Deutscher Bundestag Aktuelle Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zu laufenden Einsätzen der Bundeswehr im Ausland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2010 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 024/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 2 Aktuelle Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zu laufenden Einsätzen der Bundeswehr im Ausland Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 024/12 Abschluss der Arbeit: 5. März 2012 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. ISAF 4 2.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 26. Januar 2012 4 2.2. Debatte des Deutschen Bundestages 6 3. ACTIVE ENDEAVOUR 11 3.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Dezember 2011 11 3.2. Debatte des Deutschen Bundestages 12 4. ATALANTA 15 4.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Dezember 2011 15 4.2. Debatte des Deutschen Bundestages 16 5. ALTHEA 19 5.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Dezember 2011 19 5.2. Debatte des Deutschen Bundestages 19 6. UNMISS 22 6.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 29. September 2011 22 6.2. Debatte des Deutschen Bundestages 23 7. UNAMID 26 7.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 8. Juli 2011 26 2.4.2 Debatte des Deutschen Bundestages 27 8. KFOR 29 8.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Juni 2011 29 8.2. Debatte des Deutschen Bundestages 30 9. UNIFIL 33 9.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Juni 2011 33 9.2. Debatte des Deutschen Bundestages 34 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung dokumentiert wesentliche Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zu den acht laufenden Einsätzen bewaffneter Streitkräfte im Ausland. Diesen vorangestellt sind Kernaspekte des jeweiligen Beschlusses des Deutschen Bundestages und der diesbezüglichen Antragsbegründung der Bundesregierung. 2. ISAF 2.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 26. Januar 2012 Der Deutsche Bundestag stimmte zuletzt am 26. Januar 2012 der „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (Anmerkung: International Security Assistance Force - ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“1 zu. Es endet am „31. Januar 2013 und gilt nur, solange eine Ermächtigung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vorliegt.“2 Der Beschluss sieht eine Obergrenze von bis zu 4.900 Soldatinnen und Soldaten vor.3 Hierzu stellt die Bundesregierung in ihrer Begründung fest: „Als Folge des im Jahr 2011 Erreichten ist es mit Mandatsbeginn 2012 erstmals möglich, auch das deutsche militärische Engagement zurückzuführen . Die Personalobergrenze wird in diesem Mandat auf bis zu 4 900 Soldatinnen und Soldaten abgesenkt. Die ‚flexible Reserve‘ entfällt. […] Der Einsatz der NATO-AWACS im Rahmen von ISAF hat sich bewährt und wird von den Militärbehörden der NATO auch weiterhin als erforderlich angesehen. Die bislang gesondert mandatierte Beteiligung deutschen Personals am Einsatz der NATO-AWACS im Rahmen von ISAF wird nun in das ISAF-Mandat integriert. […] Darüber hinaus ist es das Ziel der Bundesregierung, zum Ende des Mandatszeitraums eine weitere Reduzierung auf bis zu 4 400 Soldatinnen und Soldaten vorzunehmen, soweit die Lage dies erlaubt und ohne dadurch unsere Truppen oder die Nachhaltigkeit des Übergabeprozesses zu gefährden .“4 Der Einsatz der ISAF erfolgt „im Rahmen der Implementierung: a) der ‚Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen (Bonner Vereinbarung)‘ vom 5. Dezember 2001, b) der ‚Berliner Erklärung‘ der internationalen Afghanistan-Konferenz vom 1. April 2004, c) des auf der Afghanistan-Konferenz in London am 31. Januar 2006 verabschiedeten ‚Afghanistan Compact‘, d) der Beschlüsse des NATO-Gipfels in Straßburg/Kehl am 3./4. April 2009, 1 BT-Drucksache 17/8166 vom 14. Dezember 2011, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/081/1708166.pdf . 2 BT-Drucksache 17/8166, ebenda, S. 3, Ziffer 5. 3 BT-Drucksache 17/8166, ebenda, S. 3, Ziffer 5. 4 BT-Drucksache 17/8166, ebenda, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 5 e) des Schlussdokuments der internationalen Afghanistan-Konferenz in London am 28. Januar 2010, f) des Schlussdokuments der internationalen Afghanistan-Konferenz in Kabul am 20. Juli 2010, g) der Beschlüsse des NATO-Gipfels in Lissabon am 19./20. November 2010, h) der Schlussfolgerungen der internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn am 5. Dezember 2011, sowie auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006, 1776 (2007) vom 19. September 2007, 1833 (2008) vom 22. September 2008, 1890 (2009) vom 8. Oktober 2009, 1943 (2010) vom 13. Oktober 2010 sowie 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 des Grundgesetzes .“5 Gemäß der Sicherheitsratsresolution 2011 (2011) vom 12. Oktober 2011 habe „der ISAF-Einsatz unverändert zum Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Dabei stehen insbesondere die Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte (Afghan National Army, ANA; Afghan National Police, ANP) im Mittelpunkt. Diese sind so zu befähigen, dass sie spätestens Ende 2014 die vollständige Sicherheitsverantwortung in Afghanistan wahrnehmen können .“6 „Bis zum NATO-Gipfel in Chicago im Mai 2012 soll“ gemäß Begründung der Bundesregierung „ein gemeinsames Konzept entwickelt werden, wie die afghanischen Sicherheitskräfte nachhaltig aufgestellt, ausgebildet, ausgestattet und finanziert werden können. Klar ist aber jetzt schon: Auch über 2014 hinaus wird sich die internationale Gemeinschaft an diesen Aufgaben beteiligen müssen.“7 Ziel bleibe es gemäß Bundesregierung, „dass von Afghanistan nie wieder eine terroristische Gefahr für die Welt ausgeht.“ Weiter heißt es: „Dies liegt in unseren eigenen Sicherheitsinteressen begründet, ebenso wie es nach dem 11. September 2001 der Solidarität mit den USA geschuldet war. Die Konsequenz dieser Solidarität erfordert künftig weniger militärisches als ziviles und politisches Engagement: Aus dem Krisenherd Afghanistan muss ein souveräner und verantwortlicher Staat werden, der als gleichberechtigtes Mitglied der Staatengemeinschaft nachhaltig zu Frieden und Stabilität in der Region beiträgt.“8 5 BT-Drucksache 17/8166, ebenda, S. 1, Ziffer 2. 6 BT-Drucksache 17/8166, ebenda, S. 2, Ziffer 4. 7 BT-Drucksache 17/8166, ebenda, S. 6. 8 BT-Drucksache 17/8166, ebenda, S. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 6 2.2. Debatte des Deutschen Bundestages Wesentliche Aspekte der Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Beteiligung an der ISAF mit Blick auf die Debatten im Deutschen Bundestag am 15. Dezember 2011 und am 26. Januar 2012 werden fraktionsbezogen nachfolgend wiedergegeben. Hierbei wurde darauf geachtet, Positionen vorzugsweise nicht zu wiederholen, sondern die Breite der Argumente vorrangig aufzuzeigen.9 CDU/CSU-Fraktion: „Die CDU/CSU-Fraktion ist davon überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, um die Zahl unserer Einsatzkräfte in Afghanistan zu reduzieren. […] In wenigen Monaten wird bereits mehr als die Hälfte Afghanistans von heimischen Sicherheitskräften kontrolliert werden. Davon sind auch Provinzen und Distrikte im deutschen Verantwortungsbereich im Norden betroffen . Das führt Schritt für Schritt zu einer Reduzierung unserer Kräfte. […] Insgesamt verdeutlicht der Beginn der Reduzierung unserer Kräfte eine Gewichtsverschiebung innerhalb der internationalen Afghanistan-Politik von der militärischen Komponente zum politischen Prozess. […] Hier sage ich für meine Fraktion unmissverständlich: Verantwortbare Übergabe hat Vorrang vor der Verwirklichung ehrgeiziger Zeitpläne. […] Um unser Ziel einer vollständigen Übergabe der Sicherheitsverantwortung bis 2014 erreichen zu können, bleiben insbesondere fünf Dinge notwendig : Erstens. Die Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte müssen weiter verstärkt werden; daran wird mit Nachdruck gearbeitet. […] Zweitens. Die afghanische Seite muss mit uns an einem Strang ziehen und ihre bei der Kabuler Konferenz eingegangenen und jetzt in Bonn bekräftigten Verpflichtungen einhalten, etwa zur guten Regierungsführung, zur Korruptionsbekämpfung und hinsichtlich des Aufbaus einer unabhängigen Justiz. Drittens. Der politische Prozess ist von größter Bedeutung. […] Viertens. Ein regionaler Lösungsansatz muss weiter mit aller Kraft verfolgt werden. […] Schließlich fünftens. Die Menschen in Afghanistan dürfen 2014 nicht im Stich gelassen werden. Wir müssen unser Engagement beim Wiederaufbau und bei der Sicherheit in unserem eigenen Interesse fortsetzen.“10 „Es gibt also Fortschritte. Sie sind labil. Deswegen ist es völlig richtig, dass wir die gleiche Formulierung wie bei der letzten Mandatsbeschreibung wählen und sagen: Wir nehmen den Abzug vor, wenn die Sicherheitslage es erlaubt und unsere eigenen Soldaten nicht gefährdet werden.“11 „Wenn man ein Versprechen gegeben hat und sich einem Land gegenüber verpflichtet hat, wie wir es gegenüber den Menschen in Afghanistan getan haben – nicht gegenüber den Politikern in Afghanistan, was sogar zu vernachlässigen wäre, sondern gegenüber der Bevölkerung Afghanistans –, dann muss man dieses Versprechen auch erfüllen; dann muss man trotz großer Widerstände in der eigenen Bevölkerung … zu seinem Wort stehen. Deshalb kann man keinen abrupten Abzug vornehmen, so wie Sie von der Linkspartei es fordern. Es ist klar, dass wir bei den Rück- 9 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/149 vom 15. Dezember 2011 S. 17761 (D) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17149.pdf#P.17762 und Plenarprotokoll 17/155 vom 26. Januar 2012, S. 18559 (B) ff., http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17155.pdf#P.18559 . 10 Dr. Andreas Schockenhoff, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17767 (A). 11 Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17772 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 7 schlägen, die wir in Afghanistan erkennen müssen, mit schwindender Unterstützung und mehr Kritik aus der deutschen Bevölkerung zu rechnen haben. […] Warum sind wir in Afghanistan? Warum sollen wir in der Mandatszeit in Afghanistan bleiben und auch über das Jahr 2014 hinaus , wenn auch in einem wesentlich geringeren Umfang, Verantwortung übernehmen? Letztendlich um unsere eigenen Interessen zu schützen! Das sind in erster Linie Sicherheitsinteressen. […] Eines ist klar: Wenn man seine Interessen einmal definiert hat – dazu gehören unsere Sicherheitsinteressen –, dann muss man sie auch seriös verteidigen.“12 „Verantwortung geht vor Ehrgeiz. Es ist nicht unser Ehrgeiz, Afghanistan so schnell wie möglich zu verlassen, sondern es muss unser Ehrgeiz sein, Afghanistan in Verantwortung für das Land zu stabilisieren und in der Region für mehr Stabilität und Verantwortung zu sorgen.“13 „Schätzungen besagen, dass sich … schon jetzt circa 25 Prozent der afghanischen Bevölkerung unter dem Sicherheitsschirm der afghanischen Sicherheitsbehörden befinden. Bis zum Frühjahr dieses Jahres wird eine Quote von 50 Prozent angestrebt. Wir alle wissen: Wir gehen davon aus, dass bis zum Jahre 2014 eine Abdeckung von 100 Prozent erreicht sein wird. Wir befinden uns in Afghanistan auf einem sehr positiven Entwicklungspfad. […] Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei allen Ministerien, die in diesen Prozess eingebunden sind – insbesondere beim Auswärtigen Amt, beim Verteidigungsministerium, beim BMZ und beim Innenministerium, aber auch bei allen anderen Ministerien –, dafür, dass das Konzept des vernetzten Ansatzes zunehmend Realität wird. […] Der Entwicklungspfad spiegelt sich auch in dem Mandat, das uns die Bundesregierung heute vorlegt, wider. Erstmals kommt es zu einer Reduzierung der Truppenstärke auf 4 900 Soldaten. Im Mandat steht, dass, sofern es die Sicherheitslage erlaubt, angestrebt ist, die Truppenstärke innerhalb von zwölf Monaten auf 4 400 Soldaten zu senken. Das ist der richtige Weg, und wir begrüßen dies außerordentlich.“14 „Es gibt keine militärische Lösung. Aber es gibt eben auch keine Lösung ohne Militär. […] Entscheidend ist dafür aus meiner Sicht die Zusage der internationalen Gemeinschaft auf der Konferenz in Bonn, Afghanistan nach dem Jahr 2014 noch ein Jahrzehnt, bis zum Jahr 2024, Hilfe zu gewähren und Mittel für zivile Aufgaben und Entwicklungsprioritäten bereitzustellen, wie sie der afghanische Staat dann für sich setzen wird. Die Taliban wissen, dass sie in der Zeit ihrer Herrschaft Fehler gemacht haben. Sie kennen die Umfragen und wissen, dass sie nur etwa 4 bis 7 Prozent der Afghanen zurück an der Macht sehen wollen.“15 „Was sich nach 2014 ändert, ist der Schwerpunkt unseres Handelns: ‚Weniger Militär, mehr Entwicklung‘ lautet die Maxime. Der Schwerpunkt liegt künftig auf noch mehr Unterstützung für bessere Bildung, für Gesundheit, für wirtschaftliche Entwicklung.“16 „Entscheidend für einen Abzug muss immer die Lage vor Ort sein. Wir müssen beachten, dass der Abzug Kräfte und Köpfe bindet, beispielsweise im Bereich Logistik, aber auch zum Schutz 12 Philipp Mißfelder, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17779 (C) f.. 13 Roderich Kiesewetter, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17783 (B). 14 Dr. Rainer Stinner, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18559 (B) f.. 15 Ruprecht Polenz, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18561 (C) f.. 16 Dr. Karl A. Lamers, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18570 (A). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 8 des Abzugs selbst. Zudem muss er in enger Absprache mit unseren Partnern und Verbündeten erfolgen .“17 SPD-Fraktion: „Wo stehen wir heute? Es gibt die ersten Schritte des Übergangsprozesses, der Transition genannt wird. Seine Umsetzung scheint vorerst erfolgreich zu sein. Jedenfalls sorgen heute in den Provinzen Bamiyan, Pandschschir und Kabul sowie in den Städten Herat, Lashkar Gah, Mehtar Lam und Masar-i-Scharif afghanische Sicherheitskräfte für Ordnung und behaupten sich gegen zum Teil wütende Angriffe der Aufständischen. […] Viele Sorgen bleiben, manche haben sich verstärkt . Ich will hier nur drei wichtige auf die Transition bezogene Sorgen skizzieren: Erstens. Die Transition kann an der mangelnden Ausbildung und an den lückenhaften Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte scheitern. […] Zweite Sorge: Welche Kräfte zu Lande und in der Luft werden die afghanischen Streitkräfte brauchen, um bis 2014 die Sicherheitsverantwortung in den jetzt noch umkämpften Gebieten zu übernehmen, und wie können die notwendigen Fähigkeiten aufgebaut werden, solche Gebiete unter nachhaltige Kontrolle zu bringen? […] Dritte Sorge: Wie lange soll es eigentlich noch dauern, bis Präsident Karzai und seine Leute verstehen, dass ohne eine bessere Regierungsführung, ohne Erfolge im Zurückdrängen von Korruption und Alltagskriminalität , die immer mehr zur Gewalterfahrung der Bevölkerung vor Ort beiträgt, und ohne eine Nulltoleranzpolitik gegen das Netzwerk von Drogenanbau und Drogenhandel ein Regieren in Afghanistan ohne die Unterstützung von fremden Kampftruppen völlig unmöglich ist? […] Ich glaube aber, die im Fortschrittsbericht mehrfach beschworene positive Trendwende, die auch Minister Westerwelle eben beschworen hat, wird erst dann eintreten, wenn es überzeugende Antworten auf diese drei Fragen gibt. Daran müssen wir in Zukunft gemeinsam verstärkt arbeiten . Wir sind dazu bereit.“18 „Wie machen wir weiter bis zum Jahr 2014, und was machen wir danach? Ich habe in der Debatte manchmal ein bisschen Sorge, dass der Eindruck entsteht: 2014 ist das Ziel. – Nein, das Ziel ist, bis zum Jahr 2014 so weit zu kommen, dass die Afghanen mit den dann verbliebenen Problemen selbst fertig werden, selbst umgehen können; das ist das Entscheidende. Aber im Kern wird es darum gehen – das ist die Schlüsselfrage –, für eine nachhaltige Finanzierung der afghanischen Sicherheitsorganisationen zu sorgen. Wenn dies im nächsten Jahr nicht gelingt, dann werden die Afghanen erleben, dass die Sicherheitsorgane – wie schon einmal – davonlaufen und ihr Staat zerfällt.19 „‘Die Botschaft von Bonn ist: Wir lassen Afghanistan nicht im Stich‘, verkündet lautstark der aktuelle Fortschrittsbericht der Bundesregierung. Die Botschaft der USA klingt allerdings etwas anders : Wir lassen Afghanistan zwar nicht im Stich, aber die Zeiten unbegrenzter Hilfen sind vorüber . […] Trotzdem gibt es Dinge in Afghanistan, die zwingend einer robusten Finanzierung bedürften . Aber diese Finanzierung ist nach wie vor nicht einmal ansatzweise erkennbar. An erster Stelle dürften dabei die teuren afghanischen Sicherheitskräfte stehen, ohne die kein verantwortungsvoller Abzug unserer Bundeswehr und unserer Verbündeten stattfinden kann. Aber auch 17 Florian Han, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18573 (C). 18 Dr. h.c. Gernot Erler, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17765 (D) ff.. 19 Rainer Arnold, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17775 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 9 zivile Hilfsprojekte werden noch lange auf Gelder der internationalen Gemeinschaft angewiesen sein.“20 „Afghanistan ist gegenwärtig kein Rückzugsraum mehr für international agierende Terroristen. Dieser Erfolg – das muss uns allen klar sein – steht auf wackeligen Beinen. Ein sofortiger und vollständiger Rückzug auch der ISAF-Truppen würde das Land sehr wahrscheinlich wieder im Bürgerkriegssumpf versinken lassen. […] Afghanistan wird weiterhin auf unsere Unterstützung angewiesen sein. Man muss der Regierung in Kabul auch sehr deutlich machen, dass wir Fortschritte erwarten, besonders im Bereich Good Governance, bei der Einhaltung demokratischer Grundrechte und Menschenrechte, bei Pressefreiheit und Frauenrechten, bei freien demokratischen Wahlen und bei der Bekämpfung von Armut, Drogenhandel und Korruption. Auch der innerafghanische Versöhnungsprozess muss ernsthaft vorangetrieben werden; denn nur so – nicht nur militärisch – ist der Konflikt dauerhaft zu lösen. Wir brauchen in Afghanistan eine politische Lösung.“21 „Die Außergewöhnlichkeit dieses Mandates besteht auch darin, dass der Deutsche Bundestag zumindest in dieser Form wahrscheinlich noch zweimal wird entscheiden müssen.“22 FDP-Fraktion: „2011 markiert einen Wendepunkt in der internationalen Afghanistan-Politik. Der strategische Konsens von Bonn in der internationalen Gemeinschaft wird Baustein für Baustein umgesetzt. Erstens. Es wird keine militärische, sondern nur eine politische Lösung geben. Zweitens. Im Juli hat der Transitionsprozess begonnen. Drittens. Für eine stabile Entwicklung Afghanistans ist die Mitwirkung aller Nachbarstaaten erforderlich. Viertens. Wir werden eine stabile Entwicklung nur schaffen, wenn wir Afghanistan auch nach 2014 weiter unterstützen. […] Aus dem Krisenherd Afghanistan soll ein souveräner und verantwortlicher Staat werden, ein Staat, der als gleichberechtigtes Mitglied der Völkergemeinschaft zu Frieden und Stabilität in der Region beiträgt.“23 „Wir haben uns immer vorgestellt, einen Prozess zu initiieren, der in Europa erfolgreich war; ich nenne nur OSZE und KSZE. Wenn es dann am Ende der Reise dazu kommen sollte, dass Institutionen in der Region einen solchen Prozess beginnen, wäre ich sehr froh und zufrieden. Ich hoffe, dass Staaten wie China, Russland und Indien sich ihrer Verantwortung bewusst sind, dass sie sich aktiv an einem solchen politischen Prozess beteiligen und dass auch die Bundesrepublik Deutschland weiterhin wie bisher mit aller Kraft daran arbeitet, dass ein solcher politischer Prozess an dieser Stelle auf den Weg gebracht wird.“24 „Aufgrund der heutigen Situation halte ich es für vernünftig, mit einem behutsamen Abzug zu beginnen, zu sehen, wie er sich im Einzelnen auswirkt, und vor allen Dingen nach und nach die 20 Johannes Pflug, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17781 (C) f.. 21 Stefan Rebmann, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18560 (D) f.. 22 Dr. Rolf Mützenich, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18566 (D). 23 Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17765 (B) ff.. 24 Elke Hoff, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17777 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 10 afghanischen Sicherheitskräfte in die Lage zu versetzen, parallel zu diesem Abzug ihre Fähigkeiten einzubringen und letztendlich unter Beweis stellen zu können.“25 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Wir verlängern diesen Einsatz um ein weiteres Jahr. Aber diese Verlängerung ist kein Weiter-so; denn gleichzeitig wird die Zahl der eingesetzten Soldatinnen und Soldaten auf 4 900 reduziert. Zum ersten Mal nach zehn Jahren Einsatz lässt die Sicherheitslage einen schrittweisen Abzug der internationalen Truppen zu.“26 „Es ist jetzt zwei Jahre her, dass Präsident Obama eine Kehrtwende in der Afghanistan-Politik eingeleitet hat. Er hat ausgesprochen, dass der Konflikt in Afghanistan nicht militärisch, sondern nur politisch gelöst werden kann. Das war die Voraussetzung für den Strategiewechsel der internationalen Gemeinschaft auf der Londoner Konferenz Anfang 2010. Das war richtig und wichtig. Es ist aber offenkundig: Diese politische Lösung ist nicht einfach zu erreichen, und sie wird vor allem einen unangenehmen politischen Preis haben. Frieden schließt man mit Gegnern, das heißt in diesem Fall, auch mit den reaktionärsten Teilen der afghanischen Gesellschaft. Dennoch bleibt dieser Weg richtig.“27 „Dieses Mandat sollte den Abzug unserer Kampftruppen einleiten. Wenn wir im Jahr 2014 die Kampftruppen ganz heraus haben wollen, dann müssen wir ihre Stärke 2012 und 2013 substanziell reduzieren. Wenn Herr de Maizière im Dezember sagt, dass er meint, dass deutsche Kampftruppen auch nach 2014 in Afghanistan sind, dann stellt er die zentrale Botschaft der internationalen Gemeinschaft zum Abzug infrage. Das ist ein Wirrwarr und kein klares Konzept.“28 „Herr Kollege Friedrich wird damit zitiert, dass die Polizeiausbildung in Afghanistan nach 2014 nicht mehr weitergehe, weil die Bundeswehr dann nicht mehr da sei. Das ist eine unglaublich spannende Argumentation, die ganz bestimmt kein Vertrauen ausstrahlt: kein Vertrauen in die Arbeit der Polizistinnen und Polizisten sowie der Bundeswehrangehörigen, die die afghanischen Sicherheitsleute ausgebildet haben, vor allem kein Vertrauen in das eigene Versprechen, dass man alles tun werde, damit die afghanischen Sicherheitskräfte im Jahr 2015 selbst die Sicherheit gewährleisten können. Sie können doch nicht auf der einen Seite sagen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte selbst die Sicherheit gewährleisten können, und auf der anderen Seite sagen: Wir werden dann keine Polizisten mehr nach Afghanistan schicken, weil die Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist.“29 „Die Entwicklung der letzten fünf Jahre zeigt das Gegenteil. Jedes Jahr ist die Sicherheitssituation schlechter geworden. Die Zahlen über den Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte täuschen , weil diese Sicherheitskräfte – auch nach dem Bericht der Bundesregierung – zu einem großen Teil monatlich Schwund haben, das heißt, Sicherheitskräfte desertieren, wechseln die 25 Elke Hoff, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18565 (A). 26 Dr. Bijan Djir-Sarai, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17769 (C). 27 Dr. Frithjof Schmidt, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17770 (D). 28 Dr. Frithjof Schmidt, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18564 (B). 29 Omid Nouripour, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18569 (C). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 11 Fronten oder gehen einfach weg. Einige machen, wie wir wissen, sogar Schlimmeres: Sie bekämpfen und erschießen NATO-Soldaten.“30 Fraktion DIE LINKE: „Das Mandat, das zur Entscheidung vorgelegt worden ist, enthält zwei Botschaften. Die erste Botschaft ist: Die Bundeswehr bleibt in Afghanistan. Die zweite Botschaft ist: Der Krieg wird fortgesetzt .“31 „Der Krieg in Afghanistan war von Anfang an falsch, und weil Sie nicht weiterwissen, machen Sie weiter wie bisher. Der Abzug ist eine Mogelpackung und eine Lüge; denn die Bundeswehr wird nur dann wirklich abgezogen, wenn es die Sicherheitslage zulässt. Das heißt, wenn sie es nicht zulässt, bleibt die Bundeswehr dort.“32 „Was uns hier und heute serviert wird, ist ein Abzug von Personal in homöopathischer Dosis, während gleichzeitig alles, was für harte Kriegführung benötigt wird, im Land bleibt. Mehr noch: Die Verlegung weiterer Kampfhubschrauber ist geplant. Ein substanzieller Abzug sieht anders aus. […] Die Vorstellung, dass es 2024 noch NATO-Soldaten am Hindukusch geben könnte, ist schlicht irreal. Das wird von der afghanischen Bevölkerung nicht akzeptiert werden, die endlich Selbstbestimmung will, statt weiterhin Spielball geostrategischer Ambitionen anderer zu sein.“33 „Die USA zum Beispiel planen bis zu fünf permanente Militärstützpunkte mit bis zu 50 000 Soldaten , die auf lange Sicht in Afghanistan stationiert bleiben sollen. Das ist nichts anderes als eine dauerhafte Besetzung Afghanistans. Das lehnen wir mit der afghanischen Bevölkerung ab. […] Aktuelle Daten vom Auswärtigen Amt: Ein Drittel der Bevölkerung ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 68 Prozent der Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, 95 Prozent haben keinen Zugang zu verbesserten Sanitäreinrichtungen, und 42 Prozent der Menschen – das ist fast die Hälfte der Bevölkerung – lebt von weniger als 1 Dollar pro Tag. Das ist absolute Armut nach zehn Jahren sogenanntem Aufbau in Afghanistan.“34 3. ACTIVE ENDEAVOUR 3.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Dezember 2011 Die jüngste Verlängerung des Mandats zur „Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen“ erfolgte durch den Deutschen Bundestag am 1. Dezember 2011. Die Man- 30 Hans-Christian Ströbele, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18572 (C). 31 Wolfgang Gehrcke, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17768 (A). 32 Christine Buchholz, Plenarprotokoll 17/149, ebenda, S. 17778 (D). 33 Paul Schäfer, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18562 (D) f.. 34 Heike Hänsel, Plenarprotokoll 17/155, ebenda, S. 18571 (C). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 12 datsobergrenze zur Operation „Active Endeavour“ (OAE) liegt bei 700 Soldatinnen und Soldaten. Das Mandat ist bis zum 31. Dezember 2012 befristet.35 Der Beschluss weist darauf hin, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in seiner Resolution 1368 (2001) vom 12. September 2001 die Anschläge vom 11. September 2001 als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit bezeichnet und das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung unterstrichen hat; ergänzend hat er mit der Resolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 alle Staaten zur Bekämpfung des Terrorismus aufgefordert. Die Bundesregierung weist ergänzend in ihrer Antragsbegründung darauf hin, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der am 12. Oktober 2011 verabschiedeten Resolution 2011 (2011) die „fortdauernde Geltung“ der vorgenannten Resolutionen „bekräftigt“36. Der Deutsche Bundestag stellt fest, dass „die deutschen Streitkräfte bei der Beteiligung an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus in Wahrnehmung des Rechtes zur kollektiven Selbstverteidigung im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 des Grundgesetzes (handeln).“37 Die Operation Active Endeavour habe zum Ziel, „im Mittelmeerraum zum Schutz vor und zur Verteidigung gegen sowie zur Abschreckung und aktiven Bekämpfung möglicher terroristischer Aktivitäten beizutragen.“ Damit werde „ein Beitrag zur maritimen Sicherheit geleistet“, die die Aufgabe der „Unterstützung spezifischer Operationen der NATO oder weiterer Partner in Reaktion auf mögliche terroristische Aktivitäten im Mittelmeer“ beinhaltet.38 Zur Begründung des Antrages stellt die Bundesregierung u.a. fest, dass „die Operation Active Endeavour NATO-Partnern, wie bisher der Ukraine, Russland oder Marokko, die Möglichkeit der Beteiligung (bietet) und damit die Prinzipien der kollektiven Verteidigung und kooperativen Sicherheit (verbindet).“39 3.2. Debatte des Deutschen Bundestages Wesentliche Aspekte der Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Operation „Active Endeavour“ (OAE) mit Blick auf die Debatten am 23. November 2011 und am 1. Dezember 2011 werden fraktionsbezogen wiedergegeben. Hierbei wurde darauf geachtet, Positionen vorzugsweise nicht zu wiederholen, sondern die Breite der Argumente vorrangig aufzuzeigen.40 35 BT-Drucksache 17/7743 vom 16. November 2011, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/077/1707743.pdf. 36 Ebenda, S. 4. 37 Ebenda, Ziffer „3. Verfassungsrechtliche Grundlagen“, S. 2. 38 Ebenda, Ziffer „4. Auftrag“, S. 2. 39 Ebenda, S. 4. 40 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/142 vom 23. November 2011, S. 17017 (B) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17142.pdf#P.17017 und Plenarprotokoll 17/146 vom 1. Dezember 2011, S. 17380 (A) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17146.pdf#P.17380 . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 13 CDU/CSU-Fraktion: „Die Operation Active Endeavour ist ein deutlich sichtbares Zeichen unserer Bündnissolidarität, insbesondere – auch das gilt noch nach zehn Jahren – gegenüber den Vereinigten Staaten. […] Wir werden den Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit durch terroristische Aktivitäten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen Einhalt gebieten, und zwar im Wesentlichen nach wie vor präventiv. Darum geht es ja bei Active Endeavour.“41 „Wenn man den internationalen Terror als Bedrohung ernst nimmt, dann muss man tatsächlich bereit sein, sich auf bestimmte Szenarien einzulassen. Die NATO ist bereit, sich darauf einzulassen und sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Gerade vor dem Hintergrund der Umbrüche in der arabischen Welt ist überhaupt nicht auszuschließen, dass der Ansporn für Terroristen an manchen Stellen zunehmen wird. Darauf reagiert die NATO adäquat und maßvoll, wie ich finde. Deshalb steht dieses Mandat zu Recht vor der Verlängerung. […] Es gibt für uns drei Gründe, das Mandat fortzusetzen: Der erste Grund ist die Sicherheit. Zweitens ist die Fortsetzung notwendig, um im Mittelmeerraum präsent zu sein, gerade weil wir in der Lageeinschätzung dazu kommen, dass wir nicht davon ausgehen können, dass die Sicherheit auf den Seewegen automatisch gegeben ist. Der dritte Grund – das ist ein wichtiges Argument, und wir haben es auch an anderer Stelle schon häufig bemüht – ist die Bündnissolidarität.“42 „Für die Beendigung dieses Bündnisfalles wäre es übrigens notwendig, dass die Mitgliedstaaten der NATO feststellen, dass von diesem Gebiet keine Gefahr mehr ausgeht und für dieses Gebiet keine Gefahr mehr besteht. Das, meine Damen und Herren, ist aber, wie ich eingangs bereits erläutert habe, sicherlich nicht der Fall.“43 „Terrorismus ist weiterhin eine der größten Herausforderungen für die internationale Staatengemeinschaft . Seit 2001 hat der Sicherheitsrat in Resolutionen regelmäßig die Notwendigkeit betont , den internationalen Terrorismus umfassend zu bekämpfen. Diesen Kampf können wir nur gemeinsam gewinnen und nur – das ist leider so – unter Einbeziehung militärischer Kräfte. Die OAE ist dazu ein wichtiger Beitrag. Als letztes Mittel sieht das OAE-Mandat auch den Einsatz von militärischer Gewalt vor.“44 SPD-Fraktion: „Eine Mission, die ausschließlich auf Präsenz und Informationsgewinnung ausgelegt ist, verdient es nicht mehr, dass noch ein Kampfauftrag für die Soldaten formuliert wird. Fast alles, auch die gesamte Begründung zu diesem Antrag, spricht davon, dass man Präsenz zeigen, überwachen und helfen will. Aber nirgendwo, auch in der Begründung nicht, steht ein direkter Kampfauftrag. […] Wir sind der Meinung, dass es sicherlich richtig und sinnvoll ist, weiterhin den Terrorismus zu bekämpfen und eine vernetzte Sicherheit herzustellen. Das sollte aber nicht auf dieser Rechtsgrundlage geschehen. […] Es treibt uns schon die Sorge um, dass man nicht weiß, wann ein 41 Thomas Kossendey, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17019 (D) f. 42 Philipp Mißfelder, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17022 (D) f. 43 Robert Hochbaum, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17382 (D). 44 Dr. Wolfgang Götzer, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17385 (B) f.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 14 Bündnisfall, der vielleicht demnächst wieder eintritt, eigentlich beendet ist. Wir müssen dringend klären, wann ein Bündnisfall, der einmal eingetreten ist, beendet ist.“45 „Wer die Missionen vergleicht, der sieht, dass die Operation Enduring Freedom46 darauf abzielte, Terroristen ausfindig zu machen, gefangen zu setzen und zu bekämpfen. Wir sind dort ausgestiegen , weil die Legitimation nicht mehr gegeben ist. Die Operation Active Endeavour ist hingegen eine reine Beobachtungs- und Überwachungsmission. Trotzdem ist im Antrag der Bundesregierung weiterhin von einer Bekämpfung von Terroristen die Rede. […] Es fällt mir schwer, zu verstehen und logisch nachzuvollziehen, warum man zur Beobachtung und zum Austausch von Informationen ein solch robustes Mandat braucht.“47 FDP-Fraktion: „Viele von Ihnen bewegt die Frage, ob dieser Einsatz zehn Jahre nach dem 11. September nicht abgeschlossen werden kann. […] Die deutsche Beteiligung an OAE dient der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion der NATO auf die terroristischen Angriffe gegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Das heißt, wir haben bei dem Mandat nicht nur die Geschichte, sondern selbstverständlich auch die Bündnisaspekte zu berücksichtigen. […] Alle unsere Partner, und zwar ohne Ausnahme, halten eine Fortsetzung von Active Endeavour für erforderlich. […] Das neue Strategische Konzept der NATO definiert kollektive Verteidigung und kooperative Sicherheit als Kernaufgaben des Bündnisses. Beide Kernaufgaben werden bei OAE miteinander verbunden.“48 „Vor dem Hintergrund der bestehenden sicherheitspolitischen Herausforderungen und aufgrund der Einbindung in das Bündnis – alle anderen Partner im Bündnis sehen es genauso – halten wir es für geboten, den Einsatz um ein weiteres Jahr zu verlängern. Wir sollten uns bemühen, es langfristig in eine Standing Maritime Operation zu überführen.“49 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Aber zu behaupten, die terroristischen Angriffe auf die USA im Jahr 2001 dauerten bis heute an und man dürfe deshalb überall auf der Welt für unbegrenzte Zeit bewaffnete Einsätze ohne Mandat des Sicherheitsrates auf den Weg bringen, das haben wir Ihnen schon bei OEF nicht durchgehen lassen, und das machen wir auch bei Active Endeavour nicht mit. […] Obwohl seit Beginn des Einsatzes keine Terroristen im Mittelmeer gefunden wurden, sieht der Operationsplan nach wie vor die Anwendung militärischer Gewalt zur Erfüllung des Auftrages vor. Wozu soll das gut sein? Um Lagebilder zu gewinnen oder auszutauschen, braucht es keinen bewaffneten Einsatz.“50 45 Ullrich Meßmer, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17019 (B) f. 46 Anmerkung: Anti-Terroroperation Enduring Freedom in Afghanistan 47 Ulla Schmidt (Aachen), Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17381 (B). 48 Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17017 (D) ff. 49 Joachim Spatz, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17381 (A). 50 Katja Keul, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17021 (D) f.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 15 „Die Frage, wie man den Bündnisfall aufhebt, ist ziemlich einfach zu beantworten: einstimmig beschlossen muss einstimmig wieder aufgehoben werden. Dafür muss aber irgendjemand die Stimme erheben.“51 Fraktion DIE LINKE: „An der Antiterrormission Enduring Freedom52 beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland aus guten Gründen nicht mehr. Warum also sollten wir der Beteiligung an der Operation Active Endeavour zustimmen? […] Es gibt keine militärische Bedrohung, gegen die sich der Marineeinsatz richten könnte. Die NATO sagt doch selbst, dass es bei Active Endeavour im Kern um etwas anderes geht: Ihr primäres Interesse gilt der Etablierung eines umfassenden Systems der Seeraumüberwachung .“53 „Ich frage Sie: Hat der Krieg gegen den Terror wirklich zu mehr Demokratie geführt, oder sind wir durch den Krieg gegen den Terror so verändert worden, dass es weniger Demokratie gibt? Ich glaube, Letzteres ist der Fall. Das heißt, mit Ihrer Begründung zeigen Sie: Der Krieg gegen den Terror ist ein einziges Desaster. Man darf kein Mandat erteilen, das darauf beruht. […] Wenn Deutschland feststellt, dass der Bündnisfall nicht mehr gegeben ist, dann ist nach den NATO- Vereinbarungen der Bündnisfall aufgehoben. So einfach kann das gehen, und zwar durch einen Beschluss dieses Parlaments. Nur erklären müssen Sie es!“54 4. ATALANTA 4.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Dezember 2011 Die jüngste Verlängerung des Mandats zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation ATALANTA erfolgte durch den Deutschen Bundestag am 1. Dezember 2011. Es können bis zu 1 400 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein entsprechender Beschluss des Rates der Europäischen Union vorliegen, längstens jedoch bis zum 18. Dezember 2012.55 Gemäß Beschluss des Deutschen Bundestages erfolgt „die Fortsetzung des Einsatzes der deutschen Streitkräfte im Rahmen der EU-geführten Operation Atalanta auf der Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 51 Omid Nouripour, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17384 (B). 52 Anmerkung: Anti-Terroroperation Enduring Freedom in Afghanistan 53 Paul Schäfer, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17021 (A). 54 Wolfgang Gehrcke, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17383 (B). 55 BT-Drucksache 17/7742 vom 16. November 2011, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/077/1707742.pdf . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 16 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der Europäischen Union vom 30. Juli 2010 und dem Beschluss 2010/766/GASP des Rates der Europäischen Union vom 7. Dezember 2010 im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Artikels 24 Absatz 2 des Grundgesetzes.“56 Die Bundesregierung erläutert in der Antragsbegründung, dass „die Bekämpfung der Piraterie auf See vor Somalia nach wie vor durch Bemühungen um den Wiederaufbau des somalischen Staates und die Bekämpfung der Ursachen der Piraterie an Land flankiert (wird). Dies soll die Voraussetzungen für eine nachhaltige Versorgung und Entwicklung Somalias schaffen.“57 4.2. Debatte des Deutschen Bundestages Wesentliche Aspekte der Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zu ATALANTA mit Blick auf die Debatten am 23. November 2011 und 1. Dezember 2011 werden fraktionsbezogen nachfolgend wiedergegeben. Hierbei wurde darauf geachtet, Positionen vorzugsweise nicht zu wiederholen, sondern die Breite der Argumente vorrangig aufzuzeigen.58 CDU/CSU-Fraktion: „Von den 27 Mitgliedstaaten (Anmerkung: der Europäischen Union) beteiligen sich im Wesentlichen Deutschland, Spanien, Frankreich, die Niederlande und Luxemburg an diesen Aktivitäten. […] Eines muss aber klar sein: Das, was wir mit der deutschen Marine auf See machen, ist nur ein Bekämpfen von Symptomen. Wir brauchen jenseits dessen, was der Verteidigungsminister an Beitrag zu liefern hat, eine weitaus breitere Palette an Aktionsmöglichkeiten, um den Sumpf der Piraterie dort auszutrocknen.“59 „Die Bedrohung durch die Piraten ist nicht gebannt. Es gibt tatsächlich immer mehr Zwischenfälle , selbst wenn die Aufklärungsquote vor allem dank des militärischen Engagements erhöht werden konnte.“60 „Die Piraterie am Horn von Afrika ist nichts anderes als organisierte Kriminalität. Sie richtet sich nicht nur gegen Waren, sondern auch gegen Menschen. Hier kämpfen nicht nur ein paar arme Fischer darum, ihre Familien ernähren zu können. Nein, wer mit Granatwerfern oder AK-47 bewaffnet und unter Einsatz modernster Kommunikationsmittel wie Sattelitentelefonen und GPS- 56 Ebenda, S. 2. 57 Ebenda, S. 7. 58 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/142 vom 23. November 2011, S. 17010 (B) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17142.pdf#P.17010 und Plenarprotokoll 17/146 vom 1. Dezember 2011, S. 17396 (B) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17146.pdf#P.17396 . 59 Thomas Kossendey, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17012 (B) f.. 60 Philipp Mißfelder, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17016 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 17 Systemen große Schiffe kapert, der ist weit weg von unserer romantischen Vorstellung von einem Robin Hood der Meere.“61 SPD-Fraktion: „Insbesondere nehme ich das auf, was Jack Lang, der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, festgestellt hat. Er sagte, das Problem der Piraterie bestehe insbesondere darin, dass sie von der organisierten Kriminalität bzw. von den internationalen Netzwerken unterstützt wird, indem diese das Geld waschen, das die Piraterie erbringt.“62 „Auch im dritten Jahr der Mission Atalanta bleibt die Seefahrt vor Somalia gefährlich. Über 90 Prozent aller Piratenübergriffe weltweit konzentrieren sich auf diese Region. […] Über 4 Millionen Menschen in Somalia sind abhängig von Hilfen der internationalen Gemeinschaft. Diese Hilfe läuft eben vor allem über See. Daher bleibt es richtig, die Hilfstransporte nach Somalia auf dem Seeweg abzusichern. Seit es den Geleitschutz für die Hilfsgüter nach Somalia gibt, wurde kein Schiff mehr von Piraten überfallen. […] Wir werden uns sehr konsequent für die Sicherheit unserer Handelswege nicht nur mit militärischen Mitteln, aber eben im Ernstfall auch mit militärischen Mitteln einsetzen. […] Die Ursachen für die Piraterie liegen an Land. Wir werden die Mission Atalanta erst beenden können, wenn die Ursachen für die Piraterie beseitigt sind. […] Neben Atalanta gibt es Missionen der USA, der NATO, Russlands und Indiens. Außerdem haben China, einige arabische Staaten und Japan Schiffe vor die somalische Küste entsandt. Das zeigt, wie viele Länder diese Bedrohung ernst nehmen. Deswegen regen wir an, eine gemeinsame UN-Mission zur Bekämpfung der Piraterie vor Somalia einzurichten. Das wäre dann auch die Chance, die Bekämpfung der Piraterie an Land auf eine breitere Grundlage zu stellen.“63 FDP-Fraktion: „Seitdem Atalanta vor knapp drei Jahren die Arbeit aufgenommen hat, haben wir über 120 Schiffstransporte des Welternährungsprogramms schützen können, und die Schiffe haben ihre somalischen Zielhäfen sicher erreichen können. Über 700 000 Tonnen Nahrungsmittel und weitere wichtige Hilfsgüter konnten so nach Somalia gebracht werden. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind insgesamt 4 Millionen Menschen auf diese Hilfe angewiesen. Damit gehört Somalia zu den größten humanitären Krisengebieten weltweit. […] Atalanta handelt im Auftrag der Vereinten Nationen und auf Bitten der somalischen Übergangsregierung. […] Die Freiheit der Meere und die Sicherung der Seewege sind von besonderer strategischer Bedeutung. Das zu ignorieren , wäre ein Fehler. […] Durch das Seegebiet vor Somalia, vor allem durch den Golf von Aden , führt die wichtigste Handelsroute zwischen Europa, der arabischen Halbinsel und Asien. Diese Route offen zu halten, ist eine wichtige Aufgabe internationaler Sicherheitspolitik und liegt im unmittelbaren deutschen Interesse. […] Atalanta fügt sich ein in eine Vielzahl von Maßnah- 61 Florian Hahn, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17398 (B). 62 Dr. Rolf Mützenich, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17012 (A). 63 Karin Evers-Meyer, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17397 (B) f.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 18 men, die ein gemeinsames Ziel haben, nämlich die fragile Region am Horn von Afrika zu stabilisieren .“64 „Auch die deutsche Hilfe bei der Ausbildung somalischer Truppen in Uganda sollte fortgesetzt werden; denn eines ist klar: Wir betreiben durch die Sicherung der Seewege nur Symptombekämpfung . Das heißt, parallel zu dem Mandat muss die Übergangsregierung in Somalia weiterhin politisch unterstützt werden. Uns wird immer wieder vorgeworfen, dass wir eine Regierung unterstützen , die nicht vollständig von der Bevölkerung getragen wird. Das ist uns wohl bewusst. Aber diese Regierung – eine Übergangsregierung in einem völlig zerrütteten Staatswesen – wird von der Afrikanischen Union und der zuständigen Regionalorganisation für Ostafrika unterstützt. Letztendlich ist sie die einzige Hoffnung darauf, dass man dort irgendwann zu geordneten staatlichen Strukturen zurückkehrt. […] Wir verfolgen insofern einen Ansatz mit zwei Zielen: Wir sichern durch den Einsatz unserer Schiffe, soweit möglich, die Seewege und somit die humanitäre Versorgung der Menschen im Land; dies ist in der letzten Zeit wichtiger und nicht unwichtiger geworden. Gleichzeitig unterstützen wir einen politischen Prozess, der irgendwann hoffentlich zum Wiederaufbau geordneter staatlicher Strukturen führt. Deshalb kommen wir zu dem Schluss, dass dieser Einsatz aus humanitären und aus politischen Gründen weiterhin geboten ist und dass das Mandat verlängert werden muss.“65 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Ich vermisse innerhalb der EU ein wenig die Stimme der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Thema. Es wäre gut, wenn Deutschland sich dafür einsetzte, dass die Europäische Union einheitlicher agiert, damit wir zum Beispiel das, was die UN seit Jahren beschließt, endlich konsequent umsetzen, nämlich ein Waffenembargo gegen Somalia. Dafür brauchen wir die Nachbarstaaten . Die sind aber zurzeit nicht damit betraut, mit der internationalen Gemeinschaft zusammenzuarbeiten . Dieses Problem kann in Brüssel nicht gelöst werden. Aber in Brüssel können Lösungen dafür entwickelt werden, wie man diese Länder besser unter Druck setzen kann.“66 „Somalia ist seit mehr als 20 Jahren ein gescheiterter Staat. Es wird hier keine schnellen Lösungen geben.“67 „Ist es Aufgabe der Bundeswehr, einer Bundeswehr, die jetzt nicht mehr aus Wehrpflichtigen besteht , in Zukunft die Handelswege für die Exportnation Deutschland zu sichern?“68 Fraktion DIE LINKE: „Auch nach drei Jahren Atalanta müssen wir in diesem Jahr wieder konstatieren: Die Überfälle von Piraten sind auf einem neuen Höchststand. Die Zahl der geglückten Entführungen stagniert 64 Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17010 (C) f.. 65 Joachim Spatz, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17396 (D). 66 Omid Nouripour, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17016 (A). 67 Kerstin Müller (Köln), Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17401 (A). 68 Hans-Christian Ströbele, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17402 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 19 auf hohem Niveau, und die Piraten haben ihr Operationsgebiet weiter ausgedehnt. Von einer erfolgreichen Bekämpfung der Piraterie kann keine Rede sein. […] Wer Piraterie wirklich bekämpfen will, muss die sozialen und politischen Ursachen angehen.“69 „Atalanta ist kein humanitäres Hilfsprojekt, und Atalanta ist auch keine politische Strategie. Atalanta ist doch einfach nur eine rein militärische Bekämpfung von Symptomen. Mit Kriegsschiffen können Sie die Armut nicht bekämpfen, mit Kriegsschiffen können Sie auch keinen Bürgerkrieg bekämpfen, und mit Kriegsschiffen können Sie auch das Problem der organisierten Kriminalität nicht lösen, die hinter der Piraterie steckt.“70 5. ALTHEA 5.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 1. Dezember 2011 Der jüngste Beschluss des Deutschen Bundestages zur „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation ‚ALTHEA‘ zur weiteren Stabilisierung des Friedensprozesses in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Implementierung der Annexe 1- A und 2 der Dayton-Friedensvereinbarung sowie an dem NATO-Hauptquartier Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage der Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 1575 (2004) und Folgeresolutionen“ erfolgte am 1. Dezember 2011.71 „Der Einsatz erfolgt unter Fortgeltung der Regelungen des Beschlusses der Bundesregierung vom 10. Dezember 2010, dem der Deutsche Bundestag am 2. Dezember 2010 zugestimmt hat (Bundestagsdrucksache 17/3692), einschließlich der zu Protokoll gegebenen Erklärung der Bundesregierung vom 24. November 2004 (Bundestagsdrucksache 15/4256).“ Das Mandat sieht eine Obergrenze von 800 Soldaten vor und ist bis zum 21. November 2012 befristet. Die Kräfte können eingesetzt werden, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein entsprechender Beschluss des EU-Rates vorliegen.72 5.2. Debatte des Deutschen Bundestages Wesentliche Aspekte der Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zur EUgeführten Operation ALTHEA mit Blick auf die Debatten vom 10. November 2011 und 1. Dezember 2011 werden fraktionsbezogen nachfolgend wiedergegeben. Hierbei wurde darauf geachtet, Positionen vorzugsweise nicht zu wiederholen, sondern die Breite der Argumente vorrangig aufzuzeigen .73 69 Christine Buchholz, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17014 (C). 70 Jan van Aken, Plenarprotokoll 17/142, ebenda, S. 17399 (C). 71 BT-Drucksache 17/7577 vom 2. November 2011, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/075/1707577.pdf . 72 BT-Drucksache 17/7577, ebenda. 73 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/139 vom 10. November 2011, S. 16554 D ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17139.pdf#P.16554 und Plenarprotokoll 17/146 vom 1. Dezember 2011, S. 17414 (B) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17146.pdf#P.17414 . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 20 CDU/CSU-Fraktion: „Deutschland kommt seiner Verantwortung für die Stabilisierung in Bosnien und Herzegowina nunmehr seit 1995 nach, zunächst im Rahmen der NATO-Operation IFOR – das war von 1995 bis 1996 –, dann im Rahmen von SFOR – von 1996 bis 2004 – und seit Dezember 2004 im Rahmen der EU-geführten Operation ALTHEA und des NATO-Hauptquartiers in Sarajevo. […] Wenn wir uns die Entwicklung der Gesamtzahlen bei dieser Operation anschauen – von mehr als 50 000 NATO-Soldaten im Jahr 1996 zu 1 300 Soldaten im Rahmen von EUFOR –, dann wird deutlich, dass sich die Sicherheitslage dramatisch verbessert hat.“74 „Ein stabiles Bosnien-Herzegowina liegt in unserem wie auch im elementaren Interesse der Europäischen Union. Unser Ziel muss dabei auch in Zukunft sein, dass dort ein Staat entsteht, in dem alle Ethnien – Bosniaken, Serben und Kroaten – in Frieden miteinander leben können. […] Wir haben das Ziel, die exekutive Operation ALTHEA zu beenden und in eine nichtexekutive Ausbildungs- und Unterstützungsmission umzuwandeln. Die Reduzierung der Mandatsobergrenze ist dafür ein Indikator.“75 „Die Operation Althea der EUFOR ist die bislang größte militärische Operation der Europäischen Union. […] Was tun die Männer und Frauen der Bundeswehr, was tun wir in Bosnien- Herzegowina im Rahmen von Althea? Sie sorgen für die Einhaltung des Friedensvertrages von Dayton. Sie stellen sicher, dass sich internationale Organisationen und NGOs in Bosnien frei bewegen können, um ihre Arbeit zu tun, und sie überwachen die Einhaltung des Rüstungskontrollabkommens . All das sind keine einfachen Aufgaben.“76 „Noch wird Althea also in Bosnien-Herzegowina gebraucht. Auch wenn die Kontingente sehr viel kleiner werden: Die Mission behält eine erhebliche symbolische Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger des Landes. Sie manifestiert das Interesse der Staatengemeinschaft, die Präsenz zeigt und sich engagiert.“77 SPD-Fraktion: „Heute kann ich nicht verhehlen, dass ich von den politischen Eliten in Bosnien-Herzegowina sehr enttäuscht bin, die bis jetzt das Ziel ihrer Verantwortung, eine stabile Regierung zu bilden und die notwendigen Verfassungsreformen auf den Weg zu bringen, eindeutig verfehlt haben. […] Die Frage ist, welche Schlussfolgerung wir aus diesem unwürdigen Spiel ziehen, das wir dort sehen. Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Schlussfolgerung kann nicht sein, das Mandat jetzt einfach zu beenden. Denn das würde gerade für die Menschen, die dort Veränderungen zum Guten haben wollen, das Zeichen in sich tragen, dass wir uns abwenden und unserer Verantwortung nicht nachkommen.“78 74 Thomas Kossendey, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Plenarprotokoll 17/139, ebenda, S. 16557 (D) f.. 75 Florian Hahn, Plenarprotokoll 17/139, ebenda, S. 16560 (D) f.. 76 Philipp Mißfelder, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17417 (D). 77 Peter Beyer, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17420 (D). 78 Dietmar Nietan, Plenarprotokoll 17/139, ebenda, S. 16556 (B) f.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 21 „Althea ist ein gutes Beispiel für eine funktionierende zivil-militärische Kooperation und ein gutes Beispiel für eine funktionierende Kooperation zwischen NATO und EU und zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der EU. […] Die militärische Sicherheitslage in Bosnien-Herzegowina ist durchaus als solide zu bezeichnen. Politisch gibt es wesentlich größere Probleme …, dass militärische Präsenz nicht die Ausrede für außenpolitische Orientierungs- und Ratlosigkeit sein darf.“79 FDP-Fraktion: „Unser Ziel bleibt ein friedliches, demokratisches, rechtsstaatliches Bosnien und Herzegowina, das aus eigener Kraft in der Lage ist, den Weg der EU-Integration erfolgreich zu beschreiten. Bei aller Vorsicht und aller zurückhaltenden Bewertung können wir heute sagen, dass die militärischen Sicherungsaufgaben der Operation zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt sind. Die Sicherheitslage ist stabil. […] Meine Damen und Herren, das militärische Engagement der Europäischen Union bleibt aber weiter nötig. Es muss insbesondere noch mehr getan werden, um die Kompetenz und Professionalität der bosnischen Streitkräfte weiter zu stärken. Der Rat für Außenbeziehungen der Europäischen Union hat daher am 10. Oktober beschlossen, dass der Schwerpunkt der Operation ALTHEA, für die ich jetzt hier das Mandat einbringe, künftig auf Ausbildung und Training liegen soll. Unsere Bundeswehr beteiligt sich an dieser Ausbildung und am Personal des Hauptquartiers in Sarajevo. Ansonsten sind keine deutschen Soldatinnen und Soldaten mehr in Bosnien und Herzegowina eingesetzt. […] Es bleibt das Ziel der Bundesregierung, ALTHEA mittelfristig zu einer nichtexekutiven Beratungs- und Unterstützungsmission weiterzuentwikkeln .“80 „Auch nach 16 Jahren Engagement in der Region, um die es nun geht, müssen wir feststellen: Der militärische Einsatz, den wir damals begonnen hatten, war notwendig. Im Rückblick können wir sagen: Er war außerordentlich erfolgreich. Erinnern wir uns daran: Wir hatten ursprünglich über 50 000 Soldaten in der Region. Jetzt sind es noch einige Hundert, vielleicht tausend. Aber natürlich ist es auch weiterhin wichtig und richtig, dass wir als Europäer in diesem geschundenen Land militärische Präsenz aufrechterhalten, und zwar aus symbolischen Gründen. Wir wollen deutlich machen, dass wir nicht gewillt sind, eine Rückkehr in alte Zeiten zuzulassen, dass wir nicht gewillt sind, dass wieder Bürgerkriegssituationen entstehen.“81 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Der diesjährige EU-Fortschrittsbericht zeichnet ein düsteres Bild. Seit den letzten Wahlen im Oktober 2010 konnten sich die Parteien nicht auf die Bildung einer gesamtstaatlichen Regierung einigen. […] In Anbetracht dieser Spannungen ist es nach wie vor angemessen, für den Krisenfall 79 Michael Groschek, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17416 (B) f.. 80 Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen, Plenarprotokoll 17/139, ebenda, S. 16555 (B) f.. 81 Dr. Rainer Stinner, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17414 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 22 500 Einsatzkräfte in einem Reservebataillon bereitzuhalten. […] Klar ist aber auch, dass die Konflikte nur auf politischem Wege gelöst werden können.“82 „Der Kosovo zeigt uns, wie schnell in einer Situation, die wir für einigermaßen beruhigt halten, der Konflikt wieder aufbrechen kann. Insofern ist das Vorhalten einer gewissen Zahl militärischer Kräfte durchaus sinnvoll.“83 Fraktion DIE LINKE: „Die EUFOR verbessert die unerträgliche Situation im Lande nicht; vielmehr zementieren die Truppen diese Situation. […] Die Militärpräsenz verstärkt den Eindruck, Bosnien-Herzegowina werde von der EU fremdbeherrscht. Dieser Eindruck ist nicht ganz falsch. EUFOR bildet die bosnische Armee aus, damit sich diese in Afghanistan an einem neuen Krieg beteiligen und neue Probleme schaffen kann. Diese Spirale von Militarisierung und Krieg muss endlich durchbrochen werden.“84 „Wieder einmal soll der Einsatz deutscher Streitkräfte in Bosnien verlängert werden. 6,8 Millionen Euro sollen im nächsten Jahr für diesen sinnlosen Einsatz ausgegeben werden. Während andere europäische Staaten ihre Truppen abziehen, will die Bundesregierung ein Mandat für den Einsatz von 800 Soldaten.“85 6. UNMISS 6.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 29. September 2011 Der Deutsche Bundestag hat am 29. September 2011 der „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011“ bis zum 15. November 2012 zugestimmt. Es können bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vorliegt, längstens jedoch bis zum 15. November 2012.86 Gemäß Begründung der Bundesregierung ist UNMISS „nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen autorisiert, zum Eigenschutz, zur Gewährleistung der Sicherheit und der Bewegungsfreiheit der humanitären Helfer, zur Verhinderung von Störungen und bewaffneten Angriffen sowie – unbeschadet der Verantwortung der südsudanesischen Regierung – zum Schutze von Zivilisten , im Rahmen der eigenen Fähigkeiten die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Dies 82 Katja Keul, Plenarprotokoll 17/139, ebenda, S. 16559 (D). 83 Marieluise Beck, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17419 (B). 84 Inge Höger, Plenarprotokoll 17/139, ebenda, S. 16558 (D) f.. 85 Annette Groth, Plenarprotokoll 17/146, ebenda, S. 17418 (B). 86 BT-Drucksache 17/6987 vom 14. September 2011, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/069/1706987.pdf . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 23 schließt die Anwendung von Gewalt ein.“87 Kernaufgaben der neuen Mission sei die Unterstützung der Regierung bei der Friedenskonsolidierung. Die Bundesregierung stellt fest, dass es „nach der Erlangung der Unabhängigkeit für die südsudanesische Regierung vor allem darum (geht), die Gewährleistung von Schutz und Sicherheit für die eigene Bevölkerung sicherzustellen sowie der Bevölkerung möglichst schnell eine glaubhafte Perspektive zur Verbesserung der Lebensbedingungen aufzeigen zu können. Dafür bleibt internationale Unterstützung auf längere Sicht erforderlich.“88 6.2. Debatte des Deutschen Bundestages Wesentliche Aspekte der Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zu UNMISS mit Blick auf die Debatten am 21. und 29. September 2011 werden fraktionsbezogen nachfolgend wiedergegeben. Hierbei wurde darauf geachtet, Positionen vorzugsweise nicht zu wiederholen, sondern die Breite der Argumente vorrangig aufzuzeigen.89 CDU/CSU-Fraktion: „Mit der Unabhängigkeit sind die Herausforderungen an den jungen Staat Südsudan natürlich nicht verschwunden. Tatsächlich geht es für das Land jetzt darum, die kritische Phase einer extremen Fragilität gut zu überstehen. Das ist eine Mammutaufgabe in einem Staat, den es erst seit wenigen Wochen gibt, der praktisch über gar keine Infrastruktur verfügt und der sich zahlreichen Risiken im Bereich der Sicherheit und der Stabilität – übrigens auch im Innern und nicht nur von außen – gegenübersieht. […] Die Präsenz der Vereinten Nationen … ist deswegen weiterhin notwendig. Die Präsenz der Sicherheitskräfte, der Soldatinnen und Soldaten, ist notwendig, um dort einigermaßen friedliche Verhältnisse zu gewährleisten. Deswegen hat der VN-Sicherheitsrat die Folgemission UNMISS für den Südsudan mandatiert.“90 „Diese Mission soll nach der alten UNMIS-Mission dazu beitragen, dass im 193. Staat Rechtsstaatlichkeit hergestellt wird und den Menschen dort, die in den vergangenen 25 Jahren keine Perspektive hatten, wieder eine Perspektive gegeben wird. […] Im Rahmen von UNMISS können wir jetzt dafür sorgen, dass dort wieder staatliche Strukturen aufgebaut werden. Wir wollen auch mit dazu beitragen, einen Dialog mit dem ehemaligen Zentralstaat Sudan aufzubauen. Die Aufgaben nach Kap. VII der Charta der Vereinten Nationen bestehen darin, Sicherheit und Bewegungs- 87 BT-Drucksache 17/6987, ebenda, S. 2. 88 BT-Drucksache 17/6987, ebenda, S. 2. 89 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/126 vom 21. September 2011, S. 14892 (C) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17126.pdf#P.14892 und Plenarprotokoll 17/130 vom 29. September 2011, S. 15311 (C) ff http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17130.pdf#P.15311 . 90 Thomas Kossendey, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Plenarprotokoll 17/126 vom 21. September 2011, S. 14896 (A). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 24 freiheit zu gewährleisten, für die Erlangung der Unabhängigkeit zu sorgen und den Schutz der eigenen Bevölkerung sicherzustellen.“91 SPD-Fraktion: „Zurzeit sind für UNMISS insgesamt bis zu 7 000 Militärs und 900 Zivilkräfte vorgesehen. […] Es geht um zwei Aufgaben, die diese Mission zu erfüllen hat und die in einem interessanten Spannungsverhältnis liegen. Zum einen geht es um die Unterstützung der Regierung des Südsudan beim Aufbau eines funktionierenden demokratischen und pluralistischen Staatswesens. Zum anderen soll sie – sozusagen als Watchdog – für die Sicherung der Menschenrechte aller Bürger und Bürgerinnen sowie aller unterschiedlichen Gruppen und Ethnien im neuen 193. Staat sorgen. […] Es geht darum, einen Teil der Streitkräfte zu entwaffnen, zu demobilisieren und wieder in die Zivilgesellschaft einzugliedern, und es geht darum, sicherzustellen, dass Menschenrechte und rechtsstaatliche Standards durch die Sicherheitskräfte tatsächlich respektiert und gewahrt werden . […] UNMISS soll im Rahmen des Kapitel-VII-Mandats dazu beitragen, dass durch tägliche Überwachung und militärische Präsenz in den betroffenen Regionen weitere Gewalt verhindert wird. Das kann unter Umständen sogar höhere Zahlen an Soldaten und Polizisten erfordern. Aber es ist diese Anstrengung wert; denn wir alle können nicht zulassen, dass Tausende von Opfern die Folge wären.“92 „Dieser Einsatz der Bundeswehr ist … Teil des Engagements nicht nur Europas, sondern auch der gesamten internationalen Staatengemeinschaft zur Sicherung der Staatlichkeit, der Menschenrechte und der Zukunft der Menschen in Sudan insgesamt. […] Der für mich wichtigste Aspekt sind die Sicherheitsstrukturen. Es geht um die Möglichkeiten der Entwaffnung. […] Wenn man es mit diesem Programm der Entmilitarisierung, der Demobilisierung, der Entwaffnung und der Reintegration ernst meint, was ich für richtig halte, dann muss man dafür auch Instrumente bereithalten . […] Daher ist das UNMISS-Mandat in der jetzigen Phase für mich wirklich unverzichtbar .“93 FDP-Fraktion: „Um Südsudan … zu unterstützen, haben die Vereinten Nationen auf Bitten der Regierung in Juba am 8. Juli 2011 ihre Mission im Südsudan, UNMISS, beschlossen. Kernaufgaben von UNMISS sind die Unterstützung der Regierung bei der Friedenskonsolidierung und damit längerfristig bei der Absicherung des Staatsaufbaus und der wirtschaftlichen Entwicklung. UNMISS leistet Unterstützung bei der Gewährleistung von Sicherheit, der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und der Stärkung des Sicherheits- und Justizsektors. […] Deutschland ist seit Mandatsbeginn an UNMISS beteiligt. […] Das deutsche Engagement bei UNMISS ist Teil der langjährigen Bemühungen der Bundesregierung um eine dauerhafte Konfliktbeilegung und Friedenskonsolidierung im Sudan und Südsudan im Rahmen ihres Sudankonzeptes. Es ist eingebettet in ein 91 Hartwig Fischer (Göttingen), Plenarprotokoll 17/126 vom 21. September 2011, S. 14898 (D). 92 Heidemarie Wieczorek-Zeul, Plenarprotokoll 17/126 vom 21. September 2011, S. 14894 (B) f.. 93 Christoph Strässer, Plenarprotokoll 17/130 vom 29. September 2011, S. 15312 (D) f.. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 25 starkes entwicklungspolitisches und diplomatisches Engagement und verdeutlicht erneut, was wir unter dem Begriff „vernetzte Sicherheit“ verstehen. […] Derzeit sind 13 deutsche Soldaten vor Ort im Hauptquartier in Juba und als Verbindungsoffiziere in der Fläche. […] Da UNMISS jedoch – anders als ursprünglich vorgesehen – auf absehbare Zeit keine Rolle bei der Grenzüberwachung zwischen Sudan und Südsudan spielen wird, besteht kein Bedarf mehr für die bislang mandatierte Militärbeobachterkomponente.“94 „Die Kritik, dass die militärische Komponente vor allem von afrikanischen Staaten gestellt wird, kann ich nicht teilen. Die internationale Gemeinschaft hat sich eine Regel der Afrikanischen Union zu eigen gemacht hat, die besagt: ‚African Solutions for African People‘. Dadurch kommt – jedenfalls aus afrikanischer Sicht – zum Ausdruck, dass die militärische Komponente schwerpunktmäßig durch afrikanische Truppen abgedeckt wird und dass wir uns auf das Thema Aufbau ziviler Strukturen im administrativen und im wirtschaftlichen Bereich konzentrieren.“95 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Nach zwei langen Kriegen und der sechsjährigen Umsetzungsphase des Comprehensive Peace Agreements hat der Süden Sudans am 9. Juli 2011 seine Unabhängigkeit erklärt. Dies ist ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Beilegung eines Jahrzehnte währenden Konflikts, aus dem einer der brutalsten und längsten Kriege Afrikas hervorging. Die internationale Gemeinschaft , wir alle sind aufgefordert, diese positive Entwicklung zu unterstützen. […] Die militärische Komponente ist angesichts der immer wieder aufflammenden Kämpfe für den Schutz der Zivilbevölkerung ein notwendiger Bestandteil. Der Schlüssel für eine nachhaltige Stabilisierung liegt aber im zivilen Engagement.“96 „Der Südsudan genauso wie der Norden, beide zusammen haben … dazu aufgefordert und darum gebeten, dass es diese Mission gibt.“97 Fraktion DIE LINKE: „Die Bundesregierung aber wählt die falschen Mittel. Deutschland hätte das Programm des zivilen Friedensdienstes zur Konfliktbewältigung – das ist eine wirklich gute Sache – nicht einstellen dürfen. […] Erstens muss die Zivilgesellschaft gestärkt und müssen Dialogprozesse zwischen den gegnerischen Gruppen im Südsudan geschaffen werden. Ein Staat kann nur unter Beteiligung der Zivilbevölkerung aufgebaut werden und nicht von oben nach unten, wie dies jetzt mithilfe von UNMISS geschieht. Zweitens müssen sich die staatlichen Strukturen an den sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Bevölkerung orientieren. Es ist doch paradox, dass es heute 94 Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, Plenarprotokoll 17/126 vom 21. September 2011, S. 14893 (A). 95 Joachim Spatz, Plenarprotokoll 17/130 vom 29. September 2011, S. 15312 (C). 96 Agnes Malczak, Plenarprotokoll 17/126 vom 21. September 2011, S. 14897 (D) f.. 97 Omid Nouripour, Plenarprotokoll 17/130 vom 29. September 2011, S. 15316 (D). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 26 bereits 30 Ministerien im Südsudan gibt – teils ohne Aufgabenbereich. Da geht es wohl mehr darum , Pöstchen zu schaffen. Drittens muss der ländliche Raum entwickelt werden. Im Südsudan, einem Land so groß wie Frankreich, gibt es keine hundert Kilometer asphaltierte Straßen. Viertens – das ist wirklich entscheidend – muss das Land entmilitarisiert werden. […] Bei UNMISS steht das Militärische und nicht das Zivile im Vordergrund. Das ist der falsche Weg.“98 „Das Einzige, das im Moment im Überfluss vorhanden ist, sind Waffen und Gewalt. Das Problem ist nur: Wir stimmen heute gar nicht darüber ab, wie diese Probleme gelöst werden können. Einzig und allein zur Abstimmung steht heute die Frage, ob deutsche Soldaten in den Südsudan geschickt werden sollen. Dies lehne ich allerdings ab.“99 7. UNAMID 7.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 8. Juli 2011 Der Deutsche Bundestag stimmte der „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und Folgeresolutionen“ am 8. Juli 2011 zu.100 Aufgabe von UNAMID ist es nach Angaben der Bundesregierung „insbesondere , die unter Vermittlung der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union geführten Friedensverhandlungen zu unterstützen. Nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen ist UNAMID autorisiert, zum Eigenschutz, zur Gewährleistung der Sicherheit und der Bewegungsfreiheit der humanitären Helfer, zur Förderung einer schnellen und effektiven Umsetzung des Darfur-Friedensabkommens, zur Verhinderung von Störungen seiner Umsetzung und bewaffneten Angriffen sowie – unbeschadet der Verantwortung der sudanesischen Regierung – zum Schutze von Zivilisten die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Dies kann auch die Anwendung von Gewalt einschließen. UNAMID trägt im Rahmen des Möglichen durch verstärkte Patrouillentätigkeiten und die Präsenz in den Flüchtlingslagern zu einer Verbesserung der humanitären Lage bei.“101 Die deutsche Beteiligung an UNAMID ist nach Auffassung der Bundesregierung „ein wichtiges Zeichen, insbesondere an die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union, dass Deutschland das internationale Engagement in Darfur unterstützt.“ Es können bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vorliegt , längstens jedoch bis zum 15. November 2012. Die deutschen Soldaten würden für die Mission wichtige Fähigkeiten bereitstellen. So sei ein Soldat im Dienstgrad Oberst als Chef des Stabes der Waffenstillstandskommission eingesetzt und unterstützte unmittelbar die Verhandlungen über eine Friedensvereinbarung zwischen der sudanesischen Regierung und den Rebellengrup- 98 Niema Movassat, Plenarprotokoll 17/126 vom 21. September 2011, S. 14897 (A). 99 Jan van Aken, Plenarprotokoll 17/130 vom 29. September 2011, S. 15315 (B). 100 BT-Drucksache 17/6322 vom 29. Juni 2011, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/063/1706322.pdf . 101 BT-Drucksache 17/6322, ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 27 pierungen. Fünf weitere Soldaten seien derzeit im Hauptquartier UNAMID eingesetzt und unterstützten damit unmittelbar die Auftragsdurchführung von UNAMID.102 Ergänzend stellt die Bundesregierung in ihrer Begründung fest, dass „mit einer nachhaltigen Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur indes nur dann zu rechnen (ist), wenn eine politische Lösung für den Darfur-Konflikt gefunden wird.“103 2.4.2 Debatte des Deutschen Bundestages Wesentliche Aspekte der Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zu UNAMID mit Blick auf die Debatten am 30. Juni 2011 und 8. Juli 2011 werden fraktionsbezogen nachfolgend wiedergegeben. Hierbei wurde darauf geachtet, Positionen vorzugsweise nicht zu wiederholen, sondern die Breite der Argumente vorrangig aufzuzeigen.104 CDU/CSU-Fraktion: „Nach der Unabhängigkeitserklärung stellen sich drei große Problemfelder. Erstens. Das Comprehensive Peace Agreement ist noch nicht voll umgesetzt. Nord-und Südsudan müssen sich über die Grenzziehung einigen. Sie müssen das Abyei-Problem friedlich lösen. Kämpfer des SPLA, die noch im Nordsudan sind, müssen sich zurückziehen. Zweitens. Wie gehen der Norden und der Süden mit den Folgen der Unabhängigkeit selbst um? Es gibt viele offene Fragen zu Rohstoffen und zum Grenzregime. Hier darf sich kein neues Pulverfass auftun. Drittens. Der Südsudan muss erst staatliche Strukturen schaffen. Es gibt überhaupt kein funktionierendes Staatsgebilde. Offen ist, wie sich Bildung, Infrastruktur und Sicherheit auf Dauer ohne internationale Maßnahmen garantieren lassen.“105 „Auch der Nordsudan steht vor schwierigen Situationen. Er muss die Loslösung des Südens erst einmal wirtschaftlich und politisch verkraften, und vor allem muss der Nordsudan den Friedensprozess in Darfur weiter voranbringen. Die Lage dort ist angespannt. Wir Deutsche unterstützen im Rahmen von UNAMID die Verhandlungen über eine Friedensvereinbarung. Auch an dieser Stelle sollten wir unser Engagement fortführen.“106 102 BT-Drucksache 17/6322, ebenda. 103 BT-Drucksache 17/6322, ebenda. 104 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/117 vom 30. Juni 2011, S. 13508 (C) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17117.pdf#P.13508 und Plenarprotokoll 17/121 vom 8. Juli 2011, S. 14290 (B) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17121.pdf#P.14290 . 105 Philipp Mißfelder, Plenarprotokoll 17/117 vom 30. Juni 2011, S. 13511 (B). 106 Dr. Reinhard Brandl, Plenarprotokoll 17/121 vom 8. Juli 2011, S. 14301 (C). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 28 SPD-Fraktion: „In den vergangenen zwölf Jahren waren es in der Spitze acht deutsche Soldatinnen und Soldaten , die ihren Dienst in Darfur getan haben. Das ist angesichts einer Zielgröße von insgesamt 26.000 Mann bei UNAMID ein sehr kleiner Anteil an der immerhin größten Friedensmission der Vereinten Nationen überhaupt. [...] In Darfur, wo während des Bürgerkriegs von 2003 bis 2006 furchtbare Verbrechen und Vertreibungen stattgefunden haben, ist UNAMID der wesentliche Anker für Stabilität. Ohne das Engagement der internationalen Gemeinschaft wird es dort auf absehbare Zeit keinen stabilen Frieden geben, und ohne einen stabilen Frieden wird es auch keine Chancen auf eine menschenwürdige Entwicklung geben. [...] UNAMID bindet mit der Afrikanische Union endlich auch die regionalen Akteure ein. Das ist wichtig. Nur mit dieser gemeinsamen Anstrengung der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gibt es in Darfur die Chance auf einen stabilen Frieden und damit auch die Chance auf eine solide politische und wirtschaftliche Entwicklung, und das ist doch unser gemeinsames Ziel.“107 „Ein großes Flüchtlingslager heißt Abu Schuq. Es wurde 2004 mit deutschen Mitteln für damals 15 000 sich vorübergehend dort aufhaltende Flüchtlinge errichtet. Mittlerweile leben dort über 50 000 Menschen. Wir haben mit diesen Menschen gesprochen und sie gefragt, warum sie nicht in ihre Regionen zurückgehen. Sie haben uns ganz klar geantwortet: weil wir Angst haben, und zwar nicht vor den UNAMID-Truppen, sondern vor den Rebellen und der Dschandschawid- Truppe des Nordsudan, die uns nicht in Ruhe leben lassen, unsere Kinder rauben, uns vergewaltigen und dort weiterhin ihr Unwesen treiben. – Das ist die Realität, die ich wahrgenommen habe . Deshalb brauchen wir ein stärkeres Mandat für UNAMID, Herr Staatsminister, auch mit deutscher Beteiligung. Sonst werden wir keine Lösung erreichen.“108 FDP-Fraktion: „Wir müssen unser Engagement für den Schutz der Zivilisten, gerade auch der Frauen und Kinder , fortsetzen. Deshalb hat die Bundesregierung gestern beschlossen, sich weiterhin an der von den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union gemeinsam geführten Friedensmission in Darfur, UNAMID, zu beteiligen. […] Durch die Fortführung der deutschen Beteiligung an UNAMID setzt Deutschland ein klares Signal für den Einsatz für Menschenrechte, den Schutz von Zivilisten und die humanitäre Unterstützung der Zivilbevölkerung in Darfur. […] Eine dauerhafte politische Lösung des Darfur-Konflikts steht weiter aus. UNAMID bleibt bis auf Weiteres als stabilisierendes Element zur Verbesserung der Sicherheitslage in Darfur und zur Begleitung der politischen Bemühungen um ein Ende der dortigen Krise unverzichtbar.“109 „Wir dürfen nicht außer Acht lassen, was in Darfur geschieht. Seit acht Jahren gibt es dort diesen Konflikt, und auch wenn es bei den Friedensverhandlungen in Doha einige Fortschritte gab, haben wir immer noch kein endgültig abgeschlossenes Friedensabkommen, und auch wesentliche Parteien waren nicht in den Prozess einbezogen. […] Unsere Soldaten werden im Rahmen von 107 Karin Evers-Meyer, Plenarprotokoll 17/117 vom 30. Juni 2011, S. 13510 (B). 108 Christoph Strässer, Plenarprotokoll 17/121 vom 8. Juli 2011, S. 14293 (D). 109 Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Plenarprotokoll 17/117 vom 30. Juni 2011 S. 13508 (D), f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 29 UNAMID im Bereich der Einsatzführung und der Logistik weiterhin eine wichtige Rolle spielen .“110 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Deshalb ist absolut zentral, … dass sowohl die neue Mission im Süden Sudans, UNMISS, als auch die Mission für Darfur, UNAMID, den robusten Auftrag nach Kap. VII der UN-Charta erhalten , die Zivilbevölkerung in dieser fragilen Lage tatsächlich zu schützen. Ich habe das in der letzten Debatte schon gesagt: Ein Beobachterauftrag […] wäre angesichts der prekären Lage im Süden und in der Grenzregion unverantwortlich.111 Fraktion DIE LINKE: „UNAMID ist der größte und teuerste UN-Einsatz in der Geschichte. Er kostet jährlich 1,8 Milliarden Dollar. Mittlerweile sind 23 000 Polizisten und Soldaten in Darfur stationiert. […] Der Einsatz wird den Problemen in Darfur nicht gerecht. Das will ich begründen. […] Dorthin, wo die Gefährdung von Zivilisten stattfindet, kommt UNAMID gar nicht: weder ins Grenzgebiet zum Tschad noch ins Grenzgebiet zum Südsudan und nirgendwohin, wo Gefechte stattfinden. Von der Bevölkerung wird UNAMID deswegen auch zunehmend als verlängerter Arm der Zentralregierung wahrgenommen.“112 8. KFOR 8.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Juni 2011 Der Deutsche Bundestag hat der „Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999“ am 9. Juni 2011 zugestimmt. Der Beschluss sieht eine Obergrenze von 1.850 Soldaten vor. Es ist befristet bis zum 11. Juni 2012, solange ein Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und ein entsprechender Beschluss des NATO-Rates vorliegen.113 Rechtsgrundlage für den Einsatz der KFOR („Kosovo Force“) ist die Sicherheitsratsresolution 1244 vom 10. Juni 1999. In dieser wird die Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit festgestellt, und daher der Einsatz aller geeigneten Maßnahmen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen autorisiert. Im Weiteren werden als Grundlagen für den Einsatz 110 Marina Schuster, Plenarprotokoll 17/121 vom 8. Juli 2011, S. 14291 (D). 111 Kerstin Müller, Plenarprotokoll 17/121 vom 8. Juli 2011, S. 14298 (C). 112 Christine Buchholz, Plenarprotokoll 17/117 vom 30. Juni 2011, S. 13512 (C). 113 BT-Drucksache 17/5706 vom 4. Mai 2011, S.1, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/057/1705706.pdf . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 30 die „Fortgeltung der Regelungen (des) Beschlusses vom 12. Mai 2010 (Bundestagsdrucksache 17/1683), dem der Deutsche Bundestag am 10. Juni 2010 zugestimmt hat, einschließlich der Protokollerklärung des Bundesministers des Auswärtigen vor dem Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages vom 7. Juni 2000 (Bundestagsdrucksache 14/3550 vom 8. Juni 2000, S. 4, Abschnitt III)“ genannt.114 Zur Begründung des Einsatzes führt die Bundesregierung in ihrem Antrag aus, dass die internationale Truppenpräsenz KFOR „zur Aufrechterhaltung eines sicheren und stabilen Umfelds so lange erforderlich (bleibt), bis die kosovarischen Sicherheitskräfte […] die Sicherheit aller Bevölkerungsgruppen Kosovos gewährleisten können.“115 8.2. Debatte des Deutschen Bundestages Wesentliche Aspekte der Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zu KFOR mit Blick auf die Debatten vom 26. Mai 2011 und vom 9. Juni 2011 werden fraktionsbezogen nachfolgend wiedergegeben. Hierbei wurde darauf geachtet, Positionen vorzugsweise nicht zu wiederholen, sondern die Breite der Argumente vorrangig aufzuzeigen.116 CDU/CSU-Fraktion: „Warum erbitten wir ein Mandat von höchstens 1 850, wenn es doch nur 900 sind? Die Antwort besteht darin, dass wir 500 in Deutschland in Reserve stehende Soldaten eines Operational- Reserve-Force-Bataillons bereithalten – das ist mit den Kosovaren abgestimmt –, damit man, wenn es zu Unruhen käme, schnell eingreifen könnte. [...] Die Strategie ist erfolgreich. Sie mündet zunehmend in politische Aktivitäten. [...] In zehn Jahren haben dort weit über 100 000 verschiedene deutsche Soldaten ihren Einsatz geleistet.“117 „Als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 10. Juni 1999 die Resolution 1244 verabschiedete , sprach das Generalsekretariat der Vereinten Nationen von einer Tragödie im Kosovo. Davon sind wir heute Gott sei Dank weit entfernt. […] Die Zukunft der Region insgesamt liegt unserer Meinung nach innerhalb der Europäischen Union. Dies betrachte ich auch als eine Vision für die Europäische Union; nicht kurzfristig, aber langfristig ist dies ein wichtiger Schritt.“118 114 BT-Drucksache 17/5706 vom 4. Mai 2011, S. 1. 115 BT-Drucksache 17/5706, ebenda, S. 3. 116 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12729 (D) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17111.pdf#P.12729 und Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13088 (B) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17114.pdf#P.13088 . 117 Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Verteidigung, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, 12732 (C). 118 Phillip Mißfelder, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12735 (A). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 31 „Die Funktionsfähigkeit des Konzepts der drei Sicherheitsreihen aus Kosovo-Polizei, EULEX- Bereitschaftspolizei und KFOR-Kräften hat sich dabei bewährt und ist ein richtiger Schritt auf dem Weg der sukzessiven Übergabe von Sicherheitsverantwortung.“119 „Seit 1999 engagiert sich die Bundeswehr nunmehr im Kosovo. KFOR ist damit der längste, ununterbrochene Einsatz der Bundeswehr überhaupt. [...] Mit Ausnahme von Teilen der nördlichen Region ist die Sicherheitslage im Kosovo heute nachhaltig stabilisiert. [...] Welch besseres Zeichen für eine positive Entwicklung im Kosovo kann es geben, als die kontinuierliche Reduzierung der KFOR-Präsenz? Heute wird KFOR vor allem noch als sogenannte dritte Sicherheitslinie hinter der Kosovo Police und EUPOL benötigt.“120 SPD-Fraktion: „KFOR ist seit 1999 zu einer Erfolgsgeschichte vernetzter Sicherheitspolitik geworden. [...] Man muss daran erinnern, was am Beginn des Einsatzes stand: Der Versuch von Staatenbildung – was angesichts grausamer Kriegsverbrechen und Vertreibung immer wichtiger wird – und ethnische Konflikte, die wir in Europa für unmöglich gehalten hätten. Wenn wir heute in die Region blicken , finden wir einen befriedeten Süden und einen Norden, der halbwegs sicher ist und nur noch relativ wenig Eskalationspotenzial birgt.“121 „Auch wenn von anfangs 55 000 NATO-Soldatinnen und -Soldaten nunmehr nur noch rund 5000 im Kosovo im Einsatz sind, stellen wir fest, dass der KFOR-Einsatz weiterhin erforderlich ist. Er bleibt deshalb erforderlich, weil wir ein stabiles Umfeld im Kosovo brauchen, damit dort Sicherheit erreicht wird, aber auch Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte weiterentwickelt werden können.“122 FDP-Fraktion: „ [...] der Status des Kosovo ist geklärt. Die Grenzen im westlichen Balkan sind gezogen. Im Juli des vergangenen Jahres, also nach der letztmaligen Mandatierung durch den Deutschen Bundestag , hat der Internationale Gerichtshof bestätigt, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Einklang mit internationalem Recht erfolgte. Kosovo hat im vergangenen Jahr sicherlich Fortschritte gemacht. Wer sagt: ‚Politisch ist im letzten Jahr viel passiert, aber verändert hat sich wenig ‘, der sagt aus unserer Sicht nur die halbe Wahrheit. Zwar mussten im vergangenen Jahr die Parlamentswahlen in einigen Wahlkreisen wiederholt werden. Entscheidend ist aber, dass die Wahlen insgesamt friedlich und geordnet verlaufen sind. Entscheidend ist, dass Unregelmäßigkeiten in rechtsstaatlicher Weise aus der Welt geschafft werden konnten. [...] Noch sind viele Konflikte ungelöst; auch das festzustellen, gehört zu einer angemessenen und umfassenden Lagebeurteilung dazu. [...] Die Lage im Norden Kosovos bleibt angespannt. Das Problem der Parallelstrukturen ist nicht gelöst. Der Schutz der serbisch-orthodoxen Klöster bleibt eine hochsensib- 119 Florian Hahn, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13091 (B). 120 Peter Beyer, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13094 (A). 121 Michael Groschek, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12731 (B). 122 Dietmar Nietan, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13089 (A). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 32 le Sicherheitsfrage. Das erfordert auch weiterhin den Rückhalt durch KFOR. Die kosovarischen Sicherheitskräfte übernehmen schrittweise mehr Verantwortung. Schon jetzt garantiert die lokale Polizei die Sicherheit von sechs der neun besonders schutzwürdigen serbischen Kulturdenkmäler . Die Sicherheitslage hat sich im letzten Jahr weiter stabilisiert. Eine Reduzierung der internationalen Militärpräsenz und damit auch der Kräfte der Bundeswehr ist möglich.“123 „Wer nicht erkennt, dass unter dem Schutz der Bundeswehr und der Alliierten, die dort präsent sind, eine Aufbauarbeit für dauerhafte Stabilität und einen dauerhaften Staatsaufbau mit der Perspektive eines Beitritts auch dieser Region zur Europäischen Union geleistet wird, der muss ideologisch verblendet sein. Wir stehen zu diesem Einsatz, weil er in seiner Gesamtheit und in der Verbindung mit EULEX sinnvoll ist.“124 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Das Überzeugendste an diesem Einsatz aber ist, dass er sich konsequent selbst überflüssig macht. Erfreulich ist die Reduzierung der Truppen von ursprünglich 50 000 Soldaten auf jetzt 5500, davon noch 900 deutsche. [...] Die größten Herausforderungen für die 2 Millionen Einwohner des Kosovo sind nicht militärischer, sondern polizeilicher und rechtsstaatlicher Natur. [...] Besorgniserregend ist darüber hinaus der Ausbau der Kosovo Security Force zu einer milizartigen Streitkraft, obwohl diese ursprünglich allein für Evakuierung, Brandbekämpfung und Minenräumung eingerichtet wurde. Eine solche bewaffnete Miliz kann leicht zur Keimzelle neuer bewaffneter ethnischer Auseinandersetzungen werden. [...] Auch müssen Kosovo und Serbien Wege einer pragmatischen Annäherung finden, wenn sich für beide eine europäische Perspektive auftun soll.“125 Fraktion DIE LINKE: „Mehr als zwölf Jahre ist die NATO schon im Kosovo präsent. [...] Die verschiedenen internationalen Akteure, besonders die NATO und die EU, haben neben militärischen Aktionen auch in zivilen, polizeilichen und wirtschaftlichen Bereichen in das Land eingegriffen. Die Situation in dieser Balkanregion hat sich dadurch grundlegend verändert. [...] Die Linke fordert ein Ende der NATO-Besatzung. Die frei werdenden Gelder könnten dann zur Verbesserung der Situation der Menschen vor Ort eingesetzt werden. Vor allem aber ist die Einsicht nötig, dass die bisherige Kosovo -Politik ein grundlegender Fehler war.“126 123 Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12730 (B). 124 Joachim Spatz, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13089 (A). 125 Katja Keul, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12734 (B). 126 Inge Höger, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12733 (A) f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 33 9. UNIFIL 9.1. Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Juni 2011 Der Deutsche Bundestag hat der „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 und folgender Resolutionen, zuletzt 1937 (2010) vom 30. August 2010 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“ am 9. Juni 2011 zugestimmt. „Der Einsatz wird fortgesetzt unter Fortgeltung der Regelungen der Beschlüsse der Bundesregierung vom 13. September 2006, 22. August 2007, 9. September 2008, 18. November 2009 und 2. Juni 2010, denen der Deutsche Bundestag am 20. September 2006 (Bundestagsdrucksache 16/2572), am 12. September 2007 (Bundestagsdrucksache 16/6278), am 17. September 2008 (Bundestagsdrucksache 16/10207), am 3. Dezember 2009 (Bundestagsdrucksache 17/40) und am 17. Juni 2010 (Bundestagsdrucksache 17/1905) zugestimmt hat.“127 Die Zahl der maximal einzusetzenden Soldatinnen und Soldaten beträgt 300; während Kontingentwechseln darf die Personalobergrenze vorübergehend überschritten werden. „Die vorgesehenen Kräfte können bis zum 30. Juni 2012 eingesetzt werden, solange ein Mandat des VN-Sicherheitsrates … vorliegt.“128 Die Bundesregierung begründet den Einsatz u.a. mit der Feststellung, dass „seit der letzten Verlängerung des Bundestagsmandats für den UNIFIL-Einsatz im Juni 2010 die innenpolitische Situation im Libanon ruhig, aber nicht stabil geblieben (ist).“129 Die gesamte Situation in der Region sei angesichts der politischen Entwicklungen latent angespannt. UNIFIL habe die ihr zugewiesenen Aufgaben erfolgreich erfüllt, der Flottenverband (Maritime Task Force - MTF) habe an der Seegrenze des Libanon wiederum wesentlich dazu beigetragen. UNIFIL leiste einen entscheidenden Beitrag zur Stabilisierung der Beziehungen zwischen den Parteien und damit der Region als Ganzes. Nur UNIFIL biete einen von beiden Seiten anerkannten Rahmen für direkte Kontakte zwischen Israel und Libanon zur Klärung und Deeskalation, wie die Behandlung des Grenzzwischenfalls am 3. August 2010 gezeigt hat. Die Einschätzung der Mission als Stabilitätsanker und Versicherung gegen eine regionale Destabilisierung werde nach Darstellung der Bundesregierung von Jerusalem bis Beirut geteilt. Dies gelte ebenfalls für den UNIFIL-Flottenverband.130 „Um das bisher Erreichte zu konsolidieren“, werde es, gemäß Begründung der Bundesregierung, „auch in Zukunft eines starken internationalen Engagements bedürfen. Der Aufbau der libanesischen Streitkräfte hat dabei große Bedeutung. In seinem letzten Fortschrittsbericht vom 28. Februar 2011 zur Umsetzung von Resolution 1701 (2006) bedankt sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen ausdrücklich bei den Nationen, die zur Ausbildung der libanesischen Streitkräfte einschließlich der Marine beigetragen haben. Er hält jedoch fest, dass es trotz der zu verzeichnenden Fortschritte verstärkter Anstrengungen in diesem Bereich bedürfe, um die libanesischen Kräfte in die Lage zu versetzen, größere Verantwortung beim Schutz der seeseitigen Grenzen zu übernehmen. Bereits in seinem Schreiben an den Sicherheitsrat zur Evaluierung der Mission vom 127 BT-Drucksache 17/5864 vom 18. Mai 2011, http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/17/058/1705864.pdf . 128 BT-Drucksache 17/5864, ebenda. 129 BT-Drucksache 17/5864, ebenda. 130 BT-Drucksache 17/5864, ebenda. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 34 16. Februar 2010 hatte der Generalsekretär der Vereinten Nationen darauf hingewiesen, dass die Mission in ihrer gegenwärtigen Konfiguration nicht unbegrenzt fortgesetzt werden könne.“131 9.2. Debatte des Deutschen Bundestages Wesentliche Aspekte der Stellungnahmen der Fraktionen des Deutschen Bundestages zu UNIFIL mit Blick auf die Debatten am 26. Mai 2011 und 9. Juni 2011 werden fraktionsbezogen nachfolgend wiedergegeben. Hierbei wurde darauf geachtet, Positionen vorzugsweise nicht zu wiederholen , sondern die Breite der Argumente vorrangig aufzuzeigen.132 CDU/CSU-Fraktion: „Die Sicherheit vor der Küste Libanons muss gewährleistet werden. Dabei geht es darum, den Waffenschmuggel einzugrenzen, aber auch darum, die Fachleute der libanesischen Armee und Marine auszubilden, damit sie einen eigenen Beitrag zur Sicherheit leisten können. […] Das UNIFIL-Mandat […] leistet, wie ich schon sagte, einen wichtigen Beitrag zur Steigerung des Ansehens der Bundeswehr und natürlich auch zur Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft . […] Seit 2006 leisten 15 Länder entweder größere oder kleinere Beiträge zur UNIFIL Maritime Task Force, von Belgien bis Bangladesch, von Italien bis Indonesien. Ich glaube, dies ist nicht nur im Hinblick auf das Ansinnen von UNIFIL wichtig, sondern auch ein wichtiger Beitrag zu den operativen Fähigkeiten, die die Bundeswehr und die internationale Gemeinschaft brauchen .“133 „Im Rahmen des vernetzten Ansatzes wird Deutschland auch künftig verstärkt den libanesischen Fähigkeitsaufbau fördern. Hierzu gehören neben den Beteiligungen am UNIFIL-Flottenverband auch politische, wirtschaftliche und sozioökonomische Maßnahmen. […] Sowohl die libanesische als auch die israelische Regierung haben ausdrücklich um die Aufrechterhaltung des deutschen Engagements gebeten. Nur UNIFIL bietet einen von beiden Seiten anerkannten Rahmen für direkte Kontakte zur Klärung und Beilegung von Zwischenfällen. So schätzen sowohl Israel als auch Libanon gleichermaßen die Rolle der Mission als bilateralen und regionalen Stabilitätsanker .“134 „Drei oder vier Boote reichen aber nicht aus, um gegenüber Israel glaubhaft zu verdeutlichen, dass zumindest die Seegrenze vor illegalem Waffenschmuggel geschützt werden kann. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung den UNIFIL-Einsatz bis zum Juni 2012 verlängern möchte. Würden wir nämlich das Mandat zum jetzigen Zeitpunkt beenden – beenden in einer Zeit der Unruhe in weiten Teilen der arabischen Welt –, würde Israel morgen die Seeblockade wieder aufleben lassen. […] Die deutsche Präsenz durch UNIFIL bietet uns aber noch eine ganz 131 BT-Drucksache 17/5864, ebenda. 132 Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12715 (A) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17111.pdf#P.12715 und Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13072 (C) ff. http://dip21.bundestag.btg/dip21/btp/17/17114.pdf#P.13072 . 133 Philipp Mißfelder, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12722 (C). 134 Florian Hahn, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13075 (C). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 35 andere – für mich fast noch bedeutendere – diplomatische Offerte. Das gewachsene Vertrauen und die Hochachtung zwischen Israel und Deutschland, die Anerkennung und Hilfsbereitschaft zwischen Deutschland und dem Libanon bringen uns in die exzellente diplomatische Mittlerposition , die von allerhöchstem Stellenwert ist.“135 SPD-Fraktion: „UNIFIL ist ein Baustein der Stabilität im Libanon und der regionalen Stabilität für die Nachbarn des Landes. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Friedenssicherung in der Region geleistet. Die Mission ist beispielhaft für eine langfristige und präventive Friedenspolitik. […] Wir erinnern uns: Die zentrale Aufgabe der maritimen Komponente von UNIFIL ist es, Waffenschmuggel von Seeseite zu unterbinden sowie die Streitkräfte des Landes in die Lage zu versetzen, diese Aufgabe bald selbstständig zu übernehmen. Dies war dringlich und ist nun angesichts der instabilen innenpolitischen Lage im Libanon und der Schwächung der staatlichen Strukturen durch den Krieg im Sommer 2006 umso dringlicher. Die Mission hat ihre Aufgabe von 2006 bis heute in vorbildlicher Weise erfüllt. Damit ist sie aber noch nicht am Ende; denn die eigenen Fähigkeiten der libanesischen Armee sind noch nicht ausreichend, um ohne die internationale Präsenz auszukommen . Auch wurde der Waffenschmuggel, wie schon gesagt, nur an der Seeseite unterbunden ; der Schmuggel über die Landgrenze mit Syrien stellt in der Tat ein weiteres großes Problem dar. Schon unter der letzten Bundesregierung mit SPD-Beteiligung wurde deshalb unter anderem eine enge Zusammenarbeit im Zollbereich begonnen.“136 „Die deutschen Schiffe vor der Küste Libanons helfen mit, den zerbrechlichen Frieden zu stabilisieren . Sie sind dort willkommen, und zwar bei allen Beteiligten. Nicht zuletzt deshalb waren wir immer davon überzeugt, dass dieser Einsatz richtig und wichtig ist. Die Kernaufgabe des Mandats, also Waffenschmuggel über See in den Libanon zu verhindern, bleibt aktuell. Zwar wurden im vergangenen Jahr Fortschritte gemacht – das Küstenradarsystem ist bis auf drei Radarstationen fertig –, aber die libanesische Marine ist trotz aller Anstrengungen gerade auch unserer Marine vor Ort noch nicht in der Lage, ihre Aufgaben verlässlich selbst zu übernehmen. […] Ein zweiter wichtiger Punkt bei diesem Einsatz ist deshalb die Ausbildung der örtlichen Kräfte. Die Verstärkung der Anstrengungen bei der Ausbildung findet unsere ausdrückliche Unterstützung . […] Wir haben ein großes Interesse daran, dass sich der Nahe Osten stabilisiert.“137 FDP-Fraktion: „Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die UNIFIL-Mission zum Schutz der libanesischen Küste. […] Das geänderte Mandat setzt den Schwerpunkt auf die Ausbildung der libanesischen Marine. In diesem Jahr bleiben wir auf dem Kurs, den wir im letzten Jahr neu eingeschlagen haben . Heute ist der Libanon in der Lage, mit Radaranlagen die Küsten zu überwachen. Das ist ein Erfolg unserer Unterstützung und wird auch die Sicherheit für die Handelsmarine erhöhen und damit die Versorgung der Menschen im Libanon verbessern. […] Noch braucht der Libanon unse- 135 Ingo Gädechens, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13078 (A). 136 Günter Gloser, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12719 (A). 137 Karin Evers-Meyer, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13074 (A). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 36 re Hilfe. Wir setzen weiter auf Ausbildung und Training, weil wir uns damit eine Perspektive auf Beendigung des Einsatzes erarbeiten können. Unser Engagement bleibt eingebettet in unsere Arbeit für dauerhaften Frieden und demokratische Stabilität in der ganzen Region. Glaubwürdigkeit , Wohlwollen und Vertrauen werden uns entgegengebracht. Es kommt nicht von ungefähr, dass alle Parteien – Israel, der Libanon und insbesondere die Vereinten Nationen – um eine Fortsetzung unseres Beitrages zu UNIFIL gebeten haben.“138 „Wir haben im letzten Jahr eine Umorientierung und Neufokussierung des Mandates vorgenommen , weil wir der Meinung waren, dass die Überwachung auf See nicht Daueraufgabe der deutschen Marine sein kann. Nein, es muss auch hier darum gehen, dass wir Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Wir haben bei der Neuorientierung des Mandates im letzten Jahr den Schwerpunkt auf die Ausbildung der libanesischen Marine gelegt, damit wir die Marine im Libanon schrittweise ermächtigen, die Aufgaben selbst wahrzunehmen, und wir dem Ziel nahekommen, auch dieses Mandat richtig gut abschließen zu können. […] UNIFIL ist ohne jeden Zweifel ein stabilisierendes Instrument, und zwar sowohl an Land als Puffer zwischen Israel und den Hisbollah-Kräften als auch auf See. […] Das heißt, auch in Zukunft werden wir die Auswirkungen der regionalen Veränderungen auf das Mandat betrachten und diese mit einbeziehen müssen. […] Zum heutigen Zeitpunkt braucht die Region nach wie vor das stabilisierende Instrument von UNIFIL. Zum heutigen Zeitpunkt ist unser Einsatz für die Ausbildung der libanesischen Marine unabdingbar notwendig . Zum heutigen Zeitpunkt können wir uns zum Glück darauf berufen, dass alle Anrainerstaaten das genauso sehen.“139 Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „UNIFIL […] ist vom ersten Tage an ein Erfolg gewesen. Die Mission hat den Frieden gesichert und mitgeholfen, vor allem den Süden Libanons zu stabilisieren, wenn wir auch von einer echten Stabilität noch weit entfernt sind. […] Ohne den Beschluss der Vereinten Nationen als die rechtliche Grundlage für diesen Einsatz und ohne den Einsatz selbst, den wir mit beschlossen haben, wäre dieser Krieg nicht zu Ende gegangen, und es hätte den Waffenstillstand nicht gegeben . […] Es ist enttäuschend, wenn die Deutschen die Lead-Funktion, die wir innehatten, wie eine heiße Kartoffel behandeln und am Ende Brasilien die Lead-Funktion von den Italienern übernimmt , unter anderem auch deswegen, weil die Deutschen sich dermaßen aus der Verantwortung gezogen haben.“140 „Zuallererst hat diese Mission Bedeutung für die Stabilität der Region. […] Die Stabilität des Libanon und der Region […] hängt eng mit der Sicherheit Israels zusammen. Ich erinnere an die Unruhen am Nakba-Tag, der gerade begangen wurde. An diesem Tag wurden bei Protesten von Palästinensern an den Grenzen 14 Menschen getötet. Es ist auch der Präsenz von UNIFIL an der südlibanesischen Grenze zu verdanken, dass die Situation nicht weiter eskaliert ist. Das ist auch ein Grund, weshalb der Libanon und Israel für die Fortsetzung des Mandates und ausdrücklich für eine deutsche Beteiligung sind. […] Vier Monate nach dem Sturz Hariris gibt es immer noch keine neue Regierung. Hier zeigt sich aber auch ein Schwachpunkt von UNIFIL, nämlich dass die 138 Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Auswärtigen, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12715 (B). 139 Dr. Rainer Stinner, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13073 (A). 140 Omid Nouripour, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12721 (C). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 – 3000 – 024/12 Seite 37 Seeseite zwar erfolgreich abgesichert wird, aber der Waffenschmuggel an der syrischlibanesischen Grenze nicht verhindert werden kann und die Hisbollah massiv aufgerüstet wurde. Dadurch fühlt sich Israel zu Recht bedroht. Wir müssen also weiter auf die Entwaffnung der Hisbollah drängen. Aus all diesen Gründen ist klar: UNIFIL ist ein Stabilitätsanker in einer fragilen Region.“141 Fraktion DIE LINKE: „Erstes Argument. Es war nicht notwendig, ein Kapitel-VII-Mandat zu erteilen. Es gab die grundsätzliche Bereitschaft beider Konfliktparteien, sich auf das Mandat einzulassen. Man hätte in der klassischen Form von Blauhelm-Einsätzen auf Grundlage eines Kapitel-VI-Mandates vorgehen können. Das ist leider ausgeschlagen worden. Das habe ich immer für einen großen Fehler gehalten , und ich halte es heute noch für einen großen Fehler. Zweites Argument. Wir hatten vorgeschlagen , auf der Landseite die Truppen auf beiden Seiten der Grenzen zu stationieren. Das hätte die Neutralität der Vereinten Nationen stärker unterstrichen. Drittes Argument. Ich möchte nicht, dass deutsche Soldaten in dieser Region eingesetzt werden. Das richtet sich nicht gegen die Soldaten . Ich kann mir verschiedene Szenarien vorstellen, wie deutsche Soldaten in diese Auseinandersetzung einbezogen werden. Ich möchte nicht, dass solche Szenarien Realität werden. Das war für mich das wichtigste Argument dagegen.“142 „Das Mandat ist nicht neutral. Mit dem Mandat wird zwar versucht, die Waffenlieferungen in den Libanon zu unterbinden, aber gleichzeitig werden die ungehemmten Waffenlieferungen an Israel ignoriert. […] Wenn es bei UNIFIL um einen Beitrag zur Ausbildung der libanesischen Marine geht, so gilt: Man kann auch bilaterale Vereinbarungen dazu treffen; dazu braucht man kein umfassendes robustes Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta. […] UNIFIL ist ein Einsatz, wie gesagt, nach Kapitel VII der UN-Charta. Das schließt die Möglichkeit militärischer Zwangsmaßnahmen ein. Dadurch entsteht das Risiko, dass die UNO-Truppen in einen militärischen Konflikt hineingezogen werden und deren Rolle als ein von allen Seiten akzeptierter neutraler Partner nicht mehr anerkannt wird. Im schlimmsten Fall wird die UNO zu einer Kriegspartei.“143 141 Kerstin Müller, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13076 (D) f. 142 Wolfgang Gehrcke, Plenarprotokoll 17/111 vom 26. Mai 2011, S. 12721 (A). 143 Christine Buchholz, Plenarprotokoll 17/114 vom 9. Juni 2011, S. 13076 (A).