen festgestellt, dass alle Vertragsparteien verpflichtet sind, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und abzuschließen, die zur nuklearen Abrüstung in allen Aspekten und unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle führen.“33 3.5. Nuclear Threat Initiative 2001 wurde von Ted Turner, dem Gründer des Fernsehsenders CNN, und dem ehemaligen Senator Sam Nunn, einer der vier US-Weisen neben Kissinger, Shultz und Perry, die USamerikanische Organisation „Nuclear Threat Initiative“ (NTI) gegründet.34 Sie setzt sich für die internationale Friedenssicherung durch den Abbau von nuklearen, biologischen und chemischen Waffen ein. 31 Nuclear Weapons Convention unter: www.reachingcriticalwill.org/legal/nwc/nwcindex.html [28.02.2011]. 32 „The delegations submitting this Model Nuclear Weapons Convention do not suggest that an actual convention or package of agreements will exactly replicate this model. Rather, the Model Nuclear Weapons Convention is a useful tool in the exploration, development, negotiation and achievement of such an instrument or instruments .“, in: VN-Dokument A/C.1/52/7, unter: http://inesap.org/sites/default/files/inesap_old/mNWC_2007_Unversion_English_N0821377.pdf [28.02.2011]. 33 Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, unter: www.icjcij .org/docket/index.php?p1=3&p2=4&k=09&p3=4&case=95 [28.02.2011], dort § 98 ff. 34 www.nti.org/index.php [28.02.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 18 Die Initiative wirbt durch Networking sowie die Finanzierung von Studien und Projekten für eine Welt ohne Massenvernichtungswaffen. Sie hat sich hierbei insbesondere zur Sicherung von sensitivem Nuklearmaterial und multilateralen Ansätzen zum nuklearen Brennstoffkreislauf - auch finanziell - engagiert. Eine maßgebliche Initiative von Nuclear Threat Initiative ist die Einrichtung einer nuklearen Brennstoffbank, die es Staaten ermöglichen soll, eine nationale Anreicherung für die zivile Nutzung der Kernenergie aufzugeben und die notwendigen Brennstäbe von der „Internationalen Atomenergieorganisation“ (IAEA) zu erhalten. Die Nuclear Threat Initiative begleitet durch Publikationen auch aktuelle Ereignisse. So begrüßt das auf dem Internetportal verfügbare Papier „Securing the Bomb 2010 – Securing All Nuclear Materials in Four Years“35 grundsätzlich den von Präsident Obama durchgeführten „Nuclear Security Summit“, empfiehlt aber gleichzeitig weitere konkrete Schritte darüber hinaus. Hierzu gehören u.a. inhaltliche Empfehlungen zum Nuklearterrorismus (18 dokumentierte Verlustfälle bzgl. Plutonium oder angereichertem Uran), zur nuklearen Sicherheit und zu einer führenden multilateralen Rolle der USA. 3.6. Middle Powers Initiative Im März 1998 wurde die „Middle Powers Initiative“ (MPI) von einem Netzwerk internationaler Nichtregierungsorganisationen gegründet.36 Sie versteht sich als eine weltweite Kampagne, die mit dem langfristigen Ziel der Vernichtung aller Nuklearwaffen die atomare Abrüstung voranbringen will. Vorsitzender ist seit Januar 2011 der frühere australische Botschafter und ehemalige Waffeninspekteur der Vereinten Nationen Richard Butler. Unterstützung erfährt die „Middle Powers Initiative“ von einer aus acht Ländern bestehenden "New Agenda Coalition".37 Diese übt in internationalen Foren politischen Druck auf Kernwaffenstaaten aus, damit diese ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung gemäß „Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen“ nachkommen. Nachdem die 7. Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen im Jahr 2005 kein Abschlussdokument erzielen konnte, initiierte die Middle Powers Initiative das sogenannte Artikel-VI-Forum, um ein erneutes Scheitern der Überprüfungskonferenz in 2010 zu verhindern. Ziel war es, gemeinsam juristische, technische und politische Elemente für eine 35 Bunn, Matthew, Securing the Bomb: Project on Managing the Atom, Belfer Center for Science and International Affairs, Harvard Kennedy School und Nuclear Threat Initiative, Cambridge und Washington, D.C 2010, unter: http://www.nti.org/e_research/cnwm/overview/cnwm_home.asp [01.03.2011]. 36 Beteiligte Organisationen sind: Albert Schweitzer Institute, Global Security Institute, International Association of Lawyers Against Nuclear Arms, International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility, International Peace Bureau, International Physicians for the Prevention of Nuclear War, Nuclear Age Peace Foundation und Women's International League for Peace and Freedom, vgl. http://www.middlepowers.org/members.html [02.03.2011]. 37 Ägypten, Brasilien, Irland, Neuseeland, Mexiko, Slowenien, Südafrika und Schweden. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 19 atomwaffenfreie Welt zu erarbeiten, wie sie in Artikel VI, der zur vollständigen Abrüstung verpflichtet , vorgesehen ist.38 Infolge des Ausgangs der Überprüfungskonferenz 2010 veröffentlichte die Middle Powers Initiative ein Konferenzpapier mit dem Titel „The Humanitarian Imperative for Nuclear Disarmament - From Aspiration to Reality: Nuclear Disarmament after the NPT Review“. Das Papier beinhaltet zwei wesentliche Aspekte zur Implementierung der Beschlüsse der 8. Überprüfungskonferenz: erstens ein rechtlicher Rahmen für die Vernichtung nuklearer Waffen und zweitens die Anwendbarkeit humanitären Völkerrechts auf den Einsatz atomarer Waffen.39 4. Zusammenfassung Bisher war der Weg zum „Global Zero“ das Ziel. Unbestrittener Maßstab und Wegweiser für weltweite nukleare Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung sowie überwachte friedliche Nutzung der Kernenergie ist und bleibt der über 40 Jahre alte, unbefristet völkerrechtlich verbindliche Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen. Die 8. Überprüfungskonferenz im Mai 2010 hat diese Feststellung bestätigt. Sie hat aber auch aufgezeigt, dass die Position von westlichen Kernwaffenstaaten mit ihrer Priorisierung auf die Nichtverbreitung unvereinbar ist mit dem Wunsch der „Bewegung der Ungebundenen Staaten“ (NAM) nach greifbaren und verifizierbaren Abrüstungsschritten bei den Kernwaffenstaaten selbst. Fortschritte über die appellative Ebene („Aktionsplan“) hinaus bleiben somit in weiter Ferne. Ungeachtet dessen stellt das Forum der 190 Mitgliedstaaten an sich bereits ein nicht ersetzbares politisches Momentum dar. Es entwickelt über den Vertrag hinaus Strahlkraft für seine Zielsetzung der „vollständigen (nuklearen) Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“, zwar ohne konkretes Datum dafür aber „in naher Zukunft“. Der Annahme des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen 1968 sind zwei Regierungsinitiativen zu „Kernwaffenfreien Zonen“ vorangegangen (1959 der Antarktisvertrag und 1967 die zu Lateinamerika und Karibik) und eine zum Südpazifik 1985 gefolgt. Auch der „Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen“ (CTBT) ebenso von 1996 wie die „Kernwaffenfreien Zonen“ Afrika und ein Jahr später die in Südostasien dokumentieren Regierungsinitiativen . 38 Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, Art. VI: Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Massnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung und strenger und wirksamer internationaler Kontrolle . 39 Vgl. Middle Powers Initiative, The Humanitarian Imperative for Nuclear Disarmament: Briefing Paper for the Middle Powers Initiative/Swiss Federal Department of Foreign Affairs Conference: From Aspiration to Reality: Nuclear Disarmament after the NPT Review, Genf, September 2010, unter: http://www.gsinstitute.org/mpi/pubs/Geneva_2010_Briefing_Paper.pdf [02.02.2011]. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 20 Der 1997 vorgelegte detaillierte Entwurf für ein völkerrechtlich verbindliches „Übereinkommen über Atomwaffen“ (NWC) stellt die erste wesentliche Initiative einer Nichtregierungsorganisation dar. Das Übereinkommen zielt auf das Erreichen von Global Zero und dies im Gegensatz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen konkret mit einer Zeitvorgabe von 15 Jahren. Auch die 2001 von Ted Turner und Sam Nunn geschaffene „Nuclear Threat Initiative“ (NTI) für eine nukleare Brennstoffbank indiziert eine weitere Nichtregierungsinitiative, die Regierungen einen Weg zum Global Zero als Denkanstoß aufzeigt. Der 2002 erreichte „Haager Verhaltenskodex gegen die Proliferation ballistischer Raketen“ (HCoC) zeigte erneut Handlungsvermögen der Regierungen auf, konnte aber aufgrund einer ungewöhnlichen Ratifizierungspraxis bisher nicht Inkrafttreten. Die 2003 von der US-Regierung ins Leben gerufene „Proliferation Security Initiative“ (PSI) zur Unterbindung des Transports von für Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen und Trägertechnologie relevanten Materialien und Technologien scheint als freiwilliges Netzwerk interessierter Staaten faktisch und auch zur Abschreckung zu funktionieren. 2007 und damit rund 40 Jahre nach der Annahme des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, hat die sogenannte „Weisengruppe Kissinger, Shultz, Perry und Nunn“ die Zielsetzung des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen mit dem Thema einer Nuklearwaffen freien Welt wiederbelebt. Ein Jahr später haben Nichtregierungsinitiativen die „Internationale Kommission für nukleare Nichtverbreitung und Abrüstung“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, in drei Stufen „Global Zero“ innerhalb von mindestens 18 Jahren zu erreichen. Die Prager Rede von Präsident Obama am 5. April 2009 hat „Global Zero“ auf höchster Ebene erneut in das internationale Bewusstsein gerufen. Er folgte damit Nichtregierungsinitiativen, allerdings ohne einen Zeithorizont konkret zu benennen. Die Initiativen von Präsident Obama (Prager Rede, „Nuclear Security Summit“ und new START) sind sehr wohl geeignet, aufgezeigte Interessensgegensätze zwischen der „Bewegung der Ungebundenen Staaten“ (NAM) und den westlichen Kernwaffenstaaten zumindest teilweise zu überbrücken. Ein erster Erfolg hierbei war die Ratifizierung des neuen START-Abkommens; eine Ratifizierung des Vertrags über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT), auch seitens der USA, wäre nun zweifelsohne hilfreich . Der Vertrag unterstützt direkt das im Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen niedergeschriebene Ziel der nuklearen Abrüstung und nuklearen Nichtverbreitung. Durch die hohe Wahrscheinlichkeit der Aufdeckung eines heimlichen Atomtests ist der Vertrag damit schon vor seinem Inkrafttreten zu einer nichtverbreitungs- und rüstungskontrollpolitischen Realität geworden. Der Tatbestand, das die NATO sich im neuen Strategischen Konzept 2010 „auf das Ziel (verpflichtet hat), die Bedingungen für eine Welt ohne Kernwaffen zu schaffen“, ist allgemein begrüßt worden. Allein die damit einhergehende erstmalige Offenlegung der Bestandszahlen an Nuklearwaffen seitens der USA und Großbritannien ist beispielgebend und ein Mehrwert an Transparenz. Beim genauen Hinschauen wird jedoch deutlich, dass das nordatlantische Verteidigungsbündnis solange „ein nukleares Bündnis bleiben“ will, wie es Kernwaffen außerhalb der NATO gibt. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 036/11 Seite 21 Die unter deutscher Mitwirkung erfolgte Gründung der Gruppe der „Freunde des NVV“ („Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen“) könnte der Erkenntnis geschuldet sein, dass die Ausstrahlkraft des Vertrages verblasst und daher der politischen „Beatmung“ seitens einiger ausgewählter Staaten bedarf, die nachweislich nicht über Kernwaffen verfügen. Leuchttürme der weltweiten nuklearen Abrüstung und nuklearen Nichtverbreitung bleiben zum einen die „Kernwaffenfreien Zonen“, da diese auf die vollständige Abwesenheit von Kernwaffen im jeweiligen Gebiet zielen. Verträge über Kernwaffenfreie Zonen gehen somit bereits in Zielrichtung und Umfang über den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen in mehrfacher Hinsicht hinaus. Kernwaffenfreie Zonen sind somit grundsätzlich eine wichtige Ergänzung und wertvolle Unterstützung für das weltweite Nichtverbreitungsregime. Vor diesem Hintergrund ist die Initiative der 8. Überprüfungskonferenz zum Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen, die Nahost-Resolution für eine Zone frei der „Nuklearwaffen und aller anderen Massenvernichtungswaffen“ erneut zu beleben und hierfür 2012 eine Konferenz vorzusehen, sicherlich zu begrüßen. Ungeachtet dessen stellt es aus heutiger Sicht eine besondere Herausforderung dar, alle Staaten der Region einschließlich Israel und den Iran überhaupt an einen Tisch zu bekommen. Es liegt nun in der Zuständigkeit des Generalsekretärs der Vereinten Nationen als auch von Russland, Großbritannien und den USA, die Grundlagen für einen Erfolg zu legen. Der Weg zu „Global Zero“ ist seit über 40 Jahren das Ziel und könnte es auch absehbar bleiben. Der dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen immanente Spannungsbogen, einerseits Abrüstung und andererseits eine Nichtverbreitung von Atomwaffen zu erreichen, könnte sich als Konstruktionsfehler in der Architektur für „Global Zero“ erweisen. Bemühungen von Nichtregierungsinitiativen, dem Weg zeitliche Vorgaben zu machen, um tatsächlich an das Ziel zu kommen, konnten die Regierungen bisher nicht folgen. Die vergangenen vier Jahrzehnte zeigen , dass den fünf Kernwaffenstaaten und unter diesen den USA die Schlüsselrolle für Fortschritte gegenüber vor allem Indien, Pakistan und Israel zukommt. Den aufgezeigten Bemühungen der Regierungs- und Nichtregierungsinitiativen steht nämlich die Toleranz von Kernwaffenstaaten entgegen, dass z.B. Indien, Pakistan und Israel außerhalb des Vertrages über die Nichtverbreitung bleiben, obwohl alle drei angeblich über Kernwaffen verfügen. Im Weiteren befindet sich Iran als Mitglied des Vertrages nach Presseberichten auf dem Weg zum Kernwaffenstaat, was die Bedeutung des Vertrages weiter aushöhlen könnte. Nichtregierungsinitiativen werden somit absehbar weiterhin den Regierungsinitiativen mögliche gangbare Wege aufzeigen müssen. Und dies auch, da Regierungen bisher für Global Zero im Gegensatz zu Nichtregierungsinitiativen keine konkreten zeitlichen Vorgaben gemacht haben.