© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 021/17 Zuständigkeit US-amerikanischer Gerichte nach dem Alien Torts Claim Act Schadensersatzklagen der Herero und Nama Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Bewertung 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 021/16 Seite 4 1. Der Alien Torts Claim Act Der US-amerikanische Alien Torts Claim Act (ATCA)1 von 1789 begründet die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte in Zivilverfahren, in denen ein ausländischer Staatsangehöriger Schadensersatz für die Verletzung von Völkerrechtsnormen begehrt und die schadensverursachende Handlung außerhalb der USA vorgenommen wurde: “The district courts shall have original jurisdiction of any civil action by an alien for a tort only, committed in violation of the law of nations or a treaty of the United States”. ATCA ist damit Ausfluss der sog. universellen Gerichtsbarkeit2, im Rahmen welcher nationale Gerichte keinen Anknüpfungspunkt (genuine link) zum Hoheitsgebiet, zur Nationalität oder zum Schutz von Staatsinteressen herstellen müssen, um ihre Zuständigkeit zu begründen. Sie können mit Hilfe der Norm vielmehr auch den Schutz universeller Werte und Interessen gewährleisten.3 1.1. Zur Zuständigkeit amerikanischer Gerichte Voraussetzungen für die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte sind:4 1. Der Kläger muss ausländischer Staatsangehöriger sein. 2. Der Beklagte muss im Ausland eine unerlaubte Handlung begangen haben, die ihm zurechenbar ist. 3. Die unerlaubte Handlung muss eine schwere Verletzung („gross violation“) von Völkergewohnheitsrecht darstellen. Der US Supreme Court hat in der Entscheidung Sosa v. Alvarez-Machain (2004)5 die Voraussetzungen für die Zuständigkeit (jurisdiction) nach dem ATCA eingegrenzt, um nationale Gerichte dafür zu sensibilisieren, dass Völkerrechtsverletzungen grundsätzlich nicht durch Privatpersonen „abgeholfen“ werden sollen. Eine solche Vorgehensweise würde nämlich Implikationen für die Legislative und Exekutive nach sich ziehen und diese in der Ausübung ihrer auswärtigen Gewalt einschränken. Aus diesem Grund sieht das Völkerrecht lediglich die Staatenverantwortlichkeit sowie die individuelle Verantwortlichkeit im Völkerstrafrecht vor, welche vor internationalen 1 28 U.S.C. § 1350 (1789). 2 Vgl. das Weltrechtsprinzip des § 6 StGB, welches eine universelle Zuständigkeit deutscher Gerichte in Strafsachen begründet. Dem deutschen Zivilrecht ist ein solches Prinzip unbekannt. 3 Jochen von Bernstorff, Marc Jacob, John Dingfelder Stone, „The Alien Tort Statute before the US Supreme Court in the Kiobel case: Does international law prohibit US courts to exercise extraterritorial civil jurisdiction over human rights abuses committed outside of the US?“ (2012) ZaöRV, S. 579 (584). 4 Anja Seibert-Fohr, „United States Alien Tort Statute“ (2015) in Rüdiger Wolfrum (Hrsg.) Encyclopedia of Public International Law, Rn. 5-12. 5 US Supreme Court, Sosa v. Alvarez-Machain (29. Juni 2004), Fall Nr. 03-339 und 03-485, 542 U.S. 692. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 021/16 Seite 5 Gerichten verhandelt werden. Hinter ATCA steht hingegen die Annahme, dass schwerste Völkerrechtsverletzungen ausnahmsweise auch eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit mit sich bringen und – dezentralisiert – vor nationalen Gerichten verhandelt werden können. ATCA fordert die Verletzung einer völkergewohnheitsrechtlichen ius cogens-Norm.6 Hierzu zählen das Verbot des Genozids, der Sklaverei, der Folter, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder der Piraterie.7 Da sich ATCA auf Völkergewohnheitsrecht („law of nations“) bezieht, erfasst die Norm auch mögliche Genozide, die vor dem Inkrafttreten der Völkermordkonvention am 9. Dezember 1948 stattgefunden haben. Zudem muss die Verletzung dem Beklagten zurechenbar sein. Steht die Verletzung des Genozidverbots in Frage, so kann die unerlaubte Handlung durch staatliche Akteure oder private Individuen vorgenommen werden. Verfolgbar sind auch Beihilfehandlungen Privater.8 Um eine Zuständigkeit nach dem ATCA zu begründen, muss der Kläger hinreichende Tatsachen vortragen, um die Erfüllung dieser Voraussetzung a priori plausibel erscheinen zu lassen. Es bedarf insofern keiner vollumfänglichen Beweisführung. Bloße unspezifische Behauptungen genügen indes nicht. 1.2. Zu den Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche Ebenso wenig wie §§ 12-34 der deutschen Zivilprozessordnung (Gerichtsstände), normiert ATCA selbst materiell-rechtliche Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche. Diese sind im amerikanischen Deliktsrecht (torts law) zu suchen.9 6 Jordan J. Paust, „The History, Nature and Reach of the Alien Torts Claim Act“ (2004) 16 Florida Journal of International Law, S. 249 (258). 7 Jochen von Bernstorff, Marc Jacob, John Dingfelder Stone (Fn. 3), S. 578-588. 8 Anja Seibert-Fohr, (Fn. 4), Rn. 10-11. 9 Vgl. US Court of Appeals (3rd Circuit), Herero et al. v. Deutsche Afrika-Linien GBMLT & Co. (10. April 2017), Fall Nr. 06-1684, verfügbar unter: http://www2.ca3.uscourts.gov/opinarch/061684np.pdf (zuletzt aufgerufen am 1. März 2017), S. 5: “The Appellants are suing under the [ATCA] and federal common law for damages suffered by the Appellants during 1890 to 1915”; US Supreme Court, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. (17. April 2013), Fall Nr. 10–1491, verfügbar unter: https://www.supremecourt.gov/opinions/12pdf/10-1491_l6gn.pdf (zuletzt aufgerufen am 2. März 2017), S. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 021/16 Seite 6 2. Anwendung des Alien Torts Claim Acts auf den Fall der Herero und Nama Die Sammelklage der Herero und Nama vom 5. Januar 2017 (Vekuii Rukoro et al. v. Federal Republic of Germany)10 vor einem New Yorker Gericht wirft erneut die Frage auf, ob Schadensersatzansprüche auf Grund von Völkerrechtsverletzungen erfolgreich auf nationaler Ebene geltend gemacht werden können.11 Bereits 2003 und 2006 waren zwei Klagen der Hereros vor US-amerikanischen Gerichten mangels Zuständigkeit abgelehnt worden. Im Verfahren Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank AG (2003)12 stellte ein Gericht im Bezirk Columbia fest, dass die Kläger nicht klagebefugt seien. Dieses Diktum erging zeitlich vor der Supreme Court-Entscheidung Sosa v. Alvarez- Machain (2004) und stützte sich daher lediglich auf die Rechtsprechung vorangegangene Untergerichte . Diese hatten bis dato jedoch kein privates, auf ATCA basierendes Klagerecht für die Geltendmachung von Völkerrechtsverletzungen anerkannt.13 2006 initiieren die Hereros sodann das Klageverfahren Herero et al. v. Deutsche Afrika-Linien GBMLT & Co. vor einem Gericht in New Jersey.14 Dieses wies die Klage mit der Begründung ab, die Kläger hätten die gerichtliche Zuständigkeit nach dem ATCA nicht hinreichend dargetan. Das Urteil wurde auch vom Berufungsgericht bestätigt.15 Dabei stellte das Berufungsgericht fest, dass die Kriterien, welche der US Supreme Court in der Entscheidung Sosa v. Alvarez-Machain aufgestellt hatte, nicht erfüllt seien. Insbesondere seien Vorfälle, die vor fast einem Jahrhundert stattgefunden haben und heikle außenpolitische Entscheidungen einer nicht mehr existenten Regierung betreffen, heutzutage nicht mehr justiziabel.16 Zudem hätten die Urheber des ATCA 1789 gerade keine Norm schaffen wollten, mit deren Hilfe unzählige Gruppen von potentiell Betroffenen vor US-amerikanischen Gerichten Klage wegen Menschenrechtsverletzungen erheben 10 US District Court, Southern District of New York, Vekuii Rukoro et al. v. Federal Republic of Germany (5. Januar 2017), Klageschrift, verfügbar unter: http://docs.dpaq.de/11721-herero_vs_germany.pdf (zuletzt aufgerufen am 1. März 2017). 11 Zu den Erfolgsaussichten einer Klage auf internationaler Ebene siehe: Ausarbeitung „Der Aufstand der Volksgruppen der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904-1908): Völkerrechtliche Implikationen und haftungsrechtliche Konsequenzen“ (27. September 2016), WD 2 - 3000 - 112/16, verfügbar unter: http://www.bundestag .de/blob/478060/28786b58a9c7ae7c6ef358b19ee9f1f0/wd-2-112-16-pdf-data.pdf (zuletzt aufgerufen am 1. März 2017) oder (Anlage). 12 US District Court, District of Columbia, Herero People’s Reparations Corp. v. Deutsche Bank AG (31. Juli 2003), Fall Nr. 01-01868, 2003 Westlaw 26119014, verfügbar unter: https://de.slideshare.net/LianaPrieto/herero-peoples -reparations-corp-v-deutsche-bank-ag (zuletzt aufgerufen am 2. März 2017). 13 Ibid., Rn. 10. 14 US District Court, District of New Jersey, Herero et al. v. Deutsche Afrika-Linien GBMLT & Co. (24. Januar 2006), Fall Nr. 05-01872, 2006 Westlaw 182078. 15 US Court of Appeals (3rd Circuit), Herero et al. v. Deutsche Afrika-Linien GBMLT & Co. (Fn. 9), S. 1, 9-11. 16 Ibid., S. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 021/16 Seite 7 können, die „überall auf der Welt und zu jedwedem Zeitpunkt in der menschlichen Geschichte“ begangen wurden.17 In diesem Sinne hat der US Supreme Court in Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. (2013)18 weitere Einschränkungen für sogenannte exterritoriale Fälle gemacht; also solche, die ein Verhalten zum Gegenstand haben, das nicht auf US-Territorium stattgefunden und auch sonst keine Bezüge zur USA hat. Weder der Wortlaut des ATCA noch dessen Entstehungsgeschichte sprächen dafür, so der US Supreme Court, die Zuständigkeit US-amerikanischer Gerichte auf Ereignisse zu erstrecken, die keinerlei Bezüge zum US-Territorium hätten.19 Da das amerikanische common law auf Fallrecht basiert, werden die vorgenannten Fälle auch im Verfahren Vekuii Rukoro et al. v. Federal Republic of Germany (2017) eine Rolle spielen. Sollten die Kläger in diesem Verfahren keine neuen oder substantiell anderen Tatsachen vortragen, dürfte zu erwarten sein, dass sich das Gericht auch in diesem Fall für unzuständig erklärt. 3. Bewertung ATCA stellt aus Sicht des Völkerrechts eine Ausnahmevorschrift dar, da sie Individuen die Möglichkeit eröffnet, zivilrechtliche Klagen auf Grund von Verletzungen öffentlich-rechtlicher Normen vor US-Gerichten zu verhandeln, welche u.U. kaum Anknüpfungspunkte an das Forum haben. Daher hat der US Supreme Court zu Recht hohe Hürden für eine Zuständigkeitsbegründung nach ATCA festgesetzt. Rechtsgeschichtlich betrachtet war ATCA um 1789 eine für damalige Zeiten sehr moderne Norm, die jedoch im Hinblick auf die Geltendmachung von Völkerrechtsverletzungen ungefähr 200 Jahre lang unbeachtet blieb. Erst in den 1990‘er Jahren griffen Kläger in wachsendem Maße auf sie zurück, insbesondere um multinationale Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen. Die Erfolgsaussichten für Klagen von Privaten gegen (private) Unternehmen unter ATCA können nicht generell, sondern nur von Fall zu Fall beurteilt werden. Demgegenüber dürften Klagen, die Einzelpersonen gegen die Bundesrepublik Deutschland vor US-amerikanischen Gerichten erheben , schon wegen dem Grundsatz der völkerrechtlichen Staatenimmunität erfolglos sein.20 *** 17 Ibid., S. 11: „[…] while we recognize the gravity of the offense described by the appellants, adjudication of such a claim would at least theoretically open the door to claims by countless aggrieved groups for human rights violations occurring anywhere in the world at any point in the vast expanse of recorded human history. We do not suppose this was the intention of the drafters of the Alien Tort Statute“. 18 US Supreme Court, Kiobel v. Royal Dutch Petroleum Co. (Fn. 9). 19 Ibid., S. 7-8. 20 Nach dem völkerrechtlichen Grundsatz der Staatenimmunität darf kein Staat über das Verhalten eines anderen Staates zu Gericht sitzen. Siehe Knut Ipsen, Völkerrecht (6. Aufl., Beck, München, 2014), S. 180-197.