© 2018 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 004/18 Die Milizen al-Nasr und Dabbashi in West-Libyen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 004/18 Seite 2 Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Die Milizen al-Nasr und Dabbashi in West-Libyen Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 004/18 Abschluss der Arbeit: 12. Januar 2018 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 004/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Al-Nasr 4 3. Dabbashi-Clan 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 004/18 Seite 4 1. Einführung Dieser Sachstand gibt einen Überblick über die bislang bekannten, konkreten Informationen über die libyschen Organisationen bzw. Milizen Dabbashi und al-Nasr. In der aktuellen Literatur zum Bürgerkrieg in Libyen finden sich meist nur spärliche Hinweise auf diese beiden bewaffneten Gruppen. Sie gehören bislang offenbar nicht zu den gewichtigsten Akteuren in dem unübersichtlichen Konflikt um die Vorherrschaft in Libyen.1 Allerdings sind sie auf kleinräumiger, lokaler Ebene von Bedeutung. Überdies gelangte insbesondere der Dabbashi- Clan im Jahre 2017 in die internationale Berichterstattung, weil es zahlreiche Berichte über eine verdeckte Zusammenarbeit der italienischen Behörden mit der Miliz gab.2 Italienische Geheimdienstmitarbeiter sollen der Miliz Schmiergelder gezahlt haben, damit diese die Ausschiffung von Migranten von dem von ihr kontrollierten Küstenabschnitt verhindere. Dieselben Milizen haben zuvor mit Menschenschmuggel großen Profit gemacht: „Die Schlepper von gestern sind die Bekämpfer des Menschenschmuggels von heute.“3 Dies ist jedoch nicht Gegenstand dieses Sachstandes, der sich darauf beschränkt, bislang bekannte, konkrete Informationen zu den beiden Gruppen zu verschaffen. Diese sind allerdings nicht sehr umfangreich. Insbesondere konnten keine Hinweise zu personeller Stärke der beiden Gruppen gefunden werden. Auch ist nicht klar, seit wann diese Gruppen existieren bzw. ob sie Vorläufer (etwa in Form lokaler organisierter Kriminalität) vor dem Sturz Muammar al-Ghaddafis bzw. dem Bürgerkrieg hatten. 2. Al-Nasr Al-Nasr (arab. Sieg) ist der Name einer Miliz, die in und um Zawiya, einer Stadt im Westen Libyens, aktiv ist. Sie ist Mohammed al-Kashlaf (andere in den Quellen vorgefundene Schreibweisen: Kaslaf, Kislaf, Khoshlaf4) unterstellt.5 Al-Kashlaf ist vom Clan der Awlad Bu Hmeira und führt zusammen mit seinem Bruder Walid eine kriminelle Organisation, die vor 1 Vgl. Mary Fitzgerald und Mattia Toaldo, A quick guide to Libya’s main players, European Council on Foreign Relations MENA Programme, 2018, http://www.ecfr.eu/mena/mapping_libya_conflict# (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). Beide Milizen werden in dieser regelmäßig aktualisierten Übersicht nicht genannt. 2 Einen guten Überblick gibt Christian Weisflog, Viele «schmutzige Deals» in Libyen, Neue Zürcher Zeitung am 2. September 2017, https://www.nzz.ch/international/kampf-gegen-bootsfluechtlinge-viele-schmutzige-deals-inlibyen -ld.1313832 (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). 3 Christian Weisflog (Anm. 2). 4 Grundsätzlich ist es ein Problem bei der Recherche, dass unterschiedliche Quellen unterschiedliche Transkribierungen der arabischen Sprache nutzen. So finden sich allein für die Stadt Zawiya die Schreibweisen Zawiyah, Ez Zauia, az-Sawiya, al-Sawija oder einfach Sawija. 5 Francesca Mannocchi, Italy accused of bribing Libyan militias to stop migrants reaching Europe, Middle East Eye am 25. August 2017, http://www.middleeasteye.net/news/libyan-militias-being-bribed-stop-migrantscrossing -europe-2107168893 (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 004/18 Seite 5 allem mit dem Schmuggel von Menschen und Gütern (v.a. Treibstoff) sowie inoffiziellen und offiziellen Sicherungsaufgaben Profite macht.6 Al-Kashlafs Gruppe ist derzeit offiziell für mindestens zwei Aufgaben zuständig: Schutz der sich in ihrem Einflussgebiet befindlichen Ölraffinerien sowie Sicherung eines von der libyschen Regierung7 betriebenen Auffanglagers für Migranten.8 Darüber hinaus arbeitet sie mit der Küstenwache zusammen, um entweder Menschenschmuggel durchzuführen oder aber – je nach Interessenslage – die Ausschiffung von Migranten Richtung Europa zu verhindern. In der Vergangenheit soll al-Kashlaf Tausende von Migranten in den seit 2012 von seiner al-Nasr-Miliz kontrollierten Ölraffinerien in Zawiya zu unentgeltlicher Arbeit gezwungen haben. Der in den Raffinerien erzeugte Treibstoff wird mutmaßlich teuer verkauft bzw. geschmuggelt. Die Vereinten Nationen (VN) werfen al-Kashlaf und mit ihm verbündeten Personen (so z.B. dem Chef der lokalen Küstenwache, Abdurahman Al Milad, genannt al-Bija, der laut VN seine Stellung der Unterstützung durch al-Kashlaf und dessen Bruder verdankt) Menschenrechtsverletzungen gegenüber Migranten vor.9 In den Jahren 2016 und 2017 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen der al-Nasr- Miliz und mit ihr verbündeten Milizen auf der einen und Milizen der lokalen Warlords Awlad Saqr, Othman al-Lahab und al-Khadrawi um die Kontrolle der Raffinerien, über die Kashlaf seit 2012 ein „Monopol“ hat.10 Bislang haben die Brüder al-Kashlaf und ihr Verbündeter al-Bija (der demselben Clan angehört wie die al-Kashlafs) ihre Vormachtstellung in Zawiya, das als Zentrum des Menschen- und Ölschmuggels in West-Libyen gilt und dessen Kontrolle daher hohe Profite verspricht, halten können. 3. Dabbashi-Clan Mehrere Milizen unterstehen der Führung des Dabbashi-Clans in und um Sabratha, einer Hafenstadt im Westen Libyens. Offiziell sind die Dabbashis der international anerkannten libyschen Regierung in Tripolis gegenüber loyal. Ihr Oberhaupt ist Ahmed al-Dabbashi. 6 United Nations, Security Council, Final report of the Panel of Experts on Libya established pursuant to resolution 1973 (2011), S/2017/466, S.103, 1. Juni 2017, http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3- CF6E4FF96FF9%7D/s_2017_466.pdf (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). 7 Wenn in diesem Sachstand von der libyschen Regierung die Rede ist, so bezeichnet dies die von den Vereinten Nationen anerkannte Regierung in Tripolis, nicht die „zweite“ Regierung unter General Haftar in Ost-Libyen. 8 Alle Informationen dieses Absatzes: Francesca Mannocchi (Anm. 5). 9 United Nations, Security Council, Final report of the Panel of Experts on Libya established pursuant to resolution 1973 (2011), S/2017/466, S.133, 1. Juni 2017, http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3- CF6E4FF96FF9%7D/s_2017_466.pdf (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). 10 United Nations (Anm.9). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 004/18 Seite 6 Die verfügbaren Informationen über den Dabbashi-Clan im Allgemeinen und über seine Milizen im Besonderen sind größtenteils fragmentarisch. Unklar ist vor allem auch die Benennung einzelner Milizen. So bezeichnen mehrere Quellen zumindest eine dem Clan unterstellte Miliz mit dem Namen al-Ammu-Miliz. Al-Ammu bedeutet Onkel. Dies ist jedoch anderen Quellen zufolge bloß der Spitzname von Ahmed al-Dabbashi, der wiederum mindestens eine von ihm geführte Miliz als die Anas-al-Dabbashi-Brigade bezeichnet.11 Nur eine der recherchierten Quellen bezeichnet al-Ammu-Miliz und Anas-al-Dabbashi-Brigade ausdrücklich als identisch.12 Eine andere Quelle wiederum nennt „die Miliz“ des Dabbashi-Clans „Brigade 48.“13 Da in jedem Fall die Führung vom Dabbashi-Clan ausgeübt wird, mag diese sprachliche Unklarheit letztlich irrelevant sein, doch gilt es, sie bei Lektüre von Analysen und Presseberichten zu beachten. Gesichert ist, dass der Dabbashi-Clan allen Quellen zufolge in den Schmuggel von Menschen und Gütern verwickelt ist und von Ahmed al-Dabbashi geführt wird. Gleichzeitig verfügt die (in der diesbezüglichen Quelle so benannte) al-Ammu-Miliz über einen offiziellen Vertrag zur Sicherung der vom italienischen Konzern ENI betriebenen Öl- und Gasraffinierie in der Stadt Mellitah.14 Mehrfach kam es insbesondere in der Region Sabratha zu Kämpfen zwischen Milizen der Dabbashis und anderen Milizen, insbesondere mit der Libyschen Nationalen Armee (LNA).15 Diese besteht aus Teilen der früheren Armee Libyens, die nach dem Sturz Muammar al- Gaddhafis in mehrere bewaffnete Gruppen zerfallen war. Sie ist General Chalifa Haftar, dem Führer der von den Vereinten Nationen nicht anerkannten „zweiten“ Regierung des Landes, unterstellt. Politische oder ideologische Präferenzen der Dabbashis lassen sich nicht klar ausmachen. Mindestens ein Mitglied des Clans, Abdallah al-Dabbashi, trainierte bis Anfang 2015 südlich von Sabratha Kämpfer einer lokalen Gruppe des „Islamischen Staates“ (IS). Er wurde 2016 getötet. 11 „Brigade leader Ahmed al-Dabbashi, also known as Al-Ammu (the uncle) […] said “We, al-Dabbashi brigade, had an agreement with Government of National Accord (GNA) to stop illegal migration””, Ahmed Elumami, Migrant smuggling crackdown triggered clashes in Libyan city: armed group head, reuters am 29. September 2017, https://www.reuters.com/article/us-europe-migrants-libya/migrant-smuggling-crackdown-triggeredclashes -in-libyan-city-armed-group-head-idUSKCN1C41ML (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). 12 Mounia Meiborg, Vom Schlepper zum Küstenwächter, Die Zeit am 8. Oktober 2017, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-10/libyen-migranten-camp-italien-abkommen-migration (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). 13 Mirco Keilberth, Libyscher Warlord hält Flüchtlinge auf, taz am 23. August 2017, http://www.taz.de/!5436032/ (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). 14 Declan Walsh und Jason Horowitz, Italy, Going It Alone, Stalls the Flow of Migrants. But at What Cost?, New York Times am 17. September 2017, https://www.nytimes.com/2017/09/17/world/europe/italy-libya-migrantcrisis .html (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). 15 Sabratha council calls for an end to town battles, Libya Herald am 18. September 2017, https://www.libyaherald.com/2017/09/18/sabratha-council-calls-for-an-end-to-town-battles/ (zuletzt abgerufen am 12. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 004/18 Seite 7 Offenbar hatte sich Ahmed al-Dabbashi („Ammu“) zuvor mit diesen IS-Gruppen arrangiert. Berichten zufolge wurde er in dieser Zeit mit dem Schmuggel von Menschen und Gütern zum Multimillionär. Nachdem der IS in Libyen in massive militärische Bedrängnis geraten und Sabratha durch LNA-Milizen vom IS befreit worden war, änderte Ahmed al-Dabbashi seine Loyalitäten und führte selbst eine Miliz an, die gegen den IS kämpfte. Seither bezeichnet er sich als loyal zur international anerkannten Regierung in Tripolis. Die verfügbaren Informationen zeichnen jedoch ein Bild Ahmed al-Dabbashis als opportunistisch handelnden Warlords, der seine Loyalitäten und Aktivitäten ganz auf den persönlichen Profit ausrichtet. Neben reinem Profitstreben dürfte insbesondere hinter dem erwähnten Geschäft mit Italien der Versuch stehen, die eigene Position für die Zeit nach dem Bürgerkrieg zu stärken und einer etwaigen Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen zu entgehen.16 *** 16 Siehe dazu die Aussage von Hassan Dhawadi, Bürgermeister von Sabratha: „Die Milizenführer in ganz Libyen haben Angst, auf einer geheimen Kriegsverbrecherliste zu stehen. In der Kooperation mit den italienischen Behörden sehen sie die Chance, mit weißer Weste auf der Seite der Übergangsregierung zu stehen und ihre Milizen zu legalisieren.“ Mirco Keilberth (Anm. 10).