© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 006/18 Verpflichtungen von Flüchtlingen im Aufnahmestaat nach Art. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Die „öffentliche Ordnung“ als Maßstab für rechtlich gefordertes Verhalten von Flüchtlingen im Aufnahmestaat 9 4. Nationale Umsetzung von Art. 2 GFK in der Praxis 10 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/18 Seite 4 1. Einleitung Die Diskussion über einen „Missbrauch des Gastrechts“ von straffällig gewordenen Flüchtlingen wirft die Frage nach den allgemeinen „Gastpflichten“ von Flüchtlingen im Aufnahmestaat auf. Eine völkerrechtliche Regelung zu dieser Frage findet sich in Art. 2 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention, GFK) vom 28. Juli 1951,1 welcher lautet: „Jeder Flüchtling hat gegenüber dem Land, in dem er sich befindet, Pflichten, zu denen insbesondere die Verpflichtung gehört, die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften sowie die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffenen Maßnahmen zu beachten“. Der folgende Beitrag erläutert diese Vorschrift u.a. in ihren historischen, rechtlichen und praxisrelevanten Bezügen. Die Ausführungen beschränken sich dabei auf den völkerrechtlichen Kontext . Die nationale und europarechtliche Rechtslage, insbesondere die Frage von statusrechtlichen oder aufenthaltsbeendenden staatlichen Maßnahmen2 im Zusammenhang mit Verstößen von Flüchtlingen gegen nationale (strafrechtliche) Vorschriften soll dabei nur gestreift werden (siehe 4.). 2. Vertragsverhandlungen zu Art. 2 GFK Art. 2 GFK über die Pflichten von Flüchtlingen im Aufnahmestaat erscheint in der vornehmlich von Rechten und Privilegien von Flüchtlingen geprägten GFK wie ein „Fremdkörper“. Tatsächlich ist die Vorschrift, wie die Vorarbeiten zur GFK von 1951 zeigen, vor allem aus „psychologischen Gründen“ eingefügt worden, um eine Art „Balance“ zu den rechte-dominierten Regelungen der Konvention zu bilden.3 1 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. II, 1953, S. 559, abrufbar online unter: http://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2017/03/GFK_Pocket_2015_RZ_final_ansicht.pdf. 2 Vgl. insoweit z.B. §§ 53 ff. des deutschen Aufenthaltsgesetzes, §§ 34 ff. AsylG oder Art. 14 der Qualifikationsrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. EU 337/9 v. 20.12.2011, abrufbar online unter: http://www.asyl.net/fileadmin/user_upload/gesetzetexte/QuRLNeuf_2011_95.pdf). 3 UN Doc. A/CONF.2/SR.3 (1951), S. 21. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/18 Seite 5 Der pflichtenorientierte Gehalt des Art. 2 GFK findet seinen Widerhall in einigen menschenrechtlichen Vorschriften wie z.B. Art. 29 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, wonach „jeder Pflichten gegenüber der Gemeinschaft“ hat.4 In den Vertragsverhandlungen hatte sich insbesondere Frankreich dafür stark gemacht, in einem Absatz 2 zu Art. 2 GFK eine Regelung aufzunehmen, die es den Aufnahmestaaten ermöglichen sollte, die politischen Aktivitäten von Flüchtlingen, welche die Sicherheitsinteressen der Staaten beeinträchtigen können, zu reglementieren.5 Eine solche Regelung konnte sich indes in den Vertragsverhandlungen nicht durchsetzen.6 Art. 2 GFK kann nicht als Rechtsgrundlage für staatliche Restriktionen einer politischen Betätigung von Flüchtlingen herangezogen werden.7 Der Bericht der ad hoc Kommission zu Art. 2 GFK fasst die Hintergründe der Vertragsverhandlungen wie folgt zusammen:8 „Article 2 states the obligation upon a refugee to comply with laws and regulations of the country in which he is. The Committee fully appreciated that the provision made in the Article was axiomatic and need not be explicitly stated. However, it was considered useful to include such a provision in order to produce a more balanced document as well as for its psychological effect on refugees and/or countries considering admitting refugees. The representative of France proposed a second paragraph to this Article, explicitly permitting Contracting States to restrict the political activity of refugees. The Committee felt that such a provision was too broad, and might be misconstrued as approving limitations on areas of activity of refugees which are in themselves unobjectionable. The Committee also felt that a provision of this kind was unnecessary and that in the absence of a provision to the contrary any sovereign government retained the right it has to regulate any activities on the part of an alien which it considers objectionable. The failure to include such a provision is not to be interpreted as derogating from the power of governments in this respect. In an effort to meet at least in part the view of the representative of France, the phrase ´including measures for the maintenance of public order` was included.” 4 Die Formulierung in Art. 29 AllgMRErkl. diente insoweit auch als Vorbild für Art. 2 GFK (so Lambert, in: Zimmermann (Hrsg.), The 1951 Convention relating to the status of refugees and its 1967 Protocol. A Commentary, Oxford Univ.-Press, 2011, Art. 2 Rdnr. 16). 5 Lambert, in: Zimmermann (Hrsg.), The 1951 Convention relating to the status of refugees and its 1967 Protocol. A Commentary, Oxford Univ.-Press, 2011, Art. 2 Rdnr. 8. 6 Grahl-Madsen, Commentary on the Refugee Convention 1951, Published by the Division of International Protection of the United Nations High Commissioner for Refugees 1997, Art. 2, Rdnr. 7, abrufbar online unter: http://www.unhcr.org/3d4ab5fb9.pdf; The Refugee Convention, 1951. The Traveaux Préparatoires analysed with a commentary by Paul Weis. Art. 2, online verfügbar unter: http://www.unhcr.org/4ca34be29.pdf. 7 Grahl-Madsen, Commentary on the Refugee Convention 1951, Published by the Division of International Protection of the United Nations High Commissioner for Refugees 1997, Art. 2 Rdnr. 8. 8 The Refugee Convention, 1951. The Traveaux Préparatoires analysed with a commentary by Paul Weis. Art. 2 Nr. 2 (Fn. 64), online verfügbar unter: http://www.unhcr.org/4ca34be29.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/18 Seite 6 3. Rechtlicher Gehalt von Art. 2 GFK 3.1. Pflicht zur Beachtung der nationalen Gesetze des Aufnahmestaates Die in Art. 2 GFK formulierte Beachtenspflicht hinsichtlich der nationalen Gesetze des Aufnahmestaates („Gesetzestreuepflicht“) beinhaltet im Grunde (nur) etwas Selbstverständliches. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehört, dass jeder Staat aufgrund seiner völkerrechtlichen Gebietshoheit von den auf seinem Territorium befindlichen Personen Gesetzestreue fordern kann.9 Dies gilt für Inländer oder Flüchtlinge ebenso wie für ausländische Stationierungstruppen oder Diplomaten. Beachtenspflichten hinsichtlich der nationalen Gesetze des Aufenthaltsstaates sind regelmäßig Teil von militärischen Truppenstationierungsverträgen. Art. 2 des NATO-Truppenstatuts (NTS) von 195110 geht in seinem rechtlichen Gehalt über Art. 2 GFK hinaus und lautet: „Eine Truppe und ihr ziviles Gefolge, ihre Mitglieder sowie deren Angehörige haben die Pflicht, das Recht des Aufnahmestaates zu achten und sich jeder mit dem Geiste dieses Abkommens nicht zu vereinbarenden Tätigkeit, insbesondere jeder politischen Tätigkeit im Aufnahmestaat, zu enthalten.“ Der „Gesetzestreuepflicht“ unterliegen – ungeachtet ihrer diplomatischen Immunität – auch Diplomaten. Art. 41 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 bestimmt: „Alle Personen, die Vorrechte und Immunitäten genießen, sind unbeschadet derselben verpflichtet, die Gesetze und anderen Rechtsvorschriften des Empfangsstaats zu beachten. Sie sind ferner verpflichtet, sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen.“ Art. 2 GFK bleibt inhaltlich hinter den Bestimmungen der Wiener Diplomatenkonvention und des NTS zurück und beschränkt sich auf eine reine Gesetzesbeachtungspflicht, an deren Nichtbefolgung sich indes völkerrechtlich keine rechtlichen Konsequenzen knüpfen. Dies bedeutet, dass ein Flüchtling, der gegen das „Beachtungsverbot“ des Art. 2 GFK verstößt, zunächst einmal weder seinen Status als Flüchtling i.S.v. Art. 1 GFK noch die mit diesem Status verbundenen Rechte und Privilegien als Flüchtling (vgl. Art. 12 ff. GFK) einbüßt.11 Für die Möglichkeit der Ausweisung von Flüchtlingen sehen die Artikel 32 und 33 GFK Sonderregelungen vor. Auf die rechtlichen Konsequenzen im nationalen Recht soll weiter unten eingegangen werden (siehe 4.). 9 Grahl-Madsen, Commentary on the Refugee Convention 1951, Published by the Division of International Protection of the United Nations High Commissioner for Refugees 1997, Art. 2 Rdnr. 6. 10 Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen vom 19. Juni 1951 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1963 II S. 745). 11 Grahl-Madsen, Commentary on the Refugee Convention 1951, Published by the Division of International Protection of the United Nations High Commissioner for Refugees 1997, Art. 2 Rdnr. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/18 Seite 7 In der Kommentarliteratur wird Art. 2 GFK aufgrund der fehlenden Sanktionierung als eine „unvollständige Verpflichtung“, teilweise sogar (nur) als „moral rule of general nature“ gesehen .12 Mit Blick auf die nationale Rechtslage könnte man von der Gesetzesbeachtungspflicht in Art. 2 GFK als einer (nur) „deklaratorischen Verpflichtung“ sprechen. 3.2. Begriff der „öffentlichen Ordnung“ im deutschen Recht und in Art. 2 GFK Die „Beachtenspflicht“ aus Art. 2 GFK bezieht sich neben den nationalen Gesetzen und Rechtsvorschriften auch auf „Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ getroffen wurden. Dieser Begriff weckt in der deutschen Rechtsordnung gefahrenabwehrrechtliche Assoziationen mit Blick auf das polizeiliche Schutzgut der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“, wie es in den Polizeigesetzen einiger deutscher Bundesländer als Generalsklausel für polizeiliche Eingriffsmaßnahmen normiert ist. Das BVerfG versteht unter dem Begriff der „öffentlichen Ordnung“ die „Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.“13 Im völkerrechtlichen Kontext, d.h. mit Blick auf den authentischen französischen und englischen Vertragswortlaut der GFK sowie vor dem Hintergrund der Vertragsverhandlungen zur GFK, erhält der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ (frz.: ordre public; engl.: public order) indes eine andere Konnotation, die mit dem gefahrenabwehrrechtlichen Begriffsverständnis in Deutschland nicht übereinstimmt. Grund dafür ist die Tatsache, dass der französische Begriff des „ordre public“ in Art. 2 GFK nicht ganz eindeutig mit dem deutschen Rechtsbegriff der „öffentlichen Ordnung“ übersetzt wird.14 12 Grahl-Madsen, Commentary on the Refugee Convention 1951, Published by the Division of International Protection of the United Nations High Commissioner for Refugees 1997, Art. 2 Rdnr. 3; Lambert, in: Zimmermann (Hrsg.), The 1951 Convention relating to the status of refugees and its 1967 Protocol. A Commentary, Oxford Univ.-Press, 2011, Art. 2 Rdnr. 16 und 29. 13 BVerfGE 69, 315 (352) – Brokdorf-Beschluss, Rdnr. 78. 14 Das völkerrechtlich maßgebliche Verständnis des Begriffs „öffentliche Ordnung“ in Art. 2 GFK speist sich aus dem französischen Terminus „ordre public“ und ist bei der Auslegung des Vertrages (vgl. Art. 31 ff. Wiener Vertragsrechtskonvention ) entsprechend zu beachten. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/18 Seite 8 Gemäß den traveaux préparatoires ist die Formulierung betreffend die „Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ im Nachhinein in den Vertragstext aufgenommen worden, um vor allem der französischen Delegation ein stückweit entgegenzukommen15 – diese war mit ihrem Vorschlag für einen Abs. 2 zu Art. 2 GFK gescheitert, der die politischen Aktivitäten von Flüchtlingen im Aufnahmestaat beschränken sollte (s.o. 1.). Die französische Delegation hatte bei den Vertragsverhandlungen mit Blick auf Art. 2 GFK deutlich gemacht, „that the measures in question related to extremely serious – and, incidentally, rare – cases, came within the category of counter-espionage operations.“16 Nach Auffassung der israelischen Delegation „was the intention to take care of such serious threats to security as were not covered by national criminal codes.“17 Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ in Art. 2 GFK eher in einem notstandsähnlichen Kontext zu erschließen. Nach der Kommentarliteratur zur GFK hat der Begriff des „ordre public“ in Art. 2 GFK dieselbe Bedeutung wie der Begriff der „nationalen Sicherheit“ (engl: „security of the country“) in den Artt. 32 und 33 GFK, welche die Frage der Ausweisung eines Flüchtlings regeln. Danach kann sich ein Flüchtling auf den Schutz vor Ausweisung (refoulement-Verbot) nicht berufen, sofern er „aus schwer wiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit des Landes anzusehen ist, in dem er sich befindet , oder der eine Gefahr für die Allgemeinheit dieses Staates bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder eines besonders schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde.“ Im Rahmen dieser „Sanktionsregelung“ stellt sich dann die Frage, wie gravierend eine Verfehlung des Flüchtlings sein muss und wann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit des Aufnahmestaates vorliegt.18 Im Ergebnis wird man den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ in Art. 2 GFK deutlich enger auslegen als den aus dem deutschen Polizeirecht stammenden Begriff der „öffentlichen Ordnung“. „Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ meint damit – neben den nationalen Gesetzen und Rechtsvorschriften – jene administrativen oder präsidentiellen Maßnahmen ,19 die in einem notstandsähnlichen Kontext zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit getroffen wurden. 15 UN Doc. E/AC.32/5 (E1618) p. 41; Grahl-Madsen, Commentary on the Refugee Convention 1951, Published by the Division of International Protection of the United Nations High Commissioner for Refugees 1997, Art. 2 Rdnr. 7. Vgl. ebenso den Bericht der ad hoc Kommission zu Art. 2 GFK (a.a.O., Fn. 8). 16 UN Doc. A/CONF2/SR.4, S. 9. 17 UN Doc. A/CONF.2/SR.4, S. 12. 18 Vgl. dazu die Kommentierung von Zimmermann/Wennholz, in: Zimmermann (Hrsg.), The 1951 Convention relating to the status of refugees and its 1967 Protocol. A Commentary, Oxford Univ.-Press, 2011, Art. 33 para. 2 Rdnr. 82 ff. 19 Hieran wird deutlich, dass die Formulierung in Art. 2 GFK die französische Rechtswirklichkeit wiederspiegelt. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/18 Seite 9 3.3. Die „öffentliche Ordnung“ als Maßstab für rechtlich gefordertes Verhalten von Flüchtlingen im Aufnahmestaat Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ im „Pflichtenkatalog“ des Art. 2 GFK gibt Anlass zu der Überlegung, ob und inwieweit ein Flüchtling neben der allgemeinen Gesetzestreue auch jene „ungeschriebenen Regeln des menschlichen Zusammenlebens“ im Aufnahmestaat zu beachten hat, welche die Rechtsprechung20 mit dem Begriff der „öffentlichen Ordnung“ traditionell verbindet . Dies führt zu der Frage, ob der Flüchtling neben den Gesetzen auch eine weitergehende, in die außer-rechtliche Sphäre der allgemeinen Moralvorstellungen oder des öffentlichen Anstandes ausgreifende Pflicht zur Anpassung an die vorherrschenden Verhaltensweisen der Mehrheitsbevölkerung im Aufnahmestaat hat. Der aus der preußischen Rechtstradition21 entlehnte Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sieht sich der Kritik ausgesetzt, dass zum einen keine praktikablen Kriterien zur Feststellung herrschender Anschauungen für Behörden und Gerichte bestünden und dass zum anderen die Einführung von verbindlichen Gemeinschaftsgütern und -werten ein politischer Akt sei, der auf dem Weg der parlamentarischen Gesetzgebung unter Beachtung des Bestimmtheitsgebots (Art. 103 Abs. 2 GG) zu erfolgen habe. Zudem verbiete es die rechtsstaatlich gebotene Achtung vor Mindermeinungen, die öffentliche Ordnung auf der Seite der Mehrheit zu suchen. Schließlich werde leicht verkannt, dass es Aufgabe der Gefahrenabwehr- und der Polizeibehörden ist, die vorhandenen Rechtsgüter zu schützen, und dass es nicht deren Aufgabe sei, irgendwelche Vorstellungen von einem bestimmten Gesellschaftsmodell durchsetzen oder die öffentliche Moral in politischer, weltanschaulich -religiöser oder in sexual-ethischer Hinsicht bessern zu wollen.22 In der deutschen Rechtsordnung ist der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ als Rechtsgrundlage für die Steuerung von menschlichem Verhalten und Zusammenleben heutzutage tatsächlich faktisch mehr oder weniger zu vernachlässigen, denn für ihn ist immer dann kein Platz, wenn die Materie bereits normativ geregelt ist. Die Einhaltung von rein gesellschaftlichen Konventionen oder von Moralvorstellungen einer Mehrheitsgesellschaft lässt sich – solange diese nicht rechtlich geregelt sind – staatlicherseits kaum erzwingen. Dies gilt sowohl gegenüber den eigenen Bürgern als auch gegenüber Flüchtlingen . Beide genießen – als Ausdruck der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des 20 Vgl. z. B. BVerfGE 69, 315 = NJW 1985, 2395; BVerwG, NJW 1980, 1640; OVG Nordrh.-Westf., OVGE 12, 112; DVBl. 1957, 867 u. DÖV 1995, 1004; VGH Bad.-Württ., NJW 1984, 507; OVG Rheinl.-Pf., BRS 28 Nr. 29; Bay. VGH, NVwZ 1984, 254. 21 Vgl. § 14 Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz (PrPVG) v. 1.6.1931. 22 Gerhard Hornmann, Hessische Bauordnung (HBO), Kommentar, Beck-online, 2. Aufl. 2011, § 3, Rn. 16. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/18 Seite 10 Grundgesetzes – auch ein Recht zu „unangepasstem“ Verhalten, solange gesetzlich geschützte Rechtsgüter Dritter nicht verletzt werden.23 Ein Flüchtling aus dem arabischen Raum, der – z.B. aus religiösen Gründen – einer Frau zur Begrüßung nicht die Hand schütteln will, mag gesellschaftlich Anstoß erregen und bei der betroffenen Frau ein Gefühl der Herabwürdigung hervorrufen; erzwingen lässt sich ein an die herrschenden Normen des Aufenthaltsstaates angepasstes Verhalten (Stichwort: „Leitkultur“) dagegen kaum. Auch Art. 2 GFK bietet unter Rückgriff auf den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ dazu keine Handhabe. Art. 2 GFK beinhaltet im Ergebnis daher keine irgendwie geartete „Wohlverhaltenspflicht“ des Flüchtlings – ja nicht einmal eine allgemeine Pflicht zu „integrationskooperativem“ Verhalten im Aufnahmestaat, es sei denn, bestimmte integrationsfördernde Maßnahmen sind gesetzlich vorgeschrieben. 4. Nationale Umsetzung von Art. 2 GFK in der Praxis Die „Gesetzestreuepflicht“ aus Art. 2 GFK bedarf, da sie auf völkerrechtlicher Ebene nur eine „deklaratorische Aussage“ enthält und auf nationaler Ebene ohnehin nur die geltende Rechtslage wiederspiegelt, im Grunde keiner „Umsetzung“ ins nationale Recht.24 Die fehlende Sanktionierung von Verstößen gegen die Gesetzestreuepflicht im Rahmen der GFK bedeutet nicht, dass der Aufnahmestaat im Rahmen seiner nationalen Gesetze nicht selbst über die rechtlichen Folgen eines Gesetzesverstoßes von Flüchtlingen entscheiden könnte. Dazu stehen dem Aufnahmestaat die Instrumente des Strafrechts, des Ordnungswidrigkeitenrechts, des Asylrechts sowie des Ausländer- und Aufenthaltsrechts zur Verfügung. 23 Die gesetzlich geregelten Materien (Strafrecht, Verwaltungsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht) sind fast omnipräsent – sie reichen von der sexuellen Selbstbestimmung über nächtliche Ruhezeiten, Immissionsschutz bis hin zu Hausordnungen in öffentlichen Gebäuden oder Transportmitteln. 24 Wenige Staaten, vor allem im afrikanischen Raum, sehen in ihren Rechtsordnungen, die zum Teil von einem pflichtenorientierteren Menschenrechtsverständnis als die europäischen Staaten geprägt sind, Regelungen über „Gastpflichten“ von Flüchtlingen vor (vgl. dazu Lambert, in: Zimmermann (Hrsg.), a.a.O., Art. 2, Rdnr. 32). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 006/18 Seite 11 Hinsichtlich status- bzw. aufenthaltsbeendender Maßnahmen unterliegt der Aufenthaltsstaat indes den (menschenrechtlichen) Einschränkungen des Völker- und Europarechts. Zu beachten ist insbesondere das in Art. 33 GFK25 formulierte und durch die Rechtsprechung des Straßburger Menschenrechtsgerichtshofs zu Art. 3 EMRK ausdifferenzierte „Refoulement-Verbot.“26 In der Staatenpraxis hat Art. 2 GFK bislang kaum eine nennenswerte Rolle gespielt.27 Eine der wenigen Gerichtsentscheidungen, die auf Art. 2 GFK Bezug genommen haben, betraf den Fall einer Ausweisung eines Flüchtlings aufgrund von dessen Verurteilung wegen eines Sexualdelikts . Der Fall wurde vom Österreichischen Verwaltungsgerichtshof (ÖsterrVGH) mit Urteil vom 12. Dezember 1956 entschieden.28 Der ÖsterrVGH differenzierte zwischen den „Gesetzen und Rechtsvorschriften“ – die der Flüchtling gem. Art. 2 GFK beachten muss und gegen die er in diesem Fall verstoßen hat – sowie den „Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung “. Letztere interpretierte der ÖsterrVGH im Lichte des Art. 32 GFK, wonach ein Flüchtling, „der sich rechtmäßig im Gebiet des Aufnahmestaates aufhält, nur aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (engl.: on grounds of national security and public order) ausgewiesen werden darf.“ Der ÖsterrVGH sah die Schwelle des Art. 32 GFK im Ergebnis sehr niedrig an und billigte die Ausweisungsverfügung aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Flüchtlings. *** 25 Art. 33 Abs. 1 GFK lautet: „Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ 26 Vgl. dazu näher Grabenwarter/Pabel, EMRK, München: Beck, 6. Aufl. 2016, § 20, Rdnr. 75 ff. 27 Zu den wenigen Fällen vgl. näher Lambert, in: Zimmermann (Hrsg.), The 1951 Convention relating to the status of refugees and its 1967 Protocol. A Commentary, Oxford Univ.-Press, 2011, Art. 2, Rdnr. 38 ff. 28 Stojanoff gegen Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (Urteil v. 12.12.1956, Az.: 1949/55/2).