© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 008/18 8 Der türkische Militäreinsatz in Nordsyrien Völker- und rüstungsexportrechtliche Aspekte Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 2 Der türkische Militäreinsatz in Nordsyrien Völker- und rüstungsexportrechtliche Aspekte Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 008/18 Abschluss der Arbeit: 2. Februar 2018 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die türkische Militäroffensive in Nordsyrien als Verstoß gegen das Gewaltverbot aus Art. 2 Abs. 4 VN-Charta 5 3. Die Nachrüstung der türkischen Leopard 2 - Panzer als Beihilfe zum völkerrechtlichen Delikt 10 4. Völkerstrafrechtliche Relevanz der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien 12 5. Rüstungsexportrechtliche Betrachtung einer Nachrüstung der türkischen Leopard 2 - Panzer 13 5.1. Grundgesetz 13 5.2. Kriegswaffenkontrollgesetz 14 5.2.1. Anwendungsbereich 14 5.2.2. Erforderlichkeit einer Exportgenehmigung 14 5.2.3. Gründe für die Versagung einer Exportgenehmigung 14 5.2.3.1. Fakultative Versagung 15 5.2.3.2. Obligatorische Versagungsgründe 16 5.3. Außenwirtschaftsgesetz / Außenwirtschaftsverordnung 16 5.4. Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19. Januar 2000 17 5.4.1. Rechtsqualität 18 5.4.2. Verhältnis zu anderen Regelwerken 18 5.4.3. Inhalt 18 5.4.3.1. Ziele 18 5.4.3.2. Relevanz menschenrechtlicher Erwägungen 19 5.4.3.3. Differenzierung nach Empfängerland 19 5.5. Gemeinsamer Standpunkt des Rates der Europäischen Union 2008/944/GASP 20 5.5.1. Rechtsqualität 20 5.5.2. Verhältnis zu anderen Regelwerken 21 5.5.3. Inhalt 21 5.5.3.1. Ziele 21 5.5.3.2. Anwendungsbereich 22 5.5.3.3. Prüfungsrelevante Kriterien 22 5.6. Arms Trade Treaty 25 5.6.1. Ziele 25 5.6.2. Anwendungsbereich 26 5.6.3. Inhalt 26 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 4 1. Einleitung Am 20. Januar 2018 startete das türkische Militär die Operation „Olivenzweig“ im nordsyrischen Gebiet um die Stadt Afrîn, um gegen die kurdischen Volksschutzeinheiten Yekîneyên Parastina Gel (YPG) vorzugehen. Die YPG kontrolliert die Region um Afrîn weitgehend autonom, seitdem Assad seine Truppen aus dem Gebiet zurückgezogen hat. Die YPG wird zudem von den USA im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat ausgerüstet.1 Aus Sicht der Türkei ist sie jedoch Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK.2 Nach Medienberichten erfolgte die Offensive zunächst mit Luftschlägen und Artilleriebeschuss sowie seit dem 21. Januar 2018 auch mit Bodentruppen und Unterstützung der pro-türkischen Freien Syrischen Armee.3 Ziel der Offensive war laut türkischem Ministerpräsident Binali Yılıdrım die Einrichtung einer 30 Kilometer breiten Sicherheitszone an der türkisch-syrischen Grenze.4 Über die Zahl der in Folge der türkischen Offensive getöteten Menschen fehlen bis dato verlässliche Angaben. Die Vereinten Nationen (VN) sprechen von einigen Zivilisten.5 Die türkische Armee behauptet, insgesamt 260 Kämpfer der YPG und des sogenannten Islamischen Staates getötet zu haben.6 Bereits am 20. Januar 2018 hatte die Türkei gegenüber dem Präsidenten des VN-Sicherheitsrates und dem VN-Generalsekretär förmlich erklärt, der Einsatz sei als Akt der Selbstverteidigung nach Art. 51 VN-Charta gerechtfertigt, da Raketenangriffe aus der Region Afrîn auf die türkischen Provinzen Hatay und Kilis zugenommen hätten.7 1 Oweis, The West’s Darling in Syria, (2015) 47 SWP Comments, S. 1; Die ZEIT vom 25. Januar 2018, S. 4 “Wo soll das hinführen?“. 2 Ibid. 3 Vereinte Nationen, “Daily Press Briefing by the Office of the Spokesperson for the Secretary-General” vom 23. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.un.org/press/en/2018/db180123.doc.htm (zuletzt abgerufen am 26. Januar 2018). 4 SZ.de vom 21. Januar 2018 „Türkische Panzer stoßen nach Syrien vor“, abrufbar unter: http://www.sueddeutsche .de/politik/kurden-konflikt-tuerkische-panzer-stossen-nach-syrien-vor-1.3834592?reduced=true (zuletzt abgerufen am 26. Januar 2018). 5 Vereinte Nationen, “Daily Press Briefing by the Office of the Spokesperson for the Secretary-General” vom 23. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.un.org/press/en/2018/db180123.doc.htm (zuletzt abgerufen am 26. Januar 2018). 6 Süddeutsche Zeitung vom 25. Januar 2018, S. 5 “Ausweitung der Kampfzone”. 7 Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, “Identical Letters dated 20 January 2018 from the Chargé d’affaires a.i. of the Permanent Mission of Turkey to the United Nations” vom 22. Januar 2018, VN-Dok. S/2018/53; Regierungspressekonferenz vom 22. Januar 2018, „Militäreinsatz der Türkei in der Grenzregion zu Syrien“, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-22-regpk.html (zuletzt abgerufen am 24. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 5 Am 22. Januar 2018 hielt der VN-Sicherheitsrat eine Sondersitzung zu Syrien ab, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Während die syrische Regierung die Militäroperation öffentlich als „eklatante türkische Aggression“ gegen syrisches Staatsgebiet verurteilte,8 zeigte sich die Staatengemeinschaft in ihrer Reaktion indes zurückhaltend und warnte eher allgemein vor dem Risiko weiterer Eskalationen. Die Bundesregierung gab bislang keine völkerrechtliche Einschätzung der türkischen Militäroffensive ab, da die „komplexe und fluide Lage“ und das (noch) unvollständige Lagebild eine solche nicht zuließen.9 Auch der Einsatz von Leopard 2 - Panzern könne anhand der den Medien vorliegenden Bilder nicht bestätigt werden.10 Auf Grund der ungesicherten Faktenlage nehmen auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages von einer rechtlichen Bewertung des konkreten Falles Abstand. Diese Ausarbeitung befasst sich vielmehr mit der Frage, wie Militäreinsätze gegen nichtstaatliche Akteure auf fremdem Staatsgebiet völkerrechtlich (2.) sowie völkerstrafrechtlich (4.) einzuordnen sind. Zudem untersucht die Ausarbeitung, ob beziehungsweise wann eine Nachrüstung von Panzern unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe zu einem völkerrechtswidrigen Akt relevant werden kann (3.). Schließlich erfolgt eine Betrachtung einer Nachrüstung der türkischen Leopard 2 - Panzer unter rüstungsexportrechtlichen Gesichtspunkten (5.). 2. Die türkische Militäroffensive in Nordsyrien als Verstoß gegen das Gewaltverbot aus Art. 2 Abs. 4 VN-Charta Art. 2 Abs. 4 VN-Charta statuiert ein striktes Verbot der Androhung oder Anwendung militärischer Gewalt gegen einen anderen Staat. Dieses sogenannte Gewaltverbot ist Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts und gilt als zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts (ius cogens).11 Damit sind alle Staaten unmittelbar verpflichtet, insbesondere die territoriale Unversehrtheit und die politische Unversehrtheit jedes anderen Staates zu achten. Ausnahmen von dieser als „Grundpfeiler der modernen Völkerrechtsordnung“12 bezeichneten Norm bestehen zum ersten dann, wenn der betroffene Staat in den Einsatz fremden Militärs auf 8 Syrian Arab News Agency vom 20. Januar 2018, „Syria strongly condemns Turkish aggression on Afrin“, abrufbar unter: https://sana.sy/en/?p=124986 (zuletzt abgerufen am 24. Januar 2018). 9 Regierungspressekonferenz vom 22. Januar 2018, „Militäreinsatz der Türkei in der Grenzregion zu Syrien“, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-22- regpk.html (zuletzt abgerufen am 24. Januar 2018). 10 Ibid. 11 Dörr, Use of Force, Prohibition of, in: Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 2015, Rn. 1, abrufbar unter: http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e427?rskey=RfAyF1&result=2&prd=EPIL (zuletzt abgerufen am 25. Januar 2018). 12 Ibid. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 6 eigenem Staatsgebiet einwilligt.13 Dies ist von syrischer Seite nicht geschehen. Ferner sieht die VN-Charta zwei geschriebene Ausnahmen zu Art. 2 Abs. 4 VN-Charta vor: Der VN-Sicherheitsrat kann, wenn er einen Friedensbruch oder eine Friedensgefährdung i. S. d. Art. 39 VN-Charta förmlich festgestellt hat, die Anwendung militärischer Gewalt beschließen und bestimmte Staaten zu deren Durchführung ermächtigen. Eine solche Ermächtigung der Türkei durch den VN-Sicherheitsrat lag nicht vor (und wurde auch von der türkischen Regierung nicht als Rechtfertigung angeführt). Die Türkei beruft sich indes auf das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs,14 welches in Art. 51 VN-Charta kodifiziert wurde. Der Begriff des bewaffneten Angriffs ist völkerrechtlich nicht abschließend geregelt, wird aber unter Hinzuziehung von Art. 1 und 3 der sogenannten Agressionsdefinition der VN- Generalversammlung von 197415 definiert als der „gegen einen anderen Staat gerichtete Einsatz regulärer Streitkräfte oder bewaffneter Gruppen, der in seinem Ausmaß und seinen Wirkungen über den bloßen Grenzzwischenfall hinausgeht“.16 In zeitlicher Hinsicht muss der Angriff bereits erfolgt sein oder gerade erfolgen.17 In der völkerrechtlichen Diskussion wird seit dem Caroline-Fall von 183718 auch immer wieder ein sogenanntes präventives Selbstverteidigungsrecht (preemptive strike) thematisiert, da es angesichts der Zerstörungskraft moderner werdenden Waffen und der immer kürzer werdenden Vorwarnzeiten nicht zumutbar sei, den ersten, womöglich verheerenden Waffeneinsatz des Gegners abzuwarten .19 Maßstab sei hierbei eine Gefahrenlage, die „gegenwärtig und überwältigend“ ist, „keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick zur Überlegung lässt“ („instant, overwhelming, leaving no choice of means and no moment for deliberation“, sogenannte Webster-Formel).20 Doch sowohl eine entsprechende Weiterentwicklung des Art. 51 VN-Charta als auch des parallelen Völkergewohnheitsrechts hin zu einem präventiven Selbstverteidigungsrecht bleibt umstritten. 13 Peters, in: FAZ.net vom 23. Januar 2018, „Verstößt die Türkei gegen das Völkerrecht?“ abrufbar unter: http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/syrien-verstoesst-die-tuerkei-gegen-das-voelkerrecht-15412253.html (zuletzt abgerufen am 29. Januar 2018). 14 Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, “Identical Letters dated 20 January 2018 from the Chargé d’affaires a.i. of the Permanent Mission of Turkey to the United Nations” vom 22. Januar 2018, VN-Dok. S/2018/53. 15 Generalversammlung der Vereinten Nationen, Res. A/RES/29/3314, Annex (14. Dezember 1974). 16 Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, S. 1081, Rn. 7 mit Verweis auf IGH, Urteil vom 27. Juni 1986 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), (1986) ICJ Reports, S. 14 (103), Rn. 195. 17 BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2005 – WD 12/04, NJW 2006, S. 77 (95). 18 Greenwood, Caroline, The in: Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 2015, Rn. 1, abrufbar unter: http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e261?rskey=M3Gq2E&result=1&prd=EPIL (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 19 Ibid., Rn. 5; BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2005 – WD 12/04, NJW 2006, S. 77 (95), m. w. N. 20 Ibid. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 7 Denn hierfür fehlen sowohl eine übereinstimmende Staatenpraxis wie auch eine gemeinsame Rechtsüberzeugung im Sinne einer opinio iuris.21 Des Weiteren geht das klassische Verständnis des Art. 51 VN-Charta davon aus, dass sich das Selbstverteidigungsrecht allein gegen Staaten richtet.22 Dies begründet sich aus dem systematischen Zusammenhang der Art. 51 und Art. 2 Abs. 4 VN-Charta. Hiernach muss der Angriff grundsätzlich von den bewaffneten Streitkräften eines „anderen Staates“ vorgenommen werden. Angriffe, die nicht von den nationalen Streitkräften, sondern etwa von bewaffneten Banden, Söldnern oder Freischärlern herrühren, fallen nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs nur dann unter den Begriff des bewaffneten Angriffs i.S.v. Art. 51 VN-Charta, wenn die Angriffshandlungen einem bestimmten Staat zugerechnet werden können – etwa in Fällen, in denen sich ein Staat privater Banden bedient: “[…] it may be considered to be agreed that an armed attack must be understood as including not merely action by regular armed forces across an international border, but also ‘the sending by or on behalf of a State of armed bands, groups, irregulars or mercenaries, which carry out acts of armed force against another State of such gravity as to amount to’ (inter alia) an actual armed attack conducted by regular forces […]” (Hervorhebung hinzugefügt).23 Mit anderen Worten handelt es sich in diesen Fällen um mittelbare Angriffe durch Staaten. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 markieren für zahlreiche Stimmen aus Wissenschaft und Praxis jedoch eine Zeitenwende weg vom klassischen, staatszentrierten Begriffsverständnis hin zu der Ansicht, dass es Staaten möglich sein muss, sich auch gegen massive nichtstaatliche bewaffnete Angriffe zur Wehr setzen zu können.24 In der Folgezeit wurde insbesondere diskutiert, ob ein Selbstverteidigungsrecht auch dann besteht, wenn die Zurechnung einer Angriffshandlung gegenüber einem anderen Staat nicht möglich ist. Paradebeispiel für eine solche Nichtzurechenbarkeit sind jene Situationen, in denen ein Staat unfähig oder unwillig ist („unable or unwilling“), nichtstaatliche Akteure auf seinem Territorium zu kontrollieren.25 Befürworter dieser Ansicht argumentieren u.a., dass nichtstaatliche Akteure mit der völkerrechtlich 21 Ibid. 22 Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, S. 1088, Rn. 24. 23 IGH, Urteil vom 27. Juni 1986 – Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), (1986) ICJ Reports, S. 14 (103), Rn. 195. Greenwood stellt fest, dass der IGH in einigen Fällen zu argumentieren scheint, dass Terroranschläge, welche keinem Staat zurechenbar seien, keine bewaffneten Angriffe i. S. d. Art. 51 VN-Charta darstellen könnten (ibid., Self-Defence in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 2011, Rn. 16, abrufbar unter: http://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e401?rskey=Nbxxer&result=1&prd=EPIL (zuletzt abgerufen am 25. Januar 2018). 24 Starski, Right to Self-Defense, Attribution and the Non-State Actor, ZaöRV Band 75 (2015), S. 455 (456-458), bezugnehmend etwa auf die öffentlichen Äußerungen der USA, Israels und Russlands. 25 Finke, Selbstverteidigungsrecht gegen nichtstaatliche Akteure, Archiv des Völkerrechts Band 55 (2017), S. 1 (13 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 8 anerkannten Rechtsfigur des de-facto-Regimes vergleichbar seien, wenn sich ihre Herrschaft zumindest vorübergehend territorial verfestigt hätte und der „Belegenheitsstaat“ die Kontrolle über das entsprechende Gebiet verloren habe.26 Folglich würden Selbstverteidigungshandlungen die (dann nur noch formal bestehende) territoriale Integrität eines Staates, in welchem die nichtstaatlichen Akteure verfestigt sind, nicht verletzen, wenn mit dem betroffenen Staat vorab Verhandlungen geführt wurden und dieser trotz dessen nicht willens oder in der Lage ist, bewaffnete Angriffe zu verhindern.27 Auf Rechtsfolgenseite müssten sich die Selbstverteidigungshandlungen unmittelbar gegen die nichtstaatlichen Akteure richten und nicht gegen die Einrichtungen desjenigen Staates, auf dessen Territorium sie vorgenommen wurden. Weiterhin müssten sie verhältnismäßig sein. Letztendlich beruht dieses Verständnis auf realpolitischen Erwägungen zum Umgang mit neuen Gewaltakteuren, welche die Mütter und Väter der VN-Charta nicht unbedingt im Blick hatten. Die Gegner einer extensiven Auslegung des Selbstverteidigungsrechts argumentieren demgegenüber rechtspositivistisch, also eng an Wortlaut, Sinn und Zweck des Art. 51 und Art. 2 Abs. 4 VN-Charta orientiert.28 Die Vorschriften seien klassischerweise auf Staaten ausgerichtet. Eine Ausweitung auf nichtstaatliche Akteure wäre contra legem und würde einem potentiell angegriffenen Staat in der Praxis einen weiten Selbsteinschätzungsspielraum hinsichtlich essentieller Fragen der Gewaltanwendung eröffnen.29 Damit würde das grundlegende, strikte Gewaltanwendungsverbot des Art. 2 Abs. 4 VN-Charta verwässert und das ausbalancierte Friedenssicherungsrecht der VN-Charta destabilisiert. Gleichzeitig würde das Grundprinzip staatlicher Souveränität abgewertet werden. Zwar erkennen die Kritiker an, dass die wissenschaftliche Diskussion aktuell im Fluss ist; jedoch habe die extensive Auslegung des Selbstverteidigungsrechts noch nicht den Status von geltendem Recht erreicht. So habe selbst der Internationale Gerichtshof trotz der Diskussion im Anschluss an den 11. September 2001 keine Veranlassung gesehen, das Selbstverteidigungsrecht in eine entsprechende Richtung fortzuentwickeln.30 26 IGH, Urteil vom 19. Dezember 2005 – Armed Activities on the Territory of the Congo (The Democratic Republic of the Congo v. Uganda) (Separate Opinion Judge Simma), (2005) ICJ Reports, S. 168 (337 f.), Rn. 12 f.; ibid. (Separate Opinion Judge Koijmans), S. 313 ff., Rn. 25 ff. 27 Finke, Selbstverteidigungsrecht gegen nichtstaatliche Akteure, Archiv des Völkerrechts Band 55 (2017), S. 1 (34). 28 Starski, Right to Self-Defense, Attribution and the Non-State Actor, ZaöRV Band 75 (2015), S. 455; van Steenberghe , The Law of Self-Defence and the New Argumentative Landscape on the Expansionists’ Side, (2016) 29 Leiden Journal of International Law, S. 43. 29 Starski, Right to Self-Defense, Attribution and the Non-State Actor, ZaöRV Band 75 (2015), S. 455 (497 f.). 30 Starski, Right to Self-Defense, Attribution and the Non-State Actor, ZaöRV Band 75 (2015), S. 455 (461 f.) zeichnet dies anhand der Rechtsprechung des IGH in folgenden Fällen nach: Urteil vom 6. November 2003 – Oil Platforms (Islamic Republic of Iran v. United States of America), (2003) ICJ Reports, S. 161 (186 f.), Rn. 51; Advisory Opinion vom 9. Juli 2004 – Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory , (2004) ICJ Reports, S. 136 (194), Rn. 139; Urteil vom 19. Dezember 2005, Armed Activities on the Territory of the Congo (The Democratic Republic of the Congo v. Uganda), (2005) ICJ Reports, S. 168 (222 f.), Rn. 146. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 9 Logische Konsequenz dieser Ansicht wäre, dass jeder militärische Akt gegen nichtstaatliche Akteure ohne die Einwilligung des „Belegenheitsstaates“ völkerrechtswidrig wäre. Damit ist die Diskussion bis dato ungeklärt.31 Sie dürfte auch Aspekte des aktuell beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Organstreitverfahrens der Fraktion DIE LINKE gegen den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung zum Syrien-Einsatz der Bundeswehr gegen den sogenannten Islamischen Staat betreffen.32 Im Zusammenhang mit der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien bleiben letztlich eine Vielzahl von tatsächlichen und juristischen Zweifelsfragen offen, die eine verlässliche Bewertung der Vorfälle ausschließen. Folgt man der Ansicht, aus Art. 51 VN-Charta oder geltendem Völkergewohnheitsrecht lasse sich ein Selbstverteidigungsrecht gegen nichtstaatliche Akteure herleiten, wäre zu klären, ob tatsächlich ein bewaffneter Angriff der YPG gegen türkisches Staatsgebiet vorgelegen hat, der nach Ausmaß und Wirkung über einen bloßen Grenzzwischenfall hinausging. In diesem Fall dürfte eine Selbstverteidigung seitens der Türkei völkerrechtmäßig sein, solange und soweit sie in ihrer Durchführung verhältnismäßig wäre und die Regeln des Humanitären Völkerrechts eingehalten würden. Folgt man hingegen der Ansicht, nach dem aktuellen Stand des Völkerrechts existiere kein solches Selbstverteidigungsrecht gegen private Akteure, die nicht vom „Belegenheitsstaat“ instrumentalisiert wurden, dürfte die türkische Militäroffensive ein Verstoß gegen das Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 VN-Charta darstellen. In diesem Fall würde auch ein Verstoß gegen Art. 1 NATO-Vertrag33 vorliegen. Ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 4 VN-Charta und Art. 1 NATO-Vertrag dürfte wiederum eine völkerrechtswidrige Handlung i. S. d. Art. 2 der sogenannten Draft Articles der International Law Commission (ILC) zur Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen von 2001 (ILC Draft Articles)34 darstellen und damit die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Türkei auslösen. 31 Greenwood, Self-Defence, in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 2011, Rn. 18, abrufbar unter: http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e401?rskey=Nbxxer&result=1&prd=EPIL (zuletzt abgerufen am 25. Januar 2018); Starski, Right to Self-Defense, Attribution and the Non-State Actor, ZaöRV Band 75 (2015), S. 455 (456). 32 BVerfG – 2 BvE 2/16. Ein Link zur Antragsschrift der LINKEN vom 31. Mai 2016 ist abrufbar unter: https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/PDF_Dokumente/16-118-antragsschrift-scan-kompaktespdf .pdf (zuletzt abgerufen am 25. Januar 2018), S. 111 ff. 33 Art. 1 NATO-Vertrag lautet: Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Wege so zu regeln, daß der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar ist. 34 Vereinte Nationen, Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, Anlage der Resolution Nr. 56/83 der Generalversammlung vom 12. Dezember 2001, abrufbar unter: http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english /draft_articles/9_6_2001.pdf (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). Die Draft Articles werden allgemeinhin als Kodifizierung des bestehenden Völkergewohnheitsrechts zur Staatenverantwortlichkeit angesehen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 10 3. Die Nachrüstung der türkischen Leopard 2 - Panzer als Beihilfe zum völkerrechtlichen Delikt Eine Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt stellt selbst ein völkerrechtliches Delikt dar, welches die völkerrechtliche Verantwortlichkeit eines Staates auslöst. Nach Art. 16 der ILC Draft Articles ist ein Staat, der einem anderen Staat bei der Begehung einer völkerrechtswidrigen Handlung Beihilfe leistet oder Unterstützung gewährt, dafür völkerrechtlich verantwortlich, a) wenn er dies in Kenntnis der Umstände der völkerrechtswidrigen Handlung tut und b) wenn die Handlung völkerrechtswidrig wäre, wenn er sie selbst beginge. Art. 16 ILC Draft Articles verlangt demnach für das Vorliegen einer völkerrechtlich relevanten Beihilfe neben einer „Haupttat“ zusätzlich eine Beihilfehandlung in Kenntnis der völkerrechtswidrigen Handlung,35 einen Zusammenhang zwischen Unterstützungshandlung und Erleichterung der Begehung der Haupttat (aid or assistance with a view to facilitate the commission of an international wrongful act)36 sowie die Verletzung von Pflichten, an die der sich beteiligende Staat auch selbst gebunden ist. Eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit Deutschlands könnte sich aus den ILC Draft Articles wegen einer möglichen Nachrüstung von Leopard 2 - Panzern also nur dann ergeben, wenn überhaupt eine völkerrechtswidrige Handlung der Türkei („Haupttat“) vorliegt (siehe oben 2.). Eine Beihilfehandlung muss nicht unerlässlich zur Begehung der Haupttat sein. Es genügt, dass sie eine signifikante Wirkung auf die Begehung der Haupttat hat.37 So führt die ILC in ihrer Kommentierung zu Art. 16 ILC Draft Articles aus: “Article 16 deals with the situation where one State provides aid or assistance to another with a view to facilitating the commission of an internationally wrongful act by the latter. Such situations arise where a State voluntarily assists or aids another State in carrying out conduct which violates the international obligations of the latter, for example, by knowingly providing an essential facility […].38 35 Siehe auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Sachstand vom 3. März 2014 „Ausübung militärischer Gewalt durch ausländische Militärbasen in Deutschland“, WD 2 - 3000 - 034/14, S. 8. 36 Vereinte Nationen, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with Commentaries (2001), S. 66 Rn. 3, abrufbar unter: http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries /9_6_2001.pdf (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 37 Ibid., S. 66, Rn. 5. 38 Ibid., Rn. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 11 Demnach kann etwa eine Lieferung von Waffen oder anderem militärischem Material zur Unterstützung eines durch einen anderen Staat begangenen Völkerrechtsverstoßes selbst einen Völkerrechtsverstoß darstellen, wenn der liefernde Staat das völkerrechtswidrige Handeln des anderen Staates wissentlich in Kauf nimmt.39 Vor diesem Hintergrund könnte in der Nachrüstung von Panzern eine Unterstützungshandlung der Bundesrepublik liegen. Diese wäre für türkische Militäreinsätze zwar nicht essentiell im Sinne einer conditio sine qua non, da die entsprechenden Panzer auch ohne die Nachrüstung kampffähig wären. Die Frage wäre hier, in welchem Maß eine Nachrüstung weitere Militäreinsätze unterstützen oder befördern würde. Denkbar wäre etwa eine durch eine verbesserte Panzerung der Fahrzeuge ermöglichte Ausweitung der türkischen Offensive auf vermintes Gebiet o.ä. Ferner wäre für das Vorliegen einer völkerrechtlich relevanten Beihilfe entscheidend, ob die Bundesregierung Kenntnis von einer (noch zu beweisenden) völkerrechtswidrigen Militäroperation der Türkei hat. Eine positive Kenntnis dürfte nicht nachweisbar sein. Damit stellt sich die Frage nach dem Vorwurf einer fahrlässigen Unkenntnis. Anders als im deutschen Strafrecht begründen die ILC Draft Articles keinen Fahrlässigkeitsvorwurf gegenüber einem Beihilfe leistenden Staat, sondern statuieren ausdrücklich, dass eine Unterstützungshandlung nur dann eine völkerrechtliche Verantwortlichkeit auslöst, wenn diese zielgerichtet und bewusst erfolgt40: „State practice supports assigning international responsibility to a State which deliberately participates in the internationally wrongful conduct of another [State]”41; “the particular circumstances of each case must be carefully examined to determine whether the aiding State by its aid was aware of and intended to facilitate the commission of the internationally wrongful conduct”42; “the assisting State is responsible for its own act in deliberately assisting another State”.43 39 Ibid., S. 67, Rn. 9. 40 So auch Lanovoy, Complicity, in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, 2015, Rn. 21 f., abrufbar unter: http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690- e2180?rskey=WF4RTc&result=1&prd=EPIL (zuletzt abgerufen am 25. Januar 2018); Klein, Beihilfe zum Völkerrechtsdelikt , in Von Münch (Hrsg.), Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht: Festschrift für Hans-Jürgen Schlochauer , 1981, S. 425 (432). 41 Vereinte Nationen, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with Commentaries (2001), S. 66 Rn. 7, abrufbar unter: http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries /9_6_2001.pdf (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 42 Ibid., S. 67 Rn. 9. 43 Ibid., S. 67 Rn. 10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 12 Die bloße Belieferung mit Nachrüstungsmaterial als solche begründet daher noch keinen Völkerrechtsverstoß . In diesem Zusammenhang vertritt die ILC die Auffassung, dass ein Staat, der einem anderen Staat materielle Unterstützung bereitstellt, nicht davon ausgehen muss, dass diese Unterstützung zur Begehung von Völkerrechtsverstößen ausgenutzt wird: “A State providing material […] assistance or aid to another State does not normally assume the risk that its assistance or aid may be used to carry out an internationally wrongful act. If the assisting or aiding State is unaware of the circumstances in which its aid or assistance is intended to be used by the other State, it bears no international responsibility.”44 Vorangegangene oder wiederholte Zwischenfälle begründen zumindest in Friedenszeiten keine irgendwie gearteten Nachforschungspflichten des liefernden Staates, solange sich nicht der Verdacht von Völkerrechtsverletzungen durch den belieferten Staat eklatant aufdrängt. Unterhalb dieser Offensichtlichkeitsschwelle dürften betroffene Staaten einen weiten außenpolitischen Entscheidungsspielraum genießen.45 Der deutsche Außenminister hat im aktuellen Fall vorerst von einer Nachrüstung der türkischen Panzer abgesehen46 und begründete dies u.a. damit, dass die Bundesregierung nicht in Spannungsgebiete liefern dürfe.47 Dies scheint jedoch letztlich weniger die Anerkennung einer völkerrechtlichen Rechtspflicht zu sein als vielmehr vor dem Hintergrund politischer Erwägungen zu erfolgen. 4. Völkerstrafrechtliche Relevanz der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien Der Begriff des Völkerstrafrechts bezeichnet diejenigen Normen (insbesondere völkerrechtliche Verträge), die unmittelbar die Strafbarkeit natürlicher Personen wegen Verletzung international geschützter Rechtsgüter begründen.48 Anders als das allgemeine Völkerrecht nimmt das Völkerstrafrecht also ausnahmsweise Einzelpersonen als Rechtssubjekte in den Fokus. Völkervertraglich wurde dies etwa durch das Römische Statut49 des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) geregelt , welcher Personen wegen schwerster Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als 44 Ibid., S. 66, Rn. 4. 45 Siehe auch BVerwG, Urteil vom 5. April 2016 – 1 C 3/15, NVwZ 2016, S. 1176 (1178), Rn. 24; BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1983 – 2 BvR 1160/83 u. a., NJW 1984, S. 601 (602). 46 Regierungspressekonferenz vom 29. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/Content /DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2018/01/2018-01-29-regpk.html (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 47 Tagesschau, „Berlin stoppt Panzer-Nachrüstung für Türkei“ vom 25. Januar 2018, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/tuerkei-ruestungsexporte-101.html (zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 48 Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, S. 584, Rn. 1. 49 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (unterzeichnet am 17. Juli 1998, in Kraft getreten am 1. Juli 2002), BGBl. 2000 II, S. 1394. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 13 Ganzes berühren, zur Verantwortung ziehen kann. Voraussetzung einer solchen Strafverfolgung durch internationale Gerichte ist allerdings, dass sich die Staaten dem Rechtsregime des Römischen Statutes unterworfen haben. Dies hat die Türkei jedoch nicht getan, sodass das Römische Statut nicht zur Anwendung kommt. Darüber hinaus stellt sich hinsichtlich der zeitlichen Anwendbarkeit des Römischen Statuts die Besonderheit, dass der Tatbestand des Aggressionsverbrechens (umgangssprachlich der „Angriffskrieg “) erst ab dem 17. Juli 2018 der Jurisdiktion des IStGH unterfällt.50 Mit anderen Worten darf der Internationale Strafgerichtshof nur solche Situationen unter dem Gesichtspunkt des Aggressionsverbrechens begutachten, die sich nach dem 17. Juli 2018 ereignet haben. Eine völkerstrafrechtliche Beurteilung des türkischen Militäreinsatzes in Nordsyrien dürfte nicht rückwirkend erfolgen. 5. Rüstungsexportrechtliche Betrachtung einer Nachrüstung der türkischen Leopard 2 - Panzer Vorgaben zur Genehmigung des Exports von Rüstungsgütern finden sich im Grundgesetz (GG), im Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG), im Außenwirtschaftsgesetz (AWG), in der Außenwirtschaftsverordnung (AWV), in den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19. Januar 2000 (Politische Grundsätze), im Gemeinsamen Standpunkt des Rates der Europäischen Union 2008/944/GASP vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern51 (Gemeinsamer Standpunkt) und im Vertrag vom 2. April 2013 über den Waffenhandel52 (Arms Trade Treaty, kurz: ATT). Im Folgenden werden diejenigen Aspekte der genannten Regelwerke näher beleuchtet, welche von Bedeutung für die Genehmigungsfähigkeit einer Nachrüstung der türkischen Leopard 2 - Panzer sind oder sein können. 5.1. Grundgesetz Art. 26 Abs. 2 GG bestimmt, dass zur Kriegführung bestimmte Waffen (Kriegswaffen) nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden dürfen, wobei das Nähere durch ein Bundesgesetz geregelt wird. Mit dem Export von Rüstungsgütern, die keine Kriegswaffen sind (sonstige Rüstungsgüter), und von Gütern, die sowohl für zivile als auch für militärische 50 Internationaler Strafgerichtshof, Vertragsstaatenkonferenz, Resolution vom 14. Dezember 2017, Dok.-Nr. ICC- ASP/16/L.10*, abrufbar unter: http://www.ejiltalk.org/wp-content/uploads/2017/12/ICC-ASP-16-L10-ENG-CoAresolution -14Dec17-1130.pdf, Rn. 1; Akande, „The International Criminal Court Gets Jurisdiction Over the Crime of Aggression“ vom 15. Dezember 2017, abrufbar unter: https://www.ejiltalk.org/the-international-criminal -court-gets-jurisdiction-over-the-crime-of-aggression/ (jeweils zuletzt abgerufen am 31. Januar 2018). 51 ABl. L 335 vom 13. Dezember 2008, S. 99, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008E0944&from=DE (zuletzt abgerufen am 27. Januar 2018). 52 BGBl. 2013 II, S. 1426. Der Vertrag ist für die Bundesrepublik Deutschland am 24. Dezember 2014 in Kraft getreten , BGBl. 2014 II, S. 1283. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 14 Zwecke verwendet werden können (Dual-Use-Güter), befasst sich das Grundgesetz nicht ausdrücklich . 5.2. Kriegswaffenkontrollgesetz Mit Erlass des KWKG hat der Bundesgesetzgeber den in Art. 26 Abs. 2 GG formulierten Verfassungsauftrag ausgeführt. 5.2.1. Anwendungsbereich Gemäß § 1 Abs. 1 KWKG sind zur Kriegsführung bestimmte Waffen (Kriegswaffen) die in der Anlage zum KWKG (Kriegswaffenliste) aufgeführten Gegenstände, Stoffe und Organismen. Gemäß § 1 Abs. 2 KWKG ist die Bundesregierung ermächtigt, die Kriegswaffenliste durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates entsprechend dem Stand der wissenschaftlichen, technischen und militärischen Erkenntnisse derart zu ändern und zu ergänzen, dass sie alle Gegenstände , Stoffe und Organismen enthält, die geeignet sind, allein, in Verbindung miteinander oder mit anderen Gegenständen, Stoffen oder Organismen Zerstörungen oder Schäden an Personen oder Sachen zu verursachen und als Mittel der Gewaltanwendung bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Staaten zu dienen. Gemäß Ziffer 24. der Kriegswaffenliste in ihrer aktuellen Fassung zählen Kampfpanzer zu den Kriegswaffen. Da davon auszugehen ist, dass die im Zuge einer Nachrüstung der Leopard 2 - Panzer anzubringenden Teile zu deren wesentlichen Bestandteilen werden, dürften auch sie in den Anwendungsbereich des KWKG fallen. 5.2.2. Erforderlichkeit einer Exportgenehmigung Gemäß § 2 Abs. 2 und 3 KWKG bedarf derjenige, der Kriegswaffen exportieren will, einer entsprechenden Genehmigung. Zuständig für die Erteilung und den Widerruf einer solchen Genehmigung ist gemäß § 11 Abs. 1 KWKG die Bundesregierung oder eine von ihr gemäß § 11 Abs. 2 und 3 KWKG dazu ermächtigte Behörde. Je nach Fallgestaltung ist dies das Bundesministerium der Verteidigung, das Bundesministerium der Finanzen, das Bundesministerium des Innern, das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, oder das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt. Bei unterschiedlichen Auffassungen der am Entscheidungsfindungsprozess beteiligten Ressorts oder besonders bedeutsamen Fällen entscheidet in der Regel der Bundessicherheitsrat über die Erteilung oder Untersagung von Exportgenehmigungen.53 5.2.3. Gründe für die Versagung einer Exportgenehmigung Gemäß § 6 Abs. 1 KWKG besteht kein Anspruch auf die Erteilung einer Exportgenehmigung. Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen hat der Antragsteller jedoch Anspruch auf eine rechtmäßige Entscheidung über einen entsprechenden Antrag. Dabei unterscheidet das 53 Internetauftritt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, abrufbar unter: http://www.bmwi.de/Redaktion /DE/Dossier/ruestungsexportkontrolle.html (zuletzt abgerufen am 27. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 15 KWKG zwischen Gründen für eine fakultative Versagung und Gründen für eine obligatorische Versagung der beantragten Exportgenehmigung. 5.2.3.1. Fakultative Versagung § 6 Abs. 2 KWKG nennt beispielhaft Konstellationen, in denen die Genehmigung – in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens – versagt werden kann. Dies gilt unter anderem dann, wenn „Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung dem Interesse der Bundesrepublik an der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu anderen Ländern zuwiderlaufen würde.“ Aus der Formulierung „Grund zu der Annahme“ wird geschlossen, dass dafür konkrete Anhaltspunkte vorliegen müssen.54 Eine relevante Gefährdung der außenpolitischen Beziehungen Deutschlands kann etwa gegeben sein, wenn die Erteilung der Genehmigung einer internationalen Vereinbarung widerspräche, Kriegswaffen nicht in bestimmte Gebiete zu liefern.55 Berücksichtigungsfähig dürfte auch sein, inwiefern sich die Erteilung der Genehmigung als Beihilfe zu einem völkerrechtlichen Delikt darstellen kann (siehe dazu oben 3.), da ein solches Verhalten in der Regel die Beziehungen zu bestimmten anderen Ländern belastet. Ferner kann die Genehmigung eines Exports in Spannungs- oder Krisengebiete die außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik in relevanter Weise gefährden, da hierdurch Deutschlands Ansehen im Ausland beeinträchtigt und in Folge dessen die auswärtigen Beziehungen Deutschlands in Mitleidenschaft gezogen werden können.56 Als Schulfälle gelten Waffenlieferungen an algerische Aufständische, die geeignet gewesen wären, die auswärtigen Beziehungen zu Frankreich zu gefährden (1950er Jahre), Waffenlieferungen in das Kongo-Gebiet, die den damaligen Interessen der Vereinten Nationen zuwider gelaufen wären (1950er Jahre), Waffenlieferungen an Südafrika entgegen einem Waffenembargo auf Grundlage einer VN-Resolution (1970er Jahre), oder Waffenlieferungen in Staaten des Warschauer Pakts vor Ende des kalten Krieges.57 Eine kürzlich in der Presse wiedergegebene Äußerung des deutschen Außenministers Gabriel – „[Es] ist für die Bundesregierung klar, dass wir nicht in Spannungsgebiete liefern dürfen und dies auch nicht tun werden“ – 58 könnte dafür sprechen, dass die Bundesregierung in der hier in Rede stehenden Konstellation einen Fall des § 6 Abs. 2 KWKG annimmt. 54 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 45 m. w. N. 55 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 46. 56 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 46. 57 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 46 m. w. N. 58 Spiegel-Online vom 25. Januar 2018 „Bundesregierung stoppt geplante Aufrüstung türkischer Panzer“, die tageszeitung vom 26. Januar 2018, S. 6 „Gabriel bremst Panzer aus“; Der Tagesspiegel vom 26. Januar 2018, S. 1 „Erdogan fordert Trump heraus“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 16 5.2.3.2. Obligatorische Versagungsgründe § 6 Abs. 3 KWKG zählt die Konstellationen auf, in denen die Genehmigung – ohne Ermessensspielraum – versagt werden muss. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden. Dabei reicht einerseits die bloß abstrakte Gefahr einer Friedensstörung, welche im Umgang mit Kriegswaffen stets besteht, nicht aus.59 Andererseits muss eine friedensstörende Handlung aber auch nicht bereits unmittelbar bevorstehen.60 Unter Berufung auf den Sinn und Zweck des KWKG, Gefahren für den Völkerfrieden und die internationale Sicherheit abzuwehren, wurde in der Vergangenheit vertreten, dass von § 6 Abs. 3 Nr. 1 KWKG nur Handlungen erfasst werden, die auf einen Krieg im völkerrechtlichen Sinn gerichtet sind, wohingegen die Vorschrift nicht eingreifen soll, wenn Kriegswaffen lediglich als Mittel der Gewaltanwendung bei innerstaatlichen Unruhen, Partisanenkämpfen, Bürgerkriegen , Stammesauseinandersetzungen u. s. w. eingesetzt werden.61 Ob ein derart enges Verständnis noch mit der aktuellen Entwicklung des Völkerrechts in Einklang steht, erscheint zweifelhaft. Da die hier in Rede stehende Konfrontation zwischen der Türkei und der kurdischen YPG jedenfalls die Züge einer internationalen bewaffneten Auseinandersetzung trägt, erscheint es nicht ausgeschlossen , die Gefahr einer Verwendung zu friedensstörenden Handlungen zu bejahen. Allerdings wird aus der beispielhaften Verwendung des Begriffs „Angriffskrieg“ abgeleitet, eine den Frieden „störende“ Handlung liege nur dann vor, wenn die Aggression von dem Empfänger der Kriegswaffen ausgeht, weshalb § 6 Abs. 3 Nr. 1 KWKG nicht eingreife, wenn der Einsatz der Kriegswaffen lediglich Verteidigungszwecken dienen soll.62 Wie bereits dargelegt (siehe oben 2.), kann im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht abschließend beurteilt werden, ob der Türkei im hier beleuchteten Zusammenhang ein Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 VN-Charta oder nach Völkergewohnheitsrecht zusteht. 5.3. Außenwirtschaftsgesetz / Außenwirtschaftsverordnung Der Export von sonstigen Rüstungsgütern richtet sich allein nach den Vorschriften des AWG und der auf Grund desselben erlassenen AWV. Aber auch der Export von Kriegswaffen unterfällt – neben dem KWKG – diesen Vorschriften.63 Denn gemäß § 6 Abs. 4 KWKG bleiben andere Vorschriften unberührt, nach denen für die in den §§ 2 bis 4a KWKG genannten Handlungen – dazu 59 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 72 m. w. N. 60 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 73 m. w. N. 61 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 74; teilweise a. A. Potrykus, Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, 1962, § 6 Anm. 12a. 62 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 75 m. w. N. 63 Steindorf, Waffenrecht, 8. Aufl. 2007, KWKG Rn. 7; Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, Einleitung Rn. 186 m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 17 zählt der Export von Kriegswaffen – eine Genehmigung erforderlich ist. Allerdings präjudiziert die Erteilung einer Exportgenehmigung nach dem KWKG die Erteilung der entsprechenden Genehmigung nach dem AWG und der AWV.64 Gemäß § 1 Abs. 1 und 2 AWG ist der Außenwirtschaftsverkehr grundsätzlich frei, unterliegt aber den Einschränkungen, die das AWG vorsieht oder die durch Rechtsverordnung auf Grund des AWG vorgeschrieben werden. Im Ergebnis besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Erteilung einer Exportgenehmigung, es sei denn die in § 4 AWG näher ausgeführten Sicherheits- und außenpolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder sonstigen Gründe erfordern eine Abweichung davon. Gemäß § 4 Abs. 1 AWG können im Außenwirtschaftsverkehr durch Rechtsverordnung Rechtsgeschäfte und Handlungen beschränkt oder Handlungspflichten angeordnet werden, um (unter anderem) 1. die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten , 2. eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten, 3. eine erhebliche Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu verhüten. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AWG können Beschränkungen oder Handlungspflichten nach § 4 Abs. 1 AWG insbesondere angeordnet werden für Rechtsgeschäfte oder Handlungen in Bezug auf Waffen , Munition und sonstige Rüstungsgüter sowie Güter für die Entwicklung, Herstellung oder den Einsatz von Waffen, Munition und Rüstungsgütern. Die Vorschrift präzisiert, dass dies insbesondere dann gilt, wenn eine solche Beschränkung dazu dient, in internationaler Zusammenarbeit vereinbarte Ausfuhrkontrollen durchzuführen. Zuständig für den Erlass von Verwaltungsakten nach dem AWG und der AWV ist gemäß § 13 Abs. 1 AWG das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, sofern nicht im AWG selbst oder auf Grund einer nach dem AWG erlassenen Rechtsverordnung anderes bestimmt ist. 5.4. Politische Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 19. Januar 2000 Die im Jahr 2000 beschlossenen Politischen Grundsätze gelten seitdem unverändert fort. Sie betreffen sowohl den Export von Kriegswaffen, als auch den Export von sonstigen Rüstungsgütern und Dual-Use-Gütern. 64 Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, Einleitung Rn. 186 m. w. N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 18 5.4.1. Rechtsqualität Die Politischen Grundsätze sind behördeninterne Richtlinien, die der Orientierung bei der Ausfüllung des durch den gesetzlichen Rahmen eröffneten Ermessensspielraums dienen. Behördeninterne Richtlinien entfalten keine unmittelbare Rechtswirkung im Außenverhältnis zwischen Verwaltung und Bürger. Spiegeln sie eine ständige Verwaltungspraxis wider, verbietet der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) jedoch eine willkürliche Abweichung von dieser. Insofern können behördeninterne Richtlinien eine im Außenverhältnis geltende Selbstbindung der Verwaltung nach sich ziehen.65 Unter Umständen kann der in Folge dieser Selbstbindung verbleibende Ermessensspielraum so stark reduziert sein, dass sich nur noch eine rechtmäßige Entscheidungsmöglichkeit bietet (sogenannte Ermessensreduzierung auf null). Dementsprechend kann die auf Grundlage der Politischen Grundsätze geübte Verwaltungspraxis in einzelnen Fällen dazu führen, dass eine erforderliche Exportgenehmigung nach dem KWKG oder dem AWG erteilt werden muss. 5.4.2. Verhältnis zu anderen Regelwerken Gemäß Kapitel I. Ziffer 1. der Politischen Grundsätze trifft die Bundesregierung ihre Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in Übereinstimmung mit dem von dem Rat der Europäischen Union (EU) angenommenen Verhaltenskodex der Europäischen Union für Waffenausfuhren vom 8. Juni 1998 beziehungsweise dessen Folgeregelungen sowie den von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am 25. November 1993 verabschiedeten Prinzipien zur Regelung des Transfers konventioneller Waffen. Die derzeit geltende Folgeregelung zum Verhaltenskodex der Europäischen Union ist der Gemeinsame Standpunkt des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern (siehe zu diesem sogleich). Kapitel I. Ziffer 1. der Politischen Grundsätze stellt klar, dass die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts integraler Bestandteil der Politischen Grundsätze sind, wobei diese Vorrang haben sollen, soweit sie restriktivere Maßstäbe vorsehen als jener. 5.4.3. Inhalt 5.4.3.1. Ziele Ausweislich der Präambel der Politischen Grundsätze verfolgt die Bundesregierung mit diesen das Bestreben, - ihre Rüstungsexportpolitik restriktiv zu gestalten, - im Rahmen der internationalen und gesetzlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland den Export von Rüstungsgütern am Sicherheitsbedürfnis und außenpolitischen Interesse der Bundesrepublik Deutschland zu orientieren, 65 Siehe dazu BVerwG, Urteil vom 16. November 2011 – 1 C 21.10, juris Rn. 15; BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2007 – 1 WB 12.07, juris Rn. 27; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Juni 2014 – 10 ZB 12.2393, juris Rn. 23; Pottmeyer, Kriegswaffenkontrollgesetz, 2. Aufl. 1994, § 6 Rn. 23-26. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 19 - durch seine Begrenzung und Kontrolle einen Beitrag zur Sicherung des Friedens, der Gewaltprävention, der Menschenrechte und einer nachhaltigen Entwicklung in der Welt zu leisten, - dementsprechend auch die Beschlüsse internationaler Institutionen zu berücksichtigen, die eine Beschränkung des internationalen Waffenhandels unter Abrüstungsgesichtspunkten anstreben, - darauf hinzuwirken, solchen Beschlüssen Rechtsverbindlichkeit auf internationaler Ebene, einschließlich auf europäischer Ebene, zu verleihen. Die der Erreichung dieser Ziele dienenden Vorgaben sind in fünf Kapitel unterteilt: I. Allgemeine Prinzipien; II. NATO-Länder, EU-Mitgliedstaaten, NATO-gleichgestellte Länder; III. Sonstige Länder; IV. Sicherung des Endverbleibs; V. Rüstungsexportbericht. 5.4.3.2. Relevanz menschenrechtlicher Erwägungen Obwohl die Präambel das Bestreben, einen Beitrag zur Sicherung der Menschenrechte zu leisten, örtlich nicht näher eingrenzt, ergibt sich aus der Formulierung der in Kapitel I. aufgeführten allgemeinen Prinzipien, dass im hier beleuchteten Zusammenhang in erster Linie die menschenrechtliche Lage in der Türkei von Relevanz ist, wohingegen die menschenrechtliche Lage in Syrien allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt: Gemäß Kapitel I. Ziffer 2. der Politischen Grundsätze wird bei den Entscheidungen über Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern der Beachtung der Menschenrechte „im Bestimmungs - und Endverbleibsland“ besonderes Gewicht beigemessen. Gemäß Kapitel I. Ziffer 3. S. 1 der Politischen Grundsätze werden Genehmigungen für Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern grundsätzlich nicht erteilt, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass diese zur „internen Repression“ im Sinne des EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden, wobei Kapitel II. Ziffer 3. S. 2 ergänzt, dass für diese Frage die Menschenrechtssituation „im Empfängerland“ eine wichtige Rolle spielt. Die Formulierung von Kapitel I. Ziffer 3. S. 1 der Politischen Grundsätze („zu […] Menschenrechtsverletzungen missbraucht“) setzt einen finalen Zusammenhang zwischen dem Rüstungsexport und etwaigen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei als Bestimmungs- und Endverbleibsland voraus. In Anbetracht dessen erscheint zweifelhaft, ob die aktuelle menschenrechtliche Entwicklung in der Türkei in der hier in Rede stehenden Konstellation Berücksichtigung zu finden hat. Denn jedenfalls solange die betreffenden Leopard 2 - Panzer nicht auf türkischem Staatsgebiet eingesetzt werden, dürften sie nicht zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei „missbraucht“ werden. 5.4.3.3. Differenzierung nach Empfängerland Gemäß Kapitel II. Ziffer 1. S. 1 der Politischen Grundsätze hat sich der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern in NATO-Länder, EU-Mitgliedstaaten und NATO-gleichgestellte Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 20 Länder (Australien, Neuseeland, Japan und Schweiz) an den Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der NATO und der EU zu orientieren. Was dies bedeutet, erläutert Kapitel II. Ziffer 1. S. 2 der Politischen Grundsätze, wonach ein solcher Export grundsätzlich nicht zu beschränken ist, es sei denn, dass aus besonderen politischen Gründen in Einzelfällen eine Beschränkung geboten ist. Für Rüstungsexporte in sonstige Länder gelten gemäß Kapitel III. der Politischen Grundsätze restriktive Vorgaben. Auch wenn diese im Verhältnis zur Türkei nicht direkt zum Tragen kommen, könnten die dahinter stehenden Erwägungen in die gemäß Kapitel II. Ziffer 1. S. 2 der Politischen Grundsätze zu treffende Bewertung einfließen, ob aus besonderen politischen Gründen eine einzelfallbezogene Beschränkung geboten ist. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang Kapitel III. Ziffer 5. der Politischen Grundsätze. Dort heißt es: „Die Lieferung von Kriegswaffen und kriegswaffennahen sonstigen Rüstungsgütern wird nicht genehmigt in Länder, - die in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt sind oder wo eine solche droht, - in denen ein Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen droht oder bestehende Spannungen und Konflikte durch den Export ausgelöst, aufrechterhalten oder verschärft würden. Lieferungen an Länder, die sich in bewaffneten äußeren Konflikten befinden oder bei denen eine Gefahr für den Ausbruch solcher Konflikte besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus, sofern nicht ein Fall des Artikels 51 der VN-Charta vorliegt.“ 5.5. Gemeinsamer Standpunkt des Rates der Europäischen Union 2008/944/GASP 5.5.1. Rechtsqualität Rechtstechnisch handelt es sich bei dem Gemeinsamen Standpunkt um eine Handlungsform gemäß Art. 15 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) in seiner früheren Fassung (Vertrag von Amsterdam). Die Vorschrift bestimmte: „Der Rat nimmt gemeinsame Standpunkte an. In den gemeinsamen Standpunkten wird das Konzept der Union für eine bestimmte Frage geographischer oder thematischer Art bestimmt. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den gemeinsamen Standpunkten in Einklang steht.“ Die weitgehend identische Nachfolgeregelung des Art. 29 EUV in seiner aktuellen Fassung (Vertrag von Lissabon) lautet wie folgt: „Der Rat erlässt Beschlüsse, in denen der Standpunkt der Union zu einer bestimmten Frage geografischer oder thematischer Art bestimmt wird. Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ihre einzelstaatliche Politik mit den Standpunkten der Union in Einklang steht. Auch wenn Art. 29 EUV die Beschlüsse zur Festlegung von Standpunkten – anders als Art. 28 Abs. 2 EUV – nicht ausdrücklich für bindend erklärt, wird davon ausgegangen, dass sie Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 21 für die Mitgliedstaaten maßgeblich und Abweichungen grundsätzlich nicht zulässig sind.66 Das Fehlen von mit Art. 28 Abs. 2 und 5 EUV vergleichbaren Bestimmungen in Art. 29 EUV deutet zwar darauf hin, dass im Einzelfall von einem Standpunkt leichter als von einem Beschluss gemäß Art. 28 EUV abgewichen werden kann, jedoch wird dieser Unterschied durch den Grundsatz der Unionstreue nach Art. 24 Abs. 3 EUV begrenzt.67 Daher werden die Standpunkte als in der Praxis rechtlich verbindlich angesehen.68 5.5.2. Verhältnis zu anderen Regelwerken Gemäß Art. 3 des Gemeinsamen Standpunkts lässt dieser das Recht der Mitgliedstaaten unberührt , auf nationaler Ebene eine restriktivere Politik zu verfolgen. 5.5.3. Inhalt 5.5.3.1. Ziele Die mit dem Gemeinsamen Standpunkt verfolgten Ziele ergeben sich im Wesentlichen aus den Erwägungsgründen 3 bis 5 der Präambel. Diese lauten: „(3) Die Mitgliedstaaten wollen mit Entschlossenheit hohe gemeinsame Maßstäbe setzen, die als Mindeststandards für die beim Transfer von Militärtechnologie und Militärgütern von allen Mitgliedstaaten zu befolgende zurückhaltende Praxis angesehen werden sollten, und den Austausch relevanter Informationen verstärken, um größere Transparenz zu erreichen. (4) Die Mitgliedstaaten wollen mit Entschlossenheit verhindern, dass Militärtechnologie und Militärgüter ausgeführt werden, die zu interner Repression oder internationaler Aggression eingesetzt werden könnten oder zu regionaler Instabilität beitragen könnten. (5) Die Mitgliedstaaten wollen die Zusammenarbeit verstärken und die Konvergenz auf dem Gebiet der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) fördern.“ 66 Marquardt/Gaedtke in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 29 Rn. 7. 67 Marquardt/Gaedtke in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 29 Rn. 7. 68 Marquardt/Gaedtke in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Auflage 2015, Art. 29 Rn. 7. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 22 5.5.3.2. Anwendungsbereich Gemäß Art. 1 Abs. 1 des Gemeinsamen Standpunkts hat jeder Mitgliedstaat die ihm vorgelegten Anträge auf Erteilung einer Exportgenehmigung betreffend die in der Gemeinsamen Militärgüterliste der EU enthaltenen Gegenstände zu prüfen. Nach Punkt ML 6 a) der Gemeinsamen Militärgüterliste der Europäischen Union69 zählen zu den vom Gemeinsamen Standpunkt erfassten Rüstungsgegenständen Landfahrzeuge und Bestandteile hierfür, die für militärische Zwecke besonders konstruiert oder geändert wurden. Dies dürfte die hier in Rede stehende Nachrüstung der türkischen Leopard 2 - Panzer einschließen. 5.5.3.3. Prüfungsrelevante Kriterien Bei der Prüfung von Anträgen auf eine Exportgenehmigung sind acht Kriterien zu berücksichtigen , die in Art. 2 des Gemeinsamen Standpunkts aufgeführt sind: - Einhaltung der internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, insbesondere der vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder der Europäischen Union verhängten Sanktionen, der Übereinkünfte zur Nichtverbreitung und anderen Themen sowie sonstiger internationaler Verpflichtungen (Kriterium 1); - Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts durch das Endbestimmungsland (Kriterium 2); - Innere Lage im Endbestimmungsland als Ergebnis von Spannungen oder bewaffneten Konflikten (Kriterium 3); - Aufrechterhaltung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region (Kriterium 4); - Nationale Sicherheit der Mitgliedstaaten und der Gebiete, deren Außenbeziehungen in die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats fallen, sowie nationale Sicherheit befreundeter und verbündeter Länder (Kriterium 5); - Verhalten des Käuferlandes gegenüber der internationalen Gemeinschaft, unter besonderer Berücksichtigung seiner Haltung zum Terrorismus, der Art der von ihm eingegangenen Bündnisse und der Einhaltung des Völkerrechts (Kriterium 6); - Risiko der Abzweigung von Militärtechnologie oder Militärgütern im Käuferland oder der Wiederausfuhr von Militärgütern unter unerwünschten Bedingungen (Kriterium 7); - Vereinbarkeit der Ausfuhr von Militärtechnologie oder Militärgütern mit der technischen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Empfängerlandes, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Staaten bei der Erfüllung ihrer legitimen Sicherheits- und Verteidigungsbedürfnisse möglichst wenige Arbeitskräfte und wirtschaftliche Ressourcen für die Rüstung einsetzen sollten (Kriterium 8). Zu jedem dieser Kriterien finden sich in Art. 2 des Gemeinsamen Standpunkts nähere Erläuterungen . Im Folgenden werden diejenigen Erläuterungen erörtert, welche im hier beleuchteten Zusammenhang von Bedeutung sein können. 69 ABl. C 107 vom 9. April 2014, S. 1, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2014:107:FULL&from=DE (zuletzt abgerufen am 27. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 23 Die Erläuterungen zu Kriterium 2 lauten hinsichtlich dessen menschenrechtlicher Aspekte wie folgt: - Die Mitgliedstaaten bewerten die Haltung des Empfängerlandes zu den einschlägigen Grundsätzen der internationalen Menschenrechtsübereinkünfte und a) verweigern eine Ausfuhrgenehmigung, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass die Militärtechnologie oder die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, zur internen Repression benutzt werden könnten; b) lassen besondere Vorsicht und Wachsamkeit bei der Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen an Länder walten, in denen von den zuständigen Gremien der Vereinten Nationen, der Europäischen Union oder des Europarates schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen festgestellt wurden, und nehmen dabei eine Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Art der Militärtechnologie oder der Militärgüter vor. Hierfür gelten als Militärtechnologie oder Militärgüter , die zu interner Repression benutzt werden könnten, unter anderem Militärtechnologie oder Militärgüter, die vom angegebenen Endverwender in dieser oder einer ähnlichen Form nachweislich zu interner Repression benutzt worden sind oder bei denen Grund zu der Annahme besteht, dass sie an der angegebenen Endverwendung bzw. am angegebenen Endverwender vorbeigeleitet werden und zu interner Repression genutzt werden. Gemäß Artikel 1 ist die Art der Militärtechnologie oder der Militärgüter sorgfältig zu prüfen, insbesondere wenn sie für Zwecke der inneren Sicherheit bestimmt sind. Interne Repression umfasst unter anderem Folter sowie andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung oder Bestrafung, willkürliche oder Schnell-Hinrichtungen , das Verschwindenlassen von Personen, willkürliche Verhaftungen und andere schwere Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wie sie in den einschlägigen Menschenrechtsübereinkünften, einschließlich der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, niedergelegt sind.“ Die wiederholte Verwendung des Begriffs „interne Repression“ und das in den Formulierungen „nutzen“ bzw. „benutzen“ zum Ausdruck kommende Erfordernis eines kausalen Zusammenhangs spricht dafür, dass auch in diesem Zusammenhang weder etwaige in Syrien begangene Menschrechtsverletzungen noch etwaige in der Türkei begangene Menschenrechtsverletzungen, die nicht im Zusammenhang mit einem Einsatz von Leopard 2 - Panzern stehen, ausschlaggebende Bedeutung haben. Hinsichtlich des Aspekts des humanitären Völkerrechts lauten die Erläuterungen zu Kriterium 2 wie folgt: „- Die Mitgliedstaaten bewerten die Haltung des Empfängerlandes zu den einschlägigen Grundsätzen der Übereinkünfte des humanitären Völkerrechts und c) verweigern eine Ausfuhrgenehmigung, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass die Militärtechnologie oder die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 24 verwendet werden, um schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu begehen. Eine abschließende Beurteilung, ob ein derartiges Risiko zu bejahen ist, setzt umfassende Erkenntnisse über den tatsächlichen Vorgängen im Konfliktgebiet voraus. Die allgemein zugänglichen Informationen sprechen dafür, dass ein solches Risiko jedenfalls nicht auszuschließen ist. So sieht die Türkei die kurdische YPG in Syrien als Teil der als Terrororganisation verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK an, gegen die sie vehement vorgeht.70 Ferner ist es nach aktuellen Äußerungen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan Ziel der türkischen Militäroffensive , die kurdische YPG in Syrien zu „vernichten“, bzw. diese „fertigzumachen, bis nichts mehr von ihr übrig sei“.71 Die Erläuterungen zu Kriterium 4 lauten (auszugsweise): „Die Mitgliedstaaten verweigern eine Ausfuhrgenehmigung, wenn eindeutig das Risiko besteht, dass der angegebene Empfänger die Militärtechnologie oder die Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, zum Zwecke der Aggression gegen ein anderes Land oder zur gewaltsamen Durchsetzung eines Gebietsanspruchs benutzt. Bei der Abwägung dieser Risiken berücksichtigen die Mitgliedstaaten unter anderem a) das Bestehen oder die Wahrscheinlichkeit eines bewaffneten Konflikts zwischen dem Empfängerland und einem anderen Land; b) die Wahrscheinlichkeit, dass die Militärtechnologie oder die Militärgüter zu anderen Zwecken als für die legitime nationale Sicherheit und Verteidigung des Empfängerlandes verwendet wird; c) […]; d) das Erfordernis, die regionale Stabilität nicht wesentlich zu beeinträchtigen.“ Die wiederholte Bezugnahme auf einen gewaltsamen Konflikt zwischen zwei „Ländern“ legt nahe, dass das Kriterium 4 in der hier in Rede stehenden Konstellation nicht zur Anwendung gelangt , da es sich um eine Auseinandersetzung zwischen einem Staat und einem nichtstaatlichen Akteur handelt. 70 So ist die Türkei in jüngerer Zeit mehrfach wegen Verstößen gegen Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) in Bezug auf Mitglieder bzw. Anhänger der PKK verurteilt worden, siehe z. B. EGMR, Urteil vom 20. Januar 2009 – 70337/01 (GÜVEÇ v. TURKEY), abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-90700; EGMR, Urteil vom 9. Juli 2013 - 33860/03 (BOZDEMİR AND YEŞİLMEN v. TURKEY), abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001- 122167; EGMR, Urteil vom 16. Juli 2013 - 44827/08 (ABDULLAH YAŞA AND OTHERS v. TURKEY), abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-122874; EGMR, Urteil vom 17. September 2013 – 418447/09 (AMİNE GÜZEL v. TURKEY), abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-126354; EGMR, Urteil vom 5. Juli 2016 - 39041/10 (RAHMİ ŞAHİN v. TURKEY), abrufbar unter: http://hudoc.echr.coe.int/eng?i=001-164463 (jeweils zuletzt abgerufen am 29. Januar 2018). 71 Reuters Weltnachrichten vom 21. Januar 2018 „Erdogan - Werden kurdische YPG-Miliz vernichten“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 25 Die Erläuterungen zu Kriterium 5 lauten: „Die Mitgliedstaaten berücksichtigen a) die möglichen Auswirkungen der Militärtechnologie oder der Militärgüter, die zur Ausfuhr bestimmt sind, auf ihre Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen sowie auf die anderer Mitgliedstaaten und befreundeter oder verbündeter Länder, wobei sie anerkennen, dass hierdurch die Berücksichtigung der Kriterien betreffend die Achtung der Menschenrechte und die Aufrechterhaltung von Frieden, Sicherheit und Stabilität in einer Region nicht beeinträchtigt werden darf; b) das Risiko, dass diese Militärtechnologie oder diese Militärgüter gegen ihre eigenen Streitkräfte oder die anderer Mitgliedstaaten oder befreundeter oder verbündeter Länder eingesetzt werden.“ Da die Türkei sowohl NATO-Mitgliedstaat als auch Beteiligte am internationalen Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat ist, ist davon auszugehen, dass sich die Aufrüstung ihrer Leopard 2 - Panzer auf die Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen Deutschlands und verbündeter oder befreundeter Länder auswirkt. In Anbetracht der derzeit nicht absehbaren weiteren Entwicklung des Konflikts zwischen der Türkei und der YPG, insbesondere eines möglichen Eingreifens der USA, Russlands, Syriens und möglicherweise anderer Staaten ist dabei zu berücksichtigen , dass diese Auswirkungen nicht nur positiv, sondern auch negativ sein können. Auch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die Aufrüstung der türkischen Leopard 2 - Panzer zu einer Beeinträchtigung des Friedens, Sicherheit und der Stabilität in der betreffenden Region beiträgt. Die Erläuterungen zu Kriterium 6 lauten (auszugsweise): „Die Mitgliedstaaten berücksichtigen unter anderem das bisherige Verhalten des Käuferlandes in Bezug auf a) […]; b) die Einhaltung seiner internationalen Verpflichtungen, insbesondere im Hinblick auf die Nichtanwendung von Gewalt, und der Bestimmungen des humanitären Völkerrechts; c) […].“ Wie bereits erörtert (siehe oben 2.), kann im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht abschließend beantwortet werden, ob die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zur Gewaltanwendung durch die türkische Militäroffensive in Nordsyrien verletzt wurden. 5.6. Arms Trade Treaty 5.6.1. Ziele Gemäß Art. 1 ATT verfolgt der Vertrag die Ziele, Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 26 - einen möglichst hohen gemeinsamen internationalen Standard für die Regulierung oder die Verbesserung der Regulierung des internationalen Handels mit konventionellen Waffen zu schaffen, und - illegalen Handel mit konventionellen Waffen zu verhindern und abzuschaffen sowie die Verbreitung solcher Waffen zu verhindern. Dadurch soll - international und regional zu Frieden, Sicherheit und Stabilität beigetragen, - menschliches Leid verringert, und - die Zusammenarbeit, Transparenz und verantwortungsvolles Handeln der Vertragsstaaten im Bereich des Handels mit konventionellen Waffen gefördert und dadurch Vertrauen zwischen den Vertragsstaaten geschaffen werden. 5.6.2. Anwendungsbereich Gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a) und Abs. 2 ATT findet der Vertrag unter anderem Anwendung auf den Transfer – das heißt Ausfuhr, Einfuhr, Durchfuhr, Umladung und Vermittlungstätigkeit – von Kampfpanzern und gepanzerten Kampffahrzeugen. Da davon auszugehen ist, dass die im Zuge einer Nachrüstung der Leopard 2 - Panzer anzubringenden Teile zu deren wesentlichen Bestandteilen werden, dürften auch sie in den Anwendungsbereich des ATT fallen. 5.6.3. Inhalt Gemäß Art. 5 Abs. 2 ATT hat jeder Vertragsstaat zum Zweck der Durchführung des Vertrags ein nationales Kontrollsystem zu schaffen und zu unterhalten, das die Aufstellung einer nationalen Kontrollliste einschließt. Gemäß Art. 5 Abs. 5 ATT hat jeder Vertragsstaat die zur Durchführung des Vertrags erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen und zuständige nationale Behörden zu bestimmen , um über ein wirksames und transparentes nationales Kontrollsystem zu verfügen, durch das der Transfer von konventionellen Waffen geregelt wird. Die inhaltlichen Vorgaben des ATT finden mithin innerstaatlich keine direkte Anwendung. Vielmehr haben die Behörden der Vertragsstaaten die von diesen – in Übereinstimmung mit den inhaltlichen Vorgaben des Vertrags – gesetzten innerstaatlichen Regelungen anzuwenden. Im hier beleuchteten Zusammenhang sind insbesondere folgende Vorgaben des Vertrags von Relevanz : Art. 6 ATT bestimmt, dass einem Vertragsstaat die Genehmigung eines Transfers der von dem Vertrag erfassten konventionellen Waffen verboten ist, wenn - dieser Transfer die Verpflichtungen des betreffenden Vertragsstaats aufgrund von Maßnahmen verletzen würde, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen beschlossen hat, insbesondere Waffenembargos; Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 008/18 Seite 27 - dieser Transfer die einschlägigen völkerrechtlichen Verpflichtungen des betreffenden Vertragsstaats verletzen würde, die sich aufgrund völkerrechtlicher Übereinkünfte, deren Vertragspartei er ist, insbesondere derjenigen betreffend den Transfer von oder den unerlaubten Handel mit konventionellen Waffen, ergeben; - er zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Genehmigung Kenntnis davon hat, dass die Waffen oder Güter bei der Begehung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit , schweren Verletzungen der Genfer Abkommen von 1949, Angriffen auf zivile Objekte oder Zivilpersonen, die als solche geschützt werden, oder anderen Kriegsverbrechen im Sinne völkerrechtlicher Übereinkünfte, deren Vertragspartei er ist, verwendet werden würden. Gemäß Art. 7 Abs. 1 ATT hat, soweit der Export nicht gemäß Art. 6 ATT verboten ist, jeder Vertragsstaat vor Erteilung einer Exportgenehmigung in Übereinstimmung mit seinem nationalen Kontrollsystem die Möglichkeit zu bewerten, dass die betreffenden konventionellen Waffen a) zu Frieden und Sicherheit beitragen oder diese untergraben würden; b) dazu verwendet werden könnten, i) eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts zu begehen oder zu erleichtern ; ii) eine schwere Verletzung der internationalen Menschenrechtsnormen zu begehen oder zu erleichtern; iii) eine Handlung vorzunehmen oder zu erleichtern, die nach völkerrechtlichen Übereinkommen oder Protokollen betreffend den Terrorismus, deren Vertragspartei der ausführende Staat ist, eine Straftat darstellt; iv) eine Handlung vorzunehmen oder zu erleichtern, die nach völkerrechtlichen Übereinkommen oder Protokollen betreffend die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, deren Vertragspartei der ausführende Staat ist, eine Straftat darstellt. Gemäß Art. 7 Abs. 2 ATT hat der ausführende Vertragsstaat auch zu prüfen, ob es Maßnahmen gibt, die zur Minderung der Art. 7 Abs. 1 lit. a) und b) ATT bezeichneten Risiken ergriffen werden könnten, wie zum Beispiel vertrauensbildende Maßnahmen oder gemeinsam von den ausführenden und einführenden Staaten entwickelte und vereinbarte Programme. Gemäß Art. 7 Abs. 3 ATT darf der ausführende Vertragsstaat den Export nicht genehmigen, wenn er nach Vornahme dieser Bewertung und Prüfung der verfügbaren Maßnahmen zur Risikominderung feststellt, dass ein überwiegendes Risiko besteht, dass eine der in Art. 7 Abs. 1 ATT genannten negativen Folgen eintritt. ***