© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 014/19 Zur Anerkennung ausländischer Staatsoberhäupter Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 2 Zur Anerkennung ausländischer Staatsoberhäupter Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 014/19 Abschluss der Arbeit: 7. Februar 2019 (zugleich letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Die Anerkennung ausländischer Staatsoberhäupter aus völkerrechtlicher Sicht 4 2. Drohung mit Anerkennung 8 3. Drohung mit Militärintervention und Inhaftierung 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 4 1. Die Anerkennung ausländischer Staatsoberhäupter aus völkerrechtlicher Sicht Der Auftraggeber wirft die Frage auf, ob es für einen Staat völkerrechtlich zulässig ist, ein ausländisches Staatsoberhaupt als solches anzuerkennen, wenn dieses Staatsoberhaupt seine Position möglicherweise nicht im Rahmen der anwendbaren ausländischen Verfassung erlangt hat oder die Verfassungskonformität des Regierungswechsels nach anwendbarem ausländischen Recht von anderen Verfassungsorganen des betroffenen Landes bezweifelt wird. Für die Anerkennung von Regierungen gelten im Völkerrecht im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie für die Anerkennung von Staaten.1 Nach ganz überwiegender Auffassung in der Völkerrechtswissenschaft hat die Anerkennung grundsätzlich nur deklaratorische, keinen konstitutive Wirkung.2 Dies führt dazu, dass die Anerkennung durch einen anderen Staat nichts an der Verfassungskonformität oder Verfassungswidrigkeit eines Regierungswechsels ändert, die allein nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen bleiben.3 D.h. die bloße Anerkennung verleiht der neuen Regierung keine Legitimität. Bei der Anerkennung haben Staaten gewisse Ermessensspielräume . Diese Spielräume können sich u.a. in einer unterschiedlichen Anerkennungspraxis der Staaten gegenüber derselben Regierung niederschlagen.4 Dabei ist zu festzuhalten, dass der unilaterale, deklaratorische Akt der Anerkennung eines ausländischen Staatsoberhaupts kein rechtliches Nullum darstellt; so können der Anerkennung, insbesondere in Verbindung mit dem auch im Völkerrecht anwendbaren Grundsatz von Treu und Glauben, Rechtswirkungen zukommen.5 Je nach den spezifischen Umständen des Einzelfalles kann die Anerkennungserklärung mithin eine – zulässige oder unzulässige – Einmischung in die 1 Grundlegend Jost Delbrück, § 19 Begriff und rechtliche Bedeutung der Anerkennung, S. 187 ff., sowie § 20 Das Recht und die Pflicht zur Anerkennung, S. 196 ff., in: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/1, 2. Auflage , New York 1988. Zu den Unterschieden zwischen Anerkennung von Staaten und Regierungen siehe James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, 8th ed., Oxford 2012, S. 151 ff. Vgl. a. Jochen A. Frowein, Recognition, in; Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1086?prd=EPIL#law-9780199231690- e1086-div1-4 (last updated: December 2010), Rz. 14 - 22. 2 Delbrück, a.a.O. 3 Statt vieler: Patrick Daillier/Alain Pellet, Droit International Public, 7e édition, Paris 2002, S. 417 Par. 273. 4 Zum aktuellen Stand der Anerkennungen im vorliegenden Fall siehe United Nations (United States) (AFP), UN will not join any group on Venezuela crisis talks: Guterres, https://www.france24.com/en/20190204-un-willnot -join-group-venezuela-crisis-talks-guterres?fbclid=IwAR3A9OWuK9Oc40gBWHnDLN6cbOup JjUQymXGNjcS5s3BN5RmUFhaJYNc6wc . 5 Statt vieler: Daillier/ Pellet, op.cit., S. 418 f. Zu Treu und Glauben siehe Markus Kotzur, Good faith (bona fide), sowie Thomas Cottier/Jörg Paul Müller, Estoppel, beide in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1412?rskey=353eg3&result=1&prd=EPIL sowie http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e1401?rskey=353eg3&result=4&prd=EPIL. So setzen sich zum Beispiel Staaten, die ein neues Staatsoberhaupt anerkennen, zu ihrem eigenen Verhalten in Widerspruch, wenn sie nach wie vor die Vertreter der alten Regierung als diplomatisch autorisiert behandeln, und verstoßen somit gegen den völkerrechtlichen estoppel-Grundsatz . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 5 inneren Angelegenheiten6 des betroffenen Landes, oder aber einen unfreundlichen Akt7 gegenüber diesem Land darstellen. Die Einmischung in innere Angelegenheiten ist jedenfalls dann als völkerrechtlich unzulässige Intervention zu bewerten, wenn diese Einmischung mit Zwangsmitteln oder Gewalt (forcible or dictatorial means) verbunden wird.8 Bei der bloßen Erklärung der Anerkennung einer Regierung ist eine solche Verknüpfung mit völkerrechtlich unzulässigen Mitteln nicht ersichtlich. In der vorliegenden Fallkonstellation ist überdies die Frage angebracht, ob es sich tatsächlich um die Einmischung in rein innere Angelegenheiten handelt. Angelegenheiten werden im Völkerrecht als innere definiert, wenn sie in der ausschließlichen Verantwortung innerstaatlicher Akteure liegen.9 Angesichts der aktuellen Menschenrechtslage in dem betroffenen Land10, einschließlich der durch die soziale und wirtschaftliche Lage ausgelösten Elendsmigration,11 sind Zweifel angezeigt: (Internationale) Menschenrechte werden im Völkerrecht nicht mehr ausschließlich als Bestandteil des (nationalen) domaine réservé angesehen. Vielmehr sieht die Staatengemeinschaft deren Schutz mehr und mehr als eine gemeinschaftlich wahrzunehmende Aufgabe .12 Auch die regionale Dimension der von dem betroffenen Land ausgehenden Flucht und 6 Hierzu statt vieler: Philip Kunig, Prohibition of Intervention, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil .ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1434#law-9780199231690-e1434- div2-4 , (last updated April 2008). 7 Hierzu statt vieler: Dagmar Richter, Unfriendly Act, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e423?rskey=gE3FvM&result=1&prd=OPIL (last updated January 2013). 8 Vgl. a. die Beispiele bei Daillier/Pellet, op.cit., S. 441 f., insbesondere den Verweis auf ICJ, Military and Puramilitary Activities in und aguinst Nicaragua (Nicaragua v. United States of America). Merits, Judgment. I.C.J. Reports 1986, p. 14, https://www.icj-cij.org/files/case-related/70/070-19860627-JUD-01-00-EN.pdf . 9 Kunig (a.a.O.), Rz. 1. 10 Siehe statt vieler: OHCHR, Übersicht zu Menschenrechtsthemen in Venezuela von 2014 bis zur Gegenwart (31.01.2019), https://www.ohchr.org/en/NewsEvents/Pages/NewsSearch.aspx?CID=VE ;UN News, Independent UN rights expert calls for compassion, not sanctions on Venezuela, 31 January 2019, https://news.un.org/en/story/2019/01/1031722 , Amnesty International, Venezuela 2017/2018, https://www.amnesty .de/jahresbericht/2018/venezuela, sowie Human Rights Watch, Venezuela, https://www.hrw.org/worldreport /2018/country-chapters/venezuela . 11 UNHCR, Venezuela situation, https://www.unhcr.org/venezuela-emergency.html , führt aus: „People continue to leave Venezuela due to violence, insecurity and threats, and lack of food, medicine and essential services . With over 3 million Venezuelans now living abroad, the vast majority in countries within South America , this is the largest exodus in the recent history of Latin America. Ongoing political, human rights and socioeconomic developments in Venezuela compel growing numbers of children, women and men to leave for neighbouring countries and beyond. Many arrive scared, tired and in dire need of assistance.“ Hervorhebung vom Bearbeiter.) 12 Hierzu statt vieler: Katja S. Ziegler, Domaine Réservé, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1398#law-9780199231690-e1398-div1-2 (last updated April 2013), insbesondere Rz. 6 und 12 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 6 Migration wirft längst Fragen der internationalen Sicherheit auf.13 Gleichwohl ist hier strikt zu trennen zwischen den menschen- und völkerrechtlichen Aspekten der innerstaatlichen Situation und der Frage nach der Wahl oder Ernennung des Staatsoberhauptes. Letztere Frage liegt nach wie vor in der ausschließlichen Verantwortung innerstaatlicher Akteure, zumindest solange es nicht zu einem völligen Zusammenbruch der Staatlichkeit gekommen ist.14 Daher gibt es starke Gründe für die Annahme, dass die Anerkennung eines Staatsoberhauptes ad interim vorliegend eine Einmischung in innere Angelegenheiten ist. Somit bleibt die Frage, ob die Einmischung in innere Angelegenheiten im vorliegenden Fall als unzulässige Intervention zu qualifizieren ist, durchaus berechtigt. Grundsätzlich ist die Völkerrechtswissenschaft eher zurückhaltend bei der Anerkennung neuer Regierungen, wenn deren verfassungsmäßige Grundlage innerstaatlich nicht abschließend geklärt ist: „Die Berufung und Zusammensatzung der Regierung wird nicht durch das Völkerrecht, sondern durch die nationale Verfassung der Staaten bestimmt. Staaten sind verpflichtet, die nach dem nationalen Recht des betreffenden Staates zuständige Regierung auch im internationalen Rechtsverkehr als dessen Organ gelten zu lassen. Das gilt aber auch für die revolutionäre Regierung, die sich wirklich durchgesetzt hat. Wo sich die neue Gewalt erst im Kampfe mit der bisher legitimen Gewalt durchsetzen muss, muss der Kampf vom Standpunkt objektiver, vernünftiger Beurteilung zu ihren Gunsten entschieden worden , aber er braucht noch nicht beendigt zu sein.15 […] 13 Vgl. UNHCR, Number of refugees and migrants from Venezuela reaches 3 million, 8 November 2018, https://www.unhcr.org/news/press/2018/11/5be4192b4/number-refugees-migrants-venezuela-reaches-3-million .html . 14 Zur Zulässigkeit der Intervention in „failed states“ zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der Menschenrechte vgl. Daniel Thürer, Failing states, in; Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1404?prd=EPIL#law-9780199231690- e1404-div2-4, Rz. 13: „The right to self-determination, together with human rights, was considered to authorize intervention in matters of internal affairs with the object of restoring the State authority needed for the proper functioning of international law”. 15 Delbrück, a.a.O., S. 194. (Hervorhebung vom Bearbeiter.) Vgl. hierzu auch Frowein, a.a.O., Rz. 15: “Where there are still two competing governments, recognition of the revolutionary government as the government of the State is unlawful unless it has established its authority to such an extent that the outcome of the conflict is clear and the former government’s authority is reduced to a negligible area.“ (Hervorhebung vom Bearbeiter.) Im Ergebnis ebenso Crawford, op.cit., S. 152: „In the case of governments, the standard set by international law is so far the standard of secure de facto control of all or most of the state territory.“ (Hervorhebung vom Bearbeiter .) Der gleichen Ansicht Daillier/ Pellet, op.cit., S. 418: „En effet, la reconnaissance du gouvernement est (…) fondée sur l´effectivité des autorités gouvernementales nouvelles et non sur leur légalité.” (Hervorhebung vom Bearbeiter.) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 7 Die Anerkennung darf nicht vorzeitig, d.h. sie darf nicht erfolgen, bevor die neue Staatsgewalt sich endgültig durchgesetzt hat. Die vorzeitige Anerkennung für sich allein […] macht die Regierung nicht zur legitimen Regierung. Sie hat insoweit keine völkerrechtliche Wirkung. Andrerseits stellt sie eine Verletzung der legitimen Staatsgewalt dar durch die der Anerkennende sich der völkerrechtlichen Deliktshaftung aussetzt und die überdies unter dem Aspekt der Friedenssicherung erheblichen Bedenken begegnet.16 […] Das Urteil darüber, ob eine neue Staatsgewalt endgültig entstanden, die alte Gewalt endgültig erloschen sei, ist ein in die Zukunft gerichtetes Werturteil, das oft unsicher ist. Es gibt Situationen, und sie können sich über große Zeiträume erstrecken, die man auch vom Standpunkt einer objektiven, vernünftigen Betrachtung verschieden beurteilen kann. In derart zweideutigen Situation muss ein jeder Staat nach seinem politischen Ermessen entscheiden, ob er die neue Gewalt schon anerkennen will oder nicht. In ihnen hat zwar jeder Staat ein Recht zur Anerkennung der neuen Gewalt, diese aber noch kein Recht auf Anerkennung durch andere Staaten.“17 Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass in der Staatenpraxis bei der Anerkennung ausländischer Regierungen eigene nationale Interessen und Opportunitätserwägungen oft eine ausschlaggebende Rolle spielen, während die völkerrechtlich relevante Frage der effektiven Staatsgewalt augenscheinlich nicht die auf normativer Ebene vorgesehene Beachtung findet. Ob in der Konstellation, die der Frage des Auftraggebers zugrunde liegt, die genannten tatsächlichen Voraussetzungen einer zulässigen Anerkennung im Zeitpunkt dieser Anerkennung oder erst einige Tage später vorliegen, kann mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zweifelsfrei festgestellt werden. So wäre zu klären, wann exakt der Konflikt zwischen Präsident und Interimspräsident endgültig entschieden, wenn auch noch nicht beendigt ist. Es bedürfte hier u.a. tagesaktueller Sachverhaltsermittlungen, wer zu welchem Zeitpunkt die effektive Kontrolle über die Staatsgewalt, einschließlich der Streitkräfte und des Sicherheitsapparates, ausübt.18 Erst auf der Grundlage dieser Tatsachenfeststellungen ließe sich abschließend beurteilen, ob die Anerkennung eines innerstaatlich umstrittenen Interimspräsidenten zu einem bestimmten Zeitpunkt die Schwelle zur unzulässigen Einmischung in innere Angelegenheiten überschreitet. Auch wenn die Anerkennung eines ausländischen, in seinem Heimatstaat umstrittenen Interimspräsidenten im vorliegenden Einzelfall nicht die Schwelle zur unzulässigen und damit völkerrechtswidrigen Einmischung in innere Angelegenheiten überschritten haben sollte, käme es in Betracht, sie völkerrechtlich als unfreundlichen Akt zu qualifizieren. Ein unfreundlicher Akt liegt vor, wenn das Verhalten eines Völkerrechtssubjektes einem andren Völkerrechtssubjekt einen Nachteil zufügt oder gegenüber diesem Missachtung zum Ausdruck bringt, ohne jedoch eine Völkerrechtsverletzung zu sein. Ein unfreundlicher Akt ist kein Völkerrechtsdelikt (international wrongful act), hat allerdings zur Folge, dass der Zielstaat eines unfreundlichen Aktes seinerseits 16 Delbrück, a.a.O., S. 200. (Hervorhebung vom Bearbeiter.) 17 Delbrück, a.a.O., S. 201. (Hervorhebung vom Bearbeiter.) 18 Zur gegenwärtigen Sachlage vgl. bereits oben (Fn. 4) sowie die jeweils aktuellen Berichte der VN auf https://news.un.org/en/news/region/americas . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 8 zur Retorsion, d.h. zu unfreundlichen, jedoch rechtmäßigen Gegenmaßnahmen, berechtigt ist.19 Aus Sicht der bisherigen, noch amtierenden Regierung dürfte die Anerkennung eines Staatsoberhauptes ad interim wohl stets als unfreundlich zu bewerten sein. 2. Drohung mit Anerkennung Der Auftraggeber wirft die Frage auf, inwiefern die Aufforderung zu fairen und freien Wahlen aus völkerrechtlicher Sicht mit der Drohung verknüpft werden durfte, bei deren Ausbleiben den Interimspräsidenten als Staatsoberhaupt anzuerkennen. Für die Drohung mit der Anerkennung des Interimspräsidenten gelten letztlich die gleichen Leitvorstellungen wie für die Anerkennung selbst. So hängt auch die Zulässigkeit der Drohung davon ab, wer zum Zeitpunkt der mit der Drohung in Aussicht gestellten Anerkennung die effektive Staatsgewalt in dem betroffenen Staat ausübt. Auf die in diesem Zusammenhang einschlägigen Ermessensspielräume, komplexen Sachverhaltsfeststellungen und nationalen Interessenabwägungen wurde bereits oben verwiesen. Im Übrigen ist die Aufforderung eines Staates an einen anderen, demokratische Wahlen abzuhalten , kein Völkerrechtsverstoß. Während das Völkerrecht bisher kein Recht auf Demokratie anerkennt , ist die Rechtsentwicklung hier durchaus dynamisch.20 So bekennt sich die internationale Gemeinschaft u.a. in der Millenniums-Erklärung der VN-Generalversammlung dazu, keine Mühen zu scheuen, um die Demokratie zu fördern, und in allen Ländern die Kapazitäten zur Anwendung der Grundsätze und Verfahren der Demokratie zu stärken.21 3. Drohung mit Militärintervention und Inhaftierung Die Fragestellung des Auftraggebers nach der Zulässigkeit der Drohung mit einer militärischen Intervention und der Inhaftierung eines noch amtierenden Staatsoberhauptes im Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base bezieht sich auf Äußerungen eines Sicherheitsberaters der US-amerikanischen Regierung, die in der Presse zitiert wurden.22 19 Dagmar Richter, a.a.O., Rz. 1 und 7. Vgl. auch Thomas Giegerich, Retorsion, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e983?rskey=39hCtQ&result=1&prd=EPIL . 20 Vgl. Knut Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage, München 2014, § 8 Rz. 61 ff. Siehe im Einzelnen zum Stand der Entwicklung und Zukunftsperspektiven Gregory H. Fox, International Protection of the Right to Democracy, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e773?prd=EPIL#law-9780199231690-e773-div1-7 , sowie zur historischen Entwicklung Daillier/Pellet, op. cit, S. 433. 21 United Nations Millennium Declaration, A/Res/55/2, 8 September 2000, http://www.un.org/millennium/declaration /ares552e.htm , Rz 24 und 25. 22 Statt vieler: El Pais, El consejero de Seguridad de Trump amenaza a Maduro con Guantánamo, 2. Februar 2019, https://elpais.com/internacional/2019/02/01/estados_unidos/1549040120_719684.html . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 9 Rechtsgrundlage zur Beurteilung der Drohung ist Art. 2 (4) der Charta der Vereinten Nationen, wonach alle Mitglieder in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt unterlassen.23 Die Drohung mit einer militärischen Intervention ist eine Drohung mit Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit eines Staates. Da die VN gem. Art. 2 (1) ihrer Charta auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Mitgliedstaaten beruhen und eine Militärintervention dem Grundsatz der souveränen Gleichheit widerspricht, ist die Drohung auch mit den Zielen der VN unvereinbar . Die Drohung mit Inhaftierung im Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base kann ebenfalls als Drohung mit physischer Gewalt verstanden werden. Die an das Staatsoberhaupt adressierte Drohung richtet sich gegen die politische Unabhängigkeit eines Staates und verletzt ebenfalls den Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten. Es ist nicht erkennbar, dass die Inhaftierung in Guantanamo nach der Vorstellung des Drohenden auf der Grundlage eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens vor einem persönlich, sachlich und örtlich zuständigen Gericht erfolgen sollte: Angesichts der bisherigen Praxis verschiedener US-amerikanischer Administrationen könnte der ausdrückliche Bezug auf Guantanamo sogar als Drohung mit einer willkürlichen Inhaftierung zu verstehen sein.24 Jedenfalls liegt auch diese Drohung im Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 4 der Charta der Vereinten Nationen. Dass beide Drohungen gegen in der VN-Charta normierte Grundsätze verstoßen, gilt unabhängig davon, ob das mit der Drohung nach Absicht des Drohenden abgenötigte Verhalten des Bedrohten völkerrechtskonform, oder gar völkerrechtlich geboten wäre. Gewalt und die Drohung mit Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates sind in der VN-Charta als Mittel zur einseitigen Durchsetzung ausgeschlossen. Das Verbot der Drohung mit Gewalt wurde von der internationalen Gemeinschaft nach Annahme der VN-Charta wiederholt bestätigt, prominent auch in der sogenannten Friendly Relations Declaration der VN-Generalversammlung.25 Diese führt hierzu aus: „Jeder Staat hat die Pflicht, in seinen internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt zu unterlassen. Eine solche Androhung oder Anwendung von Gewalt stellt eine Verletzung des Völkerrechts und der Charta der Vereinten 23 Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945, https://www.unric.org/html/german/pdf/charta.pdf . 24 Vgl. Human Rights Commission, Report of the Chairperson of the Working Group on Arbitrary Detention, Ms. Leila Zerrougui; the Special Rapporteur on the independence of judges and lawyers, Mr. Leandro Despouy; the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment, Mr. Manfred Nowak; the Special Rapporteur on freedom of religion or belief, Ms. Asma Jahangir and the Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health, Mr. Paul Hunt, E/CN.4/2006/120, 15 February 2006, https://undocs.org/E/CN.4/2006/120 . 25 Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen (Friendly Relations-Deklaration) (24. Oktober 1970), A/RES/2625 (XXV), http://www.un.org/Depts/german/gv-early/ar2625.pdf . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/19 Seite 10 Nationen dar und darf niemals als Mittel zur Regelung internationaler Fragen angewandt werden “.26 Fraglich bleibt, inwiefern angebliche Äußerungen eines Sicherheitsberaters der Regierung dem Staat als Völkerrechtssubjekt zurechenbar wären. Dies ist eine Frage der Staatenverantwortung. Das in diesem Rechtsgebiet einschlägige Völkergewohnheitsrecht fand Niederschlag in den Artikelentwürfen der VN-Völkerrechtskommission über die Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln.27 Gem. Art. 4 und 5 der Artikelentwürfe28 kommt es darauf an, ob die handelnde Person aufgrund innerstaatlichen Rechts befugt ist, Regierungsaufgaben wahrzunehmen . Hiervon dürfte beim Sicherheitsberater der US-Regierung auszugehen sein. Daher wären seine Äußerungen dem Staat zuzurechnen. *** 26 A.a.O. 27 ILC Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Text adopted by the International Law Commission at its fifty-third session, in 2001, and submitted to the General Assembly as a part of the Commission’s report covering the work of that session (A/56/10), http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english /commentaries/9_6_2001.pdf . 28 A.a.O., S. 40 und 42.