WD 2 - 3000 - 032/21 (14. April 2021) © 2021 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die International Regulations for Preventing Collisions at Sea (COLREG) sind ein völkerrechtlicher Vertrag, der 1972 von den Mitgliedern der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (International Maritime Organization, IMO) unterzeichnet wurde.1 Gem. Art. IX COLREG sind die englische und französische Originalfassungen in gleicher Weise authentisch. Deutschland hat als Mitglied der IMO die COLREG bereits 1977 ratifiziert. Sie wurden als Anlage 1 zur Verordnung zu den Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See in der amtlichen deutschen Übersetzung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht.2 Die in Deutschland gebräuchliche Bezeichnung für das Regelwerk ist Kollisionsverhütungsregeln (KVR).3 Die englische Originalfassung von COLREG enthält folgende Regelung zu Signalpflicht von geschleppten Fahrzeugen bei schlechten Sichtverhältnissen: „Rule 35. Sound Signals in Restricted Visibility In or near an area of restricted visibility, whether by day or night, the signals prescribed in this Rule shall be used as follows: […] (d) A vessel towed or if more than one vessel is towed the last vessel of the tow, if manned, shall at intervals of not more than 2 minutes sound four blasts in succession, 1 Die englischsprachige Fassung findet sich auf https://treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/Volume %201050/volume-1050-I-15824-English.pdf (letzter Zugriff: 14. April 2021). 2 Bundesgesetzblatt, Teil I, Jahrgang 1977, S. 813 ff. http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger _BGBl&jumpTo=bgbl177s0813.pdf (letzter Zugriff: 14. April 2021). 3 Siehe Wasserstraßen- und Schiffsverwaltung des Bundes, WSV, Schifffahrtsrecht, https://www.elwis .de/DE/Schifffahrtsrecht/Seeschifffahrtsrecht/KVR/KVR-node.html (letzter Zugriff: 14. April 2021). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur Auslegung der Regel 35 der Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See Kurzinformation Zur Auslegung der Regel 35 der Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See Fachbereich WD 2: (Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe) Wissenschaftliche Dienste Seite 2 namely one prolonged followed by three short blasts. When practicable, this signal shall be made immediately after the signal made by the towing vessel.. […]“ Die entsprechende Regelung in der deutschen Fassung der KVR lautet: „Regel 35 Schallsignale bei verminderter Sicht Innerhalb oder in der Nähe eines Gebiets mit verminderter Sicht müssen am Tag oder bei Nacht folgende Signale gegeben werden: [...] d) Ein geschlepptes Fahrzeug oder das letzte Fahrzeug eines Schleppzugs muss, wenn bemannt, mindestens alle 2 Minuten vier aufeinander folgende Töne - lang, kurz, kurz, kurz - geben. Dieses Signal muss möglichst unmittelbar nach dem Signal des schleppenden Fahrzeugs gegeben werden. [...]“ Die deutsche Übersetzung der Regelung entspricht dabei in ihrem Inhalt vollständig der englischen Originalfassung. In jedem der von der Regelung abgedeckten denkbaren drei Fälle werden die gleichen Signalpflichten für geschleppte Fahrzeuge statuiert: Fall 1: Es wird lediglich ein Fahrzeug geschleppt. Maßgebliche Wortlautpassagen: EN: „A vessel towed […], if manned, shall at intervals of not more than 2 minutes“. DE: „Ein geschlepptes Fahrzeug […] muss, wenn bemannt, mindestens alle 2 Minuten […].“ Regelungsinhalt: Wenn dieses eine geschleppte Fahrzeug bemannt ist (also über eine Mannschaft verfügt, die in der Lage ist, akustische Signale zu senden), muss es ein Signal (lang-kurz-kurzkurz ) in den vorgegebenen Zeitabständen von sich geben. Wenn dieses Fahrzeug nicht bemannt ist, greift diese Regelung nicht und es besteht für dieses Fahrzeug keine Signalpflicht. Fall 2: Es werden mehrere Fahrzeuge im Schleppzug geschleppt von denen das letzte bemannt ist. Maßgebliche Wortlautpassagen: EN: „ […] if more than one vessel is towed the last vessel of the tow, if manned, shall at intervals of not more than 2 minutes […]“. DE: „[…] das letzte Fahrzeug eines Schleppzugs muss, wenn bemannt, mindestens alle 2 Minuten […].“ Regelungsinhalt: Dieses bemannte letzte Fahrzeug im Schleppzug muss das vorgeschriebene Signal (lang-kurz-kurz-kurz) in den vorgegebenen Zeitabständen von sich geben. Kurzinformation Zur Auslegung der Regel 35 der Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See Fachbereich WD 2: (Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe) Wissenschaftliche Dienste Seite 3 Fall 3: Es werden mehrere Fahrzeuge im Schleppzug geschleppt, von denen das letzte nicht bemannt ist. Maßgebliche Wortlautpassagen: EN: „ […] if more than one vessel is towed the last vessel of the tow, if manned, shall at intervals of not more than 2 minutes […] “. DE: „[…] das letzte Fahrzeug eines Schleppzugs muss, wenn bemannt, mindestens alle 2 Minuten […].“ Regelungsinhalt: Da die Bedingung der Bemannung des letzten Fahrzeuges im Schleppzug nicht erfüllt ist, greift diese Regelung nicht ein und das letzte Fahrzeug im Schleppzug muss kein Signal von sich geben. Da die Regelung keine Aussage für die vorangehenden geschleppten Fahrzeuge (etwa für das vorletzte, ggf. vorvorletzte etc.) trifft, müssen diese vorangehenden geschleppten Fahrzeuge ebenfalls kein Signal von sich geben. Dies ist in der Sache auch sinnvoll: Sonst könnte das vorletzte (bemannte) geschleppte Fahrzeug von anderen Verkehrsteilnehmern für das letzte gehalten werden und es dadurch zu einer Kollision mit dem letzten ungesehenen Fahrzeug kommen. Die Leseweise „Ein geschlepptes Fahrzeug […] eines Schleppzugs muss, wenn bemannt, mindestens alle 2 Minuten […]“, wonach die Signalpflicht also auch bei den vorangehenden geschleppten Fahrzeugen greifen würde, wenn diese jeweils bemannt sind, ist aus mehreren Gründen ausgeschlossen : Zum einen würde die innere Logik der Regelung dann verloren gehen, denn die vollständige Regelung würde lauten: „Ein geschlepptes Fahrzeug [eines Schleppzugs] oder das letzte Fahrzeug eines Schleppzugs muss, wenn bemannt, mindestens alle 2 Minuten […].“ Die Signalpflicht wäre dann durch die erste Alternative für jedes Fahrzeug des Schleppzugs und durch die zweite Alternative dann – unnötigerweise – zusätzlich für das letzte Fahrzeug eines Schleppzugs statuiert. Zum anderen widerspricht diese Leseweise auch dem Sinn und Zweck der Kollisionsvermeidung, wonach aus dem zusätzlichen akustischen Signal sich das Ende (und nicht etwa die Mitte) des Hindernisses aus geschleppten Fahrzeugen für andere Verkehrsteilnehmer ergeben soll (siehe oben). Da es keine inhaltlichen Diskrepanzen zwischen Rule 35 (d) COLREG und Regel 35 d) KVR gibt, kommt es auf die Kollisionsregel aus Art. 33 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens für das Recht der Verträge (WVRK) im vorliegenden Fall nicht an. Die oben dargestellten KVR-Regelungen zur Signalpflicht von geschleppten Fahrzeugen bei schlechten Sichtverhältnissen haben zudem Eingang in die Spezifischen Fragen See zum Erwerb eines Sportsbootsführerscheines der Wasserstraßen- und Schiffsverwaltung des Bundes gefunden .4 Angesichts der Ausführungen zum Fall 3, dürfte dabei die Musterantwort a. zur Prüfungsfrage 119 dieser Spezifischen Fragen See: „Ein geschlepptes Fahrzeug oder das letzte bemannte 4 Siehe WSV, Sportschifffahrt, Spezifische Fragen See, https://www.elwis.de/DE/Sportschifffahrt/Sportbootfuehrerscheine /Fragenkatalog-See/Spezifische-Fragen-See/Spezifische-Fragen-See-node.html (letzter Zugriff: 14. April 2021). Kurzinformation Zur Auslegung der Regel 35 der Internationalen Regeln von 1972 zur Verhütung von Zusammenstößen auf See Fachbereich WD 2: (Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe) Wissenschaftliche Dienste Seite 4 Fahrzeug eines Schleppverbandes in Fahrt“ in der zweiten Alternative falsch sein. Sie sollte stattdessen in etwa lauten: „Ein geschlepptes Fahrzeug oder das letzte Fahrzeug eines Schleppverbandes in Fahrt, jeweils wenn bemannt“. ***