© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 025/16 Verfassungsrechtliche Grundlagen für Auslandseinsätze der Bundeswehr Überlegungen zur Änderung der verfassungsrechtlichen Praxis Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 2 Verfassungsrechtliche Grundlagen für Auslandseinsätze der Bundeswehr Überlegungen zur Änderung der verfassungsrechtlichen Praxis Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 025/16 Abschluss der Arbeit: 16. Februar 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Nebeneinander von kollektiver Verteidigung und kollektiver Sicherheit 5 3. Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 6 4. Einsatzszenarien 7 5. Parlamentsvorbehalt 9 6. Verfassungspolitische Einwände 9 6.1. Interpretatorische „Überdehnung“ des Verteidigungsbegriffs 9 6.2. Verlust der multinationalen Einbindung deutscher Streitkräfte in kollektive Sicherheitsstrukturen 11 7. Aufweichen des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs 11 8. Resümee 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 4 1. Einführung Seit der AWACs-Entscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1994 hat sich in der deutschen Verfassungspraxis Art. 24 Abs. 2 GG (Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit) als zentrale Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr etabliert. Tatsächlich hat sich Deutschland – sieht man einmal von den Evakuierungs-Operationen Libelle in Albanien (1997) und Pegasus in Libyen (2011) ab – bis heute an keinen Einsätzen außerhalb kollektiver Sicherheitssysteme beteiligt.1 Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich umstrittenen Bundeswehreinsätze in Erbil/Irak (Ausbildung der kurdischen Peschmerga, seit 2015) und in Syrien (Beteiligung an der Bekämpfung des „IS“, seit 2016) ist von einigen Bundestagsabgeordneten eine Änderung dieser verfassungsrechtlichen Praxis vorgeschlagen worden. Künftig soll – je nach Einsatzszenario – bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr neben Art. 24 Abs. 2 GG auch auf Art. 87a Abs. 2 GG („Einsätze zur Verteidigung“) rekurriert werden. Darüber berichtete die FAZ vom 9. Februar 2016.2 Änderung der Verfassungspraxis meint nicht den „Austausch“ von Rechtsgrundlagen, sondern die „Aktivierung“ einer Verfassungsnorm, die im Übrigen in den Jahren des Kalten Krieges mit Blick auf den NATO-Bündnisfall als einzig denkbares Einsatzszenario für Bundeswehreinsätze im Ausland angesehen wurde. Hintergrund der „Aktivierung“ des Art. 87a Abs. 2 GG ist folgende Überlegung: Die von Art. 24 Abs. 2 GG geforderte formale Bindung an ein ermächtigendes Mandat des VN-Sicherheitsrates schaffe politische Abhängigkeiten und enge die sicherheitspolitischen Handlungsspielräume Deutschlands (auch gegenüber den Bündnispartnern) ein. Art. 24 Abs. 2 GG unterwerfe diese Handlungsspielräume – ohne dass dies völkerrechtlich gefordert wäre – dem Votum eines internationalen Gremiums, dem Deutschland nicht regelmäßig angehört. Die „Aktivierung“ von Art. 87a Abs. 2 GG soll daher Einsatzspektren und damit auch sicherheitspolitische Handlungsspielräume Deutschlands perspektivisch erweitern, die bei einer strengen Lesart von Art. 24 Abs. 2 GG mangels eines VN-Sicherheitsratsmandats „verbaut“ wären. 1 Der völkerrechtlich umstrittene Kosovo-Einsatz 1999 („humanitäre Intervention“) war eine NATO-Operation (Operation Allied Force); die Operation Enduring Freedom (in der Folge von 9/11) fand auf der Grundlage von Art. 51 VN-Charta und Art. 5 NATO-Vertrag (Bündnisfall) im Rahmen einer „Coalition of the Willing“ (nicht im Rahmen der NATO !) als kollektive Selbstverteidigung (Nothilfe) zugunsten des NATO-Verbündeten USA gegen das Taliban-Regime in Afghanistan statt und war gleichzeitig durch die VN-Sicherheitsratsresolutionen 1368 und 1373 (2001) mandatiert. Der verfassungsrechtlich umstrittene Ausbildungs-Einsatz in Erbil/Irak stützte sich auf ein Presidential Statement des VN-Sicherheitsrates, um den „Rekurs“ auf das kollektive Sicherheitssystem nach Art. 24 Abs. 2 GG zu eröffnen. 2 Beitrag in der FAZ v. 9.2.2016, S. 4 „Nicht Moskau über Auslandseinsätze entscheiden lassen“, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundeswehr-auslandseinsaetze-nicht-moskau-entscheiden-lassen- 14058960.html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 5 Die intendierte Änderung der bislang geübten Verfassungspraxis wirft zahlreiche Fragen auf, die im Folgenden erörtert werden sollen. Nach den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen (dazu 2.) soll die Vereinbarkeit der (neuen ) Verfassungspraxis mit der Rechtsprechung des BVerfG untersucht werden (dazu 3.). Weiter werden mit Blick auf die intendierte Verfassungspraxis mögliche Einsatzszenarien (dazu 4.) und deren parlamentarische Zustimmungspflichtigkeit (Parlamentsvorbehalt, dazu 5.) skizziert. Anschließend setzt sich die Untersuchung mit den verfassungspolitischen Einwänden auseinander, die gegen eine Änderung der Verfassungspraxis ins Feld geführt werden (dazu 6.) – dies betrifft die interpretatorische „Überdehnung“ des Verteidigungsbegriffs (dazu 6.1.) sowie das Aufweichen des verteidigungspolitischen Postulats der Einbindung deutscher Streitkräfte in kollektive Sicherheitsstrukturen (dazu 6.2.). Schließlich soll das Problem eines Aufweichens des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs für Auslandseinsätze als Konsequenz der neuen Verfassungspraxis erörtert werden (vgl. 7.). 2. Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen: Nebeneinander von kollektiver Verteidigung und kollektiver Sicherheit Die Begriffe ´kollektive Verteidigung` und ´kollektive Sicherheit` werden in der öffentlichen Diskussion zuweilen unterschiedlich konnotiert.3 Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Bewertung ist Art. 87a Abs. 2 GG, der den Einsatz von Streitkräften regelt. Gem. Art. 87a Abs. 2 GG dürfen Streitkräfte „außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Das BVerfG hat in seiner AWACs-Entscheidung von 1994 diese „ausdrückliche Zulassung“ in Art. 24 Abs. 2 GG gesehen und diese Norm für Auslandseinsätze im Rahmen kollektiver Sicherheitsstrukturen weiterentwickelt .4 Der Begriff der „Verteidigung“, wie er in Art. 87a Abs. 2 GG Verwendung findet, steht dem Gedanken der „kollektiven Sicherheit“ i.S.v. Art. 24 Abs. 2 GG nicht entgegen, weil er auf die Gesamtaufgabe der militärischen Friedenssicherung verweist.5 3 Bei der kollektiven Verteidigung und der kollektiven Sicherheit handelt es sich um zwei konzeptionell unterschiedliche Regime des völkerrechtlichen Friedenssicherungsrechts: Kollektive Verteidigung wendet sich gegen einen potentiellen Aggressor, der das Bündnis (z.B. die NATO) von außen bedroht; kollektive Sicherheit schließt den potentiellen Friedensstörer als Teil des (kollektiven) Systems (z.B. die VN) mit ein und regelt das gemeinsame Vorgehen (ergo: im VN-Sicherheitsrat) zur Wiederherstellung des Friedens. 4 BVerfGE 90, 286 (357) - AWACs. Eine ausdrückliche Zulassung von Streitkräfteeinsätzen sieht Art. 24 Abs. 2 GG nämlich gar nicht vor. 5 So Hillgruber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG Kommentar (begr. von Schmidt-Bleibtreu/Klein), Köln: Carl Heymanns, 13. Aufl. 2014, Art. 24, Rdnr. 47 m.w.N. Ähnlich BVerfGE 90, 286 (357) – AWACs. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 6 Beide Rechtsgrundlagen stehen nebeneinander und schließen sich nicht gegenseitig aus. Auch im Völkerrecht spiegelt sich das Nebeneinander von kollektiver Verteidigung (Art. 51 VN-Charta) und kollektiver Sicherheit (Kap. VII VN-Charta) wieder. 3. Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die verfassungspolitische Debatte über Bundeswehreinsätze ist bislang – zumindest was die Frage der Rechtsgrundlagen betrifft – einseitig auf Art. 24 Abs. 2 GG fixiert gewesen. Anlass dafür gab ein (vielleicht etwas unglücklich formuliertes) obiter dictum6 des BVerfG aus dem Lissabon -Urteil vom 30. Juni 2009.7 Dort heißt es in Rz. 254: Eine ähnlich ausgeprägte Grenze zieht das Grundgesetz für Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr. Der Auslandseinsatz der Streitkräfte ist außer im Verteidigungsfall nur in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt (Art. 24 Abs. 2 GG), wobei der konkrete Einsatz von der Zustimmung des Deutschen Bundestages konstitutiv abhängt. Diese Passage, der formal-rechtlich keine Bindungswirkung zukommt, erging nicht im Zusammenhang mit einer Entscheidung über einen konkreten Auslandseinsatz der Bundeswehr, sondern war Teil der rechtlichen Ausführungen des Gerichts zur (fehlenden) Supranationalität der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und zu Qualifikation der EU als kollektives Sicherheitssystem. Daran wird deutlich, dass das Gericht mit seinem obiter dictum kein unverrückbares verfassungsrechtliches Postulat zugunsten von Art. 24 Abs. 2 GG aufstellen wollte. Ansonsten hätte sich das Gericht mit seinem Rekurs auf den „Verteidigungsfall“ (Art. 115a Abs. 1 GG = Verteidigung des Territoriums der Bundesrepublik), den es neben Art. 24 Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage für Auslandseinsätze akzeptiert, in Widerspruch zur Formulierung in Art. 87a Abs. 2 GG gesetzt, welcher von „Verteidigung“ spricht und damit nach einhelliger Auffassung mehr meint als die Verteidigung der eigenen Staatsgrenzen.8 6 Obiter dicta sind beiläufige, nicht entscheidungserhebliche Rechtsansichten des Gerichts, die an der Rechtskraft der Entscheidung nicht teilnehmen. Die gem. § 31 BVerfGG angeordnete Verbindlichkeit der Entscheidungen des BVerfG erstreckt sich nur auf die tragenden Entscheidungsgründe, nicht jedoch auf obiter dicta (vgl. Bethge, in: BVerfGG-Kommentar, München: Beck, Loseblatt, 43. Erg.-Lfg. (Stand Febr. 2014), § 31, Rdnr. 57 ff.). 7 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2009/06/es20090630_2bve000208.html. 8 So auch BVerwGE 127, 302, Rdnr. 107, Urt. v. 21.6.2005. Ebenso Grzeszick, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 4, Berlin, 17. Erg-Lfg., Art. 87a, Rdnr. 22; Schmahl, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz. Kompakt- Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2011, Art. 87a, Rdnr. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 7 Das BVerfG selbst „korrigierte“ seine Sichtweise spätestens im Pegasus-Urteil vom 23. September 2015 zum Evakuierungseinsatz der Bundeswehr in Libyen.9 In Rdnr. 66 und 69 dieser Entscheidung heißt es nun: Der konstitutive wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt , sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland (…) unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Grundlage. (…) Auch jeder unilaterale Auslandseinsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bedarf somit der grundsätzlich vorherigen parlamentarischen Zustimmung. Die Bundeswehr wäre kein Parlamentsheer, wenn aus dem Anwendungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gerade die allein national verantworteten Streitkräfteeinsätze im Ausland ausgeklammert wären, denen kein Prozess konsensualer Willensbildung innerhalb eines Bündnissystems vorausgeht (…). Damit erkennt das BVerfG implizit an, dass neben Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen von kollektiven Sicherheitssystemen auch andere Einsatzformen (hier: Evakuierungseinsätze) mit entsprechend anderen Rechtsgrundlagen möglich sind. Daraus folgt, dass Bundeswehreinsätze auch außerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems verfassungsrechtlich zulässig sein können. 4. Einsatzszenarien Art. 24 Abs. 2 GG und Art. 87a Abs. 2 GG können als verfassungsrechtliche Grundlage für Auslandseinsätze in unterschiedlichen Fallkonstellationen relevant werden. Wann welche Rechtsgrundlage künftig heranzuziehen ist, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Art. 24 Abs. 2 GG kommt dann zum Zuge, wenn es um klassische (friedenssichernde) Einsätze im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme wie der VN, der NATO und mittlerweile wohl auch der EU10 (GSVP-Operationen) geht. Solchen Einsätzen liegt ein entsprechendes Mandat des VN-Sicherheitsrates zugrunde, welches durch die NATO bzw. die EU ausgeführt wird. Der größere Teil des militärischen Engagements der Bundeswehr betraf bislang ein solches Einsatzszenario . Auch im Kontext der kollektiven Verteidigung kann Art. 24 Abs. 2 GG die geeignete Rechtsgrundlage sein – wenn eine entsprechende Mandatierung durch den VN-Sicherheitsrat vorliegt 9 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/09/es20150923_2bve000611.html. 10 Vgl. dazu das Gutachten WD 2 – 3000 – 022/15 vom 5.2.2015, „Die EU als System gegenseitiger kollektiver Sicherheit “. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 8 (so etwa für die Operation „Enduring Freedom“, welcher der NATO-Bündnisfall zugrunde lag) oder wenn das Verteidigungsbündnis selbst handelt.11 Doch bleiben zunehmend Einsatzszenarien, in denen die Bundeswehr unilateral (Evakuierungseinsätze ) oder aber multilateral, jedoch außerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems (z.B. im Rahmen einer „Koalition der Willigen“) handelt – zum Beispiel weil kein Mandat des VN- Sicherheitsrates vorliegt (wie im Fall des Ausbildungs-Einsatzes der Bundeswehr in Erbil/Irak12) oder weil dieses Mandat keine ausdrückliche Ermächtigung zum Waffeneinsatz enthält (wie im Fall des Tornado-Einsatzes gegen den „IS“ in Syrien13). In diesen Fällen bietet Art. 87a Abs. 2 GG (i.V.m. Art. 51 der VN-Charta) eine klare verfassungsrechtliche Grundlage für die kollektive Selbstverteidigung in Gestalt der Nothilfe zugunsten eines NATO-Bündnispartners,14 eines EU-Mitgliedstaates15 oder eines (nicht verbündeten) Drittstaates . Der überwiegende Teil der Literatur geht nämlich unter Hinweis auf eine historische und völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes davon aus, dass sämtliche zulässigen Verteidigungskonstellationen nach Art. 51 VN-Charta unter den Begriff der Verteidigung i.S.v. Art. 87a Abs. 2 GG fallen.16 In diesem Sinne äußert sich auch das Bundesverwaltungsgericht.17 11 Schwierig zu beurteilen ist dies mit Blick auf die im November 2015 erstmals „aktivierte“ EU-Beistandsklausel (Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag) zugunsten Frankreichs, weil hier die Staaten der Anti-„IS“-Koalition in Syrien bilateral und nicht die EU (als Ganzes, etwa durch eine GSVP-Operation) handeln. 12 Hier stützte sich die Bundesregierung auf ein Presidential Statement des VN-Sicherheitsrates, um den „Rekurs“ auf das kollektive Sicherheitssystem nach Art. 24 Abs. 2 GG zu eröffnen. Eine „Koalition der Willigen“ ist dagegen kein System kollektiver Sicherheit i.S.v. Art. 24 Abs. 2 GG. Vgl. dazu das Gutachten WD 2 – 3000 – 239/14 vom 9.1.2015, „Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen des Bundeswehreinsatzes im Irak“. 13 Vgl. dazu das Gutachten WD 2 – 3000 – 203/15 vom 30.11.2015, „Staatliche Selbstverteidigung gegen Terroristen - Völkerrechtliche Grundlagen und Verfassungsmäßigkeit einer Beteiligung der Bundeswehr an der Bekämpfung des Islamischen Staates in Syrien“. 14 Handelt es sich um einen Angriff auf einen NATO-Bündnispartner, so bietet der NATO-Bündnisfall (Art. 5 NATO-Vertrag) i.V.m. Art. 87a Abs. 2 GG eine hinreichende Grundlage. Ist die NATO selber engagiert, kommt zudem Art. 24 Abs. 2 GG ins Spiel. Die Ereignisse von „9/11“ haben jedoch gezeigt, dass die Operation Enduring Freedom zwar auf der Grundlage des NATO-Bündnisfalles, nicht jedoch als NATO-Operation (sondern von einer „Koalition der Willigen“ unter Führung der USA) durchgeführt wurde. 15 Hier kommt Art. 42 Abs. 7 EU-Vertrag i.V.m. Art. 87a Abs. 2 GG in Betracht. Ob in diesem Fall dann schon ein Einsatz im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems (Art. 24 Abs. 2 GG) vorliegt, ist umstritten (vgl. auch Anm. 11). 16 Schmahl, in: Sodan (Hrsg.), Grundgesetz Kompakt-Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2011, Art. 87a, Rdnr. 7; Hillgruber, in: Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG Kommentar (begründet von Schmidt-Bleibtreu/Klein), Köln: Heymanns, 13. Aufl. 2014, Art. 24 Rdnr. 51; Kokott, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, München: Beck, 7. Aufl. 2014, Art. 87a Rdnr. 25; Baldus, in: Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Bd. 3, München: Vahlen, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 2, Rdnr. 47; Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, München: Beck, 11. Aufl. 2011, Art. 87a, Rdnr. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 9 Paradoxerweise könnte die Loslösung vom Erfordernis der Einbindung in kollektive Sicherheitsstrukturen (Art. 24 Abs. 2 GG) dann im Einzelfall die militärische „Verbund- und Handlungsfähigkeit “ 18 Deutschlands und damit die „Verlässlichkeit“ des militärischen Engagements gegenüber den Bündnispartnern erhöhen. 5. Parlamentsvorbehalt Das Erfordernis eines konstitutiven Mandats des Deutschen Bundestages gilt für alle Auslandseinsätze bewaffneter Streitkräfte – unabhängig von ihrer verfassungsrechtlichen Grundlage. Das BVerfG hat wiederholt (zuletzt in den Entscheidungen zu Lissabon und Pegasus) deutlich gemacht , dass der Parlamentsvorbehalt ausnahmslos auch für Einsätze außerhalb von Systemen kollektiver Sicherheit gilt – insb. auch für Einsätze zur Umsetzung einer Beistandspflicht (Art. 5 NATO-Vertrag, 42 Abs. 7 EU-Vertrag).19 Die parlamentarische Zustimmungspflicht richtet sich gem. § 1 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes nach der möglichen „Einbeziehung der Bundeswehr in bewaffnete Unternehmungen“ und nicht nach der Einbindung der Streitkräfte in ein kollektives Sicherheitssystem. 6. Verfassungspolitische Einwände Die politische „Aktivierung“ des Art. 87a Abs. 2 GG als verfassungsrechtliche Grundlage für Auslandseinsätze stößt in der verfassungspolitischen Diskussion auf Widerstand. Diskutiert wird vor allem die Gefahr einer interpretatorischen „Überdehnung“ des Verteidigungsbegriffs (dazu 6.1.) sowie eines Verlusts der Einbindung von Bundeswehreinsätzen in kollektive Sicherheitsstrukturen (dazu 6.2.). 6.1. Interpretatorische „Überdehnung“ des Verteidigungsbegriffs Zum einen geht es um die Interpretation des (potentiell offenen) Verteidigungsbegriffs, der in der verfassungspolitischen Diskussion (fälschlicherweise) zuweilen mit „Landesverteidigung“ (also mit dem „Verteidigungsfall“ gem. Art. 115a Abs. 1 GG) gleichgesetzt wird. 17 BVerwGE 127, 302, Rn. 107, Urt. v. 21.6.2005. In der Entscheidung heißt es: Da der Normtext des Art. 87a Abs. 1 und 2 GG von "Verteidigung" (und) nicht von "Landesverteidigung" spricht ist davon auszugehen, dass "Verteidigung" alles das umfassen soll, was nach dem geltenden Völkerrecht zum Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 VN-Charta zu rechnen ist. 18 Der Begriff der „multilateralen militärischen Verbundfähigkeiten“ findet sich in § 9 des Entwurfes eines „Gesetzes zur Fortentwicklung der parlamentarischen Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland im Zuge fortschreitender Bündnisintegration“, BT-Drs. 18/7360 vom 26.1.2016. 19 Grundlegend BVerfGE 90, 286, 387. Dies wird auch in der Literatur so gesehen, vgl. Thym, Daniel, Integrationsziel europäische Armee ?, in: EuR – Beiheft 1, 2012, S. 171-191 (178). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 10 Eine „Aktivierung“ von Art. 87a Abs. 2 GG als Rechtsgrundlage für Auslandseinsätze könnte – so die Befürchtung – zu einer „uferlosen“ Ausdehnung des Verteidigungsbegriffs führen. Die Zahl an Gütern, die potentiell „verteidigt“ werden können (Verteidigung des Weltfriedens, der Handelsinteressen , der Transportwege, der Menschenrechte etc.), bedürfe einer Eingrenzung, um der Gefahr eines „Verteidigungs-Interventionismus“ zu begegnen. Zweifellos enthält der verfassungsrechtliche Begriff der „Verteidigung“ eine begrenzende, gewalthemmende Funktion20 und bedarf daher einer rechtlichen und politischen Einhegung. Eine solche Einhegung ließe sich aber auf zwei Ebenen herstellen: Verfassungsrechtlich wird man den Rekurs auf Art. 87a Abs. 2 GG nur dann für zulässig erachten , wenn ein Bezug des Streitkräfteeinsatzes zur Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland besteht. Ein zulässiger Einsatz „zur Verteidigung“ läge also nur dann vor, wenn damit gleichzeitig auch einer Bedrohung Deutschlands entgegengewirkt würde.21 Eine begrenzende Wirkung entfaltet zudem das Völkerrecht. Einsätze der Bundeswehr bedürfen neben der verfassungsrechtlichen immer auch einer völkerrechtlichen Grundlage. Einsätze, die potentiell auf Art. 87a Abs. 2 GG gestützt werden könnten, wären völkerrechtlich regelmäßig nach Art. 51 VN-Charta (Nothilfe, wie im Fall „IS“/Syrien) oder durch eine Einwilligung seitens des Staates gerechtfertigt, in dem der Einsatz stattfindet („Intervention auf Einladung“ wie im Fall Erbil/Irak). Der Rekurs auf Art. 87a Abs. 2 GG stellt dabei – wie bereits festgestellt (s.o. 4.) – einen Gleichklang des Verfassungsrechts mit der völkerrechtlichen Rechtslage her, indem er den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff in Art. 87a Abs. 2 GG mit völkerrechtlich erlaubter Gewaltanwendung gleichsetzt.22 Einsätze, bei denen es an einer klaren völkerrechtlichen Rechtsgrundlage fehlt (wie zum Beispiel die „humanitäre Intervention“ im Kosovo 1999), bleiben völkerrechtlich fragwürdig ; sie sind aus diesen Gründen auch verfassungsrechtlich angreifbar. Art. 87a Abs. 2 GG vermag einen solchen völkerrechtlichen „Mangel“ nicht zu heilen. 20 Baldus, in: Starck (Hrsg.), Kommentar zum GG, Bd. 3, München, 6. Aufl. 2010, Art. 87a Abs. 2, Rdnr. 48. 21 So die h.M.: Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. III (Art. 83-148), Tübingen: Mohr Siebeck, 2. Aufl. 2008, Art. 87a, Rdnr. 17; Depenheuer, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz. Kommentar, Losebl., München : Beck, Bd. VI, 23. Lfg. 2008, Art. 87a, Rdnr. 119. Das Engagement der Bundeswehr im Irak und in Syrien steht in unmittelbarem Zusammenhang zur Bedrohung Deutschlands durch den „IS“ (Stichwort: Attentate von Paris). 22 In diesem Sinne etwa Hernekamp, in: v.Münch/Kunig, GG Kommentar, Bd. 3, München: Beck 5. Aufl. 2003, Art. 87a, Rdnr. 4; Fink, JZ 1999, S. 1016 (1018); zurückhaltender dagegen Epping, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), GG- Kommentar, München: Beck, 2. Aufl. 2013, Art. 87a, Rdnr. 8. Diese Gleichsetzung könnte man mit der vom BVerfG postulierten Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes begründen – vgl. zu diesem Grundsatz BVerfGE 18, 112 (121); E 75, 1 (17); Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, München: Beck, 13. Aufl. 2014, Art. 25, Rdnr. 4 f. und Art. 87a, Rdnr. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 11 6.2. Verlust der multinationalen Einbindung deutscher Streitkräfte in kollektive Sicherheitsstrukturen Der zweite Einwand gegen eine „Aktivierung“ von Art. 87a Abs. 2 GG sieht die Gefahr einer Aufweichung des zentralen Postulats deutscher Verteidigungspolitik – der multinationalen Einbindung der Bundeswehr in kollektive Sicherheitsstrukturen (Stichwort: „Keine Alleingänge“). Die konsensuale Willensbildung in einem internationalen Gremium wie dem VN-Sicherheitsrat entfaltet eine nicht zu unterschätzende legitimationsstiftende Wirkung sowohl auf völker- als auch auf verfassungsrechtlicher Ebene. Die vor allem durch Art. 24 Abs. 2 GG gewährleistete Einbindung der Bundeswehr in kollektive Sicherheitsstrukturen würde ein Stückweit verlorengehen, wenn die Bundeswehr auf der Grundlage von Art. 87a Abs. 2 GG künftig verstärkt zu einem militärischen Engagement auf Einladung von Drittstaaten herangezogen würde, das im Rahmen einer „Koalition der Willigen“ (also außerhalb von Art. 24 Abs. 2 GG) erfolgen soll (s.o. 4.). Die Frage wäre, ob Art. 87a Abs. 2 GG dann (langfristig) den Art. 24 Abs. 2 GG als zentrale Norm für den Auslandseinsatz verdrängen würde. Entscheidend wird hier die künftige Verfassungspraxis (von Bundesregierung und Bundestag) sein. Bei dem „Vorstoß“ der Bundestagsabgeordneten geht es offenbar (nur) darum, Art. 87a Abs. 2 GG gewissermaßen als „zweite Wahl“ und nur für den Fall zu „aktivieren“, in dem es an einer klaren und eindeutigen Mandatierung durch den VN-Sicherheitsrat fehlt – etwa weil diese wie im Fall Syrien politisch am Widerstand Russlands gescheitert ist – und wo folglich ein Rekurs auf Art. 24 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich schwierig bzw. verfassungsgerichtlich angreifbar wäre. Bei dieser Lesart erscheint eine „Aktivierung“ des Art. 87a Abs. 2 GG dann weniger als politische „Alternative“ zur multilateralen Einbindung nach Art. 24 Abs. 2 GG, sondern eher als verfassungspolitischer „Auffangtatbestand“ mit Ausnahmecharakter. Die Einbindung der Bundeswehr in kollektive Sicherheitsstrukturen gehört zweifelsohne zum „Markenzeichen“ der deutschen Sicherheitspolitik und der Wehrverfassung des Grundgesetzes; auch im Wege eines allmählichen „Wandels“ der Verfassungspraxis darf diese Einbindung allenfalls ein Stückweit aufgeweicht, nicht aber aufgegeben werden. 7. Aufweichen des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs Mit der Frage der Aufweichung des Postulats der multinationalen Einbindung der Bundeswehr einher geht die Frage nach einem Aufweichen des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs für Auslandseinsätze, der bislang durch die Anforderungen des Art. 24 Abs. 2 GG determiniert wird. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 12 Auslandseinsätze der Bundeswehr sind nicht nur am Maßstab des Völkerrechts, sondern auch (und zwar gesondert) am Maßstab des Verfassungsrechts zu messen. Das verfassungsrechtliche Erfordernis des Art. 24 Abs. 2 GG – also die Einbindung des Einsatzes in kollektive Sicherheitsstrukturen – stellt dabei auch im Vergleich zu anderen Staaten regelmäßig eine zusätzliche rechtliche Hürde für den Auslandseinsatz der Bundeswehr dar. Mag ein völkerrechtskonformes militärisches Engagement außerhalb jeglicher Bündnisstrukturen nach englischem oder französischem Verfassungsverständnis keine weiteren rechtlichen Probleme aufwerfen – nach der bisherigen deutschen Verfassungspraxis stünde solchen Einsätzen regelmäßig Art. 24 Abs. 2 GG im Wege. Mit der „Aktivierung“ von Art. 87a Abs. 2 GG würde dann auch die deutsche Verfassungspraxis jedenfalls teilweise auf das Erfordernis einer Einbindung des Streitkräfteeinsatzes in ein kollektives Sicherheitssystem verzichten. Ist dann aber verfassungsrechtlich nicht mehr gefordert, als dass ein Auslandseinsatz „zur Verteidigung“ (Art. 87a Abs. 2 GG) mit dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungs- und Nothilferecht (Art. 51 VN-Charta) im Einklang steht (s.o. 4.), bedeutet dies in der Konsequenz: Ein Auslandseinsatz ist schon immer dann verfassungskonform, wenn er völkerrechtskonform ist. Durch die Gleichsetzung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffs mit der völkerrechtlich zulässigen Gewaltanwendung (s.o. 6.1.) bei gleichzeitigem Verzicht auf das Erfordernis der Einbindung eines Auslandseinsatzes in kollektive Sicherheitssysteme (Art. 24 Abs. 2 GG) geht der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab für Auslandseinsätze der Bundeswehr (als eigenständiger Prüfungsmaßstab) praktisch verloren bzw. löst sich im völkerrechtlichen Prüfungsmaßstab auf. Die „Aktivierung“ des Art. 87a Abs. 2 GG zielt also tendenziell auf eine Angleichung von verfassungs - und völkerrechtlichen (und damit ein Absenken der verfassungsrechtlichen) Anforderungen an einen Auslandseinsatz. Eine solche Entwicklung mag als Verlust an rechtstaatlicher Kontrolle der Streitkräfte beklagt werden. Doch bleiben in diesem Zusammenhang zwei Punkte zu bedenken: Zum einen sind die spezifisch verfassungsrechtlichen Anforderungen an Auslandseinsätze der Bundeswehr (Art. 24 Abs. 2 GG) letztlich immer noch Ausdruck eines historisch begründeten Misstrauens gegenüber den Streitkräften als staatliches Machtmittel. Ob dieses Misstrauen im Zuge zunehmender militärischer Bündnisintegration – Stichwort: multilaterale militärische Verbundfähigkeiten – noch „zeitgemäß“ ist, sei dahingestellt. Zum anderen zeigt sich die jüngere Verfassungspraxis bei der Auslegung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 24 Abs. 2 GG (Einsätze der Bundeswehr müssen „im Rahmen und nach den Regeln“ eines kollektiven Sicherheitssystems erfolgen) zunehmend „kreativ“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 13 So genügte beim Ausbildungseinsatz in Erbil/Irak ein politisches „Presidential Statement“ für den Rekurs auf das kollektive Sicherheitssystem, wo Art. 24 Abs. 2 GG eigentlich ein völkerrechtlich bindendes Mandat des VN-Sicherheitsrat gefordert hätte.23 Eine solche Form der Auslegung (bzw. „Aushöhlung“) von Verfassungsnormen hält die „Fassade“ der Einbindung in kollektive Sicherheitsstrukturen (Art. 24 Abs. 2 GG) pro forma aufrecht – ein Aufweichen des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs für Auslandseinsätze der Bundeswehr hat jedoch längst begonnen. 8. Resümee Art. 87a Abs. 2 GG und Art. 24 Abs. 2 GG stehen als verfassungsrechtliche Grundlage für Auslandseinsätze der Bundeswehr gleichermaßen zur Verfügung. Eine verfassungsgerichtliche Forderung nach Beschränkung von Auslandseinsätzen auf Einsätze im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme besteht nicht. Auslandseinsätze bedürfen – unabhängig von ihrer verfassungsrechtlichen Grundlage – einer parlamentarischen Zustimmung des Deutschen Bundestages. Die Verfassungspraxis (von Bundesregierung und Bundestag) kann sich bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr je nach Einsatzszenario entweder auf Art. 24 Abs. 2 GG oder auf Art. 87a Abs. 2 GG stützen. Der Rekurs auf Art. 87a Abs. 2 GG wird vor allem dann relevant , wenn die Bundeswehr zwar multilateral, jedoch außerhalb eines kollektiven Sicherheitssystems (z.B. im Rahmen einer „Koalition der Willigen“) im Rahmen der völkerrechtlichen Nothilfe zugunsten eines anderen Staates handeln will. Die bisherige Fixierung der Verfassungspraxis auf Art. 24 Abs. 2 GG und die damit einhergehende formale Bindung an das Vorliegen eines VN-Sicherheitsratsmandats hat zu perspektivischen Verkürzungen in der sicherheitspolitischen Debatte und zur Einengung militärischer Handlungsspielräume geführt. Paradoxerweise könnte eine Loslösung vom Erfordernis der kollektiven Einbindung (Art. 24 Abs. 2 GG) die militärische „Verbund- und Handlungsfähigkeit“ Deutschlands gegenüber seinen Bündnispartnern erhöhen. Die Einbindung der Bundeswehr in kollektive Sicherheitsstrukturen ist ein „Markenzeichen “ der deutschen Sicherheitspolitik sowie der Wehrverfassung des Grundgesetzes; im Wege eines allmählichen „Wandels“ der Verfassungspraxis darf diese Einbindung ein Stückweit aufgeweicht, nicht aber aufgegeben werden. 23 Vgl. dazu das Gutachten WD 2 – 3000 – 239/14 vom 9.1.2015, „Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen des Bundeswehreinsatzes im Irak“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 025/16 Seite 14 Daher sollte Konsens darüber hergestellt werden, dass der Rekurs auf Art. 87a Abs. 2 GG keine beliebige politische „Alternative“ zur multilateralen Einbindung der Bundeswehr nach Art. 24 Abs. 2 GG darstellt, sondern als verfassungspolitischer „Auffangtatbestand“ für den Fall begriffen wird, in dem es an einer klaren und eindeutigen Mandatierung durch den VN-Sicherheitsrat fehlt und der Rekurs auf Art. 24 Abs. 2 GG deshalb verfassungsgerichtlich angreifbar wäre. Der potentiell offene Verteidigungsbegriff des Grundgesetzes bedarf – wenn er als Rechtsgrundlage für Auslandseinsätze herangezogen wird (Art. 87a Abs. 2 GG) einer Einhegung. Diese erfolgt zum einen durch die völkerrechtliche Einsatzgrundlage (Nothilfe nach Art. 51 VN-Charta oder „Einwilligung“ des betroffenen Staates). Zum anderen ist ein Bezug des Bundeswehreinsatzes zur Staatlichkeit Deutschlands zu fordern. Die „Aktivierung“ des Art. 87a Abs. 2 GG setzt den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff mit völkerrechtlich erlaubter Gewaltanwendung gleich. Durch den gleichzeitigen Verzicht auf das Erfordernis der Einbindung eines Auslandseinsatzes in kollektive Sicherheitssysteme (Art. 24 Abs. 2 GG) geht der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab für Auslandseinsätze der Bundeswehr als eigenständiger Prüfungsmaßstab verloren bzw. löst sich im völkerrechtlichen Prüfungsmaßstab auf. Ein Auslandseinsatz wäre folglich immer schon dann verfassungskonform, wenn er auch völkerrechtskonform ist. Die Auflösung des (eigenständigen) verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs für Auslandseinsätze der Bundeswehr bedeutet einen Verlust an rechtsstaatlicher Kontrolle der Streitkräfte. Andererseits hat sich die jüngere Verfassungspraxis gerade bei der Auslegung der verfassungsrechtlichen Vorgaben (Einsätze der Bundeswehr müssen „im Rahmen und nach den Regeln“ eines kollektiven Sicherheitssystems erfolgen) zunehmend „kreativ“ gezeigt. Ein Aufweichen des verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs für Auslandseinsätze der Bundeswehr hat also längst begonnen. Ende der Bearbeitung