© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 015/20 Der Grand Ethiopian Renaissance Dam – Wasserpolitik der Anrainerstaaten des Nils Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 2 Der Grand Ethiopian Renaissance Dam – Wasserpolitik der Anrainerstaaten des Nils Aktenzeichen: WD 2 - 3000 – 015/20 Abschluss der Arbeit: 24. Februar 2020 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der Grand Ethiopian Renaissance Dam 4 3. Karte des Nilbeckens 5 4. Internationale Abkommen und Initiativen über die Nutzung des Nilwassers 6 4.1. Vertrag zwischen Äthiopien und Großbritannien von 1902 6 4.2. Nilwasserüberabkommen von 1929 7 4.3. Abkommen von 1959 zwischen Ägypten und dem Sudan 7 4.4. Nile Basin Initiative 8 4.5. Entebbe-Rahmenabkommen 9 5. Mögliche Nachteile für Ägypten 9 6. Mögliche Vorteile für den Sudan und Ägypten 10 7. Trilaterale Verhandlungen zwischen Ägypten, dem Sudan und Äthiopien 11 8. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 4 1. Einleitung Dieser Sachstand befasst sich mit dem Grand Ethiopian Renaissance Dam, einer im Bau befindliche Talsperre in Äthiopien, sowie mit den sich durch das Projekt ergebenden internationalen Spannungen. Insbesondere Ägypten sieht durch den Staudamm seine Interessen verletzt. Dieser Sachstand erläutert darüber hinaus, wie bilaterale Abkommen zwischen Ägypten und dem Sudan über die Aufteilung des Nilwassers die Spannungen befeuern, aber auch internationale Kooperationsformate zwischen den Anrainerstaaten der Nilquellflüsse fördern. 2. Der Grand Ethiopian Renaissance Dam Der Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD, vormals auch als Millennium Dam bezeichnet) ist eine seit 2011 im Bau befindliche Talsperre des Blauen Nils in der Region Benishangul-Gumuz im Nordwesten Äthiopiens.1 Die Baustelle ist etwa 40 Kilometer von der Grenze zum Sudan entfernt . Der Staudamm ist Teil des derzeit größten Wasserkraftprojektes auf dem afrikanischen Kontinent und soll nahezu den gesamten Energiebedarf Äthiopiens decken. Angesichts der Tatsache , dass 65 Prozent der äthiopischen Haushalte keinen Stromanschluss haben, wäre dies ein enormer Fortschritt.2 Darüber hinaus werden auch der Sudan, Kenia und Dschibuti mit Elektrizität versorgt werden. Der Bau des Staudammes wird durch die italienische Firma Salini Impregilo im Joint Venture mit der staatlichen Äthiopischen Gesellschaft für Metalle und Ingenieurwesen durchgeführt. Fast alle der Angestellten und Arbeiter des Projektes sind Äthiopier. Wie auch der Name („Große äthiopische Wiedergeburt“) suggeriert, steht die GERD-Talsperre damit symbolisch für den raschen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg, den Äthiopien seit mehreren Jahren vollzieht, und den Willen, diesen Aufstieg aus eigener Kraft zu schaffen. Das Projekt ist bereits seit den ersten konkreten Planungen Gegenstand eines Disputs zwischen Äthiopien und Ägypten.3 Ägyptens gesamte wirtschaftliche Lebensgrundlage beruht seit jeher auf dem Nil. Der Nil ist Quelle von über 90 Prozent des in Ägypten verbrauchten Wassers; Landwirtschaft kann nahezu ausschließlich entlang seinen Ufern betrieben werden. Obwohl der Pro-Kopf- Verbrauch von Wasser in Ägypten im globalen Vergleich relativ gering und der Wassereinsatz in Landwirtschaft und Industrie vergleichsweise effizient und sparsam ist, hat Ägypten aufgrund seiner großen Bevölkerung von 90 Millionen ein Wasserdefizit. 1 Alle Informationen dieses Abschnittes, sofern nicht durch Fußnote anders vermerkt: J. Peter Pham, Grand Ethiopian Renaissance Dam marks milestone, approaches completion, The Atlantic Council am 3. April 2018, https://www.atlanticcouncil.org/blogs/africasource/grand-ethiopian-renaissance-dam-marks-milestone-approaches -completion/ (zuletzt abgerufen am 14. Februar 2020). 2 Basillioh Mutahi, Egypt-Ethiopia row: The trouble over a giant Nile dam, BBC am 13. Januar 2020, https://www.bbc.com/news/world-africa-50328647 (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2020). 3 Alle Informationen dieses Absatzes: Rehab Ismail, Facts about water resources and rationing in Egypt, Egypt Today am 2. März 2018, https://www.egypttoday.com/Article/2/44255/Facts-about-water-resources-and-rationing -in-Egypt (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 5 Fast 85 Prozent des Nilwassers stammen aus dem in Äthiopien gelegen Hochland von Abessinien , das durch den Blauen Nil entwässert wird. Der Blaue Nil ist kürzer, aber erheblich wasserreicher als der Weiße Nil, dessen Quellflüsse in verschiedenen Gebirgen Ostafrikas entspringen und mit dem er sich in Khartum im Sudan zum eigentlichen Nil vereinigt (siehe Karte des Nilbeckens ). 3. Karte des Nilbeckens4 4 J. R. Allan, N. Levin, K. R. Jones, S. Abdullah, J. Hongoh, V. Hermoso und S. Kark, Navigating the complexities of coordinated conservation along the river Nile, Science Advances, Vol. 5, no. 4, 3. April 2019, https://advances .sciencemag.org/content/5/4/eaau7668?rss=1 (zuletzt abgerufen am 14. Februar 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 6 Nicht alle in der Karte eingezeichneten Zuflüsse des Nils, insbesondere jene im Sudan und in Ägypten, führen ständig Wasser. Oft handelt es sich um Wadis, d.h. Abflussrinnen für Wasser, das bei den im Wüstenklima sehr selten auftretenden Regenschauern nicht versickern kann. Der Nil ist in den ariden Gebieten im Norden des Sudan und in ganz Ägypten ein sogenannter allochthoner oder Fremdlingsfluss, d.h. ein Fluss, der seine Existenz klimatischen Bedingungen verdankt, die es im Klima des Nordsudans und Ägyptens nicht gibt.5 4. Internationale Abkommen und Initiativen über die Nutzung des Nilwassers Über die Nutzung des Nilwassers wurden bereits vor über hundert Jahren internationale Abkommen geschlossen. Stets privilegierten diese Ägypten – was die Machtverhältnisse der jeweiligen Epoche wiederspiegelt. 4.1. Vertrag zwischen Äthiopien und Großbritannien von 19026 Der Vertrag zwischen Äthiopien und dem Vereinigten Königreich über die Grenzen zwischen dem anglo-ägyptischen Sudan, Äthiopien und Eritrea wurde im Jahre 1902 in Addis Abeba unterzeichnet . In Artikel 3 des Vertrages verpflichtete sich der äthiopische Kaiser Menelik II., „...gegenüber der Regierung Seiner Britannischen Majestät, kein Bauwerk über dem Blauen Nil, dem Tsana-See oder dem Sobat zu errichten oder dessen Errichtung zuzulassen, sofern dies den Zustrom dieser Gewässer in den Nil verhindert, außer in Übereinstimmung mit der Regierung Seiner Britannischen Majestät und der Regierung des Sudan.“7 Der Vertrag ist bis heute Gegenstand eines Disputes zwischen Ägypten und Äthiopien. Äthiopien lehnt ihn ab und behauptet, dass er nie von den zuständigen Staatsorganen ratifiziert worden sei und sich die englische und amharische Fassung von Artikel 3 unterschieden. Ägypten beharrt auf der Geltung des Vertrages und vertritt die Auffassung, dass Äthiopien keine Talsperre ohne die Erlaubnis Ägyptens errichten dürfe. 5 Freie Universität Berlin, Fachbereich Geologie, Flussklassifikationen, https://www.geo.fu-berlin.de/v/pg-net/geomorphologie /fluvialmorphologie/grundlagen/klassifikationen/index.html (zuletzt abgerufen am 19. Febnruar 2020). 6 Alle Angaben: Salman M.A. Salman, The Nile Basin Cooperative Framework Agreement: a peacefully unfolding African spring?, in: Water International, Volume 38, 2013 - Issue 1, https://www.peacepalacelibrary .nl/ebooks/files/39104835X.pdf (zuletzt abgerufen am 14. Februar 2020). 7 Im Original: „…engages himself towards the Government of His Britannic Majesty not to construct, or allow to be constructed, any work across the Blue Nile, Lake Tsana, or the Sobat which would arrest the flow of their waters into the Nile, except in agreement with His Britannic Majesty’s Government and the Government of the Sudan.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 7 4.2. Nilwasserüberabkommen von 19298 Ein weiteres Abkommen, das zu Unstimmigkeiten zwischen Ägypten und anderen Nilanrainern geführt hat, ist das Nile Waters Agreement, das Großbritannien für seine ostafrikanischen Kolonien Kenia, Uganda und Tanganjika einerseits und Ägypten und den Sudan andererseits im Jahre 1929 abschloss. Paragraph 4(ii) des Abkommens konstatiert: „Außer mit vorheriger Zustimmung der Regierung von Ägypten dürfen weder Bewässerungsanlagen noch Kraftwerke entlang des Nils, seiner Zuflüsse und deren Quellseen errichtet werden, sofern sich diese Gewässer im Sudan oder in anderen Ländern unter britischer Verwaltung befinden, wenn sie [die Bewässerungsanlagen oder Kraftwerke] die Interessen Ägyptens gefährden, in dem sie entweder die Quantität des nach Ägypten strömenden Wassers reduzieren oder den Zeitpunkt ihres Zustromes verändern oder den Pegelstand sinken lassen.“9 Nach ihrer Unabhängigkeit in den frühen 1960er Jahren erklärten Kenia, Uganda und Tanganjika (das in Folge der Vereinigung mit Sansibar im Jahre 1964 zu Tansania wurde), dass sie durch das Abkommen nicht gebunden seien. Dabei nahmen sie Bezug auf die Nyerere-Doktrin, derzufolge alle internationalen Verträge der Kolonialzeit zwei Jahre nach der Unabhängigkeit ungültig würden , sofern sie nicht durch neue Abkommen ersetzt würden. Letzteres sei im Falle des Abkommens von 1929 nicht geschehen. Ägypten und der Sudan berufen sich nach wie vor auf das Abkommen und den Grundsatz der Rechtsnachfolge. Demzufolge habe Ägypten hinsichtlich aller Bewässerungs- und Wasserkraftwerksanlagen an Gewässern des Nileinzugsgebietes in Kenia, Uganda und Tansania ein Vetorecht. 4.3. Abkommen von 1959 zwischen Ägypten und dem Sudan10 Ägypten beruft sich zusätzlich zu den beiden Abkommen aus der Kolonialzeit auf das bilaterale Abkommen zwischen der Vereinigten Arabischen Republik Ägypten und der Republik Sudan über die volle Nutzung des Nilwassers aus dem Jahre 1959. In diesem Vertrag einigten sich beide Staaten auf die Verteilung des gesamten Nilwassers. Im Abkommen wird die durchschnittliche jährliche Wassermenge des Nils auf 84 Mrd. Kubikmeter, gemessen am Assuan-Damm, festgelegt. Davon sollen dem Sudan 18,5 Mrd. Kubikmeter, Ägypten 55,5 Mrd. Kubikmeter zustehen. Das Abkommen definiert also nicht relative Anteile an der Wassermenge eines Jahres, sondern feste Mengen. Die restliche Wassermenge wird für Verdunstungs- und Versickerungsverluste einkalkuliert , also keineswegs den anderen Nilanrainern überlassen. Das Abkommen gestattete seinerzeit dem Sudan die Errichtung von Niltalsperren, aber keinem der anderen Nilanrainer. Diese Staaten (mittlerweile, d.h. nach Erlangung der Unabhängigkeit, sind dies Ruanda, Uganda, Tansania, Demokratische Republik Kongo, Kenia, Burundi, Südsudan, Eritrea und Äthiopien) kommen im 8 All Angaben: Salman M.A. Salman (Anm. 5). 9 Im Original: „Except with the prior consent of the Egyptian Government, no irrigation works shall be undertaken nor electric generators installed along the Nile and its branches nor on the lakes from which they flow if these lakes are situated in Sudan or in countries under British administration which could jeopardize the interests of Egypt either by reducing the quantity of water flowing into Egypt or appreciably changing the date of its flow or causing its level to drop. “ 10 Alle Angaben: Salman M.A. Salman (Anm. 5). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 8 Vertrag nur indirekt vor. Ägypten und der Sudan verpflichten sich, auf etwaige Ansprüche anderer Anrainerstaaten gemeinsam und im Einklang zu reagieren. Die anderen Staaten lehnen das Abkommen ab, weil sie ihm nie zugestimmt haben und es als Verletzung ihrer Wasserrechte betrachten. Fast das gesamte Wasser, das vom Abkommen aufgeteilt wird, stammt aus diesen Ländern, nicht aus dem Sudan und erst recht nicht aus Ägypten. Der Assuansee, an dem gemessen wird, liegt im Süden Ägyptens und erstreckt sich bis in den Sudan ; selbst wenn Ägypten über eigene ständige Nilzuflüsse verfügte (siehe Karte), bezöge sich das Abkommen nicht auf das daraus stammende Wasser. 4.4. Nile Basin Initiative11 Wie dargelegt, lösten die bestehenden drei Abkommen das Problem der gerechten Aufteilung des Nilwassers nicht, sondern verschärften es eher. Ägypten beansprucht ein aus Kolonialzeiten stammendes Vetorecht gegenüber wasserbaulichen Anlagen aller anderen Anrainerstaaten, was diese – mit Ausnahme des Sudan – ablehnen und ihrerseits als ungerechtfertigten Eingriff in ihre Wasserrechte betrachten. Im Jahre 1997 wurde auf Initiative der Weltbank und des United Nations Development Programme (UNDP) mit der Entwicklung eines neuen Kooperationsmechanismus der Nilanrainerstaaten begonnen. Nach einer Reihe informeller Treffen wurde dieser Mechanismus unter der Bezeichnung Nile Basin Initiative (NBI) am 22. Februar 1999 in Dar-es-Salaam formalisiert. Alle Nilanrainerstaaten mit Ausnahme Eritreas, das einen Beobachterstatus vorzog, wurden Mitglieder der NBI (Südsudan wurde nach Erlangung seiner Unabhängigkeit Mitglied). Die NBI wurde als internationale Organisation mit dem Ziel, die Kooperation der Nilanrainerstaaten zu fördern und eine friedliche und einvernehmliche Wassernutzung sicherzustellen, etabliert. Gleichzeitig sollte die Organisation ein Rahmenabkommen über Zusammenarbeit aller Nilanrainer erarbeiten. Dieses Ziel wurde nicht erreicht. Während der Sudan und Ägypten sich zunächst relativ kooperativ verhielten und etwa bis 2009 konstruktiv an den Verhandlungen über das geplante Rahmenabkommen mitarbeiteten, begannen sich ihre Positionen gegenüber den südlichen Nilanrainern zu Beginn der 2010er Jahre wieder zu verhärten. Artikel 2 des geplanten Rahmenabkommens definierte die sogenannte Wassersicherheit (water security) als „das Recht aller Staaten des Nilbeckens auf zuverlässigen Zugang zu und Nutzung des Nil-Flusssystems für Gesundheit, Landwirtschaft , Lebensunterhalt, Produktion und Umweltschutz.“12 Ägypten und der Sudan bestanden jedoch auf eine Zusatzklausel, welche die ihnen aus ihrer Sicht zustehenden Rechte, insbesondere Ägyptens Vetorecht, aus den Abkommen von 1902, 1929 und 1959 bestätigte. Dies lehnten die anderen Mitglieder der NBI ab. 11 Alle Angaben: Salman M.A. Salman (Anm. 5). 12 Im englischen Original: The right of all Nile Basin States to reliable access to and use of the Nile River system for health, agriculture, livelihoods, production and the environment. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 9 4.5. Entebbe-Rahmenabkommen13 In Folge der gescheiterten Verhandlungen über das von der NBI angestrebte Abkommen sämtlicher beteiligter Staaten entschlossen sich mehrere Nilanrainer, das Rahmenabkommen zunächst ohne Beteiligung von Ägypten und Sudan voranzutreiben. Am 14. Mai 2010 unterzeichneten Äthiopien, Ruanda, Tansania und Uganda in Entebbe das Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit bei der Nutzung des Nils.14 Kenia unterzeichnete fünf Tage später, Burundi trat im Februar 2011 bei, die Demokratische Republik Kongo hegt die Absicht, beizutreten. Ägypten und Sudan äußerten scharfe Kritik an dem Abkommen. Die Unterzeichnerstaaten äußerten mehrfach explizit ihren Verdruss über die Tatsache, im Rahmen der Nile Basin Initiative für den Bau von Wasserinfrastruktur wie Bewässerungskanäle und Talsperren stets Ägypten um Erlaubnis bitten zu müssen. Faktisch ersetzt das Rahmenabkommen die Nile Basin Initiative. Ägypten und dem Sudan steht es frei, dem Abkommen beizutreten, doch hätte dies faktisch das Ende des ägyptisch-sudanesischen Vertrags von 1959 und damit den Verzicht auf die darin festgelegten Wassermengen zur Folge. Kurz nach Unterzeichnung des Abkommens stellte Äthiopien die Pläne für den Bau der GERD- Talsperre vor. Der Bau selbst begann 2011 – nach Aussage einiger Beobachter, eingeschlossen des ägyptischen Präsidenten al-Sisi, zu einem Zeitpunkt, als Ägypten aufgrund der Ereignisse des Arabischen Frühlings nicht in der Lage war, schnell und effektiv darauf zu reagieren. 5. Mögliche Nachteile für Ägypten15 Da das Abkommen von 1959 Ägypten und dem Sudan feste Mengen zuweist, kann es durch den Bau von Talsperren am Oberlauf des Nils zumindest zeitweilig zu Problemen kommen, sofern die Gesamtmenge des den Sudan und Ägypten erreichenden Nilwassers in der Phase der Auffüllung eines Stausees soweit absinkt, dass die jeweils beanspruchte feste Kubikmeterzahl nicht mehr erreicht wird. Der Assuansee hat eine Speicherkapazität, die etwa der durchschnittlichen jährlichen Wassermenge des Nils entspricht. Zusammen mit dem Nasser-See kann Ägypten bei deutlich sinkender Gesamtwassermenge daher nur relativ kurzzeitig – für circa 3 Jahre – die beanspruchten 55,5 Mrd. Kubikmeter Wasser vorhalten. Während der Auffüllungsphase könnten zwei Millionen ägyptische Bauern von der verringerten Wassermenge betroffen sein. Dies hängt allerdings auch von der dann vorrätigen Wassermenge im Assuansee und dem Nasser-See ab. Auf Ägyptens Energieversorgung hätte die GERD-Talsperre nur geringen Einfluss, da nur ein kleiner Teil von Ägyptens Energiebedarf durch Wasserkraft gedeckt wird. 13 Alle Angaben: Salman M.A. Salman (Anm. 5). 14 Agreement On the Nile River Basin Cooperative Framework / Accord-cadre Sur la Coopération dans le Bassin du Fleuve Nil, 14. Mai 2010, abrufbar unter: https://www.internationalwaterlaw.org/documents/regionaldocs /Nile_River_Basin_Cooperative_Framework_2010.pdf (zuletzt abgerufen am 14. Februar 2020). 15 Alle Angaben: Amr Salahi, Ethiopia's Great Renaissance Dam: A catastrophe for Egypt?, The New Arab am 3. Dezember 2019, https://www.alaraby.co.uk/english/indepth/2019/12/3/Ethiopias-Great-Renaissance-Dam-Acatastrophe -for-Egypt (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 10 Grundsätzlich wäre es durch Streckung der Auffüllungsphase des GERD-Stausees relativ problemlos möglich, Ägypten weiterhin die von ihm beanspruchte Wassermenge zukommen zu lassen , und dies soll auch tatsächlich geschehen (s.u. Abschnitt 7). Die beharrliche, prinzipiell ablehnende Haltung Ägyptens ist im Hinblick auf zwei Faktoren erklärbar : zum einen die grundsätzliche Erwägung, Anrainer des oberen Nils könnten durch die Errichtung von Talsperren einen strategischen Vorteil erlangen und Ägypten erpressbar machen, sowie die Furcht vor dauerhaft sinkenden Nilpegeln. Ägypten fürchtet ein Szenario, in dem sich die Wassermenge des Nils dauerhaft verringert, z.B. durch den Klimawandel und durch ihn möglicherweise verringerte Niederschläge im Hochland von Abessinien. Äthiopien hätte dann einen Anreiz, möglichst viel Wasser des Blauen Nils durch die GERD-Talsperre zu speichern und ggf. auch weitere Talsperren zu errichten. Dies könnte dann wiederum den Sudan zu ähnlichen Maßnahmen veranlassen. Die Folgen für Ägyptens Wasserversorgung und damit Landwirtschaft, d.h. die Lebensmittelversorgung, sowie für die Industrie wären verheerend. Darüber hinaus spielt auch ein kultureller Faktor eine Rolle hinsichtlich der Heftigkeit der ägyptischen Reaktion auf die GERD-Talsperre. Der Nil ist seit Menschengedenken die Existenzgrundlage Ägyptens und untrennbar mit Geschichte, Kultur und Selbstverständnis des Landes verbunden . Vermeintliche Angriffe auf dieses Herzstück der ägyptischen Kultur lösen daher schnell nationalistische , emotionale Reaktionen aus. Ägypten hat, anders als Sudan, immer wieder bekräftigt, seine Ansprüche auf die ihm laut Abkommen zustehende Wassermenge mit allen Mitteln, einschließlich militärischen, durchsetzen zu wollen, was zwischenzeitlich Befürchtungen eines Krieges zwischen Ägypten und Äthiopien hervorrief. Der Sudan hat sich zwar in allen Disputen pro forma an die Seite Ägyptens gestellt, tritt aber weitaus weniger aggressiv gegenüber Äthiopien auf. Dies hat auch mit den Vorteilen zu tun, die dem Sudan durch die GERD-Talsperre entstünden (s.u.). Faktisch handeln Ägypten und der Sudan nicht gemäß der im Abkommen von 1959 vereinbarten gemeinsamen und einvernehmlichen Reaktion auf den Bau der GERD-Talsperre. 6. Mögliche Vorteile für den Sudan und Ägypten16 Anders als Ägypten profitiert der Sudan in summa von der GERD-Talsperre. Wie schon eingangs erläutert, wird das GERD-Wasserkraftwerk auch den Sudan mit Elektrizität versorgen. Zudem werden durch den Staudamm Sedimente zurückgehalten, was die Lebensdauer der sudanesischen Nil-Staudämme und der angeschlossenen Wasserkraftwerke erhöht. Darüber hinaus ermöglicht die GERD-Talsperre, während der Regenzeit Überflutungen im Sudan zu minimieren und gleichzeitig in der Trockenzeit die Bewässerung sicherzustellen. Dies wäre 16 Alle Angaben: Belachew Tesfa, Benefit of Grand Ethiopian Renaissance Dam Project (GERDP) for Sudan and Egypt, University of Huddersfield Repository, 2013, Download unter: https://www.researchgate.net/publication /259811850_Benefit_of_Grand_Ethiopian_Renaissance_Dam_Project_GERDP_for_Sudan _and_Egypt/link/58d4fc3792851c44d443bc35/download (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 11 ein enormer Vorteil für die Landwirtschaft im Gezira-Dreieck, der südlich von Khartum gelegenen Region zwischen dem Blauen und dem Weißen Nil. Auch Ägypten könnte profitieren. Neben den Vorteilen hinsichtlich der Lebensdauer von Kraftwerken durch Zurückhaltung von Sedimenten könnte gerade eine verringerte Wassermenge in Ägypten Verdunstungsverluste reduzieren. Der GERD-Stausee liegt im abessinischen Hochland, dessen Klima deutlich kühler und feuchter ist als das Wüstenklima Ägyptens, wodurch dort sehr viel weniger Wasser verdunstet als im Assuan- und Nasser-See. Auch die dortige Verdunstungsrate würde sich reduzieren, wenn die Pegel der beiden Seen aufgrund der GERD-Talsperre sinken und sich dadurch die Luft und Sonne ausgesetzte Wasseroberfläche verkleinert. 7. Trilaterale Verhandlungen zwischen Ägypten, dem Sudan und Äthiopien Seit 2016 versuchen Äthiopien, der Sudan und Ägypten, in trilateralen Gesprächen eine Lösung der Probleme zu finden. Die Verhandlungen blieben jedoch ohne Ergebnis, wobei die äthiopischen und die ägyptischen Regierungen sich gegenseitig der Kompromisslosigkeit bezichtigten. Im November 2019 begann eine neue Phase des Versuches, den Konflikt zu lösen.17 Auf Initiative des ägyptischen Präsidenten al-Sisi wurden die USA als Vermittler eingeschaltet. Mehrere Treffen der äthiopischen, sudanesischen und ägyptischen Außenminister in Washington im Dezember 2019 und im Februar 2020 blieben jedoch in der Kernfrage ergebnislos: Ägypten beharrt weiterhin auf der Gültigkeit der historischen Verträge. Der ägyptische Außenminister forderte eine gemeinsame Verwaltung die GERD-Talsperre, um sicherzustellen, dass Ägypten die ihm seiner Ansicht nach zustehende Wassermenge (gemeint sind die im Vertrag von 1959 festgeschriebenen 55,5 Mrd. Kubikkilometer) weiterhin erhalte.18 Dies lehnte Äthiopien ab. Immerhin einigten sich die drei Staaten jedoch auf einen konkreten Zeitplan für eine schrittweise Auffüllung des GERD-Stausees, der Ägyptens Wasserbedarf berücksichtigt sowie für Mechanismen , die in Dürrezeiten sowohl die Funktion der GERD-Talsperre als auch den ausreichenden Zustrom von Wasser des Blauen Nils in den Sudan und damit nach Ägypten regeln.19 8. Fazit Die GERD-Talsperre wird Äthiopiens wirtschaftlichen und politischen Aufstieg weiter fördern. Daneben wird sie das Verhältnis zwischen Äthiopien und dem Sudan, Kenia und Dschibuti verbessern und vertiefen, da diese Länder vom GERD-Elektrizitätswerk ebenfalls mit Strom versorgt 17 Addisu Lashitew, Why Ethiopia, Egypt, and Sudan should ditch a rushed, Washington-brokered Nile Treaty, Brookings Institute am 18. Februar 2020, https://www.brookings.edu/blog/africa-in-focus/2020/02/18/why-ethiopia -egypt-and-sudan-should-ditch-a-rushed-washington-brokered-nile-treaty/ (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2020). 18 Meeting to ratify final agreement over GERD kicks off in Washington, Egypt Today am 12. Februar 2020, https://www.egypttoday.com/Article/2/81546/Meeting-to-ratify-final-agreement-over-GERD-kicks-off-in (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2020). 19 U.S. department of the Treasury, Joint Statement of Egypt, Ethiopia, Sudan, the United States And the World Bank, 31. Januar 2020, https://home.treasury.gov/news/press-releases/sm891 (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 – 015/20 Seite 12 werden sollen. Für Äthiopien bedeutet der Staudamm nicht nur die Lösung seiner Energieversorgungsprobleme , sondern auch einen deutlichen Prestigegewinn sowie eine Stärkung seiner politischen Position innerhalb der Region. Der Sudan wird überdies die Lebensdauer seiner eigenen Wasserkraftanlagen verlängern können, könnte außerdem durch verstärkte Flutkontrolle sein Agrarland ausweiten und neben Äthiopien selbst einer der größten Profiteure des Staudamms werden. Darüber hinaus könnte der GERD-Stausee die Verdunstungsverluste des Nils verringern und somit auch Ägypten nützlich werden. Ägypten tut sich jedoch weiterhin schwer damit, auf die ihm aus seiner Sicht zustehenden Rechte auf den größten Teil des Nilwassers zu verzichten. Ägypten beharrt immer noch auf seinem Vetorecht, das auf Verträgen aus der Kolonialzeit basiert und von Äthiopien sowie anderen Nilanrainern nicht anerkannt wird. Versuche der Vermittlung blieben bestenfalls mäßig erfolgreich , doch konnte Ägypten den Bau der GERD-Talsperre nicht verhindern und wird sich voraussichtlich mit ihrer Existenz abfinden müssen. Abgesehen vom Konflikt zwischen Äthiopien und Ägypten ist der Bau der GERD-Talsperre eingebettet in ein größeres politisches Umfeld der friedlichen, internationalen Kooperation der südlichen Nilanrainerstaaten. Die Frage, wie das Wasser des Nilbeckens gerecht aufgeteilt und genutzt werden soll, hat also nicht nur zu Disputen, sondern schließlich auch zur Herausbildung von Strukturen der Regionalkooperation geführt. Ob der Disput zwischen Ägypten und Äthiopien sich in absehbarer Zeit durch Verhandlungen beilegen lässt, ist derzeit nicht absehbar. Da die GERD-Talsperre auch Ägypten nützen könnte und zumindest nach den im Februar 2020 in Washington geschlossenen Vereinbarungen unmittelbar keine negativen Folgen für die Wasserversorgung Ägyptens haben sollte, könnte die „normative Kraft des Faktischen“ nach Inbetriebnahme der Talsperre hier den Boden für Kompromisse oder eine für alle Seiten befriedigende, abschließende Lösung bereiten. ***