© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 013/18 Seenotrettung im Mittelmeer Rechte und Pflichten von Schiffen nach der SAR-Konvention und Ausprägungen des Refoulement-Verbots auf Hoher See Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 2 Seenotrettung im Mittelmeer Rechte und Pflichten von Schiffen nach der SAR-Konvention und Ausprägungen des Refoulement-Verbots auf Hoher See Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 013/18 Abschluss der Arbeit: 13. Februar 2018 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vorgaben der SAR-Konvention beim Aufeinandertreffen mehrerer Schiffe am Einsatzort 5 2.1. Koordinierung vom Rettungseinsätzen auf Hoher See ohne offiziell notifizierte SAR-Zone 5 2.2. Koordinierung vom Rettungseinsätzen auf Hoher See mit offiziell notifizierter SAR-Zone 6 3. Das völkerrechtliche Refoulement-Verbot 7 3.1. Inhalt des Refoulement-Verbots 8 3.2. Anwendbarkeit des Refoulement-Verbots auf Hoher See 9 3.3. Verstoß gegen das Refoulement-Verbot durch Unterlassen 10 3.4. Verstoß gegen das Refoulement-Verbot durch aktives Blockieren eines Flüchtlings- und Migrantenbootes 13 3.5. Verstoß gegen das Refoulement-Verbot durch Benennung eines libyschen Schiffes als on-scene-commander durch eine nationale Rettungsleitstelle 13 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 4 1. Einleitung Die libysche Einheitsregierung1 hatte im Sommer 2017 angekündigt, ihren internationalen Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über Seenotrettung von 1979 (Convention on Maritime Search and Rescue, SAR-Konvention)2 nachzukommen und gegenüber der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organization, IMO) eine sogenannte SAR-Zone sowie eine nationalen Rettungsleitstelle Rettungsleitstelle (Maritime Rescue Coordination Centre, MRCC) zu notifizieren.3 Medienberichten zufolge hat sie jedoch die Notifizierung im Dezember 2017 gegenüber der IMO zurückgenommen.4 Eine erneute Notifikation soll in Zusammenarbeit mit italienischen Behörden bereits kurz darauf eingereicht worden sein, allerdings soll das libysche MRCC in Tripolis erst in den nächsten Jahren (spätestens bis 2020) einsatzbereit sein.5 Unterdessen kam es 2017 im Mittelmeer zu weiteren Vorfällen im Zusammenhang mit der Rettung von Migranten und Flüchtlingen. So wird etwa berichtet, dass ein italienisches Kriegsschiff die Weiterfahrt eines Migranten- und Flüchtlingsbootes für mehrere Stunden blockiert habe, ohne die Betroffenen an Bord zu nehmen. Man habe das Eintreffen der libyschen Küstenwache abgewartet, welche die betroffenen Personen letztendlich aufgenommen und zurück nach Libyen gebracht habe.6 Vor diesem Hintergrund geht dieser Sachstand auf zwei Themenkomplexe im Bereich der internationalen Seenotrettung ein: den Inhalt und Umfang der völkerrechtlichen Vorgaben der SAR- 1 Die vom VN-Sicherheitsrat anerkannte libysche Regierung der Nationalen Einheit mit Sitz in Tripolis kontrolliert lediglich Teile der Seegrenzen im Raum Tripolis durch ihr unterstellte Einheiten der libyschen Küstenwache (BT-Drs. 18/9262, S. 2). Da unklar ist, inwieweit auch Milizen Einfluss auf die Küstenwache haben, wird in diesem Sachstand auf Grund der unsicheren Legitimation von der „sogenannten“ libyschen Küstenwache gesprochen . 2 Übereinkommen über Seenotrettung (unterzeichnet am 27. April 1979, in Kraft getreten am 22. Juni 1985), U.N.T.S., Vol. 1405, S. 118. 3 Punkt 2.1.2.1. Annes zur SAR-Konvention. Siehe auch Süddeutsche, “Wo sind sie?“ (16. August 2017), S. 2. 4 Reuters, „Exclusive: Italy Plans Big Handover of Sea Rescues to Libya Coastguard“ (15. Dezember 2017), verfügbar unter: https://www.reuters.com/article/us-europe-migrants-libya-exclusive/exclusive-italy-plans-big-handover -of-sea-rescues-to-libya-coastguard-idUSKBN1E91SG; Monroy, M., „Libyen widerruft Seenotrettungsgrenze“ (25. Dezember 2017), verfügbar unter: https://www.heise.de/tp/features/Libyen-widerruft-Seenotrettungszone- 3927846.html Keine Ergebnisse der Ländersuche („Libya“) unter: https://sarcontacts.info/ (jeweils zuletzt aufgerufen am 5. Februar 2018). 5 Sea-Eye, „Libyen stoppt widerrechtliche Ausweitung des Seegebietes“ (13. Dezember 2017), verfügbar unter: https://www.sea-eye.org/en/entwarnung-fuer-die-seenotretter; Monroy, M., „Libyen widerruft Seenotrettungsgrenze “ (Fn. 4) (zuletzt aufgerufen am 13. Februar 2018). 6 Border Criminologies, “Italy Strikes Back Again: A Push-back's Firsthand Account” (15. Dezember 2017), verfügbar unter: https://www.law.ox.ac.uk/research-subject-groups/centre-criminology/centreborder-criminologies /blog/2017/12/italy-strikes; Biondi, „The Case for Italy’s Complicity in Libya Push-Backs” (4. November 2017), verfügbar unter: https://www.newsdeeply.com/refugees/community/2017/11/24/the-case-for-italys-complicity -in-libya-push-backs (jeweils zuletzt aufgerufen am 7. Februar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 5 Konvention zur Koordinierung von Rettungseinsätzen auf Hoher See (2.) sowie die Anwendbarkeit des sogenannten Refoulement-Verbots im konkreten Fall (3.). 2. Vorgaben der SAR-Konvention beim Aufeinandertreffen mehrerer Schiffe am Einsatzort Ausgangspunkt der Untersuchung ist Art. 98 des VN-Seerechtsübereinkommens (SRÜ)7, welcher für jedes Schiff die Pflicht zur Seenotrettung in jedem Bereich der See normiert. In Fällen, in denen mehreren Schiffen gleichzeitig die Pflicht zur Seenotrettung obliegt, wird Art. 98 SRÜ durch die SAR-Konvention konkretisiert.8 Nach dieser weist das zuständige nationale MRCC einem Schiff die Durchführung der Rettung zu, während sie die Pflicht des anderen Schiffes aussetzt.9 Damit ist letzteres Schiff von der Seenotrettung befreit, solange und soweit eine effektive Rettung der in Seenot geratenen Personen durch das angewiesene Schiff gewährleistet ist. 2.1. Koordinierung vom Rettungseinsätzen auf Hoher See ohne offiziell notifizierte SAR-Zone Soweit Staaten wie (aktuell noch) Libyen keine SAR-Zone notifiziert haben, beschränkt sich ihre Anweisungs- und Koordinierungsbefugnis in Seenotrettungsfällen auf das Küstenmeer und in engen Grenzen auf die Anschlusszone.10 Hintergrund dessen ist, dass Schiffe unter ausländischer Flagge im Küstenmeer eines Staates bestimmten Beschränkungen unterliegen können, die aus der territorialen Hoheitsgewalt des Küstenstaates resultieren.11 7 United Nations Convention on the Law of the Sea (unterzeichnet am 10. Dezember 1982, in Kraft getreten am 16. November 1994), BGBl. 1994, Teil II, S. 1799, verfügbar unter: http://www.un.org/Depts/los/convention_agreements /convention_overview_convention.htm (zuletzt aufgerufen am 8. Februar 2018). 8 Die SAR-Konvention trifft im Wesentlichen operative Vorkehrungen im Bereich von Planung, Organisation, Ausbildung, Informationsaustausch und Koordinierung, um Seenotrettungsoperationen zu steuern und zu optimieren. Sachstand, „Rechtsfragen bei Seenotrettungseinsätzen innerhalb einer libyschen SAR-Zone im Mittelmeer“ (25. August 2017), WD 2 - 3000 - 075/17, S. 7. 9 Dies setzt insbesondere voraus, dass die Informationsgrundlage der nationalen Rettungsleitstelle hinsichtlich verfügbarer Kapazitäten, Kooperationsbereitschaft der Beteiligten etc. den tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort entspricht. 10 Zum Umfang der polizeilichen Befugnisse in der Anschlusszone siehe Sachstand, „Die völkerrechtliche Pflicht zur Seenotrettung: Verpflichtungen eines Küstenstaates nach dem Übereinkommen über Seenotrettung, das Refoulement-Verbot und die Strafverfolgung am Beispiel jüngster Vorfälle im Mittelmeer (19. Juni 2017), WD 2 - 3000 - 053/17, S. 6 f. 11 Sachstand, „Rechtsfragen bei Seenotrettungseinsätzen innerhalb einer libyschen SAR-Zone im Mittelmeer“ (Fn. 8), S. 5 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 6 Jenseits des Küstenmeeres können sich Schiffe auf den Grundsatz der Freiheit der Hohen See berufen (Art. 58 Abs. 1, 87 Abs. 1 lit. a und 90 SRÜ).12 Aus diesem resultiert das Recht der freien Schifffahrt. Die sogenannte libysche Küstenwache ist damit außerhalb des Küstenmeers völkerrechtlich nicht befugt, ausländischen Schiffen (Koordinierungs-)Anweisungen zu erteilen, insbesondere kann sie nicht die Beteiligung an einer Seenotrettung untersagen. 2.2. Koordinierung vom Rettungseinsätzen auf Hoher See mit offiziell notifizierter SAR-Zone Anders ist die Rechtslage zu bewerten, wenn Anweisungen gegenüber ausländischen Seenotrettungsschiffen durch eine offiziell notifizierte, nationale Rettungsleitstelle erfolgen (und damit, sobald Libyen ein solches MRCC notifiziert hat). Nach Punkt 5.7.2. des Annexes der SAR-Konvention übernimmt die nationale Rettungsleitstelle im Fall einer Seenot die Koordinierung der Rettungskräfte am Einsatzort. Die Pflicht zur Seenotrettung wird auf eines der beteiligten Schiffe übertragen – entweder auf ein von der Rettungsleitstelle bestimmtes Schiff oder nach dem „first come, first serve“-Prinzip auf einen sogenannten on-scene-commander – um eine effektive Rettung zu gewährleisten. Hintergrund der Regelungen der SAR-Konvention ist, dass Art. 98 SRÜ private wie auch staatliche Schiffe gleichermaßen zur Seenotrettung verpflichtet und somit zumindest zeitweise von ihrem Kurs abbringt. In der Sache sind die Pflicht zur Seenotrettung und die Benennung als onscene -commander für private Schiffe mit einem logistischen und gegebenenfalls finanziellen Mehraufwand verbunden. Folglich sollte der Kapitän des benannten Schiffes so schnell wie möglich in die Lage versetzt werden, seinen ursprünglichen Kurs fortzusetzen. Die SAR-Konvention zielt damit von ihrer Entstehungsgeschichte her auf Situationen ab, in denen Kapitäne alsbald entlastet werden wollen. Im Gegensatz dazu entwickelt sich die Lage im Mittelmeer aktuell gerade dergestalt, dass private Seenotretter mit der libyschen Küstenwache in Sachen Seenotrettung in Konkurrenz treten. Die SAR-Konvention regelt jedoch Situationen nicht, in denen mehrere, rivalisierende Akteure ein „Vorrecht“ zur Seenotrettung an sich ziehen wollen. Das Funktionieren des SAR-Systems ist letztlich auf die Kooperation der beteiligten Akteure angewiesen und nicht darauf ausgelegt, konfrontative Situationen, gegebenenfalls unter Gewaltanwendung, zu entschärfen. Aus der SAR-Konvention lassen sich gleichwohl Kooperationspflichten herleiten. Ausländische Schiffe sind mit Blick auf die Kooperationspflichten des SAR-Regimes grundsätzlich an die Anweisungen des jeweiligen MRCC gebunden.13 Für deutschflaggige Schiffe ergibt sich dies auch 12 Ibid., S. 7 ff. 13 Ibid., S. 8. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 7 ausdrücklich aus § 2 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Sicherung der Seefahrt (SeeSicher V)14: „Den Anordnungen der Stellen, die sich gegenüber dem Schiffsführer oder sonst für die Sicherheit Verantwortlichen als die mit der Koordinierung der Suche und Rettung in Seenotfällen nach Kapitel II der Anlage zum Internationalen Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See vom 6. November 1979 (BGBl. 1982 II S. 485) beauftragten Organisationen zu erkennen geben, ist Folge zu leisten.“ Problematisch sind solche Situationen, in denen zwei Schiffe (A und B) gleichzeitig am Einsatzort eintreffen, das MRCC den Kapitän eines Schiffes (A) als on-scene-commander benennt, sich diese Benennung aus Sicht des Kapitäns des anderen Schiffs (B) als unzureichend oder im Widerspruch zu einer effektiven Seenotrettung darstellt – etwa weil das vom MRCC angewiesene Schiff (A) mit zu wenig Rettungsmitteln operiert oder dessen zahlenmäßige Kapazität nicht für die Aufnahme der in Seenot geratenen Personen ausreicht. In diesen Fällen lebt Art. 98 SRÜ wieder auf. Denn wenn der Kapitän des Schiffes, welches nicht als on-scene-commander benannt wurde (B), nicht sichergehen kann, dass alle betroffenen Personen zügig aus ihrer Seenot befreit werden, obliegt ihm weiterhin die Pflicht zur Seenotrettung nach Art. 98 SRÜ. Er muss also Hilfe leisten. Eine Berechtigung des on-scene-commanders (A) zum gewaltsamen Einschreiten gegen diese Hilfsmaßnahmen lässt sich der SAR-Konvention nicht entnehmen. Da jede Gewaltanwendung zwischen den Rettungsschiffen immer auch das Leben der zu Rettenden gefährdet, verstieße eine gewaltsame Durchsetzung der Anweisungen des MRCC durch den on-scene-commander (A) gegen dessen Pflichten aus Art. 98 SRÜ. 3. Das völkerrechtliche Refoulement-Verbot Der eingangs geschilderte Vorfall wirft die Frage auf, ob Schiffe gegen das völkerrechtliche Refoulement -Verbot verstoßen, wenn sie Migranten und Flüchtlinge auf Hoher See bewusst nicht an Bord nehmen und diese dadurch in einen Staat zurückgelangen, in welchem die Lebensstandards eine offizielle Rückschiebung auf Grund des Refoulement-Verbots verbieten würden.15 14 Verordnung über die Sicherung der Seefahrt (27. Juli 1993), BGBl. 1993, Teil I, S. 1417, zuletzt geändert durch Verordnung vom 31. August 2017, BGBl. 2015, Teil I, S. 1474. 15 Siehe auch Border Criminologies, “Italy Strikes Back Again: A Push-back's Firsthand Account” (15. Dezember 2017), verfügbar unter: https://www.law.ox.ac.uk/research-subject-groups/centre-criminology/centrebordercriminologies /blog/2017/12/italy-strikes (zuletzt aufgerufen am 6. Februar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 8 3.1. Inhalt des Refoulement-Verbots Nach Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK)16 darf kein Vertragsstaat einen Flüchtling in Gebiete aus- oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde (sogenannte Grundsatz des nonrefoulement ).17 Neben Art. 33 GFK wird das Refoulement-Verbot explizit in Art. 3 der VN-Antifolterkonvention (CAT) sowie in Art. 19 Abs. 2 der EU-Grundrechtecharta garantiert. Überdies ergibt es sich indirekt aus Art. 7 des internationalen Zivilpakts (IPBPR) und aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)18. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verbietet der Grundsatz des non-refoulement die Ausweisung oder Abschiebung in einen anderen Staat, wenn es ernsthafte Gründe für die Annahme gibt, dass der Ausländer dort – oder durch die weitere (Ketten-)Abschiebung in einen anderen Staat – einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, gefoltert, unmenschlich behandelt bestraft oder getötet zu werden.19 Das Rückschiebeverbot gilt auch für jene Gegenden, wo eine konkrete Gefahr für Leib und Leben des Flüchtlings durch eine Bürgerkriegssituation besteht.20 Zudem hat der EGMR 2011 entschieden , dass die Rückführung von Flüchtlingen nach Griechenland im Rahmen der Dublin II-Verordnung gegen Art. 3 EMRK verstößt, soweit in den Aufnahmelagern erniedrigende Haft- und Lebensbedingungen festgestellt werden.21 Inhaltlich begründet das Refoulement-Verbot gleichwohl kein positives Recht auf internationalen Schutz. Es verschafft Flüchtlingen im Grunde lediglich ein Bleiberecht, solange einerseits ernsthafte Gründe für die Annahme einer der vorgenannten Bedrohungen im Rückführungsstaat bestehen und sie andererseits nicht in einen Drittstaat ausgewiesen werden können, in welchem die Gefahr einer Kettenausweisung in den Rückführungsstaat besteht.22 16 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (unterzeichnet am 28. Juli 1951, in Kraft getreten am 22. April 1954), BGBl. 1953, Teil II, S. 560. 17 Sachstand, „Die völkerrechtliche Pflicht zur Seenotrettung“ (Fn. 10), WD 2 - 3000 - 053/17, S. 10 f. 18 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (angenommen am 4. November 1950, in Kraft getreten am 3. September 1953), BGBl. 1952 II S. 1685. 19 Sachstand, „Völkerrechtliche Aspekte der Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei durch die Deutsche Marine im Rahmen der NATO-Seeraumüberwachungsoperation in der Ägäis“ (15. März 2016), WD 2 - 3000 - 040/16, S. 5 m.w.N. 20 EGMR (Große Kammer), Ahmed gegen Österreich (Urteil vom 17. Dezember 1996), Beschw. Nr. 25964/94; Karpenstein /Mayer (Hrsg.), EMRK-Kommentar (2. Aufl., Beck, München, 2015), Art. 3, Rn. 24 m.w.N. 21 EGMR (Große Kammer), M.S.S. gegen Belgien (Urteil vom 21. Januar 2011), Beschw. Nr. 30696/09. 22 Sachstand, „Die völkerrechtliche Pflicht zur Seenotrettung“ (Fn. 10). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 9 3.2. Anwendbarkeit des Refoulement-Verbots auf Hoher See Im allgemeinen Völkerrecht ist die extraterritoriale Anwendung des Refoulement-Verbots teilweise noch umstritten.23 Dies betrifft insbesondere diejenigen Fälle, in denen Migranten und Flüchtlinge vom Betreten eines Staatsgebiets abgehalten werden, um die Anwendung des Refoulement-Verbots zu verhindern. Anfang der 1990er hatte etwa die USA haitianische „boat people“ auf Hoher See angehalten und nach Haiti zurückgeschoben (sogenannte „push-backs“). Der US Supreme Court sah in diesem Vorgehen keinen Verstoß gegen das Refoulement-Verbot, weil dieses nur auf amerikanischem Hoheitsgebiet und nicht auf Hoher See gelte.24 Dieser Ansicht widersprach die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte expressis verbis. In dem Verhalten liege ein Verstoß gegen Art. XXVII der Amerikanischen Menschenrechtskonvention25, weil die Zurückschiebung der „boat people“ erfolgte, ohne diese zuvor individuell anzuhören und ihnen ein Verfahren zur Klärung ihres Status‘ als Flüchtlinge zu gewähren. 26 Der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat 2012 in einem Grundsatzurteil (Hirsi Jamaa gegen Italien) entschieden, dass die Mitgliedstaaten der EMRK an das Refoulement-Verbot gebunden sind, unabhängig davon, wo staatliche Hoheitsgewalt ausgeübt wird.27 Die Vertragsstaaten müssen die Inanspruchnahme der Konventionsrechte für alle Personen innerhalb ihrer Gewalt oder ihrer wirksamen Kontrolle sicherstellen, auch wenn Hoheitsgewalt nicht innerhalb des Staatsgebietes, sondern etwa an Bord von Schiffen im Ausland oder auf Hoher See ausgeübt wird.28 Dogmatisch begründete der EGMR die extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK damit, dass ein Staat durch die Aufnahme auf das Schiff faktisch Hoheitsgewalt über die betroffenen Personen ausübt. Konventionsrechtlich gebunden sind damit auch italienische Schiffe auf Hoher See, die Migranten und Flüchtlinge an Bord nehmen.29 23 Kugelmann, „Refugees“ (2010), in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, verfügbar unter: http://opil.ouplaw.com/home/EPIL (zuletzt aufgerufen am 6. Februar 2018), Rn. 33. 24 US Supreme Court, Sale v Haitian Centers Council (21. Juni 1993), 509 US 155 f. 25 American Declaration of the Rights and Duties of Man, (Organization of American States [OAS]) OAS Res XXX (1948), OEA/Ser.L/V/II.23 doc.21 rev.6 at 5 (1979), OEA/Ser.L.V/II.82 doc.6 rev.1 at 17 (1992), verfügbar unter: http://www.cidh.org/Basicos/English/Basic3.American%20Convention.htm (zuletzt aufgerufen am 7. Februar 2018). 26 Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte, Haitian Interdiction (13. März 1997), Report Nr. 51/96, Case 10.675, Rn. 156 f., 163, 188. 27 EGMR, Hirsi Jamaa gegen Italien (Urteil vom 23. Februar 2012), Beschw. Nr. 27765/09. 28 Sachstand, „Völkerrechtliche Aspekte der Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei durch die Deutsche Marine im Rahmen der NATO-Seeraumüberwachungsoperation in der Ägäis“ (15. März 2016), WD 2 - 3000 - 040/16, S. 6. 29 Werden Flüchtlinge und Migranten aufgegriffen und ohne Prüfung ihres Einzelfalles zurückgeschafft, so liegt nach der Rechtsprechung des EGMR auch ein Verstoß gegen das Verbot der Kollektivausweisung vor. Konkret stellte der EGMR im Fall Hirsi Jamaa gegen Italien (Urteil vom 23. Februar 2012, Beschw. Nr. 27765/09) fest, dass das Verbot der Kollektivausweisungen nach Art. 4 des IV. Protokolls zur EMRK bezwecke, Staaten an der Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 10 3.3. Verstoß gegen das Refoulement-Verbot durch Unterlassen Darüber hinaus hat der EGMR noch keine Stellung bezogen zu Fällen, in denen ein Schiff, welches unter der Flagge eines europäischen Mitgliedstaaten fährt, Migranten und Flüchtlinge auf Hoher See erst gar nicht an Bord nimmt und die Rückführung in einen nicht sicheren Drittstaat in die Wege leitet oder schlicht geschehen lässt. Teilweise wird das Refoulement-Verbot zwar als eine umfassende Schutzverpflichtung gegenüber Migranten und Flüchtlingen verstanden , nach welcher Staaten aktiv Schutzmaßnahmen ergreifen müssten.30 Ein derart weites Verständnis im Sinne einer „duty to protect“ hat der EGMR selbst jedoch noch nicht geäußert. In diesem Punkt kann sich die Rechtsprechung EGMR zu Art. 3 EMRK indes in alle Richtungen entwickeln. Blickt man auf die Genfer Flüchtlingskonvention, so stellt man fest, dass deren Wortlaut, Sinn und Zweck für die Anwendbarkeit des Refoulement-Verbots in den Fällen einer unterbliebenen Aufnahme an Bord sprechen dürfte. So lässt der Wortlaut des Art. 33 GFK ausdrücklich offen, ob die Aus- oder Zurückweisung aktiv oder passiv erfolgen muss: „1. Keiner der vertragsschließenden Staaten wird ein Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenze von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit […] bedroht sein würde.“ Demnach kommt es nicht auf das „Wie“ der Aus- oder Zurückweisung an, sondern allein deren Folgen. Hat eine Person die begründete Befürchtung, im Zielstaat verfolgt zu werden, so darf ein Staat „in keiner Weise“ – also weder durch aktives Tun noch durch Unterlassen – eine Aus- oder Zurückweisung vornehmen oder geschehen lassen. In diesem Sinne legt auch die Präambel der GFK nahe, dass deren Vorschriften extensiv auszulegen sind, um den humanitären Grundprinzipien der GFK möglichst effektive Wirkung zu verleihen : „In der Erwägung, daß die Organisation der Vereinten Nationen wiederholt die tiefe Verantwortung zum Ausdruck gebracht hat, die sie für die Flüchtlinge empfindet, und sich bemüht hat, diesen in möglichst großem Umfange die Ausübung der Menschenrechte und der Grundfreiheiten zu sichern, […]“ Schließlich bestätigen auch die Vorarbeiten zur GFK die Idee, dass das Refoulement-Verbot sowohl das aktive Tun als auch das Unterlassen eines Staates umfasst, wenn deren Ergebnis darin Ausweisung bestimmter Fremder zu hindern, ohne ihre persönlichen Umstände zu untersuchen und ihnen Gelegenheit zu verschaffen, ihre Argumente gegen die geplante Maßnahme vorzubringen. Siehe auch Sachstand, „Völkerrechtliche Aspekte der Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei durch die Deutsche Marine im Rahmen der NATO-Seeraumüberwachungsoperation in der Ägäis“ (Fn. 28), S. 10 f. 30 Übereinstimmendes Votum des EGMR-Richters Pinto de Albuquerque in Hirsi Jamaa gegen Italien (Urteil vom 23. Februar 2012), Beschw. Nr. 27765/09; Weber, Menschenrechtlicher Schutz von Bootsflüchtlingen: Bedeutung des Straßburger Hirsi-Jamaa-Urteils für den Flüchtlingsschutz“, (2012) 8 Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik, S. 265 (269). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 11 besteht, dass ein Migrant oder Flüchtling im Zielstaat von Verfolgung bedroht ist.31 Maßgeblich ist mit anderen Worten die Perspektive des Betroffenen, der davor verschont werden soll, zurück „in die Arme der Verfolger“ getrieben zu werden: „[…] turning a refugee back to the frontier of the country where his life or liberty is threatened […] would be tantamount to delivering him into the hands of his persecutor.”32 Aus der Anwendbarkeit des Refoulement-Verbots kann jedoch in letzter Konsequenz kein positives Recht auf internationalen Schutz – oder spiegelbildlich die Pflicht zur Aufnahme auf ein Schiff – hergeleitet werden. Eine Pflicht zur Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen auf ein Schiff besteht nach Art. 98 SRÜ nur, wenn ein Fall der Seenot vorliegt. Generell wird von Seenot gesprochen, wenn die begründete Annahme besteht, dass ein Schiff und die auf ihm befindlichen Personen ohne Hilfe von außen nicht in Sicherheit gelangen können und auf See verloren gehen.33 Hierzu gehören etwa eine Manövrierunfähigkeit des Schiffes, ein Mangel an Bordrettungsmitteln, eine die Gesundheit der Passagiere oder die Sicherheit des Schiffes gefährdende Überbelegung oder eine mangelnde Versorgung der Passagiere mit Nahrung, Trinkwasser und notwendigen Medikamenten .34 Dagegen herrscht regelmäßig keine Seenot, wenn ein Wasserfahrzeug Beschädigungen aufweist , von denen weder für dieses selbst noch für Leben und Gesundheit der Passagiere eine unmittelbare Gefahr ausgeht, etwa im Fall eines Mastbruchs einer Segelyacht, die unter eigenem Antrieb bei ruhigem Wetter einen Hafen erreichen kann.35 31 Siehe auch UNHCR, „Advisory Opinion on the Extraterritorial Application of Non-Refoulement Obligations under the 1951 Convention relating to the Status of Refugees and its 1967 Protocol”, (2007) 12 European Human Rights Law Review, S. 483 (498 f.); Biondi, „The Case for Italy’s Complicity in Libya Push-Backs” (Fn. 6), a.E. 32 VN Ad Hoc Committee on Statelessness and Related Problems, Status of Refugees and Stateless Persons, Memorandum by the Secretary-General (3. Januar 1950), VN-Dok. E/AC.32/2, Art. 24, paragraph 3. Siehe auch Ad Hoc Committee on Statelessness and Related Problems (10. Februar 1950), VN-Dok. E/AC.32/SR.20, Art. 24, paragraph 3, Rn. 53 f. (Vertreter der USA, Hr. Henkin): „54. […] Whether it was a question of closing the frontier to a refugee who asked admittance, or of turning him back after he had crossed the frontier, or even of expelling him after he had been admitted to residence in the territory, the problem was more or less the same. 55. Whatever the case might be, whether or not the refugee was in a regular position, he must not be turned back to a country where his life or freedom could be threatened. No consideration of public order should be allowed to overrule that guarantee, for if the State concerned wished to get rid of the refugee at all costs, it could send him to another country or place him in an internment camp.” 33 Sachstand, „Rechtliche Konsequenzen einer Behinderung von Seenotrettern“ (11. November 2016), WD 2 - 3000 - 138/16, S. 7; Sachstand, „Internationale Seenotrettungsabkommen“ (28. November 2014) WD 2 - 3000 - 215/14, S. 4; Proelss, United Nations Convention on the Law of the Sea: A Commentary (Beck, München, 2017), Art. 98, Rn. 9; Rah, Asylsuchende und Migranten auf See (2007), S. 102; von Brevern und Bopp, “Seenotrettung von Flüchtlingen” (2002) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Vol. 62, S. 841 (845). 34 Sachstand „Seenotrettung durch deutsche Kriegsschiffe“ (23. Februar 2016), WD 2 - 3000 - 034/16, S. 5 f.; Noyes, „Ships in Distress“ (2007), in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, verfügbar unter : http://opil.ouplaw.com/home/EPIL (zuletzt aufgerufen am 6. Februar 2018), Rn. 1. 35 Sachstand „Seenotrettung durch deutsche Kriegsschiffe“ (23. Februar 2016), WD 2 - 3000 - 034/16, S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 12 Bei der Einschätzung kommt dem Kapitän des Hilfe leistenden Schiffes ein Beurteilungsspielraum zu.36 Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Seenot finden sich in Art. 9 Abs. 2 lit. f) der EU-Verordnung 656/201437, welche Regelungen für die Seenotrettung im Rahmen von Frontex- Einsätzen festlegt.38 Hiernach sollen die beteiligten Einsatzkräfte u.a. folgende Informationen berücksichtigen : - ob das Schiff seetüchtig ist und wie wahrscheinlich es ist, dass das Schiff seinen Zielort nicht erreichen wird; - ob die Anzahl der an Bord befindlichen Personen in einem angemessenen Verhältnis zur Art und zum Zustand des Schiffs steht; - ob die notwendigen Vorräte wie Treibstoff, Wasser und Nahrungsmittel für die Weiterfahrt bis zur Küste vorhanden sind; - ob eine qualifizierte Besatzung und Schiffsführung vorhanden sind; - ob Personen an Bord sind, die dringend medizinische Hilfe benötigen; - ob Tote an Bord sind; - ob Schwangere oder Kinder an Bord sind; und - wie Wetterbedingungen und Seegang, einschließlich Wetter- und Seewettervorhersage, sind. Da Migranten- und Flüchtlingsboote in aller Regel in überladenen, seeuntauglichen Booten ohne professionelle Crew fahren, spricht sich das VN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) bei der Beurteilung einer Seenotlage für einen humanitären und vorsorglichen Ansatz („humanitarian and precautionary approach“) aus.39 Im Zweifel spreche der Sinn und Zweck der internationalen Seenotrettungsvorschriften für eine unbedingte Vermeidung des Verlustes von Menschenleben auf See. 36 Nandan und Rosenne, UNCLOS 1982: A Commentary (1995), Vol. III, S. 170 (175). 37 Verordnung (EU) Nr. 656/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Regelungen für die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union koordinierten operativen Zusammenarbeit (15. Mai 2014), OJ L 189, S. 93. 38 Die EU-Verordnung 656/2014 findet gemäß ihres Art. 1 lediglich Anwendung auf von Frontex koordinierte Grenzüberwachungseinsätze an den Seeaußengrenzen der EU. Sie hat daher keine Bindungswirkung hinsichtlich einer über die EU hinausgehenden, völkerrechtlichen Definition des Begriffs der Seenot. Nichtsdestotrotz sind die gelisteten Faktoren Ausdruck praktischer Erfahrungswerte, sodass deren Hinzuziehung auf völkerrechtlicher Ebene keine Bedenken entgegenstehen. 39 UNHCR, “General Legal Considerations: Search-and-Rescue Operations Involving Refugees and Migrants at Sea” (November 2017), verfügbar unter: http://www.refworld.org/pdfid/5a2e9efd4.pdf (zuletzt aufgerufen am 12. Februar 2018), S. 4, Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 013/18 Seite 13 3.4. Verstoß gegen das Refoulement-Verbot durch aktives Blockieren eines Flüchtlings- und Migrantenbootes Das Blockieren eines Flüchtlings- und Migrantenbootes – beispielsweise durch Querstellen oder die Hinderung an der Weiterfahrt auf andere Weise – bis zur Aufnahme durch ein Boot eines unsicheren Drittstaates dürfte indes gegen das Refoulement-Verbot verstoßen. Denn anders als das schlichte Unterlassen (etwa in weiter Entfernung zum betroffenen Boot), kommt einem aktiven Blockieren eines Flüchtlings- und Migrantenbootes Handlungsqualität zu. Es macht im Ergebnis keinen wesentlichen Unterschied, ob ein Schiff unter europäischer Flagge Flüchtlinge und Migranten selbst aufnimmt und in einem unsicheren Drittstaat anlandet oder deren Boot solange blockiert, bis die Bootsinsassen durch die Küstenwache eines anderen Staates aufgenommen und in einen unsicheren Drittstaat zurückgeführt werden. 3.5. Verstoß gegen das Refoulement-Verbot durch Benennung eines libyschen Schiffes als onscene -commander durch eine nationale Rettungsleitstelle Schließlich ist fraglich, ob schon die Benennung eines Schiffes der libyschen Küstenwache als on-scene-commander durch ein nationales MRCC, welches dem Regime der EMRK untersteht (etwa das in Rom), gegen das Refoulement-Verbot verstößt. Da diese Benennung grundsätzlich eine nach der SAR-Konvention verbindliche Anweisung darstellt, könnte diese als Ausübung von Herrschaftsgewalt oder zumindest wirksame Kontrolle gegenüber den Bootsinsassen im Sinne der EGMR-Rechtsprechung (Hirsi Jamaa gegen Italien) qualifiziert werden. Diese Frage ist bis dato jedoch weder Gegenstand einer rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung noch höchstrichterlicher Rechtsprechung gewesen. ***