© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 022/17 Die europäische Sicherheitsarchitektur im Wandel Organisatorische Maßnahmen und institutionelle Veränderungen als Reaktion auf den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl, den „Brexit“ und insbesondere auf die Migrationsströme nach Europa Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Äußere Sicherheit – Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik 5 3. Europäische Maßnahmen zur Stärkung der Inneren Sicherheit 7 3.1. Umsetzung des Schengener Grenzkodex 7 3.2. Stärkung von Europol 8 4. Sicherung der Außengrenzen der EU 9 4.1. Ausbau von FRONTEX zur Europäischen Grenz- und Küstenwache 9 4.2. Kooperation mit der NATO in der Ägäis 11 4.3. EU-Operationen im Mittelmeer 11 4.4. Hotspots, Multifunktionszentren und weitere Maßnahmen in Drittstaaten zur Verbesserung der Migrationskontrolle 12 5. Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems 14 6. Fazit 15 Anlagenverzeichnis 16 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 4 1. Einleitung Seit dem Jahr 2014 verzeichneten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) einen rasanten Anstieg der Zahl an Menschen, die sich aus ihren Herkunftsländern aus verschiedenen Gründen (bspw. Krieg, Bürgerkrieg, politische Verfolgung, eingeschränkte Freiheitsrechte, ökonomische Perspektivlosigkeit) auf den Weg nach Europa gemacht haben, um hier Schutz bzw. bessere Lebensbedingungen zu finden. Dabei haben zahlreiche der weit über 2 Mio. Migranten 1 versucht, irregulär in die EU einzureisen, unter ihnen auch einige wenige, die mit der Absicht nach Europa gekommen sind, um hier terroristische Anschläge zu verüben. 2 Vor diesem Hintergrund, aber auch im Zusammenhang mit dem Ausgang der jüngsten Präsidentschaftswahl in den USA und des britischen Referendums über den Austritt aus der Europäischen Union (sogenannter „Brexit“), haben die EU und ihre Mitgliedstaaten, zum Teil in Kooperation mit der NATO, zahlreiche organisatorische Schritte und institutionelle Veränderungen zur Stärkung der europäischen Sicherheitsarchitektur diskutiert und teilweise bereits umgesetzt. Diese Maßnahmen sollten bzw. sollen dazu dienen die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU weiter zu entwickeln und einen höheren Grad der Verteidigungsintegration zu erreichen, bspw. durch o gemeinsame Hauptquartiere, o multinationale Streitkräftestrukturen und o gemeinsame Rüstungsprojekte; die Außengrenzen zu sichern und die Anreize für irreguläre Migration zu verringern, bspw. durch o verbesserte Seeraumüberwachung in Zusammenarbeit mit der NATO (u.a. zur Rettung von Menschenleben) und o Finanzierung von Initiativen in Nordafrika, um diese Region stärker in Such- und Rettungsmaßnahmen einbeziehen zu können; o Aufspürung, Zerschlagung und Verfolgung krimineller Schleusernetze, o Aufstellung einer europäischen Grenzschutztruppe, o Einführung neuer Technologien zum Grenzkontrollmanagement („intelligente Grenzen“); o Vereinheitlichung der Vorgehensweise der EU-Länder bei der Rückführung und o Ausbau der Beziehungen zu Ländern außerhalb der EU, denen im Zusammenhang mit irregulärer Migration eine Schlüsselrolle zukommt; sowie 1 Connor, Phillip (2016): Illegal migration to EU rises for routes both well-worn and less-traveled. Hrsg.: Pew Research Center, 18. März 2016. Abrufbar unter: http://www.pewresearch.org/fact-tank/2016/03/18/illegal-migration-toeu -rises-for-routes-both-well-worn-and-less-traveled/ (letzter Zugriff: 6. März 2017). 2 Reimann, Anna (2016): Terrorverdächtige unter Flüchtlingen – Ein Risiko, keine Lösung. Spiegel Online vom 11. Oktober 2016. Abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/terrorverdaechtige-unter-fluechtlingen -wie-gross-ist-das-risiko-a-1115967.html (letzter Zugriff: 6. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 5 das gemeinsames Asylsystem uneingeschränkt und einheitlich umzusetzen, bspw. durch o eine systematischere Identifizierung von Migranten, u.a. durch Abnahme von Fingerabdrücken ; o Beurteilung der Effizienz eines einheitlichen Asylverfahrens zur Gleichbehandlung von Asylbewerbern in Europa sowie Bewertung des Dubliner Systems bis Mitte 2016; und o den Kampf gegen Migrantenschleusung und Terrorismus durch Stärkung der Zusammenarbeit der nationalen Polizeibehörden im Rahmen von Europol. 2. Äußere Sicherheit – Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik Am 12. September 2016 haben Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihr französischer Amtskollege Jean-Yves Le Drian die deutsch-französische Initiative zur „Erneuerung der GSVP hin zu einer umfassenden, realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU“ 3 (Anlage 1) vorgestellt, mit der der Weg zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsund Verteidigungspolitik beschleunigt werden soll. Regierungsvertreter und -vertreterinnen beider Länder vertreten die Auffassung, dass nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU Kooperationen und Planungen möglich seien, die vorher so nicht möglich gewesen seien, nachdem man lange auf Großbritannien habe Rücksicht nehmen müssen. Inhaltlich basieren die Vorschläge der gemeinsamen Initiative auf dem am 13. Juli 2016 von der Bundesregierung veröffentlichten „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr.“ 4 Gleichzeitig bewegen sich die Empfehlungen entlang der neuen „Globalen Strategie der EU zur Außen- und Sicherheitspolitik.“ 5 Im Einzelnen soll im Rahmen dieser Initiative ein umfassender Katalog an Maßnahmen umgesetzt werden, u.a. die Schaffung eines (von Großbritannien stets abgelehnten) permanenten EU-Hauptquartiers für militärische und zivile GSVP-Missionen und -Operationen als mittelfristiges Ziel. Bei der Tagung des Rats für Auswärtige Angelegenheiten am 14. November 2016 haben die Außen- und Verteidigungsminister der Europäischen Union die deutsch-französische Verteidigungsinitiative zwar nicht konkret aufgegriffen, aber gemeinsam – ohne britisches Veto – einen 3 Erneuerung der GSVP – hin zu einer umfassenden, realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU. Deutsch-französische Verteidigungsinitiative zur Erneuerung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), 12. September 2016. Abrufbar unter: https://www.bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUz MzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzIzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY5NzQzMDMxMzkzOTY2NjcyMDIwMjAyM DIw/Initiative%20DEU%20VM%20-%20FRA%20VM%20%C3%9Cbersetzung.pdf (letzter Zugriff: 13. März 2017). 4 Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Hrsg.: Bundesregierung, 13. Juli 2016. Abrufbar unter: https://www.bmvg.de/resource/resource/UlRvcjZYSW1RcEVHaUd4cklzQU4yNWFvejhLbj VyYnR1OCt3ZlU1N09FVkZoYmR4Sjljb1E2UW9BdC9qQ3U1bmVEck9CbDgvcUFZaUhSL1dSSFA0alRxelpq Q3dyK1E3LzB4N0lXQ0lhcHM9/Weissbuch2016_barrierefrei.pdf (letzter Zugriff: 6. März 2017). 5 Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe – A Global Strategy for the European Union’s Foreign And Security Policy. Juni 2016. Abrufbar unter: http://www.iss.europa.eu/uploads/media/EUGS.pdf (letzter Zugriff: 6. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 6 sogenannten „Implementation Plan on Security and Defence“ 6 (Anlage 2) der neuen Globalen Strategie der EU „Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa“ erörtert, der in dieselbe Richtung wie die deutsch-französische Initiative weist. Dieser Umsetzungsplan legt für das Jahr 2017 das weitere Vorgehen in Bezug auf die künftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU fest. So sollen u. a. Optionen für eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit 7 im Bereich Sicherheit und Verteidigung, Vorschläge zur Stärkung der Einsatzbereitschaft von sog. Battlegroups, zum Kapazitätsaufbau für Sicherheit und Entwicklung sowie zur Überprüfung des bisherigen Athena-Finanzierungsmechanismus vorgestellt werden. Den günstigen Augenblick am Ende des Jahres 2016, der GSVP ein neues Momentum zu verleihen , nutzte auch die Europäische Kommission und verabschiedete am 30. November 2016 den Europäischen Aktionsplan Verteidigung 8 (Anlage 3). Er enthält Empfehlungen zum Aufbau einer starken, wettbewerbsfähigen und innovativen rüstungsindustriellen Basis sowie zur Neuausrichtung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit. Ziel dieses Plans ist es, künftig „mit den Verteidigungsausgaben möglichst viel möglichst effizient“ zu erreichen. Der Europäische Rat unterstrich auf seiner Tagung am 15. Dezember 2016 sein Engagement für eine Verstärkung der Zusammenarbeit der EU auf dem Gebiet von Sicherheit und Verteidigung. In seinen Schlussfolgerungen 9 (Anlage 4) billigte er die Schlussfolgerungen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten zur Umsetzung der Globalen Strategie der EU im Bereich der Sicherheit und begrüßte die Vorschläge der Kommission zum Europäischen Aktionsplan im Verteidigungsbereich als wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik . Durch seine Zustimmung verschaffte der Europäische Rat den Planungen der EU-Mitgliedstaaten und den Empfehlungen der Kommission politische Legitimität. Am 6. März 2017 unterstrich der Rat für Auswärtige Angelegenheiten (RfAB) in seinen Schlussfolgerungen 10 (Anlage 5) seinen Willen zur Umsetzung der Globalen Strategie im Bereich Sicherheit und Verteidigung. Inhaltlich hervorzuheben sind hier insbesondere 6 Implementation Plan on Security and Defence. Hrsg.: High Representative of the European Union for Foreign Affairs and Security Policy, Vice-President of the European Commission, and Head of the European Defence Agency. Ratsdokument Nr. 14392/16 vom 14. November 2016. Abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/sites/eeas/ files/eugs_implementation_plan_st14392.en16_0.pdf (letzter Zugriff: 6. März 2017). 7 Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ), engl.: Permanent Structured Cooperation (PESCO:). Vgl. Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag, EUV). Fassung aufgrund des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (Konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 vom 9. Mai 2008, S. 13), Artikel 42. Abrufbar unter: https://dejure.org/gesetze/EU (letzter Zugriff: 6. März 2017). 8 European Defence Action Plan – Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. Hrsg.: Europäische Kommission. Kommissions-Dokument Nr. COM(2016) 950 vom 30. November 2016. Abrufbar unter: https:// eeas.europa.eu/sites/eeas/files/com_2016_950_f1_communication_from_commission_to_inst_en_v5_p1_869631.pdf (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 9 Tagung des Europäischen Rates – Schlussfolgerungen. Hrsg.: Generalsekretariat des Rates. Rats-Dokument Nr. EUCO 34/16. Abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/meetings/european-council/2016/12/ 20161215-euco-conclusions-final_pdf/ (letzter Zugriff: 6. März 2017). 10 Council conclusions on progress in implementing the EU Global Strategy in the area of Security and Defence, Rat der Europäischen Union, 6. März 2017. Abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases /2017/03/06-conclusions-security-defence/ (letzter Zugriff: 7. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 7 das Ziel, bis Juni 2017 in Brüssel eine über „Militärische Planungs- und Führungsfähigkeit“ (Military Planning and Conduct Capability, MPCC) verfügende Zelle für GSVP-Missionen und Operationen zu schaffen, durch die zunächst Ausbildungseinsätze in Mali, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik zentral geleitet werden sollen. Die MPCC gilt als Vorstufe für das von Großbritannien bisher abgelehnte militärische Hauptquartier; die Absicht zur Stärkung des Instruments der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“, um eine noch engere militärische Zusammenarbeit, auch im Hinblick auf anspruchsvolle GSVP-Missionen, zu erreichen; sowie der künftige „koordinierte, gemeinsame Jahresbericht in Verteidigungsfragen (Coordinated Annual Review on Defence, CARD), der über den Aufbau militärischer Fähigkeiten in den Mitgliedstaaten und mögliche Schwierigkeiten hierbei berichten soll. Hierdurch sollen mehr Transparenz, Kohärenz und politische Sichtbarkeit bei der Fähigkeitenplanung der Mitgliedstaaten erzeugt werden. 3. Europäische Maßnahmen zur Stärkung der Inneren Sicherheit In seinen Schlussfolgerungen vom 15. Dezember 2016 (Anlage 4) unterstrich der Europäische Rat nicht nur seinen Willen zur Stärkung der europäischen Verteidigungskooperation, sondern bekräftigte gleichzeitig auch sein Engagement für die Durchführung der Strategie der inneren Sicherheit der Europäischen Union 2015-2020. Die politische Einigung der beiden Gesetzgeber über die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung 11 sei ein wichtiger Schritt, auf den die rasche Annahme der Vorschläge über Schusswaffen und zur Bekämpfung der Geldwäsche und die Umsetzung der neuen Rechtsvorschriften über Fluggastdatensätze (PNR) folgen sollten. Der Europäische Rat fordert eine wirksame Zusammenarbeit mit Anbietern elektronischer Dienste mit Sitz innerhalb und außerhalb der EU. 3.1. Umsetzung des Schengener Grenzkodex Der Europäische Rat forderte in seinen Schlussfolgerungen die Mitgliedstaaten darüber hinaus auf, den überarbeiteten Schengener Grenzkodex umzusetzen. Mit diesem sollen systematische Kontrollen aller Reisenden, die die Außengrenzen des Schengen-Raums überqueren, durchgesetzt werden. Wichtigstes vorgeschlagenes Instrument im Hinblick auf den starken Zustrom an Migranten ist das Europäische Einreise- und Ausreisesystem (Entry/Exit System, EES). Der offizielle Kommissionsvorschlag für dieses System stammt vom 6. April 2016, die Pläne sind aber schon seit mehreren Jahren im Gespräch und wurden durch die „Migrationskrise“ allenfalls beschleunigt. Das vorgeschlagene EES soll das Management der Außengrenzen verbessern und die ungeregelte 11 Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung: Rat bestätigt Einigung mit dem Parlament, Pressemitteilung des Rates der Europäischen Union, 5. Dezember 2016, abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases /2016/12/05-combatting-terrorism/ (letzter Zugriff: 8. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 8 Zuwanderung in die EU eindämmen (indem gegen die Überschreitung der zulässigen Aufenthaltsdauer vorgegangen wird). Gleichzeitig soll es auch einen Beitrag zur Bekämpfung von Terrorismus und Schwerverbrechen leisten und für ein hohes Maß an innerer Sicherheit sorgen. Mit diesem System sollen Daten, z.B. Identität, Reisedokumente und biometrische Daten, erhoben und beim Grenzübertritt die Ein- und Ausreisedaten erfasst werden. Das System betrifft alle Nicht-EU-Bürgerinnen und ‑Bürger, die für einen Kurzaufenthalt (maximal 90 Tage in einem Zeitraum von 180 Tagen) in den Schengen-Raum einreisen dürfen. 12 Derzeit wird mit den Mitgesetzgebern über diese beiden Vorschläge verhandelt. Das Europäische Parlament befasste sich zuletzt im Februar 2017 mit dem EES und will einige geringfügige Änderungen durchsetzen. Grundsätzlich soll das System Anfang 2020, nach einer dreijährigen Entwicklungsphase , in Betrieb gehen. 13 Hintergründe und Inhalte des geplanten EES erläutert der auf den 7. November 2016 datierte, als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“ (VS-NfD) eingestufte EU-Sachstand „Überarbeiteter Vorschlag der Kommission für ein Einreise-/Ausreisesystem der EU“ 14 (Anlage 6) des Referates PE 5 des Deutschen Bundestages. Darüber hinaus – aber nicht unmittelbar mit den jüngsten irregulären Migrationen in Zusammenhang stehend – sollen sich Europäischer Rat und Europäisches Parlament bis Ende 2017 über ein EU-weites Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) nach dem Vorbild des amerikanischen ESTA einigen, um sicherzustellen, dass von der Visumpflicht befreite Reisende systematisch überprüft werden. 3.2. Stärkung von Europol Europol als das zentrale Instrument der EU zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Sicherheitsbehörden wurde als Reaktion auf die Krise unter anderem durch die Einrichtung des Europäischen Zentrums zur Bekämpfung der Migrantenschleusung gestärkt. Die Europäische Kommission bekräftigte 2015 ihre Absicht, stärker mit Europol zusammenzuarbeiten , um die Schlagkraft der Agentur bei der Terrorismusbekämpfung sowie bei ihrer Arbeit im Kampf gegen Migrantenschleusung und Cyberkriminalität weiter zu verbessern, z.B. durch die Bereitstellung zusätzlicher Finanzen. Ein weiterer Punkt ist die Verbesserung des Zugangs von Europol zu wichtigen Datenbanken. In diesem Sinne forderte die Kommission die Mitglied- 12 Schaffung eines EU-Einreise-/Ausreisesystems, Briefing: Erste Bewertung einer Folgenabschätzung der Europäischen Kommission, Europäisches Parlament, Mai 2016. Abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/Reg- Data/etudes/BRIE/2016/581379/EPRS_BRI(2016)581379_DE.pdf (letzter Zugriff: 8. März 2017). 13 EU borders: Civil Liberties MEPs vote to step up checks and data protection, Pressemitteilung des Europäischen Parlamentes vom 27. Februar 2017. Abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/news/en/newsroom /20170227IPR64192/eu-borders-civil-liberties-meps-vote-to-step-up-checks-and-data-protection (letzter Zugriff: 8. März 2017). 14 Überarbeiteter Vorschlag der Kommission für ein Einreise-/Ausreisesystem der EU. EU-Sachstand des Referats PE 6 des Deutschen Bundestages, PE-Dok 315/2016 (VS-NfD). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 9 staaten auf, eine Art Informationsknotenpunkt zur Einrichtung einer Plattform zu ermöglichen, über die Behörden, die Kenntnis von Terror- oder anderen schwerwiegenden grenzübergreifenden Sicherheitsbedrohungen haben, ihre Informationen mit Strafverfolgungsbehörden austauschen könnten. 4. Sicherung der Außengrenzen der EU Die Sicherung der Außengrenzen der EU obliegt zum einen den regulären nationalen Grenzsicherungsbehörden , zum anderen der 2017 aus der früheren Agentur FRONTEX hervorgegangenen Behörde „Europäische Grenz- und Küstenwache“, die weiter den Namen FRONTEX tragen soll. Als Reaktion auf den seit 2015 erfolgten massiven Anstieg der Zahlen von Migranten, die irregulär in die EU zu gelangen versuchten, sowie als Antwort auf die sich daraus ergebenden erheblichen Probleme und die deutlich hervortretenden Mängel der bis dato bestehenden europäischen Systeme und Mechanismen für Migrationskontrolle und Grenzsicherung stellte die Europäische Kommission am 15. Dezember 2015 das sogenannte „Grenzpaket“ vor. Kernpunkt war der Vorschlag , die Sicherung der EU-Außengrenzen zu reformieren und zu stärken, insbesondere die Transformation von FRONTEX zu einer personell, finanziell und technisch sehr viel besser ausgestatteten Grenzschutzbehörde mit weitreichenderem Mandat und mehr Kompetenzen. 15 4.1. Ausbau von FRONTEX zur Europäischen Grenz- und Küstenwache Die „alte“ FRONTEX koordinierte die operative Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Bereich des Außengrenzschutzes, unterstützte die Mitgliedstaaten bei der Ausbildung von nationalen Grenzschutzbeamten und legte unter anderem Ausbildungsnormen fest. Außerdem erstellte FRONTEX Risikoanalysen, unterstützte die Mitgliedstaaten in Situationen, die eine verstärkte technische und operative Unterstützung an den Außengrenzen erfordern, und leistete die erforderliche Hilfe bei der Organisation gemeinsamer Rückführungsaktionen der Mitgliedstaaten. Das FRONTEX-Budget setzte sich aus Beiträgen der Schengen-Mitgliedstaaten sowie in einzelnen Jahren aus Beiträgen Norwegens, Islands, Irlands und dem Vereinigten Königreich zusammen. Im Jahr 2005 verfügte die Agentur über 6,2 Mio. Euro jährlich. Dieser Etat wuchs in den nächsten Jahren rapide an; eine Entwicklung, die sich in Folge der verstärkten Migration in die EU seit 2014 nochmals massiv beschleunigte: Im Jahr 2015 standen FRONTEX 143 Mio. Euro zur 15 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Ein europäischer Grenz- und Küstenschutz und effiziente Sicherung der Außengrenzen und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG. Amtsblatt der Europäischen Union, C 303/109, 19. August 2016. Abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/ PDF/?uri=CELEX:52016AE0688&qid=1488893983658&from=EN (letzter Zugriff: 7. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 10 Verfügung 16, für 2017 beläuft sich der Etat auf 302 Millionen Euro. 17 Ein Teil davon floss in die Finanzierung der EU-Missionen Poseidon, Triton, Hera, Minerva und Indalo zur Rettung von Menschen im Mittelmeer. 18 Einen Überblick über diese Missionen verschafft das entsprechende Informationsblatt der Europäischen Kommission vom 7. Oktober 2016 19 (Anlage 7). Zeitgleich zum rasanten Anstieg der zur Verfügung stehenden Mittel betrieb die EU den Umbau der Agentur, der im Laufe des Jahres 2017 abgeschlossen sein soll. In einem Informationsblatt der Europäischen Kommission 20 (Anlage 8) werden unter anderem die Inhalte des Mandates, die Organisation und die neuen Kompetenzen dieser Behörde, der Agentur für die Europäische Grenz- und Küstenwache (FRONTEX) beschrieben. Dazu gehören z.B. die Eigeninitiative bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber oder illegaler Migranten, verstärkter Zugriff auf und Sammlung von Informationen, eine Verdopplung der Personalzahlen, der selbstständige Erwerb von Fahrzeugen und Ausrüstung und die Kooperation mit Drittstaaten. Noch detaillierter werden die Kompetenzen der neuen Behörde in einem 2016 in der Zeitschrift für Rechtspolitik veröffentlichten Beitrag (Anlage 9) 21 von Dr. Ole Schröder, MdB, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, und Polizeidirektor Dr. Lars Gerdes, stellvertretendes Mitglied im Verwaltungsrat von FRONTEX, erläutert. Hier wird insbesondere ausgeführt , dass die „neue“ FRONTEX unter Umständen auch ohne Ersuchen eines Mitgliedstaates tätig werden kann. Die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache nahm ihren Dienst am 6. Oktober 2016 auf; bis Ende März 2017 soll sie erste Gefährdungsanalysen vorlegen . 22 16 Amended Budget 2015 N3, FRONTEX. Abrufbar unter: http://frontex.europa.eu/assets/About_Frontex/Governance _documents/Budget/Budget_2015_N3.pdf (letzter Zugriff: 6. März 2017). 17 Budget 2017, FRONTEX. Abrufbar unter: http://frontex.europa.eu/assets/About_Frontex/Governance _documents/Budget/Budget_2017.pdf (letzter Zugriff: 6. März 2017). 18 EU-Operationen im Mittelmeer. Informationsblatt der Europäischen Kommission vom 4. Oktober 2016. Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/what-we-do/policies/securing-eu-borders/factsheets /docs/20161006/eu_operations_in_the_mediterranean_sea_de.pdf (letzter Zugriff: 8. März 2017). 19 Ebd. 20 Eine europäische Grenz- und Küstenwache. Hrsg.: Europäische Kommission 2016. Abrufbar unter: https://ec.europa .eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/what-we-do/policies/securing-eu-borders/fact-sheets/docs/ 20161006/a_european_border_and_coast_guard_de.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2017). 21 Schröder, Ole; Gerdes, Lars (2016): Neue Europäische Grenz- und Küstenwache. In: Zeitschrift für Rechtspolitik, 238/2016. 22 Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache nimmt ihre Arbeit auf, Europäische Kommission am 6. Oktober 2016. Abrufbar unter: http://ec.europa.eu/germany/news/europ%C3%A4ische-agentur-f%C3%BCr-diegrenz -und-k%C3%BCstenwache-nimmt-ihre-arbeit-auf_de (letzter Zugriff: 9. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 11 4.2. Kooperation mit der NATO in der Ägäis Die sogenannte östliche Mittelmeerroute, auf der aktuell und in den letzten beiden Jahren die meisten Menschen (vornehmlich aus Syrien und anderen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens) in die EU einzureisen versuchten, führt über die direkte Seegrenze zwischen dem EUund NATO-Mitglied Griechenland und dem NATO-Mitglied Türkei. FRONTEX ist als europäische Grenzschutzbehörde nicht befugt, in türkischen Hoheitsgewässern zu operieren. Aus diesem Grund kooperiert die EU vor Ort (d.h. in der Ägäis) bei der Seeraumüberwachung und der Rettung von Menschenleben mit der NATO. Die NATO übernimmt hierbei explizit keine Grenzsicherungsaufgaben von FRONTEX bzw. der griechischen Küstenwache, sondern fokussiert auf Seenotrettung und Seeraumüberwachung. In einem Meinungsbeitrag vom 26. Februar 2016 23 (Anlage 10) führt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg aus, wie sich die Kooperation von EU und NATO in der Ägäis aus Sicht der NATO gestalte: weder als Übernahme von Verpflichtungen der nationalen Küstenwachen noch von denen von FRONTEX, sondern als Ergänzung zu beidem sowie als Vermittler zwischen Griechenland bzw. der EU und der Türkei. Die unter anderem aus Schiffen aus Deutschland, Griechenland und der Türkei bestehende „Standing NATO Maritime Group 2“ (SNMG 2) gewinne allerdings Informationen, die dann an die nationalen Küstenwachen sowie FRONTEX weitergegeben werden. 4.3. EU-Operationen im Mittelmeer Die Mehrzahl der irregulären Migranten versucht, auf dem Seeweg über das Mittelmeer in die EU einzureisen. Nach den tragischen Untergängen von Booten vor den Küsten Lampedusas und Maltas im Oktober 2013 antwortete die Europäische Kommission mit der Einrichtung der „Task Force Mediterranean“ (TFM) 24. Die Kommission, EEAS, Mitgliedstaaten und mehrere europäische Agenturen sind an diesem Projekt beteiligt. Die TFM hat 38 Bereiche identifiziert, in denen gehandelt werden kann, um weitere Tote im Mittelmeer zu verhindern, unter anderem stärkere Kooperation mit Drittstaaten, Kampf gegen Schmuggel und Menschenhandel sowie verstärkte Grenzüberwachung. Die wichtigste Route für Migranten von Nordafrika aus führt von Libyen nach Italien. Hier engagiert sich die EU mit „EUNAVFOR MED 25 Operation SOPHIA“ im Rahmen der GSVP. Der Auswärtige Dienst der Europäischen Union (EEAS) beschreibt in seinem Informationsblatt vom 23 NATO and Europe’s refugee and migrant crisis. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 26. Februar 2016. Abrufbar unter: http://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_128645.htm (letzter Zugriff: 7. März 2017). 24 Implementation of the Communication on the Work of the Task Force Mediterranean, Europäische Kommission, 2014. Abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2014_2019/documents/libe/dv/com_swd(2014) 0173_/com_swd(2014)0173_en.pdf (letzter Zugriff am 9. März 2017) 25 EUropean NAVal FORce MEDiterranean (europäischer Marineverband Mittelmeer). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 12 30. September 2016 26 (Anlage 11) Mandat, Aufgaben, Ausstattung und Größe dieser Operation. Kernmandat von EUNAVFOR MED Operation SOPHIA ist die Identifizierung, das Aufbringen und Neutralisieren (identify, capture, and dispose of) von zum Menschenschmuggel benutzten Booten (siehe auch Anlage 7). 4.4. Hotspots, Multifunktionszentren und weitere Maßnahmen in Drittstaaten zur Verbesserung der Migrationskontrolle Die EU beabsichtigt, mit der Einrichtung sogenannter Hotspots 27 oder Registrierungszentren an den Außengrenzen der EU die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge unmittelbar zu überprüfen und Menschen ohne Asylgrund eine Einreise in die EU verweigern. Ein Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 6. November 2015 mit dem Titel „Ansätze zur Kontrolle von Migration und Flucht aus Ländern der MENA-Region“ 28 (Anlage 12) stellt Multifunktionszentren und Hotspots sowie andere Konzepte zur Migrationskontrolle dar. Einer Mitteilung der Europäischen Kommission vom 13. Mai 2015 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zufolge plante die EU darüber hinaus bereits vor zwei Jahren, in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) in Agadez (Niger) als Pilotprojekt ein sogenanntes „multifunktionales Zentrum“ zu errichten. Das Zentrum in Agadez hat inzwischen seine Arbeit unter Leitung der IOM aufgenommen, nähere Informationen hierzu finden sich in der Antwort der Bundesregierung vom 20. Juli 2016 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Europäische Grenzsicherung jenseits des Mittelmeers“ (Anlage 13). 29 Weitere Multifunktionszentren wie etwa in Mali sind geplant. Die Einrichtung von Multifunktionszentren bzw. Auffanglagern in Nordafrika wird politisch kontrovers diskutiert. 30 Kritiker verweisen dabei auf die politische Instabilität und die 26 European Union Naval Force – Mediterranean Operation Sophia, EEAS, 30. September 2016. Abrufbar unter: http://www.eeas.europa.eu/archives/docs/csdp/missions-and-operations/eunavfor-med/pdf/factsheet_eunavfor _med_en.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2017). 27 Eine sehr ausführliche Darstellung des Hotspot-Konzeptes, auf deren Hinzufügen zu den Anlagen wegen ihrer Länge verzichtet wurde, ist die Studie: On the frontline: the hotspot approach to managing migration. Hrsg.: Fachabteilung Bürgerrechte und konstitutionelle Angelegenheiten des Europäischen Parlamentes, Mai 2016. Abrufbar unter: http://www.europarl.europa .eu/RegData/etudes/STUD/2016/556942/IPOL_STU(2016)556942_EN.pdf (letzter Zugriff: 8. März 2017). 28 Ansätze zur Kontrolle von Migration und Flucht aus Ländern der MENA-Region. Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 156/15 der Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages vom 6. November 2015. 29 Antwort der Bundesregierung vom 20. Juli 2016 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Europäische Grenzsicherung jenseits des Mittelmeers“, BT-Drs. 18/9246. Abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/ btd/18/092/1809246.pdf (letzter Zugriff: 10. März 2017) 30 Lambsdorff hält Lager in Libyen für sinnvoll. Deutschlandfunk, 3. März 2017. Abrufbar unter: http://www. deutschlandfunk.de/fluechtlinge-lambsdorff-haelt-lager-in-libyen-fuer-sinnvoll.2852.de.html?dram:article_ id=380351 (letzter Zugriff: 9. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 13 Menschenrechtssituation in vielen Ländern dieser Region, die solche Pläne unrealistisch erscheinen lassen.31 Insbesondere in Libyen sei es angesichts des andauernden Staatsverfalls nicht möglich, Lager bzw. Verteilungszentren zu betreiben. 32 Der Bundesminister des Auswärtigen, Sigmar Gabriel, lehnt die Einrichtung von Lagern in Libyen ebenfalls ab. 33 Auf EU-Ebene ist der Vorschlag jedoch weiter in der Diskussion; der neue Präsident des Europäischen Parlamentes, Antonio Tajani, hat sich im Februar 2017 für den Vorschlag ausgesprochen, in Libyen ein Auffanglager zu errichten. 34 Italien hat derweil im Alleingang eine Absichtserklärung mit der libyschen Regierung in Tripolis unterzeichnet. 35 Migrationskontrolle durch bessere Befähigung nationaler Polizei- und Grenzschutzbehörden in Niger ist eines der Ziele der zivilen GSVP-Mission EUCAP Sahel Niger, die zwar schon 2012 und damit nicht als Reaktion auf die jüngsten Entwicklungen ihre Arbeit begann, im Zuge der Entwicklungen jedoch 2016 auf Agadez, den Standort des Multifunktionszentrums im nördlichen Landesteil, ausgeweitet wurde. 36 Ganz grundsätzlich engagiert sich die EU in zahlreichen Staaten entwicklungspolitisch und verbindet damit oft auch explizit die Eindämmung bzw. Lenkung von Migration und Flucht. Der EU-Gipfel von Valletta im November 2015 markiert den offiziellen Start des sogenannten „Notfall -Treuhand-Fonds für Afrika“ (Emergency Trust Fund for stability and addressing root causes of irregular migration and displaced persons in Africa), der in 23 Ländern Afrikas die Probleme, die zu irregulärer Migration und Flucht führen, angehen soll. Näheres zum „Emergency Trust Fund for Africa“ steht im gleich betitelten Informationsblatt 37 der Europäischen Kommission (Anlage 14). 31 UN-Koordinator für Libyen warnt vor Flüchtlingspakt, Deutsche Welle, 21. Februar 2017. Abrufbar unter: http://www.dw.com/de/un-koordinator-f%C3%BCr-libyen-warnt-vor-fl%C3%BCchtlingspakt/a-37649475 (letzter Zugriff: 9. März 2017) sowie 32 Deutsche Botschaft prangert Lager in Libyen an, heute.de, 29. Januar 2017. Abrufbar unter: http://www.heute.de/fluechtlingslager-in-nordafrika-deutsche-botschaft-prangert-lager-in-libyen-an- 46429912.html (letzter Zugriff: 9. März 2017). 33 Gabriel gegen Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika, 24. Februar 2017. http://www.dw.com/de/gabrielgegen -auffanglager-f%C3%BCr-fl%C3%BCchtlinge-in-nordafrika/a-37709121 sowie 34 EU-Parlamentspräsident Tajani fordert Auffanglager in Libyen, Zeit Online, 27. Februar 2017. Abrufbar unter: http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/fluechtlinge-libyen-antonio-tajani-auffanglager (letzter Zugriff: 9. März 2017). 35 Jan-Christoph Kitzler (6. Februar 2017): Vorpreschen im Deal mit Libyen, Deutschlandfunk. Abrufbar unter: http://www.deutschlandfunk.de/italien-vorpreschen-im-deal-mit-libyen.1773.de.html?dram:article_id=378214 (letzter Zugriff: 9. März 2017). 36 The EUCAP Sahel Niger civilian mission. Hrsg.: EEAS, April 2016. Abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/sites /eeas/files/factsheet_eucap_sahel_niger_en.pdf (letzter Zugriff: 8. März 2017). 37 EU Emergency Trust Fund for Africa, Europäische Kommission, 2016. Abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/sites /eeas/files/factsheet_ec_format_eu_emergency_trust_fund_for_africa.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 14 5. Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems Bei der Bewältigung der Migrationsherausforderungen sind u.a. auch die Schwächen des Dublin- Verfahrens deutlich sichtbar geworden. Dieses System, das regelt, welcher europäische Staat für einen Asylantrag zuständig ist, soll daher verändert werden. Einer der Kernpunkte dieser Reform ist die (seit langem geplante und in Teilen schon 2001 und 2008 umgesetzte) 38 Anpassung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (Common European Asylum System, CEAS). Arbeitsgruppen sowie Ausschüsse des Europäischen Parlamentes befassen sich derzeit mit den möglichen Änderungen. Einen Überblick über die geplanten Anpassungen verschafft das Informationsblatt „Reforming the Common European Asylum System: Frequently asked questions“ 39 der Europäischen Kommission vom 13. Juli 2017 (Anlage 15). Ein Unterpunkt der CEAS-Reformen ist die Einrichtung der unter Ziff. 4.4. erwähnten Hot Spots, die zur koordinierten Verteilung von asylsuchenden Migranten auf die einzelnen EU-Länder dienlich sein sollen (siehe dazu Anlage 12). Hier zeigt sich, wie verschränkt Inneres und Auswärtiges im Hinblick auf die Bewältigung der Herausforderungen sein können. Besonders umstritten ist die Verteilung von anerkannten Flüchtlingen auf die einzelnen EU-Länder . Gemäß dem im September 2015 von der Kommission vorgestellten Plan sollten 160.000 Flüchtlinge von Griechenland und Italien aus in die anderen EU-Staaten umgesiedelt werden. Bis November 2015 wurden jedoch nur 116 Menschen im Rahmen des Emergency Relocation Mechanism verteilt.40 Deutschland, Frankreich und Spanien würden nach dem Verteilungsschlüssel insgesamt etwa 60 Prozent dieser Flüchtlinge aufnehmen. Großbritannien hatte bereits zu Beginn der Pläne von seiner Rücktrittsklausel bezüglich der EU-Asylpolitik Gebrauch gemacht. Bis September 2016 hatten alle Staaten mit Ausnahme von Österreich, Dänemark, Ungarn und Polen insgesamt 5.651 Flüchtlinge aufgenommen.41 Dabei übernahm Frankreich mit etwa 2.000 Menschen den größten Anteil, gefolgt von den Niederlanden und Finnland.42 Insbesondere in Polen und Ungarn, aber auch in Tschechien und der Slowakei stößt das Gemeinsame Asylsystem auf heftigen Widerstand. In Ungarn fand auf Initiative der Regierung Orbán im September 2016 ein Referendum zur Frage fester Quoten statt, es scheiterte jedoch am vorgeschriebenen Quorum.43 38 Common European Asylum System. Hrsg.: Europäische Kommission – Kommission für Migration und Inneres, 8. März 2017. Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/home-affairs/what-we-do/policies/asylum_en (letzter Zugriff: 8. März 2017). 39 Reforming the Common European Asylum System: Frequently asked questions, Europäische Kommission, 13. Juli 2016. Abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-16-2436_en.htm (letzter Zugriff: 9. März 2017). 40 State of Play: Measures to Address the Refugee Crisis. Hrsg.: Europäische Kommission, 4. November 2016. Abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5958_en.htm (letzter Zugriff: 16. März 2017). 41 James Crisp (28. September 2016) Flüchtlingsverteilung in Europa: Ein gescheitertes Projekt?, Euractiv. Abrufbar unter: https://www.euractiv.de/section/eu-innenpolitik/news/fluechtlingsverteilung-in-europa-ein-gescheitertes -projekt/ (letzter Zugriff: 16. März 2017). 42 Ebd. 43 Orbán scheitert mit Referendum über Flüchtlingsquote, Spiegel Online, 2. Oktober 2016. Abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-referendum-ueber-fluechtlingsquoten-ungueltig-a-1114943.html (letzter Zugriff: 16. März 2017). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 15 6. Fazit Eine Vielzahl der im Rahmen dieser Dokumentation vorgestellten, noch im Prozess der Abstimmung befindlichen Reformvorschläge zur Stärkung der europäischen Sicherheitsarchitektur wie auch der bereits entschiedenen und eingeleiteten bzw. umgesetzten Maßnahmen war bereits vor Einsetzen des starken Anstieges irregulärer Migration in die EU in der Diskussion bzw. geplant. Damals allerdings war der Handlungsdruck auf die EU noch deutlich geringer. Dieser wuchs erst, als die Schwächen der EU, den starken Zustrom irregulärer Migranten und Flüchtlinge und die sich hieraus ergebenden Herausforderungen zu meistern, deutlich sichtbarer zu Tage traten. Ein bedeutendes Defizit der EU war hierbei ihre mangelnde Handlungsfähigkeit. Die fehlende Vollkompetenz der Union führt dazu, dass alle Maßnahmen mit ihren Mitgliedstaaten harmonisiert und koordiniert werden müssen. Dabei wurde in den vergangenen Jahren immer wieder „deutlich , dass im Vergleich zum gemeinsamen Binnenmarkt die Mitgliedstaaten dem Raum der Freiheit , der Sicherheit und des Rechts einen anderen Stellenwert beimessen, der eher national motiviert ist.“ 44 Dennoch lässt sich festhalten, dass der auf Europa wirkende Migrationsdruck vielen politischen Prozessen innerhalb der EU neuen Schwung verliehen hat. *** 44 Möllers, Rosalie (2016): Wirksamkeit und Effektivität der Europäischen Agentur FRONTEX. Eine politikwissenschaftliche Analyse der Entwicklung eines integrierten Grenzschutzsystems an den Außengrenzen der EU, Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt, 2015, ISBN 978-3-86676-432-3, S. 131. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 16 Anlagenverzeichnis Erneuerung der GSVP – hin zu einer umfassenden, realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU. Deutsch-französische Verteidigungsinitiative zur Erneuerung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP), 12. September 2016. Abrufbar unter: https://www. bmvg.de/resource/resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzIzMDMwMzAz MDMwMzAzMDY5NzQzMDMxMzkzOTY2NjcyMDIwMjAyMDIw/Initiative%20DEU%20VM% 20-%20FRA%20VM%20%C3%9Cbersetzung.pdf (letzter Zugriff: 13. März 2017). Anlage 1 Implementation Plan on Security and Defence. High Representative of the European Union for Foreign Affairs and Security Policy, Vice-President of the European Commission, and Head of the European Defence Agency. Ratsdokument Nr. 14392/16, 14. November 2016. Abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/eugs_implementation_plan_st14392.en16_0.pdf (letzter Zugriff: 6. März 2017). Anlage 2 European Defence Action Plan – Communication from the Commission to the European Parliament , the European Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. Europäische Kommission. Kommissions-Dokument Nr. COM(2016) 950, 30. November 2016. Abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/com_2016_950_f1_communication _from_commission_to_inst_en_v5_p1_869631.pdf (letzter Zugriff: 27. Februar 2017) Anlage 3 Tagung des Europäischen Rates – Schlussfolgerungen. Generalsekretariat des Rates. Rats-Dokument Nr. EUCO 34/16. Abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/meetings/europeancouncil /2016/12/20161215-euco-conclusions-final_pdf/ (letzter Zugriff: 6. März 2017). Anlage 4 Council conclusions on progress in implementing the EU Global Strategy in the area of Security and Defence. Rat der Europäischen Union, 6. März 2017. Abrufbar unter: http://www.consilium .europa.eu/de/press/press-releases/2017/03/06-conclusions-security-defence/ (letzter Zugriff : 7. März 2017). Anlage 5 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 17 Überarbeiteter Vorschlag der Kommission für ein Einreise-/Ausreisesystem der EU. EU-Sachstand PE - Dok 315/2016 des Referats PE 6 des Deutschen Bundestages (VS-NfD). Anlage 6 EU-Operationen im Mittelmeer. Europäischen Kommission, 4. Oktober 2016. Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/what-we-do/policies/securing-eu-borders /fact-sheets/docs/20161006/eu_operations_in_the_mediterranean_sea_de.pdf (letzter Zugriff: 8. März 2017). Anlage 7 Eine europäische Grenz- und Küstenwache. Europäische Kommission 2016. Abrufbar unter: https://ec.europa.eu/home-affairs/sites/homeaffairs/files/what-we-do/policies/securing-eu-borders /fact-sheets/docs/20161006/a_european_border_and_coast_guard_de.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2017). Anlage 8 Schröder, Ole; Gerdes, Lars (2016): Neue Europäische Grenz- und Küstenwache. In: Zeitschrift für Rechtspolitik, ZRP 238/2016, Beck-Online. Abrufbar unter: https://beck-online.beck.de/Dokument ?vpath=bibdata%2Fzeits%2Fzrp%2F2016%2Fcont%2Fzrp.2016.238.1.htm&pos=0 (letzter Zugriff: 10. März 2017). Anlage 9 NATO and Europe’s refugee and migrant crisis. Jens Stoltenberg, 26. Februar 2016. Abrufbar unter: http://www.nato.int/cps/en/natohq/opinions_128645.htm (letzter Zugriff: 7. März 2017). Anlage 10 European Union Naval Force – Mediterranean Operation Sophia, EEAS, 30. September 2016. Abrufbar unter: http://www.eeas.europa.eu/archives/docs/csdp/missions-and-operations/eunavfor -med/pdf/factsheet_eunavfor_med_en.pdf (letzter Zugriff: 9. März 2017). Anlage 11 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 022/17 Seite 18 Ansätze zur Kontrolle von Migration und Flucht aus Ländern der MENA-Region. Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 156/15 der Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages vom 6. November 2015. Anlage 12 Antwort der Bundesregierung vom 20. Juli 2016 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Europäische Grenzsicherung jenseits des Mittelmeers“, BT-Drs. 18/9246. Abrufbar unter: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/092/1809246.pdf (letzter Zugriff: 10. März 2017) Anlage 13 EU Emergency Trust Fund for Africa. Europäische Kommission, 2016. Abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/factsheet_ec_format_eu_emergency_trust_fund_for_africa .pdf (letzter Zugriff: 9. März 2017). Anlage 14 Reforming the Common European Asylum System: Frequently asked questions. Europäische Kommission, 13. Juli 2016. Anlage 15