© 2019 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 005/19 Die Traditionswürdigkeit Erwin Rommels für die Bundeswehr Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 2 Die Traditionswürdigkeit Erwin Rommels für die Bundeswehr Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 005/19 Abschluss der Arbeit: 22. Februar 2019 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die bisherige Umbenennungspraxis bei Namensgebern mit Wehrmachtbezug 6 3. Erwin Rommel und der Traditionserlass der Bundeswehr 10 4. Fazit 18 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 4 1. Einleitung Am 28. März 2018 hat die Bundesministerin der Verteidigung, Ursula von der Leyen, in Hannover im Rahmen eines Festakts zur Umbenennung der Liegenschaft der „Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr“1 den neuen Traditionserlass der Bundeswehr 2 in Kraft gesetzt. Er war ein wesentliches Ergebnis eines von verschiedenen Ereignissen 2016 in Gang gebrachten Denkprozesses innerhalb der Streitkräfteführung um die Wertebindung der Soldatinnen und Soldaten. In diesem Kontext soll(t)en auch Kasernenbenennungen überprüft werden, insbesondere bei den Fällen, in denen Liegenschaften mit Bezug zu Wehrmachtsangehörigen benannt sind, die nicht im Einklang mit dem heutigen Traditionsverständnis der Bundeswehr stehen könnten. Als Ziel wurde seinerzeit ausgegeben, grundsätzlich zu prüfen, ob die Benennungen der Kasernen sinnstiftend im Sinne des Traditionsverständnisses der Bundeswehr sind, oder ob eine Umbenennung von Kasernen zu erfolgen hat.3 Solche Überprüfungen sind nicht neu. Sie haben seit 1995 bereits zu einer ganzen Reihe von Umbenennungen geführt.4 Auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages haben sich mit diesem Kontext wiederholt beschäftigt.5 Beinahe genauso lange wird dabei um die Traditionswürdigkeit Erwin Rommels gerungen, nach dem aktuell zwei Kasernen benannt sind: die Generalfeldmarschall Rommel-Kaserne im nordrhein-westfälischen Augustdorf und die Rommel-Kaserne im württembergischen Dornstadt. Hier hat sich Bundesverteidigungsministerin Dr. Ursula von der Leyen bereits im Juni 2017 auf dem „Tag der Bundeswehr“ eben in Augustdorf festgelegt, der Name bleibt: 1 Am 28. März 2018 wurde in Hannover die Liegenschaft der Schule für Feldjäger und Stabsdienst der Bundeswehr von Emmich-Cambrai-Kaserne in Hauptfeldwebel-Lagenstein-Kaserne umbenannt. Tobias Lagenstein ist ein im Jahr 2011 in Afghanistan gefallener Soldat der Bundeswehr; https://www.bmvg.de/de/aktuelles/ministerin -benennt-kaserne-in-hannover-um-23320 (letzter Zugriff: 15.1.2019). 2 Die Tradition der Bundeswehr – Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege. Traditionserlass der Bundesministerin der Verteidigung vom 28. März 2018; https://www.bmvg.de/resource /blob/23234/6a93123be919584d48e16c45a5d52c10/20180328-die-tradition-der-bundeswehr-data.pdf (letzter Zugriff: 15.1.2019). 3 BMVg, Überblick und Hintergrund: Kasernen mit neuem Namen; 16.5.2017; https://www.bundeswehr.de/portal /a/bwde/start/streitkraefte/grundlagen/geschichte/tradition/kasernennamen /!ut/p/z1/hU67DoIwFP0WB9beC4iiWx00IQwkmAhd- TIVaMIWSUsHPF8NkIvFs55kDDDJgLR9qyW2tW64mnrPN9RDG59jbeV6crE- Okp5BS9xi5iAiXfwE22bgAipCWAvJpY7u8EUAKDNiDD_xFOm2sEpbw4vMQ8oq3pRKJLugs- RMCk0rf5Om1vfiiBGXEXRhjyNJNcWdv1ewcdHMeRSK2lEqTQjYO_KpXuLWTfSeiab EQ_UENMV2_sSQ3e/dz/d5/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922LP480AG8AA1FJ1005 [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 4 Zur Kritik am Traditionsverständnis der Bundeswehr siehe vor allem Jakob Knab, Falsche Glorie. Das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Berlin 1995, Ralf Giordano, Die Traditionslüge. Vom Kriegerkult in der Bundeswehr . Köln 2000, Detlef Bald/Johannes Klotz/Wolfram Wette, Mythos Wehrmacht. Nachkriegsdebatten und Traditionspflege. Berlin 2001. 5 Sachstand: (Um)Benennung von Bundeswehr-Liegenschaften; WD 2 - 3000 - 169/18, Sachstand: Synopse der Traditionserlasse der Bundeswehr vom 20. September 1982 und vom 28. März 2018; WD 2 - 3000 - 035/18, Sachstand: Zur Umbenennung von Liegenschaften der Bundeswehr; WD 2 - 3000 - 133/15. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 5 „Die Rommel-Kaserne ist so bewusst benannt worden an einem Jahrestag des Widerstands. Das zeigt, dass Rommel seine Rolle im Widerstand auch gehabt hat.“6 Der Bezug zum Widerstand gegen Hitler und im Nationalsozialismus ist nämlich die Legitimation für Wehrmachtangehörige, trotz ihrer Dienste für das „Dritte Reich“ als traditionswürdig bewertet werden zu können. In ihrem Tagesbefehl zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege vom 28. März 2018, mit dem sie den neuen Traditionserlass in Kraft setzte, hat Von der Leyen dies unterstrichen: „Erstens wollten wir die deutsche Militärgeschichte in ihrer ganzen Breite in den Blick nehmen , aus ihr schöpfen, bewerten, was daraus für uns heute vorbildlich und sinnstiftend ist. Denn natürlich gab es zu allen Zeiten herausragende soldatische Persönlichkeiten, außergewöhnliches soldatisches Handeln. Militärische Exzellenz allein genügt jedoch nicht. Sie mag als praktisches Beispiel für Lehre und Ausbildung dienen. Tradition ist aber mehr. […] Sinnund traditionsstiftend für unsere Bundeswehr, die freiheitlichen und demokratischen Zielsetzungen verpflichtet ist, kann […] nur ein soldatisches Selbstverständnis sein, das auf dem Wertefundament unseres Grundgesetzes ruht. Praktisch bedeutet dieser Wertebezug, dass etwa die Wehrmacht als Institution grundsätzlich nicht zu unserem Traditionskanon gehören kann, weil sie das Werkzeug eines verbrecherischen Regimes war. […] Gleichwohl können aber einzelne Angehörige […] durchaus traditionswürdige Vorbilder für die Soldatinnen und Soldaten der modernen Bundeswehr sein. Es kommt auf die einzelne Person an, und wir müssen immer sorgfältig abwägen. Dabei stellt sich auch die Frage nach persönlicher Schuld. Die Aufnahme in unser Traditionsgut erfordert in solchen Fällen zudem eine Leistung, die vorbildlich und sinnstiftend in die heutige Bundeswehr wirkt. Etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“7 Damit hat die Verteidigungsministerin die entsprechenden Aussagen im Traditionserlass erläutert . Dort heißt es: „Die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr ist dagegen grundsätzlich möglich. Voraussetzung dafür ist immer eine eingehende Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen. Dieses Abwägen muss die Frage persönlicher Schuld berücksichtigen und eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“8 6 Zitiert nach Von der Leyen, Rommel-Kaserne soll Namen behalten, in: Frankfurter Rundschau, 10.6.2017; http://www.fr.de/politik/bundeswehr-von-der-leyen-rommel-kaserne-soll-namen-behalten-a-1294496 [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 7 Tagesbefehl der Bundesministerin der Verteidigung zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege, 28.3.2018; https://www.bmvg.de/de/aktuelles/tagesbefehl-zum-traditionsverstaendnis-und-zur-traditionspflege- 23258 [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 8 Die Tradition der Bundeswehr [wie Anm. 2], S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 6 Im Folgenden wird daher den Fragen nachgegangen, inwieweit Eindeutigkeit in der historischen Bewertung von Personen eine Rolle im geltenden Verfahren zur Benennung von Bundeswehr-Liegenschaften spielt, und inwieweit Generalfeldmarschall Erwin Rommel als traditionsstiftend für die Bundeswehr im Sinne des neuen Traditionserlasses vom März 2018 gesehen werden kann. 2. Die bisherige Umbenennungspraxis bei Namensgebern mit Wehrmachtbezug Nach dem geltenden Traditionserlass für die Bundeswehr ist Namensgebung von Liegenschaften der Streitkräfte ein veritabler Bestandteil der Tradition: „Das Benennen von Liegenschaften, Kasernen und Verbänden/Dienststellen stärkt die Identifikation und ist Teil der Traditionspflege der Bundeswehr.“9 Seit 1995 wurden in diesem Zusammenhang wiederholt Kasernen umbenannt. Nicht immer, aber in der Mehrheit handelte es sich dabei um Namensgeber aus der Wehrmacht. Den Auftakt der Umbenennungen machte 1995 die einstige Dietl-Kaserne im bayerischen Füssen in Allgäuund die General-Kübler-Kaserne in Mittenwald in Karwendel-Kaserne. Es folgten die Rüdel-Kaserne in Rendsburg in Feldwebel-Schmid-Kaserne (2000)10, Mölders-Kaserne in Visselhövede in Kaserne Lehnsheide (2005), General-Konrad-Kaserne in Bad Reichenhall in Hochstaufen-Kaserne (2012), Medem-Kaserne in Holzminden in Pionier-Kaserne am Solling (2013), General-Hüttner-Kaserne in Hof in Oberfranken-Kaserne (2013), Generaloberst-von-Fritsch-Kaserne in Pfullendorf in Staufer-Kaserne (2013), General-Hans-Graf-von-Sponeck-Kaserne in Germersheim in Südpfalz-Kaserne (2015), General-Fahnert-Kaserne in Karlsruhe in Kirchfeld-Kaserne (2016) und die 9 Die Tradition der Bundeswehr [wie Anm. 2], S. 11. 10 Der Wehrmacht-Generaloberst Günther Rüdel war im August 1944 zum ehrenamtlichen Richter am Volksgerichtshof ernannt worden. Im Jahr 2000 wurde durch den damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Umbenennung der 1964 nach ihm benannten Heeresflugabwehrschule in Feldwebel-Schmid-Kaserne durchgesetzt . Nachdem 2002 bekannt wurde, dass Rüdel nur an einer einzigen Sitzung teilgenommen hatte, in welcher er persönlich auch noch den Freispruch des Angeklagten durchsetzte, stimmte der damalige Verteidigungsminister Dr. Peter Struck einer Rehabilitierung zu. Daraufhin wurde ein Saal in der Feldwebel-Schmid-Kaserne mit seinem Namen ausgezeichnet. Siehe http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Personenregister /R/RuedelGuenther.htm (letzter Zugriff: 18.1.2019). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 7 General-Thomsen-Kaserne in Stadum in Südtondern Kaserne (2017)11. Um Generale aus dem Ersten Weltkrieg handelte es sich im Falle der Umbenennungen der Lettow-Vorbeck-Kaserne in Leer in Evenburg-Kaserne (2010), Gallwitz-Kaserne in Aachen in Dr. Leo Löwenstein-Kaserne (2013), General-Delius-Kaserne in Mayen in Oberst-Hauschild-Kaserne (2015) und der Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover in Hauptfeldwebel-Tobias-Lagenstein-Kaserne (2018). Die Würdigung des neuen Namensgebers stand im Vordergrund der Umbenennungen bei der Frankenstein-Kaserne in Pfungstadt in Major-Karl-Plagge-Kaserne (2008), Albertstadt-Kaserne in Dresden in Graf-Stauffenberg-Kaserne (2013) sowie der Harz-Kaserne in Blankenburg in Feldwebel-Anton-Schmid-Kaserne (2016). Derzeit noch in der Diskussion stehen die Hindenburg-Kaserne in Munster, Peter-Bamm-Kaserne in Munster, Schulz-Lutz-Kaserne in Munster, Lent-Kaserne in Rotenburg/Wümme, Marseille-Kaserne in Appen und die Feldwebel-Lilienthal-Kaserne in Delmenhorst. Zur Umbenennung der Kasernen in Munster äußerte der Standortälteste vor Ort, Brigadegeneral Olaf Rohde, die Hindenburg-Kaserne würde „nach derzeitiger Entscheidungslage“ ihren Namen ebenso behalten wie die Peter-Bamm-Kaserne, die nach Adelbert Schulz benannte Schulz-Lutz- Kaserne hingegen in Oertzetal-Kaserne umbenannt.12 Demgegenüber wurde die Umbenennung in Hagenow zwar diskutiert. Trotz des Bewusstseins, dass man den namensgebenden Ernst Moritz Arndt wegen seiner antisemitischen und franzosenfeindlichen Aussagen äußerst kritisch sehen muss, wurde als entscheidend bewertet, dass er 11 Die Kaserne in Stadum war am 8. Oktober 1966 nach General Hermann von der Lieth-Thomsen benannt worden , der als Mitbegründer der deutschen Luftstreitkräfte gilt und in der Wehrmacht zum General der Flieger avancierte. Diese Tatsachen standen laut dem Kommandeur vor Ort, Fregattenkapitän Dr. Kassian Meesenburg, nicht im Vordergrund für die neue Bezeichnung Südtondern-Kaserne: „Das hat nichts mit der Geringschätzung von General Thomsen zu tun. Sein Bezug zur Luftwaffe ist unseren Soldaten aber fremd. Wir wollen uns solidarisch mit unserer Heimat Südtondern zeigen“. Zitiert nach Dorte Arendt, Neuer Name mit Heimatbezug, in: Nordfriesland Tageblatt, 16.7.2017; https://www.shz.de/lokales/nordfriesland-tageblatt/neuer-name-mit-heimatbezug -id17320046.html [letzter Zugriff: 17.1.2019]. 12 Zitiert nach Thomas Tschörner, Komplette Panzerlehrbrigade 9 übt im Herbst in Norwegen, in: Hannoversche Allgemeine, 1.2.2018; http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Niedersachsen/Panzerlehrbrigade-9-uebt-in-Norwegen -Bundeswehr-baut-Standort-Munster-aus [letzter Zugriff: 17.1.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 8 „[a]ls Freiheitskämpfer und Kind des Landes […] aber gleichwohl viele positive Anknüpfungspunkte und Identifikationsmöglichkeiten [bietet]“, so der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Dr. Peter Tauber, am 2. August 2018 in der Wochenzeitung „Die Zeit“.13 Ein Umbenennungsantrag wurde nicht gestellt, das BMVg sieht daher offenbar keinen Handlungsbedarf.14 Im Falle der Lent-Kaserne bestätigte der Kommandeur vor Ort Anfang September 2018, dass sie einen neuen Namen erhalten würde. Damit scheint eine jahrelange Auseinandersetzung abgeschlossen , während der sich sowohl die Kommune als auch die Bundeswehrangehörigen in Rotenburg für den Erhalt des Namens ausgesprochen hatten.15 Die Verteidigungsministerin hatte sich dagegen schon am 16. Mai 2017 während des Parlamentarischen Abends des Reservistenverbandes im Falle Hermann Lent wie auch beim Namensgeber der Kaserne in Appen, Hans- Joachim Marseille, deutlich positioniert: 16 „Beide Namensgeber sind nicht mehr sinnstiftend für die heutige Bundeswehr. Sie gehören zu einer Zeit, die für uns nicht Vorbild-gebend sein kann. Denn Tradition, meine Damen und Herren, ist immer eine bewusste Auswahl aus der Geschichte, bewusst wählt man ein Ereignis oder eine Person und stellt sie in den Raum. Das ist Tradition.“ Diese an sich selbstverständliche Feststellung war der Ministerin angesichts der vorher bekannt gewordenen Vorfälle in der Bundeswehr, namentlich nannte sie das Jägerbataillon 291 im elsässischen Illkirch, wichtig, die unter anderem die Neufassung des Traditionserlasses der Bundeswehr anregten, wie oben beschrieben. 13 Peter Tauber, Warum nicht eine Friederike Krüger-Kaserne?, in: Die Zeit Nr. 32/2018 vom 2.8.2018; https://www.zeit.de/2018/32/bundeswehr-frauen-ehrung-soldatinnen [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 14 Deutscher Bundestag, Drucksache 19/3819 vom 15.8.2018: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der AfD, Drucksache 19/3559; http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/038/1903819.pdf [letzter Zugriff: 18.1.2019]. 15 Zitiert nach Rotenburger Lent-Kaserne bekommt neuen Namen, in: NDR, 3.9.2018; https://www.ndr.de/nachrichten /niedersachsen/lueneburg_heide_unterelbe/Rotenburger-Lent-Kaserne-bekommt-neuen-Namen,rotenburg 258.html [letzter Zugriff: 17.1.2019]. 16 Zitiert nach Johannes Kulms, Umstrittene Umbenennung der Marseille-Kaserne, in: Deutschlandfunk Kultur, 6.6.2017; https://www.deutschlandfunkkultur.de/schleswig-holstein-umstrittene-umbenennung-der-marseille .1001.de.html?dram:article_id=387653 [letzter Zugriff: 17.1.2019]. Zum einem Mitschnitt der Rede siehe Thomas Wiegold, Tradition in der Bundeswehr: Leyen will „Null-Linie“ (m. Audio), in: augengeradeaus, 16.5.2017; https://augengeradeaus.net/2017/05/tradition-in-der-bundeswehrvon -der-leyen-will-nulllinie/#more-27353 [letzter Zugriff: 17.1.2019], wie auch zum Folgenden. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 9 Die Notwendigkeit gesetzter Vorgaben für die Tradition belegt der Umgang mit ihr in der bisherigen Geschichte der Bundeswehr17 ebenso wie die soziologische Sichtweise, dass militärische Traditionen das kulturelle und historische Erbe der Streitkräfte bewahren und ihren Soldatinnen und Soldaten dadurch handlungsleitende Vorstellungen vermitteln sollen. Damit ist die gelebte Tradition aus der militärsoziologischen Perspektive als „Ausdruck der eigenen Identität, also nicht nur Teil der historischen, sondern mehr noch der politischen und gesellschaftlichen Verortung des Militärs“ ein „Feld der Selbstverständigung“. Sie wirkt gleichzeitig in die Streitkräfte und in die sie umgebende Gesellschaft hinein, indem sie ein möglichst scharf umrissenes Selbstbild kommuniziert.18 Umso eindeutiger muss die Begründung sein, wenn sich die Bundeswehr an Wehrmachtsoldaten orientiert. Die „Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr “ ist dabei nach Aussage der Bundesregierung „grundsätzlich möglich“, doch „Voraussetzung dafür ist immer eine sorgfältige Einzelfallbetrachtung und Abwägung, die die Frage persönlicher Schuld einschließt sowie eine Leistung zur Bedingung macht, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“19 Auf das „Prinzip der Einzelfallbetrachtung und Abwägung“ rekurriert die Bundesregierung auch im Falle von Wehrmachtssoldaten, wenn diese sich dem „Nationalkomitee Freies Deutschland“, dem „Bund deutscher Offiziere“ oder Partisanenverbänden angeschlossen hatten.20 Und auch im Falle der (Mit)Organisatoren der Meutereien der deutschen Hochseeflotte 1917, Albin Köbis und 17 Siehe hierzu grundlegend Donald Abenheim, Bundeswehr und Tradition. Die Suche nach dem gültigen Erbe des deutschen Soldaten. München 1989 und Loretana de Libero, Tradition in Zeiten der Transformation. Zum Traditionsverständnis der Bundeswehr im frühen 21. Jahrhundert. Paderborn u.a. 2006, Hans-Adolf Jacobsen, Wehrmacht und Bundeswehr – Anmerkungen zu einem umstrittenen Thema soldatischer Traditionspflege, in: Die Wehrmacht. Mythos und Realität. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann . München 1999, S. 1184-1191, Eberhard Birk/Winfried Heinemann/Sven Lange, Tradition für die Bundeswehr . Neue Aspekte einer alten Debatte. Berlin 2012, John Zimmermann, Zwischen Reformern und Traditionalisten ? Aushandlungsprozesse zum Traditionsverständnis in der Bundeswehr, in: Sonderfall Bundeswehr? Streitkräfte in nationalen Perspektiven und im internationalen Vergleich. Im Auftrag des ZMSBw hrsg. von Heiner Möllers und Rudolf J. Schlaffer, Berlin 2014 (Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 12), S. 295-310, und Ders., Vom Umgang mit der Vergangenheit – Zur historischen Bildung und Traditionspflege in der Bundeswehr, in: Die Bundeswehr 1955 bis 2005. Rückblenden – Einsichten – Perspektiven . Im Auftrag des MGFA hrsg. von Frank Nägler, München 2007 (Sicherheitspolitik und Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, 7), S. 115-129. 18 Heiko Biehl, Die Tradition der Bundeswehr, in: Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier Verteidigungspolitik , 29.6.2018; http://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutsche-verteidigungspolitik/199275/tradition [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 19 Deutscher Bundestag, Drucksache 19/379 vom 8.1.2018: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 19/312 S. 7; http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/003/1900379.pdf [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 20 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 10 Max Reichpietsch, beides Namenspatronen Berliner Straßen, verwies sie dezidiert auf den zu beachtenden Kontext der handelnden Personen: „Der derzeitige Forschungsstand lässt jedoch nicht erkennen, dass sich Albin Köbis und Max Reichpietsch bei ihrem Handeln durch Maximen haben leiten lassen, die der freiheitlichen und demokratischen Wertebindung der Bundeswehr entsprechen.“21 Dieser Hinweis unterstreicht, dass die Eindeutigkeit in der historischen Bewertung von Personen stets die entscheidende Rolle im geltenden Verfahren zur Benennung von Bundeswehr-Liegenschaften spielte und gegebenenfalls dann Korrekturen, also Umbenennungen vorgenommen wurden . Im Falle von Wehrmachtssoldaten waren dabei regelmäßig drei Fragen für die Namensgebung entscheidend: Kann eine persönliche Beteiligung an (Kriegs)Verbrechen ausgeschlossen werden? Handelt es sich um eine beispielhafte militärische Leistung? Liegt eine Handlung vor, die beispielgebend und sinnstiftend in die Gegenwart hineinwirkt , wie insbesondere die Beteiligung am militärischen Widerstand? Entlang dieser Fragestellungen ist im Folgenden die Person Erwin Rommel zu überprüfen. 3. Erwin Rommel und der Traditionserlass der Bundeswehr Den neuerlichen Diskurs über Erwin Rommel hat ein Tweet des Parlamentarischen Staatssekretärs im BMVg, Dr. Peter Tauber, befeuert, der 14.10.2018 twitterte: „Heute vor 74 Jahren starb Erwin Rommel, von den Nazis zum Selbstmord gezwungen.“ Daran entzündete sich rege Kritik aus Politik, Medien und Teilen der öffentlichen Meinung.22 Bei Erwin Rommel dürfte es sich wohl um das populärste Beispiel eines Wehrmachtsoldaten handeln , der bis heute höchst umstritten bewertet wird, auch was seine Traditionswürdigkeit für die Bundeswehr angeht. Diejenigen, die solches befürworten, sehen in Rommel einen herausragenden Armeeführer, der sich außerdem im Laufe der Zeit in die Opposition zum nationalsozialistischen System begeben und als einer der Wenigen Befehle Hitlers wiederholt nicht befolgt hätte. Dafür habe er letztendlich mit seinem Leben gezahlt. Für die Gegner seiner Traditionswürdigkeit 21 Ebd., S. 6. 22 Siehe z.B. Zum Selbstmord gezwungen. Peter Tauber provoziert mit Tweet zu Hitlers „Lieblingsgeneral“ – und kassiert heftigen Gegenwind, in: Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA), 17.10.2018; https://www.hna.de/politik/peter-tauber-provoziert-mit-tweet-zu-lieblingsgeneral-von-adolf-hitler-zr- 10335921.html [letzter Zugriff: 15.1.2019] oder Rommel und das Traditionsverständnis der Bundeswehr. Konferenz der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte der KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), 17.11.2018; https://www.dfg-vk.de/unsere-themen/theorie-undpraxis /konferenz-rommel-und-das-traditionsverstaendnis-der-bundeswehr [letzter Zugriff: 15.1.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 11 ist Rommel ein Profiteur des „Dritten Reiches“ gewesen, der durch seine Nähe zum „Führer“ nicht nur militärisch Karriere gemacht habe, sondern sich auch bewusst propagandistisch zum „Helden“ und Vorbild des nationalsozialistischen Deutschland habe stilisieren lassen. Seine Selbsttötung sei in erster Linie zum Schutz seiner Familie vor der berüchtigten Sippenhaft erfolgt .23 Was Rommels militärische Führungskünste betrifft, werden auch sie zwar unterschiedlich beurteilt, insgesamt aber immerhin anerkannt. Ebenso wenig wird bestritten, dass Rommel im „Dritten Reich“ zu den Profiteuren zählte und sich von der nationalsozialistischen Propaganda willig instrumentalisieren ließ.24 Uneindeutig wird seine Rolle im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen beurteilt: Manchem reicht bereits seine Beteiligung am deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieg, andere wiederum sehen seine Verantwortung differenzierter.25 Unstrittig ist, dass Rommel tatsächlich einige Befehle Hitlers ignorierte oder ihnen zuwider handelte, zweifelsfrei hat Rommel allerdings auch 1943 nach dem Frontenwechsel des vormaligen Verbündeten Italien zu Verbrechen an italienischen Soldaten aufgerufen:26 „Irgendwelche sentimentalen Hemmungen des deutschen Soldaten gegenüber badogliohörigen 27 Banden in der Uniform des ehemaligen Waffenkameraden sind völlig unangebracht. Wer von diesen gegen den deutschen Soldaten kämpft, hat jedes Anrecht auf Schonung verloren 23 Die wesentlichen Arbeiten zu Rommel sind Peter Steinbach, Erwin Rommel. Ein deutscher Soldat. Stuttgart 2012, Ralf Georg Reuth, Erwin Rommel. Das Ende einer Legende. München 2012, Ders., Erwin Rommel. Des Führers General. München 1987, Maurice Philip Remy, Mythos Rommel. München 2002, David Fraser, Rommel . Die Biographie. Berlin 1995. Hinsichtlich seiner militärischen Fähigkeiten zuletzt kritisch Bastian Matteo Scianna, Rommel Almighty? Italian Assessements of the „Desert Fox“ during and after the Second World War, in: The Journal of Military History 1/2018, S. 125-145. 24 Günter Riederer, Hitlers Krieger im Wüstensand. Zur medialen Konstruktion des militärischen Mythos Rommel, in: Fabio Crivellari u. a. (Hg.), Die Medien der Geschichte - Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive . Konstanz 2004, S. 569-588, und Reuth, Erwin Rommel. Des Führers General [wie Anm. 23], S. 74-109, sowie Ders., Erwin Rommel. Die Propagandaschöpfung, in: Ronald Smelser/Enrico Syring (Hg.), Die Militärelite des Dritten Reiches. 27 biographische Skizzen. Berlin 1997, S. 460-475, hier S. 471. 25 Siehe z.B. Wolfgang Proske, Zwei Rollen für Erwin Rommel beim Aufmarsch der Wehrmacht in Libyen und Ägypten, 1941-1943, in: Ders. (Hg.), Täter, Helfer, Trittbrettfahrer. NS-Belastete in Baden-Württemberg, Band 3: NS-Belastete aus dem östlichen Württemberg. Gerstetten 2014, S. 153-175. 26 Götz Aly, Montgomery statt Rommel!, in: Berliner Zeitung, 29.10.2012; https://www.berliner-zeitung.de/kolumne -montgomery-statt-rommel--5555862 [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 27 Der italienische Marschall Pietro Badoglio führte nach dem Putsch gegen Diktator Benito Mussolini die erste postfaschistische Regierung Italiens an. Sie vollzog den Frontenwechsel seines Landes auf die Seite der Anti- Hitler-Koalition und erklärte im Oktober 1943 dem Deutschen Reich den Krieg. Siehe Hans Woller, Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948. München u. a. 1996 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte , 38). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 12 und ist mit der Härte zu behandeln, die dem Gesindel gebührt, das plötzlich seine Waffen gegen seinen Freund wendet. Diese Auffassung muss beschleunigt Allgemeingut aller deutschen Truppen werden.“28 Seine Erfolge in Nordafrika sorgten außerdem dafür, dass auch diese Gebiete in den Holocaust mit einbezogen werden konnten und angesichts der weitergesteckten operativen Ziele des Afrikafeldzuges bereits Palästina in den Blick genommen wurde.29 Denjenigen, die ihn bis heute wenigstens überwiegend positiv dargestellt sehen wollen, gilt seine vermeintliche Nähe zum Widerstand rund um den 20. Juli 1944 als letztlich entscheidender Faktor, auch wenn einige dabei einräumen, dass Rommels „.Rolle im Widerstand gegen das NS- Regime aber umstritten bleibt“.30 Hingegen wird Rommel inzwischen selbst in populärwissenschaftlichen historischen Zeitschriften mitunter kritisch bewertet – fachlich wie hinsichtlich seiner Vorbildfunktion: „Ein Vorbild für Bundeswehrsoldaten kann Rommel aber nicht sein. Höchstens ein warnendes Beispiel: Wie so viele Deutsche folgte er Hitler und glaubte dabei, seine Pflicht zu tun. Dieser Weg führte auch ihn geradewegs ins Verderben.“31 Auch Peter Steinbach, Wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, meint, Rommel habe „nur Soldat sein wollen“ und hätte über die politischen, moralischen , menschlichen und rassenideologischen Dimensionen der Befehle, die er ausführte, nie nachgedacht: 28 Zitiert nach Angelika Dörfler-Dierken, Harte Soldaten? Replik auf Uwe Hartmanns Forderung: Die Bundeswehr braucht Erziehung zu Disziplin, Härte und Gehorsam, in: Jahrbuch Innere Führung 2010: Die Grenzen des Militärischen . Hrsg. von Helmut R. Hammerich, Uwe Hartmann und Claus von Rosen, Berlin 2010, S. 240-280, hier S. 255. 29 Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, „Beseitigung der jüdisch-nationalen Heimstätte in Palästina“. Das Einsatzkommando bei der Panzerarmee Afrika 1942, in: Klaus-Michael Mallmann/Jürgen Matthäus (Hg.), Deutsche , Juden, Völkermord. Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2006, S. 153-176. 30 Siehe zuletzt beispielsweise Rudolf J. Schlaffer, Die eigene Geschichte im Blick, in: Das Parlament Nr. 34-35, 20.8.2018; https://www.das-parlament.de/2018/34_35/themenausgaben/-/566788 [letzter Zugriff: 15.1.2019]. Zur dezidierten Zuordnung Rommels zum Widerstand siehe vor allem Hans Speidel, Invasion 1944. Ein Beitrag zu Rommels und des Reiches Schicksal. Stuttgart 1949, Desmond Young, Rommel, der Wüstenfuchs. München 1997 sowie aus der Perspektive des Sohnes Manfred Rommel, 1944 - Das Jahr der Entscheidung: Erwin Rommel in Frankreich. Stuttgart 2010. 31 Christoph Driessen, Rommel. Ein deutscher Held?, in: G-Geschichte. Menschen-Ereignisse-Epochen 8/2018, S. 16-19, hier S. 19; https://mkh11.xyz/web/media/gg-4478-470205787.pdf [letzter Zugriff: 31.1.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 13 „Und das unterscheidet ihn von vielen Regimegegnern, die gerade in der Auseinandersetzung mit der Realität des Dritten Reichs ihre Anti-Position zu Hitler festigten.“32 Noch weiter geht der britische Historiker Richard Overy, der als einer der international besten Kenner des Zweiten Weltkrieges gilt: Für ihn ist es sehr umstritten, ob Rommel Teil des militärischen Widerstands gewesen sei: „Es gab […] Soldaten […], die spätestens 1944 dachten, dass Hitler Deutschlands Zukunft aufs Spiel setze.“ Diese hätten nichts dagegen gehabt, wenn irgendetwas passiere, seien aber nicht selbst bereit gewesen zu handeln. Hier ordnet er auch Rommel ein.33 Darin stimmt ihm sein deutscher Kollege Ernst Piper zu, für den Rommel „ein Grenzfall“ sei, der „sich in der großen Grauzone zwischen NS-Verbrechern und Widerstandskämpfern [bewegt ]“. Konkret auf den entsprechenden Passus im Traditionserlass angesprochen, stellte er fest: „Darunter würde Rommel sicherlich nicht fallen. […] Mit dem Widerstand hatte er fast nichts zu tun. Möglicherweise ist sein Name sogar auf Listen gelangt, ohne dass er dies wusste. Denkbar ist, dass die Widerstandskämpfer in ihm eine Person gesehen haben, mit der man nach einem geglückten Attentat auf Hitler ein neues Staatswesen hätte aufbauen können.“34 Während sich also auch Piper sicher ist, dass Rommel nicht zum Widerstand gehörte, glaubt Peter Lieb vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, jener sei „sicherlich keine zentrale Persönlichkeit des 20. Juli“ gewesen, doch zeige „eine Vielzahl von teils neuen Indizien, dass er der Verschwörung deutlich näher stand, als in letzter Zeit angenommen wurde“. Seiner Ansicht nach könne man Rommel angesichts seiner erzwungenen Selbsttötung „zweifelsohne“ sogar als Opfer der Nazis sehen.35 Letzteres hat sich auch in der Erklärung des Kasernennamens niedergeschlagen: „An den Attentatsplänen auf Hitler beteiligt sich der Offizier nicht. Er plant, mit den westlichen Gegnern einen Waffenstillstand zu vereinbaren. […] Dennoch wird Rommel in die Ereignisse und Folgen des 20. Juli 1944 verstrickt. Hitler zwingt ihn deshalb am 14. Oktober 1944 32 Zitiert nach Patrick Gensing, Rommel mit Widerstand verbunden?, in: ARD-Tagesschau-Faktenfinder, 17.10.2018; http://faktenfinder.tagesschau.de/inland/tauber-rommel-101.html [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 33 Zitiert nach Ebd. 34 Zitiert nach Florian Quanz, Historiker Ernst Piper warnt vor neuen Debatte um Erwin Rommel, in: Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA), 19.10.2018; https://www.hna.de/politik/historiker-ernst-piper-warnt-vorneuer -debatte-um-erwin-rommel-10342170.html [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 35 Peter Lieb, Erwin Rommel. Widerstandskämpfer oder Nationalsozialist, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VfZG) 3/2013, S. 303-343, S. 342; https://www.degruyter.com/view/j/vfzg.2013.61.issue- 3/vfzg.2013.0015/vfzg.2013.0015.xml [letzter Zugriff: 15.1.2019]. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 14 zum Selbstmord. Der erzwungene Freitod mit Giftkapseln bewahrt Rommels Familie vor der Verurteilung durch den Volksgerichtshof und vor der Sippenhaft.“36 So nimmt es nicht Wunder, dass die Meinungsbildungsprozesse jeweils vor Ort der beiden Rommel-Kasernen in Augustdorf und Dornstadt ergeben haben, die Liegenschaften nicht umzubenennen.37 Zumal sich auch das BMVg dieser Lesart angeschlossen zu haben scheint: Ein Sprecher aus dem Verteidigungsministerium wurde in einer dpa-Meldung vom 7. Mai 2018 damit zitiert, dass Erwin Rommel auch nach den Vorgaben des überarbeiteten Traditionserlasses für die Bundeswehr unverändert als traditionsstiftend gelte. In der Erklärung dazu hieß es: „Im sogenannten Afrikafeldzug war ‚Wüstenfuchs‘ Rommel seit 1940 nach anfänglichen Erfolgen gegen britische Truppen von Propagandaminister Joseph Goebbels zum Vorbild für deutsche Soldaten und zum unbesiegbaren Kriegsherren hochstilisiert worden. Kurz vor der absehbaren Niederlage in Afrika wurde Rommel zurückbeordert - nach Ansicht von Historikern, weil das Regime seinen Mythos weiter für die Kriegspropaganda nutzen wollte. Später sympathisierte Rommel mit dem militärischen Widerstand und wurde deshalb auf Weisung Hitlers 1944 zum Suizid getrieben.“38 Diese Aussage ist grundsätzlich zwar nicht falsch, aus wissenschaftlicher Sicht allerdings sehr verkürzt: Weder thematisiert sie, dass Rommel sich nicht nur sehr willig propagandistisch instrumentalisieren ließ, sondern sich selbst daran tatkräftig beteiligte, indem er über einen Kameramann in seiner Nähe mitunter selbst für die ihm wesentlichen Bilder sorgte und manche Szene wohl hat nachdrehen lassen. Ob bloßes „Sympathisieren“ indes schon als Beteiligung am Widerstand gewertet werden muss, steht außerdem zu fragen. Im Ergebnis folgt daraus jedenfalls für das BMVg: „Trotz seiner Eigenschaft als Funktionsträger des NS-Regimes hat er wiederholt verbrecherische Befehle missachtet. Aufgrund dessen sowie seiner Nähe zum militärischen Widerstand gegen Hitler erfüllt er die Voraussetzungen für eine Namensgebung von Liegenschaften der Bundeswehr.“39 Möglicherweise orientiert man sich dabei wissenschaftlich an der Bewertung von Peter Lieb: „Gewiss, Rommel schloss sich dem Widerstand sehr spät an. Er spielte bei den operativen Vorbereitungen des Attentats auf Hitler keine Rolle, und man weiß auch nicht, welche Position 36 Joachim Lenk, Erwin Rommel; http://www.rommel-kaserne.de/html/erwin_rommel.html [letzter Zugriff: 16.1.2019]. Siehe zur Standortgeschichte Dornstadts Ders., Leos, Logistiker und Luftfahrzeuge. Münsingen 2011. 37 Deutscher Bundestag, Drucksache 18/13284 vom 9.8.2017: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 18/13172, S. 5; http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/132/1813284.pdf [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 38 Rommel für Bundeswehr unverändert traditionsstiftend, in: Deutscher Bundeswehrverband (DBwV), 7.5.2018; https://www.dbwv.de/aktuelle-themen/newsbeitrag/news/rommel-fuer-bundeswehr-unveraendert-traditionsstiftend / [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 39 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 15 ihm nach einem erfolgreichen Staatsstreich zugedacht war. Der Generalfeldmarschall ist somit keinesfalls dem engsten Kreis der Männer des 20. Juli zuzurechnen. Gleichzeitig war er aber doch mehr als nur ein reiner Sympathisant und bezahlte dafür mit seinem Leben. Man muss ihm also einen festen Platz im militärischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus zugestehen – und zwar in stärkerem Maße, als dies in der Geschichtswissenschaft und in der Öffentlichkeit in letzter Zeit der Fall war.“40 Die neueste Untersuchung zum Netzwerk rund um den 20. Juli bestätigt dieses Ergebnis allerdings nicht: In ihrer Dissertation hat Linda von Keyserlingk-Rehbein die Ermittlungserkenntnisse des NS-Regimes nach dem Attentats- und Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 akribisch aufgearbeitet .41 Sie ordnet Rommel als „Mitwisser“ ein, ohne weitere Aussagen zu machen, worin dieses Wissen genau bestand.42 Über seine Unzuverlässigkeit waren sich jedenfalls selbst die Verschwörer sicher: Im Juni 1943 hielt man seine tatsächliche Einbeziehung für „hoffnungslos. Kein Geist, keine Erkenntnis.“43 So bleibt Rommels Haltung zum Widerstand diffus: Er wusste, dass es ihn gab, verriet darüber nichts, stellte sich ihm aber weder zur Verfügung noch handelte er aktiv in dessen Sinne. So bleibt der Forschungsstand unverändert der, dass Rommel möglicherweise über das Attentat informiert worden war und diese Erkenntnis nicht verraten hat.44 Diese These bildet aber schon die am weitesten reichende mögliche Beteiligung Rommels am Widerstand ab, weitergehende Aktivitäten konnten bislang nicht nachgewiesen werden. Dass er vom NS-Regime zum Suizid gezwungen wurde, lag Keyserlingk-Rehbein nach an der dort ausgegebenen Leitlinie, beim 20. Juli habe es sich um eine Verschwörung einer „ganz kleinen Clique“ gehandelt. An Volksgerichtshofprozessen gegen Prominente war man deswegen nicht interessiert.45 Außerdem hatte Rommel „[w]egen seiner steilen Karriere, seiner Popularität und vor allem aufgrund der Gunst, die er bei Hitler genoss, […] viele Feinde in der Wehrmacht“.46 Insofern ist Rommels offenbar bis heute andauernde Popularität mehr dem Mythos um seine Person geschuldet, der sich einerseits aus der entsprechenden NS-Propaganda, andererseits aber auch aus vor allem britischen Darstellungen bereits während des Krieges speiste. Die durchweg positiven Zuschreibungen Londons gegenüber dem deutschen Heerführers vor allem angesichts von dessen Erfolgen in Nordafrika gegen personell und insbesondere materiell deutlich überlegene britische Verbände relativierten nicht nur zwischenzeitlich die eigenen Niederlagen, sondern überhöhten auch den letztlichen britischen Sieg. Die entsprechenden Zuschreibungen in 40 Lieb, Erwin Rommel [wie Anm. 35], S. 343. 41 Linda von Keyserlingk-Rehbein, Nur eine „ganz kleine Clique“? Die NS-Ermittlungen über das Netzwerk vom 20. Juli 1944. Berlin 2018. 42 Ebd., S. 551. 43 Gesprächsnotiz Jakob Kaiser vom 10.6.1943; zitiert nach Ebd., S. 387. 44 Sönke Neitzel, Abgehört. Deutsche Generäle in britischer Kriegsgefangenschaft 1942-1945. Berlin 2005, S. 61. 45 Keyserlingk-Rehbein, Nur eine „ganz kleine Clique“, S. 518f. 46 Reuth, Erwin Rommel. Des Führers General [wie Anm. 23], S. 110-125, bes. S. 115. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 16 der Nachkriegszeit durch britische und deutsche Autoren wie Basil Liddell Hart47, Desmond Young48, der als britischer Oberstleutnant in Nordafrika gekämpft hatte, Fritz Bayerlein49, dem ehemaligen Chef des Stabes von Rommel, oder Paul Carell50, vormaliger Pressechef des NS- Außenministers, formten den Mythos weiter aus und transportierten ihn. Auf ihnen basierende Kinofilme popularisierten diesen Mythos zudem.51 Im Kontext der bipolaren Weltordnung und des heraufziehenden Kalten Krieges, in dem westdeutsche Soldaten wieder gebraucht wurden, umriss diese Darstellung das role model für den vermeintlich anständigen deutschen Soldaten der Wehrmacht, wie ihn die so genannten Ehrenerklärungen Konrad Adenauers und Dwight D. Eisenhowers 1951 beschrieben:52 „Der Mythos Rommel lebte nach 1945 vor allem aus einem Grund weiter: Er entsprach dem Wunschbild der deutschen Nachkriegsgesellschaft. In Rommel und seinem Schicksal glaubten sich viele Weltkriegsveteranen wiederzuerkennen. Er galt als tapferer, fähiger und patriotischer Soldat, der sich anfangs für Hitler und den Nationalsozialismus begeistert hatte, ohne von den Verbrechen des Regimes zu wissen. Er selbst war nie in Massenverbrechen verwickelt und wegen seines erzwungenen Selbstmords konnte man in ihm leicht ein Opfer des Nationalsozialismus sehen. Das alles klang beruhigend, Rommel schien wie kein zweiter die ‚saubere Wehrmacht‘ zu personifizieren. Auch ehemalige britische und amerikanische Gegner sahen dies so: Er war ein ‚ritterlicher‘ Offizier.“53 Diese freilich erneute Instrumentalisierung Erwin Rommels erlebte ihren zwischenzeitlichen Höhepunkt nicht zuletzt in der Benennung von Kasernen der Bundeswehr 1961 – einen Vorgang, 47 Basil Liddell Hart, The other Side of the Hill; London 1948; https://archive.org/stream/TheOtherSideOfTheHill- LiddellHart/The%20Other%20Side%20of%20the%20Hill%20-%20Liddell%20Hart#page/n1/mode/2up/search /rommel [letzter Zugriff: 2.2.2019]. 48 Desmond Young, Rommel. The Desert Fox. Foreword by Field-Marshal Sir Claude Auchinleck. New York 1950 (dt. Rommel. Mit einem Vorwort von Feldmarschall Sir Claude Auchinleck. Wiesbaden 1950). 49 Erwin Rommel, Krieg ohne Haß. Afrikanische Memoiren, Herausgegeben von Lucie-Maria Rommel und Fritz Bayerlein. Heidenheim 1950. 50 Paul Carell, Die Wüstenfüchse. Mit Rommel in Afrika. Klagenfurt 1958. Paul Carell, eigentlich Paul Karl Schmidt, war im Zweiten Weltkrieg SS-Obersturmbannführer und Pressechef von Außenminister Joachim von Ribbentrop. Er machte in der westdeutschen Kriegsfolgengesellschaft Karriere als Journalist bei „Der Zeit“ und dem „Spiegel“, anschließend als persönlicher Berater und Sicherheitschef beim Axel Springer-Verlag sowie als Bestsellerautor. Siehe Wigbert Benz, Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945. Berlin 2005. 51 Siehe vor allem Billy Wilder, Fünf Gräber bis Kairo (Five Graves To Cairo), USA 1943, Robert Wise, Die Wüstenratten (The Desert Rats), USA 1953, Rommel ruft Kairo, BRD 1959, Patton – Rebell in Uniform (Patton). USA 1969. 52 Bastian Matteo Scianna, Rommel Almighty? Italian Assessements of the „Desert Fox“ during and after the Second World War, in: The Journal of Military History 1/2018, S. 125-145, hier S. 144f. Zur positiven Rommel- Propaganda in der britischen Presse bereits zu Kriegszeiten siehe Patrick Major, „Our Friend Rommel“: The Wehrmacht as ‚Worthy Enemy‘ in Postwar British Popular Culture, in: German History 4/2008, S. 530-545. 53 Lieb, Erwin Rommel [wie Anm. 35], S. 342. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 17 den die Bundesverteidigungsministerin im Juni 2017, wie oben bereits zitiert, pointiert aufgegriffen hat: „Die Rommel-Kaserne ist so bewusst benannt worden an einem Jahrestag des Widerstands. Das zeigt, dass Rommel seine Rolle im Widerstand auch gehabt hat.“54 Dabei verkannte sie allerdings die eben skizzierte geschichtspolitische Dimension, die seinerzeit zu dieser Benennungen geführt hat. Mangels zugänglicher Akten hatten sich die vormaligen Generale und Admirale die Deutungshoheit gesichert und mit dem als ritterlich markierten Soldaten Rommel ihren eigenen Mythos, nämlich den der „sauberen Wehrmacht“, illustriert.55 Beiden Mythen hielten einer geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung nach der Rückgabe der deutschen Akten im Zuge der 1960er Jahre freilich nicht stand. Trotz früher Erkenntnisse in der Fachwissenschaft und zahlloser Arbeiten in den folgenden Jahrzehnten brauchte es jedoch erst das öffentliche Interesse rund um die so genannte Wehrmachtausstellung, ehe die seit Ende der 1960er Jahre vorliegenden einschlägigen Ergebnisse der historischen Forschung auch in weiten Teilen der Öffentlichkeit antizipiert wurden.56 „Dennoch blieb Rommel“, so fasste es Daniel Sternal zusammen, der den „Mythos Rommel“ zuletzt untersuchte57, „in den Augen seiner Anhänger der unbelastete und gute deutsche Soldat, fern von den Verbrechen der Deutschen im Osten. Es sollte wenigstens einen in dieser Zunft geben, zu dem man weiterhin aufschauen könne.“58 Seiner Meinung nach müsse „man die Menschen an ihren Taten messen und ein Stauffenberg hat gehandelt und eine Bombe gelegt und ein Rommel nicht. […] Die beiden Kasernen, die heute noch nach Rommel benannt sind, sollten umbenannt werden, so wie das im Falle anderer NS-belasteter Generale auch geschehen ist.“59 Ganz anders bewertete der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, diesen Zusammenhang: Er hielt es im März 2018 für richtig, dass die Rommel-Kasernen ihren Namen behalten, denn es gäbe „immer Grenzfälle, wo die historische Forschung nicht absolut 54 Zitiert nach Von der Leyen, Rommel-Kaserne soll Namen behalten [wie Anm. 6]. 55 Jens Brüggemann, Männer von Ehre? Die Wehrmachtgeneralität im Nürnberger Prozess 1945/46. Zur Entstehung einer Legende. Paderborn 2018 (Krieg in der Geschichte, 112). 56 Die Wehrmacht. Mythos und Realität. Im Auftrag des MGFA hrsg. von Rolf-Dieter Müller und Hans-Erich Volkmann . München 1999. 57 Daniel Sternal, Ein Mythos wankt. Neue Kontroverse um den „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel. Gerstetten 2017. 58 Warum Erwin Rommel immer noch verehrt wird. Interview mit Daniel Sternal über die Rommelrezeption, in: 3sat, 11.4.2017; https://www.3sat.de/page/?source=/ard/sendung/192174/index.html [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 59 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 18 eindeutig ist“. Die deutsche Geschichte sei „voller Menschen mit gebrochenen Biographien“, außerdem habe Rommel „wohl auch eine Rolle im Widerstand gehabt“.60 Für den rheinland-pfälzische AfD-Fraktionsvorsitzenden Uwe Junge diente Rommel wiederum als Beispiel dafür, dass man unterscheiden müsse zwischen dem Unrechtsregime der Nationalsozialisten und militärischen Leistungen. Zu denjenigen, die damals „Haltung gezeigt“ hätten, zählte er Erwin Rommel, was ihn zu dem Schluss veranlasste: „Natürlich steht die Bundeswehr auch in der Traditionslinie der Wehrmacht.“61 4. Fazit Erwin Rommel ist gewiss der umstrittenste Heerführer innerhalb der Auseinandersetzung mit der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg und damit auch immer wieder ein Zankapfel im Rahmen der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der historischen Forschung und der deutschen Vergangenheitsaufarbeitung insgesamt. Für die einen ist er der „Lieblingsgeneral“ Hitlers geblieben, ein Profiteur des NS-Regimes und seiner persönlichen Nähe zum „Führer“, der in Italien auch für Verbrechen verantwortlich gewesen sei. Für die anderen bleibt er ein gewiefter General, der trotz Unterlegenheit der eigenen Kräfte erstaunliche Erfolge zu erzielen vermochte, außerdem wiederholt Befehle des Diktators nicht befolgt und schließlich zum Widerstand gefunden habe. Unabhängig davon, inwiefern man Rommels Fähigkeiten als militärischer Führer bewerten mag, so stellt sich die Gretchenfrage im Kontext seiner möglichen Traditionswürdigkeit hinsichtlich seiner Zuordenbarkeit zum Widerstand gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Dazu hat sich auch die Bundesverteidigungsministerin, wie oben ausgeführt, mehrfach bekannt und auch der neue Traditionserlass legt dazu eindeutig fest: „Die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr ist dagegen grundsätzlich möglich. Voraussetzung dafür ist immer eine eingehende Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen. Dieses Abwägen muss die Frage persönlicher Schuld berücksichtigen und eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NS-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“62 Angewendet auf die Person Erwin Rommel bleibt hierzu festzustellen, dass sich seine Rolle im Widerstand auch nach neuesten Forschungen rund um das Netzwerk des 20. Juli auf eine mögliche Mitwisserschaft um den Widerstand beschränkt. Sollte dem tatsächlich so gewesen sein, hat er dieses Wissen jedenfalls nicht verraten. Bislang scheint dies im BMVg auszureichen, um 60 Umbenennung von Kasernen: „Geht nicht darum, alle Erinnerungsstücke wegzuräumen“, in: FAZ, 28.3.2018; https://www.faz.net/aktuell/politik/bundeswehr-augenmass-bei-kasernen-umbenennung-notwendig- 15516340.html [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 61 AfD sieht Bundeswehr auch in der Tradition der Wehrmacht, in: Deutscher Bundeswehrverband (DBwV), 24.5.2017; https://www.dbwv.de/aktuelle-themen/newsbeitrag/news/afd-sieht-bundeswehr-auch-in-der-tradition -der-wehrmacht/ [letzter Zugriff: 15.1.2019]. 62 Die Tradition der Bundeswehr [wie Anm. 2], S. 6. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/19 Seite 19 ihn wenigstens in die Nähe des 20. Juli einzuordnen und darin die für seine Traditionswürdigkeit geforderte „Beteiligung“ zu erkennen. Denn irgendein aktives widerständisches Verhalten konnte für Rommel bis heute von der historischen Forschung nicht belegt werden. Der Rommel umgebende Nimbus scheint daher vielmehr auf den Mythos um seine Person zurückzuführen zu sein, der sich letztlich aus zwei Quellen speist - der nationalsozialistischen Propaganda einer- und der zeitgenössischen medialen Berichterstattung in Großbritannien andererseits – und in der Nachkriegszeit gezielt ausgeformt worden ist, um auch die Wiederbewaffnung der Westdeutschen zu legitimieren. Rommels neuerliche Instrumentalisierung diente dabei dazu, den Mythos von der vermeintlich sauberen Wehrmacht zu illustrieren. Insofern sind die Kasernenbenennungen 1961 nach Rommel Teil der damaligen Geschichtspolitik und kein Beleg für seine Zugehörigkeit zum Widerstand. Dem Mythos um seine Person Glaubwürdigkeit zu verleihen oder tatsächlich an ihn zu glauben, bildete vielmehr eine der zahlreichen Brücken für den Übergang der westdeutschen Kriegs- in die Kriegsfolgengesellschaft mit ihrer Westbindung im Rahmen der bipolaren Weltordnung. So erklärt sich auch die bis heute anhaltende Popularität Erwin Rommels. Er bildet tatsächlich nichts weniger ab als das role model für die Millionen von Deutschen, die im Zweiten Weltkrieg glaubten, durch ihren militärischen Dienst ihre Pflicht zu tun oder tun zu müssen – freilich ohne zu hinterfragen und größtenteils auch nicht hinterfragen zu wollen, wem oder was diese Pflichterfüllung in Wirklichkeit dient. Tatsächlich lässt sich dadurch am Beispiel Erwin Rommels eine ganze Menge zeigen und aufarbeiten , was Soldatinnen und Soldaten wie überhaupt Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, auch „ohne Uniform“, die Tücken diktatorischer Regime verdeutlicht – von der Korrumpierbarkeit des Individuums über die verschiedentliche Komplizenschaft in den Verbrechen bis hin zur Schwierigkeit , den eingeschlagenen Weg zu korrigieren. Am Umgang mit seiner Person kann außerdem erläutert werden, wie rasch aus einem Menschen ein politisches Objekt werden kann, wenn er nicht bewusst als politisches Subjekt agiert. Damit ist Erwin Rommel geradezu der Phänotyp des Wehrmachtsoldaten, um mit ihm nicht zuletzt Ursprung, Notwendigkeit und Inhalte der Inneren Führung der Bundeswehr zu vermitteln, die Grenzen des militärischen Gehorsams oder die Anwendung militärischer Gewalt überhaupt zu diskutieren. Ob er jedoch traditionswürdig im Sinne des Traditionserlasses der deutschen Streitkräfte ist, bleibt abhängig von der Bewertung, inwiefern man die im besten Falle Mitwisserschaft um den Widerstand im „Dritten Reich“ und die Nicht-Denunzierung als „vorbildlich oder sinnstiftend“ für die Gegenwart bewertet. ***