© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 010/16 Menschenrechte als Leitlinie der Politik Sachstand Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 2 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Menschenrechte als Leitlinie der Politik Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 010/16 Abschluss der Arbeit: 29. Februar 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Die wichtigsten Menschenrechtsinstrumente 4 2.1. Universelle Menschenrechtsinstrumente 5 2.1.1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 (Menschenrechtscharta) 5 2.1.2. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966) 6 2.1.3. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) 7 2.1.4. Durchsetzung und Überwachung der VN- Menschenrechtsinstrumente 7 2.2. Regionale Menschenrechtsinstrumente 8 2.2.1. Europäische Menschenrechtskonvention 8 2.2.2. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 9 2.2.3. Amerikanische Menschenrechtskonvention 10 2.2.4. Afrikanische Charta der Menschenrechte 11 3. Innerterritoriale Bindung an die Menschenrechte 13 4. Extraterritoriale Bindung an die Menschenrechte 13 4.1. Europäische Union 15 4.1.1. Regelungsgehalt des EU-Rechts 15 4.1.2. Umsetzung dieses Regelungsgehalts 16 4.1.2.1. Menschenrechtsklauseln 16 4.1.2.2. Institutionelle Kooperationen 18 4.1.2.3. Finanzielle Förderung 18 4.1.2.4. Strategische Ansätze 19 4.1.2.5. Sonderbeauftragter für Menschenrechte 21 4.2. Vergleichbare Regelungen 22 5. Fazit 22 6. Anlage: Schlussfolgerungen des Rates zum Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015‑2019) Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 4 1. Einführung Der vorliegende Sachstand befasst sich mit der Frage, ob und gegebenenfalls wie Staaten oder staatenähnliche Gebilde die Menschenrechte zum zentralen Prinzip ihres inneren und äußeren Handelns machen. Reine Absichtserklärungen politischer Akteure sollen hierbei außer Betracht bleiben, da sie sich je nach Situation ändern können. Bereits die Auswirkungen staatlichen Handelns auf die innerstaatliche Menschenrechtslage sind schwer zu überblicken. Obwohl zahlreiche Institutionen existieren, die die Einhaltung menschenrechtlicher Vorgaben innerhalb des jeweiligen Staates überwachen,1 klafft – wie in nahezu jedem Rechtsbereich – eine Lücke zwischen dem rechtlichen Ideal- und dem erlebten Realzustand (de jure im Gegensatz zu de facto). Eine Darstellung des letzteren setzt umfangreiche Erhebungen voraus, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würden. Insoweit sei auf die zahlreichen Analysen, Rankings und Berichte der Vereinten Nationen (VN), diverser Regierungsund Nichtregierungsorganisationen und Forschungseinrichtungen verwiesen. Was für die Auswirkungen staatlichen Handelns nach innen gilt, gilt umso mehr für die Wirkungen nach außen. Außen(handels)- und Entwicklungspolitik kann sich mannigfaltig auf die Menschenrechtslage in anderen Staaten auswirken, aber dies ist für die Akteure oft nicht umfassend vorhersehbar, planbar oder auch nur evaluierbar, so dass sich zu diesem Thema auch keine Rankings finden lassen. Dieses Problem der mangelnden Evaluierbarkeit gilt es bei den Abschnitten dieses Sachstandes, die sich mit der menschenrechtlichen Wirkung auswärtiger Politik befassen, stets zu beachten. Aus den genannten Gründen beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf die Darstellung von verbindlichen menschenrechtlichen Vorgaben bzw. Selbstverpflichtungen für die Innen- und Außenpolitik von Staaten oder staatenähnlichen Gebilden. Nach einer Darstellung der wichtigsten Menschenrechtsgarantien (2.) wird der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Politik über den innerterritorialen Bereich hinaus (dazu 3.) auch im extraterritorialen Bereich an die Menschenrechtsgarantien gebunden ist (dazu 4.). 2. Die wichtigsten Menschenrechtsinstrumente Menschenrechtsgarantien finden sich zunächst in völkerrechtlichen Abkommen. Besondere Bedeutung haben die universellen Regelwerke, die unter dem Dach der Vereinten Nationen (VN) zu Stande gekommen sind, allen voran die allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, der Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 (IPbürgR) und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 (IPwirtR). Daneben existieren regionale Menschenrechtsabkommen wie etwa die vom Europarat ins Leben gerufene Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 (EMRK), die unter dem Dach der Organisation Amerikanischer Staaten entstandene Amerikanische Menschenrechtskonvention von 1969 (AMRK) oder die von der Organisation für Afrikanische Einheit (mittlerweile: Afrikanische 1 Das Spektrum umfasst internationale Gerichtshöfe, Menschenrechtsausschüsse bzw. -kommissionen, Menschenrechtsbeauftragte , Ombudspersonen, aber auch nationale Gerichte und andere Behörden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 5 Union) verabschiedete Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker von 1981. Darüber hinaus sind Menschenrechtsgarantien in zahlreichen nationalen Verfassungen verankert . Teilweise nehmen diese explizit auf bestehende Menschenrechtsgarantien Bezug. Ein Beispiel dafür ist die französische Verfassung, die im ersten Absatz ihrer Präambel auf die französische Menschrechtserklärung von 1789 verweist. Teilweise sehen sie aber auch selbst grundlegende Rechte vor, die sich mehr oder weniger mit menschenrechtlichen Garantien decken. Dies trifft etwa auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die darin enthaltenen Grundrechte zu. Aber nicht nur Nationalstaaten, sondern auch supranationale Gebilde können sich in ihren Gründungsverträgen Menschenrechtsgarantien unterwerfen. So erhebt der Vertrag über die Europäische Union (EUV) die Grundrechtecharta der EU zu primärem EU-Recht (Art. 6 Abs. 1 EUV) und inkorporiert zudem die EMRK sowie die Grundrechte, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben (Art. 6 Abs. 3 EUV). Der darüber hinaus vorgesehene Beitritt der EU zur EMRK (Art. 6 Abs. 2 EUV) ist bislang nicht erfolgt.2 Im Folgenden werden die universellen und die regionalen Menschenrechtsgarantien näher dargestellt . Von einer Erläuterung der in nationalen Verfassungen verankerten Menschenrechte muss auf Grund ihrer Vielzahl abgesehen werden. 2.1. Universelle Menschenrechtsinstrumente Im Folgenden eine kurze Darstellung der drei wichtigsten universellen, d.h. von der großen Mehrheit aller Staaten getragenen, Menschenrechtsinstrumente. 2.1.1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 (Menschenrechtscharta)3 Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 ist eine Resolution der VN-Vollversammlung (Resolution 217 A (III)). Sie ist kein verbindlicher völkerrechtlicher Vertrag wie etwa die EMRK, sondern formell lediglich eine Absichtserklärung. Insbesondere durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (siehe die beiden folgenden Abschnitte), die beide auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte rekurrieren, hat sie jedoch indirekt verbindliche Wirkung entfaltet. Auch andere Konventionen und Abkommen sowie nationale Regelungen berufen sich auf sie. 2 Nach dem Gutachten des EuGH vom 18. Dezember 2014 zum Aktenzeichen C-2/13 (abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?docid=160882&doclang=DE, letzter Abruf am 23. Februar 2016) ist der zuletzt vorgelegte Entwurf eines Beitrittsübereinkommens nicht europarechtskonform, da nicht vereinbar mit Art. 6 Abs. 2 EUV und dem zugehörigen Protokoll Nr. 8. 3 Alle Informationen dieses Abschnittes aus: Menschenrechtserklaerung.de, Status und Bedeutung der Menschenrechtserklärung , 2016, http://www.menschenrechtserklaerung.de/der-status-dermenschenrechtserklaerung -374/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 6 Die Menschenrechtscharta besteht aus der Präambel und 30 Artikeln. Sie führt insbesondere aus, dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind, ohne Ansehen von Rasse , Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. 2.1.2. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966) Dieses Abkommen garantiert grundlegende individuelle Menschenrechte wie Leben, Religionsfreiheit , Meinungs- und Redefreiheit sowie kollektive Rechte wie das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Seit 1966 wurden 168 Staaten durch Ratifikation, Akzession oder Sukzession Vertragspartei, darunter die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1973. Dabei haben zahlreiche Staaten Zusatzerklärungen und Vorbehalte abgegeben. Unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert wurde der Pakt von folgenden Staaten: China, den Komoren, Kuba, Nauru, Palau, Saint Lucia und São Tomé und Principe.4 Bisher nicht unterzeichnet und somit auch nicht ratifiziert haben den Pakt: Antigua und Barbuda , Bhutan, Brunei, die Cook-Inseln, Fidschi, Kiribati, Malaysia, die Marshall-Inseln, Mikronesien , Niue, Myanmar, Oman, Katar, Saint Kitts und Nevis, Saudi-Arabien, Singapur, die Salomonen , Südsudan, Tonga, Tuvalu, die Vereinigten Arabischen Emirate sowie der Vatikanstaat (der aber kein Mitglied der VN ist).5 Die Einhaltung des Paktes wird vom Menschenrechtsausschuss der VN-Generalversammlung überwacht.6 Der Ausschuss nimmt die jährlichen Pflichtberichte der Staaten entgegen. Er ist ebenfalls für die Feststellung von Menschenrechtsverletzungen zuständig, wobei er zwar Individualbeschwerden annehmen kann, aber selbst keine Untersuchungskompetenzen besitzt. Wird eine Menschenrechtsverletzung festgestellt, hat der betreffende Staat drei Monate Zeit, Abhilfe zu schaffen. Eine echte Sanktionsmöglichkeit im Falle des Zuwiderhandelns oder der Untätigkeit hat der Ausschuss jedoch nicht. In der Regel tritt der Ausschuss drei Mal jährlich für drei Wochen zusammen. 4 United Nations Treaty Collection, International Covenant on Civil and Political Rights , 2016, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-4&chapter=4&lang=en (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 5 United Nations Treaty Collection (Anm. 4). 6 Alle Informationen zum Menschenrechtsrat aus: Menschenrechtserklaerung.de, Menschenrechtsausschuss, 2016, http://www.menschenrechtserklaerung.de/menschenrechtsausschuss-3154/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 7 2.1.3. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) Der Pakt definiert wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte jedes Menschen, unter anderem die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Verbot von Zwangsehen, Recht auf Bildung und Recht auf Arbeit. Er wurde inzwischen von 164 Staaten ratifiziert (Bundesrepublik: 1973). Unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert wurde der Pakt von folgenden Staaten: Komoren, Kuba , Myanmar, Palau, São Tomé und Príncipe und den Vereinigten Staaten von Amerika.7 Nicht unterzeichnet haben den Pakt: Andorra, Antigua und Barbuda, Botswana, Bhutan, Brunei, Fidschi, Haiti, Kiribati, Malaysia, die Marshallinseln, Mikronesien, Mosambik, Nauru, Oman, Katar, Saint Kitts und Nevis, Samoa, Saudi-Arabien, Singapur, St. Lucia, Südsudan, Tonga, Tuvalu, den Vereinigten Arabischen Emirate, Vanuatu und der Vatikan (s.o.).8 2.1.4. Durchsetzung und Überwachung der VN-Menschenrechtsinstrumente9 Die Staaten, die beide Menschenrechtspakte ratifiziert haben, unterliegen einer jährlichen Berichtspflicht an die VN. Die dort angesiedelte Institution zur Beobachtung der Menschenrechtssituation in der Welt ist der Menschenrechtsrat. Dieser löste im Jahre 2006 die Menschenrechtskommission ab. Diese war insbesondere dafür kritisiert worden, zu ineffektiv und zu politisiert zu sein. Seine Gründung wurde 2006 mit 170 Ja-Stimmen, 3 Enthaltungen und 4 Nein-Stimmen (Israel, Marshallinseln, Palau, USA) von der VN-Generalversammlung beschlossen. Die Mitglieder werden mit absoluter Mehrheit der Generalversammlung für die Dauer von bis zu drei Jahren gewählt. Insgesamt besteht der Rat aus 47 Mitgliedern, die nach einem regionalen Verteilerschlüssel aus den verschiedenen Regionalgruppen stammen: Afrika 13 Sitze, Asien 13 Sitze, Lateinamerika und Karibik acht Sitze, Osteuropa sechs Sitze, Westliche und andere Staaten sieben Sitze. Anders als die Menschenrechtskommission, die dem Wirtschafts- und Sozialrat unterstand , berichtet der Menschenrechtsrat unmittelbar der Generalversammlung der Vereinten Nationen und ist damit den Ausschüssen der Generalversammlung gleichgestellt. Der Menschenrechtsrat wird wie seine Vorgängerin dafür kritisiert, dass in ihm Vertreter von Ländern sitzen, deren Menschenrechtsbilanz ausgesprochen negativ ausfällt. Aufsehen erregte z.B. die Vergabe eines der Plätze an das Königreich Saudi-Arabien, das – siehe Abschnitt 2.1.2 – den Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht ratifiziert hat und insbesondere im Hinblick auf die in diesem Pakt verbürgten Menschenrechte wie Leben, Religionsfreiheit und 7 United Nations Treaty Collection, International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, 2016, https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-3&chapter=4&lang=en (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 8 United Nations Treaty Collection (Anm. 7). 9 Alle Informationen dieses Abschnittes aus: Menschenrechtserklaerung.de, Menschenrechtsrat, 2016, http://www.menschenrechtserklaerung.de/menschenrechtsrat-362/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 8 Gleichberechtigung von Mann und Frau zu den am schlechtesten abschneidenden Staaten der Welt gehört. Beschwerdeverfahren vor dem Menschenrechtsrat stehen grundsätzlich allen ratifizierenden Staaten offen, Individuen nur dann, wenn ihr Heimatstaat ein entsprechendes Fakultativprotokoll unterzeichnet hat. 2.2. Regionale Menschenrechtsinstrumente Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die regionalen Menschenrechtsinstrumente samt Institutionen (sofern vorhanden) zur Durchsetzung der darin verbürgten Rechte gegeben. Anders als die VN besitzen zumindest die europäischen und amerikanischen Regionalorganisationen (Europarat und Organisation Amerikanischer Staaten) Institutionen und Mechanismen, die der konkreten Durchsetzung der von ihnen gegebenen Menschenrechtsverbürgungen dienen. Grundsätzlich ist es dennoch so, dass die tatsächliche Beachtung der Menschenrechte in einem einzelnen Staat vor allem vom politischen Willen der Regierung abhängt. Doch kann bereits die Bereitschaft, sich wenigstens prinzipiell einem supranationalen Menschenrechtsinstrument anzuschließen , diesen politischen Willen signalisieren. 2.2.1. Europäische Menschenrechtskonvention Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, gemeinhin als Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bezeichnet, wurde im Jahre 1950 in Rom von den damaligen Mitgliedstaaten des Europarates unterzeichnet und trat 1953 in Kraft. Sie wurde mit Ausnahme des Vatikan und Weißrusslands bisher von allen europäischen Staaten unterzeichnet und ratifiziert. Faktisch war und ist die Bereitschaft zur Ratifikation Vorbedingung für den Beitritt eines Staates zum Europarat.10 Die EMRK verbürgt zahlreiche Menschen- und Bürgerrechte und bezieht sich in ihrer Präambel ausdrücklich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948.11 In mehreren später hinzugefügten Protokollen und einem Zusatzprotokoll wurden weitere Rechte verbürgt und z.B. die Todesstrafe abgeschafft. Neben dem Katalog der erwähnten Rechte begründet die EMRK den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der eine der wichtigsten Institutionen zur Durchsetzung von Menschen- und Bürgerrechten in Europa darstellt.12 Der EGMR nahm seine Arbeit im Jahre 1959 auf. Urteile des EGMR sind für die Mitgliedsstaaten verbindlich und haben über die Jahrzehnte zu zahlreichen Verbesserungen bei den Menschenrechten in den Mitgliedsstaaten geführt. Damit hat die EMRK zumin- 10 Netzwerk Menschenrechte, Entstehung und Entwicklung der Europäischen Menschenrechtskonvention, http://www.menschenrechtskonvention.eu/entstehung-und-entwicklung-der-europaeischenmenschenrechtskonvention -9440/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 11 Netzwerk Menschenrechte, Vertragstexte, http://www.menschenrechtskonvention.eu/text/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 12 Alle Angaben über den EGMR: Netzwerk Menschenrechte, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, http://www.menschenrechtskonvention.eu/europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte-2-9459/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 9 dest für ihren Geltungsbereich mehr Durchsetzungskraft als die universellen Menschenrechtsinstrumente , die nicht in vergleichbarer Weise durch supranationale Institutionen durchgesetzt werden. Dass auch die Urteile des EGMR nur dann nachhaltige Wirkung entfalten, wenn der politische Wille in dem betreffenden Staat vorhanden ist, zeigt die Tatsache, dass z.B. Russland, das in der relativ kurzen Zeit der Mitgliedschaft im Europarat über 1.500 Mal wegen Verstößen gegen die EMRK verurteilt wurde, weithin nicht als Staat mit adäquatem Menschenrechtsschutz betrachtet wird.13 2.2.2. Charta der Grundrechte der Europäischen Union Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union („EU-Grundrechtecharta“) kodifiziert die Grund- und Menschenrechte für die Menschen in der Europäischen Union und fasste sie zum ersten Mal übersichtlich zusammen. Sie orientiert sich an der EMRK, den nationalen Verfassungen sowie an der europäischen Rechtsprechung. Zwar wurde die Charta bereits 2000 in Nizza proklamiert, trat jedoch erst 2009 zeitgleich mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft. Sie gilt für alle EU-Staaten mit der Ausnahme Großbritanniens und Polens. Die Charta fasst die allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte und die wirtschaftlichen und sozialen Rechte in sechs Titeln (Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte und justizielle Rechte) in einem Dokument zusammen. Der Schutz vieler, aber nicht aller Grundrechte aus dem Katalog der Grundrechtecharta wird von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (European Union Agency for Fundamental Rights, FRA) mit Sitz in Wien überwacht.14 Die Agentur wurde im Jahre 2007 geschaffen und ist Nachfolgerin der Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit . Sie knüpft anders als diese nicht nur an das Recht auf Nichtdiskriminierung aufgrund der Herkunft, sondern an mehrere in der Grundrechtecharta fixierten Grundrechte an. Ihr Mandat umfasst folgende Themen: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und damit einhergehende Intoleranz; Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft , der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung und Diskriminierung von Angehörigen von Minderheiten; Entschädigung von Opfern ; Rechte des Kindes; Asyl, Zuwanderung und Integration von Migranten; Visa und Grenzkontrolle ; Teilhabe der Bürger der Union am demokratischen Funktionieren der EU; Datenschutz sowie Zugang zu einer effizienten und unabhängigen Rechtsprechung. 13 Die hohe Zahl an verlorenen EGMR-Verfahren hat Russland dazu bewogen, im Jahre 2015 ein Gesetz zu verabschieden , dass die unmittelbare rechtliche Wirkung der Urteile des EGMR für die Russische Föderation sowie die Klagemöglichkeiten russischer Bürger vor dem EGMR einschränken soll. 14 Alle Angaben dieses Abschnittes aus: Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA), http://europa.eu/about-eu/agencies/regulatory_agencies_bodies/policy_agencies/fra/index_de.htm (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 10 Die Arbeit der Agentur besteht primär in der Erstellung wissenschaftlicher Studien zur Information von EU-Institutionen, Mitgliedstaaten, Beitrittskandidaten sowie der Öffentlichkeit. Sie macht auf mögliche Missstände aufmerksam und zeigt Lösungen auf. Außerdem berät die Agentur die EU-Institutionen bei der europäischen Rechtsetzung. Individualbeschwerden über mögliche Menschenrechtsverletzungen nimmt sie jedoch nicht an. 2.2.3. Amerikanische Menschenrechtskonvention Die 1969 im costa-ricanischen San José unterzeichnete und 1978 in Kraft getretene Amerikanische Menschenrechtskonvention (AMRK, auch Pakt von San José) ist ein Menschenrechtsinstrument der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Derzeit haben 25 der 35 OAS- Mitglieder die Konvention ratifiziert, zwei davon, Trinidad und Tobago sowie Venezuela, haben sich von der AMRK losgesagt, sodass die Konvention aktuell von 23 amerikanischen Staaten (alle davon in Lateinamerika oder der Karibik; die USA und Kanada haben die AMRK nicht ratifiziert ) getragen wird. Zwei Zusatzprotokolle, das Zusatzprotokoll zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention auf den Gebieten der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (Salvador -Protokoll) sowie das Protokoll zur Amerikanischen Menschenrechtskonvention zur Abschaffung der Todesstrafe, wurden von 16 bzw. 13. Staaten ratifiziert (acht Staaten haben beide ratifiziert ).15 Die Durchsetzung der AMRK soll von zwei Institutionen gesichert werden: der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof. Die Kommission, Gründungsjahr 1959, ist dabei älter als die AMRK. Sie hat ihren Sitz in Washington. Ursprünglich wurde sie geschaffen, um die Umsetzung des Vorgängers der AMRK, der Amerikanischen Erklärung der Rechte und Pflichte des Menschen (1948, Bogotá) sicherzustellen . Ihre Arbeit basiert auf drei Prinzipien: Individuelle Petitionen, Beobachtung der Menschenrechtslage in den OAS-Mitgliedsstaaten und Sichtbarmachung und Diskussion bestimmter, von ihr gesetzter Themen. Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof (Corte Interamericana de Derechos Humanos, CORTEIDH) wurde direkt durch die AMRK ins Leben gerufen.16 Er hat seinen Sitz in San José in Costa Rica und nahm seine Arbeit im Jahre 1979, wenige Monate nach Inkrafttreten der AMRK, auf.17 Er arbeitet direkt mit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission zusammen: Diese hört Individualbeschwerden an und entscheidet, ob eine Beschwerde begründet ist.18 Ist 15 Alle Angaben dieses Abschnittes aus: Organization of American States, Multilateral Treaties – American Convention on Human Rights – Ratification Status, http://www.oas.org/dil/treaties_B- 32_American_Convention_on_Human_Rights_sign.htm (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 16 Corte Interamericana de Derechos Humanos, Historia de la Corte IDH, http://www.corteidh.or.cr/index.php/es/acerca-de/historia-de-la-corteidh (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 17 Corte Interamericana de Derechos Humanos (Anm. 16). 18 Corte Interamericana de Derechos Humanos, Reglamento de la Corte Interamericana de Derechos Humanos, http://www.corteidh.or.cr/sitios/reglamento/nov_2009_esp.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 11 dies der Fall, macht die Kommission dem jeweiligen Staat Vorschläge zur Beseitigung der jeweiligen menschenrechtsverletzenden Situation oder für eine Entschädigung des Opfers. Lehnt der betreffende Staat ab, kann die Kommission die Beschwerde an den Gerichtshof überweisen.19 Damit unterscheidet sich der CORTEIDH vom EGMR, den betroffene Individuen anrufen können. 2.2.4. Afrikanische Charta der Menschenrechte Gemessen an der Zahl der Ratifikationen ist die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker (auch Banjul-Charta) das weltweit größte regionale Menschenrechtsinstrument : seit Unterzeichnung der Charta im Jahre 1981 durch die Mitglieder der damaligen Organisation für Afrikanische Einheit (Organisation of African Unity, OAU, heute Afrikanische Union, AU) haben 53 afrikanischen Staaten die Charta ratifiziert, einzige Ausnahmen sind der Südsudan und Marokko.20 Die Charta, deren Ursprünge im postkolonialen afrikanischen Diskurs liegen, erhebt den Anspruch , die „afrikanische Version der Menschenrechte“ zu verbürgen. Dies bedeutet faktisch, dass einige der in den universellen Menschenrechtsinstrumenten genannten Rechte in der Charta nicht genannt werden, so insbesondere das Recht auf die freie Ehegattenwahl , die prinzipielle Ächtung der Todesstrafe und der Schutz der Privatsphäre.21 Auch werden einige der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den beiden internationalen Pakten verbürgten Rechte in der Banjul-Charta entweder bereits ab initio (in der Charta selbst) oder durch fehlende substantielle Bedingungen für staatliche Menschenrechtsbeschränkungen relativiert.22 So können z.B. Glaubens-, Gewissens-, Meinungs- und Pressefreiheit gemäß Banjul-Charta von den Mitgliedsstaaten fast uneingeschränkt beschränkt werden, sofern diese Beschränkungen im Rahmen der nationalen Gesetze erfolgen.23 Solch vage und weit interpretierbare Formulierungen können wie in jedem Rechtsgebiet Missbrauch und schlechte Praxis fördern und widersprechen im Prinzip dem Grundgedanken eines supranationalen Menschenrechtsschutzregimes . Ähnlich ist es mit einigen der Pflichten des Individuums, die in der Charta genannt werden. Die Nennung von individuellen Pflichten ist hierbei ein Novum und unterscheidet die Banjul-Charta von vergleichbaren Verträgen (die AMRK nennt in Art. 32 abstrakte „Verantwortlichkeiten“ des 19 Corte Interamericana de Derechos Humanos (Anm. 18). 20 African Commission on Human and Peoples' Rights, Ratification Table: African Charter on Human and Peoples' Rights, 2016, http://www.achpr.org/instruments/achpr/ratification/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 21 Vgl. Dadalos, Menschenrechtsschutz in Afrika: Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker, http://www.dadalos.org/deutsch/Menschenrechte/Grundkurs_MR2/Materialien/dokument_7.htm (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 22 Dadalos (Anm. 21). 23 Dadalos (Anm. 21). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 12 Individuums gegenüber Familie, Gemeinschaft und Menschheit).24 Das afrikanische Individuum hat gemäß Charta unter anderem die Pflicht zur Achtung seiner Familie und der Eltern und zur Stärkung der afrikanischen Einheit.25 Wie die Überwachung und Durchsetzung dieser Pflichten von statten gehen soll, erwähnt die Charta nicht. Maßnahmen zur Durchsetzung der in der Charta verbürgten Menschen- und Völkerrechte legen die Artikel 30 bis 63 fest. Darin wird insbesondere die Afrikanische Kommission der Menschenrechte und der Rechte der Völker (African Commission on Human and Peoples' Rights (ACHPR)) als Institution begründet. Ihr Mandat wird folgendermaßen festgelegt: 1. Förderung der Menschenrechte und der Rechte der Völker; 2. Schutz der Menschenrechte und der Rechte der Völker; 3. Interpretation der Bestimmungen der Charta auf Anforderung einer Vertragspartei, eines Organs der AU oder einer von der AU anerkannten Organisation; 4. weitere Aufgaben, die durch die Versammlung der Staats- und Regierungschefs der AU übertragen werden. Sowohl Staaten als auch Individuen können sich direkt an die Kommission wenden. Letzten Endes kann die Kommission aber nur den Regierungen der Mitgliedsstaaten bzw. dem Generalsekretariat der AU Bericht erstatten und Handlungsempfehlungen geben. Deswegen wurde mittels eines 2004 in Kraft getretenen Protokolls zur Charta der Afrikanische Gerichtshof für Menschenund Völkerrechte (African Court on Human and Peoples' Rights (AfCHPR)) geschaffen.26 Das Gericht soll über alle rechtlichen Fragen zur Interpretation und Anwendung der Banjul-Charta und des Rechtes der AU verbindlich Recht sprechen.27 Individuen können nur dann ihre Fälle vorbringen , wenn ihr Heimatstaat die entsprechende Erklärung gemäß dem das Gericht begründende Protokoll abgeben hat.28 Bisher haben dies nur sieben der AU-Mitgliedsstaaten getan.29 Tatsächlich hat das Gericht bisher erst in wenigen Verfahren Urteile gefällt. Die von der AU geplante Gründung eines Afrikanischen Gerichtshofes (African Court of Justice) ist bislang nicht erfolgt, nach Verlautbarungen aus der AU bzw. von afrikanischen Regierungen sollen beide Gerichte aber miteinander verschmolzen werden. Im Jahre 2014 beschloss die AU überdies eine Ergänzung der 24 Organization of American States, Multilateral Treaties, American Convention on Human Rights, http://www.oas.org/dil/treaties_B-32_American_Convention_on_Human_Rights.htm (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 25 Dadalos (Anm. 21). 26 African Court on Human and Peoples' Rights, Welcome to the African Court, 2016, http://en.africancourt .org/index.php/12-homepage1/1-welcome-to-the-african-court (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 27 African Court on Human and Peoples‘ Rights (Anm. 26). 28 International Justice Resource Center (IJRC), African Human Rights System, 2016, http://www.ijrcenter.org/regional/african/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 29 IJRC (Anm. 28). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 13 Statuten des Gerichtes, die Regierungsmitgliedern und –beamten der AU-Staaten Immunität vor Anklagen vor dem AfCHPR garantiert.30 Gleichzeitig gibt es aus der AU und aus verschiedenen afrikanischen Regierungen immer wieder Stimmen, die den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ablehnen und fordern, dass der AfCHPR dieses Gericht der VN für Afrikaner ersetzen solle. Verlautbarungen zu diesem offenkundigen Widerspruch ließen sich nicht finden. Somit zeigt das Menschenrechtsschutzregime der Banjul-Charta bzw. der AU, dass Menschenrechtsschutz und –förderung allein durch die Existenz von Institutionen nicht gewährleistet werden können, solange politischer Wille, Ressourcen und Kompetenzen sie nicht mit Leben füllen. 3. Innerterritoriale Bindung an die Menschenrechte Unzweifelhaft hat ein Hoheitsträger bei Handlungen, die seine inneren Angelegenheiten betreffen , die für ihn geltenden Menschrechtsgarantien zu beachten. Dies gilt nicht nur für sein rein tatsächliches (z.B. Gewaltanwendung durch Ordnungsorgane) und rechtsanwendendes Verhalten (Erlass von Verwaltungsakten, Rechtsprechung), sondern auch für seine rechtsetzende Tätigkeit, jedenfalls soweit es um Rechtsakte geht, die von niedrigerem Rang sind als seine – in aller Regel verfassungs- oder völkerrechtlich begründeten – menschenrechtlichen Verpflichtungen. Insoweit sind die Menschenrechte im innerstaatlichen Kontext schon aus rechtstechnischen Gründen Maßstab der gesamten Politik, ohne dass diese eine durch explizite Erklärung an ihnen ausgerichtet werden müsste. 4. Extraterritoriale Bindung an die Menschenrechte In jüngerer Zeit wird allerdings auch erörtert, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß ein Hoheitsträger dazu verpflichtet ist, den für ihn geltenden Menschenrechtsgarantien bei extraterritorialen Szenarien Rechnung zu tragen. Zu diesen Szenarien zählen etwa Handeln oder Unterlassen seines diplomatischen Corps (z.B. Ausstellung eines Passes oder Einsatz für die Belange eines seiner Staatsbürger), Handeln oder Unterlassen auf von ihm kontrolliertem, fremdem Territorium (z.B. im Rahmen einer militärischen Besetzung), Handeln oder Unterlassen innerhalb des eigenen Territoriums, das Auswirkungen außerhalb desselben hat (z.B. gesetzliche Vorgabe von Mindeststandards für Auslandsaktivitäten von staatlichen oder privaten Wirtschaftsunternehmen ) und – je nach Ansicht – die Auslieferung oder Ausweisung von Personen in ein Land, in dem diese gefährdet sein könnten.31 30 IJRC, African Union approves immunity for government officials in amendment to African Court of Justice and Human Rights’ statute, 2. Juli 2014, http://www.ijrcenter.org/2014/07/02/african-union-approves-immunity-forheads -of-state-in-amendment-to-african-court-of-justice-and-human-rights-statute/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 31 Dies erscheint insofern zweifelhaft, als sich sowohl die betreffende Handlung auf dem Territorium des Hoheitsträgers abspielt als auch sich die betreffende Person dort befindet, siehe Nicola Wenzel, Human Rights, Treaties, Extraterritorial Application and Effects, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law [MPEPIL], Rn. 6, abrufbar unter http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e819?prd=EPIL#law-9780199231690-e819-div1-3 (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 14 Maßgebend für die Beantwortung der Frage der extraterritorialen Bindungen menschenrechtlicher Garantien ist in erster Linie der Inhalt des betreffenden Menschenrechtsinstrumentes. Dieser ist – ausgehend vom Wortlaut – durch Auslegung zu ermitteln. Gemäß Art. 1 EMRK sichern deren Vertragsparteien „allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen“ die in Abschnitt I der Konvention bestimmten Rechte und Freiheiten zu. Ähnlich lautet Art. 1 Abs. 1 AMRK, dem zu Folge „die Vertragsstaaten allen Personen, die ihrer Hoheitsgewalt unterworfen sind, die freie und volle Ausübung der (in der Konvention) genannten Rechte und Freiheiten (gewähren)“.32 Auch nach Art. 2 Abs. 1 IPbürgR verpflichtet sich jeder Vertragsstaat, „die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen (…) zu gewährleisten“. Je nach Auslegung der verwendeten Begriffe Hoheitsgewalt bzw. Herrschaftsgewalt lässt sich aus diesen eine extraterritoriale Bindung der Vertragsstaaten ableiten.33 Der IPwirtR und die AMRC verzichten zwar auf die Verwendung vergleichbar deutlicher Begrifflichkeiten, gleichwohl dient auch ihr Wortlaut als Ausgangspunkt der Diskussion um die extraterritoriale Menschenrechtsbindung. Im Rahmen des vorliegenden Sachstandes kann der am Inhalt der unterschiedlichen Menschenrechtsinstrumente orientierte Meinungsstand nicht erschöpfend wiedergegeben werden. Insoweit muss auf die einschlägigen Veröffentlichungen dazu verwiesen werden.34 Eine extraterritoriale Bindung an Menschenrechtsgarantien kann sich aber auch unabhängig von deren Inhalt ergeben, nämlich aus einer dahingehenden gesonderten Selbstverpflichtung des betreffenden Hoheitsträgers. Dies lässt sich am Beispiel der Europäischen Union illustrieren. 32 Art. 1 Abs. 1 AMRK steht unter der Überschrift “Obligation to Respect Rights” und lautet wie folgt: „The States Parties to this Convention undertake to respect the rights and freedoms recognized herein and to ensure to all persons subject to their jurisdiction the free and full exercise of those rights and freedoms, without any discrimination for reasons of race, color, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, economic status, birth, or any other social condition.” 33 Siehe dazu in Bezug auf die EMRK und die EU-Grundrechtecharta Lorand Bartels, Eine menschenrechtliche Modellklausel für die völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union, Deutsches Institut für Menschenrechte / Misereor (Hrsg.), Berlin: Kehrberg, 2014, S. 19 ff. m.w.N., abrufbar unter http://www.institut-fuermenschenrechte .de/uploads/tx_commerce/Studie_Menschenrechtliche_Modellklausel.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Näher zum Begriff der “Jurisdiktion” im Völkerrecht: Jankoswka-Gilberg, Extraterritorialität der Menschenrechte, Baden-Baden: Nomos, 2008, S. 25 ff. 34 Siehe etwa Nicola Wenzel, Human Rights, Treaties, Extraterritorial Application and Effects, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law [MPEPIL] m.w.N., abrufbar unter http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e819?prd=EPIL#law- 9780199231690-e819-div1-3 (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2016); siehe auch Lorand Bartels, Eine menschenrechtliche Modellklausel für die völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union, Deutsches Institut für Menschenrechte / Misereor (Hrsg.), Berlin: Kehrberg, 2014, S. 21 ff. m.w.N., abrufbar unter http://www.institut-fuermenschenrechte .de/uploads/tx_commerce/Studie_Menschenrechtliche_Modellklausel.pdf (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2016); siehe ferner die am 28. September 2011 verabschiedeten Maastrichter Prinzipien zu den Extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, abrufbar unter http://www.fian.at/assets/Maastricht-Principles-en-de.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 15 4.1. Europäische Union Der EUV in seiner durch den Vertrag von Lissabon geänderten Fassung hat die Architektur der europäischen Außenbeziehungen grundlegend geändert. Mit ihm wurde nicht nur das Amt des Hohen Vertreters der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik geschaffen (Art. 27 EUV), sondern auch das Prinzip der Extraterritorialität der Menschenrechte festgeschrieben (Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV). 4.1.1. Regelungsgehalt des EU-Rechts Art. 3 Abs. 5 EUV ist Teil der gemeinsamen Bestimmungen (Titel I.). Die Vorschrift bestimmt, dass die EU „in ihren Beziehungen zur übrigen Welt ihre Werte und Interessen (schützt und fördert )“. Gemäß Art. 2 S. 1 EUV gehört zu diesen Werten unter anderem die Wahrung der Menschenrechte . Art. 21 EUV ist die erste der allgemeinen Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union (Titel V. Kapitel 1.). In Abs. 1 sieht sie vor, dass sich die EU „bei ihrem Handeln auf internationaler Ebene von den Grundsätzen leiten (lässt), die für ihre eigene Entstehung, Entwicklung und Erweiterung maßgebend waren und denen sie auch weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen will“. Zu diesen Grundsätzen gehört ausweislich der nachfolgenden Aufzählung unter anderem die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte. Gemäß Art. 21 Abs. 2 EUV „legt die Union die gemeinsame Politik sowie Maßnahmen fest, führt diese durch und setzt sich für ein hohes Maß an Zusammenarbeit auf allen Gebieten der internationalen Zusammenarbeit ein, um (…) die Menschenrechte (…) zu festigen und zu fördern“. Art. 21 Abs. 3 EUV bestimmt schließlich, dass die Union bei der Ausarbeitung und Umsetzung ihres auswärtigen Handelns die in den Absätzen 1 und 2 genannten Grundsätze und Ziele wahrt. Art. 205 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) stellt ergänzend klar, dass das gesamte Handeln der Union auf internationaler Ebene von den Grundsätzen bestimmt, von den Zielen geleitet und an den allgemeinen Bestimmungen ausgerichtet wird, die in Titel V. Kapitel 1. des EUV niedergelegt sind. Eine gemeinsame Mitteilung der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik legt nahe, dass der Begriff der Menschenrechte im Sinne der genannten Vorschriften jedenfalls die Garantien der EMRK und der EU-Grundrechtecharta umfasst .35 Hinzukommen dürften die durch Art. 6 Abs. 3 EUV zum Unionsrecht erhobenen „Grundrechte , wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben “. Die „Beziehungen zur übrigen Welt“ i.S.d. Art. 3 Abs. 5 EUV und das „Handeln auf internationaler Ebene“ i.S.d. Art. 21 EUV / Art. 205 AEUV umfassen insbesondere die europäische Außen- 35 Gemeinsame Mitteilung der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik an das Europäische Parlament und den Rat vom 12. Dezember 2011, Menschenrechte und Demokratie im Mittelpunkt des Auswärtigen Handelns der EU – ein wirksamerer Ansatz, KOM (2011) 886, S. 8, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/com/com_com(2011)0886_/com_com(2011)08 86_de.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 16 handelspolitik. Als Teil der Außenpolitik unterfällt sie der Koordinierungsbefugnis der Hohen Repräsentantin bzw. des Hohen Repräsentanten für die Außenpolitik und des Europäischen Auswärtigen Dienstes (Art. 18 Abs. 4 EUV). Die Befugnis zur Vertretung der EU im Bereich der Außenhandelspolitik steht dagegen der Kommission zu (Art. 17 Abs. 1 Satz 6 EUV).36 Einen weiteren Schwerpunkt der internationalen Aktivitäten der EU bildet die europäische Entwicklungszusammenarbeit . Gemäß Art. 209 Abs. 1 AEUV sind das Europäische Parlament und der Rat dafür zuständig, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die zur Durchführung dieser Politik erforderlichen Schritte zu erlassen. Diese können Mehrjahresprogramme für die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern oder thematische Programme betreffen. Nach Art. 209 Abs. 3 AEUV trägt die Europäische Investitionsbank nach Maßgabe ihrer Satzung zur Durchführung der Maßnahmen i.S.d. Art. 209 Abs. 1 AEUV bei. Art. 209 Abs. 2 AEUV bestimmt darüber hinaus, dass die EU mit Drittländern und den zuständigen internationalen Organisationen alle Übereinkünfte schließen kann, die zur Verwirklichung der Ziele des Artikels 21 EUV beitragen. 4.1.2. Umsetzung dieses Regelungsgehalts Ihrem in den genannten Vorschriften verankerten Auftrag, auf eine Verbesserung der Menschenrechtslage in Drittstaaten hinzuwirken, kommt die EU auf unterschiedlichen Wegen nach. 4.1.2.1. Menschenrechtsklauseln Um zu verhindern, dass drittstaatliche Regime, die gravierende Menschenrechtsverletzungen verüben, von Vergünstigungen oder Geldern der EU profitieren, besteht die EU schon seit längerer Zeit auf der Aufnahme einer Menschenrechtsklausel in Abkommen mit Drittstaaten.37 Deren Wortlaut variiert zwar von Abkommen zu Abkommen,38 jedoch umfasst sie regelmäßig dieselben zwei zentralen Punkte. Zum einen wird die Beachtung der Menschenrechte zum wesentlichen Bestandteil des Abkommens erklärt, zum anderen wird die Verfahrensweise im Fall 36 Hoffmeister, Aktuelle Rechtsfragen in der Praxis der europäischen Außenhandelspolitik, ZEuS 2013, 385 – 401 (386), abrufbar unter http://rw22big3.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek/text.php?id=716&show (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 37 Zu Ursprung und Entwicklung der Menschenrechtsklausel: Europäisches Parlament – Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, Arbeitsdokument über die Menschenrechts- und Demokratieklausel in Abkommen der Europäischen Union von August 2005, S. 2 ff., abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2004_2009/documents/dt/577/577923/577923de.pdf (zuletzt abgerufen am 19. Februar 2016); Lorand Bartels, Eine menschenrechtliche Modellklausel für die völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union, Deutsches Institut für Menschenrechte / Misereor (Hrsg.), Berlin: Kehrberg, 2014, S. 12, abrufbar unter http://www.institut-fuermenschenrechte .de/uploads/tx_commerce/Studie_Menschenrechtliche_Modellklausel.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 38 Dazu Lorand Bartels, Eine menschenrechtliche Modellklausel für die völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union, Deutsches Institut für Menschenrechte / Misereor (Hrsg.), Berlin: Kehrberg, 2014, S. 12, abrufbar unter http://www.institut-fuermenschenrechte .de/uploads/tx_commerce/Studie_Menschenrechtliche_Modellklausel.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 17 der Verletzung eines wesentlichen Vertragsbestandteils durch eine Seite und die Befugnis der anderen Seite, in einem solchen Fall „geeignete Maßnahmen“ zu ergreifen, festgeschrieben.39 Letztere Befugnis, die bis zur Aussetzung des gesamten Abkommens gehen kann, deckt sich im Grundsatz mit Art. 60 Abs. 1 und 3 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK), dessen Voraussetzungen unter Umständen parallel erfüllt sind.40 Die Verwendung der Menschenrechtsklausel begann mit dem Lomé IV – Abkommen von 198941 und dem Kooperationsabkommen mit Argentinien von 199042. Am 29. Mai 1995 beschloss der Europäische Rat, eine Menschenrechtsklausel in alle Abkommen mit Drittstaaten, z.B. in Freihandelsabkommen , Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, Kooperationsabkommen oder Rahmenabkommen , aufzunehmen. Mittlerweile enthalten Abkommen zwischen der EU und ca. 120 Staaten eine Menschenrechtsklausel.43 So bestimmt beispielsweise das Freihandelsabkommen mit Peru und Kolumbien44 in Titel 1 Kapitel 1 Artikel 1: „Die (…) Achtung der grundlegenden Menschenrechte , wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt sind, (…) sind das Fundament für die Gestaltung der Innen- und Außenbeziehungen der Vertragsparteien. Die Beachtung dieser Grundsätze ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Übereinkommens.“ Art. 8 Abs. 3 des Abkommens regelt das Vorgehen im Fall eines „(Verstoßes) gegen die in den Artikeln 1 und 2 dieses Übereinkommens genannten wesentlichen Bestandteile“. 39 Lorand Bartels, Eine menschenrechtliche Modellklausel für die völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union, Deutsches Institut für Menschenrechte / Misereor (Hrsg.), Berlin: Kehrberg, 2014, S. 10, abrufbar unter http://www.institut-fuermenschenrechte .de/uploads/tx_commerce/Studie_Menschenrechtliche_Modellklausel.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 40 Eingehend dazu: Lorand Bartels, Eine menschenrechtliche Modellklausel für die völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union, Deutsches Institut für Menschenrechte / Misereor (Hrsg.), Berlin: Kehrberg, 2014, S. 13, abrufbar unter http://www.institut-fuermenschenrechte .de/uploads/tx_commerce/Studie_Menschenrechtliche_Modellklausel.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 41 Viertes AKP-EWG-Abkommen, unterzeichnet am 15. Dezember 1989 in Lomé, Amtsblatt Nr. L 229 vom 17. August 1991 S. 0003 – 0280, abrufbar unter https://publications.europa.eu/de/publication-detail/- /publication/ffc89d43-73eb-4f51-9670-20b493a85516/language-de/format-PDFA1B/source-search (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 42 Rahmenabkommen über die handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Argentinischen Republik vom 2. April 1990, Amtsblatt Nr. L 295/68 vom 26. Oktober 1990, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:861836c2-b5b3-4eb7-8af6- 5207f8a7cd9e.0004.02/DOC_1&format=PDF (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 43 Lorand Bartels, Eine menschenrechtliche Modellklausel für die völkerrechtlichen Abkommen der Europäischen Union, Deutsches Institut für Menschenrechte / Misereor (Hrsg.), Berlin: Kehrberg, 2014, S. 10, abrufbar unter http://www.institut-fuermenschenrechte .de/uploads/tx_commerce/Studie_Menschenrechtliche_Modellklausel.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 44 Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten auf der einen Seite und Kolumbien und Peru auf der anderen Seite, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2011/march/tradoc_147704.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 18 4.1.2.2. Institutionelle Kooperationen Ebenfalls schon seit längerer Zeit wirkt die EU durch institutionelle Kooperationen auf die Verbesserung der Menschenrechtslage in Drittstaaten hin. So führt sie beispielsweise seit 1993 zusammen mit dem Europarat sog. „Gemeinsame Programme“45 in den ehemaligen europäischen Ostblockstaaten durch, die unter anderem dazu dienen, die Beachtung der Menschenrechte dort zu fördern. 4.1.2.3. Finanzielle Förderung Durch die Verordnung (EG) Nr. 1889/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 200646 wurde das Finanzierungsinstrument für die weltweite Förderung der Demokratie und der Menschenrechte (Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte , EIDMR) eingeführt, mit dessen Hilfe folgende Ziele verfolgt werden47: - Stärkere Achtung und Einhaltung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in den Ländern und Regionen, in denen diese am meisten gefährdet sind; - Unterstützung der Zivilgesellschaft bei der Förderung der Menschenrechte und der Demokratie, bei der friedlichen Beilegung von Konflikten von Gruppeninteressen und bei der politischen Partizipation und Vertretung; - Unterstützung von Maßnahmen in Menschenrechts- und Demokratiefragen in den von EU- Leitlinien abgedeckten Bereichen; - Stärkung des internationalen und regionalen Rahmens für den Schutz von Menschenrechten, der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit sowie die Demokratieförderung; - Vertrauensbildung und Stärkung der Zuverlässigkeit und Transparenz der demokratischen Wahlprozesse, insbesondere durch Wahlbeobachtung. Das EIDMR finanziert mehr als 1.200 Projekte in über 100 Staaten; sein Budget belief sich für den Zeitraum 2007 bis 2013 auf 1,104 Milliarden Euro.48 45 Siehe http://www.jp.coe.int/ (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 46 Abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006R1889&from=DE (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 47 Siehe die offizielle Zusammenfassung des Instruments unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/HTML/?uri=URISERV:l14172&from=DE (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 48 Internetauftritt des EIDMR unter http://www.eidhr.eu/whatis-eidhr (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 19 4.1.2.4. Strategische Ansätze Im Jahr 2012 nahm der Rat der Europäischen Union den „Strategischen Rahmen der EU für Menschenrechte und Demokratie“ und den „EU-Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie “ an.49 a) Einige Kapitel des strategischen Rahmens50 befassen sich mit der Verbesserung der Menschenrechte in Drittstaaten: Im Kapitel „Förderung der Universalität der Menschenrechte“ wird ausgeführt, die EU rufe alle Staaten auf, die Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte umzusetzen und die maßgeblichen internationalen Verträge auf dem Gebiet der Menschenrechte sowie regionale Menschenrechtsinstrumente anzuwenden. Sie werde jeden Versuch anprangern, die Achtung der Universalität der Menschenrechte zu untergraben. Im Kapitel „Kohärentere Ziele“ wird erklärt, die EU sei bestrebt, Verletzungen der Menschenrechte überall in der Welt zu verhindern sowie dafür zu sorgen, dass die Opfer von Menschenrechtsverletzungen Zugang zur Justiz und zu Rechtsmitteln erhalten und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Zu diesem Zweck werde sie vermehrte Anstrengungen unternehmen, um die Menschenrechte, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit durch ihr auswärtiges Handeln in jeder Hinsicht zu fördern. Sie werde ihre Fähigkeit und ihre Mechanismen auf dem Gebiet der Frühwarnung und Prävention von Krisen, die Menschenrechtsverletzungen nach sich ziehen könnten, verstärken. Zudem werde sie ihre Zusammenarbeit mit Partnerländern , internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft vertiefen und neue Partnerschaften aufbauen, um sich an veränderte Gegebenheiten anzupassen. Schließlich werde sie die Arbeit mit ihren Partnern weltweit verstärken, um die Demokratie zu unterstützen, vor allem die Entwicklung unverfälschter und glaubwürdiger Wahlprozesse sowie repräsentativer und transparenter demokratischer Institutionen, die im Dienste des Bürgers stehen. Im Kapitel „Menschenrechte in allen Bereichen der EU-Außenpolitik“ wird erklärt, die EU werde die Menschenrechte in allen Bereichen ihres auswärtigen Handelns ohne Ausnahme fördern. Insbesondere werde sie die Förderung der Menschenrechte in folgende Bereiche integrieren: Handel, Investitionen, Technologie und Telekommunikation, Internet, Energie, Umwelt, gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen und Entwicklungspolitik sowie Gemeinsame Sicherheits - und Verteidigungspolitik, externe Dimensionen der Beschäftigungs- und Sozialpolitik und Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, einschließlich Terrorismusbekämpfung. Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit werde ein menschenrechtsbasierter Ansatz angewandt , um sicherzustellen, dass die EU sich verstärkt darum bemüht, Partnerländern bei der Umsetzung ihrer internationalen Menschenrechtsverpflichtungen Hilfe zu leisten. 49 Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union vom 25. Juni 2012, Dok. 11855/12, S. 2, abrufbar unter http://eeas.europa.eu/organisations/osce/docs/eu_strategic_framework_action_plan_en.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 50 Dokument des Rates der Europäischen Union vom 25. Juni 2012, Dok. 11855/12, S. 3 – 9, abrufbar unter http://eeas.europa.eu/organisations/osce/docs/eu_strategic_framework_action_plan_en.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 20 Im Kapitel „Bilaterale Zusammenarbeit mit Partnern“ wird dargelegt, die EU werde verstärkt versuchen, die in politischen Rahmenabkommen mit Drittländern enthaltene Menschenrechtsklausel optimal zu nutzen. Ferner habe sie zugesagt, in den Ländern der Europäischen Nachbarschaftspolitik umfassende Maßnahmen zur politischen Reform unter lokaler Führung, bei denen Demokratie und Menschenrechte im Mittelpunkt stehen, zu unterstützen. Die Menschenrechte blieben ein Kernanliegen der EU-Erweiterungspolitik. Im Kapitel „Zusammenarbeit in multilateralen Institutionen“ wird ausgeführt, dass sich die EU weiterhin für ein starkes multilaterales Menschenrechtssystem engagieren werde, das ermöglicht, die Umsetzung von Menschenrechtsnormen unparteiisch zu beobachten und alle Staaten zur Rechenschaft zu ziehen. Sie werde sich konsequent jeglichem Versuch widersetzen, die universelle Geltung der Menschenrechte in Frage zu stellen, und werde im Rahmen der Generalversammlung der Vereinten Nation, des VN-Menschenrechtsrats und der Internationalen Arbeitsorganisation auch künftig ihre Stimme gegen Menschenrechtsverletzungen erheben. Die EU und ihre Mitgliedstaaten seien entschlossen, die aus der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung hervorgegangenen , angenommenen Empfehlungen ebenso wie die Empfehlungen der Vertragsüberwachungsgremien und der VN-Sonderverfahren im Rahmen ihrer bilateralen Beziehungen zu sämtlichen Drittländern anzusprechen. b) Der Aktionsplan für den Zeitraum bis 31. Dezember 2014 51 sieht nach einzelnen Bereichen geordnete Maßnahmen vor. Insbesondere die in Bereich II (Förderung der Universalität der Menschenrechte ) Ziffern 4 (Beitritt aller Staaten) und 5 (Maßnahmen betreffend Menschenrechts- und Demokratiekultur beim auswärtigen Handeln der EU) und in Bereich IV (Menschenrechte in allen Bereichen der EU-Außenpolitik) bezeichneten Maßnahmen können dem Bereich des Art. 21 EUV zugeordnet werden. Auch die für die Durchführung verantwortlichen Stellen werden benannt . Je nach Maßnahme handelt es sich (allein oder in Kombination miteinander) um den vom EAD unterstützten Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik, die Europäische Kommission, den Rat der EU und die Mitgliedstaaten. Ein EU-Sonderbeauftragter für Menschenrechte (dazu sogleich unter 4.1.2.5) soll zur Umsetzung des Aktionsplans beitragen. c) Mit einer gemeinsamen Mitteilung vom 28. April 201552 stellten die Europäische Kommission und die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik den Vorschlag eines neuen Aktionsplans für Menschenrechte und Demokratie im Zeitraum 2015 bis 2019 vor. Am 20. Juli 2015 verabschiedete der Rat diesen Aktionsplan.53 Er dient der weiteren Umsetzung des 51 Dokument des Rates der Europäischen Union vom 25. Juni 2012, Dok. 11855/12, S. 10 – 29, abrufbar unter http://eeas.europa.eu/organisations/osce/docs/eu_strategic_framework_action_plan_en.pdf (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 52 Gemeinsame Mitteilung der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik vom 28. April 2015 an das Europäische Parlament und den Rat, Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015-2019) – Bekräftigung der Menschenrechte als Kernstück der EU-Agenda, JOIN(2015) 16 final, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52015JC0016&from=EN (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 53 Rat der Europäischen Union, Rat verabschiedet neuen EU-Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie, "Bekräftigung der Menschenrechte als Kernstück der EU-Agenda", Pressemitteilung vom 20. Juli 2015, http://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2015/07/20-fac-human-rights/ (zuletzt abgerufen am 1. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 21 Strategischen Rahmens der EU für Menschenrechte und Demokratie, wobei bestimmte Bereiche, die eines verstärkten politischen Engagements und zusätzlicher Anstrengungen bedürften, stärker in den Vordergrund gerückt würden. Aktionsplan konzentriert sich auf fünf strategische Bereiche , nämlich auf die Stärkung der Eigenverantwortung lokaler Akteure (I.), auf die Bewältigung zentraler Menschenrechtsprobleme (II.), auf die Gewährleistung eines umfassenden Menschenrechtsansatzes für Konflikt- und Krisensituationen (III.), auf die Förderung einer größeren Kohärenz und Einheitlichkeit bei der Berücksichtigung von Menschenrechtserwägungen in den externen Aspekten der EU-Politik (IV.) und auf den Ausbau der Wirksamkeits- und Ergebnisorientierung im Bereich Menschenrechte und Demokratie (V.).54 Siehe Anlage 1. 4.1.2.5. Sonderbeauftragter für Menschenrechte Mit Entscheidung vom 25. Juli 201255 ernannte der Rat der Europäischen Union den ehemaligen Außenminister Griechenlands und Europaabgeordneten Stavros Lambrinidis zum EU- Sonderbeauftragten für Menschenrechte.56 Gemäß Art. 3 der Entscheidung umfasst sein Mandat folgende Aufgaben: - dazu beizutragen, die Umsetzung der EU-Menschenrechtspolitik – insbesondere den „Strategischen Rahmen der EU für Menschenrechte und Demokratie“ und den „EU-Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie“ – umzusetzen, auch durch Abgabe von Empfehlungen, - dazu beizutragen, EU-Leitlinien, Werkzeuge und Aktionspläne zu Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht umzusetzen, - den Dialog mit Regierungen von Drittstaaten, regionalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen , zivilgesellschaftlichen Organisationen und anderen relevanten Akteuren zu intensivieren , um die Effektivität und Sichtbarkeit der EU-Menschenrechtspolitik abzusichern, - dazu beizutragen, die Kohärenz und der Politiken und Maßnahmen der EU im Bereich des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte zu verbessern, insbesondere durch Anregungen bei der Formulierung relevanter EU-Politiken. Die bisherige Bilanz von Lambrinidis‘ Wirken ist dabei durchwachsen. Kritische Kommentare verweisen auf mangelnde Sichtbarkeit des Sonderbeauftragten.57 54 Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen des Rates zum Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015‑2019), http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10897-2015-INIT/de/pdf (Aktionsplan ab Seite 5; zuletzt abgerufen am 1. März 2016). 55 Abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:200:0021:0023:EN:PDF (zuletzt abgerufen am 26. Februar 2016). 56 Mit Entscheidungen vom 23. Juni 2014 (014/385/CFSP) und vom 17. Februar 2015 (CFSP 2015/260) verlängerte der Rat der EU das Mandat von Lambrinidis bis zum 28. Februar 2017. 57 Dan Alexe, The astounding vanishing act of Stavros Lambrinidis, New Europe am 5. Oktober 2015, http://neurope.eu/article/the-astounding-vanishing-act-of-stavros-lambrinidis/ (zuletzt abgerufen am 1. März 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 22 4.2. Vergleichbare Regelungen Keine der Gründungsakten oder späteren Abkommen anderer vergleichbarer supranationaler Organisationen (AU, Mercosur, ASEAN) sehen eine ähnlich institutionalisierte Außenpolitik wie die der EU vor. Darum haben diese Organisationen, anders als die EU, auch keine diesbezüglichen menschenrechtlichen Handlungsprinzipien. 5. Fazit Ausgehend von der Frage, ob es Staaten gibt, die die Menschenrechte zur zentralen Maxime ihres inneren und äußeren Handelns machen, wurde erläutert, dass die Betrachtung rein politischer Absichtserklärungen hierbei nicht sinnvoll ist. Auch die Verankerung solcher Maximen im nationalen Recht bietet keine Garantie dafür, dass der Staat die Menschenrechte tatsächlich an erste Stelle stellt und all sein Handeln an ihnen misst. Insbesondere gilt dies für sein extraterritoriales Handeln. Im Völkerrecht besteht kein Konsens darüber, inwieweit Staaten verpflichtet sind, die Menschenrechte auch extraterritorial zu schützen und zu fördern. Es wurde gezeigt, dass nur die Europäische Union in rechtlich verbindlicher Weise diesen Anspruch an sich selbst stellt. Der Umsetzung dieses Anspruchs dienen etliche eigens hierfür geschaffene Instrumente. Die Effektivität dieser Instrumente ist jedoch – wie die Effektivität auswärtiger Politik allgemein – schwer zu evaluieren. Ende der Bearbeitung Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 010/16 Seite 23 6. Anlage: Schlussfolgerungen des Rates zum Aktionsplan für Menschenrechte und Demokratie (2015‑2019)