© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 018/20 Bürgerkrieg im Jemen: Verlauf, humanitäre Lage, Akteure Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 018/20 Seite 2 Bürgerkrieg im Jemen: Verlauf, humanitäre Lage, Akteure Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 018/20 Abschluss der Arbeit: 2. März 2020 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 018/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Geschichte und Verlauf des Bürgerkrieges im Jemen 4 3. Konfliktparteien 4 4. Menschenrechtssituation 5 5. Weiterführende Quellen zur Vertiefung 6 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 018/20 Seite 4 1. Einleitung Diese kommentierte Dokumentation liefert Quellen, die einen Überblick über den Bürgerkrieg im Jemen verschaffen. Konkret geht es um drei Aspekte des Konfliktes: seine Geschichte, die an ihm beteiligten Parteien, sowie die Menschenrechtssituation im Jemen. In einem vierten Abschnitt werden Quellen vorgestellt, die vertiefte Einblicke in die komplexe politische Situation im Jemen sowie den Bürgerkrieg verschaffen. 2. Geschichte und Verlauf des Bürgerkrieges im Jemen Einen knappen Überblick über die Auslöser, den Verlauf, die humanitären Konsequenzen und die Konfliktparteien des Bürgerkrieges im Jemen liefert der Council on Foreign Relations (CFR) auf seiner stets aktualisierten Webseite „Yemen in Crisis.“1 Einen knappen, aber informationsdichten Überblick über die historischen Hintergründe des Bürgerkrieges , seine Entwicklung von 2014 bis Anfang 2019 sowie die ihn am Leben erhaltenden politischen und wirtschaftlichen Interessen bietet Gerald Feierstein in seinem für das amerikanische Middle East Institute verfassten Artikel „Yemen: the 60-year war“ vom Februar 2019.2 Feierstein verzichtet auf detaillierte Darlegungen der aktuellen Ereignisse, geht dafür aber auf die historisch weit zurückreichenden Wurzeln des Konfliktes ein. Damit vermeidet er die in den Medien und in der öffentlichen Debatte oft zu findende Verkürzung des Bürgerkrieges auf einen rein konfessionellen oder politischen Konflikt (Sunniten gegen Schiiten, Regierung gegen Houthi-Rebellen , die von Saudi-Arabien unterstützte Regierung gegen vom Iran unterstützte Rebellen: solche und ähnliche Formulierungen werden der Komplexität des Bürgerkrieges nicht gerecht). Am Ende des Artikels listet Feierstein eine Reihe von Empfehlungen an den Jemen sowie die internationale Gemeinschaft auf, die seiner Ansicht nach den Konflikt befrieden könnten. 3. Konfliktparteien Zahlreiche akademische Publikationen zum Bürgerkrieg im Jemen weisen wiederholt darauf hin, dass die Informationen zu vielen Konfliktparteien sowie ihren Interessen und Allianzen spärlich, schwer zu verifizieren oder schnellen Veränderungen unterworfen seien. Nicht zuletzt dies trägt sicher zu der in der öffentlichen Debatte und in den Medien oft verkürzten Darstellung des Konfliktes bei. Die am Bürgerkrieg aktiv beteiligten Gruppen lassen sich grob in drei bzw. vier Parteien einteilen . Zum einen die Regierung unter Präsident Hadi, die sie unterstützenden bewaffneten Milizen sowie die von Saudi-Arabien angeführte internationale Koalition. Zum zweiten der Oberste Politische Rat, dem unter anderem die Rebellen vom Stamm der Houthi angehören und der mutmaßlich militärisch vom Iran sowie eventuell von Russland und Syrien unterstützt wird. Zum dritten der Südliche Übergangsrat, in dem eine Reihe lokaler Milizen aus dem südlichen Jemen angehören (der jedoch nicht für alle gleichermaßen spricht, s.u. Abschnitt 4) und der von den 1 Zachary Laub und Kali Robinson, Yemen in Crisis, Council on Foreign Relations, Februar 2020, https://www.cfr.org/backgrounder/yemen-crisis (zuletzt abgerufen am 2. März 2020). 2 Gerald Feierstein, Yemen: the 60-year war, Middle East Institute, Februar 2019, https://www.mei.edu/sites /default/files/2019-02/Yemen%20The%2060%20Year%20War.pdf (zuletzt abgerufen am 2. März 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 018/20 Seite 5 Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird. Darüber hinaus existieren eine Reihe von radikal -islamistischen Gruppen wie Al Qaeda auf der Arabischen Halbinsel (Al Qaeda on the Arabian Peninsula, AQAP), die aber nicht zwingend Konfliktpartei im eigentlichen Bürgerkrieg sind und die vor allen von den USA mittels Drohnenangriffen bekämpft werden. Der Kampf der USA gegen AQAP muss als vom Bürgerkrieg getrennt betrachtet werden. Einen Überblick über die drei bzw. (bei Einbeziehung der AQAP) vier „übergeordneten“ Konfliktparteien , hinter der zahlreiche andere, kleinere Milizen und Organisationen stehen, bietet das Projekt Rule of Law in Armed Conflicts (RULAC) der Geneva Academy of International Humanitarian Law and Human Rights und der University of Essex auf der Webseite „Non-international armed conflicts in Yemen“ (Januar 2020).3 Hinter diesen drei bzw. vier Parteien stehen wiederum zahlreiche bewaffnete Gruppen, die in den meisten, auch akademischen, Publikationen oft nur als „zahlreiche Milizen“ oder „Myriaden von Organisationen“ zusammengefasst werden. Im Rahmen der Recherche für diese Dokumentation ließ sich nur eine öffentlich zugängliche Quelle ermitteln, die sämtliche bekannten bewaffneten Gruppen im Jemen auflistet, und zwar die englischsprachige Wikipedia unter dem Eintrag List of armed groups in the Yemeni Civil War.4 Eine weitere Liste, die sich jedoch auf einflussreiche Personen, d.h. offizielle und inoffizielle Autoritäten im Konflikt konzentriert, findet sich als Anhang des Berichtes des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte vom 17. August 2018 mit dem Titel „Situation of human rights in Yemen, including violations and abuses since September 2014.“5 Der Bericht steht als Word-Dokument zum Download auf der Webseite des OCHR bereit. Im Rahmen der Recherche ließ sich nicht ermitteln, welche Änderungen es seither gegeben hat. 4. Menschenrechtssituation Die humanitären Auswirkungen des Bürgerkrieges werden von mehreren Quellen als die schlimmste humanitäre Krise der Welt beschrieben. Neben Kriegsverbrechen wie der Bombardie- 3 RULAC, Non-international armed conflicts in Yemen, Januar 2020, http://www.rulac.org/browse/conflicts/noninternational -armed-conflicts-in-yemen#collapse2accord (zuletzt abgerufen am 2. März 2020). 4 Wikipedia, List of armed groups in the Yemeni Civil War, März 2020, https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_armed _groups_in_the_Yemeni_Civil_War (zuletzt abgerufen am 2. März 2020). 5 United Nations Human Rights – Office of the High Commissioner, Situation of human rights in Yemen, including violations and abuses since September 2014 - Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights containing the findings of the Group of Independent Eminent International and Regional Experts and a summary of technical assistance provided by the Office of the High Commissioner to the National Commission of Inquiry, A/HRC/39/43, 17. August 2018, Download unter: https://www.ohchr.org/EN/Countries/ME- NARegion/Pages/YEIndex.aspx (unter dem Reiter Yemen and UN Charter-based Bodies Most recent reports by the UN Secretary-General, the UN High Commissioner for Human Rights and Secretariat Report of the United Nations High Commissioner for Human Rights containing the findings of the Group of Independent Eminent International and Regional Experts and a summary of technical assistance provided by the Office of the High Commissioner to the National Commission of Inquiry (A/HRC/39/43) English (Advance Edited Version)) (zuletzt heruntergeladen am 2. März 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 018/20 Seite 6 rung ziviler Einrichtungen, Krankenhäusern usw., sowie direkten Verletzungen der Menschenrechte durch den Einsatz geächteter Waffen, sexueller Gewalt und Rekrutierung Minderjähriger hat der Bürgerkrieg die Versorgung mit Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Medizin in vielen Konfliktregionen zum Zusammenbruch gebracht und so weitere Verletzungen von Recht und Würde der dort lebenden Menschen verursacht. Einen relativ aktuellen knappen Überblick über die drängendsten humanitären Probleme gibt Human Rights Watch auf der Webseite „Yemen - Events of 2019“, die zum World Report 2020 gehört.6 Speziell auf die Situation der Kinder im Jemen geht der Bericht des VN-Generalsekretärs an den VN-Sicherheitsrat „Children and armed conflict in Yemen“ vom 3. Juni 2019 ein.7 Allein im Berichtszeitraum verzeichneten die VN laut Bericht mindestens 11.779 gravierende Menschenrechtsverletzungen bzw. Verbrechen gegen Kinder, wovon die Tötung oder Verstümmelung durch Bombardierungen und Landminen das häufigste Verbrechen gegen Kinder im Jemen ist. Einen weiteren Einblick verschafft der im vorigen Abschnitt erwähnte Bericht des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte. 5. Weiterführende Quellen zur Vertiefung Eine tiefere Befassung mit den historischen Ursprüngen der soziopolitisch-religiösen Unterschieden innerhalb des Jemen und des daraus entstandenen Konfliktes liefert Asher Orkaby in seinem Aufsatz „Yemen: A Civil War Centuries in the Making“ für die Zeitschrift Origins, publiziert von den Fakultäten für Geschichtswissenschaft der Universitäten von Ohio und von Miami.8 Orkaby argumentiert, dass die Wurzeln des Bürgerkrieges weiter zurückreichen als 2014 oder den Ereignissen des Arabischen Frühlings von 2011. Vielmehr seien die politischen Grundlagen für den Konflikt bereits in den 1930er Jahren, zu Beginn der Staatlichkeit des Jemen, gelegt worden. Die heutigen Konfliktlinien seien darüber hinaus auch im Bürgerkrieg von 1962 bis 1970, d.h. nach Gründung der Republik Jemen, sichtbar gewesen. Orkaby zeigt, dass die Ursprünge des Konfliktes politischer Natur sind: mit der Gründung der Republik wurde eine über tausendjährige Ordnung , die auf der politischen und religiösen Vorherrschaft der Saiditen - einer zur Shi’a gezählten islamischen Konfession, die es nur im Süden der Arabischen Halbinsel gibt - basierte, abgeschafft . Dies ist jedoch nicht der einzige Grund für die politischen Konflikte, die die Geschichte des modernen Jemen prägen. Vielmehr gehörten dazu auch die Kolonialgeschichte (der südliche Jemen war bis 1962 britisches Protektorat), der Kalte Krieg (die Republik Südjemen war der einzige kommunistische Staat der arabischen Welt) sowie die Unterstützung für den Irak im Ersten 6 Human Rights Watch, World Report 2020: Yemen, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/yemen (zuletzt abgerufen am 2. März 2020). 7 United Nations Security Council, Children and armed conflict in Yemen - Report of the Secretary-General, S/2019/453, 3. Juni 2019, https://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3- CF6E4FF96FF9%7D/s_2019_453.pdf (zuletzt abgerufen am 2. März 2020). 8 Asher Orkaby, Yemen: A Civil War Centuries in the Making, in: Origins: Current Events in Historical Perspective , Vol. 12, Ausgabe 8, Mai 2019, http://origins.osu.edu/article/yemen-civil-war-houthi-humanitarian-crisisarabia -zaydi (zuletzt abgerufen am 2. März 2020). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 2 - 3000 - 018/20 Seite 7 Golfkrieg (was zur Entziehung westlicher Entwicklungshilfegelder und der zwangsweisen Rückkehr von vier Mio. jemenitischer Migranten aus Saudi-Arabien führte). Insgesamt schafft Orkaby es, einen sehr guten Eindruck von der großen Komplexität der jemenitischen Geschichte und damit auch des heutigen Konfliktes in einem relativ kurzen Aufsatz zu liefern. Der European Council on Foreign Relations (ECFR), ein 2007 gegründeter Think Tank mit Vertretungen in Brüssel, Berlin, Warschau, London, Madrid, Sofia und Rom, hat auf der Webseite „Mapping the Yemen Conflict“ eine Reihe von kommentierten thematischen Landkarten des Jemen bereitgestellt.9 Die Karten zeigen die historischen politischen und religiösen Trennlinien innerhalb des Landes, sowie die heutigen politischen Frontverläufe. Dazu kommen Karten, die z.B. die Verteilung von natürlichen Öl- und Gasressourcen und die Nahrungsmittelversorgung im Jemen darstellen. Die Gesamtschau der Landkarten vermittelt einen Eindruck von der Komplexität des Konfliktes und weshalb die bloße Reduzierung auf konfessionelle Unterschiede – „Sunniten gegen Schiiten“ – dem Verständnis des Bürgerkrieges keineswegs gerecht wird. In der vom ECFR im Jahre 2020 veröffentlichten Analyse „War and pieces: Political divides in southern Yemen“ werden die unterschiedlichen Interessen im Süden des Jemen genauer unter die Lupe genommen.10 Hierbei zeigt sich, dass die Konfliktlinien selbst auf rein regionaler Ebene verlaufen und auch kleinere Gebiete eigene Interessen verfolgen, die die Komplexität des Bürgerkrieges noch weiter erhöhen und eine Lösung noch weiter erschweren. Unter anderem wird verdeutlicht , dass z.B. der Südliche Übergangsrat entgegen seiner Behauptung keineswegs für den gesamten Süden des Jemens spricht und daher auch nur bedingt ein Verhandlungspartner für eine mögliche Friedenslösung sein kann. *** 9 Adam Barron und Marco Ugolini, Mapping the Yemen Conflict, European Council on Foreign Relations, 2019, https://www.ecfr.eu/mena/yemen#, (zuletzt abgerufen am 2. März 2020). 10 Raiman al-Hamdani und Helen Lackner, War and pieces: Political divides in southern Yemen, European Council on Foreign Relations, 22. Januar 2020, https://www.ecfr.eu/publications/summary/war_and_pieces_political _divides_in_southern_yemen (zuletzt abgerufen am 2. März 2020).