© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 016/19 Völkerrechtliche Aspekte der Anerkennung eines ausländischen Staatsoberhauptes Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 2 Völkerrechtliche Aspekte der Anerkennung eines ausländischen Staatsoberhauptes Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 016/19 Abschluss der Arbeit: 8. Februar 2019 (zugleich letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Die Anerkennung ausländischer Staatsoberhäupter aus völkerrechtlicher Sicht 4 1.1. Die Anerkennung als Einmischung in innere Angelegenheiten 5 1.2. Die Anerkennung als unfreundlicher Akt 8 2. Drohung mit einer Militärintervention 9 3. Aufforderung zu Wahlen 10 4. Präzedenzfälle 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 4 1. Die Anerkennung ausländischer Staatsoberhäupter aus völkerrechtlicher Sicht Der Auftraggeber wirft die Frage auf, ob es für einen Staat völkerrechtlich zulässig ist, ein ausländisches Staatsoberhaupt als solches anzuerkennen, wenn dieses Staatsoberhaupt seine Position möglicherweise nicht im Rahmen der anwendbaren Verfassung erlangt hat oder die Verfassungskonformität des Regierungswechsels nach anwendbarem nationalen Recht von anderen Verfassungsorganen des betroffenen Landes bezweifelt wird. Für die Anerkennung von Regierungen gelten im Völkerrecht im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie für die Anerkennung von Staaten.1 Nach ganz überwiegender Auffassung in der Völkerrechtswissenschaft hat die Anerkennung grundsätzlich nur deklaratorische, keinen konstitutive Wirkung.2 Dies führt dazu, dass die Anerkennung durch einen anderen Staat nichts an der Verfassungskonformität oder Verfassungswidrigkeit eines Regierungswechsels ändert, die allein nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen bleiben.3 D.h. die bloße Anerkennung verleiht der neuen Regierung keine Legitimität. Auch aus diesem Grunde sehen zahlreiche Staaten in der Regel davon ab, neue Regierungen frühzeitig anzuerkennen.4 Bei der Anerkennung haben Staaten gewisse Ermessensspielräume. Diese Spielräume können sich u.a. in einer unterschiedlichen Anerkennungspraxis der Staaten gegenüber derselben Regierung niederschlagen.5 Festzuhalten ist, dass der unilaterale, deklaratorische Akt der Anerkennung eines ausländischen Staatsoberhaupts kein rechtliches Nullum darstellt; so können der Anerkennung, insbesondere in 1 Grundlegend Jost Delbrück, § 19 Begriff und rechtliche Bedeutung der Anerkennung, S. 187 ff., sowie § 20 Das Recht und die Pflicht zur Anerkennung, S. 196 ff., in: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Auflage , New York 1988. Zu den Unterschieden zwischen Anerkennung von Staaten und Regierungen siehe James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, 8th ed., Oxford 2012, S. 151 ff. Vgl. a. Jochen A. Frowein, Recognition, in; Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1086?prd=EPIL#law-9780199231690- e1086-div1-4 (last updated: December 2010), Rz. 14 - 22. 2 Delbrück, a.a.O. 3 Statt vieler: Patrick Daillier/Alain Pellet, Droit International Public, 7e édition, Paris 2002, S. 417 Par. 273. 4 Ausführlicher zur Begründung hierfür siehe Crawford, a.a.O., S. 153 f. Zur geschichtlichen Entwicklung, insbesondere den widerstreitenden Tobar- und Estrada-Doktrinen des frühen 20. Jh. Siehe Delbrück, a.a.O., S. 198. 5 Zum aktuellen Stand der Anerkennungen im vorliegenden Fall siehe United Nations (United States) (AFP), UN will not join any group on Venezuela crisis talks: Guterres, https://www.france24.com/en/20190204-un-willnot -join-group-venezuela-crisis-talks-guterres?fbclid=IwAR3A9OWuK9Oc40gBWHnDLN6cbOup JjUQymXGNjcS5s3BN5RmUFhaJYNc6wc . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 5 Verbindung mit dem auch im Völkerrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben, Rechtswirkungen zukommen.6 1.1. Die Anerkennung als Einmischung in innere Angelegenheiten Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalles kann die Anerkennungserklärung eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten7 des betroffenen Landes darstellen. Dabei dürfte nicht jede Einmischung als völkerrechtswidrige Intervention zu bewerten sein, zumal wenn sie eine gewisse Relevanzschwelle nicht überschreitet. Historisch gesehen hat sich das Verbot der Einmischung von einem Verbot der Einmischung mit militärischen Mitteln erweitert hin zu einem Verbot der Einmischung durch Gebrauch unmittelbaren Zwangs.8 Der IGH führt aus: „[T]he principle forbids all States or groups of States to intervene directly or indirectly in internal or external affairs of other States. A prohibited intervention must accordingly be one bearing on matters in which each State is permitted, by the principle of State sovereignty , to decide freely. One of these is the choice of a political, economic, social and cultural system, and the formulation of foreign policy. Intervention is wrongful when it uses methods of coercion in regard to such choices, which must remain free ones. The element of coercion, which defines, and indeed forms the very essence of, prohibited intervention, is particularly obvious in the case of an intervention which uses force, either in the direct form of military action, or in the indirect form of support for subversive or terrorist armed activities within another State.“9 Bei der bloßen Erklärung der Anerkennung einer Regierung ist eine solche Verknüpfung mit völkerrechtlich unzulässigen Mitteln nicht ersichtlich. Insbesondere wird hier kein unmittelbarer Zwang ausgeübt. 6 Statt vieler: Daillier/ Pellet, a.a.O., S. 418 f. Zu Treu und Glauben siehe Markus Kotzur, Good faith (bona fide), sowie Thomas Cottier/Jörg Paul Müller, Estoppel , beide in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1412?rskey=353eg3&result=1&prd=EPIL sowie http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1401?rskey=353eg3&result=4&prd=EPIL. So setzen sich zum Beispiel Staaten, die ein neues Staatsoberhaupt anerkennen, zu ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn sie nach wie vor die Vertreter der alten Regierung als diplomatisch autorisiert behandeln, und verstoßen somit gegen den völkerrechtlichen estoppel-Grundsatz . 7 Hierzu statt vieler: Philip Kunig, Prohibition of Intervention, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil .ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1434#law-9780199231690-e1434- div2-4 , (last updated April 2008). 8 Im Einzelnen siehe Knut Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage, München 2014, § 51 Rz. 45 ff. Vgl. a. die Beispiele bei Daillier/Pellet, op.cit., S. 441 f. 9 ICJ, Military and Puramilitary Activities in und aguinst Nicaragua (Nicaragua v. United States of America). Merits , Judgment. I.C.J. Reports 1986, https://www.icj-cij.org/files/case-related/70/070-19860627-JUD-01-00- EN.pdf , § 205, S. 107 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 6 In der vorliegenden Fallkonstellation ist überdies die Frage angebracht, ob es sich tatsächlich um die Einmischung in rein innere Angelegenheiten handelt. Angelegenheiten werden im Völkerrecht als innere definiert, wenn sie in der ausschließlichen Verantwortung innerstaatlicher Akteure liegen.10 Die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit in einer globalisierten, interdependenten Welt wird auch vom Völkerrecht nicht ignoriert und führt zu einer Neubewertung des Anwendungsbereichs des domaine reservé.11 Angesichts der aktuellen Menschenrechtslage in dem Land, auf das sich die Fragestellung des Auftraggebers bezieht12, einschließlich der durch die soziale und wirtschaftliche Lage ausgelösten Elendsmigration,13 sind Zweifel angezeigt , ob es hier um rein innere Angelegenheiten geht. (Internationale) Menschenrechte werden im Völkerrecht nicht mehr ausschließlich als Bestandteil des (nationalen) domaine réservé angesehen . Vielmehr begreift die Staatengemeinschaft deren Schutz mehr und mehr als eine gemeinschaftlich wahrzunehmende Aufgabe.14 Auch die regionale Dimension der von dem betroffenen Land ausgehenden Flucht und Migration wirft längst Fragen der internationalen Sicherheit auf.15 Gleichwohl ist hier strikt zu trennen zwischen den menschen- und völkerrechtlichen Aspekten der innerstaatlichen Situation und der Frage nach der Wahl oder Ernennung des Staatsober- 10 Kunig (a.a.O.), Rz. 1. 11 Ipsen, a.a.O., § 51 Rz. 47, S. 1057. 12 Siehe statt vieler: OHCHR, Übersicht zu Menschenrechtsthemen in Venezuela von 2014 bis zur Gegenwart (31.01.2019), https://www.ohchr.org/en/NewsEvents/Pages/NewsSearch.aspx?CID=VE ; UN News, Independent UN rights expert calls for compassion, not sanctions on Venezuela, 31 January 2019, https://news.un.org/en/story/2019/01/1031722 ; Amnesty International, Venezuela 2017/2018, https://www.amnesty.de/jahresbericht/2018/venezuela ; Human Rights Watch, Venezuela, https://www.hrw.org/world-report/2018/country-chapters/venezuela . 13 UNHCR, Venezuela situation, https://www.unhcr.org/venezuela-emergency.html , führt aus: „People continue to leave Venezuela due to violence, insecurity and threats, and lack of food, medicine and essential services . With over 3 million Venezuelans now living abroad, the vast majority in countries within South America , this is the largest exodus in the recent history of Latin America. Ongoing political, human rights and socioeconomic developments in Venezuela compel growing numbers of children, women and men to leave for neighbouring countries and beyond. Many arrive scared, tired and in dire need of assistance.“ (Hervorhebung vom Bearbeiter.) 14 Hierzu statt vieler: Katja S. Ziegler, Domaine Réservé, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1398#law-9780199231690-e1398-div1-2 (last updated April 2013), insbesondere Rz. 6 und 12 ff. 15 Vgl. UNHCR, Number of refugees and migrants from Venezuela reaches 3 million, 8 November 2018, https://www.unhcr.org/news/press/2018/11/5be4192b4/number-refugees-migrants-venezuela-reaches-3-million .html . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 7 hauptes. Letztere Frage liegt nach wie vor in der ausschließlichen Verantwortung innerstaatlicher Akteure, zumindest solange es nicht zu einem völligen Zusammenbruch der Staatlichkeit gekommen ist.16 Grundsätzlich ist die Völkerrechtswissenschaft eher zurückhaltend bei der Anerkennung neuer Regierungen, wenn deren verfassungsmäßige Grundlage innerstaatlich nicht abschließend geklärt ist: „Die Berufung und Zusammensetzung der Regierung wird nicht durch das Völkerrecht, sondern durch die nationale Verfassung der Staaten bestimmt. Staaten sind verpflichtet, die nach dem nationalen Recht des betreffenden Staates zuständige Regierung auch im internationalen Rechtsverkehr als dessen Organ gelten zu lassen. Das gilt aber auch für die revolutionäre Regierung, die sich wirklich durchgesetzt hat. Wo sich die neue Gewalt erst im Kampfe mit der bisher legitimen Gewalt durchsetzen muss, muss der Kampf vom Standpunkt objektiver, vernünftiger Beurteilung zu ihren Gunsten entschieden worden , aber er braucht noch nicht beendigt zu sein.17 […] Die Anerkennung darf nicht vorzeitig, d.h. sie darf nicht erfolgen, bevor die neue Staatsgewalt sich endgültig durchgesetzt hat. Die vorzeitige Anerkennung für sich allein […] macht die Regierung nicht zur legitimen Regierung. Sie hat insoweit keine völkerrechtliche Wirkung. Andererseits stellt sie eine Verletzung der legitimen Staatsgewalt dar durch die der Anerkennende sich der völkerrechtlichen Deliktshaftung aussetzt und die überdies unter dem Aspekt der Friedenssicherung erheblichen Bedenken begegnet.18 […] Das Urteil darüber, ob eine neue Staatsgewalt endgültig entstanden, die alte Gewalt endgültig erloschen sei, ist ein in die Zukunft gerichtetes Werturteil, das oft unsicher ist. Es 16 Zur Zulässigkeit der Intervention in „failed states“ zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der Menschenrechte vgl. Daniel Thürer, Failing states, in; Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1404?prd=EPIL#law-9780199231690- e1404-div2-4, Rz. 13: „The right to self-determination, together with human rights, was considered to authorize intervention in matters of internal affairs with the object of restoring the State authority needed for the proper functioning of international law”. 17 Delbrück, a.a.O., S. 194. (Hervorhebung vom Bearbeiter.) Vgl. hierzu auch Frowein, a.a.O., Rz. 15: “Where there are still two competing governments, recognition of the revolutionary government as the government of the State is unlawful unless it has established its authority to such an extent that the outcome of the conflict is clear and the former government’s authority is reduced to a negligible area.“ (Hervorhebung vom Bearbeiter.) Im Ergebnis ebenso Crawford, a.a.O., S. 152: „In the case of governments, the standard set by international law is so far the standard of secure de facto control of all or most of the state territory.“ (Hervorhebung vom Bearbeiter .) Der gleichen Ansicht Daillier/ Pellet, a.a.O., S. 418: „En effet, la reconnaissance du gouvernement est (…) fondée sur l´effectivité des autorités gouvernementales nouvelles et non sur leur légalité.” (Hervorhebung vom Bearbeiter.) 18 Delbrück, a.a.O., S. 200. (Hervorhebung vom Bearbeiter.) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 8 gibt Situationen, und sie können sich über große Zeiträume erstrecken, die man auch vom Standpunkt einer objektiven, vernünftigen Betrachtung verschieden beurteilen kann. In derart zweideutigen Situation muss ein jeder Staat nach seinem politischen Ermessen entscheiden, ob er die neue Gewalt schon anerkennen will oder nicht. In ihnen hat zwar jeder Staat ein Recht zur Anerkennung der neuen Gewalt, diese aber noch kein Recht auf Anerkennung durch andere Staaten.“19 Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass in der Staatenpraxis bei der Anerkennung ausländischer Regierungen eigene nationale Interessen und Opportunitätserwägungen oft eine ausschlaggebende Rolle spielen, während die völkerrechtlich relevante Frage der effektiven Staatsgewalt augenscheinlich nicht die auf normativer Ebene vorgesehene Beachtung findet. Ob in der Konstellation, die der Frage des Auftraggebers zugrunde liegt, die genannten tatsächlichen Voraussetzungen einer zulässigen Anerkennung im Zeitpunkt dieser Anerkennung oder erst einige Tage später vorliegen, kann mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zweifelsfrei festgestellt werden. So wäre zu klären, wann exakt der Konflikt zwischen Präsident und Interimspräsident endgültig entschieden, wenn auch noch nicht beendigt ist. Es bedürfte hier u.a. tagesaktueller Sachverhaltsermittlungen, wer zu welchem Zeitpunkt die effektive Kontrolle über die Staatsgewalt, einschließlich der Streitkräfte und des Sicherheitsapparates, ausübt.20 Erst auf der Grundlage dieser Tatsachenfeststellungen ließe sich abschließend beurteilen, ob die Anerkennung eines innerstaatlich umstrittenen Interimspräsidenten zu einem bestimmten Zeitpunkt die Schwelle zur völkerrechtswidrigen Intervention überschreitet. Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 4 der VN-Charta kann daher im Hinblick auf die Anerkennung vorliegend nicht zweifelsfrei festgestellt werden. 1.2. Die Anerkennung als unfreundlicher Akt Auch wenn die Anerkennung eines ausländischen, in seinem Heimatstaat umstrittenen Interimspräsidenten im vorliegenden Einzelfall nicht die Schwelle zur unzulässigen und damit völkerrechtswidrigen Intervention überschritten haben sollte, käme es in Betracht, sie völkerrechtlich als unfreundlichen Akt21 zu qualifizieren. Ein unfreundlicher Akt liegt vor, wenn das Verhalten eines Völkerrechtssubjektes einem anderen Völkerrechtssubjekt einen Nachteil zufügt oder gegenüber diesem Missachtung zum Ausdruck bringt, ohne jedoch eine Völkerrechtsverletzung zu sein. Ein unfreundlicher Akt ist kein Völkerrechtsdelikt (international wrongful act), hat allerdings zur Folge, dass der Zielstaat eines unfreundlichen Aktes seinerseits zur Retorsion, d.h. zu 19 Delbrück, a.a.O., S. 201. (Hervorhebung vom Bearbeiter.) 20 Zur gegenwärtigen Sachlage vgl. bereits oben (Fn. 5) sowie die jeweils aktuellen Berichte der VN auf https://news.un.org/en/news/region/americas . 21 Hierzu statt vieler: Dagmar Richter, Unfriendly Act, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e423?rskey=gE3FvM&result=1&prd=OPIL (last updated January 2013). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 9 unfreundlichen, jedoch rechtmäßigen Gegenmaßnahmen, berechtigt ist.22 Aus Sicht der bisherigen , noch amtierenden Regierung dürfte die Anerkennung eines Staatsoberhauptes ad interim wohl stets als unfreundlich zu bewerten sein. Möglich wäre eine Reaktion des betroffenen Staates durch Einbestellung der Botschafter der anerkennenden Staaten, deren Ausweisung, oder die Abberufung der eigenen diplomatischen Vertreter in den anerkennenden Staaten. 2. Drohung mit einer Militärintervention Die Fragestellung des Auftraggebers nach der Zulässigkeit der Drohung mit einer militärischen Intervention bezieht sich auf Äußerungen eines Sicherheitsberaters der US-amerikanischen Regierung , die in der Presse zitiert wurden.23 Rechtsgrundlage zur Beurteilung der Drohung ist Art. 2 (4) der Charta der Vereinten Nationen, wonach alle Mitglieder in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen.24 Die Drohung mit einer militärischen Intervention ist eine Drohung mit Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit eines Staates.25 Da die VN gem. Art. 2 (1) ihrer Charta auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Mitgliedstaaten beruhen und eine Militärintervention dem Grundsatz der souveränen Gleichheit widerspricht, ist die Drohung auch mit den Zielen der VN unvereinbar . Dass die Drohungen gegen in der VN-Charta normierte Grundsätze verstoßen, gilt unabhängig davon , ob das mit der Drohung nach Absicht des Drohenden abgenötigte Verhalten des Bedrohten völkerrechtskonform, oder gar völkerrechtlich geboten wäre. Gewalt und die Drohung mit Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates sind in der VN-Charta als Mittel zur einseitigen Durchsetzung ausgeschlossen. Das Verbot der Drohung mit Gewalt wurde von der internationalen Gemeinschaft nach Annahme der VN-Charta wiederholt bestätigt, prominent auch in der sogenannten Friendly Relations Declaration der VN-Generalversammlung.26 Diese führt hierzu aus: „Jeder Staat hat die Pflicht, in seinen internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische 22 Dagmar Richter, a.a.O., Rz. 1 und 7. Vgl. auch Thomas Giegerich, Retorsion, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e983?rskey=39hCtQ&result=1&prd=EPIL . 23 Statt vieler: El Pais, El consejero de Seguridad de Trump amenaza a Maduro con Guantánamo, 2. Februar 2019, https://elpais.com/internacional/2019/02/01/estados_unidos/1549040120_719684.html . 24 Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, https://www.unric.org/html/german/pdf/charta.pdf . 25 Zur Rechtsprechung des IGH in diesem Zusammenhang siehe bereits oben unter 1.1. und Fn. 9. 26 Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen (Friendly Relations-Deklaration) (24. Oktober 1970), A/RES/2625 (XXV), http://www.un.org/Depts/german/gv-early/ar2625.pdf . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 10 Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen. Eine solche Androhung oder Anwendung von Gewalt stellt eine Verletzung des Völkerrechts und der Charta der Vereinten Nationen dar und darf niemals als Mittel zur Regelung internationaler Fragen angewandt werden “.27 Fraglich bleibt, inwiefern in der Presse zitierte Äußerungen eines Sicherheitsberaters der US-Regierung dem Staat als Völkerrechtssubjekt zurechenbar wären. Dies ist eine Frage der Staatenverantwortung . Das in diesem Rechtsgebiet einschlägige Völkergewohnheitsrecht fand Niederschlag in den Artikelentwürfen der VN-Völkerrechtskommission über die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln.28 Gem. Art. 4 und 5 der Artikelentwürfe29 kommt es darauf an, ob die handelnde Person aufgrund innerstaatlichen Rechts befugt ist, Regierungsaufgaben wahrzunehmen. Hiervon dürfte beim Sicherheitsberater der US-Regierung auszugehen sein. Daher wären seine Äußerungen dem Staat zuzurechnen. 3. Aufforderung zu Wahlen Der Auftraggeber wirft die Frage auf, inwiefern die Aufforderung zu fairen und freien Wahlen im Völkerrecht eine Grundlage findet und ob die Aufforderung aus völkerrechtlicher Sicht mit der Drohung verknüpft werden durfte, beim Ausbleiben von Neuwahlen den Interimspräsidenten als Staatsoberhaupt anzuerkennen. Die Aufforderung eines Staates an einen anderen, demokratische Wahlen abzuhalten, ist kein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 4 der VN-Charta oder andere Normen des Völkerrechts. Zwar mag es zutreffend sein, dass das Völkerrecht bisher noch kein Recht auf Demokratie ausdrücklich und allgemein anerkennt, doch ist die Rechtsentwicklung hier durchaus dynamisch.30 So hat die Rechtsentwicklung der internationalen Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts der Völker in den letzten Jahrzehnten zu einer Völkerrechtslage geführt, in der sich die Demokratie als Staatsform beinahe aufdrängt. Anderseits ist der genau Inhalt des Demokratieprinzips auf internationaler Ebene unklar und umstritten. Einzelne Mitglieder der Staatengemeinschaft lehnen die Demokratie als Staatsform nach wie vor dezidiert ab. Daher ist nicht absehbar, dass der 27 A.a.O. 28 ILC Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Text adopted by the International Law Commission at its fifty-third session, in 2001, and submitted to the General Assembly as a part of the Commission’s report covering the work of that session (A/56/10), http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english /commentaries/9_6_2001.pdf . 29 A.a.O., S. 40 und 42. 30 Vgl. Ipsen, a.a.O., § 8 Rz. 61 ff. Siehe im Einzelnen zum Stand der Entwicklung und Zukunftsperspektiven Gregory H. Fox, International Protection of the Right to Democracy, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e773?prd=EPIL#law-9780199231690- e773-div1-7 . Zur historischen Entwicklung s.a. Daillier/Pellet, a.a.O., S. 433. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 016/19 Seite 11 Schutz der Demokratie in naher Zukunft rechtlich bindend geregelt wird. Gleichwohl ist zu betonen , dass sich die internationale Gemeinschaft u.a. in der Millenniums-Erklärung der VN-Generalversammlung dazu bekennt, keine Mühen zu scheuen, um die Demokratie zu fördern, und in allen Ländern die Kapazitäten zur Anwendung der Grundsätze und Verfahren der Demokratie zu stärken.31 Die an einen Staat gerichtete Aufforderung, freie und faire Wahlen durchzuführen ist Ausdruck der genannten Selbstverpflichtung der internationalen Gemeinschaft. Die Forderung nach Demokratie ist, solange sie nicht mit völkerrechtlich unzulässigen Mitteln verbunden ist, daher kein Verstoß gegen Grundsätze der VN. Für die Drohung mit der Anerkennung des Interimspräsidenten gelten letztlich die gleichen Leitvorstellungen wie für die Anerkennung selbst. So hängt auch die völkerrechtliche Zulässigkeit der Drohung davon ab, wer zum Zeitpunkt der mit der Drohung in Aussicht gestellten Anerkennung die effektive Staatsgewalt in dem betroffenen Staat ausübt. Auf die in diesem Zusammenhang einschlägigen Ermessensspielräume, komplexen Sachverhaltsfeststellungen und nationalen Interessenabwägungen wurde bereits oben verwiesen. Wenn eine Verletzung von Art. 2 Abs. 4 der VN-Charta schon im Hinblick auf die Anerkennung vorliegend nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte (siehe oben), so ist dies bei der Drohung mit der Anerkennung umso weniger Fall. 4. Präzedenzfälle Präzedenzfälle, in denen die Bundesregierung in der Vergangenheit die Forderung nach freien und fairen Wahlen in einem anderen Staat mit der Drohung verknüpft hätte, andernfalls einen Interimspräsidenten als legitimes Oberhaupt dieses Staates anzuerkennen, sind nicht bekannt. *** 31 United Nations Millennium Declaration, A/Res/55/2, 8 September 2000, http://www.un.org/millennium/declaration /ares552e.htm , Rz. 24 und 25.