© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 014/18 Hintergründe zum bewaffneten Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen YPG in Nordsyrien Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/18 Seite 2 Hintergründe zum bewaffneten Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen YPG in Nordsyrien Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 014/18 Abschluss der Arbeit: 31. Januar 2018 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Hintergründe zum türkischen Militäreinsatz in Nordsyrien 4 2. Unterstützung der Kurden in Nordsyrien durch die USA 6 3. Reaktionen Russlands auf den türkischen Militäreinsatz in Nordsyrien 7 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/18 Seite 4 1. Hintergründe zum türkischen Militäreinsatz in Nordsyrien Am 20. Januar 2018 startete das türkische Militär die Operation „Olivenzweig“ im nordsyrischen Gebiet um die Stadt Afrîn, um gegen die kurdischen Volksschutzeinheiten Yekîneyên Parastina Gel (YPG) vorzugehen. Ziel der Offensive war laut türkischem Ministerpräsident Binali Yılıdrım auch die Einrichtung einer 30 Kilometer breiten Sicherheitszone an der türkisch-syrischen Grenze .1 Die YPG kontrolliert die Region um Afrîn weitgehend autonom, seitdem Assad seine Truppen aus dem Gebiet zurückgezogen hat. Aus Sicht der Türkei ist die YPG Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.2 Nach Angaben der Vereinten Nationen (VN) erfolgte die Offensive zunächst mit Luftschlägen und Artilleriebeschuss sowie seit dem 21. Januar 2018 auch mit Bodentruppen und Unterstützung der pro-türkischen Freien Syrischen Armee.3 Verlässliche Angaben über Mannstärke und Militärtechnik der türkischen Armee lassen sich jedoch nicht machen . Selbst der Einsatz von „Leopard 2“-Panzern durch das türkische Militär kann von der Bundesregierung anhand der den Medien vorliegenden Bilder nicht bestätigt werden.4 Dem deutschen Botschafter in der Türkei wurde in einem Gespräch mit dem türkischen Verteidigungsminister lediglich mitgeteilt, „dass es bei dem Einsatz in Syrien auch Gerät, das ursprünglich aus Deutschland stammte, möglicherweise zum Einsatz kommen könnte.“5 Über die Zahl der in Folge der türkischen Offensive getöteten Menschen fehlen bis dato verlässlichen Angaben. Die VN sprechen von einigen Zivilisten.6 Die türkische Armee behauptet, insgesamt 260 Kämpfer der YPG und des sogenannten Islamischen Staates getötet zu haben.7 1 SZ.de vom 21. Januar 2018 „Türkische Panzer stoßen nach Syrien vor“, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/kurden-konflikt-tuerkische-panzer-stossen-nach-syrien-vor- 1.3834592?reduced=true (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 2 Oweis, The West’s Darling in Syria, (2015) 47 SWP Comments, S. 1; Die ZEIT vom 25. Januar 2018, S. 4 “Wo soll das hinführen?“. 3 Vereinte Nationen, “Daily Press Briefing by the Office of the Spokesperson for the Secretary-General” vom 23. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.un.org/press/en/2018/db180123.doc.htm (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 4 Regierungspressekonferenz vom 29. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-29-regpk.html; siehe auch Regierungspressekonferenz vom 22. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-22-regpk.html (jeweils zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 5 Regierungspressekonferenz vom 29. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-29-regpk.html (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 6 Vereinte Nationen, “Daily Press Briefing by the Office of the Spokesperson for the Secretary-General” vom 23. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.un.org/press/en/2018/db180123.doc.htm (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 7 „Ausweitung der Kampfzone”, in: Süddeutsche Zeitung vom 25. Januar 2018, S. 5. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/18 Seite 5 Bereits am 20. Januar 2018 hatte die Türkei gegenüber dem Präsidenten des VN-Sicherheitsrates und dem VN-Generalsekretär förmlich erklärt, der Einsatz sei als Akt der Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta gerechtfertigt, da Raketenangriffe aus der Region Afrîn auf die türkischen Provinzen Hatay und Kilis zugenommen hätten.8 So heißt es in der Note: “The national security of Turkey has been under direct threat from the Syria-based terrorist organizations , among which Deash and the PKK/KCK Syria affiliate, PYD/YPG, are at the top of the list. […] the threat of terrorism from Syria targeting our borders has not ended. The recent increase in rocket attacks and harassment fire directed at Hatay and Kilis provinces of Turkey from the Afrin region of Syria, which is under the control of the PKK/KCK/PYD/YPG terrorist organization, has resulted in the deaths of many civilians and soldiers and has left many more wounded. The risk of Deash elements infiltrating Turkey via this area and targeting the security of Turkey as well as the European countries is also heightened owing to the recent movements of Deash terrorists coming into the Afrin region from other parts of Syria. […] The operation is aimed at ensuring our border security, neutralizing terrorists in Afrin and saving the brotherly Syrians. Accordingly, the operation will target only terrorists and their hideouts, shelters, emplacements, weapons, vehicles and equipment. All precautions have been taken to avoid collateral damage.”9 Am 22. Januar 2018 hielt der VN-Sicherheitsrat auf Initiative Frankreichs eine Sondersitzung zu Syrien ab, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Während die syrische Regierung die Militäroperation öffentlich als „eklatante türkische Aggression“ gegen syrisches Staatsgebiet verurteilte ,10 zeigte sich die Staatengemeinschaft in ihrer Reaktion indes zurückhaltend und warnte eher allgemein vor dem Risiko weiterer Eskalationen. Die Bundesregierung gab bislang keine völkerrechtliche Einschätzung der türkischen Militäroffensive ab, da die „komplexe und fluide Lage “ und das (noch) unvollständige Lagebild eine solche nicht zuließen.11 8 VN-Sicherheitsrat, “Identical Letters dated 20 January 2018 from the Chargé d’affaires a.i. of the Permanent Mission of Turkey to the United Nations” vom 22. Januar 2018, VN-Dok. S/2018/53; Regierungspressekonferenz vom 22. Januar 2018, „Militäreinsatz der Türkei in der Grenzregion zu Syrien“, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-22-regpk.html (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 9 VN-Sicherheitsrat, “Identical Letters dated 20 January 2018 from the Chargé d’affaires a.i. of the Permanent Mission of Turkey to the United Nations” vom 22. Januar 2018, VN-Dok. S/2018/53. 10 Syrian Arab News Agency vom 20. Januar 2018, „Syria strongly condemns Turkish aggression on Afrin“, abrufbar unter: https://sana.sy/en/?p=124986 (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 11 Regierungspressekonferenz vom 22. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-22-regpk.html; siehe auch Regierungspressekonferenz vom 29. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-29-regpk.html (jeweils zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/18 Seite 6 2. Unterstützung der Kurden in Nordsyrien durch die USA Die USA unterstützen die kurdische YPG in Nordsyrien bereits seit 2015 und liefern seit Mai 2017 Waffen an die kurdischen Truppen, da diese zu den wichtigen Partnern der USA im Kampf gegen den sog. „Islamischen Staat“ zählen.12 So wurde die YPG etwa für den Angriff auf die (ehemalige) IS-Hochburg Raqqa 2017 u.a. mit amerikanischen Waffen ausgerüstet und vorbereitet . Die Partnerschaft zwischen den USA und der YPG wird von politischen Analysten in den USA als „temporary, transactional and tactical“ beschrieben.13 Laut Presseberichten soll die YPG von den USA gepanzerte Fahrzeuge, Maschinengewehre, Panzerabwehrwaffen und 12.000 Sturmgewehre erhalten haben.14 Im Januar 2018 kündigte die amerikanische Regierung an, die Milizen der kurdischen YPG in eine von den USA geführte 30.000 Mann starke Truppe zu „integrieren“. Diese Truppe soll die Grenze zum Irak sichern und flüchtige IS-Kämpfer ausfindig machen.15 Von den „Integrations“- Plänen haben die USA nach entsprechenden Reaktionen auf türkischer Seite offenbar zunächst wieder Abstand genommen. Auch die Waffenlieferungen an die kurdischen Milizen seien schon im letzten Jahr eingestellt worden und sollen dem Vernehmen nach auch nicht wieder aufgenommen werden.16 Die Türkei kündigte ein militärisches Vorrücken nach Manbidsch an – ein Teil der autonomen Demokratischen Föderation Nordsyrien (Rodschawa) – wo laut amerikanischem Verteidigungsministerium rund 2000 amerikanische Soldaten stationiert sind.17 Eine Konfrontation zwischen türkischen und amerikanischen Soldaten in dem türkisch-kurdischen Konflikt in Nordsyrien wäre dann nicht mehr auszuschließen. 12 Doering, Jackson / Wahab, Bilal, “Managing the Shift in U.S. Relation with Syria’s Kurds”, in: The Washington Institute for Near East Policy, Policy Analysis v. 8.12.2017. Abrufbar unter: http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/managing-the-shift-in-u.s.-relations-with-syrias-kurds (letzter Zugriff: 31.1.2018) 13 Ibid. 14 Seibert, Thomas, „Washington und Ankara streiten über Waffenlieferung für Kurden“, in: Tagesspiegel vom 6.8.2017. Abrufbar unter: http://www.tagesspiegel.de/politik/krieg-in-syrien-washington-und-ankara-streitenueber -waffenlieferung-fuer-kurden/20152860.html (letzter Zugriff: 31.1.2018). 15 Böhm, Andrea, „Wo soll das hinführen?“, in: Die ZEIT v. 25.1.2018. Abrufbar unter: http://www.zeit.de/2018/05/syrien-konflikt-kurden-tuerkei-usa-nato (letzter Zugriff: 31.1.2018). 16 U.S. Department of Defense: “Attack in Egypt Highlights Need for U.S. Involvement in Region”, v. 27.11.2017, https://www.defense.gov/News/Article/Article/1381340/attack-in-egypt-highlights-need-for-us-involvement-inregion -official-says/. 17 U.S. Department of Defense: “Pentagon Announces Troop Levels in Iraq, Syria”, v. 6.12.2017, https://www.defense.gov/News/Article/Article/1390079/pentagon-announces-troop-levels-in-iraq-syria/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 014/18 Seite 7 3. Reaktionen Russlands auf den türkischen Militäreinsatz in Nordsyrien Das russische Außenministerium hat auf den türkischen Militäreinsatz „mit Sorge“ reagiert.18 Russlands suche eine Langzeitlösung für den Konflikt, bei welcher in Übereinstimmung mit der Resolution 2254 (2015) des VN-Sicherheitsrats19 sowohl die territoriale Integrität als auch die Souveränität Syriens gewahrt bleibe.20 Nach dem Abzug russischer Truppen aus Syrien sehe Russland die Aufgabe der verbleibenden Truppenteile vor allem in der Absicherung der bestehenden De-Eskalationszonen. Zu einem möglichen Fortgang des türkischen Militäreinsatzes in Nordsyrien äußerte sich die russische Regierung nicht. Wegen der im März 2018 anstehenden Präsidentschaftswahlen in Russland sei dem russischen Präsidenten Putin laut Medienberichten daran gelegen, den Syrien- Konflikt als Ganzes einer Lösung – oder zumindest politischen Fortschritten – zuzuführen.21 Vor diesem Hintergrund richtet Russland am 29./.30. Januar 2018 in Sotschi den sogenannten Congress of Syrian People aus.22 *** 18 Russisches Außenministerium, “Comment by the Information and Press Department on Turkey’s use of armed forces in the northwest of Syria” vom 20. Januar 2018, abrufbar unter http://www.mid.ru/ru/foreign_policy/news/- /asset_publisher/cKNonkJE02Bw/content/id/3026297?p_p_id=101_INSTANCE_cKNonkJE02Bw&_101_INSTAN CE_cKNonkJE02Bw_languageId=en_GB (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 19 VN-Sicherheitsrat, Resolution 2254 (2015) vom 18. Dezember 2015, http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3- CF6E4FF96FF9%7D/s_res_2254.pdf. 20 Russisches Außenministerium, a.a.O. (Fn. 18). 21 Aljazeera, „Why is Russia helping Turkey in Afrin?“ vom 29. Januar 2018, abrufbar unter: http://www.aljazeera.com/indepth/opinion/russia-helping-turkey-afrin- 180125122718953.html#http://tass.ru/armiya-i-opk/4889273; siehe auch Seufert, „Das Nato-Mitglied Türkei greift mit russischer Erlaubnis in Syrien ein“ vom 26. Januar 2018, SWP, abrufbar unter: https://www.swpberlin .org/kurz-gesagt/2018/das-nato-mitglied-tuerkei-greift-mit-russischer-erlaubnis-in-syrien-ein/ (jeweils zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 22 Syrian Arab News Agency, „Syrian National Dialogue Congress kicks off in Sochi” vom 30. Januar 2018, abrufbar unter: https://sana.sy/en/?p=125829 (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018).