© 2016 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 005/16 Der „Islamische Staat“ und die mit ihm verbundenen Gruppierungen weltweit Sachstand Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 2 Der „Islamische Staat“ und die mit ihm verbundenen Gruppierungen weltweit Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 005/16 Abschluss der Arbeit: 19. Januar 2016 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Der globale Anspruch des „Islamischen Staates“ 4 2.1. Der IS als „Marke“ 6 2.2. Überlegungen zur Abgrenzung von innenpolitischem und militärischem Bedrohungspotenzial des IS 7 3. Der IS und assoziierte Gruppierungen in einzelnen Ländern 8 3.1. Asien 9 3.1.1. Afghanistan 9 3.1.2. Indonesien 10 3.1.1. Pakistan 10 3.1.2. Philippinen 11 3.2. Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und Türkei 11 3.2.1. Jemen 11 3.2.2. Katar 12 3.2.3. Kuwait 12 3.2.4. Libanon 13 3.2.5. Saudi-Arabien 13 3.2.6. Türkei 14 3.3. Afrika 15 3.3.1. Ägypten 16 3.3.2. Algerien 16 3.3.3. Libyen 17 3.3.4. Nigeria 18 3.3.5. Tunesien 19 3.4. Australien 19 3.5. Amerika 20 3.6. Europa 20 3.6.1. Frankreich und Belgien 22 3.6.2. Russland 23 4. Schlussbemerkungen 23 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 4 1. Einführung Dieser Sachstand beschäftigt sich mit den zahlreichen Gruppierungen, die als zum „Islamischen Staat“ (IS) zugehörig betrachtet werden oder sich explizit zu ihm bekennen. Dargelegt wird insbesondere , in welchen Ländern und in welcher Stärke diese Organisationen vertreten sind. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Frage gelegt, inwieweit die Präsenz des IS in einem Land ein militärisches – und nicht nur innenpolitisches – Konfliktpotenzial hat. 2. Der globale Anspruch des „Islamischen Staates“ Der „Islamische Staat“ (IS)1 ist eine terroristische islamistische Vereinigung, die versucht, insbesondere im Irak und in Syrien einen eigenen Staat gemäß ihren extremen religiösen Vorstellungen 2 zu errichten. Aus Sicht des IS wurde dieses Ziel am 29. Juni 2014 erreicht, als sich sein Anführer , der Iraker Abu Bakr al-Baghdadi3, zum Kalifen4 ausrufen ließ. Die Ursprünge des IS liegen im Irak, wo der Jordanier Abu Musa al-Zarqawi im Jahre 2004, ein Jahr nach der von den USA geführten Invasion, die Gruppe „Al-Quaeda im Irak“ (AQI) gründete.5 AQI bezog sich auf die damals führende islamistische Terrororganisation Al-Qaeda und unterstellte sich formell deren Führer Osama bin Laden.6 Nach der Tötung al-Zarqawis im Jahre 2009 übernahm Abu Bakr die Führung und gründete für die verschiedenen sunnitischen Terrorgruppen des Irak die Dachorganisation “Islamischer Staat im Irak“ (ISI), die zwar von den USA und dem Irak massiv bekämpft, aber nicht beseitigt werden konnte.7 Aus dem ISI ging schließlich der 1 In diesem Sachstand wird die in Deutschland zumeist gebrauchte Form „Islamischer Staat“ bzw. IS benutzt. Dies ist die wörtliche Übersetzung der arabischen Eigenbezeichnung ad-daula al-islāmīya. Die Abkürzung ISIS bezieht sich auf die Namen, die die Organisation vor der Ausrufung des Kalifats trug: „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ bzw. „Islamischer Staat im Irak und in al-Sham“ (die historische arabische Bezeichnung für Syrien bzw. die Levante). Im englischen Sprachraum ist auch die Abkürzung ISIL („Islamic State in Iraq and the Levant“) gebräuchlich. Zunehmend setzt sich auch das Akronym Daesh durch, das in der arabischen Welt gebräuchlich ist und sich von ad-daula al-islāmiya fī'l-ʿIrāq wa-sh-Shām (Islamischer Staat im Irak und al-Sham) herleitet, zusätzlich aber phonetisch den arabischen Wörtern für „Zwietracht“ und „Zertreten“ ähnelt und so eine absichtlich abwertende Konnotation enthält. Vgl. Markus C. Schulte von Drach, Warum der Name „Daesch“ den Islamischen Staat ärgert, Süddeutsche Zeitung vom 23. November 2015. 2 Die religiösen Lehren des IS entspringen insbesondere dem extremen Wahhabismus, einer Strömung innerhalb des sunnitischen Islams, die z.B. in Saudi-Arabien Staatsreligion ist und sich durch besondere Strenge und dem Anspruch, alle Bereiche des Staates und des Lebens seiner Bürger auf Grundlage der Auslegung der islamischen Schriften und der Sharia zu regeln, auszeichnet. 3 Ein Kampfname. Mit bürgerlichem Namen heißt Abu Bakr Ibrahim Awad Ibrahim al-Badri, sein Name als Kalif ist Ibrahim. 4 Dieser Titel beinhaltet den Anspruch, Herrscher über alle Muslime zu sein und bekräftigt die Absicht des IS, ein weltweites Kalifat zu errichten. 5 BBC, What is ‚Islamic State‘?, 2. Dezember 2015, http://www.bbc.com/news/world-middle-east-29052144 (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 6 BBC (Anm. 5). 7 BBC (Anm. 5). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 5 IS hervor, nachdem der Konflikt in Syrien eine Expansion der Organisation auf dortiges Territorium ermöglichte.8 Der IS ist nicht mehr der al-Qaeda unterstellt und es herrschen gewisse Rivalitäten zwischen beiden Organisationen. Tatsächlich lässt sich sagen, dass der IS im Nahen Osten al-Qaeda als Hauptakteur des Terrorismus abgelöst hat. Der IS kontrolliert inzwischen weite Teile Syriens und des Irak und hat dort einen grenzübergreifend zusammenhängenden „Quasi- Staat“ errichtet, dessen „Hauptstadt“ das syrische Raqqa ist.9 Des Weiteren kontrolliert der IS Teile Libyens, seitdem sich eine dortige dschihadistische Miliz im November 2013 dem „Kalifen “ Ibrahim unterwarf,10 ebenso Teile des nördlichen Sinai in Ägypten.11 Der Terror der IS- Milizen gegenüber den Einwohnern des von ihm kontrollierten Quasi-Staates, die völlige Missachtung von Völker- und Menschenrecht sowie die Durchführung terroristischer Anschläge in zahlreichen anderen Staaten sind belegt und Grund für den Kampf gegen den IS, an dem sich zahlreiche Staaten zum Teil militärisch beteiligen. Da das Kalifat aus Sicht des IS der einzige wahrhaftig islamische Staat der Welt ist und der Kalif der Herrscher über alle Muslime12, sieht sich der IS dazu berufen, die Grenzen des von ihm kontrollierten Gebietes auszuweiten. Dies beinhaltet auch, Muslime weltweit dazu aufzurufen, entweder in das eigentliche „Kalifat“ in Syrien bzw. dem Irak einzuwandern, oder dort, wo sie leben , mittels Terror „neue Gebiete für das Kalifat“ zu „erobern“. Zahlreiche Menschen aus verschiedenen Ländern sind dem ersten Teil des Aufrufes bereits gefolgt und stellen einen signifikanten Teil der Truppen des IS. Die Zahl der ausländischen Angehörigen des IS in seinem Kerngebiet beträgt etwa 30.000 Personen.13 Laut Geheimdiensterkenntnissen interessiert sich der IS auch für sogenannte failed states wie Libyen, um deren inneres Chaos zur Expansion und Konsolidierung auf ihrem Gebiet zu nutzen.14 8 BBC (Anm. 5). 9 BBC (Anm. 5). 10 Tim Lister, ISIS atrocity in Libya demonstrates its growing reach in North Africa, CNN am 17. Februar 2015, http://edition.cnn.com/2015/02/16/africa/isis-libya-north-africa/ (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 11 Allerdings nur mittelbar: die Miliz, die sich „Wilaja Sina“ (Staat Sinai) nennt, hat dem IS nur formal die Treue geschworen, firmiert aber wie Boko Haram noch unter eigenem Namen. Spiegel Online am 30. Januar 2015, Ägypten: IS-Ableger bekennt sich zu Anschlagsserie auf dem Sinai, http://www.spiegel.de/politik/ausland/isislamischer -staat-ableger-bekennt-sich-zu-anschlaegen-auf-sinai-a-1015773.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 12 Was z.B. auch schon zu einer öffentlichen Verlautbarung des IS führte, er wolle die Hamas vernichten und den Gazastreifen von ihr übernehmen, da die Hamas kein wahrhaft islamisches Regime führe. Siehe Thomas Pany, IS droht der Hamas, Telepolis am 1. Juli 2015, http://www.heise.de/tp/artikel/45/45318/1.html (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 13 The Soufan Group, Foreign Fighters - An Updated Assessment of the Flow of Foreign Fighters into Syria and Iraq, Dezember 2015, S., 5, http://soufangroup.com/wpcontent /uploads/2015/12/TSG_ForeignFightersUpdate3.pdf (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). Die meisten ausländischen (d.h. weder syrischen noch irakischen) IS-Kämpfer stammen aus Tunesien (6.000), Saudi- Arabien (2.500), Russland (2.400), der Türkei (2.100) und Jordanien (2.000). 14 Süddeutsche Zeitung, BND: Gefahr durch Islamisten größer als je zuvor, Süddeutsche Zeitung am 7. Januar 2016 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 6 Dem zweiten Teil des Aufrufes entsprechend gibt es in zahlreichen Ländern extremistische Gruppierungen, die diesem Aufruf gefolgt sind und sich formell dem IS unterstellt haben oder ihn zumindest unterstützen. In einigen Ländern stellen diese Gruppierungen mittlerweile ein massives Problem für die innere Sicherheit dar, in einigen wenigen, z.B. in Libyen, sind sie maßgeblich für Bürgerkrieg und Terror verantwortlich und bedrohen große Teile der Bevölkerung. Dort wie auch in Syrien und dem Irak agiert der IS militärisch. In anderen Staaten wiederum werden Terrorakte von Anhängern des IS, d.h. losen Kleingruppen oder Personen, die sich auf den IS berufen, begangen und sind eher ein Problem von Polizei und Geheimdiensten.15 Laut Presseberichten geht der Bundesnachrichtendienst (BND) davon aus, dass der IS bzw. Organisationen , die sich so bezeichnen und dem „ursprünglichen“ IS folgen, inzwischen in 30 Ländern „präsent“ sind.16 Welche Länder dies sind oder welche Kriterien der BND für eine Präsenz anlegt, ließ sich im Rahmen der Recherchen für diesen Sachstand nicht ermitteln. 2.1. Der IS als „Marke“ Dabei dürfte die Abgrenzung bzw. Zuordnung einzelner Gruppen schwierig sein. Wie schon bei al-Qaeda steht es prinzipiell jeder Organisation und jedem Individuum frei, sich auf den IS zu berufen, sofern dessen Ideologie geteilt wird. Aus Sicht des IS dürfte dies vorteilhaft sein, da sich so das Image einer global agierenden, stetig expandierenden Organisation erzeugen und propagandistisch ausschlachten lässt. Gerade das Image ist für die Strategen des IS enorm wichtig. Die Videobotschaften, Aufnahmen von Hinrichtungen und dem „Alltag“ im Gebiet des IS sind sorgfältig inszeniert und hochprofessionell produziert und darauf ausgerichtet, junge Muslime und Musliminnen in der ganzen Welt für den IS zu begeistern und durch ihre Grausamkeit einen maximalen Terroreffekt zu erzeugen.17 Der IS geht dabei sehr geschickt vor und baut systematisch eine jugendaffine „Marke“ auf, bei der Gewalt als Produkt mit eigener (aber deutlich an bestimmte bekannte Videospiele und Filme angelehnter) Ästhetik verkauft wird.18 Diese Marke namens IS kann und soll weltweit verwendet werden. Dies macht die wissenschaftliche und politische Bewertung und Schlußfolgerung schwierig. So berief sich z.B. die Terroristin Tashfeen Malik, die zusammen mit ihrem Ehemann am 2. Dezember 2015 14 Menschen im kalifornischen San Bernardino ermordete, in einem Facebookeintrag auf den IS und gelobte der Organisation Treue.19 Der IS selbst wies dies nicht zurück. Fraglich ist aber weiterhin, inwieweit 15 So z.B. in Australien, wo am 18. September 2014 mehrere IS-Anhänger verhaftet wurden, die nach Geheimdiensterkenntnissen Anschläge in Sydney geplant hatten. Siehe Die Zeit, IS-Anhänger in Australien sollen Enthauptung geplant haben, 18. September 2014, http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-09/australienislamischer -staat-razzia-exekutionen (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 16 Süddeutsche Zeitung (Anm. 14). 17 Vgl. die Aussagen von Javier Lesaca in Barbara Junge, Der Mann, der sich die ganze Terror-Propaganda anschaut , 8. Januar 2016, http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/islamischer-staat-der-mann-der-sich-dieganze -terror-propaganda-anschaut/12691046.html (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 18 Barbara Junge (Anm. 17). 19 Michael S. Schmidt und Richard Pérez Pena, F.B.I. Treating San Bernardino Attack as Terrorism Case, New York Times am 4. Dezember 2015, http://www.nytimes.com/2015/12/05/us/tashfeen-malik-islamicstate .html?_r=0 (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 7 das Ehepaar Malik auf Befehl einer übergeordneten Instanz handelten und ob man sagen kann, dass der IS in Kalifornien „präsent“ sei. Selbst wenn eine lokale Terrorgruppe dem IS Treue schwört oder sich ihm offiziell anschließt, ist manchmal zweifelhaft, inwiefern man von einer „Ausweitung des IS“ sprechen kann: In Algerien und den Philippinen haben sich z.B. lokal bestehende Gruppen dem IS angeschlossen, scheinen aber derzeit über kein Bedrohungspotenzial zu verfügen, dass sich mit dem des IS in seinem Quasi-Staat messen könnte. 2.2. Überlegungen zur Abgrenzung von innenpolitischem und militärischem Bedrohungspotenzial des IS Bei den Staaten, in denen der IS bzw. mit ihm assoziierte Gruppierungen aktiv sein sollen, ist zu beachten, dass sie sich deutlich voneinander unterscheiden und so auch die Bekämpfung jeweils andere Strategien erfordert. Während der IS in Syrien und im Irak sowie z.B. in Libyen sich kaum auf eine andere Weise als mit militärischen Mitteln besiegen lässt, ist er in anderen Staaten vielmehr ein Problem der inneren Sicherheit. Die einzelnen Staaten unterscheiden sich erheblich in ihren Fähigkeiten, der Bedrohung durch den Terror entgegenzutreten. Es liegt auf der Hand, dass z.B. ein failed state wie Somalia der Terrormiliz al-Shabaab wenig entgegensetzen kann, ein modernes Industrieland wie Frankreich aber ganz andere Möglichkeiten hat, mit Terrorismus fertigzuwerden. Auch ist die finanzielle und technische Ausstattung der einzelnen Gruppen sehr unterschiedlich. Deswegen lässt sich aus der personenmäßigen Stärke einer IS-Untergruppierung auch wenig über deren Bedrohungspotential aussagen: die Stärke des IS ist immer relativ zum Umfeld zu betrachten . Zerfallende und von Konflikten geschwächte Staaten wie Syrien, der Irak und Libyen ermöglichen es dem IS, nicht nur Terroranschläge durchzuführen, sondern ein eigenes Territorium zu erobern. Dies bringt neben neuen Finanzierungsquellen durch „Steuern“, dem Verkauf von Öl oder schlicht Raub (z.B. des Eigentums von Geflüchteten oder Hingerichteten) auch den Erwerb militärischer Fähigkeiten mit sich, insbesondere durch erbeutete Kriegswaffen oder Überläufer der lokal besiegten staatlichen Streitkräfte. Somit wird der IS zu einem militärischen Problem und nicht nur einem (wenn mitunter auch extremen) Problem der inneren Sicherheit. Es liegt auf der Hand, dass die diese Entwicklung ermöglichenden Bedingungen nicht in jedem Staat gegeben sind. Bislang ist der IS in dieser Hinsicht in drei Staaten erfolgreich: Syrien, dem Irak, und Libyen. Letzteres wurde am 18. Januar 2016 auch von Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen als mögliches Ziel künftiger militärischer Operationen gegen den IS benannt.20 Laut der Ministerin bestehe die Gefahr, dass sich der dortige Ableger des IS mit der in Westafrika tätigen 20 Die Welt, Bundeswehr: Von der Leyen hält Libyen-Einsatz für möglich, 18. Januar 2016, http://www.welt.de/politik/deutschland/article151117337/Von-der-Leyen-haelt-Libyen-Einsatz-fuermoeglich .html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 8 Terrorgruppe Boko Haram zusammenschließe und so eine „Achse des Terrors in Afrika“ schaffe .21 Nigeria bildet bisher einen Sonderfall. Die dort aktive Miliz Boko Haram unterstellte sich im März 2014 dem IS.22 Dennoch scheint sie sich in Strategie und Vorgehen immer noch deutlich vom IS zu unterscheiden: während der IS versucht, in Syrien und dem Irak militärisch vorzugehen und dies mit Bombenanschlägen in anderen Gebieten und Ländern zu verknüpfen, verlässt sich Boko Haram in erster Linie auf Handfeuerwaffen und eine Strategie der lokalen territorialen Kontrolle, die eher an kriminelle Organisationen wie z.B. die mexikanische Drogenmafia erinnert .23 Auch ist Boko Haram weitgehend mit dem Kampf gegen die nigerianische Regierung beschäftigt und scheint derzeit sowohl wenig Ambitionen zu haben, international tätig zu werden, noch, wie der eigentliche IS, international zu rekrutieren.24 Aus militärischer Perspektive stellen demnach fragile und schon durch Konflikte geschwächte Länder ein besonderes Risiko dar. Dies könnte insbesondere für Somalia, einem „klassischen“ failed state, sowie in den Gebieten Westafrikas, in dem die dschihadistische Miliz Boko Haram aktiv ist, der Fall sein. Zumindest in Libyen haben sich die Prognosen, dass der IS in der Folge eines Staatszerfalles besonders erfolgreich etablieren könnte, bereits erfüllt (siehe dazu Abschnitt 3.3.3 dieses Sachstandes). 3. Der IS und assoziierte Gruppierungen in einzelnen Ländern In diesem Abschnitt wird dargelegt, in welchen Ländern der IS oder Gruppierungen, die sich als IS bezeichnen oder die dem IS Treue geschworen haben, aktiv sind. Die eingangs genannte Zahl von 30 Ländern konnte aus den zugänglichen Quellen nicht hergeleitet werden. Ein möglicher Grund könnte darin liegen, dass terroristische Einzeltäter, die sich auf den IS beriefen, nicht als Beleg für eine „Präsenz“ des IS in dem betreffenden Land gewertet wurden (siehe im vorangehenden Abschnitt die Ausführungen zum Attentat in San Bernardino). Die folgenden Ausführungen kommen jedenfalls auf deutlich weniger Länder. Legt man als Kriterium für „Präsenz“ die 21 Zeit Online am 18. Januar 2016, Von der Leyen hält Libyen-Einsatz für möglich http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-01/von-der-leyen-libyen-einsatz-moeglich-bundeswehr (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 22 BBC News am 13. März 2016, Islamic State 'accepts' Boko Haram's allegiance pledge, http://www.bbc.com/news/world-africa-31862992 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 23 Edward Delman, The World’s Deadliest Terrorist Organization - It’s not ISIS., The Atlantic am 18. November 2015, http://www.theatlantic.com/international/archive/2015/11/isis-boko-haram-terrorism/416673/ (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 24 Moritz Hütte, Guido Steinberg und Annette Weber, Boko Haram: Gefahr für Nigeria und seine nördlichen Nachbarn , S. 91 ff., in: Guido Steinberg und Annette Weber (Hg.), Jihadismus in Afrika - Lokale Ursachen, regionale Ausbreitung, inter-nationale Verbindungen, Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2015, http://www.swpberlin .org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S07_sbg_web.pdf#page=33 (zuletzt abgerufen am 19. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 9 Zahl von aus Syrien und dem Irak zurückgekehrten ausländischen IS-Kämpfern zugrunde, so könnte die Zahl tatsächlich sogar höher liegen.25 Die folgenden Darlegungen beschränken sich auf Länder, in denen der IS oder eine unter seinem Namen firmierende Gruppe Anschläge verübt oder gar eigenes Territorium besetzt hat oder zumindest ein signifikantes innenpolitisches Problem darstellen könnte (wie z.B. in den Philippinen ). 3.1. Asien Hauptgebiete des IS sind, wie bereits dargelegt, Syrien und der Irak. Sie werden in diesem Abschnitt nicht mehr einzeln aufgeführt. 3.1.1. Afghanistan In Afghanistan gibt es mehrere Gruppen, die sich als IS bezeichnen und dessen Flagge führen. Es besteht jedoch eine starke Rivalität mit den sich al-Qaeda zugehörig fühlenden Taliban, so dass es unter anderem in der Provinz Helmand zu bewaffneten Konflikten zwischen den beiden Gruppen kam.26 Am 9. Februar 2015 wurde der führende Rekrutierer dieser Gruppen in Afghanistan , Mullah Abdul Rauf, bei einem Drohnenangriff der USA mutmaßlich getötet.27 April 2015 bekannten sich Terroristen, die sich selbst als Angehörige des IS bezeichneten, zu einem Anschlag in Jalalabad, bei dem 30 Menschen ums Leben kamen. Über die zahlenmäßige Stärke des IS in Afghanistan ist nichts bekannt. Auch der „eigentliche“ IS in Syrien zögerte lange, sich explizit zu den Gruppen in Afghanistan zu bekennen.28 Es bleibt unklar, ob es sich tatsächlich um Ableger des IS handelt oder um Akteure mit eigenen Interessen.29 Spekuliert wird z.B. darüber, ob der „afghanische IS“ nicht vielmehr eine Schöpfung gewisser politischer Kreise in Afghanistan sei, die das Interesse des Westens an dem Land hochhalten solle.30 So käme die „neue Bedrohung durch den IS“ zwar in zahlreichen Reden afghanischer Politiker vor, faktisch sei die Bedro- 25 Vgl. The Soufan Group, Foreign Fighters - An Updated Assessment of the Flow of Foreign Fighters into Syria and Iraq, 2015, http://soufangroup.com/wp-content/uploads/2015/12/TSG_ForeignFightersUpdate3.pdf (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). Der IS hat derzeit etwa 5.000 Kämpfer aus Westeuropa. 26 Fazul Rahim und Alexander Smith, ISIS-Allied Militants Behead 15 During Afghanistan Offensive: Official, NBC am 26. September 2014, http://www.nbcnews.com/storyline/isis-terror/isis-allied-militants-behead-15- during-afghanistan-offensive-official-n212166 (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 27 Spiegel Online, Drohnenangriff: Afghanische Behörden geben Tod von IS-Rekrutierer bekannt, 9. Februar 2015, http://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-islamischer-staat-rekrutierer-offenbar-getoetet-a- 1017457.html (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 28 Friederike Böge, Verdächtig auffällige Kämpfer, FAZ am 2. November 2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/is-in-afghanistan-verdaechtig-auffaellige-kaempfer- 13888274.html (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 29 Friederike Böge (Anm. 28). 30 Friederike Böge (Anm. 28). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 10 hung durch die unterschiedlichen Talibangruppen und Milizen der Stammesführer deutlich realer .31 3.1.2. Indonesien Am 14. Januar 2016 ermordeten Terroristen in Indonesiens Hauptstadt Jakarta mehrere Menschen . Der IS bekannte sich zu diesem Anschlag.32 Schon Monate zuvor hatten indonesische Behörden immer wieder Menschen verhaftet, die verdächtigt worden waren, Beziehungen zum IS zu pflegen oder ihn z.B. im Internet zu unterstützen.33 Allerdings gab und gibt es unterschiedlich radikale, auch extremistische, islamistische Gruppierungen in dem Land. Angaben der indonesischen Regierung zufolge kämpfen im Nahen Osten mindestens 700 indonesische Staatsbürger für den IS, wie viele davon eventuell zurückgekehrt sein könnten und wie groß die Basis des IS in Indonesien selbst ist, ist aus den vorliegenden Daten nicht ersichtlich.34 Den Ermittlungen zufolge wurde der Anschlag vom 14. Januar von einem in Raqqa lebenden Indonesier organisiert.35 Noch 2014 existierte unbestätigten Angaben zufolge ein IS-Rekrutierungszentrum in unmittelbarer Nähe des Hauptquartiers der extremistischen Gruppe Jemaah Islamiya, der die Anschläge auf Bali im Jahre 2002 mit 202 vornehmlich ausländischen Todesopfern zur Last gelegt werden.36 3.1.1. Pakistan Im Oktober 2014 sagte die Führung der pakistanischen Taliban, der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP) dem IS Unterstützung zu, nachdem der IS eine Rekrutierungskampagne in dem Land gestartet hatte.37 Sie lehnte jedoch den Anspruch von Abu Bakr al-Baghdadi, Kalif und damit Füh- 31 Friederike Böge (Anm. 28). 32 Spiegel Online am 14. Januar 2016, Terror in Indonesien: IS bekennt sich zum Anschlag in Jakarta, http://www.spiegel.de/politik/ausland/jakarta-islamischer-staat-bekennt-sich-zu-anschlag-in-indonesien-a- 1071983.html (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 33 Abba Gabrillin, Kapolri: Terduga Teroris yang Ditangkap di Bekasi Terkait ISIS, Kompas am 23. Dezember 2015, http://nasional.kompas.com/read/2015/12/23/16455681/Kapolri.Terduga.Teroris.yang.Ditangkap.di.Bekasi.Terk ait.ISIS (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 34 The Soufan Group, Foreign Fighters - An Updated Assessment of the Flow of Foreign Fighters into Syria and Iraq, S. 7, Dezember 2015, http://soufangroup.com/wpcontent /uploads/2015/12/TSG_ForeignFightersUpdate3.pdf (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 35 Benjamin Soloway, To understand why ISIS hit Jakarta, don't look to Paris - look to Indonesia, The Straits Times am 16. Januar 2016, http://www.straitstimes.com/opinion/to-understand-why-isis-hit-jakarta-dont-look-to-parislook -to-indonesia (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 36 Hindra Liauw, Don't join ISIS, religious affairs minister tells Indonesians, Rappler am 1. August 2014, http://www.rappler.com/world/regions/asia-pacific/indonesia/65035-indonesia-isis-religious-minister (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 37 Hasnain Kazim, Rekrutierung in Pakistan: "Islamischer Staat" umwirbt Tausende neue Kämpfer , 4. September 2014, http://www.spiegel.de/politik/ausland/islamischer-staat-in-pakistan-rekrutiert-die-terrormiliz-neuekaempfer -a-989739.html (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 11 rer aller Muslime zu sein, scharf ab.38 Die TTP betrachtet sich demnach nicht als Teil des IS und ist im übrigen auch untereinander sehr zerstritten, einige Gruppierungen innerhalb der Organisation sind al-Qaeda treu und unterstützen den IS entgegen der Verlautbarungen der TTP-Spitze nicht. Die Kämpfe zwischen den rivalisierenden Untergruppen versucht der IS nach Ansicht einiger Beobachter für sich zu nutzen39, bisher hat der IS aber keine erkennbar breite Basis in Pakistan aufbauen können.40 3.1.2. Philippinen Die Gruppe Abu Sayyaf, die im Süden der Philippinen seit 1991 für einen islamischen Staat kämpft, unterstützt den IS seit dem 23. Juni 2014, als ihr Führer dem IS und dem „Kalifen“ in einer Videobotschaft „Treue und Loyalität“ schwor.41 Auch übernahm Abu Sayyaf die schwarze Flagge des IS. Abu Sayyaf ist heute allerdings nur etwa 300 Mann stark, vor einem Jahrzehnt hatte die Organisation noch tausende Mitglieder.42 3.2. Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und Türkei 3.2.1. Jemen Seit März 2015 erklärte sich der IS für eine Reihe – insbesondere anti-schiitischer – Anschläge oder Angriffe im Jemen für verantwortlich.43 Diese Anschläge stellten die Operationen der al- Qaeda auf der arabischen Halbinsel (AQAP) in den Schatten, die von der durch Saudi-Arabien angeführten und von den USA logistisch unterstützten Militärintervention im Jemen 2015 profitiert und weite Gebiete eingenommen hatte.44 Die relative Schwächung der AQAP gegenüber den IS-nahen Gruppen während der saudisch angeführten Militärintervention könnte auch als eine Folge der US-Drohnenangriffe auf führende Vertreter der AQAP gedeutet werden. Über genaue Zahlen ist nichts bekannt. 38 Dera Ismail Khan, Pakistan Taliban reject ISIS leader’s claim to be ‘caliph’, Al-Arabiya am 19. Dezember 2015, http://english.alarabiya.net/en/News/asia/2015/12/19/Pakistan-Taliban-reject-ISIS-leader-s-claim-to-be-caliph- .html (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 39 Hasnain Kazim (Anm. 37). 40 Dera Ismail Khan (Anm. 38). 41 Maria A. Ressa, Senior Abu Sayyaf leader swears oath to ISIS, Rappler am 4. August 2015, http://www.rappler.com/nation/65199-abu-sayyaf-leader-oath-isis (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 42 Sneha Shankar, US To Dissolve Anti-Terror Group, JSOTF-P, In Philippines After 10 Years Of Fighting Abu Sayyaf, 26. Juni 2014, Business Times, http://www.ibtimes.com/us-dissolve-anti-terror-group-jsotf-pphilippines -after-10-years-fighting-abu-sayyaf-1612340 (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 43 Jaman al-Jabiri, 28 dead in IS-claimed attack on Shiites in Yemen, Agence France Presse am 30. Juni 2015, http://www.webcitation.org/6Zfu6XxRv?url=http://reliefweb.int/report/yemen/28-dead-claimed-attack-shiitesyemen (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 44 Sami Aboudi, Islamischer Staat macht Al-Kaida im Jemen Konkurrenz, Reuters Deutschland am 5. Juli 2015, http://www.webcitation.org/6ZoaWUPeH?url=http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEKCN0PF0BU20150 705 (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 12 3.2.2. Katar45 Katar ist zwar kein Schauplatz von terroristischen Anschlägen, doch wird dem Emirat vorgeworfen , einer der wichtigsten Finanziers des IS zu sein. Auch der Bundesminister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller, nannte in einem Interview im Zusammenhang mit der Finanzierung des IS das „Stichwort Katar.“ Katar selbst streitet dies ab. Unbestritten sind aber folgende Fakten: Katar weigert sich insbesondere, die Beteiligung eigener Staatsangehöriger an Kämpfen im Ausland, sowie den Aufruf zur Teilnahme an solchen Kämpfen unter Strafe zu stellen und damit der VN-Resolution 2170 nachzukommen. Auch wenn der Staat Katar unter Umständen nicht selbst Geld an den IS spendet, so ist die Werbung für IS, die Rekrutierung von Kämpfern und die Unterstützung durch Spenden für katarische Bürger bis heute möglich. Vor dem Hintergrund der ansonsten durchaus eingeschränkten bürgerlichen Freiheiten in dem Emirat ist dies auffällig. 3.2.3. Kuwait Am 26. Juni 2015 ermordete ein Selbstmordattentäter in einer schiitischen Moschee in Kuwait mindestens 25 Menschen beim Freitagsgebet.46 Später bekannte sich der Islamische Staat zu der Tat.47 Wie auch Katar wird Kuwait vorgeworfen, zuzulassen, dass seine Bürger den IS finanziell unterstützen .48 Auch wurde es beschuldigt, die Spenden saudischer Staatsbürger an den IS abzuwickeln (da Saudi-Arabien selbst diese Spenden zu unterbinden versucht).49 Anders als Katar ist Kuwait aber auch aktiv am Kampf gegen den IS beteiligt und hat ihm öffentlich den Kampf angesagt .50 45 Alle Informationen aus: David Andrew Weinberg, Qatar and Terror Finance, Part I: Negligence, Foundation for Defense of Democracies, Dezember 2014, http://www.defenddemocracy.org/content/uploads/publications/Qatar_Part_I.pdf (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 46 Thomas Joscelyn, Terrorists strike in France, Kuwait, and Tunisia, killing dozens, The Long War Journal, 26. Juni 2015, http://www.longwarjournal.org/archives/2015/06/terrorists-strike-in-france-kuwait-and-tunisia.php (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 47 Thomas Joscelyn (Anm. 46). 48 Vgl. Infosphere, Kuwait and the IS – an Assessment, undatiert (nach dem 26. Juni 2015), http://www.infosphere.se/en/thoughts/kuwait-and-is-an-assessment (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). 49 Lori Plotkin Boghardt, Saudi Funding of ISIS, The Washington Institute, 23. Juni 2014, https://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/saudi-funding-of-isis (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 50 The Economist am 15. August 2015, Terrorists vs. Muslims, http://www.economist.com/news/middle-east-andafrica /21660999-authorities-fear-their-country-soft-target-bad (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 13 3.2.4. Libanon Anfang Januar 2014 übernahm ISIS die Verantwortung für einen am 2. Januar ausgeführten Autobomben -Anschlag in Beirut, der der Hisbollah galt und bei dem vier Menschen getötet wurden.51 Am 12. November 2014 sprengten sich zwei IS-Selbstmordattentäter in Beirut in die Luft und rissen 43 Menschen (die meisten Schiiten) mit in den Tod.52 Der IS bekämpft im Libanon vor allem die Hisbollah, die sich im syrischen Bürgerkrieg aktiv für den syrischen Präsidenten Assad engagiert, aber auch deren schiitische Basis in der Zivilbevölkerung. Es liegen keine zugänglichen Erkenntnisse über die Zahl der IS-Anhänger im Libanon vor, doch Beobachter gehen davon aus, dass ihre Zahl wächst, insbesondere unter den ärmeren sunnitischen Libanesen.53 Die räumliche Nähe zu Syrien und damit dem IS-Kerngebiet dürfte die Bedrohung für den Libanon steigern . 3.2.5. Saudi-Arabien Saudi-Arabien wurde vom irakischen Präsidenten Nuri al-Maliki explizit als verantwortlich für die finanzielle und moralische Unterstützung des IS im Nahen Osten benannt.54 Dem haben sich zahlreiche Kommentatoren angeschlossen.55 Nicht zuletzt die Tatsache, dass das in Saudi- Arabien geltende wahhabitische Shariarecht mit seinen drakonischen Strafen kaum vom „Strafrecht “ des IS zu unterscheiden ist und auch die verfolgte theologische Strömung nahezu identisch ist, spielt hierbei eine Rolle. Allerdings wird der Herrschaftsanspruch des Hauses Al-Saud vom IS (wie zuvor auch schon von al Qaeda) bestritten. Saudi-Arabien sei, so „Kalif“ Ibrahim, „der Kopf der Schlange und der Sitz der Krankheit.“56 Ende Juli 2014 distanzierte sich Saudi- Arabien vom IS.57 Anfang Januar 2015 gab es in der Region Arar einen Überfall auf eine Grenzpatrouille Saudi-Arabiens, zwei saudische Soldaten wurden getötet.58 Nach einigen kleineren 51 The Daily Star of Lebanon am 4. Januar 2014, ISIS claims responsibility for Beirut car bomb. 52 Jared Malsin, A Dysfunctional Lebanon Fears That ISIS Will Strike Again, Time am 17. November 2015, http://time.com/4117210/beirut-lebanon-isis-suicide-bombing-hezbollah/ (zuletzt abgerufen am 14. Januar 2015). 53 Sulome Anderson, Lebanon’s ISIS Problem Is Spinning Out of Control , New York Times Magazine, 13. November 2015, http://nymag.com/daily/intelligencer/2015/11/lebanon-isis-problem-is-out-of-control.html# (zuletzta bgerufen am 14. Januar 2016). 54 Deutsche Welle, Wer finanziert ISIS?, DW am 20. Juni 2014, http://www.dw.com/de/wer-finanziert-isis/a- 17718504 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 55 Lori Plotkin Boghardt (Anm. 49). 56 Bilal Y. Saab, Can the House of Saud Survive ISIS?, Foreign Affairs am 11. Juni 2015, https://www.foreignaffairs.com/articles/2015-06-11/can-house-saud-survive-isis (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 57 Saudi-Arabien distanziert sich von Isis, Münchner Merkur am 29. Juni 2014, http://www.merkur.de/politik/sunnitisches-saudi-arabien-distanziert-sich-isis-zr-3662526.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 58 Deutsche Welle am 5. Januar 2015, Tote bei Angriff auf saudische Grenzsoldaten, http://www.dw.com/de/totebei -angriff-auf-saudische-grenzsoldaten/a-18170654 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 14 Anschlägen, die dem IS zugeordnet wurden59, tötete der IS im Mai 2015 22 Menschen in einer schiitischen Moschee in der Stadt Kudaich.60 Dass der IS mit Kämpfern in Saudi-Arabien präsent ist, kann als sicher gelten, ebenso, dass zahlreiche Kämpfer des IS in Syrien bzw. dem Irak aus Saudi-Arabien stammen.61 Das komplexe Verhältnis Saudi-Arabiens zum IS, das sich auf religiöse , finanzielle, regional- und geopolitische Ebenen erstreckt, kann im Rahmen dieses Sachstandes nicht erschöpfend dargestellt werden. 3.2.6. Türkei Das Verhältnis der Türkei bzw. der gegenwärtigen türkischen Regierung zum IS ist komplex und von Mutmaßungen und politischen Kehrtwendungen geprägt. Zumindest zu Beginn des Syrien- Konfliktes unterstützte die Türkei die syrische Opposition zu Präsident Assad. Dabei soll die Türkei auch den Vorläufern des IS, später dem IS selbst, zumindest passive Unterstützung (etwa durch Offenhalten ihrer Grenzen zu Syrien, womit sie faktisch zum Schutzraum für grenznah operierende Gruppen wurde) geleistet haben.62 Außerdem ließ die Türkei zahlreiche Menschen, die sich dem IS anschließen wollten, ungehindert über ihr Territorium nach Syrien.63 Seit Jahren werfen Kritiker der türkischen Regierung bzw. dem damaligen Premierminister und heutigen Präsidenten Erdoğan vor, mit dem IS kollaboriert zu haben.64 Das Interesse der Türkei, einen unabhängigen kurdischen Staat zu verhindern, kollidiert mit der von der internationalen Koalition gegen den IS vorangetriebenen Stärkung der kurdischen Peschmerga-Truppen. Am 11. Mai 2013 wurden bei einem Bombenanschlag in der türkischen Stadt Reyhanlı 51 Menschen getötet. Der IS übernahm öffentlich die Verantwortung65, doch wurde dies von der türki- 59 Al Arabiya am 6. August 2015, Timeline: Al-Qaeda and ISIS attacks in Saudi Arabia, http://english.alarabiya.net/en/News/middle-east/2015/08/06/Timeline-Al-Qaeda-and-ISIS-attacks-in-Saudi- Arabia.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 60 Tagesschau am 22. Mai 2015, Anschlag auf Moschee in Saudi-Arabien, http://www.tagesschau.de/ausland/anschlag-saudi-arabien-101.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 61 Nämlich etwa 2.500. Siehe The Soufan Group (Anm. 13) 62 Al Monitor am 2. Dezember 2014, Is Islamic State finding refuge in Turkey?, http://www.almonitor .com/pulse/security/2014/12/turkey-syria-border-mursitpinar-kobane-kurds-isis.html##ixzz3Kru2JBlR (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 63 Natasha Bertrand, Senior Western official: Links between Turkey and ISIS are now 'undeniable', Business Insider am 28. Juli 2015, http://www.businessinsider.com/links-between-turkey-and-isis-are-now-undeniable-2015- 7?IR=T (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 64 Burak Akinci, Criticism mounts on Erdogan over ISIL kidnapping of Turkey hostages,Middle East Eye, 17. Juni 2014, http://www.middleeasteye.net/news/criticism-mounts-erdogan-over-isil-kidnapping-turkey-hostages- 558759746 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 65 Today’s Zaman vom 30. November 2013, ISIL threatens Erdoğan with suicide bombings in Ankara, İstanbul, http://www.todayszaman.com/diplomacy_isil-threatens-erdogan-with-suicide-bombings-in-ankara-istanbul _327739.html (zuletzta bgerufen am 18. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 15 schen Regierung nie offiziell bestätigt – diese verdächtigte öffentlich unterschiedliche andere Akteure, etwa den syrischen Geheimdienst oder die in Syrien operierende Al-Nusra-Front.66 Die Türkei ist an der internationalen Koalition gegen den IS in Syrien beteiligt, gestattete aber den Vereinigten Staaten erst spät die Nutzung ihrer Luftwaffenbasen in Südostanatolien.67 Spätestens nach einem Anschlag vom 12. Januar 2016, bei dem in Istanbul zehn deutsche Touristen ermordet wurden, scheint die türkische Regierung eine Kehrtwende gegenüber dem IS vollzogen zu haben: sehr bald wurde der Anschlag von der Regierung dem IS zur Last gelegt.68 Bis zum 18. Januar 2016 hat sich der IS selbst jedoch nicht dazu bekannt. Angesichts einer gemeinsamen Grenze zu Syrien und dem Irak, dem ambivalenten Verhalten der Türkei gegenüber dem IS und der Tatsache, dass über 2.000 IS-Kämpfer aus der Türkei stammen 69, ist es plausibel, anzunehmen, dass der IS in der Türkei präsent ist. Bisher hat er allerdings nichts unternommen, sein Gebiet über die Grenze hinaus in die Türkei zu erweitern. 3.3. Afrika Auf dem afrikanischen Kontinent ist der IS insbesondere in Libyen präsent. Des Weiteren stellt er – bzw. einer seiner Ableger – eine Gefahr in Ägypten dar. Nigeria, das unter der Terrorgruppe Boko Haram leidet, ist, wie schon erwähnt, ein Sonderfall. Boko Haram firmiert inzwischen zwar auch unter dem Rubrum „Islamischer Staat“, die Wurzeln der Gruppe reichen aber weiter zurück und es ist bis dato nicht klar, inwieweit tatsächliche Kommandostrukturen oder andere Verbindungen zum IS im „Kalifat“ bestehen. Für eine detaillierte Untersuchung des islamistischen Terrorismus auf dem afrikanischen Kontinent sei auf die Studie „Jihadismus in Afrika“ der Stiftung Wissenschaft und Politik verwiesen .70 66 Thomas Seibert, Turkish MP blames Al Nusra for border town attack, The National, 14. Mai 2013, http://www.thenational.ae/news/world/middle-east/turkish-mp-blames-al-nusra-for-border-town-attack (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 67 Deutsche Welle am 24. Juli 2015, US can use Incirlik air base to fight 'Islamic State,' says Turkey's Erdogan, http://www.dw.com/en/us-can-use-incirlik-air-base-to-fight-islamic-state-says-turkeys-erdogan/a-18605783 (zuletzt abgerufen am 18., Januar 2016). 68 Tagesschau am 17. Januar 2016, Zehn Verdächtigen wird der Prozess gemacht, https://www.tagesschau.de/ausland/istanbul-anschlag-prozess-101.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 69 The Soufan Group (Anm. 13). 70 Guido Steinberg und Annette Weber (Hg.), Jihadismus in Afrika - Lokale Ursachen, regionale Ausbreitung, internationale Verbindungen, Stiftung Wissenschaft und Politik, März 2015, http://www.swpberlin .org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S07_sbg_web.pdf#page=33 (zuletzt abgerufen am 19. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 16 3.3.1. Ägypten In einer in der ersten Novemberhälfte 2014 verbreiteten Videobotschaft erklärte ein Sprecher der ägyptischen Gruppe Ansar Bait al-Maqdis, der eine Reihe von Terroranschlägen zugeschrieben wird, sie habe sich dazu entschieden, sich dem IS anzuschließen und dem „Kalifen“ die Treue zu schwören.71 Die Gruppe besteht aus 2.000 Kämpfern, kontrolliert Gebiete im Norden des Sinai und hat in den Jahren bis 2014 etwa 100 ägyptische Sicherheitsleute getötet, zudem beschoss sie den israelischen Badeort Eilat wiederholt mit Raketen.72 Nach einer Anschlagsserie mit mindestens 20 Toten im Frühjahr 2015 ging das ägyptische Militär massiv gegen Stellungen der Terroristen auf dem Sinai vor.73 Auch dies konnte weitere Anschläge mit insgesamt über hundert Opfern nicht verhindern. Am 31. Oktober 2015 brachte eine Bombe ein russisches Passagierflugzeug zum Absturz und tötete 224 russische Ägyptenurlauber. Zum Anschlag bekannte sich der IS.74 3.3.2. Algerien Der französische Bergführer Hervé Gourdel wurde in Algerien am 21. September 2014 entführt und am 24. September 2014 enthauptet. Einer der Täter war mutmaßlich Bachir Kherza, Anführer der Dschihadistengruppe Jund al-Khalifah fi Ard al-Jazair („Soldaten des Kalifats in Algerien “), der Frankreich aufforderte, seine Luftangriffe gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat im Irak binnen 24 Stunden einzustellen.75 Die Gruppe hat dem IS die Treue geschworen. Allerdings wurde die ohnehin nie große Organisation inzwischen nahezu zerschlagen, derzeit stellt der IS nach Expertenmeinung keine besondere Bedrohung für Algerien dar.76 71 Christoph Sydow, Terrorallianz: Ägyptische Dschihadisten schließen sich dem IS an, Spiegel Online am 10. November 2014, http://www.spiegel.de/politik/ausland/islamischer-staat-terrorgruppe-in-aegypten-schwoertbaghdadi -treue-a-1001965.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 72 Christoph Sydow, Die Brüder des Kalifen, Spiegel Online am 13. November 2014 http://www.spiegel.de/politik/ausland/is-islamischer-staat-und-ableger-in-arabien-baghdadis-brueder-a- 1002541.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 20169: 73 Spiegel Online am 7. Februar 2015, Ägyptens Armee tötet viele Islamisten auf Sinai-Halbinsel, http://www.spiegel.de/politik/ausland/islamischer-staat-aegypten-toetet-viele-extremisten-auf-dem-sinai-a- 1017258.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 74 BBC News am 17. November 2015, Russia plane crash: 'Terror act' downed A321 over Egypt's Sinai, http://www.bbc.com/news/world-europe-34840943 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 75 Christoph Sydow, Algerische Terrorbrigaden: Frankreichs Albtraum, Spiegel Online am 25. September 2014, http://www.spiegel.de/politik/ausland/enthauptung-von-herve-gourdel-frankreich-fuerchtetnachahmungstaeter -a-993798.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 76 Nathaniel Barr, If at First You Don’t Succeed, Try Deception: The Islamic State’s Expansion Efforts in Algeria, The Jamestown Foundation am 13. November 2015, http://www.jamestown.org/programs/tm/single/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=44595&cHash=26ec1c1001c9fbada ee35008b6f2c174#.VpzBmvk18-V (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 17 3.3.3. Libyen Libyen war bereits vor Entstehung des IS Heimat verschiedener islamistischer Gruppen. Über mehrere Jahre bildeten sich drei voneinander abgrenzbare „Generationen“ des Islamismus mit jeweils unterschiedlichen Zielschwerpunkten und internationalen Verbindungen aus.77 Insbesondere aus der dritten Generation, die unter dem Eindruck der internationalen militärischen Intervention 2011 entstand, rekrutierten sich die Anhänger des heutigen libyschen Zweiges des IS.78 Diesem Ableger gelingt im Zuge des Bürgerkrieges seit 2014 die größten Erfolge außerhalb des Irak und Syriens zu erzielen. Am 3. Oktober 2014 erklärte die „Schura der Islamischen Jugend“ die Stadt Derna, die sie seit April 2014 kontrolliert, zum territorialen Besitz des IS.79 IS unterhält nach Aussagen des amerikanischen Generals David M. Rodriguez Ausbildungslager im Osten Libyens mit mehreren hundert Teilnehmern.80 Am 15. Februar 2015 veröffentlichten Anhänger des IS in Libyen unter dem Titel „Eine in Blut geschriebene Nachricht an die Nation des Kreuzes“ ein Video im Internet, das die Ermordung von 21 entführten Christen aus Ägypten an einem Strand in Libyen zeigt.81 Als Vergeltung bombardierten die libysche und ägyptische Luftwaffe gemeinsam die Stellungen des IS in Libyen.82 Dies verhinderte jedoch nicht, dass der IS mehrere Städte an der Küste unter seine Kontrolle bringen konnte, darunter Anfang August 2015 die größere Hafenstadt Sirte.83 Dass der IS dort unangefochten herrscht, zeigt die blutige Niederschlagung eines Aufstandes in Sirte mittels schwerer Waffen im August 2015.84 Der IS profitiert vom Machtvakuum in Libyen nach dem 77 Wolfram Lacher, Libyen: Wachstumsmarkt für Jihadisten, in: Guido Steinberg und Annette Weber (Anm. 68), S. 33 ff. 78 Wolfram Lacher (Anm. 77). 79 Astrid Frefel, In Ostlibyen entsteht ein Mini-Emirat, Der Standard am 29. Oktober 2014, http://derstandard.at/2000007477279/In-Ostlibyen-entsteht-ein-Mini-Emirat (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 80 Süddeutsche Zeitung am 4. Dezember 2014, Terrormiliz IS bildet Kämpfer in Libyen aus, http://www.sueddeutsche.de/politik/einflussgebiet-der-terrormiliz-is-bildet-kaempfer-in-libyen-aus-1.2251616 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 81 Deutsche Welle am 15. Februar 2016, IS-Anhänger ermorden 21 ägyptische Kopten, http://www.dw.com/de/isanh %C3%A4nger-ermorden-21-%C3%A4gyptische-kopten/a-18259642 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 82 Spiegel Online am 16. Februar 2016, Bomben auf Libyen: Dutzende IS-Kämpfer bei Ägyptens Rache- Luftschlägen getötet, http://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-dutzende-is-kaempfer-durch-aegyptensrache -luftschlaege-getoetet-a-1018699.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 83 Martin Gehlen, Der Horror erfasst Sirte, Die Zeit am 16. August 2015, http://www.zeit.de/politik/ausland/2015- 08/libyen-sirte-gefechte-islamischer-staat (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 84 Christoph Sydow, Islamischer Staat schlägt Aufstand in Sirte nieder, 17. August 2015, Spiegel´Online am http://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-islamischer-staat-schlaegt-aufstand-in-sirte-nieder-a- 1048397.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 18 Sturz Gaddafis im Zuge der internationalen militärischen Intervention und der Unfähigkeit des libyschen Staates, die Staatsgewalt in seinem gesamten Territorium durchzusetzen. Derzeit gibt es zwei Regierungen in Libyen, von der eine international anerkannt ist. Die Erfolge der Terrororganisation schaden der Legitimation dieser Regierung.85 In Libyen lässt sich beobachten, was bereits in Abschnitt 2.2 dargelegt wurde: der IS profitiert in erheblichem Maße vom Zerfall der staatlichen Ordnung und insbesondere auch von der Erbeutung schwerer Waffen, die es ihm ermöglichten, eigene militärische Kapazitäten aufzubauen und ein Territorium zu kontrollieren.86 Allerdings sind die libyschen Gegebenheiten anders als im Irak und in Syrien: laut Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik ist es insbesondere der überall in Libyen stark ausgeprägte Lokalismus, der der Ausbreitung des IS – wie auch jeder anderen Gruppe – Grenzen setzt.87 Die von Lacher im März 2015 getroffene Prognose, dass der IS, bzw. dschihadistische Gruppen allgemein, in Libyen bei der Eroberung und Konsolidierung eigener Herrschaftsbereiche Erfolg haben würden, hat sich bestätigt. 3.3.4. Nigeria Im Jahre 2014 sagte die islamistische Miliz Boko Haram88 dem IS seine Unterstützung zu, im März 2015 schloss sie sich ihm offiziell an.89 Nachdem Boko Haram zeitweise mehrere Städte im Osten Nigerias kontrolliert hatte, konnte sie im März 2015 von den nigerianischen Streitkräften deutlich zurückgedrängt werden.90 Dabei erhielt Nigeria militärische Unterstützung durch Niger, den Tschad, Benin und Kamerun.91 Beim Kampf zwischen Boko Haram und Armee wurde die Stadt Baga fast vollständig zerstört. Boko Haram unterscheidet sich dennoch vom „eigentlichen“ IS in Syrien und dem Irak (siehe Abschnitt 2.2). Insbesondere ist die Organisation zwar auch in den Nachbarländern Nordnigerias präsent, erhebt aber anders als der „eigentliche“ IS keinen globalen Anspruch und rekrutiert auch nicht international. 85 Martin Gehlen (Anm. 83). 86 Vgl. Wolfram Lacher (Anm. 77). 87 Wolfram Lacher (Anm. 77), S. 46 ff. 88 Die eigentliche Bezeichnung der Organisation lautet Jama’at Ahl as-Sunna li-d-Da’wa wal-Jihad („Sunnitische Gruppe für den Aufruf zum Glauben und den Heiligen Krieg“). „Boko Haram“ bedeutet in der Lokalsprache „Bücher (=westliche Erziehung und Lebensweise) sind sündig“. 89 Spiegel Online am 7. März 2015, Terror-Allianz: Boko Haram leistet IS den Treueschwur, http://www.spiegel.de/politik/ausland/terror-gruppen-boko-haram-unterwirft-sich-is-a-1022370.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 90 Tagesschau vom 9. März 2015, Nachbarländer greifen in Nigeria ein - Bodenoffensive gegen Boko Haram, http://www.tagesschau.de/ausland/boko-haram-kaempfe-101.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 91 Tagesschau (Anm. 90). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 19 3.3.5. Tunesien Tunesien ist Hauptherkunftsland der ausländischen Kämpfer des IS in Syrien und dem Irak.92 Dennoch ist der IS in Tunesien selbst bisher kaum in Erscheinung getreten, wobei das Land, wiewohl von Terroranschlägen bedroht, derzeit eine relativ stabile Entwicklung zu einer freiheitlichen Demokratie durchmacht. Im Verwaltungsbezirk Kasserine an der Grenze zu Algerien befindet sich die Hochburg der tunesischen Dschihadistengruppe Phalange Okba Ibn Nafaa, die im September 2014 dem IS offiziell Unterstützung angeboten hat.93 Am 19. März 2015 bekannte sich der IS zu dem Terroranschlag auf das Nationalmuseum von Bardo, bei dem einen Tag zuvor 25 Menschen, hauptsächlich ausländische Touristen, gestorben waren.94 Die tunesischen Behörden gehen aber davon aus, dass Okba Ibn Nafaa den Anschlag selbst begangen hat.95 Tausende tunesische Bürger demonstrierten nach dem Anschlag gegen den radikalen Islamismus.96 3.4. Australien Mitte September 2014 nahm die australische Polizei 15 IS-Anhänger fest, die geplant haben sollen , Passanten auf der Straße wahllos aufzugreifen und vor laufender Kamera zu enthaupten.97 Laut dem damaligen australischen Premierminister Tony Abbott erhielten die Festgenommenen ihre Anweisungen von einem Australier, der im Gebiet des „Kalifats“ in Syrien lebt.98 Am 15. Dezember 2014 nahm der IS-Sympathisant Man Haron Monis in einem Café in Sydney 17 Personen als Geiseln. Im weiteren Verlauf starben zwei Geiseln, Man Haron Monis wurde von der Polizei erschossen.99 Inzwischen wird bezweifelt, dass der schon vorher als verhaltensauffäl- 92 The Soufan Group (Anm. 13). 93 Tunisie Focus, Le groupe terroriste tunisien „Okba Ibn Nafaâ“ prête allegeance à DAECH, 20. September 2014, http://www.tunisiefocus.com/politique/les-groupe-terroriste-tunisien-okba-ibn-nafaa-prete-allegeance-a-daech- 100807/ (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 94 Tagesschau am 19. März 2015, IS bekennt sich zu Anschlag von Tunis, http://www.tagesschau.de/ausland/tunis-terror-107.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 95 Tarek Amara und Mohamed Argoubi, Thousands of Tunisians, leaders march after Bardo attack, Reuters am 29. März 2015, http://www.reuters.com/article/us-tunisia-security-idUSKBN0MP03O20150329 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 96 Tarek Amara und Mohamed Argoubi (Anm. 95). 97 Zeit Online am 18. September 2014, http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-09/australien-islamischer-staatrazzia -exekutionen (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 98 Zeit Online (Anm. 97). 99 Dan Box, Sydney siege inquest: Lindt Cafe deaths investigated, The Australian am 29. Januar 2014, http://www.theaustralian.com.au/in-depth/sydney-siege/sydney-siege-inquest-lindt-cafe-deathsinvestigated /news-story/80920305ff4d733b2f8a404dda8127ca?= (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 20 lig bekannte Monis die Tat tatsächlich im Auftrag des IS durchführte.100 Nichtsdestotrotz wurde Monis‘ Tat in den Propagandamedien des IS gerühmt.101 Dies zeigt einmal mehr, dass der IS eine Marke ist, die sich prinzipiell jeder zu Eigen machen kann.102 3.5. Amerika Die USA sind nicht nur ideologisch, sondern auch militärisch der stärkste Gegner des IS. Seit August 2014 statten die USA die Kurden mit Waffen aus und fliegen zudem an der Spitze der gegen den IS kämpfenden westlichen Staaten Luftangriffe gegen die Stellungen des IS im Irak und in Syrien.103 Der Vollständigkeit halber sind die USA hier aufgeführt, wobei zweifelhaft ist, ob der IS tatsächlich dort präsent sind. Im Mai 2015 bekannte sich der IS zu einem Terroranschlag auf eine Veranstaltung in Texas, auf der Mohammed-Karikaturen präsentiert wurden.104 Am 2. Dezember 2015 ermordete ein aus Saudi-Arabien stammendes Ehepaar 14 Menschen im kalifornischen San Bernardino. In einem Facebookeintrag hatte die Frau zuvor dem IS Treue geschworen.105 Inwieweit die Täter bei beiden Taten tatsächlich in die Strukturen des IS eingebunden und die Tat von IS-Strategen geplant worden war, ist derzeit unklar, die Indizien sprechen eher dagegen. 3.6. Europa Anders als in Nordafrika und dem Nahen Osten dürfte der Islamische Staat in Europa zwar eine terroristische, nicht jedoch eine militärische Gefahr sein. Die Gefahr von Terroranschlägen durch den IS ist, wie schon zu Anfang dieses Sachstandes bemerkt, jedoch erheblich: In zahlreichen 100 Anne Aly, Sydney siege: don't call Man Haron Monis a 'terrorist' - it only helps Isis , The Guardian vom 16. Dezember 2014, http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/dec/16/sydney-siege-dont-call-man-haronmonis -a-terrorist-it-only-helps-isis (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 101 Matthew Knott, Sydney siege gunman Man Haron Monis glorified in Islamic State propaganda magazine Dabiq, The Sydney Morning Herald am 30. Dezember 2014, http://www.smh.com.au/federal-politics/politicalnews /sydney-siege-gunman-man-haron-monis-glorified-in-islamic-state-propaganda-magazine-dabiq-20141229- 12fdg6.html#ixzz3xb2L1JFF (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 102 Siehe Yassir Morsi, Before he flew the black flag, Monis was just a desperate man with a violent past, The Guardian am 16. Dezember 2014, http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/dec/17/before-he-flew-theblack -flag-monis-was-just-a-desperate-man-with-a-violent-past (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 103 Martin Gehlen, Blitzvormarsch der Dschihadisten ließ USA angreifen, Die Zeit am 8. August 2014, http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-08/obama-luftangriffe-irak-islamischer-staat (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 104 Tagesschau am 5. Mai 2015, IS will Anschlag begangen haben, http://www.tagesschau.de/ausland/is-willanschlag -in-texas-begangen-haben-101.html (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 105 Michael S. Schmidt und Richard Pérez Pena (Anm. 19). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 21 Ländern der EU dürften sich aus dem „Kalifat“ zurückgekehrte EU-Bürger aufhalten.106 Laut Schätzungen107 entfallen auf EU-Länder folgende Zahlen von Rückkehrern: Frankreich 250 Deutschland 200 Belgien 118 Schweden 115 Österreich 70 Dänemark 62 Niederlande 40 Italien 10. Zumindest für Deutschland gibt es auch Schätzungen, die von etwa 250 Rückkehrern ausgehen .108 Diese Zahlen sind jedoch höchstens Anhaltspunkte, da die Einreise von IS-Anhängern – seien es deutsche Staatsangehörige oder Ausländer – in den Schengen-Raum nicht immer belegen lässt, was von potentiellen Terroristen ja auch nicht erwünscht wäre. Laut dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sei nicht auszuschließen, dass sich etwa unter den derzeit aus Syrien und anderen Ländern nach Europa kommenden Migranten und Flüchtlingen auch Anhänger des IS oder zumindest Personen mit Kampferfahrung befänden.109 Die einzelnen Länder handhaben das Problem unterschiedlich. In der Bundesrepublik tauschen 40 Landes- und Bundesbehörden über das gemeinsame Terrorabwehrzentrum Informationen aus.110 Oft sind diese aber nur spärlich. Sicherheit, dass alle Rückkehrer erfasst wurden, gibt es nicht.111 Bei der Mehrheit derjenigen, von denen die Behörden überhaupt wissen, fehlen außerdem belastbare Informationen, dass sie in Syrien an Kampfhandlungen beteiligt waren, wie das Bundeskriminalamt laut Presseberichten erläutert.112 Wie diese dann vom BKA überwacht werden , darüber geben die Behörden keine Auskunft.113 Der Nachweis bzw. der begründete Verdacht, 106 The Soufan Group (Anm. 13). 107 The Soufan Group, S. 7 – 9 (Anm. 13). Stand: Dezember 2015. 108 Rebecca Krizak, Radikalisiert zurück, Die Zeit am 19.November 2015, http://www.zeit.de/politik/2015- 11/deutsche-is-syrien-deutschland-rueckkehrer (zuletzt abgerufen am 19. Januar 2016). 109 Solveig Bach, Hätten die Geheimdienste gewarnt sein müssen?, ntv am 16. November 2015, http://www.ntv .de/politik/Haetten-die-Geheimdienste-gewarnt-sein-muessen-article16365701.html (zuletzt abgerufen am 20. Januar 2016). 110 Rebecca Krizak (Anm. 108). 111 Rebecca Krizak (Anm. 108). 112 Rebecca Krizak (Anm. 108). 113 Rebecca Krizak (Anm. 108). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 22 an Kampfhandlungen beteiligt oder zumindest Mitglied einer ausländischen terroristischen Vereinigung gewesen zu sein, ist Voraussetzung für die Strafverfolgung und konnte bis November 2015 in Deutschland bei etwa 70 Rückkehrern erbracht werden.114 Insgesamt sollen laut BKA und Verfassungsschutz etwa 420 Personen in der Bundesrepublik leben, von denen eine Bedrohung ausgehen könnte, dies umfasst aber nicht nur Anhänger des IS, sondern auch andere potentielle islamistische Gewalttäter.115 In Frankreich wurde nach den Anschlägen vom November 2015 das Notstandsgesetz von 1955 erweitert. Es ermöglicht den Behörden z.B., Hausarrest über bestimmte Personen zu verhängen und sie anzuweisen, ihren Wohnsitz in bestimmten Gegenden zu nehmen .116 Derzeit wird ein Gesetzentwurf beraten, den einzelnen Maßnahmen unter anderem den Entzug der französischen Staatsbürgerschaft hinzuzufügen.117 Dies könnte zumindest eine legale Rückkehr nach Frankreich bzw. in die EU unmöglich machen. 3.6.1. Frankreich und Belgien Frankreich beteiligt sich am Kampf gegen den IS. Während sich die beiden Hauptattentäter beim Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015 zur Organisation Al-Qaida im Jemen bekannten, hatte ihr ebenfalls getöteter Komplize Amedy Coulibaly zuvor in einer später veröffentlichten Videobotschaft seine Solidarität mit dem Islamischen Staat erklärt.118 Auch zu den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris hat sich der IS bekannt.119 Zwei der mutmaßlichen Täter vom 13. November 2015 waren aus Belgien, zwei weitere, die sich selbst in die Luft gesprengt hatten, waren auf der griechischen Insel Leros als Flüchtlinge registriert worden, bevor sich ihre Spur verlor. Ihre Herkunft ist unbekannt.120 Neben den erwähnten innenpolitischen Konsequenzen in Frankreich hatten die Anschläge von Paris zur unmittelbaren Folge, dass Frankreichs Präsident Hollande in einer Rede am 16. Novem- 114 Rebecca Krizak (Anm. 108). 115 Rebecca Krizak (Anm. 108). 116 Journal Officiel de la République Française Nr. 0270 vom 21. November 2015, S. 21665, Text Nr. 1; http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do;jsessionid=F6AFAC72CD70B57CA99E9EA1662C891A.tpdila08v_ 2?cidTexte=JORFTEXT000031500831&dateTexte=20151121 (zuletzt abgerufen am 19. Januar 2016). 117 Der Gesetzesentwurf trägt den Titel „Projet de loi renforçant la lutte contre la criminalité organisée et son financement , l’efficacité et les garanties de la procédure pénale“, siehe die Mitteilung der französischen Regierung unter http://www.gouvernement.fr/conseil-des-ministres/2015-12-23/presentation-du-projet-de-loirenforcant -la-lutte-contre-le- (zuletzt abgerufen am 19. Januar 2016). 118 Süddeutsche Zeitung am 11. Januar 2015, IS-Video von Amedy Coulibaly aufgetaucht, http://www.sueddeutsche.de/panorama/terror-in-frankreich-is-video-von-amedy-coulibaly-aufgetaucht- 1.2299025 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 119 L’Opinion am 14. November 2015, L’organisation Etat islamique revendique les attentats de Paris, http://www.lopinion.fr/edition/politique/l-organisation-etat-islamique-revendique-attentats-paris-90561 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 120 BBC am 14. Januar 2016, Paris attacks: Who were the attackers?, http://www.bbc.com/news/world-europe- 34832512 (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 23 ber 2015 erklärte, sich mit dem IS im Krieg zu befinden.121 Zwar hatte Frankreich bereits seit September an der Seite der Vereinigten Staaten und Großbritannien Angriffe gegen den IS in Syrien geflogen, doch hatte die Feststellung, dass Frankreich sich mit dem IS im Krieg befände, zur Folge , dass die Staaten der EU im Rahmen der Beistandspflicht der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) Frankreich in seinem Kampf gegen den IS unterstützen mussten.122 Dementsprechend erteilte der Deutsche Bundestag am 4. Dezember 2015 der Bundeswehr das Mandat, sich an dem Einsatz gegen den IS in Syrien zu beteiligen.123 Die Anschläge von Paris unterscheiden sich von denen der al-Qaeda in Madrid 2004 und London 2005 in der Hinsicht, dass sie unmittelbar militärische Gegenwehr, und zwar nicht auf Frankreich beschränkt, auslösten . Die Anschläge an sich sind dennoch weiterhin ein Problem der inneren Sicherheit und kein militärisches. Hierbei ist ungeklärt, inwieweit die Geheimdienste die Anschläge hätten verhindern können. Laut Presseberichten waren die französischen, aber auch die Geheimdienste anderer europäischer Geheimdienste unter anderem vom irakischen und türkischen Geheimdienst vor der Gefahr unmittelbar bevorstehender Anschläge gewarnt gewesen.124 3.6.2. Russland Verschiedene Teile des im Nordkaukasus (insbesondere Dagestan) operierenden islamistischen Netzwerkes „Islamisches Kaukasus-Emirat“ schworen dem IS ab Dezember 2014 die Treue.125 Der IS reagierte mit der Anerkennung des Treueschwurs und bezeichnet den Kaukasus seither als Provinz des Kalifats. Tatsächlich übt das intern zerstrittene „Emirat“ aber keine territoriale Kontrolle aus.126 4. Schlussbemerkungen Der „Islamische Staat“ ist heute nicht mehr nur auf das Gebiet des „Kalifats“ in Syrien und dem Irak sowie Libyen beschränkt. Er hat einen hybriden Charakter: während er im „Kalifat“ einen eigenen Quasi-Staat etabliert hat, ist er in anderen Ländern eine im Untergrund operierende Ter- 121 Spiegel Online am 17. November 2015, http://www.spiegel.de/politik/ausland/francois-hollande-nach-terror-inparis -frankreich-ist-im-krieg-a-1063145.html (zuletzt abgerufen am 20. Januar 2016). 122 Vgl. Antrag der Bundesregierung „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindungterroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“ vom 1. Dezember 2015, BTG-Drs. Nr. 18/6866. Hervorhebung durch den Verfasser. 123 Deutscher Bundestag am 4. Dezember 2015, Bundestag billigt Einsatz der Bundeswehr gegen IS, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw49-de-bundeswehreinsatz-isis-freitag/397884 (zuletzt abgerufen am 20. Januar 2016). 124 Solveig Bach (Anm. 109). 125 Thomas Joscelyn, Islamic State spokesman calls on other factions to ‘repent,’ urges sectarian war, The Long War Journal, 23. Juni 2015, http://www.longwarjournal.org/archives/2015/06/islamic-state-spokesman-calls-onother -factions-to-repent.php (zuletzt abgerufen am 18. Januar 2016). 126 Thomas Joscelyn (Anm. 125). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 005/16 Seite 24 rororganisation (etwa in Frankreich oder der Türkei). In anderen Staaten wiederum ist er in erster Linie eine „Marke“, die sich höchstwahrscheinlich individuell handelnde Terroristen in Eigeninitiative anheften können (so z.B. in Sydney und San Bernardino). Die Stärke des IS ist dabei stets relativ zur Stärke seines Umfeldes, weshalb er sich vornehmlich in gescheiterten oder fragilen Staaten als militärisch ernstzunehmende Gefahr zu etablieren versucht. Auch hier kann der Leitgedanke der „Marke“ hilfreich sein, wie der Treueschwur von Boko Haram zeigt: eigentlich eigenständige Organisationen unterwerfen sich formell dem IS und sorgen so für eine zumindest theoretische Ausweitung seines Herrschaftsbereiches. In anderen Staaten, in denen die staatliche Ordnung nicht in Gefahr ist, dürfte er dazu keine Chance haben. Nimmt man alle Erscheinungsformen dessen, was sich als „Islamischer Staat“ bezeichnet, zusammen, so ist es die „Marke IS“, die als Gemeinsamkeit besteht. Die Bekämpfung des IS ist jedoch, so wie er selbst, von Fall zu Fall unterschiedlich und reicht vom Polizeieinsatz bis hin zur großangelegten militärischen Operation .