© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 - 020/17 Mögliche sicherheits- und verteidigungspolitische Folgen des britischen Referendums über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Die sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland im Rückblick 4 3. Brexit und seine Auswirkungen auf die GSVP sowie auf die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik 5 3.1. Brexit als möglicher Impulsgeber für die europäische Verteidigungsintegration und Motor der deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit 6 3.2. Brexit als mögliche Bremse der der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsintegration und der deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit 9 4. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 4 1. Einleitung In Großbritannien hat am 23. Juni 2016 die knappe Mehrheit von 51,9 Prozent der Teilnehmer und Teilnehmerinnen eines Referendums für den Austritt aus der Europäischen Union – den sogenannten „Brexit“ – gestimmt. Vor dem Hintergrund, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt von britischer Seite der Austrittsprozess nach Art. 50 EUV 1 noch gar nicht eingeleitet wurde und damit der Rahmen für die künftigen Beziehungen des Vereinigten Königreiches zur EU noch völlig offen ist, sind die Auswirkungen des Brexit auf die verschiedenen Politikbereiche ungewiss. Diese Ausarbeitung befasst sich mit möglichen Folgen des Brexit für die Gemeinsame Sicherheits - und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU und für die deutsch-französische Sicherheitsund Verteidigungskooperation. Am Rande werden darüber hinaus auch mögliche sicherheitspolitische Auswirkungen des Brexit auf den Nahen Osten thematisiert. Im Mittelpunkt der Arbeit steht jedoch die Frage, ob der Brexit eher die Chancen für eine strukturierte Sicherheitszusammenarbeit in Europa und damit für eine engere sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland erhöhen wird, oder ob der EU-Austritt Großbritanniens die Asymmetrie in der deutsch-französischen Kooperation eher verstärken und eine weitere europäische Verteidigungsintegration behindern wird. 2. Die sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation zwischen Frankreich und Deutschland im Rückblick Mit dem Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit (kurz: Élysée-Vertrag) legten die damaligen Regierungschefs Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland, Staatspräsident Charles de Gaulle und Bundeskanzler Konrad Adenauer, am 22. Januar 1963 das Fundament für eine bis heute währende Partnerschaft. Ein wesentlicher Grundpfeiler dieser Partnerschaft ist eine gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die in ihrer Geschichte sowohl Höhen als auch Tiefen durchlief. Neben zahlreichen positiven Beispielen der militärischen Zusammenarbeit 2 können im außenund sicherheitspolitischen Bereich die gemeinsamen diplomatischen Anstrengungen Frankreichs und Deutschlands zur Beilegung der Konflikte in der Ost-Ukraine und in Syrien als Beleg einer funktionierenden deutsch-französischen Zusammenarbeit herangezogen werden. Auch wenn diese beiden Konflikte bis heute mit hoher Intensität fortgeführt werden und in Syrien eine 1 Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag, EUV). Fassung aufgrund des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon (Konsolidierte Fassung bekanntgemacht im ABl. EG Nr. C 115 vom 9. Mai 2008, S. 13). Abrufbar unter: https://dejure.org/gesetze/EU (letzter Zugriff: 1. März 2017). 2 Zu diesen Beispielen militärischer Kooperation zählen u.a. - die am 13. November 1987 aufgestellte Deutsch-Französische Brigade, - die Unterstützung und Entlastung französischer Armeeeinheiten in Mali durch Entsendung eines Bundeswehrkontingents als Reaktion auf die Terroranschläge von Paris am 13. November 2015, - die Bereitstellung von Einheiten der Bundeswehr zur „Unterstützung Frankreichs, Iraks und der internationalen Allianz“ bei der Bekämpfung des Islamischen Staates, - die Rüstungskooperation mit zahlreichen gemeinsamen Beschaffungsvorhaben und der Fusion der größten Panzerhersteller beider Länder im Jahr 2015 (Krauss-Maffai Wegmann auf deutscher und Nexter auf französischer Seite) sowie - eine vielgestaltige Streitkräftekooperation. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 5 nachhaltige Waffenruhe bis heute nicht erzielt werden konnte, erreichten die Regierungschefs Frankreichs und Deutschlands zusammen mit den Präsidenten Russlands und der Ukraine mit dem „Minsker Abkommen“ vom 12. Februar 2015 doch zumindest einen Teilerfolg auf dem Weg zur Deeskalation und Befriedung des in der Ost-Ukraine seit 2014 herrschenden Kriegs. Die Bemühungen dieser vier Staaten des sogenannten „Normandie-Formats“ um eine Beilegung des Ost-Ukraine-Konflikts mündeten jüngst in einen weiteren Teilerfolg, als sich das „Normandie- Quartett“ am 19. Oktober 2016 in Berlin auf einen neuen Fahrplan zu einer Friedenslösung und auf eine bewaffnete Polizeimission im Bürgerkriegsgebiet einigen konnte. Diesen Erfolgen der deutsch-französischen Zusammenarbeit in den Bereichen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht bis in die jüngste Vergangenheit hinein ein stagnierender Prozess europäischer Streitkräfteintegration entgegen. Gemeinsam war es hier Frankreich und Deutschland nicht gelungen, einer Weiterentwicklung der GSVP entscheidende Impulse zu verleihen, obwohl sie mit dem am 22. Januar 1988 gegründeten Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat (DFVSR) über ein politisches Instrument zur Abstimmung einer gemeinsamen Verteidigungs- und Rüstungspolitik und damit auch zur Gestaltung und Fortentwicklung der GSVP verfügen. Die Ansätze zur Entwicklung eines von allen europäischen Partnern akzeptierten Konzeptes zur europaweiten Harmonisierung der nationalen Sicherheitspolitiken und für eine europäische Armee erstickten u.a. deshalb nahezu im Keim, weil Frankreich und Deutschland mit der militärischen Integration bisher deutlich voneinander abweichende Ziele verfolgten. 3 Neben aktuellen politischen Ereignissen wie die sich verändernden sicherheitspolitischen Herausforderungen an der östlichen und südlichen Peripherie Europas könnte jedoch jetzt insbesondere der angekündigte EU-Austritt Großbritanniens – hierauf fokussiert diese Arbeit ausschließlich – künftig Einfluss auf die jeweiligen Interessen Deutschlands und Frankreichs und deren Zusammenarbeit bei der europäischen Verteidigungsintegration haben. 3. Brexit und seine Auswirkungen auf die GSVP sowie auf die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik Im Folgenden wird der Versuch unternommen, mögliche Auswirkungen eines Brexit auf die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie auf die GSVP der Europäischen Union insgesamt zu skizzieren. Hierbei wird deutlich, dass die Prognosen zur weiteren Entwicklung in Politik und Politikwissenschaft stark divergieren. 3 Frankreich, dessen Sicherheitspolitik stets stark von nationalem Kalkül geprägt war, sah ein Zusammenwirken in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zumeist unter dem Gesichtspunkt des Aufbaus seiner eigenen militärischen Fähigkeiten und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der Europäischen Union eher als Vehikel, in einer von den USA unabhängigen Struktur eine signifikante Rolle zu spielen. Hingegen hat Deutschland aus seiner historischen Erfahrung heraus und im Streben nach einem effektiven Ressourceneinsatz per se das Ziel einer umfassenden europäischen Verteidigungsintegration verfolgt. Gemeinsame sicherheits- und verteidigungspolitische Projekte mit Frankreich sollten hierfür eine konzeptionelle Basis bieten Vgl. Die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 012/16 der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 28. Januar 2016, S. 3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 6 3.1. Brexit als möglicher Impulsgeber für die europäische Verteidigungsintegration und Motor der deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit Regierungsvertreter und -vertreterinnen sowohl aus Frankreich als auch aus Deutschland betrachten den vorgesehenen Austritt Großbritanniens aus der EU mehrheitlich als eine Chance, den Weg zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu beschleunigen . So vertritt Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen die Auffassung, jetzt seien Kooperationen und Planungen möglich, die vorher so nicht möglich gewesen seien. Nachdem man lange auf Großbritannien habe Rücksicht nehmen müssen, hätten Deutschland und Frankreich nun die Möglichkeit, mit einer Initiative den Anstoß für eine Strukturierung der Sicherheitszusammenarbeit in Europa zu geben. Grundzüge dieser deutsch-französischen Initiative zur „Erneuerung der GSVP hin zu einer umfassenden , realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU“ 4 wurden von Ursula von der Leyen und ihrem französischen Amtskollegen Jean-Yves Le Drian am 12. September 2016 vorgestellt. Inhaltlich basieren die Vorschläge der gemeinsamen Initiative auf dem am 13. Juli 2016 von der Bundesregierung veröffentlichten „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr.“ 5 Gleichzeitig bewegen sich die Empfehlungen entlang der neuen „Globalen Strategie der EU zur Außen- und Sicherheitspolitik.“ 6 Im Einzelnen soll im Rahmen dieser Initiative ein umfassender Katalog an Maßnahmen umgesetzt werden, u.a. der Verbleib der strategischen Planungsfähigkeiten innerhalb der Krisenmanagementstruktur des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) und der Kommandokette unter der politischen Kontrolle des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) der EU sowie die Schaffung eines (von Großbritannien stets abgelehnten) permanenten EU-Hauptquartiers für militärische und zivile GSVP-Missionen und -Operationen als mittelfristiges Ziel. Dieser Maßnahmenkatalog wurde während des informellen Treffens der EU-Verteidigungsminister am 26./27. September 2016 in Bratislava zur Diskussion gestellt und ein möglicher Fahrplan für seine Umsetzung präsentiert. Dabei stemmte sich Großbritannien, das hier zwar nicht mit am Tisch saß, aber immer noch vollwertiges EU-Mitglied ist, jedoch weiterhin deutlich gegen 4 Erneuerung der GSVP – hin zu einer umfassenden, realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU. Deutsch-französische Verteidigungsinitiative vom 12. September 2016. Abrufbar unter: https://www.bmvg.de/resource /resource/MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzIz- MDMwMzAzMDMwMzAzMDY5NzQzMDMxMzkzOTY2NjcyMDIwMjAyMDIw/Initiative%20DEU%20VM%20- %20FRA%20VM%20%C3%9Cbersetzung.pdf (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 5 Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr. Hrsg.: Bundesregierung, 13. Juli 2016. Abrufbar unter: https://www.bmvg.de/resource/resource/UlRvcjZYSW1RcEVHaUd4cklzQU4yNWFvejhLbj VyYnR1OCt3ZlU1N09FVkZoYmR4Sjljb1E2UW9BdC9qQ3U1bmVEck9CbDgvcUFZaUhSL1dSSFA0alRxelpq Q3dyK1E3LzB4N0lXQ0lhcHM9/Weissbuch2016_barrierefrei.pdf (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 6 Shared Vision, Common Action: A Stronger Europe – A Global Strategy for the European Union’s Foreign And Security Policy. Juni 2016. Abrufbar unter: http://www.iss.europa.eu/uploads/media/EUGS.pdf (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 7 die Anfänge einer EU-Armee. 7 Aber auch die baltischen Staaten und die Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei und Polen) äußerten Bedenken zu diesen Plänen. Sie stehen – im Gegensatz zu Großbritannien – zwar einer „gemeinsamen Verteidigungsstruktur“ als Vorstufe zu einer EU-Armee grundsätzlich positiv gegenüber, befürchten aber die Duplizierung militärischer Strukturen in NATO und EU. 8 Auf diesen „Gegenwind“ reagierten Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland – im Vorfeld der Tagung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten am 14. und 15. November 2016 in Brüssel – mit einem gemeinsamen Brief an alle EU-Mitgliedstaaten. 9 In diesem versuchten sie zu verdeutlichen , dass mit der stärkeren militärischen Integration Europas keine Duplizierung von NATO-Strukturen und auch keine europäische Armee beabsichtigt sei, sondern dass es ihnen – insbesondere nach dem Ausgang der Präsidentenwahl in den USA – tatsächlich um die Schaffung einer militärisch eigenständigen und handlungsfähigen EU gehe, die mit ihren Fähigkeiten und Strukturen zur Entlastung der NATO beitragen und damit gleichzeitig auch deren Flexibilität erhöhen könne. Bei der Tagung des Rats für Auswärtige Angelegenheiten haben dann am 14. November 2016 die Außen- und Verteidigungsminister die deutsch-französische Verteidigungsinitiative zwar nicht konkret aufgegriffen, aber gemeinsam – ohne britisches Veto – einen Umsetzungsplan 10 der neuen Globalen Strategie der EU „Gemeinsame Vision, gemeinsames Handeln: Ein stärkeres Europa“ erörtert, der in dieselbe Richtung wie die deutsch-französische Initiative weist. Dieser Umsetzungsplan legt das weitere Vorgehen in Bezug auf die künftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU fest. Insbesondere folgende (seiner insgesamt dreizehn) Maßnahmen könnten dabei zu einer stärkeren europäischen Integration im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik beitragen: „Action 9: Member States to consider relevant multinational structures or initiatives in the area of security and defence in view of reinforcing cooperation with the EU or deepening existing frameworks of cooperation. In particular, to consider developing a concept to make better use of existing national or multinational deployable headquarters made available to the EU, on a rotational basis, with a focus on training, mentoring and advising. […] 11 7 EU Defense – EU seeks to improve defense without creating a collective army. EFE vom 27. September 2016. Abrufbar unter: http://www.efe.com/efe/english/world/eu-seeks-to-improve-defense-without-creating-a-collectivearmy /50000262-3051763 (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 8 Vgl. u.a.: Die Vision der Visegrad-Staaten für die EU. Tiroler Tageszeitung Online vom 16. September 2016. Abrufbar unter: http://www.tt.com/home/12023813-91/die-vision-der-visegrad-staaten-f%C3%BCr-die-eu.csp (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 9 Große EU-Staaten wollen Kräfte in Verteidigung bündeln. Reuters vom 12. Oktober 2016. Abrufbar unter: http://de.reuters.com/article/europa-verteidigung-brief-idDEKCN12C1T3 (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 10 Implementation Plan on Security and Defence. Hrsg.: High Representative of the European Union for Foreign Affairs and Security Policy, Vice-President of the European Commission, and Head of the European Defence Agency. Ratsdokument Nr. 14392/16 vom 14. November 2016. Abrufbar unter: https://eeas.europa.eu/sites/eeas/ files/eugs_implementation_plan_st14392.en16_0.pdf (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 11 Ebd., S. 27. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 8 Action 12: Member States to agree to explore the potential of a single and inclusive PESCO 12 based on the willingness of Member States to strengthen CSDP by undertaking concrete commitments . If so requested, the HRVP can provide elements and options for reflection.“ 13 Mit den Beschlüssen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten hätten sich alle 28 Mitgliedstaaten , so die Bundesverteidigungsministerin, „hinter einem gemeinsamen Plan versammelt“ 14 und den politischen Willen gezeigt, in der Sicherheitspolitik voranzuschreiten und mehr Verantwortung zu übernehmen. Ob dieser Wille zu stärkerer Verantwortungsübernahme allerdings ein energischeres sicherheitspolitisches und militärisches Engagement der EU bei der Lösung von Konflikten – bspw. im Nahen Osten, in dem bisher Großbritannien einen starken Einfluss hatte 15 – nach sich ziehen wird, muss die Zukunft zeigen. Den günstigen Augenblick am Ende des Jahres 2016, der GSVP ein neues Momentum zu verleihen , wollte auch die Europäische Kommission nutzen und verabschiedete am 30. November 2016 den Europäischen Aktionsplan Verteidigung. 16 Dieser soll die Grundlagen dafür legen, dass künftig „mit den Verteidigungsausgaben möglichst viel möglichst effizient“ 17 erreicht werden kann. Er enthält Empfehlungen zum Aufbau einer starken, wettbewerbsfähigen und innovativen rüstungsindustriellen Basis sowie zur Neuausrichtung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit . Die EU-Mitgliedstaaten sollen dabei jedoch weiterhin selbst bestimmen können, in welche Technologien und Anlagen sie investieren, und sie sollen ebenso die Verfügungsgewalt über die Verteidigungsfähigkeiten behalten. Im Rahmen dieses Aktionsplans schlug die Kommission einen europäischen Verteidigungsfonds zur Finanzierung gemeinsamer Verteidigungsforschung (insgesamt 90 Mio. EUR bis zum Jahr 2020, für den mehrjährigen Finanzrahmen der EU nach 2020 etwa 500 Mio. EUR pro Jahr) und gemeinsamer Beschaffungen (jährliche Mittel in Höhe von etwa 5 Mrd. EUR) vor. 12 PESCO: Permanent Structured Cooperation (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit,SSZ). Vgl. Vertrag über die Europäische Union (EU-Vertrag, EUV), a.a.O., Artikel 42. 13 Implementation Plan on Security and Defence, a.a.O., S. 30 f. 14 EU-Verteidigung: Von der Leyen sieht „wesentlichen Schritt“. Die Presse vom 15. November 2016. Abrufbar unter: http://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5118377/EUVerteidigung_Von-der-Leyen-sieht-wesentlichen- Schritt (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 15 „Leaving the EU will isolate Britain internationally and squander its historic influence – just when this region [MENA] in conflict needs it most.“ Vgl. Alaadin, Ranj (2016): Why Brexit will hurt the prospects for peace in the Middle East. the guardian vom 13. Oktober 2016. Abrufbar unter: https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/oct/13/brexit-britain-middleeast -leave-eu-conflict (letzter Zugriff: 28. Februar 2017). 16 European Defence Action Plan – Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions. Hrsg.: Europäische Kommission. Kommisions-Dokument Nr. COM(2016) 950 vom 30. November 2016. Abrufbar unter: https://eeas.europa .eu/sites/eeas/files/com_2016_950_f1_communication_from_commission_to_inst_en_v5_p1_869631.pdf (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 17 Ebd., Ziff. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 9 Der Europäische Rat unterstrich auf seiner Tagung am 15. Dezember 2016 sein Engagement für eine Verstärkung der Zusammenarbeit der EU auf dem Gebiet von Sicherheit und Verteidigung. Er billigte die Schlussfolgerungen des Rates für Auswärtige Angelegenheiten zur Umsetzung der Globalen Strategie der EU im Bereich der Sicherheit und begrüßte die Vorschläge der Kommission zum Europäischen Aktionsplan im Verteidigungsbereich als wichtigen Beitrag zur Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Durch seine Zustimmung verschaffte der Europäische Rat den Planungen der EU-Mitgliedstaaten und den Empfehlungen der Kommission politische Legitimität. 18 3.2. Brexit als mögliche Bremse der der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsintegration und der deutsch-französischen Sicherheits- und Verteidigungszusammenarbeit Mit dem Austritt Großbritanniens dürfte den verbleibenden Mitgliedstaaten der Europäischen Union – trotz britischer Bekundungen, dass „[British] security is fundamentally tied to the continent “ (Verteidigungsminister Michael Fallon am 5. September 2016 in Paris) 19 – künftig nicht nur ein wichtiger militärischer Verbündeter, sondern auch ein Partner mit erheblicher Finanzkraft fehlen. Zum einen zählt das Vereinigte Königreich mit seinem Beitrag von aktuell 7 Mrd. Euro bis heute zu einem der größten Einzahler in das Budget der EU, 20 aus dem diese u.a. Entwicklungshilfe -, friedensunterstützende, humanitäre Hilfs- oder Maßnahmen zur Eindämmung von Migration finanziert – u.a. auch für Projekte im Nahen Osten. Zum anderen hat Großbritannien in der Vergangenheit mit der Bereitstellung militärischer Fähigkeiten sowie durch seine militärischen Beiträge zu zahlreichen EU-Operationen und -Missionen und zu den EU- Battlegroups gezeigt, dass es bereit gewesen ist, die GSVP – wenn auch nicht politisch mit vollem Nachdruck, so doch zumindest militärisch – zu unterstützen. 21 Will die GSVP auch ohne Großbritannien künftig in demselben Maße wie in der Vergangenheit Frieden und Sicherheit in der Welt fördern und gleichzeitig – auf Basis eines höheren Grades militärischer Integration – zu einem verteidigungsfähigen Europa beitragen können, müssten die 18 Tagung des Europäischen Rates – Schlussfolgerungen. Hrsg.: Generalsekretariat des Rates. Rats-Dokument Nr. EUCO 34/16, S. 3 ff. Abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/de/meetings/european-council/2016/12/ 20161215-euco-conclusions-final_pdf/ (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 19 Defence Secretary Michael Fallon today delivered a speech at Université d’été, Paris, confirming the UK's commitment to European Security. Abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/speeches/defence-secretary-speaks-atuniversite -dete-paris (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 20 Der Brexit und das EU-Machtgefüge – Wie wirkt sich das britische Votum auf die EU und ihr Gewicht in der Welt aus? Hrsg.: Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. Abrufbar unter: https://dgap.org/de/thinktank/publikationen /fuenffragen/derbrexitunddaseumachtgefuege (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 21 „The surprise June 2016 referendum vote in favour of leaving the European Union („Brexit“) has significant implications for the EU’s security and defence policy and its military operations. Overall, the United Kingdom’s withdrawal will weaken the EU’s military capability. It will leave France as the only large EU country with fullspectrum war-fighting forces deployable at range, as well as the political and military culture to both engage in combat and lead demanding expeditionary operations.“ Vgl. The Military Balance – The Annual Assessment of Global Military Capabilities and Defence Economics. Hrsg.: The International Institute for Strategic Studies (IISS), Februar 2017, ISBN 978-1-85743-900-7, S. 87. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 10 übrigen EU-Mitgliedstaaten bereit sein, die durch den Brexit eventuell entstehenden Lücken in den Bereichen Finanzen, Personal, technologisches Know-how und militärische Fähigkeiten zu schließen. Gleichzeitig müssten sie auch dazu beitragen, den durch den Brexit möglicherweise sinkenden stabilisierenden Einfluss des Vereinigten Königreiches auf sicherheitspolitisch relevante Entwicklungen in der MENA 22-Region 23 zu kompensieren. Ob die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten wirklich willens sind, die hierzu erforderlichen Ressourcen aufzubringen, die damit verbundenen Lasten fair, d.h. sich an der jeweiligen Wirtschaftsleistung orientierend, zu teilen sowie die mit einem solchen Engagement verbundenen politischen und militärischen Risiken gemeinsam zu tragen, wird von vielen Politikwissenschaftlern bezweifelt. Nach ihrer Auffassung dürften vielmehr für den Fall, dass Großbritannien europäische Sicherheitsstrukturen tatsächlich nicht mehr fiskalisch und personell unterstützen sollte, Forderungen – insbesondere auch aus Frankreich (angesichts der personellen Belastung und des Materialzustands seiner Streitkräfte) – an Deutschland laut werden, seinen Ankündigungen zur Übernahme von mehr sicherheitspolitischer Verantwortung auch Taten folgen zu lassen 24 und für Großbritannien „in die Bresche zu springen“. Sollte Deutschland solchen Forderungen nicht nachkommen , könnte dies a) die deutsch-französische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik belasten, b) die gerade mit der gemeinsamen Initiative zur „Erneuerung der GSVP hin zu einer umfassenden , realistischen und glaubwürdigen Verteidigung in der EU“ unter Beweis gestellte Harmonie zwischen beiden Ländern gefährden und damit c) Fortschritte bei der militärischen Integration Europas infrage stellen sowie d die Lösung von Konflikten, u.a. im Nahen Osten, erschweren, da Großbritannien sich kurzbis mittelfristig voraussichtlich stärker auf sich selbst fokussieren 25 und die EU weiterhin sicherheitspolitisch kaum handlungsfähig sein dürfte. 22 MENA: Middle East and North Africa (Naher Osten und Nordafrika). 23 Alaadin (2016), a.a.O. 24 Vgl. Der Brexit und das EU-Machtgefüge – Wie wirkt sich das britische Votum auf die EU und ihr Gewicht in der Welt aus?, a.a.O. 25 „Britain’s interests in fighting terrorism and promoting UK business will be dealt with before finding solutions for the peace process, the Syrian crisis and other regional conflicts.“ Vgl. MacGillivray, Iain (2016): Four effects of Brexit on the Middle East. Global Risk Insights vom 14. Juli 2016. Abrufbar unter: http://globalriskinsights.com/2016/07/four-effects-brexit-middle-east/ (letzter Zugriff: 28. Februar 2017). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 11 Dies würde die Auffassung derjenigen Politikwissenschaftler bestätigen, die bereits in der Vergangenheit argumentiert haben, dass gerade Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU und seine dabei zahlreich beschrittenen europapolitischen Sonderwege eine zentrale Voraussetzung für eine enge europäische Kooperation und eine nach Außen zumindest beschränkt handlungsfähige EU gewesen seien und den europäischen Integrationsprozess eher gefördert als behindert haben. 4. Fazit Großbritanniens Ausscheiden aus der Europäischen Union dürfte sich sowohl auf die politischen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung der GSVP selbst als auch auf die künftige sicherheits- und verteidigungspolitische Rolle der EU-Mitgliedstaaten und ihre Zusammenarbeit auswirken. Unter der Voraussetzung, dass das Vereinigte Königreich nach seinem EU-Austritt sein Mitspracherecht bei der GSVP verliert, weil bspw. hierzu ein etwaiges Assoziationsabkommen keine Regelungen trifft („harter Brexit“), würde künftig ein Hemmschuh für die weitere Verteidigungsintegration wegfallen. Denn bis heute hat das EU-Mitglied Großbritannien stets „made a point of limiting as much as possible the development of a European defense identity.“ 26 Ob allerdings ohne Großbritannien eine verstärkte Verteidigungsintegration letztendlich gelingen und die EU diese dann auch dazu nutzen wird, kraftvoller die sicherheitspolitischen Herausforderungen bspw. im Nahen Osten anzugehen, lässt sich heute noch nicht beantworten. Dies dürfte u.a. stark davon abhängen, ob die EU-Mitgliedstaaten einerseits bereit sind, nationale Interessen einer stärkeren Integration unterzuordnen, sowie andererseits innerhalb der EU Einigkeit darüber besteht, dass die Stabilisierung der Konfliktregion „Naher Osten“ höchste Priorität genießen sollte. Ohne eine Mitwirkungsmöglichkeit des Vereinigten Königreichs bei der GSVP dürften Frankreich und Deutschland aufgrund ihrer Geschichte, politischen Bedeutung, militärischen Stärke und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit künftig eine entscheidende Rolle „in shaping the strategic posture of the EU“ 27 spielen. „But for any Franco-German initiative to succeed, France has to become more German, and Germany has to become more French.“ 28 Ob diese Bereitschaft zur beidseitigen Annäherung durch den britischen EU-Austritt eher beflügelt oder gebremst wird, wird in der Politikwissenschaft kontrovers diskutiert. Sollte sie tatsächlich einen Schub erfahren, dürfte sich eine dauerhaft harmonische Sicherheitsund Verteidigungspolitik beider Länder allerdings nur unter der Voraussetzung entwickeln, dass eine Anpassung des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses und der nationalen Interessen erfolgt. Bislang hat der fehlende Wille hierzu einer erfolgreichen sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit Frankreichs und Deutschlands und ihrem abgestimmten Vorgehen bei der Weiterentwicklung der GSVP häufig entgegengestanden. 26 Guéhenno, Jean-Marie (2016): German Caution, French Decisiveness – How Brexit Affects EU Defense Policy. Spiegel Online vom 1. September 2016. Abrufbar unter: http://www.spiegel.de/international/europe/jean-marieguehenno -on-european-defense-after-brexit-a-1110352.html (letzter Zugriff: 27. Februar 2017). 27 Vgl. ebd. 28 Vgl. ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 020/17 Seite 12 Frankreich müsste hierbei nach Auffassung der Politikwissenschaft akzeptieren, dass die GSVP nicht nur Mittel zum Zweck sein kann, unabhängig von den USA internationale Politik mitbestimmen zu können. Und Deutschland sollte Frankreich und den anderen EU-Mitgliedstaaten noch stärker als bisher seine Bereitschaft demonstrieren, u.a. durch die Bereitstellung entsprechender finanzieller, entwicklungspolitischer und militärischer Ressourcen, in Europa und global sicherheits- und verteidigungspolitische Verantwortung zu übernehmen, ohne dabei den Eindruck zu erwecken, in der EU und ihrer GSVP eine politische Dominanz anzustreben. ***