Das Verhältnis von Staat und Religion im Staatsverständnis Israels - Ausarbeitung - © 2007 Deutscher Bundestag WD 2 – 034/07 - 2 - Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Israel - ein laizistischer Staat? Ausarbeitung WD 2 - 034/07 Abschluss der Arbeit: 2. März 2007 Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - Staatsmodelle, denen das Prinzip der Trennung von Religion und Staat zu Grunde liegt, bezeichnet man als laizistisch.1 Allerdings ist das laizistische Prinzip nur in wenigen Ländern in reiner Form verwirklicht. Als exemplarischer Fall des Laizismus gilt Frankreich , weil hier der Religion keinerlei öffentlicher Status zugebilligt wird. So heißt es in Artikel 1 der französischen Verfassung ausdrücklich: „Frankreich ist eine unteilbare, laizistische, demokratische und soziale Republik.“2 Da Religion in Frankreich ausschließlich als Privatangelegenheit gilt, ist der Staat darum bemüht, religiöse Präsenz und Einflussnahme vom öffentlichen Bereich fernzuhalten.3 Laizismus in dieser fast idealtypischen Form ist in den meisten anderen westlichen Demokratien kaum anzutreffen . Dort ist das Verhältnis von Staat und Religion weniger strikt im Rahmen einer verfassungsrechtlichen Garantie der Religionsfreiheit geregelt. So ist etwa im deutschen Grundgesetz das Prinzip verankert, dass der Staat zu Neutralität und Toleranz gegenüber allen Religionsgemeinschaften verpflichtet ist. In Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes heißt es dazu: (1) „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ (2) „Die ungestörte Religionsfreiheit wird gewährleistet.“ Das Verhältnis von Staat und Religion ist in Israel nicht eindeutig rechtlich geregelt. Israel besitzt weder eine geschriebene Verfassung noch einen Grundrechtskatalog. In der israelischen Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 wird die Thematik zwar behandelt, die einschlägigen Passagen setzen hier aber ganz unterschiedliche Akzente. Im letzten Teil der Erklärung, in dem die Grundwerte des neu gegründeten Staates festgelegt werden, ist die Rede von der Verpflichtung Israels „… allen seinen Bürgern, unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht, volle soziale und politische Gleichberechtigung zu gewähren.“ Darüber hinaus soll auch die „Freiheit in Religion, Gewissen, Sprache, Erziehung und Kultur“ gewährleistet sein.4 Diese Aussagen entsprechen dem Selbstverständnis der Staatsgründer Israels, die der säkularen Zionismusbewegung angehörten . Beides zusammengenommen deutet auf eine eher laizistische Orientierung des Staates Israel hin. Im Widerspruch dazu stehen jedoch andere Teile der Unabhängigkeitserklärung , in denen von der religiösen Identität des jüdischen Volkes, seinem Glauben und seinen Gebeten sowie dem „Felsen Israels“, einem traditionellen Synonym 1 Laizismus im engeren Sinne beschreibt Ideen und Bestrebungen, die auf eine radikale Trennung von Staat und Religion gerichtet sind, im weiteren Sinne diejenigen Bestrebungen, die eine Verminderung oder Ausschaltung des Einflusses der Religion auf öffentlich politische Angelegenheiten befürworten ; M.G. Schmidt, „Wörterbuch zur Politik“ 2004. 2 http://www.leforum.de/de/de-traite-constitutionfr0.htm Stand: 2. März 2007. 3 I. Riedel-Spangenberger, „Laizität und Religionen in den europäischen Staaten“ 2003 http://zope.verwaltung.unimainz .de/presse/mitteilung/2003/2003_12_03kath_theol_kopftuch/down/1down Stand: 2. März 2007. 4 http://www.yale.edu/lawweb/avalon/mideast/israel.htm Stand: 2 März 2007. - 4 - für Gott, die Rede ist. Als Indizien für eine religiöse Orientierung Israels können auch die nationalen Symbole Israels gewertet werden, die überwiegend religiösen Ursprungs sind. Die blau-weiße Staatsflagge ist beispielsweise in Anlehnung an den jüdischen Gebetsschal entstanden und trägt den Schild Davids in der Mitte. Außerdem sind die jüdisch -religiösen Feste offizielle Feiertage im Land.5 Das in diesen verstreuten Hinweisen zum Ausdruck kommende Spannungsverhältnis zwischen einem weltlichen und einem religiösen Staatsverständnis Israels ist historisch begründet. Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Staat und Religion begannen bereits vor der Staatsgründung. Die ultraorthodoxen Juden standen dem zionistischen Staatsgedanken zunächst ablehnend gegenüber. Für sie stellt die Thora die verbindliche Grundordnung des jüdischen Gemeinschaftslebens dar. Die strikte Einhaltung ihrer Regeln betrachten sie als Voraussetzung für einen erst vom Messias zu schaffenden Staat.6 Um die Unterstützung dieser Gruppe für die Staatsgründung zu erhalten, sicherten die führenden Vertreter der zionistischen Bewegung der ultraorthodoxen Fraktion Agudat Jisrael zu, dass bestimmte religiöse Vorschriften im künftigen Staat respektiert würden.7 Diese Zusicherung vom 17. Juni 1947, heute als Status Quo-Vereinbarung bekannt, sah für den zu gründenden Staat folgende Regelungen vor: 1. der Schabbat wird der gesetzliche Ruhetag sein, 2. in allen öffentlichen Einrichtungen (z.B. in der Armee) sind die jüdischen Speisegesetze einzuhalten, 3. die staatlich finanzierten orthodoxen Bildungseinrichtungen genießen Autonomie und 4. alle Personenstandsfragen (Eheschließung, Scheidung, Begräbnis, etc.) sind den religiösen Gerichten zuzuweisen.8 Die Status Quo- Vereinbarung beschreibt einen in Israel bis heute geltenden Kompromiss in Bezug auf das Verhältnis von Staat und Religion. Diese Prinzipien und die daraus resultierende religiöse Prägung des öffentlichen Lebens sind bisher von allen Regierungen Israels anerkannt worden.9 Die Status Quo-Vereinbarung macht deutlich, dass Israel kein laizistischer Staat ist. Während der Laizismus auch die Freiheit von der Religion garantiert, die Bürger also ihre Religion nicht nur frei ausüben können, sondern darüber hinaus auch das Recht haben, ihr Leben frei von religiösen Zeremonien und Verpflichtungen zu gestalten, ist diese Freiheit in Israel eingeschränkt. So sind zum Beispiel auch nichtreligiöse Juden gezwungen, ihre Ehe vor einem orthodoxen Rabbiner zu schließen, weil die Status Quo- 5 http://www.mfa.gov.il/MFA/Facts+About+Israel/State/The%20State Stand: 2. März 2007. 6 H. Dreier, „40 Jahre Israel – Staat ohne Verfassung?“ in: Universitas: Zeitschrift für interdisziplinäre Wissenschaft 12/1988 S. 1293. 7 A. Timm, „Israel – Gesellschaft im Wandel“ 2003 S. 71. 8 B. Neuberger, „Staatsaufbau und politisches System“ in: Informationen zur politischen Bildung - Israel 2003 S. 17 ff. 9 A. Timm, Fn. 7 S. 71 f. - 5 - Vereinbarung eine Zivilehe ausschließt. Zudem ist die Eheschließung zwischen zwei Menschen, von denen nur einer Jude ist, in Israel nicht möglich.10 Seit dem Abschluss der Status Quo-Vereinbarung im Jahre 1947 hat sich Israel demographisch , politisch und kulturell stark gewandelt. Dies hat sich auch auf die Einstellungen der Israelis zum Verhältnis von Staat und Religion ausgewirkt.11 So gibt es einerseits einen Trend zur Säkularisierung. Insbesondere die große Gruppe der Neueinwanderer (vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion) ist in ihrer Mehrheit kaum religiös und fordert daher eine ihrem Lebensstil entsprechende Veränderung des Status Quo im Verhältnis von Staat und Religion. In die gleiche Richtung wirkt die zunehmende gesellschaftliche und kulturelle Anlehnung vieler Israelis an einen westlichen Lebensstil, die auch mit einer Kritik an der Einflussnahme religiöser Autoritäten auf das politische und gesellschaftliche Leben verbunden ist. Andererseits gibt es von Seiten der orthodoxen Juden Bestrebungen, die religiösen Gesetze auf alle Bereiche des täglichen Lebens auszudehnen.12 Dies trifft bei denjenigen Israelis auf Sympathien, die den Säkularisierungstrend als Gefahr für den jüdischen Charakters Israels wahrnehmen und die eine strengere Befolgung jüdischer Gesetze als Chance begreifen, den befürchteten Entfremdungstendenzen entgegen zu wirken.13 Diese gegenläufigen Entwicklungen haben zu einer Situation geführt, die seit Beginn der neunziger Jahre häufig als „Kulturkampf“ bezeichnet wird.14 Er ist unter anderem durch widersprüchliche Tendenzen bei der Regulierung des Lebensalltags gekennzeichnet . So gibt es z. B. seit einigen Jahren Busse, in denen Frauen das Ein- und Aussteigen nur durch die hintere Tür gestattet ist und in denen ihnen separate Sitze zugewiesen werden. Andererseits bleiben in den großen Städten Israels auch am Schabbat zahlreiche Geschäfte, Restaurants, Kinos und Theater geöffnet. All diese Regelungen führen zu teilweise heftigen öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen dem säkularen und dem orthodoxen Lager, die nicht selten vor dem Obersten Gericht enden.15 Vor diesem Hintergrund sollte betont werden, dass die Mehrheit der Israelis weder der säkularen noch 10 A. Timm verweist in ihrem Buch „Israel – Gesellschaft im Wandel“ auf einen Artikel der Tageszeitung Haaretz vom 29. Juni 2003, wonach das Rabbinat jährlich etwa 4000 Paaren die Eheschließung verweigert. 11 A. Timm, Fn. 7 S. 75 ff. 12 A. Timm, „Israel auf dem Weg zur Theokratie?“ in: Blätter für deutsche und internationale Politik 1999 S. 928. 13 A. Timm, Fn. 12 S. 929. 14 A. Timm, „Charedim versus Medinat Jisrael: Religiös-soziale Separation oder gesellschaftliche Integration der jüdischen Ultra-Orthodoxie?“ in: Religion, Staat und Politik im Vorderen Orient Festschrift für Friedemann Büttner 2003 S. 179. 15 A. Timm, Fn. 7 S. 75 ff. - 6 - der orthodoxen Orientierung klar zugeneigt ist, sondern sich vielmehr einem traditionsbewussten Judentum verpflichtet fühlt.16 Insgesamt betrachtet, kennzeichnet die bis heute prägende religiöse Durchdringung des öffentlichen Lebens Israel als einen Staat, in dem es keine klare Trennung von Staat und Religion gibt.17 Israel kann daher nicht als laizistischer Staat bezeichnet werden. In der öffentlichen Debatte wird häufig darauf hingewiesen, dass eine völlige Trennung von Staat und Religion in Israel auf künftig kaum denkbar erscheine, weil dies dem Selbstverständnis Israels jüdischer Nationalstaat widersprechen würde.18 Israel kann andererseits aber auch nicht als religiöser Staat bezeichnet werden, weil es keine offizielle Staatreligion kennt und die Freiheit der Religionsausübung garantiert. 16 A. Timm, Fn. 14 S. 184. 17 Auch das israelische Außenministerium beschreibt Israel in diesem Sinne. Siehe: http://www.mfa.gov.il/MFA/Facts+About+Israel/People/SOCIETY-%20Jewish%20Society. Stand: 2. März 2007. 18 Beispielhaft: B. Neuberger, Fn. 8 S. 17 ff; L. Richlen „Contradiction and Compatibility: A Jewish and Democratic State“ http://www.wzo.org.il/doingzionism/resources/view.asp?id=1250 Stand: 2 März 2007.