© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 016/16 Räumlicher Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts und die „Entgrenzung“ bewaffneter Konflikte Ansätze einer Geographie des Schlachtfeldes Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 2 Räumlicher Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts und die „Entgrenzung“ bewaffneter Konflikte Ansätze einer Geographie des Schlachtfeldes Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 016/16 Abschluss der Arbeit: 8. Februar 2016 (auch letzter Zugriff auf Internetadressen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Klassifizierung bewaffneter Konflikte 4 2. Entgrenzungen und Beschränkungen bewaffneter Konflikte 6 3. Rechtliche Folgen 7 4. Geographischer Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts 7 5. Facetten einer „Geographie des Schlachtfeldes“ 9 5.1. Globales Schlachtfeld 10 5.2. Territorialer „spill-over“-Effekt 11 5.3. Abstufung von Kampf- und Konfliktzonen 13 5.4. Personeller Zusammenhang zum bewaffneten Konflikt 13 6. Resumee 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 4 1. Klassifizierung bewaffneter Konflikte Die Anwendung des humanitären Völkerrechts (Kriegsvölkerrecht)1 ist an die Existenz eines bewaffneten Konflikts gebunden, der – in Abgrenzung zu sporadischen Gewalttaten, inneren Unruhen oder Tumulten – bestimmte Kriterien erfüllen muss (Intensität der gewaltsamen Auseinandersetzung, Organisationsstruktur sowie Gebietskontrolle der beteiligten Akteure und deren Fähigkeit zu anhaltenden kontinuierlichen Kampfhandlungen).2 Das humanitäre Völkerrecht unterscheidet – je nach Konfliktpartei – zwischen internationalen (Auseinandersetzung zwischen Staaten) und nicht-internationalen Konflikten (z.B. Bürgerkriege, d.h. in der Regel interne und „asymmetrische“ Konflikte unter Beteiligung nicht-staatlicher Akteure, „Warlords“, Partisanen, Terrornetzwerken etc). Während der Krieg zwischen Staaten eine „internationale“ Dimension bereits begrifflich beinhaltet ,3 machen heutzutage auch nicht-internationale (interne) Konflikte nicht (mehr) an Staatsgrenzen halt: Terrormilizen wie der sog. „Islamische Staat“ (IS) operieren grenzüberschreitend in Syrien und im Irak sowie neuerdings auch in Libyen; Gruppierungen wie die Taliban oder Al Quaida in Afghanistan nutzen grenznahe Gebiete in Pakistan als Rückzugsräume oder zu Trainingszwecken.4 Bewaffnete Konflikte zwischen nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen und staatlichen Regierungen , die nicht nur innerhalb sondern auch außerhalb des eigenen Staatsgebietes stattfinden, werden als „transnationale“ bewaffnete Konflikte bezeichnet. 1 Das humanitäre Völkerrecht umfasst im Wesentlichen die vier Genfer Konventionen (GK) von 1949 einschließlich des 1. und 2. Zusatzprotokolls (jeweils von 1977) sowie die Haager Abkommen von 1907. 2 Vgl. insoweit Art. 1 des 2. Zusatzprotokolls (von 1977) zu den Genfer Konventionen. Näher dazu Gasser, Hans- Peter, Humanitäres Völkerrecht, Baden-Baden: Nomos 2007, S. 58 f. 3 Insbesondere der 2. Weltkrieg weist eine global-entgrenzte Dimension auf. So wurde der japanische Marine- Admiral Yamamoto Isoroku, Organisator des Angriffs auf Pearl Harbor, 1943 im Zuge des Konflikts zwischen den USA und Japan (sog. „Pazifikkrieg“) von amerikanischen Jagdflugzeugen in der Näher der Salomon-Inseln (in der Näher von Papua-Neuguinea) über dem Südpazifik abgeschossen. Gleichwohl kann ein internationaler bewaffneter Konflikt zwischen zwei oder mehr Staaten ebenso allein auf dem Territorium einer Vertragspartei ausgetragen werden, somit in seiner räumlichen Ausdehnung nicht als „international“ beschrieben, aber dennoch als internationaler bewaffneter Konflikt klassifiziert werden – dazu Schöberl, Katja, Konfliktpartei und Kriegsgebiet in bewaffneten Auseinandersetzungen – zur Debatte um den Anwendungsbereich des Rechts internationaler und nicht-internationaler bewaffneter Konflikte, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict 2012, S. 128- 138 (132), verfügbar unter: http://www.ifhv.de/documents/huvi/selectedarticles/3-2012-schoeberl.pdf. 4 In diesem Zusammenhang hatte der US-Supreme Court in seinem Präzedenzurteil Hamdan vs. Rumsfeld vom 29. Juni 2006 (http://www.supremecourt.gov/opinions/05pdf/05-184.pdf) betreffend Maßnahmen der US- Regierung im so genannten „Krieg gegen den Terror“ (Gefangennahme von sog. unlawful combattants) festgestellt , dass alle bewaffneten Konflikte, die keine bewaffneten Konflikte zwischen Staaten sind, unabhängig von ihrer territorialen Ausdehnung nicht-internationale bewaffnete Konflikte sind. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 5 Inwieweit das Recht des nicht-internationalen bewaffneten Konflikts, das konzeptionell (nur) auf Konflikte innerhalb des Hoheitsgebietes einer Vertragspartei zugeschnitten ist,5 auch auf transnationale Konflikte Anwendung findet, ist umstritten.6 Handelt es sich um ausländische nicht-staatliche Akteure, lässt sich der Konflikt mit einer staatlichen Regierung nicht mehr ohne weiteres als staats-„intern“ (aber eben auch als nicht zwischenstaatlich) qualifizieren.7 So haben es die USA von Beginn an abgelehnt, den Kampf gegen das (globale) Terrornetzwerk Al Quaida als nicht-internationalen Konflikt zu bezeichnen; ex-Präsident Bush sah darin vielmehr einen Konflikt „außerhalb des Anwendungsbereichs der Genfer Konventionen“. Ein bewaffneter Konflikt außerhalb der Genfer Konventionen ist jedoch nach ganz überwiegendem Völkerrechtsverständnis rechtlich nicht denkbar. Im Ergebnis wird man daher transnationale Konflikte entweder dem Regime des internationalen Konflikts unterwerfen oder aber die Mindeststandards des nicht-internationalen Konflikts (insb. der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen ) auch auf Konflikte anwenden, der eben nicht intern, sondern transnational ist. Dies entspricht der zunehmenden Auffassung der internationalen Rechtsprechung, dass der gemeinsame Art. 3 GK eine Art „Auffangregime“ für alle Formen bewaffneter Konflikte darstellt.8 Nicht-internationale bewaffnete Konflikte können überdies durch das Eingreifen auswärtiger Staaten (Beispiel: Unterstützung Afghanistans im Kampf gegen die Taliban seit 2001, Unterstützung des Irak im Kampf gegen den „IS“ durch die internationale Anti-„IS“-Allianz) „internationalisiert “ werden. Man spricht dann von internationalisierten nicht-internationalen bewaffneten Konflikten.9 Ob dann das Recht des internationalen oder des nicht-internationalen Konflikts zur Anwendung kommt, ist umstritten – aber angesichts des zunehmenden Gleichklangs beider Rechtsregime auch nicht wirklich „kriegsentscheidend“. 5 Vgl. insoweit die Formulierungen in Art. 1 des 2. Zusatzprotokolls (ZP II) sowie im gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen (GK). 6 Dazu Kreß, Claus, Some Reflections on the International Legal Framework Governing Transnational Armed Conflicts, in: Journal of Conflict & Security Law (2010), vol. 15 No. 2, 245–274, verfügbar unter: http://www.uni-koeln.de/jur-fak/kress/Materialien/Chef/HP882010/Final19022011.pdf; Vashakmadze, Mindia, The Applicability of International Humanitarian Law to “Transnational” Armed Conflicts , MWP-Working Paper, European University Institute 2009, online Publikation, verfügbar unter: http://cadmus.eui.eu/bitstream/handle/1814/12676/MWP_2009_34.pdf?sequence=1&isAllowed=y; Hoffmann, Tamás, Squaring the Circle? – International Humanitarian Law and Transnational Armed Conflicts, Social Science Research Network 2011, online Publikation, verfügbar unter: https://www.researchgate.net/publication/228184520_Squaring_the_Circle_- _International_Humanitarian_Law_and_Transnational_Armed_Conflicts. 7 So Groeben v.d., Constantin, Transnational Conflicts and International Law, Köln 2014, S. 72. 8 So der IGH im Nicaragua-Fall, Entsch. v. 27.6.1986, http://www.icj-cij.org/docket/files/70/6503.pdf; ähnlich das Internationale Jugoslawientribunal (ICTY) im Fall Prosecutor vs. Delalic et al., IT-96-21-T, v. 16.11.1998. 9 Dazu Gasser, Hans-Peter, Humanitäres Völkerrecht, Baden-Baden: Nomos 2007, S. 64 f.; Groeben v.d., Constantin , Transnational Conflicts and International Law, Köln 2014, S. 21 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 6 2. Entgrenzungen und Beschränkungen bewaffneter Konflikte Der Wandel des Charakters bewaffneter Konflikte, aber auch die zunehmende Mobilität, Vernetzung und technische Weiterentwicklung von Distanzwaffen (Stichwort: Drohnen) tragen zu einer (geographischen) „Entgrenzung“ des klassischen Schlachtfeldes bei. Insbesondere der im Nachgang zu „9/11“ von den USA proklamierte weltweite, territorial ungebundene „War on Terror“ und der darauf gestützte U.S.-Drohneneinsatz gegen Terrorverdächtige in Staaten, in denen nach herkömmlichen Verständnis kein bewaffneter Konflikt vorliegt (wie z.B. Pakistan) bzw. wo kein unmittelbarer Bezug zum Konflikt mit Afghanistan besteht (wie z.B. im Jemen oder in Somalia), leisten einer Diskussion über das „global battlefield“ Vorschub. In diesem Zusammenhang äußerte sich etwa der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Hartfrid Wolff: „Es gibt in modernen Kriegen schon lange kein klar abgrenzbares Schlachtfeld mehr. Drohnenangriffe sind für mich aber ein Symbol für einen weiteren Schritt in Richtung unbegrenzter Kriege. Ich habe ein Unbehagen, dass Kriege sich ausweiten und der Einsatz von Drohnen im Einsatzgebiet zu einem Dauergefühl der Bedrohung führt“.10 Nachgedacht wird in diesem Zusammenhang aber nicht nur über geographische „Entgrenzungen “ von transnationalen Konflikten, sondern auch über territoriale „Beschränkungen“ bewaffneter Konflikte innerhalb eines Staatsgebietes. In vielen Staaten existieren zunehmend regionale bewaffnete Konflikte, die jedoch nicht das ganze Staatsgebiet erfassen (wie z.B. in der Ostukraine, in den kurdisch besiedelten Gebieten der Osttürkei oder in der autonomen russischen Republik Tschetschenien). Auch hier erschwert die Mobilität in der heutigen Kriegsführung eine Einteilung eines Staatsgebietes in Kampfgebiete und friedliche Regionen. Insoweit stellt sich die Frage, ob und inwieweit humanitäres Völkerrecht nicht nur regional begrenzt , sondern im gesamten Staatsgebiet anwendbar sein soll.11 Die Rechtssicherheit mag für eine einheitliche Anwendung des Rechts innerhalb eines Staates sprechen.12 Doch wie sieht es mit Handlungen aus, die zwar einen politischen Bezug zum Konflikt aufweisen (z.B. das Attentat eines Tschetschenen in Moskau), aber doch geographisch weit weg vom eigentlichen Konfliktherd (der sog. „hot-zone battlefield“) stattfinden? 10 Interview in der taz vom 13.2.2013, S. 1, http://www.taz.de/!110842. 11 Davon geht Art. 29 der Wiener Vertragsrechtskonvention (betreffend den räumlichen Geltungsbereich von Verträgen ) aus, der lautet: „Sofern keine abweichende Absicht aus dem Vertrag hervorgeht oder anderweitig festgestellt ist, bindet ein Vertrag jede Vertragspartei hinsichtlich ihres gesamten Hoheitsgebiets“. 12 So Schaller, Christian, Military Operations in Afghanistan and International Humanitarian Law, in: SWP- Comments 7 (2010), S. 3, verfügbar unter: http://www.swpberlin .org/fileadmin/contents/products/comments/2010C07_slr_ks.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 7 Lässt sich die Geiselbefreiung im Moskauer Dubrowka-Theater am 26. Oktober 2002 nach humanitärem Völkerrecht beurteilen, sofern eine Verbindung zu dem bewaffneten Konflikt in Tschetschenien bestand?13 3. Rechtliche Folgen Die Frage nach den geographischen Grenzen eines bewaffneten Konflikts, und damit nach der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts (im Gegensatz zum „Friedensrecht“) hat für die rechtliche Bewertung von Tötungen oder Festnahmen etwa von Mitgliedern nicht-staatlicher Gruppierungen (Terrormilizen, Partisanen etc.) gravierende Konsequenzen: So ist etwa bei Drohnenangriffen (mit Blick auf das sog. „targeted killing“) entscheidend, ob diese im Rahmen oder außerhalb eines bewaffneten Konfliktes stattfinden. Das humanitäre Völkerrecht lässt nämlich Tötungen (von Kombattanten14 oder Personen, die an Feindseligkeiten teilnehmen15) grundsätzlich zu. Außerhalb bewaffneter Konflikte setzen menschenrechtliche Bestimmungen einer Tötung jedoch sehr enge Grenzen. Die rechtliche Bewertung der Handlung (Tötung, Festnahme eines Terrorverdächtigen) richtet sich insoweit nach dem Ort seiner Vornahme – unabhängig von der Rolle, die der Betroffene in einem bewaffneten Konflikt gespielt hat.16 4. Geographischer Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts Der bewaffnete Konflikt ist kein linear abgrenzbares Gebiet, bei dessen Überschreiten – ähnlich wie bei einer Staatsgrenze – automatisch eine andere Rechtsordnung (hier: das humanitäre Völkerrecht ) gilt. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat keine Definitionshoheit über die räumliche Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts. Vielmehr entscheiden die Staaten darüber, wann und wo sie das humanitäre Völkerrecht mit Blick auf einen bestimmten Konflikt anwenden. Offizielle Erklärungen einer Regierung darüber, dass in bestimmte Regionen ihres Staatsgebietes ein bewaffneter Konflikt herrscht, gibt es in der Staatenpraxis kaum. Denkbar wäre dies etwa im Zusammenhang mit der Notstandsregelung und Derogation von Konventionsrechten gem. Art. 15 EMRK. 13 In diese Richtung N. Quénivet, The Moscow Hostage Crisis in the Light of the Armed Conflict in Chechnya, in: Yearbook of International Humanitarian Law 4 (2001), S. 359). 14 Art. 43 Abs. 1 ZP I. Der Kombattantenstatus existiert nur für den internationalen bewaffneten Konflikt. 15 Vgl. Art. 13 Abs. 3 ZP II. 16 Daskal, Jennifer C., ‘The Geography of the Battlefield: A Framework for Detention and Targeting Outside the ‘‘Hot’’ Conflict Zone’, in: University of Pennsylvania Law Review 161 (2013), S. 1165-1234 (1193), http://digitalcommons.wcl.american.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1252&context=facsch_lawrev. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 8 Eine dahingehende Erklärung ist z.B. von russischer Seite im Tschetschenien-Konflikt aber unterblieben , so dass der EGMR diesen Konflikt vor einem „normalen rechtlichen Hintergrund“ bewertet hat.17 Die Schwierigkeit besteht zuweilen darin, das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts in einem bestimmten Gebiet überhaupt „objektiv“ zu identifizieren. Die Anwesenheit von Truppen ist dabei ein notwendiges nicht aber hinreichendes Indiz. Wichtig ist auch die Einschätzung internationaler Organe (z.B. des VN-Sicherheitsrates) sowie der beteiligten Akteure.18 Die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts zeigen sich hinsichtlich der Frage nach ihrem geographischen Anwendungsbereich nicht immer eindeutig: Während die Regelungen über den nicht-internationalen Konflikt regelmäßig auf den räumlichen Charakter bewaffneter Konflikte Bezug nehmen und folglich von einem geographisch begrenzten Schlachtfeld ausgehen,19 finden sich in den Genfer Abkommen (welche den internationalen Konflikt betreffen) keine Anhaltspunkte , welche eine geographische Beschränkung des Anwendungsbereiches dieser Abkommen nahelegen würden. So erfordert nach herrschender Auffassung die innere Logik des „Genfer Rechts“, Verwundete, Schiffbrüchige und Sanitätspersonal unabhängig vom Ort der Geschehnisse zu schützen (GK II). Auch ein in Gefangenschaft geratener Kombattant hat gemäß GK III unabhängig von dem Ort seiner Gefangennahme Anspruch auf Kriegsgefangenenstatus.20 Eine teleologische Auslegung der Genfer Konventionen spricht folglich dafür, dass diese überall dort anwendbar sind, wo es humanitäre Folgen eines bewaffneten Konfliktes zu regulieren gilt – insbesondere im Interesse der Opfer dieses Konfliktes.21 Ob eine solche „extraterritoriale“ Sichtweise, die im Rahmen eines internationalen Konflikts unproblematisch ist, auch für einen Konflikt wie den zwischen den USA und Al Quaida anzunehmen ist, scheint weniger klar.22 Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte im Zusammenhang mit den US-amerikanischen Gefangenen in Guantánamo Bay eine – nicht unumstrittene – Interpretation unterstützt, nach welcher der Gemeinsame Artikel 3 der Genfer Konventionen , der die Mindeststandards menschlicher Behandlung im nicht-internationalen Konflikt 17 EGMR Entsch. v. 24.2.2005 – Isayeva u.a. gegen Russland, näher Johann, in: Karpenstein/Mayer (Hrsg.), EMRK- Kommentar, München: Beck 2012, Art. 15, Rdnr. 7 sowie Salomon, Tim René, Die Anwendung von Menschenrechten im bewafneten Konflikt, in: Archiv des Völkerrechts (AVR) 2015, S. 322-359 (332 ff.). Zur Extaterritorialen Anwendung der Menschenrechte vgl. Oberleitner, Gerd, Human Rights in Armed Conflicts, Cambridge Univ. 2015, S. 144 ff. 18 Daskal, The Geography of the Battlefield, a.a.O. (Anm. 16), S. 1206 f. 19 So etwa für den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Art. 1 ZP II („Konflikte, die im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei (…) stattfinden“) sowie der gemeinsame Artikel 3 der Genfer Konventionen. 20 Näher Schöberl, a.a.O. (Anm. 3), HuV-I 2012, S. 132 mit weiteren Nachweisen in Fn. 36. 21 Schöberl, a.a.O. (Anm. 3), HuV-I 2012, S. 132, 134. 22 Zum Begriff des „illegalen Kämpfers“ vgl. Groeben v.d., Constantin, Transnational Conflicts and International Law, Köln 2014, S. 45 ff.; Gasser, Hans-Peter, Humanitäres Völkerrecht, Baden-Baden: Nomos 2007, S. 79 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 9 regelt, entgegen seinem Wortlaut keiner territorialen Beschränkung unterworfen sein soll, um Gefangene unabhängig vom Ort ihrer Gefangennahme zu schützen.23 Die Diskussion um die territoriale Beschränkung des gemeinsamen Art. 3 GK ist Teil einer grundlegenden Debatte über die rechtliche Bewertung des (staatlichen) Gewalteinsatzes gegen nichtstaatliche Akteure außerhalb des staatlichen Territoriums bzw. außerhalb der Kernzone des bewaffneten Konflikts.24 5. Facetten einer „Geographie des Schlachtfeldes“ Eine systematische Befassung mit der räumlichen Ausdehnung des Gebietes (nichtinternationaler ) bewaffneter Konflikte und somit dem geographischen Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts fehlt bislang in der Fachliteratur. Allerdings scheint die Thematik einer eindeutigen abstrakt-generellen Regelung auch kaum zugänglich. Vielmehr muss die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts in der Praxis für jeden Einzelfall begründet werden. Dabei bestehen (noch) zahlreiche ungeklärte Einzelfragen. In Teilen der (amerikanischen) Literatur beginnen sich Facetten einer „Geographie des Schlachtfeldes“ (geography of the battlefield) zu entwickeln,25 die im Folgenden ansatzweise dargestellt und im Lichte konkreter Fallkonstellationen diskutiert werden sollen. 23 Der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen lautet: „Im Falle eines bewaffneten Konflikts, der (…) auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht (…).“ Über die „territoriale Formulierung“ dieses Artikels käme man hinweg, wenn man die Betonung nicht auf das Wort „Gebiet“, sondern auf die „Hohen Vertragsparteien “ legt. Angesichts der (fast) universellen Geltung der Genfer Konventionen (Ratifikation durch 194 Staaten) würde man praktisch zu einer universellen Anwendbarkeit des Art. 3 GK gelangen. Vgl. zur Diskussion Schöberl, a.a.O. (Anm. 3), HuV-I 2012, S. 136; Groeben v.d., Constantin, Transnational Conflicts and International Law, Köln 2014, S. 72 f. 24 Die englischsprachige Literatur spricht von der „zone of active hostilities“ oder dem “hot-battlefield“. Vgl. zum Ganzen Lubell, Noam, Extraterritorial Use of Force Against Non-State Actors, Oxford 2010, S. 100. 25 Daskal, Jennifer C., ‘The Geography of the Battlefield: A Framework for Detention and Targeting Outside the ‘‘Hot’’ Conflict Zone’, in: University of Pennsylvania Law Review 161 (2013), S. 1165-1234, verfügbar unter http://digitalcommons.wcl.american.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1252&context=facsch_lawrev; Blank, Laurie R., ‘Defining the Battlefield in Contemporary Conflict and Counter-Terrorism: Understanding the Parameters of the Zone of Combat’, in: Georgia Journal of International and Comparative Law 39 (2010), S. 1-38, verfügbar unter http://digitalcommons.law.uga.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1028&context=gjicl; Lubell, Noam / Derejko, Nathan, A Global Battlefield? Drones and the geographical scope of armed conflict, in: Journal of International Criminal Justice (JICJ) 11 (2013), S. 65-88, verfügbar unter http://jicj.oxfordjournals.org/content/11/1/65.full.pdf+html. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 10 5.1. Globales Schlachtfeld Ein räumlich entgrenztes Verständnis des humanitären Völkerrechts findet sich tendenziell in Stellungnahmen der Obama-Administration.26 Die US-amerikanische Regierung sieht sich wie erwähnt seit den Attentaten vom 9. September 2001 in einem weltweiten Krieg gegen den Terror („Global War on Terror“), der sie berechtige, nichtstaatliche Gewaltakteure (Terroristen) prinzipiell dort zu bekämpfen, wo diese sich gerade aufhalten bzw. von wo aus sie operieren. Das deutsche Völkerrechtsverständnis ist der Rhetorik eines „Krieges gegen den Terror“ und der damit einhergehenden Vorstellung eines „globalen Schlachtfeldes“ stets entgegengetreten. Ein weltweiter „Krieg gegen den Terrorismus“ würde alle Staaten, in denen sich möglicherweise Terroristen aufhielten, betreffen, ganz unabhängig davon, ob sie sich tatsächlich in einem bewaffneten Konflikt mit der kriegsführenden Partei (den USA) befänden. Der gesamte Globus würde damit zum Schlachtfeld ohne Grenzen und das klassische Verständnis des bewaffneten Konflikts mit seiner territorialen Anknüpfung27 und damit zugleich Begrenzung seiner bändigenden und humanisierenden Komponente beraubt.28 Während die USA auch die Tötung von Al Quaida-Kämpfern im Jemen29 als Teil des Afghanistan -Konflikts rechtfertigen,30 stellte sich der Generalbundesanwalt in seinem Einstellungsvermerk vom 20. Juni 2013 betreffend den Drohneneinsatz vom 4. Oktober 2010 in Mir Ali / Pakistan 31 auf den Standpunkt, Drohnen dürften nur im Rahmen des bewaffneten Konflikts zur Tötung 26 Vgl. z.B. Harold Koh, The Obama Administration and International Law, Remarks at the Annual Meeting of the ASIL, 25.3.2010, www.state.gov/s/l/releases/remarks/139119.htm). In diesem Sinne aber auch die Entscheidung des U.S.-Supreme Court vom 29. 6. 2006 im Fall Salim Ahmed Hamdan v. Donald H. Rumsfeld, (http://www.supremecourt.gov/opinions/05pdf/05-184.pdf) insbesondere die abw. Meinung von Richter Thomas, der das Vorliegen des Konflikts im Hoheitsgebiet von mehr als einer Partei unterstreicht, genauer gesagt „in various nations around the globe.“ Eine Darstellung der jüngeren Praxis der USA einschließlich der rechtlichen Argumentation findet sich bei Daskal, The Geography of the Battlefield, a.a.O. (Anm. 16), S. 1198 ff. 27 Zusatzprotokoll II, das den nicht-internationalen bewaffneten Konflikt regelt, erfasst Konflikthandlungen, die „im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei zwischen deren Streitkräften und anderen organisierten bewaffneten Gruppen“ stattfinden. 28 Ambos, Kai / Alkatout, Josef, Der Gerechtigkeit einen Dienst erwiesen? Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Tötung Osama bin Ladens, in: JZ 2011, S. 758-764, http://www.department-ambos.unigoettingen .de/data/documents/Veroeffentlichungen/epapers/DerGerechtigkeiteinenDiensterwiesen.pdf; Löffelmann, Markus, Der Einsatz von Kampfdrohnen zur Terrorismusbekämpfung im Schnittpunkt von humanitärem Völkerecht und Menschenrechtsstandards, in: Kritische Justiz 2013 (Heft 4), S. 372-381 (373 f.), S. 374. 29 Auch schon in den (vergleichsweise „friedlichen“) Jahren vor dem neuerlichen jemenitischen Bürgerkrieg (seit 2013) und der saudisch-arabischen Intervention im Jemen (seit 2015). 30 Vgl. John O. Brennan, Assistant to the President for Homeland Security, Remarks at the program on law and security, Harvard Law School: “Strengthening our Security by adhering to our values and law” v. 16.9.2011, zitiert bei Groeben v.d., Constantin, Transnational Conflicts and International Law, Köln 2014, S. 76. Zu den Drohnenangriffen im Jemen vgl. http://www.longwarjournal.org/multimedia/Yemen/code/Yemen-strike.php. 31 https://www.generalbundesanwalt.de/docs/drohneneinsatz_vom_04oktober2010_mir_ali_pakistan.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 11 von vermeintlichen Kämpfern eingesetzt werden. In der Verfügung des Generalbundesanwaltes heißt es: „Ein Rückgriff auf die unter US-Präsident George W. Bush entwickelte „War-On-Terror- Doktrin“, wonach sich die USA in einem weltweiten Krieg gegen den Terrorismus befänden („Global War On Terrorism“) und daher die Regeln des bewaffneten Konflikts ohne jede räumliche Beschränkung für alle Operationen mit dieser Zielsetzung gelten würden, ist im vorliegenden Verfahren weder angezeigt noch erforderlich. Gegen die Sichtweise dieser Doktrin ist jedenfalls einzuwenden, dass eine solche blankettartige Rechtfertigung zur Kriegsführung der Grundintention des humanitären Völkerrechts zuwiderliefe, den Krieg als solchen, die Methoden seiner Führung und den Kreis der Betroffenen soweit wie möglich einzugrenzen. Aus diesem Grund wird die „War-On-Terror-Doktrin“ von der Völkerrechtswissenschaft ganz überwiegend abgelehnt und kann jedenfalls nicht als völkergewohnheitsrechtlich anerkannt angesehen werden. Die Anwendung des Konfliktvölkerrechts mit seinen speziellen Verboten, aber auch Ermächtigungen bleibt nach geltendem Völkerrecht in seiner räumlichen Ausdehnung auf tatsächliche Kriegsgebiete begrenzt.“ Diese Auffassung wird im Kern mittlerweile sogar in der amerikanischen Völkerrechtsliteratur geteilt. So heißt es in einem Beitrag von Lubell /Derejko zum räumlichen Bereich bewaffneter Konflikte: “IHL is not in and of itself pre-determined as applying to a limited geographical scope, and its applicability is designed to follow the prevailing hostilities wherever they may spread, rather than vice versa”.32 Mit seinen Presidential Policy Guidance33 vom Mai 2013 ist Präsident Obama zu einem differenzierten Targeting-Prozess bei Drohneneinsätzen übergegangen. Eine grundsätzliche Abkehr von der Vorstellung eines „globalen Schlachtfeldes“ lässt sich darin jedoch nicht erkennen. 5.2. Territorialer „spill-over“-Effekt Bewaffnete Konflikte – vor allem wenn sie zunehmend transnationalen Charakter annehmen – lassen sich nicht an einer exakten Linie oder Staatsgrenze festmachen. In der Völkerrechtsliteratur wird in diesem Zusammenhang die These vom „Überschwappen“ des bewaffneten Konflikts in die grenznachbarlichen Regionen („spill-over-effect“) diskutiert.34 32 Lubell / Derejko, A Global Battlefield?, a.a.O. (Anm. 25), S. 88. 33 U.S. Policy Standards and Procedures for the Use of Force in Counterterrorism Operations Outside the United States and Areas of Active Hostilities vom 22. Mai 2013 https://www.whitehouse.gov/the-pressoffice /2013/05/23/fact-sheet-us-policy-standards-and-procedures-use-force-counterterrorism. 34 So etwa Ambos / Alkatout, a.a.O. (Anm. 28), S. 759, 762. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 12 Ein solcher „spill-over“ kann durch aktive Kampfhandlungen ebenso ausgelöst werden wie durch die Nutzung des benachbarten Staatsgebietes als Rückzugsraum.35 Bei einem solchen spillover -effect handelt es sich jedoch immer nur um eine extraterritoriale Ausdehnung des ursprünglich territorial begrenzten Konflikts. Der spill-over-effect ist also stets auf den ursprünglichen , territorial begrenzten Konflikt zurückzuführen und muss zu diesem einen gewissen Bezug aufweisen. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda „reklamiert“ einen „spill-over“- Effekt, wenn es zur Zuständigkeit des Gerichts in Art. 1 ausführt: „The International Tribunal for Rwanda shall have the power to prosecute Rwandan citizens responsible for such violations of international humanitarian law committed in the territory of neighboring States.“ Doch letztlich bleiben geographische Kriterien unscharf, wenn es praktisch etwa darum geht, ein Trainingslager der Taliban im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und damit eine „Grauzone “ von 20, 100 oder 200 km (?) auf pakistanischer Seite noch als zugehörig zum bewaffneten Konflikt mit den Taliban in Afghanistan zu bezeichnen. Fraglich wäre dann auch, ob und inwieweit ein afghanischer Taliban beim Rückzug in ein Trainingscamp im „befriedeten“ Teil Pakistans seinen Status als Kämpfer quasi „mitnimmt“ und dort legitimes Ziel für Drohnenangriffe sein kann.36 Die Frage nach der Anwendung des humanitären Völkerrechts (und damit der Rechtmäßigkeit einer Tötung) stellte sich etwa bei der Tötung Osama Bin Ladens durch U.S.-amerikanische Spezialeinheiten im pakistanischen Abbottabad im Mai 2011.37 Noch schwerer wird es, das Territorium eines bewaffneten Konflikts mit der gehörigen juristischen Trennschärfe zu definieren, wenn etwa Drohnenangriffe im Rahmen einer asymmetrisch geführten Auseinandersetzung von fernen Kommandozentralen aus gesteuert werden. Spätestens dann, wenn eine unmittelbare Teilnahme an den Feindseligkeiten nur noch via High- Tech möglich erscheint, wird man kaum mehr von einem räumlichen Bezug zum bewaffneten Konflikt sprechen können. 35 So geht das amerikanische Rechtsverständnis von einem „Überschwappen“ des andauernden afghanischen Konflikts (– U.S.A. und Verbündete gegen Taliban/Al-Qaida –) auf pakistanisches Hoheitsgebiet aus, womit zugleich der „Krieg“ gegen die Taliban/Al-Qaida auf Pakistan ausgedehnt worden sei. 36 Dies ist tendenziell abzulehnen, da der Taliban-Kämpfer ersichtlich nicht mehr unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnimmt (Art. 13 Abs. 3 ZP II); vgl. zur Problematik näher Schaller, SWP-Studie 2007, S. 18, a.a.O. (Anm. 12). 37 Kritisch insoweit Groeben v.d., Constantin, Transnational Conflicts and International Law, Köln 2014, S. 130 f.; ausführlich Ambos /Alkatout, a.a.O. (Anm. 28), S. 758-764. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 13 Erinnert sei hier an den Fall des 2015 vom OLG Stuttgart wegen Kriegsverbrechen verurteilten ruandischen Hutu-Milizchef Ignace Murwanashyaka, der von Deutschland aus die Rebellen der Forces Démocratiques de Libération via Skype und Satellitentelefon bei ihren Operationen in der DR-Kongo befehligte.38 5.3. Abstufung von Kampf- und Konfliktzonen Diskutiert wird in der amerikanischen Völkerrechtsliteratur überdies ein „Abschichten“ nach unterschiedlichen Zonen mit entsprechenden prozeduralen und substantiellen Standards für die Festnahme („law-of-war detention“) oder das lethal targeting.39 Die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle nehmen selbst eine (verbale) Abstufung verschiedener (Kampf-)Zonen vor, so etwa in Art. 15 GK I („Schlachtfeld“, battlefield), in Art. 19 GK III oder etwa in Art. 5 Abs. 2 c) ZP II („Kampfzone“, combat zone). Wann und wo jedoch der Übergang von einer aktiven Kampfzone (zone of active hostilities) zu einer (bloß) latenten Konfliktzone (latent conflict zone) stattfindet , in der andere rechtliche Standards für Festnahmen und Tötungen gelten sollen, bleibt vage. 5.4. Personeller Zusammenhang zum bewaffneten Konflikt Geographische Kriterien zur Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs des humanitären Völkerrechts werden in Literatur und Rechtsprechung aus den genannten Gründen zunehmend in Frage gestellt. In den Vordergrund der Betrachtung rückt vielmehr die personelle Beziehung (des Handelnden) zum bewaffneten Konflikt40 – ein Ansatz, der auch im 2. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen Niederschlag findet.41 38 Vgl. zum Kriegsverbrecherprozess vor dem OLG Stuttgart (Urt. v. 28.09.2015, Az. 3 StE 6/10) gegen den von Mannheim aus operierenden Ignace Murwanashyaka: http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/olg-stuttgarturteil -3-ste-6-10-ruanda-voelkerkriegsrecht-buergerkrieg/ sowie die Beiträge von Böhm/Denso in: ZEIT online v. 28.4.2011, „Der Milizenchef aus Mannheim“, http://www.zeit.de/2011/18/DOS-Kongo sowie „Terror im Ostkongo - Die Befehle kommen aus Deutschland“, http://www.taz.de/!5154661/. 39 Näher Daskal, The Geography of the Battlefield, a.a.O. (Anm. 16), S. 1202 ff. 40 Lubell / Derejko, A Global Battlefield?, a.a.O. (Anm. 25), S. 65-88 (75); ebenso Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols, ICRC, Genf 1987, S. 1360: “The applicability of the Protocol follows from a criteria related to persons, and not to places”. 41 Art. 2 Abs. 1 ZP II lautet: „Dieses Protokoll findet (…) auf alle Personen Anwendung, die von einem bewaffneten Konflikt i.S.d. Art. 1 betroffen sind“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 14 Einen „personalisierten“, d.h. nicht notwendig geographischen Zusammenhang zum bewaffneten Konflikt legt die Rechtsprechung des International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY) zugrunde. Im Fall Ankläger gegen Duško Tadić vom 2. Oktober 199542 interpretierte das Gericht den Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts weit und qualifiziert eine Straftat dann als Kriegsverbrechen, wenn diese in einem engen (aber nicht notwendig geographischen oder zeitlichen) Zusammenhang zum bewaffneten Konflikt steht („closely related to the hostilities “). Das Gericht hielt grundsätzlich fest, dass in beiden Fällen humanitäres Völkerrecht auch außerhalb der genauen Zeit und des Ortes von Feindseligkeiten anwendbar ist. Für den internationalen bewaffneten Konflikt stellte die Kammer fest, dass die Genfer Abkommen zwar keine Aussage über ihren geographischen Anwendungsbereich machen, zumindest einige ihrer Bestimmungen jedoch unabhängig vom Vorliegen von Feindseligkeiten im gesamten Staatsgebiet anwendbar sein müssen. Ausdrücklich nannte das Gericht die Regeln zum Schutz von Kriegsgefangenen und Zivilpersonen, die nicht nur in Nähe der Kampfhandlungen anwendbar seien. Es sei ausreichend , dass die vermeintlichen Verbrechen, über die das Gericht zu entscheiden hatte, in einer engen Beziehung zu den Feindseligkeiten in anderen Gebieten standen, die unter der Kontrolle der Kriegsparteien waren. In der Entscheidung (para. 67-70) heißt es: “The definition of ‘armed conflict’ varies depending on whether the hostilities are international or internal but, contrary to Appellant’s contention, the temporal and geographical scope of both internal and international armed conflicts extends beyond the exact time and place of hostilities. (…) Although the Geneva Conventions are silent as to the geographical scope of international ‘armed conflicts’, the provisions suggest that at least some of the provisions of the Conventions apply to the entire territory of the Parties to the conflict, not just to the vicinity of actual hostilities. Certainly, some of the provisions are clearly bound up with the hostilities and the geographical scope of those provisions should be so limited. Others, particularly those relating to the protection of prisoners of war and civilians, are not so limited (…) [W]e find that an armed conflict exists whenever there is a resort to armed force between States or protracted armed violence between governmental authorities and organized armed groups or between such groups within a State (…) 42 ICTY, Appeals Chamber, Prosecutor v. Duško Tadić, IT-94- 1-AR72, Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, http://www.icty.org/x/cases/tadic/acdec/en/51002.htm. Die Entscheidung wurde in der Literatur weitgehend begrüßt – vgl. etwa Marco Sassòli, La Première Décision de la Chambre d’Appel du Tribunal Pénal International pour l’Ex-Yougoslavie: Tadić (Compétence), in : Revue générale de droit international public (RGDIP) 1996, S. 115. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 15 (…) International humanitarian law applies from the initiation of such armed conflicts and extends beyond the cessation of hostilities until a general conclusion of peace is reached; or, in the case of internal conflicts, a peaceful settlement is achieved. Until that moment, international humanitarian law continues to apply in the whole territory of the warring States or, in the case of internal conflicts, the whole territory under the control of a party, whether or not actual combat takes place there.“ 6. Resumee Für den internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Staaten ergeben sich prinzipiell keine geographischen Beschränkungen des Anwendungsbereichs des humanitären Völkerrechts . Eine teleologische Auslegung der Genfer Konventionen spricht dafür, dass diese überall dort anwendbar sind, wo es humanitäre Folgen eines bewaffneten Konfliktes zu regulieren gilt – insbesondere im Interesse der Opfer dieses Konfliktes. Vor allem die Regeln zum Schutz von Kriegsgefangenen und Zivilpersonen sind nach der Rechtsprechung des Jugoslawientribunals nicht nur in der Nähe von Kampfhandlungen anwendbar, sondern im ganzen Staatsgebiet bzw. in dem (ggf. auch grenzüberschreitenden) Gebiet, das unter der Kontrolle der Konfliktparteien steht – unabhängig vom Vorliegen konkreter Feindseligkeiten. Zahlreiche ungeklärte Fragen wirft dagegen die Kategorie des nicht-internationalen, transnationalen und asymmetrischen bewaffneten Konflikts auf, der sich als typische Konfliktform des 21. Jahrhunderts und insbesondere im Zusammenhang mit dem sog. „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ weiter ausdifferenziert (z.B. durch den Einsatz von Drohnen). Eine geographische Eingrenzung des Schlachtfeldes des nicht-internationalen Konflikts ist durch die einschlägigen Vorschriften des humanitären Völkerrechts indiziert. Gleichwohl lassen sich transnationale Konflikte nicht an einer exakten Linie oder Staatsgrenze festmachen . Die in der Literatur diskutierte These vom „spill-over-effect“ – gemeint ist ein „Überschwappen“ des bewaffneten Konflikts in die grenznachbarlichen Regionen infolge von aktiven Kampfhandlungen oder durch Nutzung des benachbarten Staatsgebietes als Rückzugsraum – schafft im Einzelfall neue Grauzonen und lässt sich geographisch auch nicht beliebig ausdehnen. Eine „Geographie des Schlachtfeldes“ vermag Zonen unterschiedlicher Aktivität und Intensität (Kampf- und Konfliktzonen) zu identifizieren – entbindet aber nicht von der Schwierigkeit, die Anwendung des humanitären Völkerrechts im konkreten Einzelfall zu klären. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 016/16 Seite 16 Für den Bereich des internationalen Strafrechts definiert die Rechtsprechung des Jugoslawientribunals den Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts weit und qualifiziert eine Straftat dann als Kriegsverbrechen, wenn diese in einem engen (aber nicht notwendig geographischen oder zeitlichen) Zusammenhang zum bewaffneten Konflikt steht („closely related to the hostilities“). Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf Maßnahmen (insb. Drohneneinsätze ) gegen nicht-staatliche Akteure jenseits der eigentlichen Kampfzone (zone of active hostilities, „hot“-battlefield) bzw. außerhalb bewaffneter Konflikt bleibt umstritten. Hier stehen sich eine tendenziell weite Auffassung der US-amerikanischen Administration und ein eher territorial beschränkendes Verständnis der deutschen Völkerrechtswissenschaft und Justiz gegenüber. Der Vorstellung eines „globalen Schlachtfeldes“ widerspricht der Grundintention des humanitären Völkerrechts, den Krieg als solchen, die Methoden seiner Führung und den Kreis der Betroffenen soweit wie möglich einzugrenzen. Ende der Bearbeitung