© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 034/19 Die Militärgeistlichkeit in der Bundeswehr Grundlagen, Organisation und die Einbeziehung der Militärrabbiner sowie Geistlicher anderer Religionen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 2 Die Militärgeistlichkeit in der Bundeswehr Grundlagen, Organisation und die Einbeziehung der Militärrabbiner sowie Geistlicher anderer Religionen Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 034/19 Abschluss der Arbeit: 20. März 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Historischer Abriss 6 3. Die christlichen Kirchen 9 3.1 Die evangelische Militärseelsorge 9 3.2 Die katholische Militärseelsorge 10 4. Deutsche jüdische Soldatinnen und Soldaten 10 5. Deutsche muslimische Soldatinnen und Soldaten 14 6. Der Blick über den nationalen Tellerrand 19 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 4 1. Einleitung Ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, wird bereits seit vielen Jahren kontrovers diskutiert . Dass das Judentum zu Deutschland gehört, ist hingegen unstrittig, außerdem angesichts der Shoa ein hochsensibles Thema. Gleichwohl dienen in der Bundeswehr sowohl jüdische als auch muslimische Soldatinnen und Soldaten. Wie viele genau, ist allerdings ungewiss: Die Angabe der Religions- oder Konfessionszugehörigkeit ist freiwillig. Insofern existieren keine verlässlichen Zahlen dazu, Schätzungen zufolge dienen derzeit zwischen 1.200 und 2.000 muslimische und zwischen 200 und 300 jüdische Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr. Die katholischen und evangelischen Kameradinnen und Kameraden sind weit in der Überzahl. Sie werden von 74 katholischen und 92 evangelischen Militärgeistlichen betreut, eine jüdische und muslimische Militärseelsorge existiert hingegen nicht, steht aber seit vielen Jahren in der Diskussion.1 Im Februar 2019 hat sich der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster , erneut für die Einsetzung eines Militärrabbiners in der Bundeswehr ausgesprochen. Damit sprang er dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags, Hans-Peter Bartels, zur Seite, der bereits im Monat zuvor das Verteidigungsministerium aufgefordert hatte, nach sieben Jahren der Prüfung in dieser Frage endlich zu einem Ergebnis zu kommen, wie Seelsorge für muslimische und jüdische Soldaten sichergestellt werden könne. Auch der evangelische Militärbischof Sigurd Rink sprach sich dafür aus, organisatorische Hürden für den Einsatz von muslimischen und jüdischen Militärseelsorgern abzubauen:2 Das Recht auf freie Religionsausübung stehe auch in den Streitkräften außer Frage.3 Militärimame und Militärrabbiner einzusetzen, wäre seiner Meinung nach außerdem „ein wichtiges Zeichen, das die Pluralität in der Bundeswehr widerspiegelt “.4 Bartels hatte in seinem 59. Jahresbericht 2018 festgestellt, dass „sich nach mehr als sechs Jahren des ergebnislosen Prüfens langsam Ernüchterung breit macht“ hinsichtlich der „Einrichtung einer muslimischen Betreuungsorganisation in der Bundeswehr “. Er schlug daher eine ehrenamtliche Lösung bei der Seelsorge für Muslime in der Bundeswehr vor. Unterstützt wurde er dabei vom Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, 1 Christian Dewitz, Migration, Religion und Integration, in: Bundeswehr-Journal, 30.1.2014; http://www.bundeswehr -journal.de/2014/migration-religion-und-integration/#more-2689 [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 2 Zentralrat wünscht sich Militärrabbiner in der Bundeswehr, in: Domradio.de, 21.2.2019; https://www.domradio .de/themen/soldaten-und-kirche/2019-02-21/zentralrat-wuenscht-sich-militaerrabbiner-der-bundeswehr [letzter Zugriff: 13.3.2019], Zentralrat der Juden spricht sich für Militärrabbiner aus, in: Zeit online, 21.2.2019; https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-02/josef-schuster-militaerrabbiner-bundeswehr [letzter Zugriff: 13.3.2019]. 3 Evangelischer Militärbischof begrüßt Forderung nach Militärrabbiner, in: idea, 24.2.2019; https://www.idea.de/frei-kirchen/detail/evangelischer-militaerbischof-begruesst-forderung-nach-militaerrabbiner -108252.html [letzter Zugriff: 13.3.2019]. 4 Militärbischof: Hürden für Militärimame abbauen – „Pluralität in der Bundeswehr spiegeln“, in: Domradio.de, 28.1.2019; https://www.domradio.de/themen/soldaten-und-kirche/2019-01-28/militaerbischof-huerden-fuermilitaerimame -abbauen [letzter Zugriff: 13.3.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 5 Aiman Mazyek, der es sogar als „Schande“ bezeichnete, „dass wir in Deutschland nach so vielen Anläufen und Anstrengungen über fast sechs Jahre nicht mal einen dringend benötigten muslimischen Militärseelsorger installieren konnten.“ Tatsächlich hatte das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) schon im Oktober 2012 zu einer ersten Gesprächs- und Beratungsrunde eingeladen . Bereits nach diesem ersten Gespräch war deutlich geworden, dass es nicht mehr um das Ob, sondern bereits um das Wie gegangen war.5 Auch die Deutsche Islamkonferenz (DIK), bestehend aus Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen sowie den Repräsentanten muslimischer Verbände hat sich in den vergangenen Jahren mit dem Thema befasst und im März 2017 erklärt, die Einführung der muslimischen Militärseelsorge sei „ein mittel- bis langfristiges Ziel“. Zu dessen Erreichung empfahl sie die Einrichtung einer beim BMVg angesiedelten Arbeitsgruppe ‚Islamische Militärseelsorge‘.6 Innerhalb der Bundeswehr stellte hingegen ein Forschungsbericht des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (SoWI) im Kontext des 50jährigen Bestehens der christlichen Militärseelsorge 2008 die Vorzüge der bestehenden Militärseelsorge innerhalb der deutschen Streitkräfte fest: „Der Einzelne hat das Recht auf Religionsausübung auch in den Streitkräften – der Staat sichert ihm durch die Bereitstellung der dafür notwendigen Infrastruktur die Möglichkeit, dieses Recht auch tatsächlich in Gottesdienstbesuch und seelsorgerlichem Gespräch zu realisieren. […] Die Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen in ihrer zweiten Rolle als Lehrerinnen und Lehrer die Soldatinnen und Soldaten anleiten, sich über den ethischen Minimalkonsens klar zu werden, den der Dienst in den Streitkräften ihnen abverlangt. Sie sollen persönlichkeitsbildend und berufsethisch prägend wirken und so dazu beitragen, dass die Soldatinnen und Soldaten als verantwortliche Persönlichkeiten ihren Dienst tun können.“7 Dass die Militärseelsorge dabei in konfessioneller Unterschiedenheit stattfindet, bewertete die Studie als einen „Glücksfall“ und regte eine Ausweitung an: „Der freiheitliche Staat akzeptiert in seiner Armee konfessionelle Unterschiede zwischen den christlichen Soldaten – ein schönes Zeichen für die Anerkennung der Persönlichkeit, der auch im militärischen Alltag Bahn gebrochen wird. Dieser Gedanke ist anschlussfähig für Forderungen anderer Gruppen von Soldatinnen und Soldaten, die sich durch ihre religiöse Prägung von 5 Thomas R. Elßner, Militärseelsorge für Muslime in der Bundeswehr. Eine Skizze, in: CIBEDO-Beiträge 4/2018, S. 170-175, hier S. 170. 6 Dana Kim Hansen, Diskussion um islamische Militärseelsorge hält an, in: Domradio, 23.2.2018; https://www.domradio.de/themen/islam-und-kirche/2018-02-23/diskussion-um-islamische-militaerseelsorgehaelt [letzter Zugriff: 13.3.2019]. 7 Angelika Dörfler-Dierken, Zur Entstehung der Militärseelsorge und zur Aufgabe der Militärgeistlichen in der Bundeswehr, in: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr Strausberg, Forschungsbericht 83/März 2008, S. 90. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 6 den christlichen unterscheiden: Muslime oder Juden etwa. Aber auch russisch-orthodoxe oder frei-kirchliche Christen mögen nach Militärgeistlichen ihrer religiösen Tradition fragen.“8 Die Vorschriftenlage innerhalb der Bundeswehr ist in dieser Frage eindeutig. Insbesondere die Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1 legt in ihren Nr. 670 und 674 fest: „Alle Soldatinnen und Soldaten haben einen gesetzlichen Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung. […] In der Bundeswehr sind Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit für alle Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften gewährleistet.“9 Vor diesem Hintergrund wird Im Folgenden die Diskussion über die unterschiedlichen Vorstellungen dokumentiert, wie dies vor allem für Soldatinnen und Soldaten jüdischen und muslimischen Glaubens umgesetzt werden kann. In einem ersten Schritt wird zunächst der historische Kontext grob skizziert, in einem zweiten auf die bestehende Organisation der evangelischen und katholischen Organisation der Militärseelsorge hingewiesen, um einen entsprechenden Vergleichsmaßstab zu besitzen. Abschließend richtet sich der Blick auf den Umgang mit diesem Sachverhalt in den Armeen anderer Nationen. 2. Historischer Abriss Feldgeistliche und Militärseelsorger gab es schon im 19. Jahrhundert im preußischen Heer, Feldrabbiner wurden hingegen erst mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges eingeführt.10 Im Vergleich dazu führten die österreichisch-ungarischen Streitkräfte das Feldrabbinat bereits 1875 ein. Die 30 deutschen Feldrabbiner trugen die damals übliche feldgraue Uniform, allerdings mit einer Armbinde des Roten Kreuzes und den Davidstern an einer Halskette; sie waren zuständig für Seelsorge und liturgische Feiern.11 Fast 100.000 jüdische Deutsche dienten während des Ersten Weltkrieges in den deutschen Streitkräften , annähernd 77.000 kämpften an vorderster Front, 30.000 wurden mit zum Teil höchsten Auszeichnungen dekoriert und mehr als 20.000 befördert. Unter den jüdischen Soldaten in der 8 Ebd., S. 91. 9 BMVg, Zentrale Dienstvorschrift A-2600/1: Innere Führung ; https://www.bmvg.de/resource /blob/14258/a0e22992bc053f873e402c8aaf2efa88/b-01-02-02-download-data.pdf [letzter Zugriff: 13.3.2019]. 10 Jaqueline-Ines Werkner, Soldatenseelsorge versus Militärseelsorge: evangelische Pfarrer in der Bundeswehr. Baden -Baden 2001 (Forum Innere Führung, 13), S. 22. 11 Michael Hollenbach, Vom Außenseiter zum Kameraden, in: Deutschlandfunk, 12.4.2014; https://www.deutschlandfunk .de/juedische-soldaten-in-der-bundeswehr-vom-aussenseiter-zum.724.de.html?dram:article_id=282705 [letzter Zugriff: 16.3.2019] sowie grundsätzlich Sabine Hank/Uwe Hank/Hermann Simon, Feldrabbiner in den deutschen Streitkräften des Ersten Weltkrieges. Berlin 2013 (Schriften des Centrum Judaicum, 7). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 7 kaiserlichen Armee waren 3.000 Offiziere, Sanitätsoffiziere und Militärbeamte im Offiziersrang. 12.000 deutsche jüdische Soldaten verloren im Krieg ihr Leben, jeder Sechste also.12 Offiziere aber durften jüdische Deutsche erst während dieses Krieges werden. Nur wer zum Christentum konvertierte, hatte zuvor eine Chance: Von den 30.000 jüdischen Freiwilligen, die zwischen 1880 und 1910 im preußischen Heer dienten, wurde keiner zum Reserveoffizier ernannt ; von den 1.500 Soldaten, die zum Christentum konvertiert waren, wurden im gleichen Zeitraum 300 befördert. Während es in Österreich-Ungarn oder den USA wie selbstverständlich jüdische Offiziere bis in die Generalsränge hinein gab, existierte ein einziger jüdischer Stabsoffizier in der preußischen Armee. Wie umfassend der Antisemitismus noch im Krieg gewesen war, zeigte die vom preußischen Kriegsminister Adolf Wild von Hohenborn am 11. Oktober 1916 angeordnete sogenannte Judenzählung. Entgegen des dahinter stehenden Vorwurfs der Drückebergerei ergab die Zählung, deren Ergebnisse nicht veröffentlicht wurden, dass sogar überdurchschnittlich viele Juden an der Front kämpften. Der in der Weimarer Republik von ihnen gegründete Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten (RJF) hatte bis 1933 mehr als 50.000 Mitglieder und war damit zeitgenössisch die größte jüdische Massenorganisation. Weder ihre Tapferkeit noch ihr Patriotismus haben sie im „Dritten Reich“ vor der Entrechtung und Ermordung bewahrt – weder sie selbst noch ihre Familien.13 Nach diesem Menschheitsverbrechen der Shoa erhielten jüdische Deutsche Sonderrechte hinsichtlich der Wehrpflicht in der Bundesrepublik.14 Auf die besondere Rolle der jüdischen deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg wies dann 1961 das Buch „Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden“ hin, das erstmals 1935 vom RJF in Berlin herausgegeben worden war. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß hatte für die Neuauflage gesorgt und sie in der Bundeswehr verteilen lassen. Außerdem beauftragte Strauß das damalige Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr, die Geschichte und das Schicksal deutscher Soldaten jüdischen Glaubens zu erforschen und darzustellen. Das Ergebnis dieser Forschungen mündete in zwei Ausstellungen, die ein großes Publikum in und außerhalb der 12 Michael Berger, Jüdische Soldaten in deutschen Armeen: Grausame Täuschung, in: Spiegel Online, 18.1.2008; http://www.spiegel.de/einestages/juedische-soldaten-in-deutschen-armeen-grausame-taeuschung-a-946547.html [letzter Zugriff: 16.3.2019] sowie grundsätzlich Ders., Eisernes Kreuz und Davidstern - Die Geschichte Jüdischer Soldaten in Deutschen Armeen. Berlin 2006, sowie Ders., Für Kaiser, Reich und Vaterland. Jüdische Soldaten. Eine Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Zürich 2016. 13 Hollenbach, Vom Außenseiter zum Kameraden [wie Anm. 11], Hans-Christian Kokalj, „Kampf um die Erinnerung“. Jüdische Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs und ihr Widerstand gegen die rechtspopulistische Propaganda in der Weimarer Republik, in: Tobias Arand (Hg.), Die „Urkatastrophe “ als Erinnerung. Geschichtskultur des Ersten Weltkriegs. Münster 2006, S. 81-98. 14 Siehe im Überblick dazu Jüdische Soldaten in deutschen Armeen. Dokumentation der gleichnamigen Tagung in Zusammenarbeit mit dem Bund jüdischer Soldaten (RJF) und dem Zentralrat der Juden in Deutschland, hrsg. von Andreas Kleine-Kraneburg, St. Augustin/Berlin 2008.; https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=d6ce037e-05ec-38d0-5648-cd20c95bbdb7&group Id=252038 [letzter Zugriff: 16.3.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 8 Bundeswehr fanden. Die Geschichte deutscher jüdischer Soldaten wurde damit auch zu einem festen Bestandteil der Politischen Bildung in den deutschen Streitkräften.15 Die Militärseelsorge in der Bundeswehr übernahmen die evangelische und die Katholische Kirche nahezu von Beginn an.16 Beide sollten nach dem Willen der Bundesregierung sowohl seelsorgerisch tätig werden als auch die Soldaten der jungen Bundeswehr ethisch weiterbilden. Als zentrale Leitungsorgane wurden 1957 das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr (EKA) und das Katholische Bischofsamt (KMBA) mit Dienstsitz in Bonn (ab 2000 in Berlin) eingerichtet. Die gesetzliche Grundlage für die katholische Militärseelsorge in der Bundeswehr bildete dabei das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 zwischen dem „Dritten Reich“ und dem Vatikan, das sich ursprünglich auf die Militärseelsorge innerhalb der Reichswehr bezog.17 An der seinerzeit formulierten Trennung zwischen Staat und Kirche wurde auch später festgehalten.18 Die evangelische Militärseelsorge regelt hingegen der Militärseelsorgevertrag vom 26. Juli 1957. Hier wird unter anderem in Kooperation aus den „beiden Souveränen Staat und Kirche“ die Notwendigkeit der unabhängigen Kirche betont.19 In den neuen Bundesländern gab es seit 1991 Regelungen zur Seelsorge für Soldaten. Eine verbindliche rechtliche Grundlage entstand allerdings erst durch den Rahmenvertrag vom 12. Juli 1996, der am 1. Januar 2004 schließlich als „Militärseelsorgevertrag“ anerkannt worden ist.20 15 Berger, Jüdische Soldaten [wie Anm. 12]. Zu den Ausstellungen siehe http://www.mgfa.de/html/neuigkeiten_2005.php?display_va=39fef5c3a428d&PHP- SESSID=02a358024b4ea3f322f05228a4de4bbe und http://www.mgfa.de/html/zms_angebote_galerie_einzel .php?sam_id=56&PHPSESSID=02a358024b4ea3f322f05228a4de4bbe [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 16 Siehe dazu Wolfgang Müller-Seedorf: Sachstand Militärseelsorge; WD 2 - 3000 - 101/14. 17 Reichskonkordat 1933, Artikel 27; http://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/ archivio/documents/rc_seg-st_19330720_santa-sede-germania_ge.html [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 18 Päpstliche Statuten 1989, Artikel 13; www.kmba.militaerseelsorge.bundeswehr.de/resource/ resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmIzNzMw NmE2Yzc0NmEyMDIwMjAyMDIw/Paepstliche_Statuten_vom_06121989.pdf [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 19 Horst Scheffler, Die Militärseelsorge der Bundeswehr, in: Entschieden für Frieden – 50 Jahre Bundeswehr 1955- 2005. Hrsg. im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes von Klaus-Jürgen Bremm, Hans-Hubertus Mack und Martin Rink, Freiburg 2005, S. 409-424, bes. S. 412, Militärseelsorgevertrag 1957: Artikel 2/1; http://www.kirchenrecht-westfalen.de/showdocument/id/5859 [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 20 Scheffler, Die Militärseelsorge [wie Anm. 19], S. 416 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 9 Die Souveränität und auch das Grundrecht der freien Religionsausübung werden somit von beiden kirchlichen Institutionen gewährleistet.21 Seit 2003 gibt es auch einen Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland.22 Neu an den Regelungen der 1950er Jahre war der Wille, die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Die Innere Führung mit ihrem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform basiert auf dieser Einsicht ebenso wie die Militärseelsorge. Der Staat schafft dafür den Rahmen, also zuvorderst die Organisation und Finanzierung der Militärseelsorge, die Kirchen stellen die Seelsorger, die für ihren Dienst in der Regel für sechs Jahre von den Kirchen freigestellt werden, und sind für die Inhalte verantwortlich. Derzeit existieren 100 evangelische und 80 katholische Militärpfarrämter – sowohl in Deutschland als auch im Ausland.23 Gleichwohl war die Militärseelsorge von Anfang an nicht unumstritten.24 3. Die christlichen Kirchen 3.1 Die evangelische Militärseelsorge Zuständig für die evangelische Militärseelsorge ist das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr (EKA), dem ein Militärgeneraldekan vorsteht. Ihm unmittelbar nachgeordnet sind die vier evangelischen Militärdekanate Berlin, Kiel, Köln und München. Sie führen die Aufsicht über die Evangelischen Militärpfarrämter, an denen insgesamt etwa 100 Militärpfarrer tätig sind. Die Evangelischen Militärpfarrämter an den Auslandsstandorten der Bundeswehr in den USA und bei den NATO-Stäben werden unmittelbar durch das Evangelische Kirchenamt geführt. Jenes ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMVg, untersteht in Angelegenheiten der Militärseelsorge jedoch dem Evangelischen Militärbischof, der wiederum nicht dem Evangelischen Kirchenamt angehört. Gleichwohl wird er in kirchlichen Angelegenheiten vom Militärgeneraldekan vertreten, obwohl dieser wiederum Bundesbeamter (auf Lebenszeit) ist.25 21 Grundgesetz, Artikel 4 (2). 22 Maja Bächler, Die Militärseelsorge: Brücke zwischen Kirche, Staat und Militär, in: Bundeswehr.de, 22.2.2017; https://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/start/soziales/milseelsorge/!ut/p/z1/hU69DoIwGHwWB9Zt URBN5BFgwkGjNDFFKgFUygpFXx8MUwmGm-73xxQSIG2bKgFM7VqmZx4RtdX3w2TkGwISa- JdgPdH2_eXJ0Jw5MDlX4BONv4BD0Nccsim- DefXRnB2IAYK9M4G9kSd0kZyg1jxfghZxdpS8kgV3iwcgAqp8vm61-a2K4BqfuOaa_TQk1wZ0_VbC1t4HEckl BKSo0I1Fv5WqVRvIP1MQtekI7ZXcgi9xQsAHRtl/dz/d5/L2dBI- SEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922TPCD0IM3BB1Q22DU7 [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 23 Ebd. 24 Siehe z.B. Wolfram Beyer (Hg.), Militärseelsorge abschaffen. Humanistische, christliche und pazifistische Argumente . Berlin 2013. 25 Siehe dazu ausführlich Jörg Ennuschat, Militärseelsorge: verfassungs- und beamtenrechtliche Fragen der Kooperation von Staat und Kirche. Berlin 1996 (Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Bd. 27). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 10 3.2 Die katholische Militärseelsorge Für die katholische Militärseelsorge ist das Katholische Militärbischofsamt zuständig. Ihm nachgeordnet sind ebenfalls vier Militärdekanate in Berlin, Kiel, Köln und München. Die beamtenrechtlichen Regelungen sind identisch mit denen in der evangelischen Militärseelsorge, das Militärbischofsamt wird allerdings durch einen Militärgeneralvikar geführt. Auch er vertritt allerdings in kirchlichen Angelegenheit den Militärbischof. Einen eigens ernannten Militärbischof, bislang stets ein deutscher Diozesanbischof, gibt es seit dem Erlass der Apostolischen Konstitution „Spirituali militum curae“ durch Papst Johannes Paul II. am 21. April 1986. Bis dahin war lediglich ein Stellvertreter eingesetzt, Träger der bischöflichen Rechte war der Papst.26 4. Deutsche jüdische Soldatinnen und Soldaten Angesichts der von Deutschen oder in deutschem Namen während des „Dritten Reiches“ begangenen Verbrechen an den Juden Europas wurden jüdische Wehrpflichtige trotz der geltenden Wehrpflicht von Anfang an nicht gegen ihren Willen eingezogen, wenn die Eltern oder Großeltern zu den Verfolgten des Naziregimes zählen. Gegenüber Soldaten jüdischen Glaubens respektiert die Bundeswehr jüdische Feiertage ebenso wie den Schabbat. An den Feiertagen können jüdische Soldaten in der Regel Urlaub nehmen, an Samstagen werden sie nicht zum Dienst eingeteilt. Auch auf die Speisegesetze wird Rücksicht genommen, selbst im Einsatz wird koscheres Essen angeboten.27 26 Markus Seemann, 60 Jahre „Kirche unter Soldaten“. Militärseelsorge in der Bundeswehr; https://www.katholische -militaerseelsorge.de/geschichte/militaerseelsorge-in-der-bundeswehr/ [letzter Zugriff: 14.3.2019], Katholisches Militärbischofsamt Berlin (Hg.), Kirche unter Soldaten. 50 Jahre Katholische Militärseelsorge in der Deutschen Bundeswehr. Heiligenstadt 2006, Andreas M. Rauch, 50 Jahre katholische Militärseelsorge, in: Die Neue Ordnung 6/2005, S. 448-461. 27 Bernhard Fischer/Jonathan Walter, Sollten Juden in der Bundeswehr dienen?, in: Jüdische Allgemeine, 20.5.2009; https://www.juedische-allgemeine.de/allgemein/sollten-juden-in-der-bundeswehr-dienen/ [letzter Zugriff: 16.3.2019] sowie grundsätzlich Zwischen Tradition und Gegenwart. Juden in der Bundeswehr, in: jüdisches-europa.net 1/2015; https://www.juedisches-europa.net/archiv-seite-3/1-2015/zwischen-tradition-und-gegenwart-juden-in-der-bundeswehr / [letzter Zugriff: 16.3.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 11 Seit 1998 findet ein jährliches Austauschprogramm zwischen jungen israelischen und deutschen Offiziersanwärtern statt.28 Im Frühjahr 2005 wurde im Berliner Familienbetreuungszentrum erstmals einen Ansprechpartner für jüdische Angelegenheiten ernannt.29 Wiederholt gedenkt die Bundeswehr zusammen mit örtlichen Israelitischen Kultusgemeinden an den Volkstrauertagen der gefallenen jüdischen Soldaten.30 Schon seit 2004 absolvieren Rabbiner-Studenten des Potsdamer Abraham Geiger Kollegs freiwillige Praktika bei der evangelischen und katholischen Militärseelsorge. Nach Aussage des Rektors des Kollegs, Rabbiner Walter Homolka, der selbst Oberstleutnant der Reserve ist, seien diese „durchweg sehr positiv verlaufen“.31 Homolka erhielt übrigens 2004 eine eigens für ihn angefertigte Flecktarn-Kippa nach einer Reserveübung beim Lazarettregiment 31 in Berlin-Kladow als Abschiedsgeschenk. Diese reichte er später an den Parlamentarischen Staatssekretär im BMVg, Christian Schmidt, weiter, der sie in einem feierlichen Akt am 31. Mai 2011 dem Jüdischen Museum Franken übereignete. Mit Hinweis auf eine nicht-existierende Regelung innerhalb der Kleiderordnung bei der Bundeswehr betonte Schmidt bei der Übergabe, „[j]üdische Soldaten wollen zumindest beim Gebet auf ihre Kippa als Ausdruck religiöser Demut nicht verzichten. Das ist auch in der Bundeswehr nicht anders und das finde ich auch gut so. Es zeigt, dass jüdische Soldaten ihre Religion selbstbewusst wahrnehmen und dies auch in der Bundeswehr können.“32 Schon 2007 hatte der seinerzeitige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, auf der Jahrestagung des Bundes Jüdischer Soldaten am 18. November festgestellt, jüdische Soldaten in der Bundeswehr seien ein hoffnungsvolles Zeichen: 28 Thomas Klatt, Als Jude in der Bundeswehr, in: welt.de, 15.1.2006; https://www.welt.de/print-wams/article 137240/Als-Jude-in-der-Bundeswehr.html [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 29 Ebd. 30 Siehe z.B. Kranzniederlegung für gefallene jüdische Soldaten, in: BR 24, 13.11.2016; https://www.br.de/nachrichten /bayern/kranzniederlegung-fuer-gefallene-juedische-soldaten,68u3ed1g64vkectj6wtk2e1p6cr38 [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 31 Christoph Strack, Versuchskaninchen mit Flecktarn-Kippa. Rabbiner-Studenten lernen Militärseelsorge in der deutschen Bundeswehr, in: Potsdamer Neueste Nachrichten, 2.3.2004; https://www.pnn.de/potsdam/versuchskaninchen -mit-tarn-kippa/22290028.html [letzter Zugriff: 16.3.2019]. Zitat Homolka nach Hans-Ulrich Dillmann, Bundeswehr: Mehr Juden täten gut, in: Jüdische Allgemeine, 20.5.2017; https://www.juedische-allgemeine.de/politik/mehr-juden-taeten-gut/ [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 32 https://www.juedisches-museum.org/mit-einer-flecktarnkippa-in-den-farben-der-bundeswehr/ [letzter Zugriff: 16.3.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 12 „Es belegt, dass die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer freiheitlichen demokratischen Rechtsordnung und dank ihres aufrichtigen Bemühens, die Vergangenheit nicht zu verdrängen , sondern sich ihr zu stellen, es wert ist, geschützt und verteidigt zu werden.“33 Der Bund jüdischer Soldaten wurde 2006 gegründet. Er sieht sich selbst zwar in einer Traditionslinie mit dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, nicht jedoch als dessen Nachfolgeorganisation .34 Gerade angesichts der deutschen Geschichte und vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in der Bundeswehr sieht der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, die Chance für jüdische Militärseelsorger : Diese würden sich nicht nur um die jüdischen Soldaten kümmern, sondern könnten auch Wissenswertes über das Judentum vermitteln und so Judenhass entgegenwirken.35 In diesem Kontext wurde vom Bundestag im Januar 2018 bereits die Einrichtung des Amtes des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus beschlossen, das im Bundesministerium des Innern angesiedelt ist. Es wurde angesichts der intensiven Diskussion über eine Zunahme des Antisemitismus in Deutschland und der Frage, wie diesem Phänomen bestmöglich auf Ebene des Bundes entgegen getreten werden kann, mit dem aktuellen Koalitionsvertrag neu geschaffen.36 Bei einem Treffen mit dem Beauftragten, seit 1. Mai 2018 Dr. Felix Klein (CDU/CSU), verdeutlichte der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland, die jüdische Militärseelsorge sei ein wichtiges Anliegen der jüdischen Gemeinschaft. Zur Stärkung der Inneren Führung und Demokratieausbildung der Soldatinnen und Soldaten sollten auch die Tradition und Kultur des Judentums Thema in der Bundeswehr werden.37 Insbesondere, weil die Bundeswehr zunehmend auch für junge Juden in Deutschland als Arbeitgeber attraktiv würde, empfahl auch der Vorsitzende des Zentralrates, Schuster, die Streitkräfte sollten dies als Chance begreifen: Militärrabbiner wären seiner Meinung nach insgesamt „ein starkes Zeichen für die Verankerung der Bundeswehr in der Gesellschaft“.38 So ähnlich bewertet es auch die zum Judentum konvertierte Soldatin Anne Külow. Dass sie 2006 als Offiziersanwärterin zur Bundeswehr ging, verstanden ihre Mitschülerinnen und Mitschüler 33 Fischer/Walter, Sollten Juden in der Bundeswehr dienen? [wie Anm. 27]. 34 Hollenbach, Vom Außenseiter zum Kameraden [wie Anm. 11]. 35 Dillmann, Bundeswehr [wie Anm. 31]. 36 Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus; https://www.bmi.bund.de/DE/ministerium/beauftragte/beauftragter-antisemitismus/beauftragter-antisemitismus -artikel.html [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 37 Zentralrat der Juden in Deutschland: Pressemitteilung 15.5.2018; https://www.zentralratderjuden.de/aktuellemeldung /artikel/news/pressemitteilung-150518/ [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 38 Dillmann, Bundeswehr [wie Anm. 31]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 13 in der Jüdischen Oberschule in Berlin kaum. Sie selbst begründet ihre Motivation damit, ihr habe die Idee gefallen, ihr Land zu schützen. Außerdem wurde ihr schnell klar, dass eine Laufbahn bei der Bundeswehr Sicherheit bieten würde. Für sie ist die Bundeswehr nicht die Nachfolgeorganisation der Wehrmacht und „nicht mal mit der Bundeswehr aus den sechziger bis achtziger Jahren zu vergleichen“. Ihr bedeutet das Grundgesetz eine Errungenschaft, die es gerade für eine Jüdin zu verteidigen lohne. Sie betrachtet sich als lebenden Beweis, dass es einen jüdischen Alltag in Deutschland gibt, dass Juden sogar im deutschen Militär präsent sind.39 Schuster sieht eine jüdische Militärseelsorge in derselben Notwendigkeit wie bei der katholischen und evangelischen Kirche – und billigt dieses Recht grundsätzlich auch den Muslimen zu: Militärimame seien „zu erwägen. Wichtig ist natürlich, dass die Militärimame auch das notwendige religiöse Spektrum abdecken.“40 In seinem Gesamturteil schloss er sich allerdings dem Wehrbeauftragten an: Auch er wollte „nicht verhehlen, dass ich das Gefühl habe, dass unser Anliegen bei der zivilen Leitung im Bundesministerium der Verteidigung nicht oberste Priorität hat“.41 So stellt die Benennung der Bundeswehr-Kaserne in Aachen im Januar 2014 nach dem jüdischen Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges und Gründer des RJF Dr. Leo Löwenstein immerhin eine erinnerungsgeschichtliche Würdigung dar.42 Dem studierten Chemiker und Physiker war 1917 das Eiserne Kreuz Erster Klasse verliehen worden , weil er seine mehr als 20 technischen Erfindungen - beispielsweise spezielle Schallmessungen , mit denen man gegnerische Standorte bestimmen und als Ziel orten konnte - nicht patentrechtlich schützen ließ, sondern deren Verwertung aus patriotischer Überzeugung dem deutschen Staat übertrug. Jener dankte es ihm allerdings wenig: Löwenstein und seine Frau überlebten das KZ Theresienstadt nur knapp, emigrierten später erst nach Schweden und dann in die Schweiz.43 39 Annabel Wahba, Die jüdische Kameradin, in: Zeit Online, 7.7.2011; https://www.zeit.de/2011/28/Soldatin [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 40 Josef Schuster über jüdische Seelsorge und die Aufgabe von Rabbinern in der Bundeswehr. Ein Interview von Hans-Urich Dillmann, in: Jüdische Allgemeine, 21.2.2019; https://www.juedische-allgemeine.de/politik/wirbrauchen -militaerrabbiner/ [letzter Zugriff: 13.3.2019]. 41 Ebd. 42 Michael Hollenbach, „Eine große Freude und Ehre“. Aachener Kaserne nach jüdischem Weltkriegssoldaten benannt , in: Deutschlandfunk Kultur, 7.2.2014; https://www.deutschlandfunkkultur.de/bundeswehr-eine-grossefreude -und-ehre.1079.de.html?dram:article_id=276884 [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 43 Hollenbach, Vom Außenseiter zum Kameraden [wie Anm. 11], Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 14 5. Deutsche muslimische Soldatinnen und Soldaten Die Notwendigkeit, auf ihre Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens gezielt zuzugehen , wurde bei der Bundeswehr bereits 2007 festgestellt. Seinerzeit entstand am Zentrum Innere Führung in Koblenz ein Arbeitspapier „Deutsche Staatsbürger muslimischen Glaubens in der Bundeswehr“, das für Vorgesetzte auf allen Ebenen Informationen und Hinweise für den Umgang mit Soldaten und Soldatinnen muslimischen Glaubens bot. Darüber hinaus ist allerdings wenig passiert. Inzwischen können Soldatinnen und Soldaten auf eigenen Wunsch ihre Religionszugehörigkeit auf ihrer Erkennungsmarke einprägen lassen. Außer dem zuvor bereits möglichen evangelischen (E) und katholischen (K) sind nun auch die Kürzel ISL (Islamische Religionsgemeinschaft ) sowie JD für jüdischen und O für orthodoxen Glauben zulässig.44 Seit dem Juli 2011 fordert nicht nur der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland nun die Einführung von Militärimamen bei der Bundeswehr;45 dass eine muslimische Militärseelsorge wünschenswert sei, findet breite Anerkennung. Allerdings wird in diesem Zusammenhang immer wieder darauf hingewiesen, dass die Zahl der muslimischen Soldatinnen und Soldaten mit 1.200 bis 2.000 relativ niedrig sei, sie zusätzlich bundeswehrweit stationiert seien, unklar sei, ob diese überhaupt ein Bedarf nach eigener Seelsorge empfinden und wer der Ansprechpartner auf Seiten der Muslime sein könnte.46 Der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck sieht hier die direkt Verantwortlichen, also Politik, Bundeswehr und Vertreter der Muslime am Zug. Das BMVg verweist jedoch auf die von muslimischer Seite noch zu klärende rechtliche Grundlage, ehe eine solche Arbeitsgruppe installiert werden könnte. Grundsätzlich sollten für mögliche Militärimame dieselben Voraussetzungen gelten wie für christliche Militärseelsorger, also der jeweilige Imam sollte ein in Deutschland anerkanntes Theologiestudium haben, deutscher Staatsbürger sein und Erfahrung in der Gemeindearbeit besitzen.47 Günter Nagel, Erfinder, Industriemanager, jüdischer Offizier und Politiker – Das Lebenswerk des Dr. Leo Löwenstein , in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 68/2017, S. 181-224. 44 Thomas R. Elßner, Muslimische Militärseelsorge in der Bundeswehr?, in: offiziere.ch, 5.7.2016; https://www.offiziere .ch/?p=28273 [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 45 Muslime fordern Militär-Imame für die Bundeswehr, in: welt.de, 12.7.2011; https://www.welt.de/politik /deutschland/article13482626/Muslime-fordern-Militaer-Imame-fuer-die-Bundeswehr.html [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 46 Wehrbeauftragter Bartels will ehrenamtliche Militärimame, in: evangelisch.de, 17.3.2018; https://www.evangelisch .de/comment/84988 [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 47 Hansen, Diskussion [wie Anm. 6]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 15 Auch der katholische Militärgeneralvikar Reinhold Bartmann hat sich für eine islamische Militärseelsorge in der Bundeswehr mit dem Verweis ausgesprochen, das Recht auf freie und ungestörte Religionsausübung gelte für die Angehörigen aller Religionsgemeinschaften. Er plädierte für die Einberufung eines Beirats für islamische Militärseelsorge aus Vertretern von Staat und muslimischen Verbänden, die Vorschläge für Arbeitsbereiche und Auswahlkriterien muslimischer Militärgeistlicher entwickeln könnten. Solche Gremien hätten sich im Kontext der Organisierung des islamischen Religionsunterrichts in den Bundesländern bereits bewährt.48 Der evangelische Militärbischof Sigurd Rink schlug vor, in größeren Bundeswehrstandorten wie Munster, Wilhelmshaven oder Augustdorf zunächst Kooperationen mit vertrauenswürdigen Moscheegemeinden vor Ort aufzubauen und deren Imame nebenamtlich als Militärseelsorger einzusetzen.49 Bereits 2012 wurde im BMVg ein Dreistufenplan als Richtlinie entworfen: 1. Einrichtung einer Zentralen Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen (ZASaG) und Ermittlung eines Bedarfs 2. Möglicherweise Einsetzung eines nebenamtlichen Militäriman, der kein Staatsbeamter auf Zeit sein soll, sondern in erster Linie Imam in (s)einer zivilen Moscheegemeinde bleibt 3. Bei dessen Bewährung Einsetzung eines hauptamtlichen Militärimams In der ersten Stufe sollte die Ansprechstelle ausdrücklich keine Aufgaben der Militärseelsorge wahrnehmen. Als wesentliche Aufgabe wurde ihr zugewiesen, über einen gewissen Zeitraum hinweg eine Bedarfsermittlung bezüglich Militärseelsorge für Soldaten und Soldatinnen anderer Glaubensrichtungen zu erheben. Außerdem sollte sie ein Netzwerk hinsichtlich möglicher Ansprechpartner für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen knüpfen und Ansprechpartner vermitteln.50 Die ZASaG hat ihre Arbeit am 1. Juli 2015 am Zentrum Innere Führung aufgenommen. Jede Soldatin und jeder Soldat der Bundeswehr kann sich jederzeit an sie wenden.“51 Als ihre Aufgaben wurden formuliert: den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die nicht der evangelischen oder katholischen Kirche angehören, bei Bedarf seelsorgerische Betreuung zu vermitteln; 48 Katholische Kirche für islamische Militärseelsorge in Bundeswehr, in: Domradio.de, 31.8.2016; https://www.domradio.de/themen/seelsorge/2016-08-31/katholische-kirche-fuer-islamische-militaerseelsorgebundeswehr [letzter Zugriff: 13.3.2019]. 49 Militärbischof: Hürden für Militärimame abbauen[wie Anm. 4]. 50 Elßner, Muslimische Militärseelsorge [wie Anm. 44]. 51 https://www.bundeswehr-support.de/bws/ansprechstellen/zentrale-ansprechstelle-fuer-soldatinnen-und-soldaten -anderer-glaubensrichtungen.html [letzter Zugriff: 16.3.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 16 den Vorgesetzten der Bundeswehr, die Soldaten führen, die anderen Religionsgemeinschaften als der evangelischen oder katholischen Kirche angehören, mit kompetenter Beratung zur Seite stehen; Kontakte zu möglichst vielen Ansprechpartnern der verschiedensten Religionsgemeinschaften pflegen mit dem Ziel, die Kompetenz für die Beratung zu erhöhen.52 Offenbar leitet dort ein Feldwebel die rund 120 Anfragen pro Jahr weiter und versucht im Bedarfsfall , den Anrufenden an einen externen Ansprechpartner zu vermitteln, zum Beispiel an einen Imam vor Ort, denn anscheinend wenden sich vor allem muslimische Soldatinnen und Soldaten an die ZASaG.53 Der Zentralrat der Muslime hat daher mehrfach gefordert, in der Ansprechstelle einen hauptamtlichen Vertreter muslimischen Glaubens einzusetzen. Das Thema sei auch in die Deutsche Islamkonferenz eingebracht worden, allerdings ohne Erfolg.54 Über die Stufe 1 hinaus ist offenbar allerdings nichts geschehen, obwohl Verteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen 2015 zur Frage der Militärimame antwortete: „Wir stehen solchen Gedanken offen gegenüber. Das ist eher eine Frage der Logistik, weil Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens weit verstreut leben und arbeiten. Wir sind im Augenblick dabei zu prüfen, wie groß der Bedarf in der Bundeswehr dafür ist und welche Alternativen zur Auswahl stehen.“55 Seinerzeit wurde diese Ankündigung vom Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, ausdrücklich begrüßt.56 Dass sich in dieser Frage seit Jahren nichts 52 Zentrale Ansprechstelle für Soldatinnen und Soldaten anderer Glaubensrichtungen (ZASaG) , 26.11.2015; https://www.innerefuehrung.bundeswehr.de/portal/a/innerefue/start/ansprechstellen/zentrale_ansprechstelle _fuer_soldatinnen_und_soldaten_anderer_glaubensrichtungen/!ut/p/z1/04_Sj9CPykssy0xPLMnMz0vMAf Ijo8zinSx8QnyMLI2MQkItzAwcfV1cAwJD_Y0MnIz0wwkpiAJKG-AAjgb6wSmp-pFAM8xxm2GuH6wfpR- VlViWWKFXkF9UkpNaopeYDHKhfmRGYl5KTmpAfrIjRKAgN6LcoNxREQD1_JcN/dz/d5/L2dBI- SEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922TU860AMDEPQUO20B7 [letzter Zugriff: 16.3.2019]. 53 Michael Hollenbach, „Ist der islamische Kamerad weniger wert als der christliche?“, in: NDR.de, 31.1.2019; https://www.ndr.de/ndrkultur/sendungen/freitagsforum/Ist-der-islamische-Kamerad-weniger-wert-als-derchristliche ,hollenbachmilitaerseelsorgefuermuslime100.html [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 54 Bundeswehr hat Nachholbedarf: Muslimische Soldatin wünscht sich mehr Rücksicht auf den Glauben, in: Focus, 23.2.2018; https://www.focus.de/politik/deutschland/bundeswehr-hat-nachholbedarf-muslime-wuenschen -sich-militaerimame-bei-der-bundeswehr_id_8518520.html [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 55 Ursula von der Leyen im Interview mit Michael Fischer: „Wegschauen ist für uns keine Option“, in: ntv.de, 11.11.2015; https://www.n-tv.de/politik/Wegschauen-ist-fuer-uns-keine-Option-article16326996.html [letzter Zugriff: 14.3.2019]. Siehe auch Militärimame für die Bundeswehr?, in: BR 24.de, 8.11.2015; https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/militaer-imame-fuer-die-bundeswehr ,64rk4e1m6gu3cc1t70t3ee9p68w3g [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 56 dpa: Militär-Imame: Zentralrat der Muslime "begrüßt das sehr", in: Berliner Morgenpost, 9.11.2015; https://www.morgenpost.de/politik/inland/article206553947/Militaer-Imame-Zentralrat-der-Muslime-begruesstdas -sehr.html [letzter Zugriff: 14.3.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 17 bewege, beklagte inzwischen auch Rauf Ceylan, Professor für Religionssoziologie sowie stellvertretender Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück, der sich der Forderung nach Militärimamen für die Bundeswehr anschloss57: „Muslimische Militärseelsorger sind überfällig. Wir brauchen sie genauso, wie wir auch mittlerweile entsprechend ausgebildete muslimische Krankenhaus-, Polizei- und Gefängnisseelsorger haben.“ Für ihn ist es eine logische Entwicklung, dass in einer Gesellschaft, in der mittlerweile fast fünf Millionen Muslime lebten, der Islam auch in der Bundeswehr vertreten sei. Er plädierte dafür anzufangen anstatt weiter zu diskutieren – und schlug dazu ein Versuchsprojekt mit zunächst ein oder zwei Militärimamen vor. Zur Frage der Ansprechpartner verwies Ceylan auf andere Bereiche wie etwa Religionsunterricht an Schulen oder Kooperationen an Universitäten. Seiner Meinung nach hätten auch Muslime in der Bundeswehr das Bedürfnis nach geistlichem Beistand , nicht zuletzt in Auslandseinsätzen. Sie könnten sich mit ihren Militärimamen außerdem über Speisevorschriften, Gebetszeiten oder den Fastenmonat Ramadan austauschen. Tatsächlich werden seit geraumer Zeit auch aus der Bundeswehr heraus einzelne Stimmen laut, die Ceylans Positionen unterstützen. Besonderes Gehör hat sich dabei Nariman Hammouti- Reinke verschafft. Sie ist als Tochter marokkanischer Eltern in Deutschland geboren und seit 2005 (Berufs-)Soldatin. Gerade hat sie ihre Erfahrungen in einem Buch veröffentlicht, das auf nicht unerhebliches mediales Interesse stieß:58 „Auch wir Muslime gehen für unser Land in den Einsatz. Auch wir würden unser Leben für Deutschland geben. Gerade da sollte man schauen, dass man auch für Soldaten islamischen Glaubens und deren Familien militärische Seelsorge bereitstellt. Man muss doch zum Beispiel wissen, was zu tun ist, wenn muslimische Kameraden im Einsatz ums Leben kommen. Wie gehe ich mit der Leiche um? Wie benachrichtige ich die Familie? […] Ich musste vorher […] eine Anleitung schreiben, wie man mit meinem Leichnam umzugehen hat, falls ich getötet werde. Ich denke nicht, dass das meine Aufgabe ist. Im Einsatz religiösen Beistand zu haben, ist ja wohl das Mindeste, was man erwarten kann. Wenn man das für christliche Soldaten stellen kann, warum dann nicht für muslimische? Wenn das die niederländischen, amerikanischen und französischen Streitkräfte schaffen, warum nicht die Bundeswehr? Wir leben im Jahr 2016. Mittlerweile sollte man begreifen, dass der Islam zu Deutschland gehört.“59 57 Religionssoziologe fordert Militärimame für die Bundeswehr, in: Evangelische Friedensarbeit.de, 27.2.2018; https://www.evangelische-friedensarbeit.de/artikel/2018/religionssoziologe-fordert-militaerimame-fuer-die-bundeswehr [letzter Zugriff: 14.3.2019]. Rauf Ceylan ist promovierter Soziologe und promovierter Religionspädagoge. Seit 2009 ist er Professor für Religionssoziologie an der Universität Osnabrück. Siehe dazu auch Rauf Ceylan, Die Prediger des Islam: Imame – Wer sie sind und was sie wirklich wollen. Freiburg 2010. 58 Nariman Hammouti-Reinke, Ich diene Deutschland. Ein Plädoyer für die Bundeswehr – und warum sie sich ändern muss. Reinbek 2019. 59 Zitiert nach Muslime bei der Bundeswehr: Soldatin verletzt durch Islamismusverdacht, in: Handelsblatt, 12.4.2016; https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/muslime-bei-der-bundeswehr-soldatin-verletztdurch -islamismusverdacht/13434082.html [letzter Zugriff: 14.3.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 18 Im Truppenalltag steht sie eben vor dem Problem, wie sie die islamischen Speisevorschriften oder die Gebetszeiten einhalten soll. Hier müsste man selbst pragmatisch sein, unterstützende Regelungen oder wenigstens Gebetsräume gebe es nicht.60 Größtenteils identische Klagen wurden auch andernorts bereits laut.61 Auch der Wehrbeauftragte hat bereits im Berichtsjahr 2013 auf eine steigende Zahl von Soldatinnen und Soldaten hingewiesen, die ihm gegenüber ihren Wunsch nach Anlaufstellen für Soldaten anderer Religionen geäußert haben.62 Doch nicht nur der Wehrbeauftragte fordert nun die Bundesregierung zum Handeln auf.63 Auch die SPD-Fraktion hat sich für eine jüdische und muslimische Seelsorge in der Bundeswehr ausgesprochen . Dazu verabschiedete die Arbeitsgemeinschaft Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Januar 2019 ein Positionspapier. Nach dem Modell der evangelischen und der katholischen Militärseelsorge solle künftig ein Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Zentralrat der Juden den rechtlichen Rahmen für die jüdische Militärseelsorge setzen, erläuterten der verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion, Fritz Felgentreu, und der zuständige Berichterstatter , Josip Juratovic. Ebenso wichtig sei es, auch für eine islamische Militärseelsorge eine geeignete Form zu finden. Ihrer Meinung nach sei es für den Zusammenhalt der Bundeswehr entscheidend , dass Menschen aller Religionen ganz selbstverständlich ihren Beitrag leisteten. Nur eine Armee, die sich als Spiegel der Gesellschaft verstehe, werde ihren Auftrag auf Dauer mit voller Kraft erfüllen können.64 Derweil wurden Soldatinnen und Soldaten selbst aktiv. Als Thilo Sarrazins Buch im August 2010 eine kontroverse Debatte auslöste, die sich im Kern mit der Integrationsunwilligkeit oder -fähigkeit von Zuwanderern befasste, war das die Motivation für Ntagahoraho Burihabwa, dessen Eltern aus Burundi stammen, zusammen mit anderen Offizieren sowie Offizieranwärterinnen und -anwärtern mit und ohne Migrationshintergrund 2011 den Verein Deutscher.Soldat. e.V. zu gründen. Derzeit 60 Bundeswehr hat Nachholbedarf: Muslimische Soldatin wünscht sich mehr Rücksicht auf den Glauben, in: Focus, 23.2.2018; https://www.focus.de/politik/deutschland/bundeswehr-hat-nachholbedarf-muslime-wuenschen -sich-militaerimame-bei-der-bundeswehr_id_8518520.html [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 61 Siehe die Beispiele von Saad Chahrrour bei Rebecca Röhrich, Als Moslem bei der Bundeswehr, in: Frankfurter Neue Presse, 26.4.2018; https://www.fnp.de/frankfurt/moslem-bundeswehr-10402346.html [letzter Zugriff: 14.3.2019], Shervan Mohamed und Kayode Azeez in Muslime in der Bundeswehr: Gebete nach Dienstschluss, in: Sonntagsblatt .de, 19.6.2018; https://www.sonntagsblatt.de/artikel/menschen/muslime-der-bundeswehr-gebete-nachdienstschluss [letzter Zugriff: 14.3.2019] oder Ferhat Alhayiroglu in Michael Schmidt, Kameraden oder Islamisten?, in: Der Tagesspiegel, 19.11.2016; https://www.tagesspiegel.de/politik/muslime-in-der-bundeswehr-kameraden-oder-islamisten/14855780.html [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 62 Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten – Jahresbericht 2013 (55. Bericht). BT-Drs. 18/300 vom 28.1.2014, S. 56; http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/003/1800300.pdf (letzter Zugriff: 14.3.2019). 63 Religionssoziologe fordert Militärimame für die Bundeswehr, [wie Anm. 57]. 64 SPD für jüdische und muslimische Seelsorger in der Bundeswehr, in: Christlich-islamische Begegnungs- und Dokumentationsstelle e.V. ( CIBIDO) Deutsche Bischofskonferenz, 30.1.2019; http://cibedo.de/2019/01/30/spdfuer -juedische-und-muslimische-seelsorger-in-der-bundeswehr/ [letzter Zugriff: 14.3.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 19 hat der Verein etwa 120 Mitglieder, die sich über das gesamte Bundesgebiet verteilen, wobei der eindeutige Schwerpunkt in Hamburg liegt. Der Großteil hat sich zudem für eine Laufbahn als Offizier der Bundeswehr entschieden und dient als aktiver Offizier oder Offizieranwärter beziehungsweise -anwärterin. Sie plädieren dafür „Vielfalt als Normalität und Chance ansehen und sich unabhängig von ihrer Herkunft in Freiheit entfalten und einbringen können“.65 Ausschlaggebend für die Initiative Ntagahoraho Burihabwas, der von 2000 bis 2012 Soldat gewesen war, waren übrigens gerade seine positiven Erfahrungen bei der Bundeswehr: „Nirgends werde ich so wenig diskriminiert wie in der Bundeswehr. Ich bin zwar der schwarze Hauptmann, aber ich bin immer noch Hauptmann.“ Sein Fazit nach seiner 12jährigen Dienstzeit ist für ihn, der in seinen Aussagen weder die Bundeswehr glorifiziert noch verhehlt, dass es auch dort Fremdenfeindlichkeit gibt, dass sich dort Vorurteile schwerer aufrechterhalten ließen. Kameradschaft sei Pflicht, es gebe eine klare Hierarchie , und alle Soldaten leisteten den gleichen Eid, was zu einem stärkeren Zusammenhalt führe: „Wir können nicht alle leben wie Soldaten. Aber es zeigt doch immerhin: Wenn wir eine Plattform haben, wo man sich auf Augenhöhe begegnet, kann Integration gelingen."66 6. Der Blick über den nationalen Tellerrand Neben dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages haben etliche Betroffene und Medienberichte auf internationale Beispiele zum Umgang mit Militärimamen hingewiesen.67 65 https://www.deutschersoldat.de/index.php/verein/entstehung2 [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 66 Ronja von Wurmb-Seibel, Ein stolzer Deutscher, in: Die Zeit Nr. 1/2013, 27.12.2012; https://www.zeit.de/2013/01/Bundeswehr-Offizier-Burihabwa [letzter Zugriff: 14.3.2019]. Seit 2015 arbeitet er in New York bei den Vereinten Nationen in der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze. Siehe Julia Egleder, Ntagahoraho Burihabwa, in: Deutschland.de: Gesichter und Geschichten, 6.10.2016; https://www.deutschland .de/de/topic/leben/gesellschaft-integration/gesichter-und-geschichten [letzter Zugriff: 14.3.2019]. 67 Siehe Wehrbeauftragter Bartels will ehrenamtliche Militärimame, [wie Anm. 46] und Imame für die Truppe – Wehrbeauftragter: Brauchen muslimische Bundeswehr-Seelsorger, in Neue Osnabrücker Zeitung, 17.3.2018; https://www.noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/1175768/wehrbeauftragter-brauchen -muslimische-bundeswehr-seelsorger [letzter Zugriff: 14.3.2019] sowie z.B. Religionssoziologe fordert Militärimame für die Bundeswehr [wie Anm. 57] oder Bächler, Die Militärseelsorge [wie Anm. 22]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/19 Seite 20 Schon 1993 beriefen die US-Streitkräfte muslimische Militärgeistliche. Zwischenzeitlich verfügen dort die etwa 3.700 muslimische Soldatinnen und Soldaten über ein gutes Dutzend islamischer Feldgeistlicher. Feldrabbiner gibt es dort bereits seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg. In Großbritannien und Frankreich sind muslimische Geistliche im Dienste der Streitkräfte seit 2005 Realität. In den britischen Streitkräften werden derzeit rund 650 muslimische Soldaten von zwei Militärgeistlichen betreut; einer der beiden fungiert zugleich als Islamberater des Verteidigungsministeriums . In Frankreich sind Schätzungen zufolge etwa 15 Prozent der Militärangehörigen Muslime. Bei einer augenblicklichen Gesamtstärke von rund 228.000 Soldatinnen und Soldaten also 34.200, für die acht Militärimame zuständig sind. In den britischen Streitkräften gibt es außerdem seelsorgerische Betreuung für Soldatinnen und Soldaten , die dem Hinduismus, Sikhismus oder dem Buddhismus angehören. In Belgien gibt es einen Rabbiner in den Streitkräften und in Ungarn vier seit 2004, jeweils allerdings keine Imame. Auch in den niederländischen Streitkräften wurden schrittweise nach zunächst protestantischen und katholischen Militärseelsorgern auch jüdische, hinduistische und schließlich muslimische implementiert. In Polen existiert außer dem katholischen Militärordinariat und der evangelischen Militärseelsorge noch das orthodoxe Ordinariat der polnischen Armee. Im österreichischen Bundesheer ist seit 2015 ein Militärimam für die etwa 800 muslimischen Soldaten zuständig. Für sie existiert bereits seit 2004 ein Gebetsraum in einer Wiener Kaserne, strenggläubige Muslime dürfen ausnahmsweise einen Bart tragen und bekommen an wichtigen Feiertagen sowie bei religiösen Festen dienstfrei, müssen diese Zeiten aber einarbeiten. Auf religiöse Vorschriften wird auch bei der der Verpflegung Rücksicht genommen.68 *** 68 Dewitz, Migration [wie Anm. 1], 26. Oktober: Erstmals spricht ein Imam am Heldenplatz, in: orf.at, 26.10.2015; https://religion.orf.at/stories /2737534/ [letzter Zugriff: 17.3.2019]. Zum Stand der Militärseelsorge 2018 in Belgien, Dänemark, Estland, Griechenland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Polen, Spanien, Ungarn, Tschechien sowie den USA siehe Müller-Seedorf, Sachstand Militärseelsorge [wie Anm. 16].