© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 011/20 Der US-Friedensplan für den Nahostkonflikt Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 011/20 Seite 2 Der US-Friedensplan für den Nahostkonflikt Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 011/20 Abschluss der Arbeit: 4. Februar 2020 (zugleich letzter Zugriff auf Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 011/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. US-Friedensplan 4 2. Vertragsverhandlungen 5 3. Einschränkungen der Vertragsfreiheit bei einem künftigen Friedensvertrag 6 3.1. Verträge zu Lasten Dritter 6 3.2. Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 011/20 Seite 4 1. US-Friedensplan Der US-Friedensplan für Nahost (Peace to Prosperity)1 ist ein politischer Vorschlag der US- Administration zur Lösung des Nahostkonflikts. Er entfaltet keinerlei Rechtswirkungen und lässt sich rechtlich auch nicht „bewerten“. Das Völkerrecht macht hinsichtlich der Entwicklung politischer „Visionen“ keinerlei Vorgaben: Jeder Staat ist frei, seine Vorstellungen von einer künftigen Friedensordnung bzw. Lösung eines Konfliktes zur Diskussion zu stellen.2 Der US-Friedensplan als solcher kann also nicht im eigentlichen Sinne als „völkerrechtswidrig“ bezeichnet werden. Soweit der US-Friedensplan die politische Auffassung der US-Regierung zu bestimmten Statusfragen im Nahostkonflikt widerspiegelt und darauf abzielt, die politischen Realitäten rechtlich zu legitimieren und zu perpetuieren, so stößt sich eine solche Position freilich an völkerrechtlich anerkannten Rechtspositionen.3 Mit Blick auf den Status von Jerusalem, auf die Anerkennung des Staates Palästina oder die israelische Siedlungspolitik sind diese Rechtspositionen mehrfach Gegenstand von Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste gewesen.4 Auch die Bundesregierung vertritt zur Frage der israelischen Siedlungen eine dezidierte Rechtsauffassung.5 1 “President Donald J. Trump’s Vision for Peace, Prosperity, and a Brighter Future for Israel and the Palestinian People” vom 28. Januar 2020, https://www.whitehouse.gov/peacetoprosperity/. 2 Jedenfalls solange damit z.B. kein Aufruf zu einem Angriffskrieg oder einem Genozid verbunden ist. 3 Vgl. FAZ vom 30. Januar 2020, S. 2 „Skepsis und Ablehnung“. 4 WD 2 - 3000 - 177/12 vom 17. Februar 2013. „Zu ausgewählten Statusfragen im Rahmen des israelischpalästinensischen Konflikts“, https://www.bundestag.de/resource/blob/412226/bba601b8ce080c2b41425680cae9c764/WD-2-177-12-pdfdata .pdf. WD 2 - 3000 - 026/17 vom 7. Juni 2017, „Die Siedlungs- und Wohnungsbaupolitik der israelischen Regierungen seit 1967 in den besetzten Gebieten des Westjordanlandes und Ost-Jerusalem“, https://www.bundestag.de/resource/blob/515092/aeb99cfc8cadd52da68d65b50a725dec/wd-2-026-17-pdfdata .pdf. WD 2 - 3000 - 009/18 vom 29. Januar 2018, „Völkerrechtliche Bewertung der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels“, https://www.bundestag.de/resource/blob/547174/adebd0ea6bd7a85c6c49671547fc3b50/WD-2-009-18-pdfdata .pdf. WD 2 - 3000 - 009/19 vom 4. Februar 2019, „Zur völkerrechtlichen Anerkennung Palästinas“, https://www.bundestag.de/resource/blob/631838/0697a1a6392406b6501bdfc557ee8b23/WD-2-009-19-pdfdata .pdf. 5 Statement by Ambassador Jürgen Schulz at the UN Security Council Debate on the Middle East vom 20. November 2019, https://new-york-un.diplo.de/un-en/news-corner/191120-schulz-middleeast/2279496. Stefan Talmon, “Germany opposes new U.S. position on Israeli settlements in the occupied West Bank – considers all settlement activity illegal under international law”, in: GPIL blog vom 21. November 2019, https://gpil.jura.uni-bonn.de/2019/11/germany-opposes-new-u-s-position-on-israeli-settlements-in-theoccupied -west-bank-considers-all-settlement-activity-illegal-under-international-law/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 011/20 Seite 5 2. Vertragsverhandlungen Ein „Abgleich“ des US-Friedensplanes mit anerkannten völkerrechtlichen Parametern greift indes zu kurz. Zwar vermag ein Friedensplan der USA politisch starken Druck zu entfalten, doch handelt es sich bei dem Plan rechtlich um kein „Diktat“, welches eins-zu-eins und gegen den Willen der Palästinenser durchgesetzt werden soll – angesichts der Reaktionen aus dem palästinensischen Lager erscheint es vielmehr fraglich, ob der US-Friedensplan überhaupt politisch aufgegriffen wird.6 Nach dem Willen der USA soll der Friedensplan zu Vertragsverhandlungen zwischen Israel und Palästina führen, die den Nahostkonflikt beilegen und alle mit ihm zusammenhängenden Ansprüche regeln sollen. In dem Friedensplan heißt es: Sec. 3: “The peace agreement that will hopefully be negotiated on the basis of this Vision should be implemented through legally binding contracts and agreements (the Israeli-Palestinian Peace Agreement).” Sec. 22: “We hope that the Parties will seize the opportunity, embrace this vision and begin negotiations.” Sec. 21: “The Israeli-Palestinian Peace Agreement will end (…) all claims between the parties. The foregoing will be proposed in (i) a new UN-Security Council resolution and (ii) a new UN-General Assembly resolution .” Sieht man also in dem US-Friedensplan nicht schon den weitgehend determinierten künftigen israelisch-palästinensischen Friedensvertrag, sondern lediglich den Ausgangspunkt eines (möglichen) Verhandlungsprozesses zwischen den Konfliktparteien, so liegen die rechtlichen Fragen woanders. Vertragspartner eines völkerrechtlichen Vertrages sind im Prinzip weitgehend frei, Statusfragen (wie z.B. die Hauptstadtfrage) oder Grenzziehungen einvernehmlich zu regeln. Rein theoretisch könnte dabei auch eine vorangegangene völkerrechtswidrige Annexion durch eine vertraglich einvernehmlich ausgehandelte Gebietsabtretung zwischen zwei Staaten nachträglich rechtlich „geheilt“ werden.7 Grenzregelungen unterliegen der Vertragsfreiheit. Im Falle des Nahostkonflikts würde indes die Verhandlungsposition der Palästinenser durch die völkerrechtlich anerkannten Parameter hinsichtlich der Grenzen Israels8 gestärkt. 6 Spiegel online vom 28. Januar 2020, „Abbas lehnt Trumps Friedensplan als ´Verschwörung` ab“, https://www.spiegel.de/politik/ausland/donald-trump-reaktionen-auf-friedensplan-jerusalem-steht-nicht-zumverkauf -a-bfe9344a-946c-4ef9-a3fd-bf00a5076626. 7 Also gewissermaßen „Rechtfrieden“ um den Preis einer entsprechenden wirtschaftlichen Gegenleistung. Dass die Palästinenser (Westjordanland) ebenso wie die Syrer (Golanhöhen) oder die Ukrainer (Krim) einen solchen „Deal“ realistischerweise nicht akzeptieren, steht auf einem anderen Blatt. 8 Vgl. als maßgeblichen Bezugspunkt der israelisch-palästinensischen Grenzfrage die Sicherheitsrats- Resolution 242 (1967) vom 22. November 1967, https://www.un.org/Depts/german/sr/sr_67/sr242-67.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 011/20 Seite 6 Erscheinen Mutmaßungen über mögliche künftige Vertragsverhandlungen weitgehend müßig, so entfaltet doch die Frage nach möglichen Einschränkungen der Vertragsfreiheit rechtliche Relevanz. 3. Einschränkungen der Vertragsfreiheit bei einem künftigen Friedensvertrag Die Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK), also das allgemeine Völkerrecht, setzt der Vertragsfreiheit – wenn auch nur rudimentäre – Grenzen. 3.1. Verträge zu Lasten Dritter So bestimmt Art. 34 WVRK, dass Verträge zu Lasten Dritter keine Rechtswirkungen entfalten. Ein Nahost-Friedensvertrag zwischen Israel und Palästina dürfte sich also nicht über legitime Rechtspositionen der Nachbarstaaten (Syrien, Jordanien etc.) hinwegsetzen. 3.2. Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht Art. 53 WVRK regelt das Verhältnis von völkerrechtlichem Vertragsrecht zu höherrangigem zwingendem Völkerrecht (ius cogens): „Ein Vertrag ist nichtig,9 wenn er im Zeitpunkt seines Abschlusses im Widerspruch zu einer zwingenden Norm des allgemeinen Völkerrechts steht. Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird (…).“ Zum völkerrechtlichen ius cogens zählen Literatur und Rechtsprechung z.B. neben dem Prinzip der Staatengleichheit, dem Gewalt-, Interventions- und Aggressionsverbot, dem Verbot von Sklaverei , Folter und Völkermord, der Unverletzlichkeit diplomatischer Einrichtungen, der Freiheit der Hohen See sowie Teilen der Genfer Konventionen auch das in dem gemeinsamen Artikel 1 der beiden Menschenrechtspakte verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker.10 9 Die Nichtigkeit erfasst gem. Art. 44 Abs. 5 WVRK den gesamten Vertrag, d.h. eine Beschränkung auf bestimmte Vertragsvorschriften ist ausgeschlossen. 10 Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties. A Commentary, Vol. 2, Heidelberg: Springer 2012, Art. 53 Rdnr. 81 m.w.N. Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 18 Rdnr. 51 ff. m.w.N. Zum Selbstbestimmungsrecht als zwingendem Recht vgl. IGH, Urteil vom 30. Juni 1995 - East Timor (Portugal gegen Australien), ICJ Reports 1995 S. 90 ff., Ziff. 29. Vgl. zum Selbstbestimmungsrecht allgemein Heintze, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, München: Beck, 7. Aufl. 2018, § 10 Rdnr. 68 ff. (äußeres Selbstbestimmungsrecht) und Rdnr. 92 ff. (inneres Selbstbestimmungsrecht). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 011/20 Seite 7 Art. 1 des VN-Zivilpakts lautet: „(1) Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. (2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, (…). In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden. (3) Die Vertragsstaaten (…) haben entsprechend den Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen die Verwirklichung des Rechts auf Selbstbestimmung zu fördern und dieses Recht zu achten.“ Das Selbstbestimmungsrecht der Völker (insbesondere das des palästinensischen Volkes) ist zentraler Bestandteil jeder friedensvertraglichen Lösung des Nahostkonflikts11 – unabhängig von dessen konkreter Ausgestaltung. Als konkreter rechtlicher Maßstab eines künftigen Nahost- Friedensvertrages erweist sich das Selbstbestimmungsrecht indes etwas schwierig, weil man ja den Vertrag als solchen bereits als Ausübung oder Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ansehen könnte. Gleichwohl entfaltet das Selbstbestimmungsrecht eine rechtliche Ausstrahlungswirkung , die eine künftige vertragliche Konfliktlösung determiniert. Zu den Postulaten des Selbstbestimmungsrechts gehört in prozeduraler Hinsicht eine Beteiligung des Volkes am Friedensprozess – denkbar wäre etwa eine Volksabstimmung / Referendum über einen von den Regierungen ausgehandelten Friedensvertrag, der die Situation im Heiligen Land umfassend regelt.12 In wirtschaftlicher Hinsicht verlangt das Selbstbestimmungsrecht z.B. die Möglichkeit eines Volkes zur souveränen Nutzung der natürlichen Reichtümer und Mittel – insbesondere der Zugang zu Wasserressourcen. In politischer Hinsicht geht es beim Selbstbestimmungsrecht um Fragen der Eigenstaatlichkeit sowie der politischen aber auch der kulturellen Autonomie. Hier wird man im Einzelnen prüfen müssen, wie sich der „Primat der Sicherheit (Israels)“, der dem US-Friedensplan zugrunde liegt (Sec. 2), mit den Postulaten des Selbstbestimmungsrechts der Palästinenser vereinbaren lässt. *** 11 Vgl. grundlegend Resolution 59/179 der VN-Generalversammlung vom 20. Dezember 2004, „Das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung“, https://www.un.org/Depts/german/gv-59/band1/ar59179.pdf. IGH Gutachten vom 9. Juli 2004, „Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory“, https://www.icj-cij.org/files/case-related/131/1677.pdf, welches die Mauer als Verstoß gegen das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser gewertet hat. Eli Murlakov, „Das Recht der Völker auf Selbstbestimmung im israelisch-arabischen Konflikt“, Schweizer Studien zum internationalen Recht Bd. 31, Zürich: Schulthess 1983. 12 Vergleichbar etwa mit der Regelung in Art. 146 GG, die für eine neue Verfassung eine Entscheidung des Deutschen Volkes voraussetzt.