© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 034/18 Weibliche Genitalverstümmelung im menschenrechtlichen Kontext Völkerrechtliche Vorgaben und Anforderung an deren nationale Umsetzung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 2 Weibliche Genitalverstümmelung im menschenrechtlichen Kontext Völkerrechtliche Vorgaben und Anforderung an deren nationale Umsetzung Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 034/18 Abschluss der Arbeit: 6. April 2018 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Völkerrechtlicher Rahmen 4 2. Umsetzung der völkerrechtlichen Vorgaben auf nationaler Ebene mit Blick auf ein mögliches Untermaßverbot 6 2.1. Untermaßverbot 6 2.2. Umsetzung der völkerrechtlichen Normen im Kampf gegen FGM in Deutschland 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 4 1. Völkerrechtlicher Rahmen Weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM)1 gilt als schwere Menschenrechtsverletzung , weil sie nicht nur das Recht auf Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Schutz vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verletzt, sondern auch eine diskriminierende Praktik darstellt.2 Sie verletzt zudem die Würde der Betroffenen in besonders schwerem Maße. Folgende, beispielhaft aufgezählte internationale Konventionen und Resolutionen umfassen den Schutz von Frauen und Mädchen vor FGM3: - VN-Frauenrechtskonvention4 (Art. 2, Diskriminierungsverbot); - VN-Kinderrechtskonvention5 (Art. 24 Abs. 3, Gesundheitsschutz); - Allgemeine Erklärung der Menschenrechte6 (Art. 1 und 2, Gleichheitsgrundsatz; Art. 3, Schutz des Lebens; Art. 5, Schutz vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung; Art. 7, Diskriminierungsverbot); - Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte7 (Art. 2 und 26, Diskriminierungsverbot ; Art. 3, Gleichheitsgrundsatz; Art. 6, Recht auf Leben; Art. 7, Schutz vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung); - Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte8 (Art. 12, Gesundheitsschutz ); 1 Zur deutschen Strafbewehrung von FGM siehe Sachstand, „Der Straftatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien“ (29. Januar 2018), WD 7 - 3000 - 020/18. 2 BMZ, Positionspapier „Weibliche Genitalverstümmelung“ (2015), verfügbar unter: http://www.bmz.de/de/mediathek /publikationen/reihen/strategiepapiere/Strategiepapier351_02_2015.pdf, S. 6; BMFSFJ, „Erste Studie mit Zahlen zur weiblichen Genitalverstümmelung für Deutschland“ (2017), verfügbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/erste-studie-mit-zahlen-zur-weiblichen-genitalverstuemmelung -fuer-deutschland-/113908 (jeweils zuletzt aufgerufen am 28. März 2018). 3 Weltbank, „Compendium of International and National Legal Frameworks on Female Genital Mutilation“ (2018), verfügbar unter: http://documents.worldbank.org/curated/en/828661517490252879/pdf/123108-REVI- SED-WP-PUBLIC.pdf (zuletzt aufgerufen am 26. März 2018), S. 1-20. 4 Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (verabschiedet am 18. Dezember 1979, in Kraft getreten am 3. September 1981), BGBl. 1985 II, S. 647. 5 Übereinkommen über die Rechte des Kindes (verabschiedet am 20. November 1989, in Kraft getreten am 2. September 1990), BGBl. 1992 II, S. 122. 6 VN-GV, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (10. Dezember 1948), VN-Dok. A/RES/217 A (III). 7 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (unterzeichnet am 19. Dezember 1966, in Kraft getreten am 23. März 1976), BGBl. 1973 II, S. 1534. 8 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (unterzeichnet am 19. Dezember 1966, in Kraft getreten am 3. Januar 1976), BGBl. 1973 II, S. 1570. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 5 - Europäische Menschenrechtskonvention9 (Art. 2, Recht auf Leben; Art. 3, Schutz vor Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung); - Istanbul-Konvention10 (Art. 38, Verpflichtung zur Strafbewehrung von FGM). Auf regionaler Ebene finden sich darüber hinaus weitere völkerrechtliche Abkommen, wie etwa Art. 5 des Maputo-Protokolls.11 Die VN-Generalversammlung (VN-GV) hat sich 2015 als Ziel ihrer 2030 Agenda for Sustainable Development12 ausdrücklich auch die Eliminierung von FGM gesetzt, nachdem sie bereits 2012 im Rahmen der Resolution 67/146 die Notwendigkeit einer Intensivierung der globalen Anstrengungen zur Bekämpfung von FGM angemahnt hatte.13 Bereits 1990 hat der VN-Fachausschuss zur Frauenrechtskonvention eine (unverbindliche) Allgemeine Empfehlung zum Thema „Weibliche Beschneidung“ (Female Circumcision)14 erlassen, in der er die Mitgliedstaaten der Frauenrechtskonvention aufruft, - angemessene und effektive Maßnahmen zur Beseitigung weiblicher Beschneidung zu treffen, im Allgemeinen, aber auch speziell im öffentlichen Gesundheitssektor, - Informations-, Assistenz- und Beratungsangebote der VN zur Abschaffung weiblicher Beschneidung zuzulassen, sowie - dem VN-Fachausschuss auf wiederkehrender Basis über die Umsetzungsmaßnahmen im Hinblick auf die Frauenrechtskonvention zu berichten. Die Gemeinsame Allgemeine Empfehlung Nr. 31 des VN-Fachausschuss zur Frauenrechtskonvention und dem VN-Ausschuss für die Rechte des Kindes von 2014 rief die Staaten dazu auf, spezielle Aufklärungs- und Trainingsprogramme zur Erkennung der besonderen medizinischen 9 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (unterzeichnet am 5. November 1950, in Kraft getreten am 3. September 1953), BGBl. 1954 II, S. 14. 10 Europarat, Convention on Preventing and Combating Violence against Women and Domestic Violence (unterzeichnet am 11. Mai 2011; in Kraft getreten am 22. April 2014), Council of Europe Treaty Series - Nr. 210. 11 Protocol to the African Charter on Human and Peoples’ Rights on the Rights of Women in Africa (angenommen am 11. Juli 2003, in Kraft getreten am 24. November 2005), Dok.-Nr. OAU Doc CAB/LEG/66.6 (Maputo- Protokoll). Aufstellungen regionaler völkerrechtlicher Übereinkünfte finden sich in Weltbank, „Compendium of International and National Legal Frameworks on Female Genital Mutilation“ (Fn. 3), S. 20-30 sowie in WHO, „Eliminating Female Genital Mutilation: An Interagency Statement” (2008), verfügbar unter: http://apps.who.int/iris/bitstream/handle/10665/43839/9789241596442_eng.pdf;jsessionid =30515023BB39D3F629273FC682C7300A?sequence=1 (zuletzt aufgerufen am 28. März 2018), S. 31 f. 12 VN-GV, Transforming Our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development (21. Oktober 2015), VN-Dok. A/RES/70/1, Ziel 5. Achieve Gender Equality and Empower all Women and Girls, Ziel 5.3. 13 VN-GV, Intensifying Global Efforts for the Elimination of Female Genital Mutilations (5. März 2013), VN-Dok. A/RES/67/146. 14 VN-Fachausschuss zur Frauenrechtskonvention, General Recommendation No. 14: Female Circumcision (1990), VN-Dok. A/45/38 und Corrigendum. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 6 und psychologischen Bedürfnisse Betroffener durch Gesundheitsdienstleister und Kinderbetreuer zu etablieren.15 Insbesondere sollten nationale Schutzmaßnahmen auf strukturelle Veränderungen hinwirken, indem sie etwa eine Sensibilisierung für Hochrisikogruppen bewirken und Stigmatisierung bzw. erneute Viktimisierung in den Gemeinschaften nach Möglichkeit verhindern.16 Die Weltgesundheitsorganisation hat Richtlinien zum Umgang mit durch FGM verursachten gesundheitlichen Komplikationen veröffentlicht. 17 Zuletzt hat das Europäische Parlament am 7. Februar 2018 eine Entschließung zum Thema „Null Toleranz gegenüber Genitalverstümmelung bei Frauen“ erlassen.18 Die vorangestellte Aufzählung der völkerrechtlichen Übereinkommen und der Empfehlungen verschiedenster internationaler Institutionen und Gremien ist bei weitem nicht abschließend. Allerdings lässt sie erkennen, dass die Praktik des FGM weit überwiegend als menschenunwürdig und diskriminierend abgelehnt wird und deshalb möglichst bis 2030 überwunden werden soll.19 2. Umsetzung der völkerrechtlichen Vorgaben auf nationaler Ebene mit Blick auf ein mögliches Untermaßverbot 2.1. Untermaßverbot Das Untermaßverbot ist ein verfassungsrechtliches, aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitetes Konstrukt, mit welchem insbesondere die deutsche Rechtsprechung ein verfassungsrechtliches Gebot umschreibt. Es geht im Kern darum, einen wirksamen und angemessenen Mindeststandard des Schutzes von Rechtspositionen des Bürgers gegenüber anderen Bürgern zu begründen.20 15 Joint General Recommendation No. 31 of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women/General Comment No. 18 of the Committee on the Rights of the Child on Harmful Practices (14. November 2014), VN-Dok. CEDAW/C/GC/31-CRC/C/GC/18, Rn. 19, 57, 73 (d). 16 Ibid., Rn. 83-85. 17 WHO, „Guidelines on the Management of Health Complications from Female Genital Mutilation” (2016), verfügbar unter: http://www.who.int/reproductivehealth/topics/fgm/management-health-complications-fgm/en/ (zuletzt aufgerufen am 28. März 2018). 18 EP, „Null Toleranz für Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen“ (7. Februar 2018), Dok.-Nr. P8_TA- PROV(2018)0033. 19 VN-GV, Transforming Our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development (Fn. 12). 20 Maunz, Dürig und Grzeszick, Grundgesetz-Kommentar (81. EL, September 2017), Rn. 126. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 7 Das Untermaßverbot ist vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Übermaßverbot zu unterscheiden . Zum einen beschränkt das Untermaßverbot den staatlichen Zugriff auf geschützte Rechtspositionen nicht, sondern legitimiert im Gegenteil den Staat zu solchen Zugriffen oder verpflichtet ihn sogar dazu. Zum anderen werden Schutzpflichten und damit auch das Übermaßverbot ganz überwiegend aus den Grundrechten abgeleitet, weshalb sie dogmatisch zutreffend dort zu verorten sind. Probleme ergeben sich allerdings insbesondere bei der Ableitung konkreter Vorgaben aus dem Verfassungsrecht.21 Das Völkerrecht kennt ein Untermaßverbot im klassisch deutschen Sinne nicht. Obwohl sich eine umfassende Rechtsprechung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (proportionality) entwickelt hat,22 meint diese eher den Aspekt der Erforderlichkeit (necessity) und damit das Übermaßverbot, das nach deutschem Verständnis einen Abwehr- und eben keinen Schutzcharakter hat.23 Am ehesten an das deutsche Untermaßverbot heranreichen dürfte auf völkerrechtlicher Ebene das Konzept der due diligence. Dieses findet sich beispielsweise in Primärnormen des Umweltvölkerrechts , welche nicht die Erreichung eines konkreten Ziels vorschreiben, sondern den Staaten lediglich größtmögliche Anstrengungen (best efforts) auf dem Weg hin zu einem bestimmten Ziel abverlangen.24 Es handelt sich folglich nicht um eine Erfolgs-, sondern lediglich eine Handlungsverpflichtung.25 Eine Verletzung der Verpflichtung liegt damit im Unterlassen bestimmter Handlungen.26 Indikatoren für solche weichen Verpflichtungen in völkerrechtlichen Verträgen sind Formulierungen , die zwar eine Erwartung, aber keine Verbindlichkeit im strengen Sinne zum Ausdruck bringen – wie etwa die Begriffe „wollen“ oder „werden“ (will) anstelle von „sollen“ (shall).27 Auf den ersten Blick mögen diese sog. Soft Law-Verpflichtungen28 daher Unverbindlichkeit suggerieren , allerdings haben diese immer auch Ausstrahlungswirkungen auf parallele, nach nationalem Verfassungsrecht bestehende Schutzpflichten.29 Wenn im Umweltvölkerrecht also beispielsweise 21 Ibid., Rn. 128. 22 Crawford, „Proportionality“ (2011), in Wolfrum (Hrsg.) Encyclopedia of Public International Law, verfügbar unter: http://opil.ouplaw.com/home/EPIL (zuletzt aufgerufen am 27. März 2018). 23 Vgl. ibid., Rn. 2, 13-16, 20. 24 Koivurova, „Due Diligence“ (2010), in Wolfrum (Hrsg.) Encyclopedia of Public International Law, verfügbar unter: http://opil.ouplaw.com/home/EPIL (zuletzt aufgerufen am 27. März 2018), Rn. 3, 29. 25 Wolfrum, „Obligation of Result Versus Obligation of Conduct: Some Thoughts About The Implementation of International Obligations”, in Arsanjani et al. (Hrsg.) Looking to the Future (Nijhoff, Leiden, 2010), S. 363. 26 Koivurova, „Due Diligentce“ (Fn. 24), Rn. 3. 27 Frank, „Staatliche Klimaschutzpflichten – ‚Soft Law‘, ‚Due Diligence‘ und ‚Untermaßverbot‘“, (2016) NVwZ, S. 1599. 28 Thürer, „Soft Law“ (2009), in Wolfrum (Hrsg.) Encyclopedia of Public International Law, verfügbar unter: http://opil.ouplaw.com/home/EPIL (zuletzt aufgerufen am 27. März 2018). 29 Frank, „Staatliche Klimaschutzpflichten“ (Fn. 27), S. 1599. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 8 eine Soft Law-Verpflichtung nach dem Pariser Klimavertrag besteht, formt diese gleichzeitig die nach deutschem Verfassungsrecht verbindliche Schutzpflicht im Hinblick auf die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und des Eigentums durch die Folgen des Klimawandels aus.30 Diese Ausstrahlungswirkung besteht auch bei menschenrechtlichen Verpflichtungen, sodass das völkervertraglich vereinbarte Ziel der Überwindung von FGM auf den verfassungsrechtlich garantierten Schutz des menschlichen Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Gleichbehandlung von Frauen und Männern übertragen werden kann. Allerdings ist nicht ersichtlich, dass das Völkerrecht eine Untergrenze im Sinne des deutschen Verfassungsrechts vorgibt, wann ein Gesetzgeber so wenig zur Umsetzung der Verpflichtung getan hat, dass von einem pflichtwidrigen Unterlassen notwendiger Handlungen gesprochen werden könnte. Freilich dürfte ein Verstoß gegen weiche Handlungsverpflichtungen vorliegen, wenn Staaten trotz Ratifizierung entsprechender Konventionen vollends untätig bleiben. 2.2. Umsetzung der völkerrechtlichen Normen im Kampf gegen FGM in Deutschland Die Bundesregierung hat 2009 eine Arbeitsgruppe zur Überwindung von weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland ins Leben gerufen, in der Vertreterinnen und Vertreter von Bundesressorts , den Ländern, der Bundesärztekammer und von Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten .31 Desweiteren ist die Bedrohung mit Genitalverstümmelung als geschlechtsspezifische Verfolgung, die der Betroffenen auch durch nichtstaatliche Akteure drohen kann, im Asylverfahren als Fluchtgrund anerkannt.32 Unterstützung erhalten Betroffene von Genitalverstümmelung auch über das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“.33 Die in Artikel 38 Istanbul-Konvention geforderte Kriminalisierung der Genitalverstümmelung ist im deutschen Strafrecht seit 2013 über § 226 a StGB umgesetzt (Genitalverstümmlung als Verbrechenstatbestand mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr).34 30 Ibid., S. 1599 f. 31 BMFSFJ, „Genitale Verstümmelung bei Frauen und Mädchen“ (2014), verfügbar unter: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/genitale-verstuemmelungbei -frauen-und-maedchen/80720 (zuletzt aufgerufen am 28. März 2018). 32 Ibid.; Beispielhaft: VG München, Urteil vom 19. September 2013, M 11 K 13.30276; VG Ansbach, Urteil vom 4. Dezember 2001, AN 12 K 01.30131. Siehe auch Bumke, „Zur Problematik frauenspezifischer Fluchtgründe - dargestellt am Beispiel der Genitalverstümmlung“, (2002) NVwZ, S. 423. 33 Ibid. 34 Sachstand, „Der Straftatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226a StGB)“ (29. Januar 2018), WD 7 - 3000 - 020/18. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 9 Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die Überwindung von FGM in seinem zweiten Entwicklungspolitischen Aktionsplan zur Gleichberechtigung der Geschlechter 2016-2020 (GAP II)35 als strategisches Ziel verankert.36 Zudem hat es im Rahmen seiner Entwicklungszusammenarbeit die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ, vormals Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, GTZ) in einem Sektorprojekt zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung und weiterer schädlicher traditioneller Praktiken eingebunden.37 Gleichwohl sind sich das BMZ und das Deutsche Institut für Menschenrechte einig, dass die Kriminalisierung von FGM sowie die Förderung von Sensibilisierungsmaßnahmen allein keine ausreichende Wirkung gezeigt haben.38 Zum einen sei seit der Einführung des § 226 a StGB kein einziger Fall zur Anzeige gebracht worden.39 Auch werden gesetzliche Verbote als Mittel zur Überwindung von FGM kritisch bewertet.40 Zum anderen habe sich gezeigt, dass Aufklärungsund Sensibilisierungskampagnen über die gesundheitlichen Folgen von FGM die Praktik nicht eliminieren, da es sich hierbei um kein rein wissensbasiertes, sondern um ein kulturell-tradiertes Phänomen handelt.41 Es bedürfe daher eines sozialen Wandels in den praktizierenden Gemeinschaften , der über einen ganzheitlichen Ansatz – insbesondere über Aufklärung, Sensibilisierung , Dialog, Stärkung staatlicher und zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Politikberatung auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene – verfolgt wird.42 35 BMZ, „Entwicklungspolitischen Aktionsplan zur Gleichberechtigung der Geschlechter 2016-2020“ (2016), verfügbar unter: https://www.genderingermandevelopment.net/custom/images/contentBilderGalerie/bilderGalerie 1000566/BMZ-Entwicklungspolitischer-aktionsplan-zur-gleichberechtigung-der-geschlechter-2016-2020- DE.pdf (zuletzt aufgerufen am 28. März 2018). 36 Auskunft des BMZ vom 6. April 2018, S. 2 (Anlage 1). 37 GIZ, Projektbeschreibung „Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung und weiterer schädlicher traditioneller Praktiken“ (2018), verfügbar unter: https://www.giz.de/projektdaten/projects.action?request_locale =en_GB&pn=201520758 (zuletzt aufgerufen am 28. März 2018). 38 DIMR, „Die Istanbul-Konvention: Neue Impulse für die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt“ (2018), verfügbar unter: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/user_upload/Publikationen /ANALYSE/Analyse_Istanbul_Konvention.pdf (zuletzt aufgerufen am 28. März 2018), S. 48; BMZ, Positionspapier „Weibliche Genitalverstümmelung“ (Fn. 2), S. 7. 39 Terres des Femmes, „Neue Resolution des Europäischen Parlaments zu FGM“ (2018), verfügbar unter: https://frauenrechte.de/online/index.php/themen-und-aktionen/weibliche-genitalverstuemmelung2/aktuelles /2735-neue-resolution-des-europaeischen-parlaments-zu-fgm zuletzt aufgerufen am 28. März 2018). 40 Baumgarten und Finke, „Ansätze zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung“ in Terres des Femmes (Hrsg.) Schnitt in die Seele (2. Aufl., Mabuse-Verlag, Frankfurt a.M., 2015), S. 135 (136); Zöller und Thörnich, „Die Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226 a StGB)“, (2014) JA, S. 167 (173). 41 BMZ, Positionspapier „Weibliche Genitalverstümmelung“ (Fn. 2), S. 7. 42 Auskunft des BMZ vom 6. April 2018, S. 2 (Anlage 1). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 034/18 Seite 10 Eine Konditionalität von Entwicklungszusammenarbeit und normativer Kriminalisierung von FGM besteht nicht, weil das BMZ davon ausgeht, dass in den betroffenen Ländern ein umfassender , rechtlicher und gesellschaftlicher Wandel unterstützt werden muss.43 Maßnahmen gegen FGM sind daher langfristiger und oftmals „weicher“ Natur, d.h. eine Überprüfung der Einhaltung harter Fakten im Sinne einer compliance ist nicht oder nur sehr begrenzt möglich. Vielmehr ist Ziel der Maßnahmen, in der Bevölkerung ein Bewusstsein um die Problematik zu schaffen – etwa durch die Einführung des Internationalen Tags „Null Toleranz gegenüber weiblicher Genitalverstümmelung“ der VN am 6. Februar eines jeden Jahres.44 Hierdurch sollen sich die Gemeinschaften im konsensualen Wege Stück für Stück öffnen, um die schädigenden Praktiken entweder ersatzlos aufzugeben oder durch ein kulturell gleichwertiges Ritual zu ersetzen. Weitere aktuelle Beispiele sind sogenannte Familiendialoge und Dialogforen zwischen religiösen Autoritäten und Gesundheitsexpertinnen und -experten.45 *** 43 Ibid. 44 Dokumentation, „Programme und Maßnahmen zur Überwindung der Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM)“ (14. April 2005), WF II - 047/05, S. 12 (Anlage 2). 45 Auskunft des BMZ vom 6. April 2018, S. 2 f. (Anlage 1).