© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 015/16 Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 2 Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 015/16 Abschluss der Arbeit: 25. Februar 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Definition der fragilen Situation 4 3. Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen 7 4. Herausforderungen bei Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen 7 5. Lösungsansätze 8 5.1. OECD 8 5.2. g7+ Gruppe 10 5.3. Europäische Union 12 5.4. Bundesrepublik Deutschland 14 6. Wirkungen der Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen 14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 4 1. Einführung Die Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen1 hat in den vergangenen Jahren große Aufmerksamkeit erfahren. Die Bundesregierung sieht diesen Bereich als einen Schlüsselbereich der deutschen Entwicklungspolitik an. Etwa ein Drittel der Staaten, deren Entwicklung Deutschland fördert, befindet sich in einer fragilen Situation, und ca. 25 Prozent der deutschen Mittel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit werden für Maßnahmen in solchen Staaten ausgegeben . Der vorliegende Sachstand beleuchtet, was unter fragilen Situationen zu verstehen ist (2.), welche spezifischen Herausforderungen mit der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bereich verbunden sind (3.), welche Lösungsansätze international entwickelt wurden (4.) und welche Wirkungen die Entwicklungszusammenarbeit unter diesen Bedingungen hat (5.). 2. Definition der fragilen Situation Wann sich ein Staat in einer fragilen Situation befindet, ist weder international einheitlich definiert , noch existiert ein international akzeptierter Katalog solcher Staaten. Überwiegend erfolgt die Bestimmung in Abgrenzung zu dem die Mitgliedstaaten der Organisation für Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa (OECD) prägenden Ideal eines Staates, der auf Grundlage eines 1 Der bis vor einiger Zeit überwiegend verwendete Begriff „fragiler Staat“ ist mittlerweile durch die Begrifflichkeit „fragile Situation“ abgelöst worden, siehe dazu Mcloughlin, Topic Guide on Fragile States, Governance and Social Development Resource Centre, University of Birmingham, 2012, S. 9 f., abrufbar unter http://www.gsdrc.org/docs/open/con86.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 5 legitimen Gewaltmonopols nach rechtsstaatlichen Grundsätzen die Sicherheit seiner Bürger gewährleistet und andere grundlegende öffentliche Dienstleistungen erbringt.2 Zwischen diesen elementaren Staatsfunktionen bestehen in der Regel Wechselwirkungen. In einem von Unsicherheit geprägten Umfeld können die übrigen Staatsfunktionen nur schwer erfüllt werden. Umgekehrt haben gravierende Defizite im Bereich der Legitimität, der Rechtsstaatlichkeit und der öffentlichen Wohlfahrt oftmals eine negative Rückwirkung auf die Sicherheitslage. Staatsstabilität ist von Regimestabilität zu unterscheiden. Auch Staaten, die von einem stabilen Regime beherrscht werden, können sich in einer fragilen Situation befinden, wenn sie erhebliche Defizite im Bereich der politischen Ordnung und der staatlichen Dienstleistungen aufweisen (z.B. Nordkorea, Usbekistan).3 Staatsstabilität ist auch nicht gleichbedeutend mit ökonomischer Stabilität. Etliche Staaten, die sich in einer fragilen Situationen befinden, weisen einen mittleren Einkommensdurchschnitt, stabile Wachstumsraten (z.B. Osttimor) oder gar einen regelrechten Wirtschaftsboom (z.B. Angola, Irak) auf.4 Öffentliche Stellen und private Forschungseinrichtungen haben – teilweise quantitative, teilweise qualitative5 – Fragilitätsindikatoren erarbeitet: 2 OECD, Principles for good international engagement in fragile states & situations, S. 2, abrufbar unter http://www.oecd.org/dacfragilestates/43463433.pdf, wonach staatliche Strukturen als fragil anzusehen sind, wenn sie nicht den politischen Willen haben oder nicht in der Lage sind, die grundlegenden Funktionen zu erfüllen , welche erforderlich sind, um Armut zu reduzieren, Entwicklung zu schaffen, und ihrer Bevölkerung Sicherheit und die Einhaltung von Menschenrechten zu gewährleisten; Weltbank, World Development Report 2011 – Conflict, Security and Development, S. XVI, abrufbar unter http://go.worldbank.org/1BOIJMD8H0, wonach sich fragile Situationen dadurch auszeichnen, dass der Staat Gewalt ausgesetzt ist, weil er nicht in der Lage ist, Beziehungen zwischen ihm und seinen Bürgern oder zwischen seinen Bürgern untereinander zu vermitteln ; Europäische Union, Europäischer Entwicklungsbericht 2009, S. 31 ff., abrufbar unter http://erd.eui.eu/erd-2009/, wonach sich Staaten in einer fragilen Situation befinden, wenn ihre Institutionen grundlegende Dienstleistungen schlecht erbringen, weil sie entweder nicht dazu in der Lage sind oder diesen keine hinreichende Bedeutung zumessen; Deutsche Bundesregierung, Gemeinsame Leitlinien des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, des Auswärtigen Amts und des Bundesverteidigungsministeriums von September 2012, S. 2, abrufbar unter https://www.bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv /Presse/leitlinien_fragile_staaten.pdf, wonach fragile Staaten durch substantielle Defizite in einer oder mehrerer der drei klassischen Staatlichkeitsdimensionen Gewaltmonopol/funktionierende Herrschaft, Legitimität und Erbringung staatlicher Grundleistungen gekennzeichnet sind; Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit , Fokus: Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Staaten und Regionen, S. 1, abrufbar unter http://www.entwicklung.at/uploads/media/Fokus_EZA_fragileStaaten_Maerz2014_01.pdf, wonach Fragilität durch schwache Institutionen, schlechte Regierungsführung und Unsicherheit gekennzeichnet ist; für eine Darstellung weiterer Definitionen siehe Stewart / Brown, Fragile States, Oxford: Centre for Research on Inequality, Human Security and Ethnicity. 2009, S. 1 ff., abrufbar unter http://www3.qeh.ox.ac.uk/pdf/crisewps/workingpaper 51.pdf, wonach ; letzter Abruf jeweils am 25. Februar 2016). 3 Schneckener, States at Risk – Zur Analyse fragiler Staatlichkeit, in: Schneckener (Hrsg.), States at Risk – Fragile Staaten als Sicherheits- und Entwicklungsproblem, SWP-Berlin November 2004, S. 12. 4 Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, Fokus: Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Staaten und Regionen (Fn. 3), S. 2 f. 5 Siehe dazu Schneckener (Fn. 3), S. 18 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 6 Die zur Weltbank gehörende Fragile, Conflict and Violence Group gibt jährlich eine harmonisierte Liste fragiler Situationen (harmonized list of fragile situations) heraus, die einerseits auf länderspezifischen Bewertungen des politischen und institutionellen Gefüges (Country Policy and Institutional Assessments, CPIA), andererseits auf der Notwendigkeit von Friedenseinsätzen aufbaut. Ein Staat befindet sich danach in einer fragilen Situation, wenn er einen durchschnittlichen CPIA-Wert von weniger als 3,2 aufweist oder wenn auf seinem Staatsgebiet während der letzten drei Jahre vor der Datenerhebung ein von den Vereinten Nationen oder einem regionalen Staatenverbund (Afrikanische Union, EU, Organisation Amerikanischer Staaten etc.) geleiteter Friedenseinsatz (peace keeping / peace building mission) durchgeführt worden ist. Mitgliedsstaaten der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (International Bank für Reconstruction and Development, IBRD) tauchen in den betreffenden Listen nur dann auf, wenn das Kriterium einer Friedensmission erfüllt ist, da für sie keine CPIA erstellt werden. Die harmonisierte Fragilitätsliste aus dem Jahr 20156 stuft 35 Staaten bzw. staatsähnliche Gebilde als fragil ein. Der Fund For Peace (FFP), eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation, die sich mit der Förderung nachhaltiger Sicherheit7 befasst, gibt jedes Jahr einen Fragilitätsindex (Fragile States Index) heraus. Er bewertet die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und militärischen Zustände in den untersuchten Staaten anhand von 12 Indikatoren. Der Indikator „External Intervention“ berücksichtigt gegen den betreffenden Staat verhängte Sanktionen, auf seinem Gebiet durchgeführte Friedenseinsätze, Militärinterventionen durch ausländische Truppen, aber auch die Kreditwürdigkeit des Staates. Nach dem Fragilitätsindex 2015 befinden sich 38 Staaten im fragilen Bereich (Alert, High Alert, Very High Alert). Auch das Center for Systematic Peace (CSP), welches die politische Entwicklung in allen Staaten mit mehr als 500.000 Einwohnern (167 Staaten im Jahr 2014) beobachtet, erstellt regelmäßig einen Fragilitätsindex (State Fragility Index). Nach dem jüngsten Index aus dem Jahr 2013 sind sieben dieser Staaten als extrem fragil, 21 als hoch fragil und weitere 21 als gemäßigt fragil einzustufen . Die harmonisierte Fragilitätsliste der Weltbank und der Fragilitätsindex des FFP sind Grundlage der von der OECD in den Jahren 2006, 2007, 2008, 2011, 2013, 2014 und 2015 erstellten Fragilitätsreports .8 Folgende Staaten befinden sich nach den neusten Veröffentlichungen sämtlicher vorgenannter Organisationen in einer fragilen Situation: Afghanistan, Burundi, Demokratische Republik 6 Abrufbar unter http://pubdocs.worldbank.org/pubdocs/publicdoc/2015/7/700521437416355449/FCSlist-FY16- Final-712015.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 7 Der FFP definiert diesen Begriff in seinem Internetauftritt als die Fähigkeit eines Staates, seine eigenen Probleme ohne Präsenz externer militärischer oder administrativer Hilfe zu lösen, siehe http://global.fundforpeace .org/aboutus (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 8 Abrufbar unter http://www.oecd.org/dac/governance-peace/conflictandfragility/rf.htm (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 7 Kongo, Elfenbeinküste, Eritrea, Guinea Bissau, Haiti, Irak, Jemen, Liberia, Libyen, Mali, Myanmar , Sierra Leone, Simbabwe, Somalia, Sudan, Südsudan, Syrien, Tschad und die Zentralafrikanische Republik. 3. Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen Staaten in fragilen Situationen bieten der Bevölkerung in der Regel besonders schlechte Lebensbedingungen . Denn Fragilität führt häufig zu einem Ansteigen von Gewalt und organisierter Kriminalität , zu zunehmender Korruption, zu politischer Willkür, zu sozialer Ungleichheit sowie zu großer Armut. Schätzungen gehen dahin, dass derzeit weltweit 37 Prozent der Menschen, die mit weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag auskommen müssen, in fragilen Situationen leben und dieser Prozentsatz bis zum Jahr 2030 auf fast 75 Prozent ansteigen könnte.9 Darüber hinaus hinkt die Gruppe der Staaten in fragilen Situationen den anderen Entwicklungsländern erheblich bei dem Versuch hinterher, die in der Milleniumserklärung der Vereinten Nationen 10 erklärten acht Millenniums-Entwicklungsziele 2015 (Millenium Development Goals, MDG) zu erreichen. Nach dem OECD-Fragilitätsbericht von 2014 ist der Fortschritt hierbei vergleichsweise langsam und ungleichmäßig. Nach dem OECD-Fragilitätsbericht von 2015 haben bloß ein Drittel der Staaten in fragilen Situationen das Ziel erreicht, die Armut bis 2015 zu halbieren , nur ein Fünftel das Ziel, die Kindersterblichkeit bis 2015 zu halbieren, und lediglich ein Viertel das Ziel, die Zahl der Menschen zu halbieren, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben .11 Schließlich gefährdet Fragilität die regionale und internationale Sicherheit und Stabilität, da in fragilen Situationen Rückzugsräume für kriminelle und terroristische Gruppierungen entstehen und Migrationsanreize gesetzt werden. Sowohl unter menschenrechtlichen, als auch unter entwicklungspolitischen und sicherheitspolitischen Aspekten erscheint die Entwicklungszusammenarbeit mit Staaten in fragilen Situationen daher besonders dringlich. 4. Herausforderungen bei Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen Die Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen steht vor gesteigerten Herausforderungen : 9 So für den Zeitraum seit 1990 ausdrücklich: OECD, Fragile States 2014: Domestic revenue mobilisation in fragile states, S. 19 abrufbar unter http://www.oecd.org/dac/governance-peace/conflictandfragility/docs/FSR- 2014.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 10 Erklärung der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 8. September 2000, abrufbar unter http://www.un.org/depts/german/millennium/ar55002-mill-erkl.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Sie beruht auf Vorarbeiten einer aus den Vereinten Nationen, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfond und dem Entwicklungsausschuss der OECD zusammengesetzten Arbeitsgruppe. 11 OECD, States of Fragility 2015: Meeting Post-2015 Ambitions, S. 15, abrufbar unter http://dx.doi.org/10.1787/9789264227699-en (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 8 Eine Kooperation mit staatlichen Institutionen setzt voraus, dass diese willens und in der Lage sind, ihren Anteil an der Entwicklungsförderung zu erbringen. Gerade dies ist in fragilen Situationen aber häufig nur eingeschränkt der Fall. Zudem gilt es zu vermeiden, durch Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit die ohnehin häufig geschwächte Durchsetzungskraft der örtlichen Regierung weiter zu beschädigen. Darüber hinaus müssen die in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Mitarbeiter vor Ort ein Mindestmaß an Sicherheit und Bewegungsfreiheit genießen. Auch diese Voraussetzung ist in fragilen Situationen nicht immer erfüllt. Des Weiteren sollten schon bestehende gesellschaftliche Brüche durch Entwicklungsmaßnahmen nicht weiter vergrößert werden. Dies kann etwa geschehen, wenn Modernisierungsbestrebungen fortschrittlicher Kräfte unterstützt und dadurch vorhandene Spannungen zwischen diesen und konservativen Strömungen verstärkt werden. 12 Ebenso kann eine Fokussierung von Maßnahmen auf vergleichsweise entwickelte städtische Räume den Graben zwischen diesen und rückständigeren ländlichen Räumen vertiefen.13 Ferner ist zu beachten, dass Maßnahmen, die der Herstellung von Frieden dienen, den Staatsbildungsprozess behindern können. So kann z.B. die Förderung von Friedensverhandlungen zwischen oppositionellen Kräften und einem repressiven Regime dazu beitragen, dass im Ergebnis der von der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr gewünschte status quo in wesentlichen Teilen aufrechterhalten und dadurch die Legitimität der aus den Verhandlungen hervorgehenden Regierungsform unterminiert wird.14 5. Lösungsansätze 5.1. OECD Im Rahmen der OECD ist das International Network on Conflict and Fragility (INCAF) dafür zuständig , Empfehlungen für das internationale Engagement in fragilen Situationen zu erarbeiten und die Arbeit des Entwicklungshilfeausschusses (OECD-DAC) in diesem Bereich zu koordinieren . Im Jahr 2005 veröffentlichte das INCAF zehn Prinzipien für das internationale Engagement in fragilen Staaten (Fragile State Principles, FSP).15 Nach einer Pilotphase haben die OECD-Mitglieder im April 2007 die FSP als verbindlich anerkannt. Diese lauten: 12 Debiel, Fragile Staaten als Problem der Entwicklungspolitik, in: Bundeszentrale für politische Bildung, Aus Politik und Zeitgeschichte 28-29/2005, S. 12 ff., 15; abrufbar unter http://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz /28942/zerfallende-staaten (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 13 Debiel (Fn. 12), S. 12 ff., 15. 14 Overseas Development Institute, Development, Security and Transition in Fragile States, 2010, S. VII, abrufbar unter http://www.odi.org/sites/odi.org.uk/files/odi-assets/publications-opinion-files/5852.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 15 OECD, Principles for good international engagement in fragile states & situations, abrufbar unter http://www.oecd.org/dacfragilestates/43463433.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 9 1. Den Kontext als Ausgangspunkt nehmen 2. Schaden vermeiden (Do no harm) 3. Auf Staatsbildung als zentrales Ziel fokussieren 4. Der Prävention den Vorrang geben 5. Die Zusammenhänge von Politik-, Sicherheits- und Entwicklungszielen erkennen 6. Nicht-Diskriminierung als Basis für inklusive und stabile Gesellschaften fördern 7. In unterschiedlichen Kontexten auf unterschiedliche Weise Übereinstimmung mit lokale Prioritäten herstellen 8. Praktische Kooperationsmechanismen zwischen internationalen Akteuren vereinbaren 9. Schnell handeln – aber so lange engagiert bleiben, dass sich Erfolge einstellen können 10. Ausgrenzungen vermeiden. In den Jahren 2009 und 2011 unterzog die OECD die Umsetzung der FSP einem Monitoring16 und gab im Jahr 2010 einen globalen Monitoringbericht heraus.17 Daneben zeigte sie in einer gesonderten Veröffentlichung aus dem Jahr 2010 mit dem Titel Do no harm18 auf, wie die internationale Gemeinschaft den Aufbau staatlicher und zivilgesellschaftlicher Institutionen fördern kann, ohne dabei Konflikte zu verlängern oder Gewaltakteure zu legitimieren. Zur Vorbereitung des Monitorings im Jahr 2011 erstellte das United Nations Development Programme (UNDP) einen good practice – Bericht19, der anhand von vierzehn Beispielen aus den Staaten Burundi, Zentralafrikanische Republik, Demokratische Republik Kongo, Kirgisien, Liberia, Sierra Leone, Salomonen , Sudan und Timor-Leste darstellte, wie die FSP erfolgreich umgesetzt werden können. Im Jahr 2005 gab die OECD darüber hinaus eine Erklärung zur Effizienz des Mitteleinsatzes in der Entwicklungszusammenarbeit (Paris Declaration on Aid Effectiveness)20 heraus, die Staaten in fragilen Situationen einen gesonderten Abschnitt widmet. Sie verpflichtet die Geber dazu, 1. ihre Aktivitäten mit einander abzustimmen 2. Leistungen soweit wie irgend möglich in Übereinstimmung mit den Strategien der zentralen Regierungen zu bringen oder, soweit dies nicht möglich ist, im größtmöglichen Umfang auf nationale, regionale, sektorale oder Nichtregierungssysteme zurückzugreifen 16 Siehe http://www.oecd.org/dac/governance-peace/conflictfragilityandresilience/monitoringthefragilestatesprinciples .htm (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 17 Abrufbar unter http://www.oecd.org/dacfragilestates/44651689.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 18 OECD, Do No Harm: International Support for Statebuilding, abrufbar unter http://www.oecd.org/dac/governance -peace/conflictandfragility/docs/do%20no%20harm.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 19 UNDP, Bericht vom 24. Februar 2011, Fragile States Principles – good practice cases, abrufbar unter http://www.oecd.org/dacfragilestates/47278388.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 20 Abrufbar unter http://www.oecd.org/dac/effectiveness/34428351.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 10 3. Aktivitäten zu vermeiden, die den Aufbau nationaler Institutionen untergraben , etwa weil sie nationaler Haushaltsentscheidungen umgehen oder Zahlungen hoher Gehälter an ortsansässige Arbeitnehmer beinhalten 4. eine angemessenen Mischung von Hilfsinstrumenten einzusetzen, einschließlich einer Unterstützung bei periodischen Finanzierungen, insbesondere für Länder in vielversprechenden, aber hochriskanten Übergangsphasen . Ein Monitoring der Umsetzung dieser Leitlinien erfolgte in den Jahren 2006, 2009 und 2011.21 Die OECD gelangte zu der Einschätzung, dass der mit der Erklärung erzielte Fortschritt sowohl auf Seite der Geberstaaten als auch auf Seite der Entwicklungsstaaten ungleich verteilt sei. Besondere Schwierigkeiten seien bei denjenigen zwölf untersuchten Staaten zu beobachten, die sich in fragilen Situationen befunden hätten. Dies liege aber auch an den Geberstaaten, die das mangelhafte Funktionieren eines Entwicklungsstaates häufig zum Anlass nähmen, ihre Maßnahmen mangelhaft zu koordinieren und die Programme mit drei bis fünf Jahren Laufzeit zu kurz bemäßen . 22 Aus dem Monitoring wurden sieben Handlungsvorschläge für die Zukunft abgeleitet.23 In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2014 befasste sich die OECD ferner mit den Risiken bei der Entwicklungszusammenarbeit mit fragilen und konfliktbefangenen Staaten aus Geberperspektive und der Minimierung dieser Risiken.24 5.2. g7+ Gruppe Im Jahr 2010 entstand die „g7+ Gruppe“, in der sich von Fragilität betroffene Staaten zusammengefunden haben, um sich eine international relevante Stimme zu bilden und ihre Eigenverantwortung zu stärken. Derzeit besteht die Organisation aus 20 Mitgliedstaaten.25 Eine ihrer zentralen Aufgaben ist die Implementierung des New Deal for Engagement in Fragile States26 (New Deal). Dieses Dokument wurde im Rahmen des Forums International Dialogue on Peacebuilding 21 Siehe http://www.oecd.org/dac/effectiveness/2011surveyonmonitoringtheparisdeclaration.htm (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 22 Siehe http://www.oecd.org/dac/effectiveness/48966414.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 23 Siehe http://www.oecd.org/dac/effectiveness/48966414.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 24 OECD, Development assistance and approaches to risk in fragile and conflict affected states, abrufbar unter http://www.oecd.org/dac/governance-peace/publications/2014-10-30%20Approaches%20to%20Risk%20FI- NAL.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 25 Eine Liste der einzelnen Mitglieder findet sich auf http://www.g7plus.org/ (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 26 Abrufbar unter http://www.pbsbdialogue.org/en/new-deal/about-new-deal/ (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 11 and Statebuilding27 entwickelt und während des von der OECD im Jahr 2011 im südkoreanischen Busan veranstalteten 4th High Level Forum on Aid Effectiveness von 44 Staaten und verschiedenen internationalen Organisationen unterstützt. Der New Deal zielt zum einen auf – im Vergleich zur traditionellen Entwicklungszusammenarbeit – stärker kontextorientierte, länderspezifische Ansätze, zum anderen auf gegenseitige Rechenschaftslegung zwischen Regierungen , Zivilgesellschaft, Gebern und anderen internationalen Akteuren. Hierzu stellt er fünf Friedens- und Staatenbildungsziele (Peacebuilding and Statebuilding Goals, PSG) sowie zwei bei deren Verwirklichung zu berücksichtigende Prinzipien (FOCUS und TRUST) auf. Die fünf PSG lauten: 1. Legitime Politik – integrative politische Kompromisse und Streitbeilegung fördern 2. Sicherheit – individuelle Sicherheit herstellen und stärken 3. Gerechtigkeit – Ungerechtigkeiten thematisieren und den Justizzugang verbessern 4. Wirtschaftliche Grundlagen – Arbeitsplätze schaffen und die Existenzgrundlagen verbessern 5. Einnahmen und Dienstleistungen – Staatliche Einnahmen verwalten sowie Handlungskompetenzen und Wissen für verantwortliche und faire Dienstleistungen vermitteln. Das Prinzip FOCUS bezweckt die Konzentration auf neue Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen, das Prinzip TRUST soll dazu dienen, gegenseitiges Vertrauen zu etablieren. Beide Prinzipien sind Akronyme und stehen für jeweils fünf einzelne Handlungsleitlinien , die im Text des New Deal näher definiert werden.28 Im Jahr 2014 veröffentlichte das Sekretariat des International Dialogue on Peacebuilding and Statebuilding einen ersten Monitoringbericht zum New Deal. Dieser maß nicht den erreichten Fortschritt bei der Erreichung der PSG, sondern befasste sich mit der Frage, inwieweit die nationalen und internationalen Partner ihr Verhalten im Hinblick auf den New Deal geändert haben. Das Ergebnis fiel gemischt aus.29 27 Dieses Forum bringt fragile und konfliktbeladene Staaten (g7+ Gruppe), deren internationale Entwicklungspartner (Mitglieder des INCAF) und die Zivilgesellschaft (Mitglieder der Civil Society Platform for Peacebuilding and State) zusammen. Eine Übersicht über die Mitglieder findet sich auf http://www.pbsbdialogue .org/en/new-deal/endorsing-countries/ (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 28 FOCUS steht für Fragility assessment - One vision, one plan - Compact - Use PSGs to monitor - Support political dialogue and leadership. TRUST ist eine Abkürzung für Transparency – Risk-sharing – Use and strengthen country systems – Strengthen capacities – Timely and predictable aid. 29 International Dialogue on Peacebuilding and Statebuilding, New Deal Monitoring Report 2014, abrufbar unter http://www.g7plus.org/sites/default/files/basic-page-downloads/FINAL%202014%20New%20Deal%20Monitoring %20Report.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 12 5.3. Europäische Union Die EU verfügt über komparative Vorteile bei der Zusammenarbeit mit fragilen Staaten, insbesondere durch die Integration verschiedener Politikbereiche und den hohen Mitteleinsatz für Entwicklungszusammenarbeit . Zugleich kommt ihr als wichtiger Träger der Entwicklungszusammenarbeit und auf Grund ihrer herausgehobenen Rolle in welt- und sicherheitspolitischen Fragen eine besondere Verantwortung dabei zu, auf fragile Situationen zu reagieren. In einer Mitteilung aus dem Jahr 200730 schlug die Europäische Kommission eine Strategie für ein einheitliches, gegenseitig abgestimmtes Vorgehen der EU als Reaktion auf die instabile Lage in Drittländern vor. Zentraler Punkt dieser Strategie sollte ein besserer Einsatz der verschiedenen Instrumente sein, die der EU auf politischer, diplomatischer, humanitärer sowie entwicklungsund sicherheitspolitischer Ebene zur Verfügung stehen. Im ersten Europäischen Entwicklungsbericht aus dem Jahr 200931 wurden Wege für ein kohärentes , gesamteuropäisches Auftreten in fragilen Situationen in Subsahara-Afrika aufgezeigt. In einer Mitteilung aus dem Jahr 201132 befasste sich die Europäische Kommission erneut mit der Entwicklung von Staaten in fragilen Situationen. Sie schlug darin vor, mehr EU-Mittel für die Entwicklung von Staaten in fragilen Situationen einzusetzen. Insbesondere müsse Staaten in fragilen Situationen dabei geholfen werden, funktionierende und verantwortungsvolle Institutionen zu schaffen, die grundlegende Dienstleistungen erbringen, und die Armut zu verringern. Über die Gewährung entsprechender Mittel müsse von Fall zu Fall unter Abwägung von Nutzen, Kosten und Risiko entschieden werden. Abschließend mahnte die Kommission an, einen EU-Aktionsplan für Sicherheit, Fragilität und Entwicklung zu verabschieden und umzusetzen. Ein im Auftrag der des Entwicklungsausschusses des Europäischen Parlaments erstellter Bericht aus dem Frühjahr 201333 analysierte die Stärken und Schwächen des EU-Engagements in fragilen 30 Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 25. Oktober 2007, Überlegungen zur Vorgehensweise der EU in Situationen der Fragilität - Engagement für nachhaltige Entwicklung, Stabilität und Frieden in schwierigen Kontexten, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52007DC0643&from=DE (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 31 Giovannetti, Overcoming fragility in Africa - forging a new European Approach, European Report on Development 2009, Robert Schuman Centre for Advanced Studies, European University Institute, 2009, abrufbar unter http://erd.eui.eu/erd-2009/ (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Der Bericht wurde von der EU und sieben ihrer Mitgliedstaaten finanziert. 32 EU-Kommission, Mitteilung vom 30. Oktober 2011 an das Europäische Parlament, den Rat der EU, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Increasing the impact of EU Development Policy: an Agenda for Change, abrufbar unter http://eacea.ec.europa.eu/intra_acp_mobility/funding /2012/documents/agenda_for_change_en.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 33 Europäisches Parlament - Generaldirektion externe Politikbereiche der Union, EU Development Cooperation in fragile states: Challenges and opportunities, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/etudes /join/2013/433724/EXPO-DEVE_ET(2013)433724_EN.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 13 Situationen, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung der FSP. Der Bericht kam zu dem Ergebnis 34, dass die EU bislang keinen systematischen und langfristigen Ansatz implementiert habe, um der Prävention in fragilen Situationen den erforderlichen Vorrang einzuräumen. Zentrale Probleme seien eine unzureichende Analyse der Fragilitätsursachen, ineffiziente Frühwarnsysteme und eine nicht angemessene Integration von Konfliktpräventions- und Friedensbildungsmaßnahmen in örtliche Programme. Darüber hinaus befand der Bericht, dass die EU bislang keinen kohärenten Ansatz entwickelt habe, um humanitäre Ersthilfe in systematischer Weise in Entwicklungszusammenarbeit zu überführen („Linking Relief, Rehabilitation and Development“ - Prinzip). Ferner hob der Bericht hervor, dass die EU ihre Maßnahmen nicht ausreichend mit anderen internationalen Akteuren koordiniere. Die Kooperation mit den Vereinten Nationen sei in weiten Teilen nur anlassbezogen erfolgt und die Kooperation mit den in fragilen Situationen engagierten EU-Mitgliedstaaten habe sich in vielen Fällen auf einen reinen Informationsaustausch beschränkt. Gemeinsame Programme oder eine eindeutige Rollenaufteilung seien nur sehr selten erfolgt. Die Folgen zeigten sich am Beispiel Afghanistans. Dort habe eine zu lockere Koordination dazu geführt, dass dem Wiederaufbau des Polizei- und Justizsektors nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet worden sei. Dieser Bereich, der von zwei europäischen Partnern betreut worden sei, sei unterfinanziert gewesen, und vergleichbar tiefgreifende Reformen wie im militärischen Bereich seien versäumt worden. Das schlechte Funktionieren des Polizei- und Justizapparats habe zur Folge, dass erhebliche Teile der ländlichen Bevölkerung das Justizsystem der Taliban mittlerweile als effizienter, vorhersehbarer, unparteiischer und gerechter empfänden. 35 Schließlich hielt der Bericht fest, dass die entdeckten Schwächen im Vergleich mit anderen Akteuren besonders stark ausgeprägt seien, was mit den organisatorischen und finanziellen Besonderheiten der EU zusammenhänge.36 In einer gemeinsamen Mitteilung von Ende 2013 kündigten die Europäische Kommission und die hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik ein umfassendes Vorgehen im Hinblick auf externe Krisen und Konflikte an.37 Dabei gingen sie auf die in dem Bericht von 2013 herausgestellten Schwachpunkte ein. 34 Europäisches Parlament (Fn. 33), S. 21 ff. 35 Europäisches Parlament (Fn. 33), S. 36. 36 Europäisches Parlament (Fn. 33), S. 21 ff. 37 Gemeinsame Mitteilung der Kommission und des hohen Repräsentanten für Außen- und Sicherheitspolitik vom 11. Dezember 2013 an das Europäische Parlament und den Rat der EU, The EU's comprehensive approach to external conflict and crises: abrufbar unter http://eeas.europa.eu/statements/docs/2013/131211_03_en.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 14 5.4. Bundesrepublik Deutschland Die Bundesregierung veröffentlichte im Jahr 2012 ressortübergreifende Leitlinien für eine kohärente Politik gegenüber fragilen Staaten, die sich von Krisenprävention, über eventuelle Maßnahmen der Konfliktbeilegung bis zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erstreckt.38 Diese Leitlinien bezeichnen die FSP und den New Deal als wichtigen Orientierungsrahmen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit.39 Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) stellte in einem Strategiepapier aus dem Jahr 201340 Handlungsprinzipien für die Entwicklungszusammenarbeit in fragilen und von Gewalt und Konflikt geprägten Kontexten auf. Diese orientieren sich an den relevanten internationalen Diskussionen, bauen aber auf den Erfahrungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit auf. Die entworfenen Handlungsprinzipien lauten: 1. Engagement kontextbezogen gestalten und auf die Bedarfe für Frieden und Sicherheit ausrichten 2. Mit Zielkonflikten und Dilemmata offen umgehen 3. Realistische Ziele formulieren 4. Umgang mit Risiken auf allen Ebenen verbessern 5. Do no harm: Negative Dynamiken nicht verschärfen 6. Strategien an Strukturen vor Ort ausrichten 7. Schnelle Erfolge bei langfristiger Perspektive ermöglichen. 6. Wirkungen der Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen Manche Stimmen betrachten die Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen mit Skepsis .41 Diese reicht bis hin zur Auffassung, in fragilen Situationen sei mit staatlicher Entwicklungszusammenarbeit nicht zu helfen.42 Zur Begründung wird in erster Linie darauf verwiesen, dass 38 Gemeinsame Leitlinien des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, des Auswärtigen Amts und des Bundesverteidigungsministeriums von September 2012, abrufbar unter https://www.bmz.de/de/zentrales_downloadarchiv/Presse/leitlinien_fragile_staaten.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 39 Gemeinsame Leitlinien (Fn. 38) S. 3. 40 BMZ, Strategiepapier 4/2013, Entwicklung für Frieden und Sicherheit – Entwicklungspolitisches Engagement im Kontext von Konflikt, Fragilität und Gewalt, abrufbar unter https://www.bmz.de/de/mediathek/publikationen /reihen/strategiepapiere/Strategiepapier328_04_2013.pdf (letzter Abruf am 25. Februar 2016). 41 Nachweise bei Stockmann / Menzel / Nuscheler, Entwicklungspolitik, 2. Auflage 2016, Berlin / Boston: de Gruyter Oldenbourg, S. 606. 42 So Stockmann / Menzel / Nuscheler, Entwicklungspolitik, 2. Auflage 2016, Berlin / Boston: de Gruyter Oldenbourg , S. 606 ff. Diese Autoren halten stattdessen Friedensmissionen, Isolierung und Sanktionierung der Eliten, öffentlichen internationalen Druck etc. für notwendig und setzen sich dafür ein, dass die Entwicklungszusammenarbeit bis auf Weiteres auf soziale und Nothilfeprojekte, Maßnahmen zur Friedensbildung und Konfliktprävention und Projekte zur Stärkung der Zivilgesellschaft beschränkt wird, die über Nichtregierungsorganisationen abgewickelt werden müsse, damit die Hilfe wirklich bei den Bedürftigen ankomme. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 15 langjährige Erhebungen einen eher geringen Erfolg erkennen ließen.43 Dies erschwere es auch zunehmend , den Steuerzahlern der Geberländer zu vermitteln, weiterhin Mittel zur Verfügung zu stellen.44 Die deutschen Akteure der Entwicklungszusammenarbeit scheinen diese Skepsis nicht zu teilen. Aktuelle Anfragen beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und zwei weiteren großen Trägern der Entwicklungszusammenarbeit haben ergeben, dass in den vergangenen fünf Jahren nur selten Projekte, die eindeutig fragile Situationen betrafen ,45 wegen unüberwindbarer Schwierigkeiten oder mangels erkennbaren Erfolges vorzeitig beendet wurden: Das BMZ teilte mit, dass in seinem Geschäftsbereich (einschließlich dem Tätigkeitsfeld der GIZ) keine speziellen Leitlinien dazu vorgehalten werden, wann Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in fragilen Situationen zu beenden sind. Es sei auch lediglich ein solcher Fall bekannt: Das seit 2004 in Sierra Leone laufende Projekt "Sektorprogramm Mikrofinanz I und II“ (MITAF) habe im Jahr 2011 trotz fortgeschrittener Planungen für eine weitere Phase nicht mehr verlängert werden können, da unüberwindbare fachliche Differenzen zwischen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Zentralbank von Sierra Leone bestanden hätten. Im Übrigen sei es lediglich zur Umsteuerung von Projekten gekommen, z.B. wegen Ausbruchs eines Bürgerkriegs (Südsudan 2013) oder bestehender Sicherheitsrisiken (Jemen). Auch Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst erklärte, keine speziellen Leitlinien für die Tätigkeit in fragilen Situationen entwickelt zu haben. Allgemeiner Grundsatz sei, dass laufende Projekte nicht eingestellt würden, solange keine Mittelfehlverwendung erfolge. Als problematisch habe sich lediglich ein Projekt in Aserbaidschan erwiesen. Dieses sei aus Sicherheitsgründen abgebrochen worden: Die vor Ort tätigen Mitarbeiter seien Repressionen ausgesetzt gewesen und hätten das Land verlassen, um der Gefahr einer Inhaftierung zu entgehen. Misereor gab ebenfalls an, keine Leitlinien dafür zu besitzen, wann man abbreche oder auslaufen lasse. Die Entwicklungszusammenarbeit erfolge ausschließlich über lokale Partner und deren lokale Mitarbeiter. Über Projektabbrüche und Folgeprojekte werde stets anhand der Umstände des Einzelfalles entschieden. Lediglich in Elfenbeinküste, Jemen und Sierra Leone bestehe – schon seit Jahren – keine Projektkooperation. Dies beruhe aber nicht auf Fragilitätsgründen, sondern auf einem Mangel geeigneter lokaler Partner bzw. auf anderen Länderprioritäten. In allen übrigen abgefragten Staaten würden derzeit Projekte gefördert. 43 Siehe Stockmann / Menzel / Nuscheler (Fn. 42), S. 606 ff. Danach seien zwischen 1960 und 2012 Entwicklungshilfegelder in Höhe von 887 Milliarden US-Dollar nach Afrika geflossen, davon etwa die Hälfte in Staaten, in denen Kriege und Zerfallserscheinungen der öffentlichen Ordnung die Effekte vieler Projekte wieder zunichte gemacht hätten. Zudem seien 35 Staaten, die die Weltbank 1979 als fragil bewertet habe, auch 30 Jahre später noch so einzustufen. Ferner zählten nach den Daten des FFP sechs der zehn meistfragilen Staaten aus dem Jahr 2005 auch im Jahr 2014 noch zu dieser Gruppe. 44 So Stockmann / Menzel / Nuscheler (Fn. 42), S. 608. 45 Die Anfragen waren auf die Staaten bezogen, welche sich nach sämtlichen oben (unter 2.) genannten Fragilitätsübersichten von Weltbank, FFP und CSP in einer fragilen Situation befinden, nämlich auf Afghanistan, Burundi , Demokratische Republik Kongo, Elfenbeinküste, Eritrea, Haiti, Irak, Jemen, Liberia, Mali, Sierra Leone, Simbabwe, Somalia, Sudan, Südsudan, Tschad und Zentralafrikanische Republik. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 015/16 Seite 16 Differenzierte Anhaltspunkte für die Wirksamkeit von Entwicklungszusammenarbeit können Evaluationen bieten. Deren Gesamtaufkommen ist sehr hoch und wächst laufend weiter. Neben weltweit ca. 170 Evaluationsverbänden existieren spezielle Organisationen zur Förderung der Evaluation (z.B. die International Organization for Cooperation in Evaluation oder die International Development Evaluation Association) und zur Durchführung anspruchsvoller Wirkungsevaluationen in Entwicklungsländern (z.B. die International Initiative for Impact Evaluation). Die Weltbank hat sechs Regional Centers for Learning on Evaluation and Results gegründet. Hervorzuheben ist auch das Deutsche Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval), dessen Evaluierungsvorhaben auf Vorschlägen aus dem BMZ, aus dem parlamentarischen und gesellschaftlichen Raum und aus dem DEval selbst beruhen. Ende der Bearbeitung