© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 - 030/16 Politische und rechtliche Aspekte im Umgang mit zentralamerikanischen Migrantinnen und Migranten in Nordamerika Teil 1: Wanderungsbewegungen (Herkunfts- und Zielländer), Migrationsursachen Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Flüchtlingsstatus und Asyl in den USA 7 3. Migrationsbewegungen in Richtung Nordamerika 8 3.1. Hauptherkunftsländer 8 3.2. Migrationsursachen 12 3.2.1. Push-Faktoren 12 3.2.2. Pull-Faktoren 17 3.2.3. USA 18 3.2.4. Mexiko 19 3.3. Irreguläre Migranten in den USA 20 3.4. Unbegleitete Minderjährige des nördlichen Dreiecks 23 3.5. Opfer von Gewalt und Todesopfer 28 4. Schlussbetrachtungen 33 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 4 1. Einleitung Eine der weltweit größten Migrationsbewegungen geht von den Staaten Guatemala, Honduras und El Salvador aus über das Transitland Mexiko in Richtung USA und Kanada. Die Länder Guatemala, Honduras und El Salvador werden auch als das nördliche Dreieck bezeichnet, eine der gefährlichsten Regionen der Welt.1 Mexiko ist allerdings nicht nur Transitland für Menschen, die aus Zentralamerika kommen, zunehmend wird es auch Zielland sowie Ausgangspunkt für Emigration mit Zielland USA oder Kanada. 2 Dies ist der erste Teil einer Ausarbeitung, die aufgrund ihres Rechercheumfangs und ihrer Vielschichtigkeit aus zwei eigenständigen Teilen zusammengesetzt ist. Thema dieses ersten Teils ist die Darstellung der Ergebnisse der statistischen Erfassung von Migrationsströmen in die USA als dem größten Aufnahmestaat in Nordamerika sowie Erklärungsversuche für die unterschiedliche Datenlage der politischen Akteure. Im Sinne einer Zustandsbeschreibung wird beleuchtet, welches die Hauptherkunftsländer von Migranten und Flüchtlingen aus Zentralamerika sind und welche Push- und Pull-Faktoren für eine anhaltend hohe Migration aus den Ländern des nördlichen Dreiecks verantwortlich sind. Auf die Situation Kanadas als Zielland für Migration wird in dieser Arbeit nicht näher eingegangen. Die Wanderungsbewegung zwischen dem nördlichen Dreieck und den USA bzw. dem Transitland Mexiko, steht im Fokus der Arbeit. Aufgrund der im Jahr 2014 massiv angestiegenen Zahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sowie von Frauen wird deren Situation eingehender untersucht. Der zweite Teil der Ausarbeitung, der zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen sein wird, beschäftigt sich mit den Reaktionen der Aufnahmestaaten gegenüber irregulärer Migration: mit Abschiebungen , verstärktem Grenzschutz sowie politischen Kooperationsprogrammen mit den Staaten des nördlichen Dreiecks sowie den Reaktionen der Herkunftsstaaten bei Repatriierung. Zudem nimmt er die unterschiedliche Rechtslage im Umgang mit irregulärer Migration in den Blick sowie die verschiedenen Ansätze der Integration in den Aufnahmegesellschaften. Zur Analyse der Migrationsströme nach Nordamerika wurden verschiedene internationale und nationale Quellen analysiert. Dargelegt werden aktuelle Zahlen aus dem International Migration Report 2015 des Department of Economic and Social Affairs der Vereinten Nationen (UNDESA) für die letzten 25 Jahre zur Bestimmung von Migrationstrends in die Länder USA, Kanada und Mexiko.3 Dem gegenübergestellt werden Daten für die USA aus dem jährlichen American Community Survey und dem alle zehn Jahre durchgeführten Zensus des U.S. Census Bureaus (USCB). 1 Farah, Douglas and Carl Meacham (September 2015). Alternative Governance in the Northern Triangle and Implications for U.S. Foreign Policy. Eine Studie des Center For Strategic & International Studies. Abrufbar unter : http://csis.org/publication/alternative-governance-northern-triangle-and-implications-us-foreign-policy, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 2 Dresel, Jennifer (5. Dezember 2011). Gefährliche Reise: Migration durch das Transitland Mexiko. Eine Veröffentlichung der Heinrich-Böll-Stiftung. Abrufbar unter: https://www.boell.de/de/navigation/lateinamerika-mexiko -transit-migration-13574.html, (letzter Zugriff: 17. Februar 2016). 3 United Nations Department of Economic and Social Affairs – Population Division (2015). International Migrant Stock 2015. Abrufbar unter: http://www.un.org/en/development/desa/population/migration/data/estimates2/estimates 15.shtml (letzter Zugriff: 24. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 5 Hierbei ist zu beachten, dass die geschätzten Populationswerte des UNDESA im Schnitt drei bis vier Mio. Einheiten über den Schätzungen des USCB liegen, auf die sich die meisten amerikanischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beziehen. Dennoch lassen sich aus beiden Schätzungen ähnliche Trends für die USA ablesen. Aus dem International Migration Report der Vereinten Nationen (VN) geht hervor, dass die Anzahl internationaler Migranten weltweit weiterhin stark zunimmt. Von den 244 Mio. Migranten lebten im Jahr 2015 geschätzte 54,5 Mio. in Nordamerika. Im Zeitraum von 2000 bis 2015 kamen demnach 900.000 Einwanderer in Nordamerika pro Jahr hinzu.4 2. Begriffsdefinitionen 2.1. Migration Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) weist darauf hin, dass in der öffentlichen Diskussion die Begriffe „Migrant“ und „Flüchtling“ häufig synonym verwandt werden , dies aber nicht korrekt ist, da es rechtliche und politische Unterschiede zwischen beiden Kategorien gibt. Rechtlich gesehen werden Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und dem Protokoll von 1967 als Personen definiert, die vor einem bewaffneten Konflikt oder Verfolgung fliehen und deshalb internationalen Schutz genießen. Dieser ist von den Unterzeichnerstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention zu gewährleisten.5 Demgegenüber entscheiden sich Migranten, in der Hoffnung ihre wirtschaftliche Lage verbessern zu können, aufgrund von Familienzusammenführung oder anderen Gründen, ihr Herkunftsland zu verlassen. Sie genießen aber auch nach ihrer Rückkehr in ihr Herkunftsland den vollen Schutz der Regierung.6 Die UNESCO weist in ihrem Glossar darauf hin, dass es keine einheitliche, allgemein gültige Definition des Begriffes „Migration“ gibt.7 Sie bezieht sich auf eine Definition der Sonderbeauftragten der Menschenrechtskommission, Gabriela Rodríguez Pizarro, von 2002, die von der UNESCO als „breit angelegt“ charakterisiert wird. Demzufolge gelten als Migranten: “(a) Persons who are outside the territory of the State of which they are nationals or citizens, are not subject to its legal protection and are in the territory of another State; (b) Persons who do not enjoy the general legal recognition of rights which is inherent in the granting by the host State of the status of refugee, naturalised person or of similar status; 4 United Nations Department of Economic and Social Affairs (2015). Trends in international Migration 2015. Population Facts No. 2015/4. Abrufbar unter: http://www.un.org/en/development/desa/population/publications /factsheets/ (letzter Zugriff: 24. Februar 2016). 5 UNHCR (27. August 2015). “Refugee” or „migrant“ – Which is right? Abrufbar unter: http://www.unhcr .org/55df0e556.html, (letzter Zugriff: 11. April 2016). 6 Ebenda 7 UNESCO (2016). Glossary. Migrant/Migration. Abrufbar unter: http://www.unesco.org/new/en/social-and-human -sciences/themes/international-migration/glossary/migrant/, (letzter Zugriff: 11. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 6 (c) Persons who do not enjoy either general legal protection of their fundamental rights by virtue of diplomatic agreements, visas or other agreements.”8 Die bestimmenden Formen von Migration können nach den Motiven (wirtschaftlich, Familienzusammenführung , Flucht und Vertreibung) sowie nach dem legalen Status (irreguläre Migration, kontrollierte Emigration/Immigration vs. freie Migration) unterschieden werden. Aber nicht nur das Überschreiten von Grenzen einer politischen Einheit für einen bestimmten Zeitraum ist Migration , auch die interne Migration im Sinne der territorialen Verlagerung von Menschen innerhalb eines Staates schließt das Konzept ein. Zwangsumsiedlung wird demgegenüber nicht von diesem Konzept von Migration erfasst, da die Individuen oder Gruppen passiv im Sinne der räumlichen Mobilität bleiben und dies nicht aktiv selbst betreiben. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) definiert Migranten als Personen, die eine internationale Grenze überschritten oder die innerhalb eines Staates sich von ihrem Residenzort fortbewegt haben, unabhängig davon, ob die Bewegung freiwillig oder unfreiwillig erfolgte und von den Gründen für die Bewegung: “IOM defines a migrant as any person who is moving or has moved across an international border or within a State away from his/her habitual place of residence, regardless of (1) the person’s legal status; (2) whether the movement is voluntary or involuntary; (3) what the causes for the movement are; or (4) what the length of the stay is. IOM concerns itself with migrants and migration‐related issues and, in agreement with relevant States, with migrants who are in need of international migration services.9” Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat sich eine Definition des Statistischen Bundesamtes zueigen gemacht, der zufolge „...alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil “10 8 United Nations General Assembly (2002). Human rights of migrants. A/57/292. Seite 12. Abrufbar unter: https://www.iom.int/jahia/webdav/shared/shared/mainsite/policy_and_research/un/57/A_57_292_en.pdf, (letzter Zugriff: 11. April 2016). 9 International Organization for Migration (2016). Key Migration Terms. Abrufbar unter: https://www.iom.int/key-migration-terms, (letzter Zugriff: 11. April 2016). 10 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2016). Migrationshintergrund (Definition). Abrufbar unter: https://www.bamf.de/DE/Service/Left/Glossary/_function/glossar.html?lv3=3198544, (letzter Zugriff: 11. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 7 als Migranten zählen. In seinem Migrationsbericht 2014 spricht das Bundesamt dann von Migration , „..wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt, von internationaler Migration , wenn dies über Staatsgrenzen hinweg geschieht.“11 Beim Begriff „Migration“ deckt sich die Definition des BAMF mit dem U.S. Department of Homeland Security (DHS).12 In den USA wird zwischen „immigrant“, „refugee“ und „asylee“ unterschieden . Immigrant, oder auch „lawful permanent resident“ (LPR), bezeichnet alle Personen, die keine Staatsbürger der USA sind, sich dort aber legal, also mit einer unbefristeten Aufenthaltsund Arbeitserlaubnis (Green Card) mit ständigem Wohnsitz aufhalten.13 Abzugrenzen hiervon sind Personen mit befristeter/temporärer Aufenthaltserlaubnis (Visa) die als „nonimmigrants “ bezeichnet werden. In Zusammenhang mit der Zustandsbeschreibung der Migration in die USA wird der Begriff „Migrant/-in“ gleichgesetzt mit dem Begriff „foreign born“, also jede Person die nicht U.S.-Staatsbürger von Geburt an ist. Die amerikanische Gesamtbevölkerung setzt sich demnach zum einen aus „native born“ zusammen, also jede/-r die/der in den USA, in Puerto Rico oder in anderen Außengebieten unter der Hoheitsgewalt der Vereinigten Staaten von Amerika (Amerikanisch- Samoa, Guam, Commonwealth der Nördlichen Marianen, Amerikanische Jungferninseln) geboren ist. Zum anderen aus der „foreign born population“. Diese umfasst eingebürgerte Menschen, Personen mit einer permanenten oder temporären Aufenthaltserlaubnis (Green Card/Visa), sowie anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte. Eine weitere Personengruppe sind Migranten, die sich ohne Registrierung in den USA aufhalten, oder die nach abgelaufener befristeter Aufenthaltserlaubnis das Land nicht verlassen haben. Im Rahmen dieser Ausarbeitung wird die letztgenannte Personengruppe primär als „irreguläre Migranten“ oder „unautorisierte Migranten“ bezeichnet. Irregulär bezieht sich generell allein auf die Tatsache, dass diese Menschen nicht über den regulären Weg, also über offizielle Grenzübergänge und mit einem vorab erteilten Visum einzureisen versuchen. Es wird damit keine Bewertung der Motive für die Einreise vorgenommen. Aus Gründen der Lesbarkeit wird der geschlechtsneutrale Begriff Migrant verwendet. 2.2. Flüchtlingsstatus und Asyl in den USA Der amerikanische Immigration and Nationality Act (INA) versteht nach Sektion 101(a)(42) unter einem Flüchtling einen Menschen, der „…aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser 11 BAMF (Januar 2016). Migrationsbericht 2014. Abrufbar unter: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen /DE/Publikationen/Migrationsberichte/migrationsbericht-2014.pdf?__blob=publicationFile, (letzter Zugriff: 11. April 2016). 12 Office of Immigration Statistics (2015). Definition of Terms. Abrufbar unter: https://www.dhs.gov/definitionterms #top, (letzter Zugriff: 22. Februar 2016). 13 U.S. Department of Homeland Security (2015). Glossary: Lawful Permanent Resident (LPR). Abrufbar unter: https://www.uscis.gov/tools/glossary/lawful-permanent-resident-lpr (letzter Zugriff: 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 8 Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will…“, und der nach internationalem Recht Asyl beantragen kann. Die Definition steht im Einklang mit der Genfer Flüchtlingskonvention. Das Gesetz beschreibt einen „asylum seeker“/„asylee“ als eine Person, die die Kriterien eines „refugees“ erfüllt, der sich aber darüber hinaus bereits in den USA befindet und Aufnahme an einem „port of entry“ (Grenzübergang, Flughafen, Hafen) begehrt. Sowohl Flüchtlinge als auch Asylsuchende (sofern ihr Asylantrag angenommen wurde) können sich nach einem Jahr für den Status als „legal permanent resident“ bewerben. Immigranten, die mit einem Visum der Familienzusammenführung oder einem Arbeitsvisum nach Amerika kommen, müssen ebenfalls einen vorgegeben Prozess durchlaufen, um sich für den „legal permanent resident“ Status bewerben zu können. 3. Migrationsbewegungen in Richtung Nordamerika 3.1. Hauptherkunftsländer Bis Mitte des 20. Jahrhunderts stammte die Mehrheit der Migrantinnen und Migranten in den USA aus Europa oder Kanada (1960 waren es 84 Prozent). Infolge einer Gesetzesnovelle des Immigration and Nationality Act (INA) im Jahre 1965, die das bestehende Quotensystem nach nationaler Herkunft liberalisierte, setzte die Immigration aus Lateinamerika und Asien ein. Infolge einer weiteren Anpassung des INA 1990, in dem Elemente verankert wurden, um die Zuwanderung von Fachkräften zu erhöhen, stieg vornehmlich die Migration aus Indien und China rapide an.14 Heute sind die Hauptherkunftsregionen der Migrationsströme in die USA Asien und Lateinamerika : Im Jahr 2014 stammten rund 52 Prozent der im Ausland geborenen Personen in den USA aus Lateinamerika.15 Die zehn Hauptherkunftsländer der amerikanischen Migrationspopulation waren Mexiko mit einem Anteil von 27,6 Prozent, Indien (5,2 Prozent), China (4,6 Prozent), die Philippinen (4,5 Prozent ), El Salvador (3,1 Prozent), Vietnam (3 Prozent), Kuba (2,8 Prozent), Korea (2,5 Prozent), die Dominikanische Republik (2,4 Prozent) und Guatemala (2,2 Prozent)16 (Siehe Abbildung 1). 14 U.S. Census Bureau (2000). The Foreign-Born Population, 2000. Abrufbar unter: http://www.census.gov/population /pop-profile/2000/chap17.pdf (letzter Zugriff: 29. Februar 2016). 15 30 Prozent wurden in Asien geboren, 11 Prozent stammten aus Europa, vier Prozent aus Afrika und zwei Prozent immigrierten aus anderen Ländern Nordamerikas. U.S. Cenus Bureau (2014): PLACE OF BIRTH FOR THE FOREIGN-BORN POPULATION IN THE UNITED STATES. Abrufbar unter: http://factfinder.census.gov/faces/tableservices/jsf/pages/productview .xhtml?pid=ACS_11_1YR_B05006&prodType=table (letzter Zugriff: 25. Februar 2016). 16 Migration Policy Institute (2014). Largest U.S. Immigrant Groups over Time. Abrufbar unter: http://www.migrationpolicy .org/programs/data-hub/charts/largest-immigrant-groups-over-time (letzter Zugriff: 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 9 Abbildung 1: Hauptherkunftsländer der Migrationspopulation in den USA 2014. Eigene Abbildung nach: Migration Policy Institute (2014): Largest U.S. Immigrant Groups over Time. Abrufbar unter: http://www.migrationpolicy .org/programs/data-hub/charts/largest-immigrant-groups-over-time, (letzter Zugriff: 24. Feburar 2016). Mehr als zwei Drittel der „foreign born“ aus Lateinamerika stammten aus Zentralamerika und Mexiko. Mit ca. 12 Mio. Emigranten ist Mexiko nach Indien das Land mit der zweitgrößten Diaspora der Welt. 17 98 Prozent der mexikanischen Migranten lebt in den USA (regulär sowie irregulär), wo Einwanderer aus Mexiko und ihre Nachkommen einen Anteil von 10 Prozent an der Gesamtbevölkerung ausmachen.18 Von 1970 bis zum Jahr 2000 hat sich die Anzahl der mexikanischen Migranten in den USA in jeder Dekade verdoppelt. Ein Viertel der mexikanischen Migranten kam zwischen 1986 und 1995 in die USA. Zwischen 1996 und 2007 wanderten 44 Prozent ein (Stand: 2013).19 Nach Angaben des Pew Research Centers ist nach der Wirtschaftskrise 2007/2008 ein Rückgang der mexikanischen Migration in die USA und die Zunahme der freiwilligen und unfreiwilligen Rückwanderung nach Mexiko zu beobachten. Im Zeitraum 2005 bis 2010 gab es eine sogenannte "zero immigration", also einen ausgeglichenen Wanderungssaldo: Es wanderten ungefähr so viele 17 United Nations Department of Economic and Social Affairs (2015). Trends in international Migration 2015. Population Facts No. 2015/4. Abrufbar unter: http://www.un.org/en/development/desa/population/publications /factsheets/ (letzter Zugriff: 24. Februar 2016). 18 Pew Research Center (2013). Diverse Origins: The Nation’s 14 Largest Hispanic-Origin Groups. Abrufbar unter: http://www.pewhispanic.org/2013/06/19/diverse-origins-the-nations-14-largest-hispanic-origin-groups/ (letzter Zugriff: 29. Februar 2016). 19 Fundacion BBVA Bancomer, A.C. (2014). Anuario de migracion y remesas 2014. Abrufbar unter: https://www.bbvaresearch.com/wp-content/uploads/2014/05/2014_Anuario_Migracion_y_Remesas _Mexico1.pdf (letzter Zugriff: 21. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 10 Mexikaner in die USA ein wie im selben Zeitraum aus den USA nach Mexiko abwanderten.20 Daten der letzten fünf Jahre zeigen, dass inzwischen sogar ein negativer Trend zu beobachten ist: Auf geschätzt 870.000 neue mexikanische Einwanderer kommen geschätzt 1 Mio. Rückkehrer21 (siehe Abbildung 2). Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch restriktivere Migrationsgesetze und schärfere Grenzkontrollen nach dem 11. September 2001 sowie eine verstärkte Abschiebung von mexikanischen Einwanderern ohne gültige Aufenthaltserlaubnis. Zum anderen wird dieser Rückgang auch einer verbesserten Wirtschafts- und Ausbildungssituation sowie gesunkenen Geburtenraten in Mexiko zugeschrieben, was dazu führt, dass weniger Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen und ein geringerer Migrationsdruck besteht.22 Abbildung 2: Wanderungssaldo Personen mexikanischer Herkunft, USA - Mexiko 1995 bis 2014. Eigene Abbildung nach: Gonzalez-Barrera, Anna (2015): More Mexicans Leaving Than Coming to the U.S.. Pew Research Center. Abrufbar unter: http://www.pewhispanic.org/2015/11/19/more-mexicans-leaving-than-coming-to-the-u-s/, (letzter Zugriff: 21. April 2016). 20 Pew Research Center (2012). Net Migration from Mexico Falls to Zero—and Perhaps Less. Abrufbar unter: http://www.pewhispanic.org/2012/04/23/net-migration-from-mexico-falls-to-zero-and-perhaps-less/ (letzter Zugriff : 29. Februar 2016). 21 Pew Research Center (2015). More Mexicans Leaving Than Coming to the U.S.. Abrufbar unter: http://www.pewhispanic.org/2015/11/19/more-mexicans-leaving-than-coming-to-the-u-s/ (letzter Zugriff: 29. Februar 2016). 22 Levine, E. (2015). ¿Por qué disminuyó la migración México-Estados Unidos a partir de 2008?. Revista Problemas del Desarrollo, Jg. 182, Nr. 46 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 11 Auch wenn sich die Einwanderung von Mexikanern insgesamt leicht abgeschwächt hat, steigt die Zahl von Migranten aus Zentralamerika, die oft Mexiko als Transitland auf ihrer Reise in Richtung USA nutzen. Vor allem infolge von Wirtschaftskrisen, politischen Problemen und Bürgerkriegen in den 1970er Jahren wuchsen die Einwanderungspopulationen aus den Ländern El Salvador , Honduras und Guatemala, die das sogenannte „Northern Triangle“ oder nördliches Dreieck bilden, stetig. Im Jahr 2015 lebten in den Vereinigten Staaten insgesamt rund 2,7 Millionen Menschen aus dem nördlichen Dreieck. Seit 1990 hat sich die Migrantenzahl aus El Salvador in den USA fast verdreifacht, die Anzahl eingewanderter Menschen aus Guatemala hat sich in dieser Zeitspanne vervierfacht, während die „foreign-born population“ aus Honduras in den letzten 25 Jahren um das viereinhalbfache angestiegen ist.23 Im Jahr 2014 lebten 1,3 Mio. Bürger El Salvadors, 915.600 Einwohner Guatemalas und 588.000 Migranten aus Honduras in den USA.24 Aber auch Mexiko ist verstärkt Zielland von geworden: 52 Prozent der Migranten und Flüchtlinge Guatemalas nannten im Jahr 2014 Mexiko ihr Zielland , während 48 Prozent der Migranten und Flüchtlinge Guatemalas die USA als Zielland angaben . Demgegenüber suchten im gleichen Zeitraum 92 Prozent der Migranten und Flüchtlinge Honduras in den USA Aufenthalt und lediglich 8 Prozent blieben in Mexiko. 86 Prozent der Migranten El Salvadors hatten die USA und nur 14 Prozent Mexiko als Zielland (vgl. Abbildung 3). 23 United Nations Department of Economic and Social Affairs – Population Division (2015). International Migrant Stock 2015. Abrufbar unter: http://www.un.org/en/development/desa/population/migration/data/estimates2/estimates 15.shtml (letzter Zugriff: 29. Februar 2016). 24 United States Census Bureau (2015). American Fact Finder. Abrufbar unter: http://factfinder.census .gov/faces/tableservices/jsf/pages/productview.xhtml?pid=ACS_11_1YR_B05006&prodType=table, (letzter Zugriff: 20. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 12 Abbildung 3: Migranten aus Zentralamerika über Mexico in die USA. (Quelle: Colegio de la Frontera Norte. (Febrero 2016). Encuestas sobre Migración en las Fronteras Norte y Sur de México. Infografías. Abrufbar unter: http://www.colef.mx/emif/infografias.php, letzter Zugriff: 12. April 2016). 3.2. Migrationsursachen 3.2.1. Push-Faktoren Die Ursachen für Migration aus dem nördlichen Dreieck nach Nordamerika, die sogenannten Push-Faktoren, lassen sich zurückführen auf die höchsten Kriminalitätsraten Lateinamerikas, fehlende öffentliche Sicherheit, häusliche Gewalt sowie fehlenden Zugang zu Bildungseinrichtungen und zum Gesundheitswesen. Das Migration Policy Institute nennt als weitere Push-Faktoren eine ungesicherte Ernährungslage für geschätzte 1,5 Mio. Menschen aufgrund von anhaltender Trockenheit und schlechter Ernten.25 Nach Einschätzung des World Food Programmes der Vereinten Nationen vom November 2015 25 Rosenblum, Marc R. and Isabel Ball (January 2016). Trends in Unaccompanied Child and Family Migration from Central America. Fact Sheet. Abrufbar unter: http://www.migrationpolicy.org/research/trends-unaccompanied -child-and-family-migration-central-america, (letzter Zugriff: 20 April 2016), S.4f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 13 könnte das El-Niño-Phänomen in Zentralamerika dazu führen, dass in den kommenden Monaten 2,3 Mio. Menschen von Nahrungsmittellieferungen abhängig sein werden.26 Weitere Ursachen für Migration sind Armut und fehlende wirtschaftliche Perspektiven in den Ländern Zentralamerikas . „Surveys show that migrants go north not primarily to be reunited with families, but to escape violence and economic hardship. The murder rate in the Northern Triangle is among the highest in the world. Around a quarter of young people there neither study nor work, more than anywhere else in Latin America.”27 Der wohl wichtigste Grund für das Migrationsverhalten der Menschen des nördlichen Dreiecks sind die hohen Tötungs-, geringen Aufklärungsraten, Erpressung, Raub oder Entführung und der fehlende staatliche Schutz. Nach der Statistik der Tötungsdelikte für Länder, die nicht in kriegerische Handlungen verwickelt sind, liegt El Salvador laut einer gemeinsamen Studie des European Institute for Crime Prevention and Control sowie des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) von 2010 pro 100.000 Einwohner knapp hinter Kolumbien. El Salvador kommt laut UNODC auf Platz 2 der Länder mit der höchsten Tötungsrate und dem geringsten Sicherheitsstand, gefolgt von Guatemala .28 UNODC bezieht sich dabei auf Daten des United Nations Survey of Crime Trends (UN-CTS) and Operations of Criminal Justice Systems sowie der World Health Organization, die nicht deckungsgleich sind.29 Augenfällig werden die statistisch unterschiedlichen Werte für Honduras, das den Erhebungen der WHO zufolge auf Platz 18 der Länder mit der höchsten Tötungsrate liegt, laut United Nations Survey of Crime Trends and Operations of Criminal Justice Systems aber auf 26 UN News Centre (12. November 2015). El Niño: 2.3 million Central Americans will need food aid, UN warns in latest alert. Abrufbar unter: http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=52535#.VxdzduLyjGi, (letzter Zugriff : 20. April 2016). 27 The Economist (18. April 2015). Stemming the migrant tide. Abrufbar unter: http://www.economist .com/news/americas/21648669-governments-take-new-approach-ending-exodus-children-stemming-migrant -tide?zid=305&ah=417bd5664dc76da5d98af4f7a640fd8a, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 28 Harrendorf, S. and M. Heiskanen and S. Malby (Eds.,/2010). International Statistics on Crime and Justice. Publication Series No. 64. Eine Veröffentlichung des European Institute for Crime Prevention and Control und des United Nations Office on Drugs and Crime. Abrufbar unter: https://www.unodc.org/documents/data-and-analysis /Crime-statistics/International_Statistics_on_Crime_and_Justice.pdf, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 29 Unterschiede in den bisweilen weit auseinander gehenden Daten werden damit erklärt, dass die Daten des öffentlichen Gesundheitswesens, über die die WHO verfügt, häufig auf nationale Erhebungen zurückgehen und nicht in der Weise vollständig sind und nach einem einheitlichen Erhebungssystem zusammengestellt wurden, wie dies für die Strafjustiz der Fall ist. Zudem sind die Daten von UN-CTS für Zentralamerika jüngeren Datums (2007/2008) als die Daten des öffentlichen Gesundheitswesens (2003-2006) und gerade auf Länderebene wurden Daten von 2008 herangezogen. Demgegenüber stammen die WHO-Daten für die einzelnen Länder aus dem Jahr 2004. Vgl. dazu Harrendorf, S. and M. Heiskanen and S. Malby (Eds.,/2010), S. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 14 Platz fünf. UNODC sieht die wachsende Tötungsrate im nördlichen Dreieck in Zusammenhang mit Organisierter Kriminalität, Drogenhandel und Bandenwesen. Honduras hatte im Jahr 2012 die weltweit höchste Mordrate für ein Land, in dem kein Krieg ausgetragen wird, mit etwa 90 Getöteten je 100.000 Einwohner.30 In Honduras werden zudem gerade Kinder und Jugendliche häufig Zeugen von Gewaltverbrechen. Abbildung 4: Tötungsraten auf nationaler Ebene, nach Ländern ausgewählt, aufgeführt nach Sub-Region (2012). Quelle: UNODC Homicide Statistics 2013. In: UNODC (2014). Global Study On Homicide 2013. Abrufbar unter: https://www.unodc.org/documents/gsh/pdfs/2014_GLOBAL_HOMICIDE_BOOK_web.pdf, (letzter Zugriff: 20. April 2016, S. 22.) Untersucht wurden von UNODC in einer Studie von 2014 auch die von den Sicherheitsbehörden erzielten Aufklärungsraten bei vorsätzlicher Tötung, die in Lateinamerika mit nur 50 Prozent niedrig ausfällt. Auch gab es auf regionaler Ebene große Unterschiede hinsichtlich der Anzahl mutmaßlicher Täter. Während in Lateinamerika für 100 Opfer vorsätzlicher Tötungen 53 mutmaßliche Täter aufgeführt wurden, lag die Zahl der mutmaßlichen Täter in Asien bei 151, in Europa bei 100 mutmaßlichen Tätern. 30 UNODC Homicide Statistics 2013 (2014). Global Study On Homicide 2013. Abrufbar unter: https://www.unodc.org/documents/gsh/pdfs/2014_GLOBAL_HOMICIDE_BOOK_web.pdf, (letzter Zugriff: 20. April 2016, S. 22.) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 15 „When looking at the criminal justice process at the regional level, for every 100 homicide victims there are 53 suspects in the Americas, 151 in Asia and 100 in Europe, while the number of persons convicted per 100 homicide victims is 24 in the Americas, 48 in Asia and 81 in Europe.” 31 Die Tötungsdelikte in El Salvadors Hauptstadt, San Salvador, haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt auf 1.900 in einer 1,8 Mio. Einwohner zählenden Metropole. Der Economist führt das insbesondere auf das Ende eines Waffenstillstands zwischen rivalisierenden Drogenbanden zurück ; der Waffenstillstand hatte in den Jahren 2012 noch zu sinkenden Tötungsraten geführt. Mit seiner hohen Tötungsrate hat El Salvador inzwischen (2014) Honduras überholt. Das Land wies 2012 die höchste Tötungsrate auf.32 Demgegenüber sollen sich die Tötungsdelikte in San Pedro Sula in Honduras im gleichen Zeitraum beinahe halbiert haben. Ausufernde Gewalt und Verfolgung durch bewaffnete kriminelle Gruppen zählen, neben Armut und Arbeitslosigkeit, zu den Hauptursachen für Flüchtlings- und Migrationsbewegungen aus dem nördlichen Dreieck, resümiert der UNHCR.33 Der Studie Women on the Run des UNHCR von 2015 zufolge ist das anhaltend hohe Niveau häuslicher Gewalt und der von bewaffneten Gruppen ausgeübten Gewalt ein maßgeblicher Grund für die hohe Fluchtrate von Frauen aus dem nördlichen Dreieck, die in den USA Asyl beantragen.34 Nach Angaben des UNHCR habe sich die Zahl der Asylsuchenden aus dem nördlichen Dreieck in den USA seit 2008 verfünffacht. Die höchste Fluchtrate von Frauen, die vor psychischer, sexueller oder physischer Gewalt flohen, wurde 2014 verzeichnet. Allein gegenüber 2013 kam es zu einer Verdreifachung der registrierten irregulären Grenzübertritte in die USA. Mit Blick auf die Zahl weiblicher Opfer vorsätzlicher Tötungen nimmt El Salvador den 1. Platz, Guatemala den 3. und Honduras den 7. Platz weltweit ein.35 Von den 16.077 Frauen aus El Salvador, Guatemala, Honduras und Mexiko, die im Fiskaljahr 2015 von den U.S. Asylbehörden zu ihren Fluchtmotiven befragt worden waren, bestand bei 13.116 Frauen oder 82 Prozent der Befragten eine hohe Aussicht auf Asyl oder Schutz unter der Konvention gegen Folter. Die UNHCR-Studie basiert auf Interviews mit 160 Frauen, die angaben, 31 Ebenda, S. 93f. 32 The Economist (3. February 2016). The world’s most violent cities 2015. Abrufbar unter: http://www.economist .com/blogs/graphicdetail/2016/02/daily-chart-3?zid=317&ah=8a47fc455a44945580198768fad0fa41, (letzter Zugriff: 20. April 2016). Insight Crime (9. January 2015). El Salvador homicide skyrocket after gang truce unravels. Abrufbar unter: http://www.insightcrime.org/news-analysis/el-salvador-homicides-skyrocket-after-gang-truce-unravels, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 33 UNHCR (5. April 2016). Zahl Asylsuchender in Mittelamerika steigt. Abrufbar unter: http://www.unhcr .de/home/artikel/922c74f1c5331de6c285b6375fc17715/zahl-asylsuchender-in-mittelamerika-steigt.html, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 34 UNHCR (2015). Women on the Run. First-handed accounts of refugees fleeing El Salvador, Guatemala, Honduras , and Mexiko. Abrufbar unter: http://www.unhcr.org/5630f24c6.html, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 35 Ebenda. S. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 16 regelmäßig extreme Gewalt (Mord, Vergewaltigung, Erpressung) durch bewaffnete Gruppen in ihren Herkunftsländern erlebt zu haben und dies als Motiv ihrer Flucht angaben. Im Zuge der Drogenbekämpfung in Mexiko und Kolumbien wurden wichtige Schmuggelrouten in die USA durchbrochen, wodurch der Isthmus zum wichtigsten Umschlagsplatz für illegales Rauschgift aus Zentralamerika avancierte. Finanzstarke Drogenringe, Gangs (die Maras), Schmuggler und andere kriminelle Gruppierungen bedrohen die Rechtstaatlichkeit in vielen zentralamerikanischen Ländern. Dabei kommt es keineswegs zu Anarchie, sondern einer Studie der Autoren Farah und Meacham zu Regionen im Grenzgebiet zwischen Guatemala und Honduras zufolge etablieren etwa Drogenkartelle neue Regeln in diesen fragmentierten Gesellschaften.36 Formales Recht wird außer Kraft gesetzt und der durch die Zentralregierung vertretene Staat wird zu einer „secondary power“, einem Nebenakteur, im gesamtgesellschaftlichen Machtgefüge. Drogenbosse und Schleuserbanden ersetzen Rechtstaatlichkeit nicht nur, sondern schaffen neue Loyalitäten ihrer Mitbürger ihnen gegenüber durch Sicherung einer Grundversorgung (Ausbau der Elektrizitätsversorgung, Bau eines Fußballfelds, Reparatur von Kirchen). Auf diese Weise delegitimieren sie die aus Wahlen hervorgegangen Regierungskräfte und machen sich Machtvakuen ebenso zunutze wie Korruption und Ämterpatronage. Im Rahmen einer von bewaffneten Auseinandersetzungen und Diktatur geprägten politischen Kultur ist eine gesellschaftliche Tendenz der gewalttätigen Konfliktlösung gerade in den Ländern des nördlichen Dreiecks festzustellen. Diese erschwert auch die Implementierung institutioneller Reformen. Die Folge war ein Anstieg von Korruption bei den ohnehin oft schlecht ausgerüsteten und personell unterbesetzten Sicherheitskräften, in der Justiz und in der Politik.37 Guatemala etwa blickt auf das sicherheitspolitische Erbe und die politische Kultur eines 36 Jahre währenden Bürgerkrieges (1960 bis 1996), bei dem 200.000 Menschen getötet wurden und das eine große Anzahl an Waffen ebenso wie bewaffnete Gruppen hinterlassen hat. In El Salvador haben Kämpfe zwischen der militärgeführten Regierung und linken Guerillagruppen zwischen 1979 und 1992 75.000 Todesopfer gefordert.38 Das Einsperren von Mitgliedern bewaffneter Banden hat die überfüllten Gefängnisse in El Salvador zu „Rekrutierungszentren“ für Banden verwandelt.39 Gegen die grassierende Gewalt selbst wird wenig unternommen. 36 Farah, Douglas and Carl Meacham (September 2015). Alternative Governance in the Northern Triangle and Implications for U.S. Foreign Policy. Eine Studie des Center For Strategic & International Studies. Abrufbar unter : http://csis.org/publication/alternative-governance-northern-triangle-and-implications-us-foreign-policy, (letzter Zugriff: 20. April 2016), S.viff. 37 Kandel, William A., et al. (2014): Unaccompanied Alien Children: Potential Factors Contributing to Recent Immigration . Congressional Research Service. Abrufbar unter: https://fas.org/sgp/crs/homesec/R43628.pdf (letzter Zugriff. 21. März 2016). 38 Council on Foreign Relations (19. Januar 2016). What is causing the violence? CFR Backgrounders. Abrufbar unter: http://www.cfr.org/transnational-crime/central-americas-violent-northern-triangle/p37286 39 Shifter, Michael (April 2012). Countering Criminal Violence in Central America. Abrufbar unter: http://www.cfr.org/americas/countering-criminal-violence-central-america/p27740, (letzter Zugriff: 14. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 17 Wirtschaftliche Stagnation, anhaltende Armut, Ungleichheit und Arbeitslosigkeit definieren das Sozialgefüge in den Ländern des nördlichen Dreiecks. Der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen (ECLAC) zufolge leben ca. 45 Prozent aller Salvadorianer , 55 Prozent der Guatemalteken und 67 Prozent aller Honduraner in Armut.40 Daneben sind die Gesellschaften geprägt von hohen Einkommensunterschieden, der sozialen Ausgrenzung ethnischer Minderheiten und geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Einem Großteil der Bevölkerung wird der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie guter Bildung und Gesundheitsversorgung verwehrt.41 Etliche Naturkatastrophen in den vergangenen 16 Jahren sowie ein infolge der wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten bedingter Wachstumseinbruch im Zuge der globalen Finanzkrise 2008 und der Rezession in den USA verschlimmerten die oben beschriebenen bestehenden Missstände. 3.2.2. Pull-Faktoren Der republikanische Vorsitzende des Rechtsausschusses im U.S. Repräsentantenhaus Bob Goodlatte machte anlässlich einer Anhörung des U.S. Kongresses die „laxe U.S. Einwanderungspolitik “42 für die hohe Zahl gerade unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge verantwortlich. In der Anhörung des Rechtsausschusses des U.S. Repräsentantenhauses mit dem Titel „An Administration Made Disaster: The South Texas Border Surge of Unaccompanied Alien Minors“ bezog sich Goodlatte auf ein vertrauliches Papier, den Rio Grande Valley Sector Intelligence Report vom 28. Mai 2014, demzufolge irreguläre Migranten als Motiv für ihre Migration in 2014 angegeben hätten , dass in den USA ansässige Familienmitglieder sie gedrängt hätten, noch bis Juni 2014 in die USA einzureisen, weil die U.S. Behörden nur bis zu diesem Zeitpunkt „permisos“, also eine Einreiseerlaubnis für Frauen mit Kindern sowie unbegleitete minderjährige Migranten erteilen würden . Befragt worden waren dem Papier zufolge allerdings nur 230 Migranten. Goodlatte bezog sich in seiner Argumentation zudem auf einen internen Bericht des U.S. Department for Homeland Security. Dem zufolge hätten von den 345 an der Grenze verhafteten Familien der U.S. Customs and Border Protection etwa 60 Prozent angegeben, die U.S. Einwanderungsgesetze hätten ihre Entscheidung zur Migration beeinflusst: “The House Judiciary Committee obtained a document from a source that shows the Obama Administration’s lax immigration policies are fueling the crisis at our borders. From July 7, 2015 – September 30, 2015, Customs and Border Protection agents interviewed 345 family units apprehended at the border. Of those interviewed, nearly 70% said that they heard that if they came to the U.S. they would be released and/or receive some sort of immigration relief, 40 U.N. Economic Commission for Latin America and the Caribbean (ECLAC) (2013). Social Panorama of Latin America 2013. Online abrufbar unter: https://fas.org/sgp/crs/homesec/R43628.pdf (letzter Zugriff. 21. März 2016). 41 Azpuru, Dinorah, Hernandez, Violeta (2015). Migration in Zentralamerika – Umfang, Gründe und Lösungsansätze . Konrad Adenauer Stiftung Auslandsinformation. Abrufbar unter: http://www.kas.de/wf/doc/kas_40714- 544-1-30.pdf?150319103257 (letzter Zugriff: 21. März 2016). 42 Goodlatte, Bob (17. Dezember 2016). Ongoing surge is a disaster caused by Administration’s policies. Pressemitteilung . Abrufbar unter: https://judiciary.house.gov/press-release/goodlatte-ongoing-surge-is-a-disaster-causedby -administration-s-policies/, (letzter Zugriff: 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 18 such as asylum. Additionally, nearly 60% said it was the U.S. immigration policies that influenced their decision to come here.”43 Einer 96-seitigen Studie des U.S. Government Accountability Office zufolge sollen weder die Behörden U.S. Immigration and Citizenship Services noch das Executive Office for Immigration Review des Justizministeriums, das für die Einwanderungsgerichte (immigration courts) zuständig ist, regelmäßige Einschätzungen zum Betrugsrisiko bei Asylanträgen abgeben.44 Als weiterer Pull-Faktor wird die Familienzusammenführung von Kindern genannt, deren Angehörige bereits in den USA leben. Nach mehr als drei Jahrzehnten der Migration aus den Ländern des nördlichen Dreiecks in die USA lebt einer von fünf Salvadorianern und einer von fünfzehn Honduranern und Guatemalteken in den USA, was die Vereinigten Staaten zum Hauptzielland für Kinder und Familien macht, die aus ihren Herkunftsländern fliehen. Während die Kinder angrenzender Staaten nach amerikanischem Recht rasch nach Mexiko rückgeführt werden können, ist für Kinder aus nicht-angrenzenden Ländern eine andere Rechtslage vorgesehen. Diese werden von der U.S. Border Patrol in die Obhut des Office of Refugee Resettlement (ORR) gegeben. Die überwiegende Mehrzahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingskinder etwa des nördlichen Dreiecks werden dann vom ORR in die Obhut ihrer in den USA lebenden Eltern, Freunde der Familie oder Verwandte des Kindes gegeben, während die Kinder auf eine Entscheidung durch die Einwanderungsbehörden warten.45 3.2.3. USA Mit 46,6 Mio. Einwanderern im Jahr 2015 leben in den Vereinigten Staaten mehr „foreign born“ als in jedem anderen Land der Welt. Die amerikanische Bevölkerung macht fünf Prozent der Weltbevölkerung aus, 19 Prozent davon sind Migranten. Auch hier ist ein Anstieg der Zahlen zu beobachten: Im Jahre 1990 lebten ca. 23 Mio. Personen in den USA, die nicht dort geboren wurden . 2000 betrug ihre Zahl rund 35 Mio. Personen, 2010 rund 44 Mio. Menschen (und im Jahr 2015 waren es rund 46,6 Mio. Menschen). Auffallend ist, dass während der Jahre 1990 bis 2000 ca. 12 Mio. Menschen in die USA immigriert sind, was einem hohen durchschnittlichen jährlichen Anstieg der Zahlen von 4,1 Prozent entspricht, das Wachstum am Anfang des 21. Jahrhunderts bis ins Jahr 2010 auf durchschnittlich 2,4 Prozent fiel. In den letzten fünf Jahren verzeichnen die Vereinten Nationen (VN) für die USA nur noch ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 1,08 Prozent. Der prozentuale Anteil der Migranten an der amerikanischen Gesamtbevölkerung liegt aktuell bei 14,5 Prozent. 51,1 Prozent aller im Ausland geborenen Personen in den USA im Jahr 2015 waren weiblich. 43 Ebenda. 44 Caldwell, Alicia (3. Dezember 2016). Study finds problems in detecting fraud among asylum seekers. Abrufbar unter: (letzter Zugriff: 25. Februar 2016). 45 Pierce, Sarah (October 2015). Unaccompanied Child Migrants in U.S. Communities, Immigration Court and Schools. Issue Brief des Migration Policy Institute. Abrufbar unter: http://www.migrationpolicy.org/research /unaccompanied-child-migrants-us-communities-immigration-court-and-schools, (13. April 2016), S.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 19 Das U.S. Census Bureau beziffert die Anzahl der Migranten in den Vereinigten Staaten im Jahr 2014 auf 42,4 Mio. Menschen. Dies entspräche einem Anteil von 13,3 Prozent an der gesamten US-amerikanischen Bevölkerung. 1990 wurde der Anteil der „foreign born“ auf 19,8 Mio. Menschen geschätzt, im Jahr 2000 auf 31,1 Mio. und 2010 auf 40 Mio. Personen. Zwischen 2000 und 2014 trugen eingewanderte Personen 30 Prozent zum gesamten Bevölkerungswachstum der USA bei. Fast ein Drittel der aktuellen „foreign born“ Population wanderte seit dem Jahr 2000 in die Vereinigten Staaten ein. Die durchschnittlichen jährlichen Wachstumsraten der Populationswerte des USCB betragen für die Jahre 1990 bis 2000 4,6 Prozent und 2,5 Prozent für das folgende Jahrzehnt. Für die Jahre 2010 bis 2014 ergibt sich ein durchschnittliches Wachstum von 1,5 Prozent im Jahr.46 3.2.4. Mexiko Aktuelle Daten sprechen dafür, dass Mexiko, von Auswanderung und Transmigration nach Nordamerika betroffen, inzwischen für viele Migranten selbst Zielland geworden ist: Im Jahr 2015 haben 3.423 Menschen, vor allem aus El Salvador und Honduras, Asyl in Mexiko beantragt. Das entspricht einem Anstieg von 164 Prozent gegenüber 2013 und einer Erhöhung um 65 Prozent seit 2014.47 Asylanträge von Menschen aus El Salvador sind in diesem Zeitraum um fast das Vierfache gestiegen. Mexiko hat gegenwärtig 3.448 Flüchtlinge aufgenommen, die meisten davon aus Mittelamerika. Nach einem starken Rückgang der Immigranten nach Mexiko bis Mitte der 90er Jahre ist die Anzahl seit dem Jahr 2000 wieder gestiegen. Insbesondere in den Jahren 2005 bis 2010 wuchs die Zahl der Einwanderer in Mexiko jährlich durchschnittlich um sechs Prozent. Lebten 1995 noch rund 460.000 Migranten in Mexiko, waren es 2010 mit 970.000 mehr als doppelt so viele. In den letzten fünf Jahren sank das jährliche Wachstum jedoch wieder auf durchschnittlich 4,15 Prozent . Im Jahr 2015 lebten insgesamt 1,2 Mio. Einwanderer in Mexiko. Dies entspricht ca. 0,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Rund 876.500 Personen und damit die große Mehrheit (ca. 77 Prozent ) der Immigranten in Mexiko kommt aus den Vereinigten Staaten. Hierunter fallen vor allem in den USA geborene Nachkommen von mexikanischen Auswanderern sowie US-amerikanische Rentner. Daneben bilden Migranten und Flüchtlinge aus dem nördlichen Dreieck die zweitgrößte Gruppe unter den Einwanderern. Nach den USA ist Guatemala mit aktuell 53.000 Immigranten das zweithäufigste Herkunftsland im Ausland geborener Personen in Mexiko.48 Die Zahl von Migranten mit Flüchtlingsstatus in Mexiko fiel im Zeitraum 2000 bis 2013 um 90 Prozent . Lebten im Jahr 2000 noch 18.451 Flüchtlinge in Mexiko, waren es 13 Jahre später nur noch 46 U.S. Cenus Bureau (2014). PLACE OF BIRTH FOR THE FOREIGN-BORN POPULATION IN THE UNITED STATES. Abrufbar unter: http://factfinder.census.gov/faces/tableservices/jsf/pages/productview .xhtml?pid=ACS_11_1YR_B05006&prodType=table (letzter Zugriff: 25. Februar 2016). 47 UNHCR (5. April 2016). Zahl Asylsuchender in Mittelamerika steigt. Abrufbar unter: http://www.unhcr .de/home/artikel/922c74f1c5331de6c285b6375fc17715/zahl-asylsuchender-in-mittelamerika-steigt.html, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 48 Während des Bürgerkrieges suchten ungefähr 80.000 Guatemalteken Zuflucht in Mexiko. Rund drei Viertel kehrten nach dem Friedensabkommen 1996 nach Guatemala zurück. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 20 rund 1.800. 2013 stammten die meisten Flüchtlinge in Mexiko aus El Salvador (418), Guatemala (324), Honduras (288) und Kolumbien (255). Bei der Anzahl von Flüchtlingen aus Mexiko ist ein gegensätzlicher Trend zu beobachten. Stammten im Jahr 2000 rund 1.300 internationale Flüchtlinge aus Mexiko waren es im Jahre 2013 ca. 9.400. Mehr als Zweidrittel von ihnen suchte Schutz in Kanada (ca. 6.500), die anderen in den USA (rund 2.800).49 Der Anteil der Migrantinnen in Mexiko beträgt 49,3 Prozent. 3.3. Irreguläre Migranten in den USA Daten zu der Anzahl irregulärer Migranten in den USA unterscheiden sich dahingehend, dass insbesondere staatliche Quellen wie das U.S. Homeland Department, aber auch unabhängige Meinungsforschungsinstitute (Pew Research Center) in ihre Schätzungen Personen mit Temporary Protection Status (TPS) einrechnen, während Forschungsinstitute wie etwa das Migration Policy Institute, dies nicht tun.50 Im Jahre 2016 gewährten die USA bislang mehr als 300.000 Ausländern aus 13 Ländern den TPS.51 Dabei handelt es sich um die Länder El Salvador, Guinea, Haiti, Honduras, Liberia, Nepal, Nicaragua, Sierra Leone, Somalia, der Sudan, Südsudan, Syrien und den Jemen. Das Pew Research Center kalkuliert die Anzahl „unautorisierter Migranten“ in den USA für das Jahr 2014 auf 11,3 Mio. Personen (darunter auch Personen mit TPS). Das entspricht 3,5 Prozent der amerikanischen Bevölkerung und etwa einem Viertel der gesamten „foreign born population “. Von 1990 bis 2007 verdreifachte sich die Zahl irregulärer Migranten von 3,5 Mio. Menschen auf einen Höchstwert von ca. 12,2 Mio. Personen. Im Durchschnitt macht das also rund 500.000 irreguläre Migranten mehr pro Jahr aus. Danach reduzierten sich die Zahlen auf geschätzte 350.000 neue unautorisierte Migranten pro Jahr ab. Seit dem Jahr 2009 beläuft sich die Anzahl irregulärer Einwanderer relativ stabil auf etwa 11,3 Mio. Menschen.52 Die Mehrheit (56 Prozent) der unautorisierten Migranten stammt aus Mexiko (Stand: 2013). Weitere 15 Prozent stammen aus Zentralamerika, hauptsächlich aus den Ländern des nördlichen Dreiecks. Einen 49 Fundacion BBVA Bancomer, A.C. (2015). Anuario de migracion y remesas. Abrufbar unter: https://www.bbvaresearch .com/wp-content/uploads/2015/06/1506_Mexico_AnuarioMigracion2.pdf (letzter Zugriff: 21. März 2016). 50 Der TPS bezieht sich nach Sektion 244 1/ [8 U.S.C. 1245] des INA auf Personen, die sich nicht auf den Flüchtlings -Status beziehen können, aber aufgrund von bewaffneten Konflikten, Naturkatastrophen, oder anderen außergewöhnlichen temporären Umständen nicht in der Lage sind in ihr Heimatland zurückzukehren bzw. rückgeführt zu werden. Dieser Status kann zwischen sechs und 18 Monaten befristet werden. Bei unveränderten Umständen in den Heimatländern besteht aber auch die Möglichkeit einer Verlängerung dieses temporären Aufenthalts – und Arbeitsrechtes. Personen, die den TPS innehaben, haben nicht die gleiche Möglichkeit den Immigrations -Prozess hin zu einem legal permanent Status zu durchlaufen wie Immigranten, Flüchtlinge und Asylbewerber. In Deutschland sind diese in etwa vergleichbar mit den sogenannten „De-Facto-Flüchtlingen“. 51 Argueta, Carla N., Wasem, Ruth Ellen (2016). Temporary Protected Status: Current Immigration Policy and Issues . Congressional Research Service. Abrufbar unter: https://www.fas.org/sgp/crs/homesec/RS20844.pdf (letzter Zugriff: 7. März 2016). 52 Pew Research Center (2015). Unauthorized immigrant population stable for half a decade. Abrufbar unter: http://www.pewresearch.org/fact-tank/2015/07/22/unauthorized-immigrant-population-stable-for-half-a-decade / (letzter Zugriff: 2. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 21 wesentlichen Anteil machen auch Migranten aus Asien (14 Prozent) aus. Weitere Herkunftsregionen der irregulären Einwanderer sind Südamerika (sechs Prozent), Europa, Kanada und Ozeanien (zusammen vier Prozent), Afrika (drei Prozent) und die Karibik (zwei Prozent).53 Fast 90 Prozent von ihnen leben schon länger als fünf Jahre in den USA, 60 Prozent schon mehr als zehn Jahre. Zudem entsprechen 8,1 Mio. irreguläre Migranten, die arbeiten oder auf der Suche nach Arbeit sind, etwa 5,1 Prozent der Erwerbsbevölkerung in den USA.54 Mexikaner stellen seit 1995 bis zur Gegenwart die größte Gruppe irregulärer Migranten in die USA dar.55 Die Anzahl von „unautorisierten“ Mexikanern - 1995 waren es 2,9 Mio. Menschen - hatte ihren Höhepunkt 2007 mit ca. 6.9 Mio. Personen, fiel wieder leicht auf 6.4 Mio. im Jahr 2009 und ist seitdem weiterhin rückläufig. Schätzungen für 2014 gehen von 5,6 Mio. irregulärer Einwanderer mexikanischer Herkunft in den USA aus.56 Die seit 2009 statistisch unveränderte Gesamtzahl von Personen, die sich irregulär in den USA aufhalten, ist demzufolge auf stabile bzw. steigende irreguläre Migration aus anderen Herkunftsländern zurückzuführen. Es ist ein leichtes Wachstum von unautorisierten Einwanderern aus Zentralamerika, der Karibik und Asien zu beobachten.57 Nach Daten des Pew Research Center und den jährlichen Schätzungen des DHS lebten 2008 geschätzt 530.000 Salvadorianer irregulär in den USA. 2012 belief sich ihr Anzahl auf ca. 675.000 Personen, gleichbedeutend mit ungefähr 6,2 Prozent der gesamten Population irregulärer Einwanderer und einem durchschnittlichen jährlichen Anstieg von 6,2 Prozent.58 59 Da El Salvador infolge eines Erdbebens seit 13. Februar 2001 53 Rosenblum, Marc R., Ruiz Soto, Ariel G. (2015). An Analysis of Unauthorized Immigrants in the United States by Country and Region of Birth. Migration Policy Institute. Abrufbar unter: http://www.migrationpolicy.org/sites /default/files/publications/Unauth-COB-Report-FINALWEB.pdf (letzter Zugriff: 2. März 2016). 54 Von Petersdorff, Winand (2015). Die Wahrheit über Amerikas illegale Immigranten. Frankfurter Allgemeine Zeitung . Abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/die-wahrheit-ueber-amerikas-illegale -immigranten-13765737.html (letzter Zugriff: 7. März 2016). 55 Pew Research Center (2014). Unauthorized Immigrants Totals Rise in 7 States, Falls in 14. Abrufbar unter: http://www.pewhispanic.org/2014/11/18/chapter-2-birthplaces-of-u-s-unauthorized-immigrants/ (letzter Zugriff : 3. März 2016). 56 Pew Research Center (2014). What we know about illegal immigration from Mexico. Abrufbar unter: http://www.pewresearch.org/fact-tank/2015/11/20/what-we-know-about-illegal-immigration-from-mexico/ (letzter Zugriff: 3. März 2016). 57 Pew Research Center (2014). Unauthorized Immigrants Totals Rise in 7 States, Falls in 14. Abrufbar unter: http://www.pewhispanic.org/2014/11/18/chapter-2-birthplaces-of-u-s-unauthorized-immigrants/ (letzter Zugriff : 3. März 2016). 58 Ebenda. 59 Baker, Bryan, Rytina, Nancy (2013). Estimates of the Unauthorized Immigrant Population Residing in the United States: January 2012. U.S. Department of Homeland Security - Office of Immigration Statistics. Abrufbar unter: https://www.dhs.gov/sites/default/files/publications/ois_ill_pe_2012_2.pdf (letzter Zugriff: 3 März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 22 zu den Ländern gehört, dessen Bevölkerung einen TPS erhalten kann, werden in diese Schätzungen auch ca. 204.000 Salvadorianer mit temporären Schutzstatus mitgezählt.60 Die Zahl der in den USA lebenden gebürtigen Salvadorianer insgesamt belief sich 2012 auf 1,27 Mio. Menschen .61 Guatemalteken sind die drittgrößte Gruppe irregulärer Migranten mit ca. 525.000 Personen im Jahr 2012. Ihre Zahl war von 480.000 Guatemalteken angestiegen, die sich 2008 irregulär in den USA aufhielten. Das machte mehr als die Hälfte der 858.000 gebürtigen Guatemalteken aus, die sich - regulär wie irregulär - in den USA aufhielten. Ihr Anteil an der Gesamtzahl irregulärer Einwanderer in den USA 2012 belief sich auf 4,7 Prozent. Zahlen des DHS und der U.S. Border Patrol (USBP) bestätigen diese Trends. Im Zeitraum 2008 bis 2012 wuchs die Zahl von unautorisierten Honduranern von 320.000 auf ca. 350.000 Personen. Dies entspricht einem Anteil von 3,1 Prozent an allen irregulären Migranten und einem jährlichen Anstieg von durchschnittlich 2,3 Prozent. Hurrikan Mitch hatte 1998 vor allem die Länder Honduras und Nicaragua stark getroffen, dem die USA mit Gewährung des TPS für Flüchtlinge der Naturkatastrophe Rechnung trugen. In diese Schätzungen fallen auch ca. 61.000 Honduraner mit temporärem Schutz. Während im Jahr 2008 von ca. 1 Mio. ausländischen Personen, die insgesamt vom DHS und seinen Unterbehörden in Verwahrung genommen wurden, 84 Prozent aus Mexiko, 2,6 Prozent aus El Salvador und jeweils 3,2 Prozent aus Guatemala und Honduras stammten, beliefen sich die prozentualen Anteile im Jahr 2013 wie folgt: Von 663.000 aufgegriffenen Personen, stammten noch 64 Prozent aus Mexiko, 7,7 Prozent aus El Salvador, 11 Prozent aus Guatemala und 9,7 Prozent aus Honduras.62 Weiterhin wurden 2014 bei einem Gesamtanstieg der Inhaftierungen um 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zum ersten Mal mehr unautorisierte Nicht-Mexikaner als Mexikaner an den Grenzen der USA von der U.S. Border Patrol aufgegriffen: Von 468.651 verhafteten Personen, stammten 257.473 nicht aus Mexiko.63 64 60 Argueta, Carla N., Wasem, Ruth Ellen (2016). Temporary Protected Status: Current Immigration Policy and Issues . Congressional Research Service. Abrufbar unter: https://www.fas.org/sgp/crs/homesec/RS20844.pdf (letzter Zugriff: 4. März 2016). 61 United States Census Bureau (2012). American Fact Finder. Abrufbar unter: http://factfinder.census .gov/faces/tableservices/jsf/pages/productview.xhtml?pid=ACS_11_1YR_B05006&prodType=table, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 62 U.S. Homeland Security – Office of Immigration Statistics (2014). 2013 Yearbook of Immigration Statistics. Abrufbar unter: https://www.dhs.gov/sites/default/files/publications/ois_yb_2013_0.pdf (letzter Zugriff: 4. März 2016). 63 United States Border Patrol (2015). Sector Profile – Fiscal Year 2014. Abrufbar unter: https://www.cbp.gov/sites /default/files/documents/USBP%20Stats%20FY2014%20sector%20profile.pdf (letzter Zugriff: 4. März 2016). 64 United States Census Bureau (2012). American Fact Finder. Abrufbar unter: http://factfinder.census .gov/faces/tableservices/jsf/pages/productview.xhtml?pid=ACS_11_1YR_B05006&prodType=table, (letzter Zugriff: 20. April 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 23 Abbildung 5: Irreguläre Migranten in den USA 1990 bis 2013. Eigene Abbildung nach: Passel, Jeffrey S., Cohn, D´Vera (2015): Unauthorized immigrant population stable for half a decade. Pew Research Center. Abrufbar unter: http://www.pewresearch.org/fact-tank/2015/07/22/unauthorized-immigrant-population-stable-for-half-a-decade/, (letzter Zugriff: 4. März 2016). 3.4. Unbegleitete Minderjährige des nördlichen Dreiecks Die Vereinigten Staaten sind seit 2009 mit einer wachsenden Anzahl von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (Unaccompanied Alien Children, UAC)65 aus Zentralamerika konfrontiert, die versuchen über die Südwestgrenze in die USA zu gelangen. Insbesondere im Sommer 2014 erreichten diese Zahlen ein kritisches Ausmaß. Das Migration Policy Institute spricht von 102.000 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus Zentralamerika und Mexiko, die im Jahr 2014 an der Grenze zu den USA festgenommen wurden.66 Die U.S. Customs and Border Protection gehen für den Zeitraum Januar bis August 2014 von 68.541 unbegleiteten minderjährigen 65 Aus dem Englischen: unaccompanied alien children (UAC). Unbegleitete sind nach 6 U.S.C. §279(g)(2) Kinder jünger als 18 Jahre, die ohne rechtlichen Immigrations-Status und ohne Begleitung eines Elternteils oder Vormundes bzw. ohne Elternteil oder Vormund, der in der Lage ist Verantwortung und Sorgerecht auszuüben, in die USA einreisen. 66 Pierce, Sarah (October 2015). Unaccompanied Child Migrants in U.S. Communities, Immigration Court and Schools. Issue Brief des Migration Policy Institute. Abrufbar unter: http://www.migrationpolicy.org/research /unaccompanied-child-migrants-us-communities-immigration-court-and-schools, (13. April 2016). 3,5 5,7 8,6 9,4 9,7 10,1 10,7 11,1 11,6 12,2 11,7 11,3 11,4 11,5 11,2 11,3 11,3 0 2 4 6 8 10 12 14 1990 1995 2000 2005 2007 2010 2014 Irreguläre/unautorisierte Migranten in den USA (in Millionen) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 24 Migrantenkindern aus.67 Die Mehrzahl der Kinder (76.000) stammte aus den Ländern des nördlichen Dreiecks. Von einem „Massenexodus“ ist die Rede, für den die desolate Sicherheitssituation in den Herkunftsstaaten verantwortlich gemacht wird.68 Das Jahr 2014 wird als „Krisenjahr“ der Administration Obama bei der Bewältigung des dramatischen Anstiegs („surge“) der Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus den Staaten des nördlichen Dreiecks beschrieben. In der Folge sei kein anderes Thema so strittig gewesen und habe so viel Aufmerksamkeit erzeugt, wie die Flüchtlingskrise rund um UAC.69 Hat sich doch ihre Zahl im letzten Jahrzehnt verzehnfacht.70 Im Winter 2014 fiel die Zahl der Kinder und Familien aus dem nördlichen Dreieck, die an der U.S.-mexikanischen Grenze aufgegriffen wurden. Waren es 2011 über 16.000 unbegleitete Minderjährige des nördlichen Dreiecks, wurden im Jahr 2012 rund 24.500 Migrantenkinder von der U.S. Border Patrol aufgegriffen. Ihre Zahl stieg 2013 auf rund 38.800 unbegleitete minderjährige Kinder. In den ersten acht Monaten des Fiskaljahres 2015 sank die Zahl auf fast 23.000; dies entspricht 49 Prozent weniger Aufgriffen als im selben Zeitraum des Vorjahres.71 Fast alle minderjährigen Migranten stammten aus El Salvador, Guatemala, Honduras und Mexiko. Das Durchschnittsalter lag zwischen 14 und 17 Jahren, sie waren mehrheitlich männlich. Die UAC-Bewegungen 72 aus Mexiko stiegen erstmals 2009 merklich. Im Gegensatz dazu stiegen die Zahlen unbegleiteter Minderjähriger aus den drei zentralamerikanischen Ländern im Jahr 2014 erheblich. Von 67 U.S. Customs and Border Protection (2014). United States Border Patrol Southwest Family Unit Subject and Unaccompanied Alien Children Apprehensions Fiscal Year 2016. Abrufbar unter: http://www.cbp.gov/newsroom /stats/southwest-border-unaccompanied-children/fy-2016, (letzter Zugriff: 13. April 2016). Kandel, William A., et al. (2014): Unaccompanied Alien Children: Potential Factors Contributing to Recent Immigration . Congressional Research Service. Abrufbar unter: https://fas.org/sgp/crs/homesec/R43628.pdf (letzter Zugriff. 21. März 2016). National Conference of State Legislatures (28. October 2016). Child Migrants to the United States. Abrufbar unter : http://www.ncsl.org/research/immigration/child-migrants-to-the-united-states.aspx, (letzter Zugriff: 21. März 2016). 68 Farah, Douglas and Carl Meacham (September 2015). Alternative Governance in the Northern Triangle and Implications for U.S. Foreign Policy. Eine Studie des Center For Strategic & International Studies. Abrufbar unter : http://csis.org/publication/alternative-governance-northern-triangle-and-implications-us-foreign-policy, (letzter Zugriff: 20. April 2016). 69 Chishi, Muzaffar; Hipsman, Faye (2015). The Child and Family Migration Surge of Summer 2014: A Short- Lived Crisis with a Lasting Impact. In: Journal of International Affairs, Vol. 68, 2, S. 95-114. 70 Center for Gender & Refugee Studies UC Hastings et al. (Febrero 2015). Ninez y migración en Centro y Norte América: causas, políticas, prácticas y desafíos. Abrufbar unter: http://cgrs.uchastings.edu/ourwork /nin%CC%83ez-migraci%C3%B3n-y-derechos-humanos, (letzter Zugriff: 13. April 2016). 71 Kandel, William A., et al. (2014): Unaccompanied Alien Children: Potential Factors Contributing to Recent Immigration . Congressional Research Service. Abrufbar unter: https://fas.org/sgp/crs/homesec/R43628.pdf (letzter Zugriff. 21. März 2016). 72 Unbegleitete Minderjährige (UAC, unaccompanied alien children) sind nach 6 U.S.C. §279(g)(2) Kinder jünger als 18 Jahre, die ohne rechtlichen Immigrations-Status und ohne Begleitung eines Elternteils oder Vormund bzw. ohne Elternteil oder Vormund der in der Lage ist Verantwortung und Sorgerecht auszuüben, in die USA einreisen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 25 insgesamt 19.688 von der U.S. Border Patrol aufgegriffenen UACs 2009 stammten 82 Prozent aus Mexiko und 17 Prozent aus den drei Ländern des nördlichen Dreiecks. Im Fiskaljahr 2014 waren nur noch 23 Prozent aller unbegleiteter Minderjähriger Mexikaner und 77 Prozent aus El Salvador , Guatemala und Honduras.73 Abbildung 6: Von der Border Patrol aufgegriffene unbegleitete minderjährige Migranten FJ 2008 bis 2015. Quelle: Kandel , William A., Seghetti, Lisa (2015): Unaccompanied Alien Children: An Overview. Congressional Research Service. Abrufbar unter: https://fas.org/sgp/crs/homesec/R43599.pdf, (letzter Zugriff: 10. März 2016). Die Push- und Pull-Faktoren für diese, nach den Worten des U.S. Präsidenten Obama „humanitäre Krise“74, sind vielschichtig. Allerdings werden in den Quellen die Push-Faktoren gegenüber den Pull-Faktoren deutlich stärker herausgestellt, also der Druck in den Herkunftsländern gegenüber den in den Zielländern vorhandenen Anreizen für Migration. So stehen die Staaten Zentralamerikas tiefgreifenden Entwicklungsproblemen gegenüber (vgl. dazu Kapitel 3.2) Bedrohungen durch kriminelle Banden, strukturelle Schwächen des politischen Systems und der Justiz sowie weit verbreitete Armut, Arbeitslosigkeit und Ungleichheit tragen zu großer Unsicherheit in der Region bei. Aber auch unrealistische Erwartungen von einem Leben in den USA scheinen ein 73 U.S. Customs and Border Protection (2016). United States Border Patrol Southwest Family Unit Subject and Un-accompanied Alien Children Apprehensions Fiscal Year 2016. Abrufbar unter: http://www.cbp.gov/newsroom /stats/southwest-border-unaccompanied-children (letzter Zugriff: 10. März 2016). 74 Barack Obama (30. Juni 2014). Remarks by the President on Border Security and Immigration Reform. Abrufbar unter: https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2014/06/30/remarks-president-border-security-and-immigration -reform, (letzter Aufruf: 16. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 26 Grund für diese Entwicklung zu sein.75 Als wichtigste Push-Faktoren einer seit der Jahrtausendwende bis heute anhaltenden Migration aus den Ländern des nördlichen Dreiecks werden für Kinder Gewalt in Form von sexuellem oder psychischem Missbrauch, erzwungene Bandenmitgliedschaft , sozialer Ausschluss bzw. Marginalisierung und die ersehnte Familienzusammenführung in den Ländern der Immigration genannt. 76 Der UNHCR führte – aufgrund der seit 2009 steigenden Zahlen von an der amerikanisch-mexikanischen Grenze festgenommenen UACs – im Jahr 2011 eine repräsentative Umfrage mit 404 unbegleiteten Minderjährigen aus dem nördlichen Dreieck und Mexiko durch. Die befragten Minderjährigen bestätigten die oben angeführten Fluchtmotive aus der Region des nördlichen Dreiecks . So ergaben die Befragungen, dass 58 Prozent der unbegleiteten Minderjährigen bereits Gewalt ausgesetzt waren und Schaden erlitten hatten. Von Erfahrungen mit Organisierter bewaffneter Kriminalität wie Drogenkartellen, kriminellen Banden und staatlichen Akteuren berichteten 48 Prozent der Kinder. Erfahrungen mit Zwangsrekrutierung durch Banden und kriminelle Machenschaften von Menschenhändlern hatten 38 Prozent der mexikanischen Kinder erlebt und von ihren Erlebnissen mit häuslicher Gewalt sprachen 21 Prozent aller Interviewten.77 Ein Grund etwa für den massiven Anstieg von unbegleiteten Minderjährigen aus Honduras, insbesondere Mädchen und Frauen, war die 246 prozentige Zunahme von Mädchen- und Frauenmorden (sogenannte femicidios) im Zeitraum von 2005 bis 2012. Seit 1998 wurden 9.881 Hondurianer unter 23 Jahren getötet, alleine im Zeitraum Januar bis Oktober 2014 starben 767 hondurianische Kinder und Jugendliche einen gewaltsamen Tod. Tötungen von Kindern und Jugendlichen sind in Honduras inzwischen alltäglich geworden. Zum Zeitpunkt der Studie lebten in Honduras 6.000 Straßenkinder ohne Zugang zu grundlegenden staatlichen Leistungen des Bildungs - oder Gesundheitswesens.78 Die hondurianische Regierung hat progressive Gesetze zum Schutz von Kindern und ihren Rechten erlassen, die allerdings nicht umgesetzt werden. Die für das Kindeswohl zuständige Behörde ist unterfinanziert und verfügt über eine zu schwache Infrastruktur , um angemessen gegen Gewalt und Verstöße gegen Kinderrechte vorzugehen. Zeitgleich hat die Regierung verstärkt Ressourcen für effektiven Grenzschutz durch das Militär Honduras bereitgestellt, um Kinder und Jugendliche an Migration zu hindern. Bis zum 31. Oktober 2014 75 Azpuru, Dinorah, Hernandez, Violeta (2015). Migration in Zentralamerika – Umfang, Gründe und Lösungsansätze . Konrad Adenauer Stiftung Auslandsinformation. Abrufbar unter: http://www.kas.de/wf/doc/kas_40714- 544-1-30.pdf?150319103257 (letzter Zugriff: 21. März 2016). 76 Orozco, Manuel, Yansura, Julia (2014). Understanding Central American Migration, The crisis of Central American Child Migrants in Context. Inter-American Dialogue, Washington D.C., August 2014. 77 U.N. High Commissioner for Refugees (UNHCR) (2013). Children on the Run: Unaccompanied Children Leaving Central America and Mexico and the Need for International Protection. Abrufbar unter: http://www.unhcrwashington .org/sites/default/files/1_UAC_Children%20on%20the%20Run_Full%20Report.pdf (letzter Zugriff. 21. März 2016). 78 Center for Gender & Refugee Studies UC Hastings et al. (Febrero 2015). Ninez y migración en Centro y Norte América: causas, políticas, prácticas y desafíos. Abrufbar unter: http://cgrs.uchastings.edu/ourwork /nin%CC%83ez-migraci%C3%B3n-y-derechos-humanos, (letzter Zugriff: 13. April 2016), S. iii. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 27 wurden 135 Kinder am Verlassen des Landes gehindert, die meisten von ihnen im Alter von 12 bis 17 Jahren.79 In einer umfangreichen, zweijährigen Studie haben der Center for Refugee Studies der amerikanischen UC Hastings Universität zusammen mit Argentiniens Universidad Nacional de Lanus, der UNHCR und Menschenrechtsgruppen der Länder des nördlichen Dreiecks UACs, deren Familien sowie zentrale soziale Akteure und politische Führungskräfte interviewt. Sie untersuchten die Ursachen für Flucht, die Behandlung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge entlang des Migrationskorridors in Zusammenhang mit den staatlichen Programmen der Transitländer und deren Rückführung in die Herkunftsstaaten. Nach Auffassung der Autoren der Studie stellen sich in Zusammenhang mit der Migration dieser Kinder und Heranwachsenden gravierende Menschenrechtsfragen und humanitäre Herausforderungen. Ein zentrales Problem beim Schutz von UACs sei, dass die Politik in den Zielländern der Migration, Mexiko und die USA, auf Eindämmung der Migration und nicht auf die Schutzbedürftigen ausgerichtet sei und diese oft nach ihrer Rückführung in die Herkunftsländer die gleichen Umstände vorfänden, die zu ihrer Migration geführt hätten. Dazu zählen die alltäglichen Erfahrungen mit häuslicher Gewalt. In El Salvador verlassen 7 von 10 Kindern aufgrund häuslicher Gewalt ihr Zuhause, insbesondere Mädchen, die sexuell missbraucht wurden. El Salvador hat die weltweit höchste Rate an Mädchen- und Frauenmorden, dabei werden 25 Prozent der Morde an jungen Frauen unter 19 Jahren verübt.80 In Armut leben 30 Prozent der salvadorianischen Gesellschaft. In Guatemala beträgt der Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung sogar 54 Prozent; 13 Prozent der Bevölkerung leben in extremer Armut. Die CFRS-Studie spricht für Guatemala von „systemischem Rassismus“, sozialem Ausschluss und Diskriminierung gegenüber der indigenen Bevölkerung , die zu geringeren Bildungs- und Beschäftigungschancen und größerer Ungleichheit führten.81 Während einige Kinder und Jugendliche das Land dauerhaft verließen, suchten andere temporär in Südmexiko Arbeit mit der Absicht nach Guatemala zurückzukehren. Die Auswanderung von Kindern und Jugendlichen erfolgt in Guatemala aus den fünf Regionen mit der höchsten Gewaltrate . Zwischen 2003 und 2012 stieg die intrafamiliäre Gewalt um mehr als 500 Prozent, deren Opfer vor allem weiblich waren.82 Sexueller Missbrauch durch Familienmitglieder ist weit verbreitet. Die Anstrengungen der Regierung Guatemalas grundlegende soziale Rechte für Kinder sowie die Integrität und Handlungsfähigkeit öffentlicher Einrichtungen zu gewährleisten, ist 79 Center for Gender & Refugee Studies UC Hastings et al. (Febrero 2015). Ninez y migración en Centro y Norte América: causas, políticas, prácticas y desafíos. Abrufbar unter: http://cgrs.uchastings.edu/ourwork /nin%CC%83ez-migraci%C3%B3n-y-derechos-humanos, (letzter Zugriff: 13. April 2016). S. iv. 80 Ebenda. S. v. 81 Center for Gender & Refugee Studies UC Hastings et al. (Febrero 2015). Ninez y migración en Centro y Norte América: causas, políticas, prácticas y desafíos. Abrufbar unter: http://cgrs.uchastings.edu/ourwork /nin%CC%83ez-migraci%C3%B3n-y-derechos-humanos, (letzter Zugriff: 13. April 2016). S. vii. 82 Ebenda. S. viii. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 28 schwach ausgebildet. Auch hinsichtlich der Wiedereingliederung von ausgewiesenen guatemaltekischen Kindern gibt es auf institutioneller Ebene eine deutliche Diskrepanz zwischen der angestrebten Leistungsfähigkeit und den Ergebnissen der damit befassten Institutionen. Während es seit 1982 unautorisierten Migranten möglich ist das öffentliche amerikanische Schulwesen bis zur High School zu durchlaufen, steht die oft geäußerte Hoffnung auf eine bessere wirtschaftliche Perspektive oder auf Legalisierung in den USA im Konflikt mit dem tatsächlich und rechtlich Möglichen. Ursache für die unrealistischen Erwartungen von minderjährigen Migranten sind ferner irreführende Informationen von Menschenschmugglern in Zentralamerika, die falsche Angaben über den U.S. Trafficking Victims Protection Reauthorization Act (TVPRA) von 2008 sowie über das U.S.-Gesetz Deferred Action for Childhood Arrivals (DACA) von 2012 verbreiteten .83 3.5. Opfer von Gewalt und Todesopfer Die Grenze zwischen Mexiko und den USA wurde seit den 1990er Jahren stark militarisiert, um die Migrationsbewegungen aus Mexiko und Zentralamerika aufzuhalten und zurückzudrängen. Gleichzeitig wurde im Rahmen von Abkommen die Grenzkontrolle auf den Süden Mexikos ausgedehnt . Die Grenze zwischen Mexiko und Guatemala wirkt heute wie ein vorgelagerter Filter, der Migranten ohne Papiere aus Zentralamerika oft bereits an dieser Stelle an ihrer Weiterreise in die USA hindert.84 Der zunehmende Ausbau der Grenzanlagen und die verschärfte Überwachung der Grenzregion führten zum so genannten „funnel effect“. Personen, die irregulär in die Vereinigten Staaten immigrieren wollen, sind gezwungen, abgelegene und gefährliche Wüstenabschnitte zu durchqueren.85 Seit Mitte der 1990er Jahre stiegen die Todesfallzahlen von Migranten stark an, was nach Aussagen von Amnesty International in einem direkten kausalen Zusammenhang mit der verstärkten Grenzkontrolle steht. “Following the implementation of the 1994 Plan, the ratio of migrant deaths compared to the number of migrants apprehended has steadily increased. In 1996, there were fewer than two deaths for every 10,000 migrants apprehended. By 2009 that figure had increased to 7.6 deaths per 10,000 arrests.“ 86 So ertrinken viele Menschen beim Versuch, reißende Flüsse zu durchschwimmen, verdursten bei der Durchquerung von Wüsten, erfrieren in den Bergen von Arizona und Kalifornien, sterben 83 Kandel, William A., et al. (2014). Unaccompanied Alien Children: Potential Factors Contributing to Recent Immigration . Congressional Research Service. Abrufbar unter: https://fas.org/sgp/crs/homesec/R43628.pdf (letzter Zugriff. 21. März 2016). 84 Stoff, Alexander (2008). Migration aus Mexiko und Zentralamerika. OneWorld.at. Abrufbar unter: http://www.oneworld.at/start.asp?ID=225337 (letzter Zugriff: 29. März 2016). 85 Reineke, Robin, Martinez, Daniel E. (2014). Migrant Deaths in the Americas (United States and Mexiko) in “Fatal Journeys – Tracking Lives Lost during Migration”. International Organization for Migration. 86 Amnesty International (2012). USA: In Hostile Terrain: Human rights violations in immigration enforcement in the US Southwest. Abrufbar unter: http://www.amnestyusa.org/research/reports/usa-in-hostile-terrain-humanrights -violations-in-immigration-enforcement-in-the-us-southwest (letzter Zugriff: 29. März 2016) S.20ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 29 durch Autounfälle oder ersticken in LKW-Laderäumen. Einige werden auf ihrem Weg ermordet oder Opfer von kriminellen Banden. Eine geringe Zahl stirbt auch durch den Schusswaffengebrauch der Grenzwachen. Die große Mehrheit der Migranten, die auf der amerikanischen Seite der Grenze starben, erlag einem Hitzeschlag oder Dehydrierung in den Wüsten des Südwestens.87 Abbildung 7: Geschätzte Todesfälle von Migranten an der amerikanisch-mexikanischen Grenze 1985 – 2015. Quellen: Eschbach, K. et al. (2003): Deaths during undocumented migration: Trends and policy implications in the new era of homeland security. (CIR). Jimenez, M. (2009): Humanitarian Crisis. Migrant deaths at the U.S.-Mexiko Border. (ACLU). United States Border Patrol (2015): Southwest Border Sector Deaths FY1998 - FY2015. (USBP). Die tatsächliche Anzahl an Todesfällen von Migranten auf dem Weg nach Nordamerika unbekannt . Weder Schätzungen noch Zählungen von amerikanischen wie von mexikanischen Behörden sind vollständig, da nur die Opfer gezählt werden, von denen tatsächlich auch sterbliche Überreste gefunden werden. Die U.S. Border Patrol (USBP) zeichnet seit 1998 Todesfälle an der mexikanisch-amerikanischen Grenze auf. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass die Daten der USBP unvollständig sind und keine genauen Informationen zur Methodologie der Datenerhebung existieren, lassen sich hieraus Trends ablesen. Daten zu Todesfällen vor 1998 stammen von dem Center for Immigration Research (CIR) der University of Houston. Das CIR trug zwischen 1985 und 2000 Zahlen zu Todesfällen unautorisierter Migranten von lokalen Strafbehörden und Gerichts- sowie Rechtsmedizinern entlang der Grenze für die U.S.-Bundesstaaten Kalifornien, Arizona, New Mexiko und Texas zusammen. Da die meisten Quellen keine Informationen von der mexikanischen Seite der Grenze enthalten, unterschätzen sie sehr wahrscheinlich die Gesamtanzahl von Migranten, die auf dem Weg in die USA zu Tode kommen. Dagegen nimmt eine Studie der American Civil Liberties Union of San Diego (ACLU) in ihre Schätzung für die Jahre 87 Martinez, D.E., Reinecke R., Rubio-Goldsmith, R., Parks, Bruce A. (2014). Structural Violence and migrant deaths in southern Arizona: Data from the Pima County Office of the Medical Examiner, 1990-2013. Journal on Migration and Human Security, 2(4). 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 19 85 19 86 19 87 19 88 19 89 19 90 19 91 19 92 19 93 19 94 19 95 19 96 19 97 19 98 19 99 20 00 20 01 20 02 20 03 20 04 20 05 20 06 20 07 20 08 20 09 20 10 20 11 20 12 20 13 20 14 20 15 Geschätzte Todesfälle von Migranten an der amerikanischmexikanischen Grenze 1985 bis 2015 USBP CIR ACLU Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 30 1994 bis 2008 Daten vom mexikanischen Secretaria de Relaciones Exteriores (Sekretariat für Außenbeziehungen ), so wie mexikanische Medienberichte über Todesfälle von Migranten auf. Der U.S. Border Patrol zufolge wurden zwischen 1998 und 2015 insgesamt 6.571 tote Flüchtlinge und Migranten auf U.S.-Seite der Grenze zu Mexiko aufgefunden. 88 Wurden 1999 noch 249 Todesopfer gezählt, waren es 2005 mit 492 Todesopfern bereits fast doppelt so viele. In den Jahren 2005 bis 2009 kamen im Durchschnitt jedes Jahr 430 Migranten um. 2010 und 2011 gingen die Opferzahlen auf jährlich durchschnittlich 370 Tote zurück, um in den folgenden zwei Jahren wieder auf im Schnitt 458 Todesopfer zu steigen. 2014 wurden 308 Tote von der USBP gezählt, und 240 Todesopfer im Folgejahr. In den Jahren 2000 bis 2014 starben demnach jedes Jahr mindestens 300 Migranten bei dem Versuch, die Grenze zu den USA zu überqueren. Die CIR-Daten89 zeigen, dass auch in den späten 1980er Jahren jedes Jahr bereits über 300 Migranten starben. Das verlustreichste Jahr in diesem Jahrzehnt war 1988, mit 355 aufgefundenen Toten. Die Zahlen gingen anschließend auf je 180 tote Migranten in den Jahren 1993 und 1994 zurück, um danach wieder auf 370 Todesopfer im Jahr 2000 zu anzusteigen. Der Center for Immigration Research aus Houston schätzt, dass in dem Zeitraum 1985 bis 2000 mehr als 4.200 Immigranten starben, fast 3.300 Todesfälle davon vor 1998. Die Forscher der ACLU90 kommen zu dem Ergebnis, dass die bekannten Todeszahlen an der Grenze von ca. 80 pro Jahr von 1993 bis 1996 auf 496 pro Jahr in der Dekade 1997 bis 2007 angestiegen sind. Die Zahlen des USBP und des CIR liefern auch Daten zu den einzelnen Grenzsektoren. Während in den 1990 Jahren in Kalifornien und Texas die Opferzahlen von Migranten um einiges höher waren als in Arizona, verschoben sich mit der Befestigung der Grenze durch „Operation Gatekeeper“ in Kalifornien und „Operation Hold the Line“ in Texas die Migrationsströme nach Arizona. Ein starker Anstieg der Todesopferzahlen in Arizona sowie an der gesamten Grenze war die Folge. In Texas sank die Zahl ums Leben gekommener Migranten zwischen 2006 und 2010, um seit 2011 wieder stark anzusteigen, während sie in Kalifornien so niedrig ist wie noch nie. Migranten und Transmigranten in Mexiko sind oftmals direkter Gewalt ausgesetzt. Ihr Status als „undokumentierte Migranten“ macht sie dabei besonders verletzbar. Die meisten zentralamerikanischen Einwanderer kommen über die unbefestigte südliche Grenze Guatemalas nach Mexiko. Der weitere Weg wird größtenteils auf (den Dächern von) Güterzügen zurückgelegt, deren Strecken von der südlichen Grenze zu Belize und Guatemala zur nördlichen Grenze zu den USA führen. Diese Züge werden von den Menschen „la bestia“ (die Bestie) oder „tren de la muerte“ (Todeszug) genannt, da die Bahnlinien zunehmend von Drogenkartellen und Jugendgangs beherrscht werden, die Migranten und Flüchtlinge entführen, foltern und/oder ermorden. 88 United States Border Patrol (2015). Southwest Border Sector Deaths FY1998 - FY2015. Abrufbar unter: http://www.cbp.gov/sites/default/files/documents/BP%20Southwest%20Border%20Sector %20Deaths%20FY1998%20-%20FY2015.pdf, (letzter Zugriff: 30. März 2016). 89 Eschbach, K. Hagan, J., Rodriguez, N. (2003). Deaths During Undocumented Migration: Trends and Policy Impli -cations in the New Era of Homeland security. In Defense of the Alien Vol. 26 (2003), S. 37-52. 90 Jimenez, Maria (2009). Humanitarian Crisis: Migrant Deaths at the U.S. – Mexico Border. ACLU of San Diego & Imperial Counties. Abrufbar unter: https://www.aclu.org/sites/default/files/field_document/humanitariancrisisreport .pdf, (letzter Zugriff: 30. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 31 Dies geschieht häufig in Zusammenarbeit mit den oder unter Duldung der lokalen Behörden.91 Menschenschmuggel ist in den letzten Jahren zu einer äußerst lukrativen und weniger riskanten Einnahmequelle geworden als der Drogenhandel. Laut Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung über die “Globalisierung des Verbrechens” sind transnationale kriminelle Vereinigungen wie die Zetas und das Golf-Kartell oder Jugendbanden wie La Línea und die Maras stark in den Migrantenschmuggel involviert.92 Schmuggler („coyotes“) zahlen Gebühren an diese kriminellen Gruppen (und oft auch an mexikanische Beamte) die die Migrationsrouten beherrschen. Insbesondere für Menschen, die keine 6.000 bis 7.000 US-Dollar an die „coyotes“ zahlen können, besteht ein hohes Risiko, Opfer direkter Gewalt zu werden. Die Mara Salvatrucha (MS-13), die ganze Streckenabschnitte beherrscht, ist dafür bekannt, Migranten , die diese Gebühren nicht bezahlen können, von den Zugdächern zu werfen. Aufgrund fehlender Informationen und Zählungen ist es nicht möglich die Anzahl der in Mexiko ums Leben gekommenen Migranten exakt zu beziffern. Seit 2006 sind in Mexiko aber schätzungsweise mehr als 100.000 zentralamerikanische, aber auch mexikanische Migranten verschwunden. Diese werden von kriminellen Banden, häufig in Zusammenarbeit mit mexikanischen Staatsbeamten, systematisch entführt und erpresst.93 Die nationale Migrationsbehörde INM musste seit 2007 etwa 350 Beamte – fast 15 Prozent ihres Personals – wegen mutmaßlicher Verbindungen zum Organisierten Verbrechen und anderer Delikte wie Menschenhandel entlassen. Angehörige und Familien , aber auch Anwälte der Opfer gehen ein großes Risiko ein, wenn sie Verbrechen anzeigen oder verfolgen. Häufig zögern die mexikanischen Behörden auf Anzeigen von Opfern hin, eine Untersuchung einzuleiten.94 Auch wenn es keine allgemeinen Schätzungen gibt, rückten einige Funde von Massengräbern in den letzten Jahren die gravierenden Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen und Migranten in das öffentliche Interesse. Beispielsweise wurde die Ermordung von 72 Menschen in San Fernando, Tamaulipas, Ende August 2010 dem Drogenkartell Los Zetas zugeschrieben. Die 58 Männer und 14 Frauen kamen zum größten Teil aus Zentral- und Südamerika. 2011 wurden ebenfalls in San Fernando in einem Massengrab die Leichen von 193 Personen gefunden, auch hier handelte es sich größtenteils um Flüchtlinge und Migranten. Die mexikanische Menschenrechtskommission, Comisión Nacional de los Derechos Humanos (CNDH), schätzte durch Befragungen und Ortsbegehungen die Anzahl an Migranten, die auf ihrem Weg durch Mexiko Opfer von Entführungen wurden für den Zeitraum September 2008 bis 91 Dresel, Jennifer (5. Dezember 2011). Gefährliche Reise: Migration durch das Transitland Mexiko. Eine Veröffentlichung der Heinrich-Böll-Stiftung. Abrufbar unter: https://www.boell.de/de/navigation/lateinamerika-mexiko -transit-migration-13574.html, (letzter Zugriff: 17. Februar 2016). 92 United Nations Office on Drugs and Crime (2010). The Globalization of Crime. A Transnational Organized Crime Threat Assessment. Abrufbar unter: http://www.unodc.org/documents/data-and-analysis /tocta/TOCTA_Report_2010_low_res.pdf (letzter Zugriff: 29. März 2016). 93 Dresel, Jennifer (5. Dezember 2011). Gefährliche Reise: Migration durch das Transitland Mexiko. Eine Veröffentlichung der Heinrich-Böll-Stiftung. Abrufbar unter: https://www.boell.de/de/navigation/lateinamerika-mexiko -transit-migration-13574.html, (letzter Zugriff: 17. Februar 2016). 94 Human Rights Watch (2013). Mexico’s Disappeared: The Enduring Cost of a Crisis Ignored. Human Rights Watch, New York. Abrufbar unter: https://www.hrw.org/report/2013/02/20/mexicos-disappeared/enduringcost -crisis-ignored, (letzter Zugriff: 29. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 32 Februar 2009 auf 9.758 Opfer in Mexiko. 95 55 Prozent der Personen wurden im Süden des Landes Opfer von Entführungen, 12 Prozent der Migranten wurden im Norden Mexikos entführt, ein Prozent in der Landesmitte und für 32 Prozent der Entführungsfälle konnte die Region nicht ermittelt werden. In 552 Fällen konnte die Herkunft der Opfer ermittelt werden: Demnach stammten 327 Personen aus Honduras, 101 Migranten aus El Salvador, 74 Menschen aus Guatemala und 5 Personen aus Nicaragua. Die CNDH schätzt die Anzahl der Gruppenentführungen zwischen April und September 2010 auf 214 Fälle, bei denen 11.333 Migranten verschleppt wurden. An geschätzten 8,9 Prozent der Fälle waren mexikanische Beamte beteiligt. Mehr als 44 Prozent der Opfer kamen aus Honduras, 16,2 Prozent aus El Salvador, 11,2 aus Guatemala, 10,6 Prozent stammten aus Mexiko, fünf Prozent aus Kuba, 4,4 Prozent aus Nicaragua, 1,6 Prozent aus Kolumbien und 0,5 Prozent aus Ecuador. Nach Amnesty International werden die Opfer in der Regel gezwungen für die kriminellen Banden zu arbeiten oder ihnen die Kontaktdaten ihrer Verwandten in Zentralamerika oder den USA zu geben, um von diesen Lösegeld zu fordern. Diejenigen, die sich weigern oder deren Lösegeld nicht rechtzeitig gezahlt wird, werden gefoltert oder getötet. Genaue Angaben zu freigelassenen oder getöteten Entführungsopfern liefert keine der Studien. Nach Auffassung von Amnesty International ist Mexiko aufgrund von Bandenkriminalität zu einer „Todesfalle“ für Migranten geworden , da auch die mexikanischen Behörden mehr damit befasst seien, irreguläre Migranten zu deportieren als zu schützen.96 Etwa 25 Prozent der Migranten und Migrantinnen, die Mexiko durchqueren, sind Frauen. Während auf den Güterzügen hauptsächlich Migranten mitfahren, wählen Migrantinnen eher den Weg über Schlepper und nutzen Überlandbusse oder Lastwagen. Schätzungsweise 65 Prozent der Migrantinnen bezahlen einen „coyote“, um durch Mexiko in die USA zu gelangen. Zusätzlich zu dem Risiko, beraubt, entführt und erpresst zu werden, besteht für die Frauen ständig die Gefahr, Opfer von Vergewaltigung oder Zwangsprostitution zu werden. Vor allem Frauen, die alleine unterwegs sind, sehen sich sexuellen Übergriffen durch Mitglieder krimineller Banden, oder durch andere Migranten ausgesetzt. Nach der ehemalige VN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte von Migranten, Gabriela Rodríguez, berichten Frauen in den letzten zehn Jahren zudem von Vergewaltigungen durch Angestellte der Migrationsbehörde, Polizisten oder Angehörige der Sicherheitsdienste der Züge als Gegenleistung dafür, dass diese sie nicht deportieren. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass durchschnittlich zwei Drittel der Frauen und Mädchen auf ihrem Weg durch Mexiko sexuell missbraucht werden.97 Expertinnen zufolge ist die Gefahr für Migrantinnen, auf ihrer Reise vergewaltigt zu werden so hoch, dass die Menschenschmuggler sie oftmals zwingen, sich vor Beginn der Reise eine Verhütungsspritze verabreichen zu lassen, 95 Comisión Nacional de los Derechos Humanos (CNDH) (2011). Informe especial sobre secuestro de migrantes en México. Abrufbar unter: http://www.cndh.org.mx/sites/all/doc/Informes/Especiales/2011_secmigrantes.pdf (letzter Zugriff: 29. März 2016), S.12. 96 Amnesty International (18. June 2015). Mexico must investigate shocking spike of attacks and killing of migrants . Abrufbar unter: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2015/06/mexico-must-investigate-shockingspike -of-attacks-and-killings-of-migrants/, (letzter Zugriff: 29. März 2016). 97 Dresel, Jennifer (5. Dezember 2011). Gefährliche Reise: Migration durch das Transitland Mexiko. Eine Veröffentlichung der Heinrich-Böll-Stiftung. Abrufbar unter: https://www.boell.de/de/navigation/lateinamerika-mexiko -transit-migration-13574.html, (letzter Zugriff: 17. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 33 um eine Schwangerschaft zu verhindern.98 Anzeige erstatten die Opfer aber nur selten. Neben geringen Erfolgsaussichten droht ihnen die Deportation in ihr Herkunftsland, wenn sie die Tat anzeigen oder ärztliche Behandlung benötigen. Neben all den Gefahren durch die organisierte Kriminalität, bestehen auch weitere Risiken für Migranten in Mexiko. Viele ertrinken im Rio Suchiate, der zwischen Mexiko und Guatemala verläuft . Andere kommen verlieren ihr Leben beim Aufspringen auf einen fahrenden Zug. Auch Todesfälle durch Dehydrierung und Überhitzung, vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Mexikos sind bekannt.99 4. Schlussbetrachtungen Im Jahr 2014 stammten rund 52 Prozent der im Ausland geborenen Personen in den USA aus Lateinamerika. Zu den zehn Hauptherkunftsländern der amerikanischen Migrationspopulation zählen neben Mexiko mit einem Anteil von 27,6 Prozent, auch El Salvador (3,1 Prozent), Kuba (2,8 Prozent), die Dominikanische Republik (2,4 Prozent) und Guatemala (2,2 Prozent). Im Zeitraum 2005 bis 2010 wanderten ungefähr so viele Mexikaner in die USA ein wie im selben Zeitraum aus den USA nach Mexiko abwanderten. Daten der letzten fünf Jahre zeigen, dass inzwischen sogar ein negativer Trend zu beobachten ist: Die Zahl der geschätzt eine Mio. Rückkehrer übersteigt die der geschätzt 870.000 neuen mexikanischen Einwanderer. Während sich die Einwanderung von Mexikanern insgesamt leicht abgeschwächt hat, steigt die Zahl von Migranten aus Zentralamerika, die Mexiko oft als Transitland auf ihrer Reise in Richtung USA nutzen. Vor allem infolge von Wirtschaftskrisen, politischen Problemen und Bürgerkriegen in den 1970er Jahren wuchsen die Einwanderungspopulationen aus den Ländern El Salvador , Honduras und Guatemala, die das sogenannte „Northern Triangle“ oder nördliches Dreieck bilden, stetig. Im Jahr 2015 lebten in den Vereinigten Staaten insgesamt rund 2,7 Millionen Menschen aus diesem nördlichen Dreieck. Die Ursachen für Migration aus dem nördlichen Dreieck nach Nordamerika, die sogenannten Push-Faktoren, lassen sich zurückführen auf die höchsten Kriminalitätsraten Lateinamerikas, fehlende öffentliche Sicherheit, häusliche Gewalt sowie fehlenden Zugang zu Bildungseinrichtungen und zum Gesundheitswesen. Als weitere Push-Faktoren gelten eine ungesicherte Ernährungslage für geschätzte 1,5 Mio. Menschen aufgrund von anhaltender Trockenheit und schlechter Ernten sowie Armut und fehlende wirtschaftliche Perspektiven. Die wohl wichtigsten Gründe für die Flucht und Migration der Menschen des nördlichen Dreiecks sind hohe Tötungs- sowie geringen Aufklärungsraten, Erpressung, Raub oder Entführung von Bürgern und der mangelnde staatliche Schutz. Auch Armut und fehlende wirtschaftliche Perspektiven sind entscheidende Push-Faktoren für die Migrationsbewegungen von Zentral- nach Nordamerika. Hinzu kommt, dass das anhaltend hohe Niveau von Gewalt durch Organisierte Kriminalität und Banden insbesondere Frauen und Kinder bedroht, die verwundbarsten Gruppen 98 Ebenda. 99 Reineke, Robin, Martinez, Daniel E. (2014). Migrant Deaths in the Americas (United States and Mexiko) in “Fatal Journeys – Tracking Lives Lost during Migration”. International Organization for Migration. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 030/16 Seite 34 der Gesellschaften der Herkunftsstaaten. Das ergaben zwei Studien des UNHCR basierend auf Befragungen von weiblichen Flüchtlingen und unbegleiteten Flüchtlingskindern. Seitens amerikanischer Politiker wird eine „laxe“ Einwanderungspolitik der Regierung Obama als Pull-Faktor gewertet, das Handeln der zuständigen Behörden als nicht entschlossen genug im Umgang mit irregulärer Migration gewertet. Darüber hinaus gilt auch die Familienzusammenführung als ein Anreiz für Kinder und Angehörige von in den USA ansässigen Migranten aus Zentralamerika , die beschwerliche und meist sehr gefährliche Reise in die USA anzutreten. In Reaktion auf die anhaltenden Migrations- und Fluchtbewegungen aus den Ländern Mexikos und Zentralamerikas hat die amerikanische Politik die Grenze zwischen Mexiko und den USA seit den 1990er Jahren immer stärker gesichert. Der zunehmende Ausbau der Grenzanlagen und die verschärfte Überwachung der Grenzregion führten u.a. zu einer Verlagerung der Migrationsrouten , etwa durch abgelegene und gefährliche Wüstenabschnitte. Im Rahmen von Abkommen wurde die Grenzkontrolle zudem auf den Süden Mexikos ausgedehnt, um dort bereits Migranten und Flüchtlinge ohne Papiere aus Zentralamerika an ihrer Weiterreise in die USA zu hindern. Seit Mitte der 1990er Jahre stiegen die Todesfallzahlen von Migranten stark an, was nach Aussagen von Amnesty International in einem direkten kausalen Zusammenhang mit verstärkten Grenzkontrollen steht. Der U.S. Border Patrol zufolge wurden zwischen 1998 und 2015 über 6.500 tote Flüchtlinge und Migranten auf U.S.-Seite der Grenze zu Mexiko aufgefunden. Zu den Opfern müssen wohl für die mexikanische Seite Schätzungen zufolge rund 100.000 zentralamerikanische und mexikanische Migranten hinzugerechnet werden, die seit 2006 im Transitland Mexiko verschwunden sind. Ende der Bearbeitung