KURZINFORMATION Thema: Herero, Individualbeschwerde Fachbereich II Auswärtiges, Internationales Recht, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Tel.: Bearbeiter: Abschluss der Arbeit: 2. Februar 2004 Reg.-Nr.: WF II - 009/04 Ausarbeitungen von Angehörigen der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung des einzelnen Verfassers und der Fachbereichsleitung . Die Ausarbeitungen sind dazu bestimmt, das Mitglied des Deutschen Bundestages , das sie in Auftrag gegeben hat, bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 2 - „Im Januar 1904 erhob sich in der Kolonie Deutsch - Südwestafrika, der heutigen Republik Namibia, das Volk der Herero. Die Herero sind halbnomadische Rinderzüchter, die nördlich von Windhoek bis zum Ovamboland ihre Weidegebiete hatten. Der fortschreitende Verlust ihres Landes an europäische Farmer und ihre Entrechtung hatten die Herero zum Aufstand getrieben. In den ersten Tagen töteten sie auf Geheiß ihres Oberhäuptlings Samuel Maharero etwa 150 deutsche Siedler – bis auf wenige Ausnahmen Männer. Der Schlag kam völlig unerwartet. Der kaiserlichen Schutztruppe unter Gouverneur Leutwein gelang es nicht, die Herero niederzukämpfen, vielmehr musste sie mehrere Niederlagen einstecken. Aufgebrachte Siedler warfen Leutwein in Briefen nach Berlin Nachgiebigkeit vor. Das Reich schickte ein Expeditionskorps unter Generalleutnant Lothar von Trotha. Mittlerweile hatte sich das gesamte Volk der Herero, das selbst schon kriegsmüde war, samt seinen Rinderherden am Waterberg zusammengezogen. Die Schlacht, die dort am 11. August 1904 stattfand, konnten die Deutschen zwar für sich verbuchen, doch brach das Gros der Herero an der schwächsten Stelle der Umzingelung in die Omaheke durch, einen westlichen Ausläufer der Kalahariwüste. Diese panikartige Flucht sollte den Herero zum Verhängnis werden. Von Trotha setzte zu einer Verfolgungsjagd an, um sie noch einmal zu stellen oder noch tiefer in das wasserarme Sandveld zu treiben und ihnen die Rückkehr in ihr angestammtes Gebiet zu verwehren. Nach einer erfolgreichen Intervention beim Kaiser ließ der Reichskanzler Fürst von Bülow General von Trotha in einem Schreiben vom 11. Dezember 1904 anweisen, „Konzentrationslager für die einstweilige Unterbringung und Unterhaltung der Reste des Hererovolkes“ einzurichten. Für viele Herero, die nicht im Sandveld verdurstet oder hingerichtet worden waren, begann in diesen Lagern das eigentliche Martyrium. Sie starben reihenweise an physischer und psychischer Entkräftung sowie an den Krankheiten , die sie sich unter den hygienischen Bedingungen zuzogen. Gleichwohl setzte General von Trotha seine Operationen gegen die Herero im Veld mit großer Härte fort“.1 Für die völkerrechtliche Geltendmachung/Durchsetzung etwaiger Ansprüche der Herero aufgrund des geschilderten Sachverhalts gilt Folgendes: Auch in der gegenwärtigen Völkerrechtsordnung stellen die Staaten immer noch den maßgeblichen Faktor dar. So können nur Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen sein (Art. 3, 4 Charta der Vereinten Nationen), den Sicherheitsrat anrufen (Art. 35 Abs. 1 Charta der Vereinten Nationen) oder als Partei vor dem Internationalen Gerichtshof auftreten (Art. 34 IGH-Statut). Diese staatenorientierte Sichtweise ordnet Staatenverpflichtungen zum Schutze des Individuums der zwischenstaatlichen Ebene zu, sodass 1 Auzugsweise zitiert aus: Gesellschaft für bedrohte Völker, http://www.gfbv.de/ voelker /afrika/herero.htm - 3 - selbst Verträge zum Schutze von Menschenrechten nicht unmittelbar völkerrechtliche Ansprüche für den Einzelnen schaffen, sondern nur Rechte und Pflichten im Verhältnis der jeweiligen Vertragsstaaten begründen. Werden danach beispielsweise Rechtsgüter von Ausländern durch einen fremden Staat beeinträchtigt (Körperverletzungen, Folter, Eigentumsentziehungen) ist aufgrund der „Zwischenschaltung“ des Heimatstaates nur dieser - nicht (auch) der Einzelne - verletzt, und hat Ansprüche auf Wiedergutmachung. Eine Völkerrechtssubjektivität des Einzelnen hat sich auch im Verlauf der Entwicklung des Völkerrechts im 20. Jahrhundert nur in geringem Umfang ergeben. Zwar wurden wesentliche völkerrechtliche Regelungen nach und in Folge des Zweiten Weltkrieges entwickelt. Eine völkerrechtliche Aufwertung der Rechtsstellung des Einzelnen war damit indes nur vereinzelt verbunden. Durch die Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten2 (Europäische Menschenrechtskonvention , EMRK) wurde die sog. Individualbeschwerde3 eingeführt, mit der der Einzelne Rechtsschutz selbst gegen den eigenen Staat wegen der Verletzung vertraglicher Garantien erlangen kann. Ein weiteres Verfahren zur Sicherung individueller Rechte wurde durch die Individualbeschwerde zum Menschenrechtsausschuss nach Art. 1 des Ersten Fakultativprotokolls4 zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte5 begründet. Art. 14 des Internationalen Übereinkommens vom 7.3.1966 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung6 und Art. 22 des Übereinkommens vom 10.12.1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche Behandlung oder Strafe 7 sehen entsprechende Individualbeschwerdeverfahren vor. Jüngst wurde durch das Fakultativprotokoll vom 6.10.1999 zum Übereinkommen vom 18.12.19798 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau9 um zwei Kontrollverfahren ergänzt. Zunächst wurde der bei den Vereinten Nationen nach Teil V des Übereinkommens bereits eingerichtete Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau ermächtigt, Mitteilungen von Einzelpersonen oder Personengruppen, die behaupten, Opfer einer Verletzung eines im Übereinkommen niedergelegten Rechts 2 BGBl. 1952 II, S. 685 ff. Für die Bundesrepublik Deutschland am 3.9.1953 in Kraft getreten, BGBl. 1954 II, S. 14. 3 Nach Neufassung der Konvention vom 4.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der ab 1.11.1998 geltenden Fassung ist die Individualbeschwerde in Art. 34 geregelt, BGBl. 2002 II, S. 1054 ff. Art. 34 Individualbeschwerden lautet: „Der Gerichtshof kann von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe, die behauptet, durch eine der Hohen Vertragsparteien in einem der in dieser Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Rechte verletzt zu sein, mit einer Beschwerde befasst werden. Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, die wirksame Ausübung dieses Rechts nicht zu behindern“. 4 Vom 19.12.1966, BGBl. 1992 II, S. 1247 ff. 5 Vom 19.12.1966, BGBl. 1973 II, S. 1534. Für die Bundesrepublik Deutschland mit Ausnahme des Art. 41 am 23.3.1976 in Kraft getreten, BGBl. 1976 II, S. 1068 . 6 (BGBl. 1969 II S. 961 ff.) 7 (BGBl. 1990 II S. 246 ff.) 8 BGBl. 2001 II, S. 1237 ff. 9 BGBl. 1985 II, S. 647 ff. - 4 - durch einen Vertragsstaat zu sein, entgegenzunehmen (Art. 2 Fakultativprotokoll) und in einem im Einzelnen in den Artikeln 3 bis 7 des Fakultativprotokolls geregelten Verfahren zu prüfen. Bei zuverlässigen Angaben, die auf schwerwiegende oder systematische Verletzungen der im Übereinkommen niedergelegten Rechte durch einen Vertragsstaat hinweisen, erhält der Ausschuss zusätzlich die Kompetenz, ein Untersuchungsverfahren durchzuführen (Art. 8, 9 Fakultativprotokoll), wobei die Vertragsstaaten nicht verpflichtet sind, das vorgesehene Untersuchungsverfahren anzuerkennen (Art. 10 Fakultativprotokoll , „optingout“-Regelung)10. Im internationalen Wirtschaftsrecht etwa sieht das Weltbankübereinkommen zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes, ICSID) den Zugang Privater zu Schiedsverfahren gegen Staaten vor11. 10 BT-Drucksache 14/7012, S.14. 11 ICSID CONVENTION, REGULATIONS AND RULES, http://www.worldbank.org/ icsid/basicdoc/basicdoc.htm. Für die Bundesrepublik Deutschland am 18.5.1969 in Kraft getreten, http://www.worldbank. org/icsid/constate/c-states-en.htm.