© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 010/20 Die kurdische PKK als Konfliktpartei und terroristische Vereinigung Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Januar 20201 über die Strafbarkeit von Angehörigen der PKK ist in den belgischen und kurdischen Medien im Hinblick auf den Status der PKK als Terrororganisation kontrovers aufgenommen worden.2 Das belgische Revisionsurteil in Strafsachen befasst sich bei Lichte betrachtet indes weniger mit dem allgemeinen Status der PKK nach belgischem Recht, sondern beurteilt lediglich die individuelle Strafbarkeit von Angeklagten nach belgischem Strafrecht für mutmaßlich terroristische Verbrechen, die nach Auffassung des Gerichts im Zuge eines bewaffneten Konflikts in der Osttürkei begangen wurden. Die Frage, ob und inwieweit Handlungen, die im Rahmen von (nicht-internationalen) bewaffneten Konflikten begangen wurden, zu Hause als Straftaten verfolgt werden können, stellt sich auch der deutschen Justiz.3 So vertritt der Bundesgerichtshof (BGH) die Auffassung, dass die Straftaten , die aus den Aktionen der kurdischen Arbeiterpartei (PKK) resultierten, völkerrechtlich nicht gerechtfertigt seien;4 der Gerichtshof bestätigte insoweit die Verurteilung des Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gem. §129b StGB.5 1 Auf der Homepage des belgischen Cour de Cassation findet sich noch keine französischsprachige Fassung des Urteils, https://justice.belgium.be/fr/ordre_judiciaire/cours_et_tribunaux/cour_de_cassation. Eine Fassung auf flämisch ist abrufbar unter http://jure.juridat.just.fgov.be/pdfapp/download_blob?idpdf=N-20200128-6. 2 Le Soir, 29. Januar 2020, « Pour la Belgique, quoi qu’en dise la justice, le PKK est une organisation terroriste», https://www.lesoir.be/276162/article/2020-01-29/pour-la-belgique-quoi-quen-dise-la-justice-le-pkk-est-uneorganisation . Flanderninfo, 29. Januar 2020, „Laut Kassationshof ist die PKK in Belgien keine Terrorgruppe“, https://www.vrt.be/vrtnws/de/2020/01/29/laut-kassationshof-ist-die-pkk-in-belgien-keine-terrorgruppe/. «Cour de cassation de Belgique: le PKK n’est pas une organisation terroriste», 28.1.2020, https://kurdistan-aufeminin .fr/2020/01/28/cour-de-cassation-de-belgique-le-pkk-nest-pas-une-organisation-terroriste/. 3 Vgl. umfassend Patrick Scheuß, „Zur Rechtfertigung von Straftaten im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt “, in: ZSTW 2018, S. 23-54, abrufbar unter: https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/zstw.2018.130.issue-1/zstw-2018-0002/zstw-2018-0002.pdf. 4 BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13, NStZ-RR 2014, 274 f. BGH, Beschluss vom 6. April 2017 – 3 StR 326/16, BGHSt. 62, 102 Rdn. 18, 2 bewaffneten Gruppen in Syrien. Die Urteile sind in der völkerstrafrechtlichen Literatur kritisiert worden, vgl. Patrick Scheuß, „Zur Rechtfertigung von Straftaten im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“, ZSTW 2018, S. 23 m.w.N. in Fn. 4 f. 5 § 129b StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland) lautet: „Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.“ Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/20 Seite 5 Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich zunächst mit dem allgemeinen Status bewaffneter Gruppierungen als „Konfliktpartei“ i.S.d. humanitären Völkerrechts (dazu 2.) und ihrer Einstufung als „terroristischer Vereinigung“ (dazu 4.). Mit Blick auf die strafrechtliche Diskussion soll auf die Frage des Kombattantenprivilegs eingegangen werden (dazu 3.). 2. Konfliktpartei In den Hauptsiedlungsgebieten der Kurden – also in der östlichen Türkei, im Nordirak und in Nordsyrien – sind mehrere kurdische Milizen und bewaffnete Gruppierungen aktiv: Die militärisch organisierten kurdischen Volksverteidigungskräfte (kurdisch: Hêzên Parastina Gel, HPG)6 – also der „militärische Arm“ der kurdischen Arbeiterpartei PKK7 Die im irakisch-iranischen Grenzgebiet operierende Schwesterorganisation der PKK, die PJAK (Partei für ein Freies Leben in Kurdistan, Partiya Jiyana Azad a Kurdistanê)8 Streitkräfte der kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak (Peschmerga) Syrisch-kurdische Milizen (proxys) der Volksverteidigungseinheiten YPG in Nordsyrien.9 Ob eine bewaffnete Gruppierung oder Miliz als „Konfliktpartei“ i.S.d. humanitären Völkerrechts angesehen werden kann, hängt davon ab, ob eine konkrete Situation, in der die Miliz / Gruppierung militärisch involviert ist, rechtlich als ein „bewaffneter Konflikt“ im Sinne des Kriegsrechts zu qualifizieren ist. Für die Annahme eines „bewaffneten Konflikts“, der im gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen begrifflich niedergelegt, aber nicht legal-definiert ist, bedarf es weder einer Kriegserklärung noch eines Beschlusses eines internationalen Organs bzw. Gerichts. Entscheidend ist vielmehr der Wille der Staaten, in einer bestimmten Situation / Region das humanitäre Völkerrecht anzuwenden. 6 Eine ausführliche Analyse zur Geschichte, Organisation, Aufgaben und Praxis der HPG liefert Walter Posch, „Die neue PKK: Zwischen Extremismus, politischer Gewalt und strategischen Herausforderungen“, in: Österreichische militärische Zeitschrift (ÖMZ) Bd. 3 (2016), S. 295-311 Teil 1: https://www.oemz-online.at/display/ZLIintranet/Die+neue+PKK+Teil+1 Teil 2: https://www.oemz-online.at/display/ZLIintranet/Die+neue+PKK+Teil+2. Die im Jahr 2002 gegründete HPG unterhält auch eine mehrsprachige Website, http://hezenparastin.info/ger/. 7 Vgl. zur PKK die Broschüre des Bundesamtes für Verfassungsschutz (Stand: Juli 2015), https://web.archive.org/web/20160811180613/https://www.verfassungsschutz.de/embed/broschuere-2015-07- arbeiterpartei-kurdistans-pkk.pdf. 8 Die Untergrundorganisation PJAK führt einen Guerillakampf für die Autonomie der Kurden im Iran. 9 Die Volksverteidigungseinheiten YPG bilden den bewaffneten Arm der Partei der Demokratischen Union (PYD), die wiederum als syrischer „Ableger“ der PKK gilt und mutmaßlich von ihr mitfinanziert wird. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/20 Seite 6 Während bei internationalen bewaffneten Konflikten die Genfer Konventionen von 1949 sowie das 1. Zusatzprotokoll von 1977 Anwendung finden, ist der nicht-internationale (also der interne ) bewaffnete Konflikt völkerrechtlich vergleichsweise schwächer geregelt.10 Zur Anwendung kommen lediglich das 2. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen11 sowie der gemeinsame Artikel 3 der Genfer Konventionen. Die Anwendungsschwelle des humanitären Völkerrechts ist bei nicht-internationalen Konfliktsituationen („Bürgerkriegen“) höher als bei zwischenstaatlichen Konflikten. Art. 1 Abs. 2 des zweiten Zusatzprotokolls / Genfer Konventionen bestimmt insoweit: Dieses Protokoll findet nicht auf Fälle innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen Anwendung, die nicht als bewaffnete Konflikte gelten. Der nicht-internationale bewaffnete Konflikt muss also eine gewisse Intensitätsschwelle erreichen ; darüber hinaus müssen die in den Konflikt involvierten Parteien einen gewissen Grad an Organisation und militärischer Bewaffnung aufweisen, welche sie befähigt, konzertierte militärische Aktionen durchzuführen.12 Ob eine Situation als (interner) bewaffneter Konflikt oder bloß als „spannungsartiger Tumult“ zu bewerten ist, lässt sich nicht trennscharf festlegen, sondern hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Konfliktsituationen sind stets räumlich und zeitlich begrenzt und können zudem volatil und veränderlich sein. Staaten und Gerichte genießen bei der Bewertung der Situation einen gewissen Einschätzungsspielraum. So hat das VG Bayreuth festgestellt, dass in der Region Kurdistan-Irak zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein bewaffneter Konflikt stattfinde.13 Umgekehrt hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) hinsichtlich der Situation in der Osttürkei im Fall Benzer gegen die Türkei14 das humanitäre Völkerrecht (gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen) herangezogen und 10 Vgl. näher Gary D. Solis, The Law of Armed Conflict, Cambridge 2. Aufl. 2016, S. 163. Gasser/Melzer, Humanitäres Völkerrecht, Zürich: Schulthess, 2. Aufl. 2012, S. 64 ff. Marco Sassòli, International Humanitarian Law, 2019, Rdnr. 6.31 ff. 11 Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte, Text unter https://www.admin.ch/opc/de/classifiedcompilation /19770113/index.html. 12 Marco Sassòli, International Humanitarian Law, 2019, Rdnr. 6.34. Vgl. auch den „Kriterienkatalog“ für die Frage nach der erforderlichen „Intensität“ der bewaffneten Gewaltanwendung sowie den Organisationsgrad einer bewaffneten Gruppierung in der Rechtsprechung des Jugoslawientribunals (z.B. Prosecutor v. Tadić, Urteil vom 15. Juli 1999, https://www.icty.org/x/cases/tadic/acjug/en/tadaj 990715e.pdf). 13 VG Bayreuth, Urteil vom 12. Juli 2019 – B 3 K 18.30379, BeckRS 2019, 21869, https://www.gesetzebayern .de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2019-N-21869?hl=true&AspxAutoDetectCookieSupport=1. 14 Benzer u.a. gegen die Türkei, Beschwerde Nr. 23502/06, Urteil vom 12. November 2013, § 89. In dem Fall ging es um die Bombardierung kurdischer Dörfer durch die türkische Luftwaffe. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/20 Seite 7 damit das Vorliegen eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts (für den konkreten Zeitpunkt und die konkrete Situation) bejaht. Als nicht-internationalen bewaffneten Konflikt betrachtet offensichtlich auch der belgische Kassationshof in seinem Urteil vom 28. Januar 2020 die Lage in der Osttürkei. Die Frage, ob es sich bei der Situation in den kurdisch besiedelten Gebieten der Osttürkei um einen nationalen Befreiungskampf i.S.d. Art. 1 Abs. 4 des 1. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen handelt, braucht nicht erörtert zu werden, da die Türkei das 1. Zusatzprotokoll nicht ratifiziert hat. Der Anwendungsbereich des nationalen Befreiungskampfes, d.h. die Bereitschaft der Staaten, einen bestimmten Konflikt als einen „Befreiungskampf“ anzuerkennen, ist in der Staatenpraxis ausgesprochen gering.15 Dementsprechend haben Staaten, auf deren Territorien Befreiungskriege theoretisch möglich sein könnten (u.a. auch Israel), das Zusatzprotokoll (vorsorglich ) gar nicht erst ratifiziert.16 3. Kombattantenprivileg in bewaffneten Konflikten Der aus strafrechtlicher Sicht entscheidende Unterschied zwischen beiden bewaffneten Konfliktarten ist das sog. „Kombattantenprivileg“ für den zwischenstaatlichen Konflikt, das eine Strafbarkeit von Kombattanten nach nationalem Recht ausschließt. Den Regelungen für den nichtinternationalen bewaffneten Konflikt lässt sich dagegen nicht ohne weiteres entnehmen, dass die Kampfhandlungen bewaffneter Gruppierungen oder Milizen völkerrechtlich bzw. strafrechtlich gerechtfertigt sein können.17 Die traditionelle und vielleicht rigide Unterscheidung hinsichtlich des Kombattantenprivilegs wird in der neueren völkerstrafrechtlichen Literatur zunehmend in Frage gestellt.18 Entsprechend scheint sich auch der belgische Kassationshof positioniert zu haben. 15 Ein Beispiel wäre der Befreiungskampf der Saharaouischen Polisario gegen Marokko in Westsahara, vgl. dazu Marco Sassòli, International Humanitarian Law, 2019, Rdnr. 6.30. Grundlegend auch Eckart Klein, „Nationale Befreiungskämpfe und Dekolonisierungspolitik der Vereinten Nationen: Zu einigen völkerrechtlichen Tendenzen“, in: ZaöRV 1976 S. 618-653, https://www.zaoerv.de/36_1976/36_1976_1_3_a_618_653.pdf. 16 So Marco Sassòli, International Humanitarian Law, 2019, Rdnr. 6.29. 17 Vgl. näher Patrick Scheuß, „Zur Rechtfertigung von Straftaten im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“, ZSTW 2018, S. 23-54 (29 ff.). 18 Vgl. Ambos, Kai, „Die Verfolgungsermächtigung i.R.v. § 129b StGB“, in: ZIS 2016, 505-518 (514 ff.), http://www.zis-online.com/dat/artikel/2016_8_1036.pdf; Melzer, Nils, in: Cassese (Hrsg.), „Realizing Utopia. The Future of International Law”, Oxford 2012, S. 508, 514; Ohlin, Jens David, “The Combatant's Privilege in Asymmetric and Covert Conflicts”, in: Yale Journal of International Law (2015), S. 337-392 (350 ff.), https://digitalcommons.law.yale.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1467&context=yjil. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/20 Seite 8 Gegen die Anerkennung eines Kombattantenprivilegs von bewaffneten Gruppierungen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt sprechen indes neben einigen Tatbeständen des Völkerstrafrechts19 auch andere Entscheidungen ausländischer Gerichte20 sowie zahlreiche War Manuals, die eine entsprechende Staatenpraxis widerspiegeln.21 Dementsprechend besagt die Zentrale Dienstvorschrift „Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten“ des Bundesministeriums der Verteidigung: „Im Gegensatz zum internationalen bewaffneten Konflikt kennt das Recht des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts den Status des Kombattanten und Kriegsgefangenen nicht. Die der Staatsgewalt gegenüberstehenden Kräfte haben keine Befugnis zur Gewaltanwendung. Denn es obliegt dem Staat, über diese Befugnis zu entscheiden und die Personen, die gekämpft haben, gerichtlich, insbesondere strafrechtlich, für die Teilnahme an Feindseligkeiten zu verfolgen. Dementsprechend kann der Staat Personen, die auf Seiten der nichtstaatlichen Konfliktpartei unmittelbar an den Feindseligkeiten teilgenommen haben, auch dann nach seinem Strafrecht ahnden, wenn diese nicht gegen das völkerrechtliche Kampfführungsrecht des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts verstoßen haben.“22 4. Terroristische Vereinigung Eine international konsensfähige und völkerrechtlich verbindliche Definition von „Terrorismus“ existiert nicht.23 Auch die Diskussion darüber, was eine „terroristische Vereinigung“ ausmacht, bleibt kontrovers.24 Die Einordnung und rechtliche Qualifizierung einer bestimmten Organisation als „terroristische Vereinigung“ obliegt den Staaten (regelmäßig: den Innenministerien) auf der Grundlage ihrer nationalen (Straf)gesetze und ggf. in Umsetzung einer entsprechenden VN-/EU- 19 Vgl. Art. 8 Abs. 2 lit. e) UAbs. 9 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (meuchlerische Tötung oder Verwundung). Dazu Zimmermann/Geiß, in: Triffterer/Ambos (Hrsg.), The Rome Statute of the International Criminal Court, Baden-Baden: Nomos, 3. Aufl. 2016, Art. 8 Rdnr. 961. 20 Vgl. etwa Entscheidung des Chilenischen Obersten Gerichtshofs vom 13. März 2007, Criminal Law Chamber, Victor Raúl Pinto case, Case No. 3125-04, Decision on Annulment, § 21. 21 Nachweise zu den Law of War-Manuals der USA und der Schweiz bei Patrick Scheuß, „Zur Rechtfertigung von Straftaten im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt“, ZSTW 2018, S. 23-54 (33 f.). 22 BMVg, ZDV A-2141/1 (Stand: Februar 2016), Rdnr. 1308, abrufbar unter: https://www.bmvg.de/resource/blob/93612/f16edcd7b796ff3b43b239039cfcc8d1/b-02-02-10-downloadhandbuch -humanitaeres-voelkerrecht-in-bewaffneten-konflikten-data.pdf. 23 Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, Rdnr. 1109. Ben Saul, “Defining Terrorism: A Conceptual Minefield”, in: Chenoweth/English/Gofas u.a. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Terrorism, Oxford 2019, S. 34-49 (45 f.), https://www.oxfordhandbooks.com/view/10.1093/oxfordhb/9780198732914.001.0001/oxfordhb- 9780198732914-e-2. 24 Vgl. Brian J. Phillips, “Terrorist Organizational Dynamics”, in: Chenoweth/English/Gofas u.a. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Terrorism, Oxford 2019, S. 385-400 (386 f.) m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/20 Seite 9 Terrorliste. Die Einstufungspraxis in den einzelnen Ländern ist unterschiedlich.25 Die PKK ist in Deutschland seit 1993 verboten.26 Einstufungsentscheidungen, die durch die Organe eines Staates vorgenommen werden, sind für andere Staaten rechtlich nicht bindend. Die Qualifizierung als „Terrororganisation“ und der Status als „Konfliktpartei“ schließen sich nicht gegenseitig aus.27 Das humanitäre Völkerrecht deckt grundsätzlich auch terroristische Handlungen ab.28 Eine nach nationalem Recht als „Terrororganisation“ eingestufte bewaffnete Gruppierung oder Miliz kann gleichzeitig auch Konfliktpartei i.S.d. humanitären Völkerrechts sein, wenn sie in eine bewaffnete Auseinandersetzung verwickelt ist (vgl. dazu die zahlreichen militärischen Konflikte mit dem sog. „Islamischen Staat“, mit der nigerianischen Boko Haram, mit Al Quaida, der Hisbollah oder der Hamas).29 Eine als „Terrororganisation“ eingestufte bewaffnete Gruppierung verliert nicht schon dadurch ihren „terroristischen“ Charakter, dass sie an bewaffneten Kampfhandlungen teilnimmt und dadurch zur Konfliktpartei i.S.d. humanitären Völkerrechts wird. Zur Konfliktpartei wird eine bewaffnete Gruppierung ipso facto, ohne dass eine konstitutive Feststellung durch ein Gericht oder Staat notwendig ist. Die Einstufung als „terroristische Vereinigung “ (ebenso wie die entsprechende Listung durch die EU) ist dagegen eine staatliche „Zuschreibung“ – also ein Rechtsakt,30 der von einer als terroristisch eingestuften Gruppierung gerichtlich angefochten werden kann.31 *** 25 So stufen z.B. die EU, die NATO, die USA, Großbritannien, Kanada, Deutschland, Schweden, Spanien, Tschechien u.a. die PKK als „terroristische Vereinigung“ ein; die VN und Staaten wie China, Indien, Russland, die Schweiz oder Ägypten dagegen nicht. 26 Bulletin der Bundesregierung Nr. 106-93 vom 1. Dezember 1993, https://www.bundesregierung.de/bregde /service/bulletin/verbot-der-arbeiterpartei-kurdistans-in-deutschland-790068. 27 Marco Sassòli, International Humanitarian Law, 2019, Rdnr. 10.28. 28 Marco Sassòli, International Humanitarian Law, 2019, Rdnr. 10.20 ff. Zur Diskussion über die während eines bewaffneten Konflikts unter Terrorverdacht festgenommenen Personen Andrea Bianchi, „Counterterrorism and International Law“, in: Chenoweth/English/Gofas u.a. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Terrorism, Oxford 2019, S. 659-676 (665 f.). 29 In der Staatenpraxis gibt es jedoch auch Beispiele dafür, dass staatliches Vorgehen gegen Terrororganisationen (wie etwa gegen die ehem. Irish Republican Army, IRA oder gegen die ehem. baskische Euskadi Ta Askatasuna, ETA) bewusst nicht als bewaffneter Konflikt behandelt wurde. 30 Die EU-Terrorliste ergeht rechtlich als Beschluss (GASP) 2017/1426 des Rates vom 4. August 2017, https://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017D1426&from=DE. 31 So hat der EuGH am 15. November 2018 entschieden, dass die PKK von 2014 bis 2017 aus formalen Gründen zu Unrecht auf der EU-Terrorliste geführt wurde, vgl. Tagesschau vom 15. November 2018, https://www.tagesschau.de/ausland/pkk-eu-gericht-101.html. Eine Klage der Hamas wurde dagegen im März 2019 abgewiesen https://www.n-tv.de/politik/Hamas-bleibt-weiter-auf-der-EU-Terrorliste-article20891694.html.