Deutscher Bundestag Zu den Auswirkungen von ACTA auf Entwicklungsländer Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000-032/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 2 Zu den Auswirkungen von ACTA auf Entwicklungsländer Verfasserin: Aktenzeichen: WD 2 – 3000-032/12 Abschluss der Arbeit: 4. April 2012 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrecht und humanitäre Hilfe Telefon: + Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Zur allgemeinen Kritik an ACTA 4 3. Entwicklungspolitische Aspekte der Kritik an ACTA 6 3.1. Beteiligung von Entwicklungsländern 7 3.2. Zugang zu Medizin 8 3.3. Agrarpolitische Probleme 13 4. Fazit 14 5. Literaturverzeichnis 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 4 1. Einleitung Im Vorfeld des Bekanntwerdens der konsolidierten, vorläufigen1 Fassung von ACTA (Anti- Counterfeiting Trade Agreement) am 2.10.2010 wurden bereits kritische Debatten zu den Auswirkungen des Abkommens geführt.2 Aufgrund der Geheimhaltung und der daraus resultierenden fehlenden Transparenz hielten sich die Proteste allerdings zunächst in Grenzen. Der konsolidierten Fassung folgte die erste endgültige Fassung3 am 3.10.2010. Ende Mai 2011 wurde die endgültige Fassung4 vorgelegt. Nach Bekanntwerden der letzten Fassung kam es europaweit zu zahlreichen Protestaktionen. Allerdings stand die entwicklungspolitische Problematik, die möglicherweise mit der Einführung von ACTA verbunden ist, in der öffentlichen Wahrnehmung in Deutschland nicht im Vordergrund. In dieser Ausarbeitung werden schwerpunktmäßig Publikationen vorgestellt, die mögliche Auswirkungen von ACTA auf Entwicklungsländer analysieren. 2. Zur allgemeinen Kritik an ACTA Vor dem Hintergrund der Unzufriedenheit einzelner Industrienationen mit den international geltenden oder praktizierten Regularien des Urheberrechts wurden bereits 2006 auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg Vorgespräche zwischen Japan und den USA geführt. Sie legten ein erstes Konzept über ein neues Handelsabkommen vor. Die offiziellen Verhandlungen zum Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (engl.: Anti- Counterfeiting Trade Agreement, ACTA) begannen im Juni 2008. Internationales Urheberrecht war ursprünglich abgedeckt durch die Weltorganisation für geistiges Eigentum (engl.: World Intellectual Property Organization, WIPO) als Agentur der Vereinten Nationen. Erste Schritte, internationale Urheberrechtsrichtlinien zu schaffen und die Zuständigkeit zur Welthandelsorganisation (engl.: World Trade Organisation, WTO) hin zu verlagern, wurden durch das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (engl.: Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS) 1994 unternommen. Die Unzu- 1 Konsolidierte, vorläufige Fassung: Anti-Counterfeiting Trade Agreement, consolidated text, reflects changes made during the September 2010 Tokyo Round, 2.10.2010; im Internet abrufbar unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/html/146699.htm [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] 2 Siehe beispielsweise: Seite 34, Kapitel VI in: Katz, G., & Hinze, E. (2009). The Impact of the Anti-Counterfeiting Trade Agreement on the Knowledge Economy: The Accountability of the Office of the U.S. Trade Representative for the Creation of IP Enforcement Norms Through Executive Trade Agreements. Yale Journal of International Law Online, S. 24-35 und Seite 29, Absatz 6 in: Correa, C. M. (12/2008). The Push for Stronger Enforcement Rules: Implications for Developing Countries. (I. P. Development, Hrsg.) The Global Debate on the Enforcement of Intellectual Property Rights and Developing Countries, S. 27-60 3 Anti-Counterfeiting Trade Agreement, 3.10.2010; im Internet abrufbar unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/html/147079.htm [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] 4 Anti-Counterfeiting Trade Agreement, Council of the European Union, 12196/11, Brüssel, den 23. August 2011, im Internet abrufbar unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2011/may/tradoc_147937.pdf [zuletzt abgerufen am 22.3.2012]; deutsche Fassung: Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, Australien, Kanada, Japan, der Republik Korea, den Vereinigten Mexikanischen Staaten, dem Königreich Marokko, Neuseeland, der Republik Singapur, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika, 12196/11. Rat der Europäischen Union, Brüssel, den 23. August 2011 (deutsche Fassung). im Internet abrufbar unter: http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/11/st12/st12196.en11.pdf [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 5 friedenheit insbesondere über das Vorgehen gegen Markenfälschungen führte zu den ersten ACTA-Verhandlungen. Sie hatten zum Ziel, die in TRIPS festgelegten Regularien zu erweitern. Bereits in den Anfangsphasen der Verhandlungen erschienen Publikationen, die darauf drängten, die in TRIPS festgelegten Maßnahmen nicht zu sehr auszuweiten. So fasste Carlos M. Correa in einer Analyse eine Liste von Empfehlungen zusammen, in der er u.a. vorschlug, dass Grenzmaßnahmen 5 sich auf den Import von Gütern im Falle von Markenrechtsverletzungen und Copyright- Piraterie in der Weise beschränken sollten, wie es bereits durch TRIPS festgelegt sei.6 In der Anfangsphase der Verhandlungen zu ACTA waren 37 Staaten und die Europäische Union beteiligt. Argentinien, Brasilien, Indien und China, die an flexiblen Regelungen des Urheberrechts interessiert sind, waren nicht eingeladen. Das Abkommen liegt seit Mai 20117 bis zum 1.5.2013 zur Unterschrift aus. Am 26.1.2012 haben die Europäische Union (EU) und 22 Mitgliedsstaaten in Tokio das Abkommen unterzeichnet, nachdem zuvor am 1.10.2011 acht außereuropäische Staaten8 das Abkommen unterzeichnet hatten. Zahlreiche Länder, darunter auch Deutschland, haben in Folge massiver Proteste die Unterzeichnung derzeit ausgesetzt. Am 22.2.2012 kündigte der EU-Handelskommissar Karel De Gucht an, den europäischen Gerichtshof anzufragen, ob ACTA mit dem grundlegenden Recht der EU vereinbar sei.9 Bislang hat noch kein Staat ACTA ratifiziert. Die Hintergründe und der Verhandlungsprozess von ACTA werden in einem ausführlichen wissenschaftlichen Artikel von Margot E. Kaminski dargestellt.10 5 engl.: border measures 6 Seite 60, Absatz 3, insbesondere Listenpunkt 7 in: Correa, C. M. (12/2008). The Push for Stronger Enforcement Rules: Implications for Developing Countries. (I. P. Development, Hrsg.) The Global Debate on the Enforcement of Intellectual Property Rights and Developing Countries, S. 27-60. 7 Anti-Counterfeiting Trade Agreement, Council of the European Union, 12196/11, Brüssel, den 23. August 2011, im Internet abrufbar unter: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2011/may/tradoc_147937.pdf [zuletzt abgerufen am 22.3.2012]; deutsche Fassung: Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, Australien, Kanada, Japan, der Republik Korea, den Vereinigten Mexikanischen Staaten, dem Königreich Marokko, Neuseeland, der Republik Singapur, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika, 12196/11. Rat der Europäischen Union, Brüssel, den 23. August 2011 (deutsche Fassung). im Internet abrufbar unter: http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/11/st12/st12196.en11.pdf [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] 8 Am 1.10.2011 haben folgende acht außereuropäische Staaten das ACTA Abkommen unterzeichnet: Kanada, Australien , Japan, Marokko, Neuseeland, Südkorea, Singapur und die USA. 9 “We are planning to ask Europe’s highest court to assess whether ACTA is incompatible - in any way - with the EU's fundamental rights and freedoms, such as freedom of expression and information or data protection and the right to property in case of intellectual property.” Quelle: Statement by Commissioner Karel De Gucht on ACTA (Anti- Counterfeiting Trade Agreement) vom 22.2.2012, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=MEMO/12/128 [zuletzt abgerufen am 12.3.2012] 10 Kaminski, M. E. (1.1.2011). An Overview and the Evolution of the Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA). PIJIP Research Paper, American University of Washington College of Law, S. 1-45. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 6 Verschiedene europäische Wissenschaftler untersuchten im Januar 2011 mögliche Auswirkungen von ACTA auf das EU-Recht und auf das internationale Recht.11 Die Wissenschaftler stellten fest, dass eine Reihe von Regelungen entgegen den Darstellungen der Europäischen Kommission nicht vollständig mit EU-Recht vereinbar seien.12 Zudem führe ACTA Standards ein, die über das geltende internationale Recht hinausgingen.13 Durch die Bestimmungen in ACTA würde die Interessen -Balance zwischen den Parteien nicht gewährleistet und Schutzmaßnahmen entweder beseitigt , oder es werde durch die Verschärfung der Vollstreckungsmaßnahmen verhindert, dass entsprechende Schutzmaßnahmen eingeführt würden.14 Am 27.4.2011 antwortete die Europäische Kommission auf die Einwände der europäischen Wissenschaftler, indem sie auf die einzelnen Vorwürfe in einer Gegendarstellung einging.15 Die Europäische Kommission monierte, dass in der Darstellung der Wissenschaftler nicht überzeugend belegt werde, dass ACTA möglicherweise grundlegende Rechte der EU verletze.16 Robert Ellis analysiert in einer Darstellung die Konfliktfelder von ACTA und Menschenrechten.17 Er stellt fest, dass es auf ersten Blick so erscheine, als würde man durch das Abkommen dem Problem der Markenfälschung und der Copyright-Piraterie begegnen. Tatsächlich aber drohe vielmehr, dass mit dem Abkommen internationales Recht eingeführt werde, durch das fundamentale Menschenrechte in verschiedensten Bereichen verletzt würden.18 3. Entwicklungspolitische Aspekte der Kritik an ACTA Ein wesentlicher Teil der internationalen Kritik an ACTA betrifft verschiedene Bereiche der Entwicklungspolitik. Vor allem drei Themenkomplexe werden immer wieder sowohl von Vertretern der Entwicklungsländer als auch von der westlichen Welt als problematisch angeführt. Diese umfassen die Tatsache, dass im Verhandlungsprozess Entwicklungsländer weitgehend ausgeschlossen waren. Unter den Vertragsparteien der zur Unterzeichnung vorliegenden Endfassung von ACTA finden sich zwei DAC19-Entwicklungsländer: die Vereinigten Mexikanischen Staaten 11 D'Erne, R. et al. (2011). Opinion of European Academics on Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Journal of Intellectual Property, Information Technology and E-Commerce Law, (1) 2011, S. 65-72. Im Internet abrufbar unter: http://www.jipitec.eu/issues/jipitec-2-1-2011/2965 [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] 12 ebd., Seite 66, Absatz 1 13 ebd., Seite 68, Abschnitt II 14 ebd. 15 EU Commission (2011). Comments on the “Opinion of European Academics on Anti-Counterfeiting Trade Agreement ”. 27. 4 2011, S. 171-183. Im Internet abrufbar unter: http://www.jipitec.eu/issues/jipitec-2-2-2011/3099 [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] 16 ebd., Seite 171, Punkt 3 17 Ellis, R. (2011). Conflicts at the Intersection of ACTA & Human Rights: How the Anti-Counterfeiting Trade Agreement violates the right to take part in cultural life. American University Intellectual Property Brief, S. 64-71. 18 ebd., Seite 64, Absatz 1 19 Development Assistance Committee (DAC) der OECD Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 7 und das Königreich Marokko.20 Als zweites Problem wird häufig die mögliche Einschränkung des Imports und der Verwendung von preisgünstigen Generika diskutiert. Hierbei steht die Befürchtung im Vordergrund, dass diese in den Entwicklungsländern lebensnotwendigen kostengünstigeren Medikamente in großem Maße konfisziert und sogar vernichtet werden könnten.21 Als dritter Themenkomplex wird kritisiert, dass die Patentierung von Saatgut für Bauern in Entwicklungsländern ein Existenzproblem darstelle.22 Eine Auswahl an Literatur zu diesen drei Problemfelder wird in den folgenden Unterkapiteln beschrieben. Die entwicklungspolitische Kritik an ACTA ist kein neues Phänomen. Bereits in den Anfangsphasen der Verhandlungen haben Experten auf mögliche Probleme eines globalen Abkommens mit Blick auf die Benachteiligung von Entwicklungsländern hingewiesen. Beispielsweise hat bereits 2007 Maximiliano Santa-Cruz in einer ausführlichen Argumentation der ICTSD (International Centre for Trade an Sustainable Development) darauf hingewiesen, dass die Umsetzung von patentrechtlichen Interessen für Industrienationen, insbesondere die EU, wichtig sei.23 Im Gegensatz dazu seien aber beispielsweise genetische Ressourcen betreffende Regelungen für Entwicklungsländer von Bedeutung.24 So soll etwa Qualitätsprodukten aus Entwicklungsländern (beispielsweise Wein) besondere Beachtung geschenkt werden.25 3.1. Beteiligung von Entwicklungsländern Entwicklungsländer waren weitgehend von den ACTA-Verhandlungen ausgeschlossen. Es wurde unter den Teilnehmern diskutiert, interessierte Entwicklungsländer in die Verhandlungen einzubeziehen .26 Allerdings umfasst allein die Liste der afrikanischen DAC-Entwicklungsländer derzeit 55 Staaten. Shayerah Ilias kritisiert in einem Übersichtsartikel, dass es nicht nur eine Frage der Fairness sei, Entwicklungsländer an Verhandlungen zu beteiligen, sondern auch angezweifelt werden könne, ob eine Verhandlung unter Ausschluss der Länder, in denen hauptsächlich Urheberrechtsverletzungen und Piraterie stattfänden, beispielsweise Russland und China, effektiv 20 Vertragsparteien der im Mai 2011 vorgelegten Endfassung sind: die Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, Australien, Kanada, Japan, die Republik Korea, die Vereinigten Mexikanischen Staaten, das Königreich Marokko, Neuseeland , die Republik Singapur, die Schweizerischen Eidgenossenschaft und die Vereinigten Staaten von Amerika. 21 Aussage von B. Herrmann in: Küchemann, F. (24. 2 2012). Eine Atempause, aber Geschichte wird gemacht. Frankfurter Allgemeine. 22 Aussage von F. Dörner in: Küchemann, F. (24. 2 2012). Eine Atempause, aber Geschichte wird gemacht. Frankfurter Allgemeine. 23 Executive Summary, Absatz 2 (Seite ix) in: Santa-Cruz, M. (6/2007). Intellectual Property Provisions in European Union Trade Agreements, Implications for Developing Countries. (I. C. (ICTSD), Hrsg.) ICTSD IPRs and Sustainable Development Issue, S. 1-49. 24 ebd., Seite 33, Absatz 4 25 ebd., Seite 33, Absatz 5 26 Seite 15 in: Ilias, S. (12.3.2010). The Proposed Anti-Counterfeiting Trade Agreement: Background and Key Issues. Congressional Research Services, S. 1-24. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 8 sein könnten.27 Es wird befürchtet, dass für alle Länder eine ACTA-Zustimmung zukünftig Voraussetzung für weitere bilaterale Freihandelsabkommen sein könnte.28 In einem Aufsatz von Eddan Katz und Gwen Hinze wird ebenfalls auf die Problematik des Ausschlusses von Entwicklungsländern an den Verhandlungen eingegangen.29 Die Autoren befürchten , dass auch wenn die Entwicklungsländer nicht beteiligt seien, ihr eigener politischer Handlungsspielraum durch ACTA in Zukunft deutlich eingeschränkt werde.30 Aus der vorliegenden vorläufigen Version von ACTA könne man annehmen, dass ACTA-Standards sehr wahrscheinlich eine notwendige Voraussetzung für zukünftige bilaterale Abkommen seien.31 Die Autoren halten es für dringend erforderlich, dass ACTA-Verhandlungen transparenter geführt würden, um die Interessen aller Länder zu wahren.32 Auch Emily Ayoob geht in ihrer Übersichtsdarstellung aus dem Jahr 2010 auf den Ausschluss von Entwicklungsländern an den ACTA-Verhandlungen ein.33 Sie zitiert die Antwort der Handelsvertreter der Vereinigten Staaten34 auf diese Kritik. Diese hatten die Hoffnung geäußert, dass mit einem wachsenden internationalen Konsens bezüglich der Notwendigkeit einer strengen Urheberrechtsregelung weitere Länder beitreten, sie einer Partnerschaft mit Entwicklungsländern unter ACTA entgegensähen und mit anderen ACTA-Partnern zusammen erwarteten, technische Hilfe für Entwicklungsländer zu leisten.35 3.2. Zugang zu Medizin Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ kritisiert die Auswirkungen von ACTA auf den Zugang zu Medikamenten in Entwicklungsländern. In einem Interview der Zeitung „Frankfurter Allge- 27 Seite 15, Absätze 4-6 in: Ilias, S. (12.3.2010). The Proposed Anti-Counterfeiting Trade Agreement: Background and Key Issues. Congressional Research Services, S. 1-24. 28 Seite 1, Absatz 2 in: Agarwal, S. K., Srivastava, N., & Agarwal, A. (20.3.2011). TRIPS-PLUS AGENDA THROUGH ANTI-COUNTERFEITING TRADE AGREEMENT: IMPLICATIONS FOR INDIA. Working Paper Series, Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1868026, S. 1-16. 29 Katz, G., & Hinze, E. (2009). The Impact of the Anti-Counterfeiting Trade Agreement on the Knowledge Economy: The Accountability of the Office of the U.S. Trade Representative for the Creation of IP Enforcement Norms Through Executive Trade Agreements. Yale Journal of International Law Online, S. 24- 35 30 ebd., Seite 26f, Absatz 4 31 ebd. 32 ebd., Seite 34, Absatz 2 33 Ayoob, E. (2010). Recent Development: The Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Cardozo Arts & Entertainment Law Journal , 28 (1), S. 175-193. 34 Office of the United States Trade Representative, USTR 35 Seite 192, Paragraph III.B. in: Ayoob, E. (2010). Recent Development: The Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Cardozo Arts & Entertainment Law Journal, 28 (1), S. 175-193. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 9 meine“ vom 24.2.2012 wies Frank Dörner, Geschäftsführer von „Ärzte ohne Grenzen“36, darauf hin, dass günstige Generika in Entwicklungsländern existentiell notwendig seien.37 Als problematisch erachtet er in dem Interview, dass ACTA „nicht zwischen zivilrechtlichen Markenrechtsstreitigkeiten und betrügerischen Markenfälschungen“ unterscheide. Zollbehörden, die verdächtige Generika beschlagnahmen könnten, verfügten „nicht über die notwendige Expertise zur Unterscheidung von Generika und Fälschungen“. Gerade bei Generika sei es üblich und aus Wiedererkennungsgründen auch erwünscht, ähnliche oder gleiche Produktnamen zu verwenden, ohne dass dies als Markenfälschung anzusehen sei. Zudem gibt er zu bedenken: „Auch gegen dritte Parteien können Unterlassungsanordnungen und einstweilige Maßnahmen erlassen werden - und sie können sogar Ziel von Strafverfolgung werden. Zu diesen ‚dritten Parteien‘ gehören nicht nur Zulieferer, sondern auch medizinische Hilfsorganisationen wie ‚Ärzte ohne Grenzen ‘.“38 Im Zuge der „Kampagne für den Zugang zu notwendiger Medizin“39 schreibt die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, dass die Konkurrenz generischer Medikamente die treibende Kraft für die Senkung pharmazeutischer Preise weltweit darstelle. In einer schriftlichen Darstellung zu dieser Thematik geht die Organisation auf eine Reihe von Argumenten ein, mit denen sie darlegt, dass durch ACTA die Rechte der pharmazeutischen Industrie auf Kosten der ärmeren Patienten gestärkt würden.40 In einem wissenschaftlichen Übersichtsartikel geht Henning Grosse Ruse-Khan detailliert auf die Frage ein, ob durch ACTA internationale Handelsschranken entstehen könnten. Insbesondere behandelt er die Frage der Maßnahmen an den Staatsgrenzen und die Problematik der Handelsgüter im Transitbereich.41 Auch wenn diejenigen Entwicklungsländer, die keine Vertragspartner sind, nicht zwangsläufig an die Implementierung der Umsetzung der neuen Urheberrechte gebunden seien, sei dennoch die Mehrheit aller international gehandelten Güter von den Regelungen betroffen.42 Wenn ACTA auf Handelsgüter im Transit angewandt werde, könne dies dazu führen, dass Güter beschlagnahmt würden, obwohl sie weder im Ursprungsland noch im Zielland von den Regeln betroffen wären (beispielsweise, weil weder das Ursprungs- noch das Ziel- 36 „Médecins Sans Frontières“ ist eine gemeinnützige Organisation, die 1971 gegründet wurde, weltweit in verschiedenen Projekten medizinische Nothilfe leistet und 1999 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Die deutsche Sektion „Ärzte ohne Grenzen” existiert seit 1993. 37 Aussage F. Dörner in: Küchemann, F. (24. 2 2012). Eine Atempause, aber Geschichte wird gemacht. Frankfurter Allgemeine. 38 ebd. 39 Campaign for Access to Essential Medicines, Informationen im Internet abrufbar unter: http://www.msfaccess.org/ [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] 40 Seite 1, Absatz 2 in: Médecins Sans Frontières (10/2010). The Secret Treaty. Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) and its impact on access to medicines. MSF Campaign for Access to Essential Medicines, S. 1-5 41 Grosse Ruse - Khan, H. (2011). A Trade Agreement Creating Barriers to International Trade? ACTA Border Measures and Goods in Transit. American University International Law Review, 26 (3), S. 645 - 726. 42 ebd., Seite 646 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 10 land ACTA-Staaten sind).43 Als Begründung für seine Befürchtungen führt der Autor die Entwicklungen in den Niederlanden seit 2008 an. Dort hätten die niederländischen Behörden entschieden , Generika, die durch EU-Häfen verschifft würden, zurückzuhalten, zu vernichten oder zurückzuschicken.44 Diese Güter stammten vornehmlich aus Indien und wären für Entwicklungsländer wie Brasilien, Venezuela, Kolumbien, Peru und Nigeria bestimmt.45 In seiner Darstellung führt Henning Grosse Ruse-Khan einige konkrete Fälle aus. Indien, Brasilien sowie verschiedene NGOs und Kommentatoren sähen in den Grenzmaßnahmen der Europäischen Kommission einen Widerspruch zum Grundsatz, dass Mitgliedsstaaten durch das TRIPS-Abkommen nicht darin behindert werden sollten, Krisen im öffentlichen Gesundheitswesen zu bewältigen46.47 Bereits im Jahr 2008 wies Aaron Shaw in einer Analyse zur Problematik von ACTA darauf hin, dass sich zwar bereits eine Reihe ziviler NGOs und die Entwicklungsländer gegen ACTA wehrten, aber keine einheitliche Strategie verfolgten, die die Verhandlungen stoppen oder verlangsamen könnten .48 Durch Argumente, die Inkonsistenzen bestehender Regelungen mit WTO-Regeln belegen, hatten Indien und Brasilien 2010 Diskussionen innerhalb der WTO angestoßen.49 Henning Grosse Ruse-Khan geht in seinem Artikel auf diese Vorwürfe im Einzelnen ein.50 In einem Arbeitspapier indischer Wissenschaftler vom 20.3.201151 werden die Folgen der ACTA- Vereinbarungen auf Indien ausgeführt. Indien ist eines der Entwicklungsländer, das nicht an den Verhandlungen für ACTA beteiligt ist. Die Wissenschaftler halten es aber für wahrscheinlich, dass ein Beitreten Indiens zu ACTA in Zukunft Voraussetzung für bilaterale Freihandelsabkommen sein werde.52 Die Wissenschaftler stellen in ihrem Artikel fest, dass Industrieländer und 43 ebd. 44 ebd., Seite 647 45 ebd. 46 Dieser Grundsatz findet sich in der sog. Doha- Deklaration zum TRIPS- Abkommen. Basierend auf der Kritik, dass durch Patentrechte lebensnotwendiger AIDS-Medikamente in Afrika die öffentliche Gesundheitsversorgung erschwerten oder verhinderten, einigte man sich 2005, das TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum) durch Veränderung von Artikel 31 zu modifizieren. Bereits im November 2001 war die sogenannte Doha-Deklaration verabschiedet worden, die eine erläuternde Stellungnahme zu TRIPS darstellt. In ihr wird darauf hingewiesen, dass Mitgliedsstaaten durch das TRIPS-Abkommen nicht darin behindert werden sollten, Krisen im öffentlichen Gesundheitswesen zu bewältigen. Die Deklaration wurde 2005 ins TRIPS-Abkommen übernommen . 47 Seite 649 in: Grosse Ruse - Khan, H. (2011). A Trade Agreement Creating Barriers to International Trade? ACTA Border Measures and Goods in Transit. American University International Law Review , 26 (3), S. 645 - 726. 48 Seite 6 in: Shaw, A. (2008). The Probem with the Anti-Counterfeiting Trade Agreement (and what to do about it). KEStudies (2), S. 1-9. 49 Seite 650-653 in: Grosse Ruse - Khan, H. (2011). A Trade Agreement Creating Barriers to International Trade? ACTA Border Measures and Goods in Transit. American University International Law Review , 26 (3), S. 645 - 726. 50 ebd. 51 Agarwal, S. K., Srivastava, N., & Agarwal, A. (20.3.2011). TRIPS-PLUS AGENDA THROUGH ANTI- COUNTERFEITING TRADE AGREEMENT: IMPLICATIONS FOR INDIA. Working Paper Series, Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1868026 , S. 1-16. 52 ebd., Seite 1, Absatz 2 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 11 Entwicklungsländer unterschiedliche Zielsetzungen bei der Einführung des Abkommens vor Augen hätten.53 Entwicklungsländer äußerten Bedenken bezüglich der bisherigen Praxis in Hinblick auf die Umsetzung der TRIPS-Artikel 66.254 und 6755. Von Japan hingegen werde ein wirksames Durchsetzen von Regelungen gegen Piraterie gefordert.56 Im Arbeitspapier geben die Wissenschaftler zu bedenken, dass die Flexibilität, die durch das TRIPS-Abkommen den Ländern gegeben wurde, eingeschränkt werde.57 Sie befürchten weiterhin eine Verschärfung der Problematik des Handels über Transitländer58 und gehen auf die Problematik ein, dass Indien als einer der führenden Hersteller von Generika besonders von möglicherweise flächendenkender Einbehaltung der Medikamente betroffen sein könnte. Sie berufen sich dabei auch auf die Darstellungen von „Ärzte ohne Grenzen“, die diese Befürchtungen teilen.59 Brook K. Baker geht in einem Forschungspapier der juristischen Fakultät der Northeastern University (Boston, USA), das kurz vor dem Erscheinen der endgültigen Fassung von ACTA publiziert wurde, auf die Stellungnahme des US-amerikanischen Verbands der Pharmaindustrie60 ein.61 Er stellt fest, dass trotz weitergehender Forderungen des Verbandes ihm die ACTA- Vereinbarungen entschieden entgegen kommen. Anders als die Europäische Kommission dargestellt habe, würde durch ACTA der Zugang zu Generika behindert62. Brook K. Baker schließt seinen Artikel mit der Feststellung, dass obwohl der Verhandlungsprozess weit fortgeschritten sei und selbst wenn das Abkommen in Kraft trete, Raum bleibe, auf nationaler Ebene das Abkommen zu modifizieren bzw. die Auswirkungen auf dritte Länder zu minimieren.63 53 ebd., Seite 7, Paragraph III.A. 54 International Technology Transfer and Trips Article, Anreiz für den Technologietransfer an LCDs, im Internet abrufbar unter: http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/27-trips_01_e.htm [zuletzt abgerufen am 23.3.2012] 55 Technical Cooperation, Technische Hilfe für Entwicklungsländer, im Internet abrufbar unter: http://www.wto.org/english/docs_e/legal_e/27-trips_01_e.htm [zuletzt abgerufen am 23.3.2012] 56 Seite 7, Paragraph III.A. in: Agarwal, S. K., Srivastava, N., & Agarwal, A. (20.3.2011). TRIPS-PLUS AGENDA THROUGH ANTI-COUNTERFEITING TRADE AGREEMENT: IMPLICATIONS FOR INDIA. Working Paper Series, Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=1868026, S. 1-16. 57 ebd., Seite 7, Paragraph III.B. 58 ebd., Seite 10, Paragraph C (2) 59 ebd., Seite 11, Paragraph IV. 60 Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA) 61 Baker, B. K. (10.1.2010). ACTA: Risks of Third Party Enforcement for Access to Medicines. PIJIP Research Paper, American University of Washington College of Law, S. 1-14. 62 Seite 12 in: Baker, B. K. (10.1.2010). ACTA: Risks of Third Party Enforcement for Access to Medicines. PIJIP Research Paper, American University of Washington College of Law, S. 1-14. Bezug: ACTA will not hamper access to generic medicines“, Pressemeldung der europäischen Kommission vom 21.4.2010 63 ebd., Seite 14, Absatz 2 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 12 Sean Flynn geht in einer kurzen wissenschaftlichen Darstellung auf Probleme beim Zugang zu Medizin ein, die sich seiner Meinung nach durch ACTA ergeben werden.64 Er hält die Definition von Markenpiraterie (counterfeiting65) für unzureichend, ebenso wie die Abgrenzung zu „Verletzung “ (infringement). Er konstatiert, dass die vorläufig vorliegende Fassung deutlich die Interessen der Inhaber von Urheberrechten ausdrücke.66 Auch in der bereits erwähnten Antwort der Europäischen Kommission auf die Darstellung Europäischer Wissenschaftler zu ACTA67 wurde der Zugang zu Medizin in Entwicklungsländern thematisiert . Zum einen beinhalte ACTA eine explizite Referenz zur Doha-Deklaration68 und nehme die Zielvorstellung aus Artikel 7 und 8 des TRIPS-Abkommens69 auf. 70 Patentverletzungen seien ausdrücklich nicht durch die in ACTA festgelegten Vorschriften zum Strafvollzug oder Grenzmaßnahmen abgedeckt.71 Zudem stelle ACTA den Unterzeichnern frei, Patente auf zivile Arz- 64 Flynn, S. (28.4.2010). ACTA and Access to Medicines. PIJIP American University Washington College of Law . 65 Definition der World Trade Organisation (WTO) für counterfeiting: „Unauthorized representation of a registered trademark carried on goods identical or similar to goods for which the trademark is registered, with a view to deceiving the purchaser into believing that he/she is buying the original goods.“ 66 ebd., Seite 2, Absatz 3 67 EU Commission (2011). Comments on the “Opinion of European Academics on Anti-Counterfeiting Trade Agreement ”. 27. 4 2011, S. 171-183. Im Internet abrufbar unter: http://www.jipitec.eu/issues/jipitec-2-2-2011/3099 [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] 68 Basierend auf der Kritik, dass durch Patentrechte lebensnotwendiger AIDS-Medikamente in Afrika die öffentliche Gesundheitsversorgung erschwerten oder verhinderten, einigte man sich 2005, das TRIPS-Abkommen (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum) durch Veränderung von Artikel 31 zu modifizieren . Bereits im November 2001 war die sogenannte Doha-Deklaration verabschiedet worden, die eine erläuternde Stellungnahme zu TRIPS darstellt. In ihr wird darauf hingewiesen, dass Mitgliedsstaaten durch das TRIPS-Abkommen nicht darin behindert werden sollten, Krisen im öffentlichen Gesundheitswesen zu bewältigen. Die Deklaration wurde 2005 ins TRIPS-Abkommen übernommen. 69 Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums vom 15. April 1994 (BGBl. II S. 1730; zuletzt geändert durch Beschluss des Rates vom 19. November 2007 über die Annahme – im Namen der Europäischen Gemeinschaft – des am 6. Dezember 2005 in Genf unterzeichneten Protokolls zur Änderung des TRIPS- Übereinkommens [2007/768/EG], ABl. EU Nr. L 311 vom 29. November 2007, S. 35): (…) „Art. 7 Ziele. Der Schutz und die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums sollen zur Förderung der technischen Innovation sowie zur Weitergabe und Verbreitung von Technologie beitragen, dem beiderseitigen Vorteil der Erzeuger und Nutzer technischen Wissens dienen, in einer dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wohl zuträglichen Weise erfolgen und einen Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten herstellen. Art. 8 Grundsätze. (1) Die Mitglieder dürfen bei der Abfassung oder Änderung ihrer Gesetze und sonstigen Vorschriften die Maßnahmen ergreifen, die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und Ernährung sowie zur Förderung des öffentlichen Interesses in den für ihre sozio-ökonomische und technische Entwicklung lebenswichtigen Sektoren notwendig sind; jedoch müssen diese Maßnahmen mit diesem Übereinkommen vereinbar sein.“ Quelle: www.uni-konstanz.de/FuF/Jura/fezer/TRIPS.pdf [zuletzt abgerufen am 12.3.2012] 70 Seite 11 in: EU Commission (2011). Comments on the “Opinion of European Academics on Anti-Counterfeiting Trade Agreement”. 27. 4 2011, S. 171-183. Im Internet abrufbar unter: http://www.jipitec.eu/issues/jipitec-2-2- 2011/3099 [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] 71 ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 13 neimittel anzuwenden.72 Auf die Problematik des Transithandels wird in dieser Darstellung nicht eingegangen. 3.3. Agrarpolitische Probleme Ein weiteres Problemfeld für Entwicklungsländer ergibt sich im Zusammenhang mit der Patentierung von Saatgut. Brigitta Herrmann weist in einem Interview der Zeitung „Frankfurter Allgemeine “ vom 24.2.201273 darauf hin, dass es aus menschenrechtlicher Sicht fraglich sei, ob die Patentierung von Saatgut für Entwicklungsländer gelten solle74. Sie bemerkt, dass „der UN- Sonderberichterstatter mehrfach gemahnt (hat), dass die bestehenden Regelungen im Trips- Abkommen wegen der daraus folgenden Beschränkungen für Arme nicht mit dem Menschenrecht auf Nahrung vereinbar sind. (…) Mit ACTA würden beitretende Entwicklungsländer verpflichtet , geistige Eigentumsrechte auf Saatgut durchzusetzen. Wenn Unternehmen aus Entwicklungsländern Getreide exportieren wollen, das in einem ACTA-Land patentiert ist, soll es an den Grenzen zu ACTA-Ländern festgehalten und vernichtet werden. Die Möglichkeiten von Entwicklungsländern , Getreide zu exportieren, würden also erheblich eingeschränkt. Für diejenigen, die davon leben, fiele die Lebensgrundlage weg.“75 Andrew Rens geht in einem Forschungsbeitrag auf die möglichen Auswirkungen von ACTA auf die „ärmsten Menschen der Welt“ ein.76 Unter anderem diskutiert er, dass breit angelegte Grenzmaßnahmen globalen Kooperationspartnern die Möglichkeit eröffneten, Druck auf Entwicklungsländer auszuüben, um entweder den Zugang zum Markt zu behindern oder die Zahlung von Lizenzgebühren zu erzwingen.77 Das amerikanische Unternehmen Monsanto78 beispielsweise führe patentrechtliche Kampagnen durch, um zu bewirken, dass die Einfuhr von Sojamehl aus Argentinien nach Europa verhindert werde.79 Der Autor bemerkt, dass selbst, wenn Patente von den Vorschriften in ACTA ausgeschlossen würden, Patentrechtsinhabern noch eine Reihe von Möglichkeiten blieben, um wirksame Behinderungen zu erwirken, die den Bauern in Entwicklungsländern die Teilnahme am Markt verbieten würden.80 Andrew Rens beschließt seinen Arti- 72 ebd. 73 Küchemann, F. (24.2.2012). Eine Atempause, aber Geschichte wird gemacht. Frankfurter Allgemeine. 74 ebd., Seite 1 75 ebd. 76 Rens, A. (9.1,2010). Collateral Damage: The Impact of ACTA and the Enforcement Agenda on the World's Poorest Peaople. PIJIP Research Paper Series, American University Washington College of Law, no. 5, S. 1-18. 77 ebd., Seite 16, Paragraph E. 78 Ein börsennotiertes amerikanisches Unternehmen, das vornehmlich Saatgut und Herbizide herstellt und seit einigen Jahren durch die Herstellung und Patentierung von gentechnisch veränderten Pflanzen immer wieder in den Focus der Medien gerückt ist. 79 ebd. 80 ebd. Seite 17, Absatz 2 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 14 kel mit einer tabellarischen Auflistung der seiner Meinung nach kurz-, mittel- und langfristigen Folgen von ACTA auf Entwicklungsländer.81 4. Fazit Mehrheitlich wird ACTA aufgrund der prognostizierten Auswirkungen auf Entwicklungsländer von Wissenschaftlern und anderen Experten kritisiert. Dabei konzentriert sich die Kritik auf die drei Themenkomplexe der weitgehend fehlenden Beteiligung der Entwicklungsländer an den Verhandlungen, dem erschwerten Zugang zu Medizin und patentrechtlichen Schwierigkeiten beim Erwerb von Saatgut und Verkauf von Agrarprodukten. Das aktive Forschungsfeld im Bereich ACTA und seinen Auswirkungen hat einen deutlichen Schwerpunkt in den USA, insbesondere hinsichtlich der Folgen für Entwicklungsländer. Bereits im Vorfeld des Bekanntwerdens der endgültigen Fassung wurden verschiedene Auswirkungen vermutet und negativ bewertet. Diese Befürchtungen haben sich mit Vorliegen des Abkommens weitgehend manifestiert. Allerdings werden die Vorwürfe von Seiten der Europäischen Kommission und der USTR (Office of the United States Trade Representative) zurückgewiesen. 5. Literaturverzeichnis Ärzte ohne Grenzen (10/2010). The Secret Treaty. Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) and its impact on access to medicines. MSF Campaign for Access to Essential Medicines. Im Internet abrufbar unter: http://www.msfaccess.org/ [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] Agarwal, S. K., Srivastava, N., Agarwal, A. (20.3.2011). TRIPS-PLUS AGENDA THROUGH ANTI- COUNTERFEITING TRADE AGREEMENT: IMPLICATIONS FOR INDIA. Working Paper Series, S. 1-16. Im Internet abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=1868026 [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] Ayoob, E. (2010). Recent Development: The Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Cardozo Arts & Entertainment Law Journal, 28 (1), S. 175-193. Chen, Y. (25.6.2010). Preliminary Comparison of the Consolidated ACTA Text and China's IP Law. American University Washington College of Law, S. 1. Correa, C. M. (2/2009). The Push for Stronger Enforcement Rules: Implications for Developing Countries. (I. P. Development, Hrsg.) The Global Debate on the Enforcement of Intellectual Property Rights and Developing Countries, S. 27-60. (31.1.2011). Vereinbarkeit des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) mit europäischem Recht, WD11-3000-279/10. Berlin, Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag. 81 ebd., Seite 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 15 D'Erne, R. G.-K. (2011). Opinion of European Academics on Anti-Counterfeiting Trade Agreement. Journal of Intellectual Property, Information Technology and E-Commerce Law , S. 165. Ellis, R. (2011). Conflicts at the Intersection of ACTA & Human Rights: How the Anti- Counterfeiting Trade Agreement violates the right to take part in cultural life. American University Intellectual Property Brief, S. 64-71. EU Commission (27.4.2011). Comments on the “Opinion of European Academics on Anti- Counterfeiting Trade Agreement”, S. 171-183. Im Internet abrufbar unter: http://www.jipitec.eu/issues/jipitec-2-2-2011/3099" http://www.jipitec.eu/issues/jipitec-2-2- 2011/3099 [zuletzt abgerufen am 22.3.2012] Flynn, S. (28. 4 2010). ACTA and Access to Medicines. PIJIP American University Washington College of Law. Grosse Ruse - Khan, H. (2011). A Trade Agreement Creating Barriers to International Trade? ACTA Border Measures and Goods in Transit. American University International Law Review, 26 (3), S. 645-726. Ilias, S. (12.3.2010). The Proposed Anti-Counterfeiting Trade Agreement: Background and Key Issues. Congressional Research Services, S. 1-24. Kaminski, M. E. (1.1.2011). An Overview and the Evolution of the Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA). PIJIP Research Paper, American University of Washington College of Law, S. 1-45. Katz, G., Hinze, E. (2009). The Impact of the Anti-Counterfeiting Trade Agreement on the Knowledge Economy: The Accountability of the Office of the U.S. Trade Representative for the Creation of IP Enforcement Norms Through Executive Trade Agreements. Yale Journal of International Law Online, Vol. 35:24, S. 25-35. Küchemann, F. (24.2.2012). Eine Atempause, aber Geschichte wird gemacht. Frankfurter Allgemeine. (26.10.2011). Änderungsbedarf an nationalen Bestimmungen zur Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums bei In-Kraft-Treten des ACTA-Abkommens, WD7-3000- 176/11. Berlin, Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag. Rat der Europäischen Union (3.2.2012). Handelsübereinkommen zur Bekämpfung von Produktund Markenpiraterie zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten, Australien, Kanada, Japan, der Republik Korea, den Vereinigten Mexikanischen Staaten, dem Königreich Marokko, Neuseeland, der R. epublik Singapur, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika, 12196/11 . Rat der Europäischen Union, Brüssel. Rens, A. (9.1.2010). Collateral Damage: The Impact of ACTA and the Enforcement Agenda on the World's Poorest Peaople. PIJIP Research Paper Series, American University Washington College of Law, no. 5, S. 1-18. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000-032/12 Seite 16 Santa-Cruz, M. (6/2007). Intellectual Property Provisions in European Union Trade Agreements, Implications for Developing Countries. (I. C. (ICTSD), Hrsg.) ICTSD IPRs and Sustainable Development Issue, S. 1-49. Shaw, A. (2008). The Probem with the Anti-Counterfeiting Trade Agreement (and what to do about it). KEStudies (2), S. 1-9.