© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 019/20 Wasser als Faktor für Migration und demografische Entwicklung Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 019/20 Seite 2 Wasser als Faktor für Migration und demografische Entwicklung Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 019/20 Abschluss der Arbeit: 18. März 2020 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 019/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Wasser und Migration 4 3. Wasser und demografische Entwicklung 6 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 019/20 Seite 4 1. Einleitung Diese kommentierte Dokumentation liefert Quellen, die einen Überblick über die Themenkomplexe Wasser und Migration sowie Wasser und demografische Entwicklung verschaffen. 2. Wasser und Migration Es liegt auf der Hand, dass sowohl ein Zuviel als auch ein Mangel an Wasser Anlass für Migration sein kann. Überschwemmungen und vor allem dauerhafter Landverlust, insbesondere in Folge des klimawandelbedingt ansteigenden Meeresspiegels, lassen Menschen keine andere Wahl, als ihre Heimat zu verlassen. Ebenso wird eine lang anhaltende Dürre Migration auslösen, wenn sie die Lebensgrundlage von Menschen – vor allem die Landwirtschaft – zerstört. Wassermangel und -überfluss gehören zu den wichtigsten Faktoren sogenannter umweltbedingter Migration (environmental migration). Im Folgenden eine Auswahl von öffentlichen Materialien. Eine wichtige Ressource für Informationen zu umweltbedingter Migration ist das Environmental Migration Portal der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen (IOM).1 Das Portal bietet eine große Fülle an originalen Forschungsergebnissen (unter dem Reiter „Research “) und Informationen für die Politik („Policy“). Unter dem letztgenannten Punkt findet sich auch eine eigene Webseite mit Informationen zum Konnex Migration und Wasser („Migration and water“).2 Hier befinden sich verschiedene Analysen und Informationsmaterialien zum Themenkomplex Trink- bzw. Brauchwasser und Migration. Die entsprechenden Materialien zum Konnex Migration und das Meer befinden sich auf einer eigenen Webseite.3 Die Lektüre der einzelnen Dokumente offenbart die große Komplexität des Themas und zeigt z.B., dass Überschwemmungen nicht nur von Land zu Land und Kultur zu Kultur unterschiedliche Reaktionen auslösen, sondern diese auch innerhalb eines Landes von verschiedenen Faktoren abhängen und unterschiedlich ausfallen können. Beispielsweise erläutert Jane M. Chun im Policy Brief „Livelihoods Under Stress: Critical Assets and Mobility Outcomes in the Mekong Delta, Viet Nam“, dass die Bereitschaft, aus zunehmend überschwemmungsgefährdeten Gebieten wegzuziehen , bei Haus- und Grundstücksbesitzern weniger deutlich ausgeprägt ist als bei Landlosen. Zumindest für das Mekongdelta gilt also, dass tendenziell reichere Menschen weniger migrieren, während ärmere Menschen aufgrund von Überschwemmungen eher dazu tendieren, in die Großstädte abseits des Deltas zu ziehen. Allerdings gibt es auch im Mekongdelta Strategien, sich an zunehmende Überschwemmungen anzupassen, ohne die Region ganz zu verlassen, wie Han Entzinger und Peter Scholten in „Relocation as an adaptation strategy to environmental stress - Lessons from the Mekong River Delta in Viet Nam“ darlegen. Entscheidend ist also nicht allein die 1 IOM, Environmental Migration Portal, 2020, https://environmentalmigration.iom.int/#home (zuletzt abgerufen am 10. März 2020). 2 IOM, Migration and Water, 2020, https://environmentalmigration.iom.int/migration-and-water (zuletzt abgerufen am 10. März 2020). 3 IOM, Migration and Oceans, 2020, https://environmentalmigration.iom.int/migration-and-oceans (zuletzt abgerufen am 10. März 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 019/20 Seite 5 Zunahme und Intensität von Überschwemmungen (bzw. andernorts Dürren), sondern die Anpassung daran. Dass die Anpassung (adaptation) auch Grenzen hat, liegt auf der Hand: wenn Land vollständig verschwindet, wie es im Falle zahlreicher flacher Inseln im Pazifik und Indischen Ozean allen Prognosen nach geschehen wird, ist (ggf. internationale) Migration die einzige Möglichkeit . Auch der Anpassung an trockeneres Klima und Dürren sind selbstverständlich gewisse Grenzen gesetzt. Grundsätzlich ist sie jedoch innerhalb dieser Grenzen – die wiederum von Region zu Region und Naturraum zu Naturraum unterschiedlich eng gefasst sind – möglich. Beispielsweise erfolgte in den letzten Jahren ein gewisser Umschwung in der Landwirtschaft in Nordostindien. Statt Reis, der sehr große Mengen Wasser verbraucht, pflanzen Bauern als Konsequenz der seit einigen Jahren schwächeren Monsunregenfälle vermehrt die trockenheitsresistentere Hirse an, wie Anne Pinto-Rodrigues‘ Artikel „Against the grain: why millet is making a comeback in rural India“ im Guardian darlegt. Dass insbesondere die Auswirkungen auf die Landwirtschaft, d.h. die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln , zu den wichtigsten Faktoren zählen, die Wasser und Migration verbinden, zeigt die Meta-Studie „Water stress and human migration: a global, georeferenced review of empirical research“, erstellt von Wissenschaftlern der Universität von Oregon für die Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO).4 Die Autoren analysieren die Ergebnisse von 184 empirischen Studien. Ihre Schlussfolgerungen sind vor allem: - Es gibt starke Evidenzen für einen Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen in trockeneren Gebieten, Ernteausfällen und Abwanderung der lokalen Bevölkerung. - Höhere Temperaturen sind ein signifikanterer Voranzeiger (predictor) für Migration als Wasserstress allein. - Die Institutionen und die Politik eines Staates haben erheblichen Einfluss auf Migration aufgrund von Wasserstress. Zügige und effektive Maßnahmen im Falle von Dürre oder Überflutungen reduzieren Abwanderung aus betroffenen Gebieten sehr signifikant. - Migration als Anpassungsstrategie an Klimaveränderungen ist ein normales menschliches Verhalten. Sie dient oft der Diversifizierung des Familieneinkommens und der Streuung des Verdienstausfallrisikos. In der großen Mehrheit aller Fälle hat „Klimamigration “ die Form von Landflucht innerhalb eines Staates. - Abwanderung aufgrund von Flutkatastrophen und Dürren existiert auch in Industrieländern (als Beispiel werden die Folgen des Hurrikans Katrina in den USA sowie Dürren in Kanada genannt). - Dabei existiert jedoch ein erheblicher Mangel an Studien über Europa, Zentralasien und Südamerika, während andere Regionen (Nordamerika, Subsahara-Afrika und Südasien) 4 David J. Wrathall, Jamon Van Den Hoek, Alex Walters und Alan Devenish, Water stress and human migration: a global, georeferenced review of empirical research, FAO, 2018, http://www.fao.org/3/i8867en/I8867EN.pdf (zuletzt abgerufen am 16. März 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 019/20 Seite 6 besser untersucht sind. Dies sei laut den Autoren besonders relevant, da sich die Temperaturen allen Prognosen nach gerade in Osteuropa, Zentralasien und im Mittleren Osten besonders stark erhöhen werden. In alle Überlegungen über die Konsequenzen von Überschwemmungen und Dürren sollten immer die Anpassungsmöglichkeiten und die Widerstandsfähigkeit der Betroffenen einbezogen werden. Diese sind jedoch von Lokalität zu Lokalität sehr unterschiedlich und auch innerhalb derselben Region von unterschiedlichen Faktoren abhängig – z.B. wirtschaftlichen und sozialen, wie das Beispiel aus dem Mekongdelta zeigt. Es ist daher nicht statthaft, generalisierende Aussagen über den Konnex Wasser und Migration zu treffen, die über das Offensichtliche hinausgehen (z.B. wäre eine allgemeine Formel „Wenn die verfügbare Trinkwassermenge um Menge x sinkt, steigt die Migration um Faktor y“ nach allen verfügbaren Erkenntnissen wissenschaftlich nicht haltbar). Dass nationale und internationale Institutionen sich der Anpassung an Wasserkatastrophen und Wasserstress mit zunehmender Dringlichkeit werden widmen müssen, zeigt die Studie „Global Trends in Water-Related Disasters: an insight for policymakers“, die im Jahre 2009 vom Internationalen Zentrum für Wassergefahren- und Risikomanagement (ICHARM) der UNESCO veröffentlicht wurde.5 Die Autoren legen dar, wie solche Katastrophen sich in Zahl, Stärke, angerichtetem Schaden und Zahl der Betroffenen in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht haben. 3. Wasser und demografische Entwicklung Ähnlich wie im Fall der Migration liegen die unmittelbaren Auswirkungen von Wasserstress auf die demografische Entwicklung auf der Hand: wo wenig Wasser vorhanden ist, kann ohne Zufuhr von außen, etwa durch Aquädukte, nur begrenzt Landwirtschaft betrieben werden, was die lokale menschliche Population natürlicherweise begrenzt. Eine solche Konstellation – eine von der Außenwelt abgeschnittene Population ohne Zugang zu Wasser von andernorts – existiert in der modernen Welt jedoch nicht. Vielmehr können auch dort Großstädte existieren, wo dies ohne deutliche Eingriffe in den natürlichen Wasserhaushalt bzw. Wasserzufuhr über große Distanzen nicht möglich wäre, z.B. im wüstenhaften Südwesten der USA. Dementsprechend ist die Frage, in wieweit die lokalen Wasservorkommen bzw. lokaler Wasserstress die lokale Demografie beeinflussen , nur gering erforscht. Der umgekehrte Fall – die Auswirkungen von Demografie auf Wasservorkommen und Wasserstress – ist deutlich besser erforscht. Auch hier existieren Zusammenhänge, die sich von selbst erklären: - Eine steigende Bevölkerungszahl erhöht Wasserstress, wobei dieser Zusammenhang im Falle von Wassermangel noch klarer ist als im Falle von Überschwemmungen, bei denen eher die Bevölkerungsdichte vor Ort entscheidend ist. - Ebenso klar ist auch, dass die wirtschaftliche und politische Stärke eines Landes letzten Endes der entscheidende Faktor sein muss: so haben einerseits einige der am dichtesten 5 Yoganath Adikari und Junichi Yoshitani, Global Trends in Water-Related Disasters: an insight for policymakers, ICHARM, 2009, https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000181793 (zuletzt abgerufen am 16. März 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 019/20 Seite 7 besiedelten Gebiete der Welt in Entwicklungsländern oft eine sehr schlechte Trinkwasserund Sanitärversorgung, andererseits aber andere, ebenfalls sehr dicht besiedelte Gebiete in Industrieländern oft eine hervorragende Trinkwasserqualität und -versorgung, eingeschlossen solche in sehr ariden Gebieten (z.B. die Vereinigten Arabischen Emirate). Darüber hinaus haben Industrieländer (bei sehr viel geringerem Wasserstress) einen sehr viel höheren Wasserverbrauch als Entwicklungsländer.6 Mit steigenden Einkommen steigt auch der Wasserverbrauch. Die UNESCO geht davon aus, dass im Jahre 2030 etwa 47 Prozent der Weltbevölkerung in Gebieten mit Wasserstress leben wird.7 Dies gilt auch für Europa, wo insbesondere der Mittelmeerraum und Zentral-Osteuropa unter erheblichem natürlichem Wassermangel leiden werden.8 Einen breiten und dabei auch relativ detaillierten Überblick über die Auswirkungen demografischer Entwicklungen auf den Verbrauch und die Verfügbarkeit von Wasser sowie die ökologischen und ökonomischen Konsequenzen biete die Monographie „Liquid Assets: How Demographic Changes and Water Management Policies Affect Freshwater Resources.“9 Die Autorin listet in gut lesbarer Weise die Ergebnisse zahlreicher Studien zu den unterschiedlichsten Faktoren auf, z.B. Urbanisierung, Migration, Bevölkerungsdichte, Wirtschaftswachstum etc. Auf die Wiedergabe ihrer Schlussfolgerungen wird hier verzichtet, da die Quelle bereits konzis genug ist. Abgesehen von den genannten Ergebnissen, die im mittleren Teil der Monographie dargelegt werden , bietet die Autorin auch einen Überblick über die Möglichkeiten nachhaltigen Wassermanagements , was wieder zu der im Abschnitt 2 gemachten Aussage führt: die Auswirkungen von Wasserstress hängen entscheidend von den institutionellen, wirtschaftlichen und soziopolitischen Gegebenheiten vor Ort ab, sowohl im Hinblick auf die Migration als auch auf die demografische Entwicklung. *** 6 UNESCO, Demographics and consumption are the main pressure on water, World Water Assessment Programme (UNESCO WWAP), 2017, http://www.unesco.org/new/en/natural-sciences/environment/water /wwap/facts-and-figures/all-facts-wwdr3/fact1-demographics-consumption/ (zuletzt abgerufen am 16. März 2020). 7 Ebd. 8 Siehe Andrew Farmer, Samuela Bassi und Malcolm Fergusson, Water Scarcity and Droughts, S.10-12, Studie im Auftrag des Europäischen Parlamentes, Februar 2008, https://www.ecologic.eu/sites/files/download/projekte /800-849/849/FC_3/SC_13_Study_Water_Scarcity_and_Droughts_Feb_2008.pdf (zuletzt abgerufen am 18. März 2020). 9 Jill Boberg, Liquid Assets: How Demographic Changes and Water Management Policies Affect Freshwater Resources , RAND Foundation, 2005, https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/monographs /2005/RAND_MG358.pdf (zuletzt abgerufen am 17.März 2020).