© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 006/19 Parlamentarische Mitwirkung im Bereich von völkerrechtlichem soft law und an der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/19 Seite 2 Parlamentarische Mitwirkung im Bereich von völkerrechtlichem soft law und an der Entstehung von Völkergewohnheitsrecht Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 006/19 Abschluss der Arbeit: 18. Januar 2019 (gleichzeitig letzter Zugriff auf die Internetquellen) Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Parlamentarische Mitwirkungsmöglichkeiten bei völkerrechtlichen Verträgen und völkerrechtlichem soft law 4 2. Parlamentarische Mitwirkung an Völkergewohnheitsrecht 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/19 Seite 4 1. Parlamentarische Mitwirkungsmöglichkeiten bei völkerrechtlichen Verträgen und völkerrechtlichem soft law Zentraler Bestandteil der parlamentarischen Teilhabe an der sog. auswärtigen Gewalt ist die Ratifikation völkerrechtlicher Verträge (sog. „Vertragsgewalt"), wie sie in Art. 59 Abs. 2 GG niedergelegt ist.1 Das (nachträgliche) parlamentarische Zustimmungserfordernis gilt allerdings nur für völkerrechtliche Verträge.2 Internationale Beziehungen werden indes nicht nur durch völkerrechtliche Verträge gestaltet, sondern zunehmend auch durch „weiche“, „informelle“, d.h. rechtlich nicht bindende Steuerungsinstrumente (sog. „soft law“, z.B. in Form von nichtvertraglichen Instrumenten oder Resolutionen der VN-Generalversammlung). Zu diesen gehört auch der Global Compact for Migration (GCM). Vor diesem Hintergrund ist in der verfassungsrechtlichen Literatur die Frage diskutiert worden, ob mit Blick auf den Rechtsgedanken der „Wesentlichkeitstheorie“3 eine parlamentarische Mitwirkung nach Art. 59 Abs. 2 GG nicht auch auf „soft law-Phänomene“ Anwendung finden könnte – mit dem Argument, dass soft law erhebliche politische Bedeutung in den internationalen Beziehungen entfalten kann. Eine extensive Anwendung des Art. 59 Abs. 2 GG im Bereich des soft law wird aber aus Gründen der Rechtssicherheit (wobei allein Kriterien der rechtlichen Verbindlichkeit bzw. Unverbindlichkeit maßgeblich sind) einhellig abgelehnt.4 Explizite Möglichkeiten einer rechtlichen Mitsprache des Parlaments bei der Entstehung (bzw. nachträglichen Billigung) von sog. soft law kennt das Grundgesetz nicht. So unterliegt etwa auch das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung in internationalen Gremien wie dem VN- Sicherheitsrat oder der VN-Generalversammlung keinem vorherigen parlamentarischen 1 Danach bedürfen u.a. Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln, der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes. 2 Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz. Kommentar, München, 13. Aufl. 2014, Art. 59 Rdnr. 9. Rechtliche Möglichkeiten des Parlaments, an dem Zustandekommen eines völkerrechtlichen Vertrages mitzuwirken oder diesen nachträglich abzuändern, bestehen nicht (vgl. insoweit § 82 Abs. 2 GOBT: „Zu Verträgen mit auswärtigen Staaten und ähnlichen Verträgen, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, sind Änderungsanträge nicht zulässig“). 3 Die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung entwickelte „Wesentlichkeitstheorie“ besagt, dass im Bereich der untergesetzlichen Normsetzung alle „wesentlichen Entscheidungen“ (insb. wenn Grundrechte beeinträchtigt werden) durch das Parlament selbst getroffen werden müssen (vgl. z.B. BVerfGE 33, 303 - numerus clausus). Vgl. zur „Wesentlichkeitstheorie“ in auswärtigen Angelegenheiten Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München, 8. Aufl. 2018, Art. 59 Rdnr. 26 ff. 4 Vgl. etwa Nettesheim, in: Maunz/Dürig/Herzog (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München, Losebl., Stand: August 2018, Art. 59 Rdnr. 114 ff.; Streinz, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, München, 8. Aufl. 2018, Art. 59 Rdnr. 40; Tietje/Nowrot, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, Baden-Baden 2016, § 45 Rdnr. 48 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/19 Seite 5 Zustimmungserfordernis.5 Der Deutsche Bundestag bleibt hier auf die allgemeinen (zumeist nachträglichen) parlamentarischen Kontrollinstrumente angewiesen. Parlamentarische Mitwirkungsmöglichkeiten und Zustimmungspflichten im soft law-Bereich verfassungsrechtlich einzuführen, könnte indes einen „Einbruch in zentrale Gestaltungsbereiche der Exekutive“ im Bereich der auswärtigen Gewalt6 und damit einen Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) bedeuten. Das BVerfG steht einer Erstreckung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte aus Art. 59 Abs. 2 GG auf nichtvertragliche Akte der Bundesregierung daher ausgesprochen reserviert gegenüber. Die infolge der eingeschränkten parlamentarischen Mitwirkungsrechte im Bereich der auswärtigen Gewalt ggf. entstehenden Legitimationsdefizite lassen sich aber insoweit „ausgleichen“, als dass auch soft law-Instrumente, an denen sich die Regierung beteiligt hat, für ihre innerstaatliche Umsetzung häufig gesetzgeberischer Maßnahmen bedürfen.7 Vor diesem Hintergrund erscheint es politisch sinnvoll, das Parlament in den Prozess der soft law-Bildung frühzeitig mit einzubinden .8 Das Parlament hat überdies stets die Möglichkeit, diesen Prozess durch (rechtlich unverbindliche ) politische Beschlüsse zu begleiten. So hat etwa der Deutsche Bundestag Ende November 2018 einen Beschluss zur rechtlichen Bewertung und politischen Umsetzung des GCM gefasst.9 2. Parlamentarische Mitwirkung an Völkergewohnheitsrecht Anders als Völkervertragsrecht entsteht Völkergewohnheitsrecht ohne die formale Mitwirkung der nationalen Parlamente in Form einer Ratifikation. Gleichwohl hat das Parlament – ähnlich wie beim soft law – die Möglichkeit, die Entstehung (bzw. Verhinderung) von Völkergewohnheitsrecht parlamentarisch und politisch zu begleiten, indem es etwa die Regierung zur Darlegung und Äußerung der für die Gewohnheitsrechtsbildung notwendigen opinio iuris (= Rechtsauffassung des Staates) drängt oder diese durch entsprechende Beschlüsse selber mit konturiert. Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Parlamenten 5 Ein Parlamentsvorbehalt existiert allein für die Entsendung von deutschen Streitkräften ins Ausland. 6 Vgl. insoweit die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 68, 1 (87) - Atomwaffenstationierung . 7 Infolge fehlender Rechtsverbindlichkeit des soft law dienen diese Maßnahmen aber nicht der Erfüllung einer völkerrechtlichen Umsetzungspflicht, sondern ergeben sich mit Blick auf politischen und faktischen Zwänge der internationalen Kooperation. 8 So Tietje/Nowrot, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz (Hrsg.), Parlamentsrecht, Baden-Baden 2016, § 45 Rdnr. 49. 9 BT-Drs. 19/6056 vom 27.11.2018, https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/060/1906056.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/19 Seite 6 im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten können diese – zumindest in den westlichen Demokratien – einen wesentlichen Beitrag zur staatsinternen Herausbildung einer entsprechenden opinio iuris bzw. zur korrespondierenden Staatspraxis leisten.10 *** 10 Vgl. Treves, Tullio, Customary International Law, in: Max Planck Encyclopedia of Public International Law [MPEPIL], Stand: 2006 (online unter: http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law- 9780199231690-e1393?prd=EPIL), Rdnr. 31: “(…) not only the executive, but also the legislative and judiciary powers of a State can, through what they say and do, contribute elements to that State’s practice.” Gleiches gilt übrigens auch für die Rolle von Nichtregierungsorganisationen: Vgl. ebda., Rdnr. 33: “The perception of these actors of what is permitted and of what is prohibited to States in their relationship with other States, and their impact on public opinion, nevertheless influences the perception of governments and ultimately their opinio iuris.”