WD 2 - 3000 - 034/17 (21. März 2017) © 2017 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Auf dem NATO-Gipfel vom 4. bis 5. September 2014 in Wales verpflichteten sich diejenigen Mitgliedstaaten der Allianz, die den Richtwert der NATO von Ausgaben von mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung erreichen, darauf hinzuzielen, dies weiter zu tun, sowie diejenigen Bündnispartner, deren Anteil vom BIP für Verteidigungsausgaben gegenwärtig unter diesem Richtwert liegt, die Verteidigungsausgaben nicht weiter zu kürzen, sondern die realen Verteidigungsausgaben im Rahmen des BIP-Wachstums zu erhöhen und sich innerhalb von zehn Jahren auf den Richtwert von zwei Prozent zuzubewegen, um ihre NATO- Fähigkeitenziele zu erreichen und Fähigkeitslücken der NATO zu schließen. 1 Die vorliegende Kurzinformation stellt die Entstehungsgeschichte dieser Zielvorgabe dar und bewertet , ob die bei verschiedenen Anlässen getroffenen Vereinbarungen zur Höhe der nationalen Verteidigungsausgaben rechtlich bindend sind. 1. Zur Entstehungsgeschichte des Zwei-Prozent-Ziels Im Nordatlantikvertrag 2 wurden die NATO-Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, einen bestimmten Anteil ihres BIP für den Bereich der Verteidigung aufzuwenden. Erstmals wurde eine solche Vereinbarung auf dem NATO-Gipfel 2002 in Prag geschlossen. Ausgangspunkt war hierbei neben dem von den USA mit Sorgen betrachteten Rückgang der Verteidigungshaushalte der europäischen Verbündeten wohl der Membership Action Plan (MAP) für die Beitrittskandidaten. Eine Auflage dieses MAP war es, „sufficient resources“ in den Bereich Verteidigung zu investieren. 1 Vgl. Der Nordatlantikvertrag. Washington DC, 4. April 1949. In deutscher Sprache abrufbar unter: http://www. nato.diplo.de/Vertretung/nato/de/04/Rechtliche__Grundlagen/Nordatlantikvertrag.html (letzter Zugriff: 21. März 2017). 2 Vgl. Gipfelerklärung von Wales Treffen des Nordatlantikrats auf Ebene der Staats- und Regierungschefs in Wales. Veröffentlicht am 5. September 2014. Übersetzung. Abrufbar unter: http://www.nato.diplo.de/contentblob/ 4325924/Daten/4919187/gipfelerklaerungwales.pdf (letzter Zugriff: 20. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur Entstehungsgeschichte und rechtlichen Bindungswirkung der Zwei-Prozent-Zielvorgabe der NATO für den Anteil der nationalen Verteidigungsausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt Kurzinformation Zur Entstehungsgeschichte und rechtlichen Bindungswirkung der Zwei-Prozent-Zielvorgabe der NATO für den Anteil der nationalen Verteidigungsausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Tel: (030) 227-32444 Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Als Erfüllung dieses Kriteriums wurden hierbei Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des BIP zum Beitrittszeitpunkt angesehen. 3 Diese Vorgabe für die Beitrittskandidaten nahm insbesondere die US-Administration zum Anlass, im Vorfeld des Prager Gipfels am 21./22. November 2002 darauf hinzuwirken, dass dieses Ziel auch für die Mitgliedstaaten gelten müsse, u.a. um gegenüber den Beitrittskandidaten glaubwürdig zu erscheinen. 4 Der auf dem Prager Gipfel von den Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten beschlossene Zwei-Prozent-Richtwert implizierte allerdings keine rechtliche Verpflichtung. 5 So spricht Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) von einem „nonbinding requirement“.6 Andere Politikwissenschaftler bezeichnen diese Vereinbarung als „gentlemen’s agreement“. 7 Eine erste Festschreibung dieser Zwei-Prozent-Zielvorgabe in einem NATO-Dokument erfolgte mit der Ministerial Guidance vom 7. Juni 2006. 8 Auf dem anschließenden NATO-Summit in Riga am 28./29. November 2006 hätten die Staats- und Regierungschefs, so die NATO auf ihrer Homepage , diese Vereinbarung der Verteidigungsminister zwar bestätigt und sich ebenfalls verpflichtet , „to commit a minimum of two per cent of their Gross Domestic Product (GDP) to spending on defence.“ 9 Allerdings fand diese Zielvorgabe, die die damalige US-Botschafterin Victoria Nuland noch einen Monat vor dem Gipfel als „unofficial floor“ bezeichnet hatte, 10 dort keinen Eingang in die Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs. 3 Vgl. The Baltic Countries: Medium-Term Fiscal Issues Related to EU and NATO Accession. Occasional Paper No. 213. Hrsg.: International Monetary Fund, 12. April 2002. S. 28. 4 „Despite their modest budgets and tremendous social needs, each country has committed itself to spending 2 percent of its GDP on military preparations in compliance with the membership action plan (MAP). This is remarkable because in comparison, many NATO members, including Germany, do not currently spend 2 percent of their GDP on defense.“ Vgl. Congressional Record, V. 148, Pt. 14, October 2, 2002 to October 9, 2002, S. 13958. 5 „This was not a binding treaty obligation, however, but rather a benchmark goal, and one that has proven to be elusive.“ Twardowski, Adam; Smith Julianne (2016): CNAS Fact Sheet: A NATO Primer. Hrsg.: Center for a New American Security. Abrufbar unter: https://www.cnas.org/publications/commentary/cnas-fact-sheet-a-nato-primer (letzter Zugriff: 20. März 2017). 6 Vgl. Mölling, Christian (2014): NATO’s Two Percent Illusion – Germany Needs to Encourage Greater Efficiency within the Alliance. SWP Comments 36, August 2014. Hrsg.: Stiftung Wissenschaft und Politik, S. 1. Abrufbar unter: https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/comments/2014C36_mlg.pdf (letzter Zugriff: 20. März 2017). 7 Vgl. u.a. Rupp, Richard E. (2016): NATO after 9/11: An Alliance in Continuing Decline, Springer, S. 207. 8 „Allies who currently devote to defence a proportion of GDP which is at or above 2% should aim to maintain the current proportion. Nations whose current proportion of GDP devoted to defence is below this level should halt any decline in defence expenditures and aim to increase defence spending in real terms within the planning period .“ Vgl. DPC-D(2006)0004, Ministerial Guidance vom 7. Juni 2006. 9 Funding NATO. Hrsg.: NATO. Abrufbar unter: http://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_67655.htm?selectedLocale =en (letzter Zugriff: 20. März 2017). 10 Vgl. Techau, Jan (2015): The Politics of 2 Percent: NATO and the Security Vacuum in Europe. Hrsg.: Carnegie Europe. Abrufbar unter: http://carnegieeurope.eu/2015/09/02/politics-of-2-percent-nato-and-security-vacuum-ineurope -pub-61139 (letzter Zugriff: 20. März 2017). Kurzinformation Zur Entstehungsgeschichte und rechtlichen Bindungswirkung der Zwei-Prozent-Zielvorgabe der NATO für den Anteil der nationalen Verteidigungsausgaben am jeweiligen Bruttoinlandsprodukt Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Tel: (030) 227-32444 Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Eine erstmalige Fixierung der Zwei-Prozent-Zielvorgabe in einer Gipfelerklärung erfolgte auf dem NATO-Summit in Wales vom 4. bis 5. September 2014. Mit dem sogenannten „Defence Investment Pledge“ (DIP) verpflichteten sich dort die NATO-Staaten, die weniger als zwei Prozent ihres BIP für den Bereich Verteidigung aufwenden, innerhalb der nächsten zehn Jahre den Anteil der Verteidigungsausgaben an zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes anzunähern 11 (siehe Seite 1). 2. Bewertung Politik- und Rechtswissenschaftler sind sich einig, dass die Zwei-Prozent-Zielvorgabe der NATO für die Höhe der nationalen Verteidigungsausgaben als Anteil vom Bruttoinlandsprodukt keine rechtliche Bindungswirkung entfaltet. Sie begründen dies unter anderem mit Aussagen verantwortlicher Autoritäten. So sprach der damalige NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 und auf einer Pressekonferenz am 13. Januar 2008 lediglich von einem „informal benchmark of two percent defence spending.“ 12 Hieran änderte auch die Aufnahme dieser Zielvorgabe in die Abschlusserklärung des Gipfels von Wales nichts. Der NATO-Summit in Wales stellte nach Auffassung von Jan Techau, Direktor des Richard C. Holbrooke Forum for the Study of Diplomacy and Governance an der American Academy in Berlin, zwar einen historischen Schritt dar. Dennoch bleibt die auf dem Gipfel gegebene Zwei-Prozent-Zusage eine nicht-bindende Verpflichtung der Mitgliedstaaten. 13 Sie stellt somit ausschließlich eine politische Willensbekundung dar. So spricht Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, im Zusammenhang mit der Zwei-Prozent- Zielvorgabe von einer „hochpolitischen Zahl“. 14 *** 11 Vgl. Pernhorst, Christian (2016): Die NATO auf dem Weg zum Gipfel in Warschau – Die Neuaufstellung der Allianz vor dem Hintergrund eines veränderten Sicherheitsumfelds. In: Reader Sicherheitspolitik 06/2016. Hrsg.: Bundesministerium der Verteidigung. Abrufbar unter: https://www.bundeswehr.de/resource/resource/UlRvcjZYSW1Rc EVHaUd4cklzQU4yNWFvejhLb-jVyYnR1OCt3ZlU1N09FV0dQbTQrbytQWk5ONWQ4K3Mwa1djTko3RFhjd296b 0t4QUJETUFlS1Yvbm1XQTBPZUJLaHNoWUJhdUZxSndhTXc9/ReaderSipo_06_2016_NATO.pdf (letzter Zugriff: 20. März 2017). 12 Vgl. Speech by NATO Secretary General, Jaap de Hoop Scheffer at the Munich Conference of Security Policy. 9. Februar 2007. Abrufbar unter: http://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_8107.htm?selectedLocale=en (letzter Zugriff: 20. März 2017) sowie Press conference by NATO Secretary General, Jaap de Hoop Scheffer following the NATO Defence Ministers' working luch and meeting of NATO-Russia Council at the level of Defence Ministers. 13. Juni 2008. Abrufbar unter: http://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_7866.htm?selectedLocale=en (letzter Zugriff: 20. März 2017). 13 „Although the 2 percent pledge is not a legally binding commitment by NATO’s member states, its inclusion in the declaration was widely perceived as a meaningful, even historic step.“ Vgl. Techau (2015), a.a.O. 14 Kamp, Karl-Heinz (2016): Verpflichtungen in der NATO – Mehr Geld für die Bundeswehr. Arbeitspapier Sicherheitspolitik , Nr. 12/2016. Hrsg.: Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Abrufbar unter: https://www.baks.bund. de/sites/baks010/files/arbeitspapier_sicherheitspolitik_2016_12.pdf (letzter Zugriff: 20. März 2017).