© 2021 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 015/21 Xi Jinping und das Verhältnis der Volksrepublik China zu Taiwan Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 2 Xi Jinping und das Verhältnis der Volksrepublik China zu Taiwan Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 015/21 Abschluss der Arbeit: 15. März 2021 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Taiwan und China: vom 17. Jahrhundert bis 1949 4 3. Zwei Chinas: Taiwan und die Volksrepublik 6 4. Machtzuwachs Xi Jinpings 8 5. Xi Jinping und die Taiwan-Frage 9 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 4 1. Einleitung Dieser Sachstand befasst sich mit der Entwicklung des Verhältnisses zwischen der Volksrepublik China und Taiwan seit der Aufhebung der Amtszeitbegrenzung des Präsidenten der Volksrepublik im Jahre 2018. Auf einen knappen Abriss der Historie folgt eine kurze Darstellung der Entwicklungen , die zur Aufhebung der Amtszeitbegrenzung und somit zu einem deutlichen Machtzuwachs für den chinesischen Präsidenten Xi Jinping geführt haben. Sodann wird untersucht, ob sich dieser Machtzuwachs auf das Gebahren der Volksrepublik gegenüber Taiwan auswirkt. 2. Taiwan und China: vom 17. Jahrhundert bis 19491 Anders als der größte Teil des Territoriums der heutigen Volksrepublik China war die Insel Taiwan über Jahrhunderte nicht Teil des Kaiserreichs China. Zwar wurden die auf der Insel lebenden Ethnien2 von China zumeist als tributpflichtig3 betrachtet, die tatsächliche Oberhoheit übte das Reich jedoch nicht aus. Mehrere Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts lang gehörten Teile Taiwans (damals in Europa als Formosa bekannt) zu den spanischen und niederländischen Kolonialreichen und lieferten diesen den zur Schießpulverherstellung wichtigen Schwefel, der auch in China begehrt war. Im Jahre 1683 wurden Teile der Insel unter die direkte Kontrolle der Qing- Dynastie4 gebracht, aber die Auswanderung von Han-Chinesen nach Taiwan war bis Ende des 18. Jahrhunderts verboten oder streng kontrolliert. Erst danach begann ein mehr oder weniger stetiger Zuzug von Han auf die Insel, deren Ureinwohner immer mehr marginalisiert wurden. Erst 1885 erklärte der Kaiser Taiwan zur 22. Provinz des Reiches. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Bevölkerung der Insel schon zum größten Teil aus ursprünglich vom Festland stammenden Chinesen . Schon 1895 verlor China Taiwan an Japan, nachdem dieses im Ersten Chinesisch-japanischen Krieg gesiegt hatte. Im Vertrag von Shimonoseki trat die Qing-Dynastie Taiwan „auf ewig“ 1 Sofern nicht durch Fußnote anders vermerkt, entstammen alle Informationen dieses Abschnittes aus: Lauren Mack, A Brief History of Taiwan, ThoughtCo am 11. Februar 2019, https://www.thoughtco.com/brief-history-oftaiwan -688021 (zuletzt abgerufen am 10. Februar 2021). 2 Die Ureinwohner Taiwans gehören zu den Austronesiern, einer sehr großen Gruppe verschiedener Ethnien, zu der z.B. auch die Polynesier, die meisten ethnischen Gruppen im heutigen Indonesien, den Philippinen und Malaysia, die Maori und die Madagassen gehören. Taiwan gilt als Ausgangspunkt der austronesischen Besiedlung des Indopazifiks. Von der Insel aus besiedelten die Austronesier ab ca. 3000 v. Chr. zunächst Inselsüdostasien , dann mittels hochseetauglicher Schiffe ein Gebiet, das von Madagaskar im Westen bis zur Osterinsel im Süden, Hawaii im Norden und Neuseeland im Süden reicht (ausgenommen Australien). Im heutigen Taiwan machen die Ureinwohner mit ihren insgesamt neun Ethnien nur noch weniger als drei Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die Volksrepublik China zählt sie offiziell zu den 56 nationalen Minderheiten Chinas. Siehe Grant Wyeth, Taiwan and the Pacific: One Big, Happy Austronesian Family, The Diplomat am 9. Januar 2019, https://thediplomat.com/2019/01/taiwan-and-the-pacific-one-big-happy-austronesian-family/ (zuletzt abgerufen am 4. März 2021) sowie 3 Für Hintergrundinformationen zur traditionellen chinesischen Weltsicht und dem Tributsystem des chinesischen Kaiserreiches siehe Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, China und Südostasien, S.5-6, WD-2-3000-097/18, 25. Oktober 2018, https://www.bundestag.de/resource /blob/586140/d56bca0da18c2d75717865141e3d5c8b/WD-2-097-18-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 23. Februar 2021) 4 Die ursprünglich mandschurische (nicht chinesische) Qing-Dynastie herrschte von 1644 bis 1912 über China. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 5 an Japan ab. Tatsächlich sollte Japan die Insel bis zu seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg kontrollieren. Zum Zeitpunkt der Kapitulation Japans, die mit dem Verlust sämtlicher seit dem 19. Jahrhundert vom Japanischen Kaiserreich eroberten chinesischen Gebiete sowie seiner Kolonien Korea und der Mandschurei einherging, war China kein Kaiserreich mehr. Der letzte Kaiser von China (Puyi) hatte im Jahre 1912 abgedankt und in China war die Republik ausgerufen worden. Die junge Republik China war jedoch von starken inneren Konflikten geprägt . Schon vor dem Zweiten Chinesisch-Japanischen Krieg herrschte Bürgerkrieg zwischen der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) und den nationalistischen Parteien, unter denen die Kuomintang (Nationale Volkspartei Chinas) die größte war. Mit dem Angriff und der Besatzung durch Japan war dieser Bürgerkrieg nur unterbrochen worden, brach aber nach der japanischen Niederlage wieder aus. Die Regierung der Republik unter Führung von General Chiang Kai-shek verlegte ihren Sitz infolge des Krieges mit den Kommunisten unter Führung Mao Zedongs mehrfach und, nachdem der Sieg der kommunistischen „Volksbefreiungsarmee“ sich abzeichnete, nach Taipei auf der Insel Taiwan. Mit der Kuomintang flüchteten auch 2 Mio. Menschen vom Festland nach Taiwan. Auf dem Festland rief die KPC im Jahre 1949 die Volksrepublik China aus. Seither betrachtet Taiwan sich formell als Republik China und erhebt auch formell Anspruch auf sämtliche Gebiete Chinas.5 Die Volksrepublik wiederum betrachtet sich selbst als Rechtsnachfolgerin einer aus ihrer Sicht untergegangenen Republik China und Taiwan als abtrünnige Provinz. Die Prämisse, auf der nicht nur die Sicht der Volksrepublik auf Taiwan, sondern auch auf Hongkong, Macau, und im weiteren Sinne ihre gesamten offiziellen diplomatischen Beziehungen beruhen, ist der Grundsatz Ein China.6 Dieser schließt aus Sicht der VR China Lesarten wie „eine Nation, zwei Staaten“ aus. Allerdings vertritt die VR China (zumindest offiziell) nicht den Standpunkt, dass China zwangsläufig identisch mit der Volksrepublik sein muss. Die offizielle Anerkennung des Grundsatzes Ein China (oft auch einfach „Ein-China-Politik“ genannt) durch einen Staat ist Voraussetzung für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der VR China. Es kann also kein Land offizielle diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik und Taiwan unterhalten. Dennoch ist Taiwan diplomatisch keineswegs isoliert, da es über Handelsvertretungen sehr wohl über ein großes Netzwerk inoffizieller, „quasi-diplomatischer“ Vertretungen verfügt. 5 Dessenungeachtet gab und gibt es in Taiwan auch Stimmen, die Taiwan als unabhängig betrachten, d.h. nicht als China und dementsprechend auch keinen Anspruch auf Territorien auf dem Festland erheben. Ausführungen zu diesem mit völkerrechtlichen Argumentationen geführten Streit und ihrer Bedeutung für die taiwanesische Innenpolitik würden hier jedoch den Rahmen sprengen. 6 Zur Ein-China-Politik siehe Bates Gill, The Meaning of „One China“, Brookings Institute am 2. März 2000, https://www.brookings.edu/opinions/the-meaning-of-one-china/ (zuletzt abgerufen am 11. März 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 6 3. Zwei Chinas: Taiwan und die Volksrepublik7 Bis 1971 wurde die Republik China auch von den meisten Staaten (jedoch nicht von den sozialistischen ) als legitime Vertretung Chinas anerkannt, war Vollmitglied der Vereinten Nationen und hatte auch den Sitz Chinas im Weltsicherheitsrat inne. Als sich abzeichnete, dass die Mehrheit der Mitgliedstaaten der VN die Volksrepublik als Vollmitglied und Vertreter von China anerkennen würde, verließ Taiwan die VN. Mit der Resolution 2758 der Vollversammlung der VN wurden „die Repräsentanten Chiang Kai-sheks“ (d.h. die Republik China) kurz darauf von den VN ausgeschlossen und die Volksrepublik übernahm die Sitze Chinas in der Vollversammlung und im Weltsicherheitsrat. Die Vereinigten Staaten erkannten Taiwan noch bis 1979 als Alleinvertretung Chinas an, änderten ihre Position jedoch dann, weil sie angesichts der Stärke der Volksrepublik und den Bemühungen um eine Annäherung der Machtblöcke des Kalten Krieges realpolitisch unhaltbar geworden war. Mit dem Ende der Anerkennung der Republik China endete auch der mit ihr in den 1940er Jahren geschlossene militärische Beistandspakt. Allerdings verabschiedete der US-Kongress nahezu zeitgleich zur Anerkennung der Volksrepublik auch den Taiwan Relations Act. Dieser „autorisiert die Fortsetzung von Handels-, Kultur- und anderen Beziehungen zwischen dem Volk der Vereinigten Staaten und dem Volk Taiwans“, und zwar „um die Beibehaltung von Frieden , Sicherheit und Stabilität im Westpazifik zu unterstützen“.8 Der Taiwan Relations Act bildet bis heute nicht nur die Grundlage der de facto bestehenden diplomatischen Beziehungen zu den USA, sondern auch einer de facto bestehenden militärischen Zusammenarbeit. Er autorisiert die Regierung der USA z.B. explizit zum Verkauf von Verteidigungswaffen an Taiwan. Bei der Betrachtung des Verhältnisses zwischen der Volksrepublik China und Taiwan müssen daher auch immer die Verhältnisse beider zu den USA und die aktuellen Interessen der USA in der Region betrachtet werden. Die internationale Isolation führte dazu, dass die KMT-Regierung in den 1980er Jahren vorsichtige demokratische Reformen einleitete. Die Regierung erhoffte sich dadurch größere internationale Anerkennung insbesondere durch die demokratischen Staaten. Die Ein-China-Rhetorik der taiwanischen Regierung wurde deutlich gemildert, und die Politik unternahm Anstrengungen, Taiwan zu „taiwanisieren“, also z.B. Bezeichnungen wie „chinesisch“ oder „von China“ aus den 7 Soweit nicht durch Fußnote anderweitig vermerkt, entstammen die Informationen dieses Abschnittes Al Jazeera, Timeline: Taiwan-China relations since 1949, 2018, https://www.aljazeera.com/news/2019/1/3/timeline-taiwan-china-relations-since-1949 (zuletzt abgerufen am 25. Februar 2021). Eine weiterführende Quelle zu den Beziehungen zwischen der VR China und Taiwan sowie die Rolle der Vereinigten Staaten ist Eleanor Albert, China-Taiwan Relations, Council on Foreign Relations, 22. Januar 2020, https://www.cfr.org/backgrounder/china-taiwan-relations (zuletzt abgerufen am 5. März 2021). 8 Im Original: „To help maintain peace, security, and stability in the Western Pacific and to promote the foreign policy of the United States by authorizing the continuation of commercial, cultural, and other relations between the people of the United States and the people on Taiwan, and for other purposes. “ U.S. Congress, H.R.2479 - Taiwan Relations Act, 96th Congress (1979-1980), https://www.congress.gov/bill/96th-congress/housebill /2479/text (zuletzt abgerufen am 16. Februar 2021). Übersetzung durch den Verfasser. Kursiv durch Verfasser . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 7 Namen von Staatsunternehmen zu tilgen. Im Jahre 1987 wurde es Taiwanern zum ersten Mal seit 1949 gestattet, in die Volksrepublik China zu reisen. Im Jahre 1991 beendete die taiwanische Regierung den bis dahin geltenden militärischen Ausnahmezustand . Das seit 1945 geltende Kriegsrecht hatte Taiwan bis dahin faktisch zur Diktatur unter Führung der KMT, durchgesetzt vom Militär, gemacht. Dies bedeutete auch eine unilaterale Beendigung des Kriegszustandes mit der Volksrepublik China und ebnete den Weg zu einer weiteren Entspannung im Verhältnis der beiden Länder. Im Jahre 1993 fanden zum ersten Mal direkte Gespräche zwischen Taiwan und der VR in Singapur statt.9 Diese wurden jedoch 1995 von der Volksrepublik beendet, nachdem der taiwanische Präsident Lee Teng-hui die USA besucht hatte. Im Jahre 1996 hielt Taiwan zum ersten Mal freie und demokratische Präsidentschaftswahlen ab. Die VR China reagierte im Vorfeld mit Raketentests in der Taiwan-Straße. Das Verhältnis entspannte sich wieder, als die Kuomintang bei den Wahlen im Jahre 2000 ihre absolute Mehrheit verloren. In der Folge intensivierte sich der Handel zwischen Taiwan und der VR China. Die Entwicklungen des bilateralen Verhältnisses verschlechterten sich jedoch wieder, als Beijing im Jahre 2005 ein Gesetz verabschiedete, das Taiwan erneut als Teil Chinas definierte und für jeden Versuch der „Sezession“ (also einer Unabhängigkeitserklärung Taiwans) militärische Konsequenzen androht. Taiwan stellt dies vor ein Dilemma: sowohl die Unabhängigkeit (und damit die Aufgabe der Position, ganz China zu repräsentieren) als auch die Weiterverfolgung der Ein-China-Politik bergen das Potenzial eines Angriffs der Volksrepublik. Die bilateralen Verhältnisse verbesserten sich wieder, als im Jahre 2008 der Kuomintang-Politiker Ma Jing-yeou die Präsidentschaftswahlen mit einem chinafreundlichen Programm gewann. Die 1995 ausgesetzten Gespräche wurden wieder aufgenommen. Sie resultierten in einem 2010 verabschiedeten Rahmenvertrag für Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Die Verbesserung des bilateralen Verhältnisses ging 2014 weiter, als es zum ersten Mal offiziell bilaterale Gespräche zwischen Regierungsvertretern gab. Im Jahre 2015 trafen sich die Regierungschefs beider Seiten zum ersten Mal seit dem Krieg zu direkten Gesprächen in Singapur. Obwohl sie keine gemeinsame Erklärung abgaben, schien das Verhältnis beider Länder so gut wie nie seit dem Ende des Krieges. Die Verbesserung des Verhältnisses endete im Januar 2016 abrupt mit der Wahl von Tsai Ingwen zur Präsidentin. Der Wahlsieg der Politikerin der traditionell für eine Unabhängigkeit Taiwans eintretenden Demokratischen Fortschrittspartei wurde auch als Anzeichen eines wachsenden Argwohns der Wählerinnen und Wähler gegen die Entspannungspolitik ihres Amtsvorgängers interpretiert. In ihrer Ansprache nach dem Wahlsieg erklärte Tsai zwar, sie werde für eine Beibehaltung des Status quo und Stabilität in den Beziehungen zwischen VR China und Taiwan 9 Da sich beide Länder nicht formell anerkennen, waren offiziell keine Regierungsvertreter, sondern nur hochrangige Beamte an den Gesprächen beteiligt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 8 eintreten, doch erklärte die Regierung in Beijing am nächsten Tag, dass Frieden „unmöglich“ sei, wenn Taiwan Schritte in Richtung Unabhängigkeit unternehme. Im Juni 2016 beendete die VR alle Regierungskontakte nach Taiwan, nachdem Tsais Regierung dem Drängen der VR, sich öffentlich zum Ein-China-Grundsatz zu bekennen, nicht nachgegeben hatte. Bislang hat diese Situation diese jedoch nicht zu einer Abkehr vom taiwanischen Demokratisierungs - und Selbstbehauptungskurs geführt. Zwar rückt Taiwan bis heute nicht formell vom Anspruch , ganz China zu repräsentieren, ab, doch hat sich seit den demokratischen Reformen ein eher pragmatischer Ansatz durchgesetzt. Ein Beispiel dafür ist die Auflösung der Provinzregierung Taiwan, die formaliter noch bis 2018 die „Provinz Taiwan der Republik China“ regierte. Die demokratischen Reformen selbst können aus heutiger Sicht als geglückt betrachtet werden. Taiwan gilt heute als stabile, pluralistische Demokratie und war laut dem angesehenen Demokratie -Index der Economist Intelligence Unit im Jahre 2020 sogar das demokratischste Land Asiens.10 Es rangierte im globalen Vergleich auf Platz 11, eine deutliche Verbesserung binnen nur eines Jahres. Zum Vergleich: die Volksrepublik China landete auf dem 151. von 167 Plätzen und zählt damit zu den repressivsten und undemokratischsten Systemen der Welt. 4. Machtzuwachs Xi Jinpings Im Jahre 2018 hob der Nationale Volkskongress die seit der Verfassungsreform von 1982 geltende Beschränkung der Amtszeit des Staatspräsidenten der VR auf zwei Wahlperioden auf.11 Darüber hinaus wurden „Die Gedanken Xi Jinpings zum Sozialismus chinesischer Prägung in einer neuen Ära“, eine angeblich auf Xi zurückgehende und schon 2017 von der KPC anerkannte Ideologie in die Staatsverfassung aufgenommen. Allgemein wurden diese Schritte als enormer Machtzuwachs für Xi interpretiert; insbesondere die Erhebung seiner „Gedanken“ in den Verfassungsrang führten zu Vergleichen mit Mao Zedong und dessen massiver Dominanz des politischen Systems Chinas . Über Jahre hatte Xi seine innerparteilichen Kontrahenten erfolgreich kooptiert oder auch - mittels breitangelegter Kampagnen zur Korruptionsbekämpfung in Politik und Wirtschaft - völlig ausgeschaltet .12 Die Aufhebung der Amtszeitbegrenzung blieb zwar nicht ohne (staatlicherseits unterdrückte ) Kritik, doch steht außer Frage, dass Xi Jinping zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit enormer Machtfülle ausgestattet ist. Er ist nicht nur Staatspräsident, sondern auch Vorsitzender der Kommunistischen Partei und Vorsitzender der Militärkommission. Diese drei Posten bekleidete seit den 1990er Jahren stets ein und dieselbe Person, sodass die Amtszeitbegrenzung des Staatspräsidenten (formell ein Staatsamt mit relativ wenigen eigenen Kompetenzen) auch eine 10 Natalie Tso, Taiwan leads Asia in Economist’s democracy index, Radio Taiwan International am 3. Februar 2021, https://en.rti.org.tw/news/view/id/2004785 (zuletzt abgerufen am 12. März 2021). 11 Alle Informationen dieses Abschnittes: BBC am 11. März 2018, China's Xi allowed to remain 'president for life' as term limits removed, https://www.bbc.com/news/world-asia-china-43361276 (zuletzt abgerufen am 25. Februar 2021). 12 Alle Informationen dieses Abschnitts: Chris Buckley und Adam Wu, Ending Term Limits for China’s Xi Is a Big Deal. Here’s Why., New York Times am 10. März 2018, https://www.nytimes .com/2018/03/10/world/asia/china-xi-jinping-term-limit-explainer.html (zuletzt abgerufen am 25. Februar 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 9 Begrenzung der Amtszeiten der beiden anderen Ämter gleichkam. Xis Vorgänger Hu Jintao und Jiang Zemin stellten darum nach etwa zehn Jahren offiziell ihre Wunschnachfolger vor. Xi Jinping verzichtete auf diesen Schritt. Zusammen mit der Aufhebung der Amtszeitbegrenzung wird dies als klares Signal für seinen Willen gewertet, deutlich länger als seine Vorgänger die Macht zu behalten. 5. Xi Jinping und die Taiwan-Frage Xi Jinping gilt in China als Verkörperung des Aufstieges des Landes zu einer Weltmacht. Nicht nur der beispiellos schnelle wirtschaftliche Aufstieg in den letzten 30 Jahren und Projekte wie die Belt-and-Road-Initiative, mit der China sich Weltgeltung verschafft, gehören dazu, sondern auch eine zunehmend aggressivere Haltung in bestimmten Feldern der Außenpolitik.13 Diese sind vor allem Konflikte an den Grenzen Chinas bzw. in von ihm beanspruchten Gebieten des Südchinesischen Meeres. Unter Xi Jinpings Führung hat China z.B. nicht nur ein Urteil des Ständigen Schiedshofes in Den Haag ignoriert, das seinen Anspruch über Inseln und Felsen im Südchinesischen Meer für nichtig erklärt, sondern auf diesen militärische Infrastruktur in verstärktem Tempo ausgebaut, um so Fakten zu schaffen.14 An den Grenzen zu Indien und Bhutan kam es mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen chinesischen und indischen Soldaten, bei denen es auf beiden Seiten Tote gab.15 Mit Australien brach China 2020 einen Handelskonflikt vom Zaun, weil es sich von der Forderung des australischen Premierministers nach einer internationalen Untersuchung des Ursprunges von CoV-19 brüskiert fühlte.16 13 Diese zunehmende Aggressivität äußert sich auch gegenüber westlichen Staaten. Ein rezentes Beispiel ist die Reaktion Chinas auf die gemeinsame Erklärung Kanadas und 57 weiterer Staaten, darunter auch die Bundesrepublik , gegen willkürliche Verhaftungen vom Februar 2021. Obwohl diese Erklärung China nicht ausdrücklich erwähnt, ist sie doch ein Versuch Kanadas, auf China wegen der Verhaftung seiner Staatsbürger Michael Kovrig und Michael Spavor Druck auszuüben. Die Verhaftung beider wird als Vergeltung Chinas für die Festsetzung von Meng Wanzhou durch Kanada interpretiert. Meng, Managerin des Konzerns Huawei, wird von den USA Betrug vorgeworfen; sie darf Vancouver nicht verlassen, bis über ihre Auslieferung entschieden ist. Die Erklärung der 58 Staaten wurde von Chinas Außenministerium mit sehr drastischen Worten zurückgewiesen: sie sei ein „abscheulicher und heuchlerischer Akt“, der „auf die schlimmstmögliche Weise (auf Kanada) zurückfallen“ werde. Hier zeigt sich eine zumindest rhetorische Aggressivität, die ganz bewusst mit diplomatischen Gepflogenheiten bricht, um das neue Selbstbewusstsein Chinas zu demonstrieren. Siehe Leyland Cecco, China lashes out at Canada for signing declaration against arbitrary detention, The Guardian am 18. Februar 2021, https://www.theguardian.com/world/2021/feb/18/china-canada-declaration-arbitrary-detention-foreign-citizens (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2021). 14 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, China und Südostasien, S.9-14, WD-2-3000-097/18, 25. Oktober 2018, https://www.bundestag.de/resource/blob/586140/d56bca0da18c2d75717865141e3d5c8b/WD-2- 097-18-pdf-data.pdf (zuletzt abgerufen am 23. Februar 2021). 15 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Spannungen zwischen Indien und China, Aktueller Begriff Nr. 07/20, 12. Juni 2020, https://www.bundestag.de/resource /blob/700630/dfb9376ce260abd0cc669d75d41d049a/Indien_China_Spannung-data.pdf (zuletzt abgerufen am 23. Februar 2021). 16 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) im Kontext bilateraler Spannungen zwischen den Mitgliedstaaten, WD-2-3000-110/20, 9. Dezember 2020, https://www.bundestag.de/resource/blob/814854/6c3f21fe6a7cbf0d05db450de2ae6997/WD-2-110-20-pdfdata .pdf (zuletzt abgerufen am 23. Februar 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 10 Im Inneren gibt es unter Xi einen deutlichen Aufschwung des Nationalismus.17 Aggressiv nationalistische Rhetorik nimmt dabei die Funktion der in früheren Zeiten vorherrschenden kommunistischen Propaganda ein. Der Nationalismus dient zum einen zur Repression von Dissens im Inneren selbst, etwa, wenn Kritiker/-innen der Informationspolitik in der Covid-Pandemie im Internet von tausenden Hasskommentaren überschüttet und als Verräter/-innen gebrandmarkt werden (was im stark kontrollierten Internet nicht geschehen könnte, wenn es die staatlichen Zensoren nicht bewusst zuließen). Nach außen hin kann er der Regierung als zusätzliches Druckmittel dienen, etwa, wenn sich im Handelsdisput mit Japan der (vorher gezielt angefachte) „Volkszorn “ in Steinwürfen auf Niederlassungen japanischer Unternehmen Bahn bricht, was ebenfalls nicht möglich wäre, wenn es das Regime nicht zuließe. Augenfälligstes Beispiel zur Zeit der Abfassung dieses Sachstandes ist der Versuch Beijings, in Hongkong ein Wahlgesetz durchzusetzen, dass nur noch „patriotischen“ (sprich: Beijing bzw. der Partei loyalen) Hongkongern eine Kandidatur erlaubt.18 Es liegt auf der Hand, dass im Kontext dieser immer offener nationalistischen Innen- sowie aggressiver und hegemonialer auftretenden Außenpolitik Chinas die Taiwan-Frage die bedeutendste ist. Xis Amtsvorgänger Hu Jintao sowie der taiwanische Präsident Ma Ying-jeou (Kuomintang, 2008- 2016) zeichneten für die Phase der weitgehendsten Entspannung im Verhältnis beider Länder verantwortlich.19 Schon gleich zu Beginn von Mas erster Amtsperiode (2008) wurden die „Drei Verbindungen“ aufgebaut, d.h. zum ersten Mal direkte Post-, Flug- und Handelsgütertransport- Darüber hinaus zeigt sich China - dies jedoch gemäß einem schon lange existierenden Muster - gegenüber internationaler Kritik an dem, was es als seine inneren Angelegenheiten begreift, ausgesprochen dünnhäutig. In der ehemaligen britischen Kronkolonie Hongkong betreibt die Zentralregierung aktiv die Unterminierung des Grundsatzes „Ein Land, zwei Systeme“, verfolgt prodemokratische Aktivisten und Aktivistinnen und reagiert auf die internationale Kritik mit scharfen Worten. Ebenso verfährt es hinsichtlich der internationalen Reaktionen auf die Verfolgung der Uighuren in Xinjiang, die zuletzt in einer Resolution des kanadischen Parlamentes vom 22. Februar 2021 als Genozid anerkannt wurde. Siehe The Guardian am 22. Februar 2021, Close loopholes so only 'patriots' can run Hong Kong – Chinese officialhttps://www.theguardian.com/world/2021/feb/22/chinaofficial -hints-at-electoral-reform-to-ensure-patriots-run-hong-kong und Leyland Cecco, Canada votes to recognize China’s treatment of Uighur population as genocide, The Guardian am 22. Februar 2021, https://www.theguardian .com/world/2021/feb/22/canada-china-uighur-muslims-genocide (zuletzt abgerufen am 23. Februar 2021). 17 Die Informationen dieses Abschnittes stammen aus einer Reportage von Chao Deng und Liza Lin, In Xi Jinping’s China, Nationalism Takes a Dark Turn, Wall Street Journal am 22. Oktober 2020, https://www.wsj.com/articles /in-xi-jinpings-china-nationalism-takes-a-dark-turn-11603382993 (zuletzt abgerufen am 5. März 2021). Der Artikel sei dem an der innen- und außenpolitischen Bedeutung des Nationalismus für Xi Jinpings Politik interessierten Leser besonders ans Herz gelegt. 18 Helen Davidson, China unveils Hong Kong electoral changes as it tightens grip on city, Guardian am 5. März 2021, https://www.theguardian.com/world/2021/mar/05/china-unveils-hong-kong-electoral-reform-as-beijingtightens -grip (zuletzt abgerufen am 5. März 2021). 19 Alle Informationen dieses Absatzes, sofern nicht durch Fußnote anderweitig vermerkt: Jin Huang, Xi Jinping’s Taiwan Policy: Boxing Taiwan In with the One-China Framework, in: Taiwan and China: Fitful Embrace, Hrsg.: Lowell Dittmer, University of California Press, 2017, https://www.jstor.org/stable/10.1525/j.ctt1w76wpm.16 (zuletzt abgerufen am 3. März 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 11 verbindungen über die Straße von Taiwan. Zusammen mit dem Rahmenabkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit (Economic Cooperation Framework Agreement, ECFA) bildete sich zwischen der Volksrepublik und Taiwan ein Geflecht wirtschaftlicher Beziehungen. Gleichzeitig war es diese Entspannung, die den Einfluss der USA auf das Verhältnis der beiden Länder deutlich verringerte. Durch das wachsende Einvernehmen zwischen den beiden Regierungen und die getroffenen Abmachungen wurden die USA als Vermittler und Taiwans Beschützer weniger relevant. Sowohl die Volksrepublik als auch Taiwan milderten ihre Rhetorik und setzten auf eine konstruktive und pragmatische Weiterentwicklung ihrer Beziehungen, was auch im Sinne der Regierungen von George W. Bush und Barack Obama war. Die Abmachungen der beiden Regierungen bildeten einen Rahmen für die gegenseitigen Beziehungen , der sich jedoch letztlich als Verengung der Handlungsoptionen Taiwans erweisen sollte. Gerade durch die konstruktive Herangehensweise der Volksrepublik wurde Taiwan enger an die VRC gebunden und gleichzeitig von den USA weiter entfernt. Nach dem Amtsantritt Xi Jinpings veränderten sich die Beziehungen zunächst nicht wesentlich. Die von ihm vorgeschlagene Aufnahme von Beziehungen zwischen den Militärs beider Länder verweigerte sich Taiwan zwar, doch blieb das Verhältnis insgesamt stabil, solange Ma Jing-yeou im Amt blieb. Dennoch unterschied sich Xi Jinpings Rhetorik deutlich von der Hu Jintaos. Schlagworte wie „der Chinesische Traum“ (analog zum American Dream) wurden in den politischen Diskurs gebracht und Konzepte wie „Ein China“ mit zusätzlichen Aspekten (z.B. einer angeblich allen chinesischstämmigen Menschen gemeinen Kultur und Nation, aus der auch eine ihnen allen gemeinsame „Hoffnung für China“ und Bestimmung erwachse) aufgeladen. Die Rhetorik betonte das Verbindende aller Chinesen und ihre angebliche gemeinsame Zukunft, also auch die gemeinsame Zukunft (sprich: Wiedervereinigung) von Volksrepublik und Taiwan. Taiwan wurde gewissermaßen rhetorisch vereinnahmt und als Teil des umfassenden „Chinesischen Traums“ definiert . Exemplarisch für die Taiwanpolitik Xis in seiner ersten Amtszeit sind die vier Punkte, mit denen er im Februar 2014 seine Sicht auf die Beziehungen beider Länder gegenüber einer taiwanischen Delegation erläuterte. Erstens sei eine Wiedervereinigung der gemeinsame Wunsch von Landsleuten auf beiden Seiten („keine Macht kann uns trennen“). Zweitens sei der „Chinesische Traum“ eng mit Taiwans Zukunft verbunden. Vom politischen Rahmen des Ein-China-Konzeptes sowie dem Konsens von 1992 solle dabei nicht abgewichen werden, was auch bedeute, einer so- Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 12 genannten Unabhängigkeit Taiwans entgegenzutreten. Drittens gebe es trotz aller friedlichen Entwicklung auch „politische Störungen“ wie die Sonnenblumenbewegung.20 Viertens gelte es jedoch letztlich, das Gesamtinteresse der „chinesischen Nation“ zu wahren. Tatsächlich führte die von Xi so bezeichnete „politische Störung“ zwei Jahre nach seiner Rede zur Wahlniederlage der VCR-freundlichen Regierung von Ma Jing-yeou, was auch verdeutlichte, dass die Bevölkerung Taiwans gegenüber der Volksrepublik sehr viel misstrauischer ist, als es das politische Tauwetter seit 2008 vermuten ließ. Nach dem Amtsantritt von Tsai Ing-wen zeigte sich die Kehrseite der unter Ma aufgebauten engeren Beziehungen. Die VCR schwenkte wieder auf eine unverhohlen martialische Rhetorik um. Das Konzept „Ein China“ wurde nun wieder mit einer Drohung in Richtung Taiwan verbunden. Nach der Weigerung Tsais, sich zu diesem Konzept zu bekennen, brach China alle Regierungskontakte ab (s.o.). Seither hat sich das Verhältnis sukzessive verschlechtert. Mittlerweile scheint die Gefahr eines Krieges realer als je zuvor. Anzeichen für eine Entspannung gibt es derzeit keine.21 Im Januar 2021 sprach die Regierung der VRC zum ersten Mal explizit von Krieg als zwingender Konsequenz einer Unabhängigkeitserklärung Taiwans.22 Schon ein Jahr zuvor, wohl nicht zufällig wenige Tage nach der Wiederwahl Tsai Ing-wens zur Präsidentin Taiwans, waren Bilder von einer militärischen Übung der Volksbefreiungsarmee an das chinesische Social Network Weibo durchgestochen worden, die offenbar eine Invasion Taiwans vom Süden her zeigten.23 Für das immer offenere martialische Auftreten der VRC dürfte auch ein militärischer Wendepunkt gesorgt haben. Die 2018 zum ersten Mal bekanntgewordene Entwicklung der Raketen CH- AS-X-13, DF-21 und DF-26 ermöglicht es der VRC zum ersten Mal, Flugzeugträger auf große 20 Die Sonnenblumenbewegung ist eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung gegen das Cross-Strait Service Trade Agreement (CSSTA), ein Folgeabkommen zum ECFA. Das von der Kuomintang unterstützte Abkommen erfährt in Taiwan die Ablehnung durch weite Teile der Bevölkerung, die eine Abhängigkeit von der VRC fürchten und im CSSTA ein mögliches Druckmittel Beijings sehen. Die Sonnenblumenbewegung, unterstützt von der Demokratischen Partei (der Partei der späteren Präsidentin Tsai Ing-wen), besetzte im März 2014 wochenlang das taiwanische Parlament (Legislativ-Yuan) sowie Regierungsbüros. Die massiven Proteste verhinderten nicht nur eine Ratifizierung des CSSTA durch den Legislativ-Yuan, sondern führten letztlich zur Abwahl der Kuomintang-Regierung von Ma Jing-yeou. Siehe Jonathan Kaiman, Taiwan protesters to end occupation of legislature , Guardian am 8. April 2014, https://www.theguardian.com/world/2014/apr/08/taiwan-protesters-endoccupation -legislature-china-trade (zuletzt abgerufen am 4. März 2021). 21 Helen Davidson, Tension haunts tiny Taiwanese isles that live in fear of war with China, Guardian am 21. Februar 2021, https://www.theguardian.com/world/2021/feb/21/tension-haunts-tiny-taiwanese-isles-that-live-infear -of-war-with-china (zuletzt abgerufen am 4. März 2021). 22 Tony Munroe und Lew Yun Tian, China toughens its language toward Taiwan, warns independence ‘means war’, Globe and Mail am 28. Januar 2021, https://www.theglobeandmail.com/world/article-china-toughens-itslanguage -toward-taiwan-warns-independence-means-war/ (zuletzt abgerufen am 4. März 2021). 23 Keoni Everington, Leaked map shows China plans to invade S. Taiwan after taking Kinmen, Penghu, Taiwan News am 20. Januar 2020, https://www.taiwannews.com.tw/en/news/3861097 (zuletzt abgerufen am 4. März 2021). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/21 Seite 13 Distanz zu zerstören.24 Dies bedeutet, dass die Volksrepublik im Konfliktfall darauf vertrauen kann, einen Taiwan geleisteten militärischen Beistand der Vereinigten Staaten auszuschalten. Damit verschiebt sich das Kräfteverhältnis in der Region. Ungeachtet aller Rhetorik hat die VRC tatsächlich eine reelle Chance, in einem Krieg mit Taiwan zu siegen.25 Fraglich ist, wie weit Xi Jinping hinsichtlich der Taiwan-Frage gehen wird. Vielen Beobachtern gilt keineswegs als ausgemacht, dass Xi durch die Aufhebung der Amtszeitbegrenzung tatsächlich Präsident auf Lebenszeit oder auch nur für eine dritte Amtszeit gewählt werden wird. Xi muss daher weiterhin eine für China erfolgreiche Politik machen, um sich die Macht zu sichern. Somit wäre Taiwan Schachfigur in einem innerparteilichen Machtspiel. Ein erfolgreicher Angriff auf Taiwan und die „Wiedervereinigung“ der „abtrünnigen Provinz“ mit der Volksrepublik wäre für Xi ein immenser Erfolg und würde ihn im Bewusstsein der chinesischen Bevölkerung endgültig mit dem Aufstieg der Volksrepublik zur Weltmacht verbinden. Unklar ist zum einen, welchen Preis Xi Jinping bzw. die VR China für die Einverleibung Taiwans , und zum anderen, welchen Preis die USA für die Verteidigung Taiwans zu zahlen bereit sind. Immerhin hat das Pentagon Ende Januar 2021 noch einmal die Bedeutung des TRA bekräftigt und damit eine fortdauernde Unterstützung Taiwans auch durch die Biden-Administration zugesichert.26 Ein militärischer Angriff auf das demokratische Taiwan wäre für die Volksrepublik China mit einem erheblichen Verlust politischen Kapitals auf internationaler Ebene verbunden. Das gewaltige , globale Projekt der Belt-and-Road-Initiative würde vermutlich ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie der chinesische Exportsektor. Ein sich in die Länge ziehender Konflikt wäre wahrscheinlich auch in der Bevölkerung der Volksrepublik unpopulär, insbesondere, wenn er mit internationalen Sanktionen für Wirtschaft, Handel und Tourismus einherginge. Es ist fraglich, ob die Entscheidung, dieses Risiko einzugehen, darüber allein Xi Jinping obläge, und selbst wenn dem so wäre, ob er es eingehen würde. Diese Fragen können im Rahmen dieses Sachstandes jedoch nicht beantwortet werden. *** 24 H.I. Sutton, China’s New Aircraft Carrier Killer Is World’s Largest Air-Launched Missile, Naval News am 1. November 2020, https://www.navalnews.com/naval-news/2020/11/chinas-new-aircraft-carrier-killer-is-worldslargest -air-launched-missile/ (zuletzt abgerufen am 4. März 2021) sowie Joseph Trevithick, Chinese Long-Range Ballistic Missiles Struck Moving Ship In South China Sea: Report, The Drive am 16. November 2020, https://www.thedrive.com/the-war-zone/37662/chinese-long-range-ballistic-missiles-struck-moving-ship-insouth -china-sea-report (zuletzt abgerufen am 4. März 2021). 25 Samson Ellis, Here’s what could happen if China invaded Taiwan, Japan Times am 8. Oktober 2020, https://www.japantimes.co.jp/news/2020/10/08/asia-pacific/china-taiwan-invasion-scenario/ (zuletzt abgerufen am 4. März 2021). 26 US dismisses China's war threat against Taiwan, reaffirms support to Taipei, Business Standard am 29. Januar 2021, https://www.business-standard.com/article/international/us-dismisses-china-s-war-threat-against-taiwanreaffirms -support-to-taipei-121012900135_1.html (zuletzt abgerufen am 4. März 2021).