© 2021 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 003/21 Zur Frage einer Visumpflicht für Privataufenthalte des thailändischen Königs in Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einführung Die Frage, ob der thailändische Monarch für einen längeren Privataufenthalt in Deutschland ein Visum benötigt oder womöglich noch im Laufe dieses Jahres visumfrei nach Deutschland einreisen kann, ist in erster Linie eine rechtliche Frage als eine Frage des politischen Ermessens. Die gesetzlich geregelte Visumpflicht schützt nicht nur den Staat, sondern auch die Bevölkerung vor der ungeregelten Einreise von Ausländern, deren Aufenthalt in Deutschland möglicherweise auch deutsche Interessen beeinträchtigen könnte (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG). Ein Staat, der die visumfreie Einreise eines Ausländers nach Deutschland zulässt, obwohl das Gesetz eine Visumpflicht anordnet, handelt rechtswidrig. 2. Rechtlicher Rahmen Für den thailändischen König gelten – ebenso wie für jeden anderen Ausländer, der nach Deutschland einreisen möchte – die einschlägigen deutschen Gesetze. Die Rechtsauffassung des Auswärtigen Amtes,1 wonach Privataufenthalte des thailändischen Königs in Deutschland keiner Visumpflicht unterliegen,2 ergibt sich indes nicht ohne weiteres aus dem Gesetzeswortlaut;3 dieser bleibt vielmehr an den entscheidenden Stellen offen. 2.1. Aufenthaltsgesetz Das Aufenthaltsgesetz,4 welches die Visumpflicht für Ausländer in den §§ 4 und 5 regelt, findet gem. § 1 Abs. 2 Nr. 2 „keine Anwendung auf Ausländer, die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen.“ 1 Vgl. Antwort der Bundesregierung vom 5. Januar 2021 auf Kleine Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen u.a. und der Fraktion DIE LINKE. BT-Drs. 19/25150 vom 10. Dezember 2020, „Das umstrittene Agieren des thailändischen Königs in Deutschland und der Blick der Bundesregierung darauf“, gemeinsame Antwort zu den Fragen 12 bis 15 (noch nicht veröffentlicht). 2 Vgl. SPIEGEL online vom 6. Januar 2021, „Thailands König braucht auch als Tourist kein Visum für Deutschland “, https://www.spiegel.de/politik/deutschland/rama-x-in-bayern-thailands-koenig-braucht-auch-als-touristkein -visum-fuer-deutschland-a-eecaaf16-f957-45ba-8bda-1d18748634ed. 3 Die Rechtsauffassung, dass das Aufenthaltsgesetzes (und damit die Visumpflicht) auf den Thaikönig anwendbar ist, wird z.B. geteilt von Andreas v. Arnauld, „Die zwei Körper des Königs: Das ´Treiben` des thailändischen Monarchen in Bayern,“ Völkerrechtliche Tagesthemen (Folge 4) vom 22. Dezember 2020, Podcast (ab Minute 17.42 ff.), https://voelkerrechtsblog.org/die-zwei-koerper-des-koenigs-das-treiben-des-thailaendischenmonarchen -in-bayern/. 4 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (AufenthG) vom 30. Juli 2004 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I, S. 162). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 003/21 Seite 5 2.2. Gerichtsverfassungsgesetz Nicht einschlägig für den Privataufenthalt des thailändischen Königs in Deutschland sind zweifellos die §§ 18 und 19 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG),5 welche sich allein auf Mitglieder diplomatischer bzw. konsularischer Missionen beziehen. Nicht einschlägig ist überdies § 20 Abs. 1 GVG, weil Privataufenthalte des thailändischen Königs nicht auf amtliche Einladung der Bundesregierung hin erfolgen. § 20 Abs. 1 GVG lautet: „Die deutsche Gerichtsbarkeit erstreckt sich auch nicht auf Repräsentanten anderer Staaten und deren Begleitung, die sich auf amtliche Einladung der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhalten.“ Die Frage ist, ob mit Blick auf Privataufenthalte ausländischer Staatsoberhäupter der § 20 Abs. 2 GVG anwendbar ist. Die Norm lautet: „Im übrigen erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit auch nicht auf andere als die in Absatz 1 und in den §§ 18 und 19 genannten Personen, soweit sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, auf Grund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind.“ Vom Wortlaut her passt § 20 Abs. 2 GVG nicht für den Privataufenthalt eines ausländischen Staatsoberhaupts in Deutschland. Die Norm spricht explizit von „anderen als die in Abs. 1 genannten Personen“, meint also gerade nicht den „Repräsentanten eines anderen Staates“, von dem lediglich in § 20 Abs. 1 GVG die Rede ist. § 20 Abs. 2 GVG betrifft dagegen nach Auffassung der Kommentarliteratur6 vor allem einen Personenkreis wie z.B. Sonderbotschafter, Vertreter internationaler Organisationen, geschlossene Truppenverbände u.a., die aufgrund besonderer Regelungen völkerrechtliche Immunität in Deutschland beanspruchen können.7 2.3. Regelungslücke Weder § 20 Abs. 1 noch Abs. 2 GVG regeln den Fall eines Privataufenthalts der in Abs. 1 erwähnten „Repräsentanten eines anderen Staates“. Mit Blick auf die Anwendbarkeit des AufenthG und eine mögliche Visumpflicht dieses Personenkreises, der in der Praxis nicht allzu groß sein dürfte, 5 Gerichtsverfassungsgesetz vom 19. Sept. 1950 in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I, S. 1077). 6 Vgl. Zimmermann, in: Münchener Kommentar (MüKO) zur Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, München: Beck, 6. Aufl. 2020, § 20 GVG Rdnr. 9, 16 ff. Barthe, in: Karlsruher Kommentar (KK-StPO) zur Strafprozessordnung: mit GVG, EGGVG und EMRK, München: Beck, 8. Aufl. 2019, § 20 GVG Rdnr. 2. 7 Nachweise bei Valerius, in: Beck Online-Kommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz (BeckOK GVG), 9. Edition (Stand: 15.11.2020), § 20 GVG Rdnr. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 003/21 Seite 6 ergibt sich genau genommen eine Regelungslücke im Gesetz.8 Es stellt sich daher die Frage, ob und inwieweit sich diese Gesetzeslücke für die in Rede stehende Fallkonstellation schließen lässt. Methodisch lassen sich Gesetzeslücken z.B. durch Analogie, durch teleologische Extension bzw. Reduktion (von griech.: telos = Sinn und Zweck), durch richterliche Rechtsfortbildung oder Gewohnheitsrecht schließen. Entscheidend ist u.a., ob die Regelungslücke vom Gesetzgeber beabsichtigt war oder nicht. Rechtsdogmatisch heikel sind Rechtsfortbildungen contra legem, also gegen den Willen des Gesetzgebers. Die Kompetenz zur Schließung von Gesetzeslücken liegt in erster Linie beim Gesetzgeber selbst, aber auch bei den Gerichten. Die Exekutive ist hingegen in erster Linie zur Gesetzesanwendung und Gesetzesauslegung, nicht dagegen zur Rechtsfortbildung berufen. Die Grenze zwischen beiden ist nicht immer trennscharf. Das Rundschreiben des Auswärtigen Amtes „Zur Behandlung von Diplomaten und anderen bevorrechtigten Personen in der Bundesrepublik Deutschland“ vom 15. September 20159 erörtert im Zusammenhang mit den diplomatischen Privilegien von Staatsoberhäuptern, Regierungschefs und Regierungsmitgliedern (S. 8 f.) allein die Freistellung dieses Personenkreises von Luftsicherheitskontrollen , geht aber auf die Frage einer Visumpflicht der betreffenden Personen nicht ein. 2.4. Gesetzeszweck Sinn und Zweck der §§ 18 bis 20 GVG ist es, ausländische Diplomaten und staatliche Repräsentanten (Regierungsmitglieder etc.) von der deutschen Gerichtsbarkeit zu befreien, damit diese in Deutschland unbehelligt ihren Dienstgeschäften nachgehen (dazu gehören auch Arbeits- oder Staatsbesuche) bzw. amtliche Handlungen (acta iure imperii) vornehmen können. Das GVG verweist dabei verschiedentlich auf völkerrechtliche Vereinbarungen und Regelungen, welche die Grundlage für die völkerrechtliche Immunität der betroffenen Personen bilden. In Rede steht dabei regelmäßig die sog. funktionale Immunität (einer Amtsperson), die völkerrechtlich von der persönlichen Immunität (einer Privatperson) zu unterscheiden ist. Die gesetzgeberische Fokussierung auf die funktionale Immunität in den §§ 18 ff. GVG hat einen guten Grund: Ist doch die Frage, welche staatlichen Repräsentanten (Staatsoberhaupt, Regierungschef, Minister einschließlich Entourage, Missionschef, Sonderbotschafter etc.) im Ausland überhaupt (und wenn: inwieweit) auch persönliche Immunität, etwa für einen privaten 8 § 20 GVG wurde zuletzt anlässlich des Staatsbesuchs des ehem. DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1987 geändert, um ihm – der aus Sicht der Bundesrepublik völkerrechtlich kein „ausländisches Staatsoberhaupt“ war – Immunität gegenüber bundesdeutscher Strafverfolgung zu ermöglichen (vgl. zu den Hintergründen näher Valerius, in: BeckOK GVG, § 20 GVG Rn. 2.1.). 9 Auswärtiges Amt, RdSchr. vom 15.9.2015 – 503-90-507.00, S. 8, abrufbar unter: https://www.auswaertigesamt .de/blob/259366/95fb05e9a6a89de129f15d27f92f00aa/rundschreiben-beh-diplomaten-data.pdf. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 003/21 Seite 7 Aufenthalt, genießen, völkerrechtlich ausgesprochen umstritten.10 Dies könnte erklären, warum der Gesetzgeber in § 20 GVG Privataufenthalte von Repräsentanten anderer Staaten offenbar bewusst nicht geregelt hat. Zwar ist unstrittig, dass Staatsoberhäupter unabhängig davon, ob sie sich in amtlicher Eigenschaft in dem Gastgeberland aufhalten, völkerrechtliche Immunität genießen und damit von der örtlichen Gerichtsbarkeit befreit sind.11 Doch stellt sich die Frage, wie sich dieser Umstand in den Wortlaut des § 20 Abs. 1 oder Abs. 2 GVG hineinlesen lässt: Hätte der Gesetzgeber die Visumfreiheit von Ausländern quasi „bedingungslos“ an deren völkerrechtliche Immunität (sowohl die funktionale als auch die persönliche) knüpfen wollen, so hätte er § 1 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dergestalt formulieren können und müssen, dass dieses Gesetz „keine Anwendung auf Ausländer findet, welche völkerrechtliche Immunität genießen und daher nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen.“ Stattdessen besteht nach dem eindeutigen Wortlaut von § 1 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG Visumfreiheit nur für Ausländer, „die nach Maßgabe der §§ 18 bis 20 GVG nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen.“ Die Visumfreiheit für Privataufenthalte des thailändischen Königs in Deutschland lässt sich durch Anwendung und Auslegung der einschlägigen Gesetze jedenfalls nicht begründen. 2.5. Rechtsfortbildung Ob es eine (gewohnheitsrechtliche) Staatspraxis für visumfreie Privataufenthalte ausländischer Staatsoberhäupter in Deutschland gibt,12 welche die bestehende Regelungslücke im GVG durch Rechtsfortbildung zu schließen vermag, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Eine „lex regis thailandia“, die sich über geltendes Recht hinwegsetzt, um praktisch einen Einzelfall visumfrei zu stellen, wäre jedenfalls mehr als erklärungsbedürftig. 10 Vgl. insoweit für viele Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, Rdnr. 328. In der Kommentierung von Valerius, in: BeckOK GVG, § 20 Rdnr. 4 heißt es dazu: „Ebenso kommt nach inzwischen h.A. Regierungschefs und Außenministern eine umfassende Immunität zu (zur Immunität von Außenministern IGH, EuGRZ 2003, 563 (567)). Andere Mitglieder der Regierung genießen hingegen nur bei amtlichen Besuchen Immunität (KK-StPO/Barthe Rn. 2; SK-StPO/Frister Rn. 9; einschränkend Kissel/Mayer Rdnr. 12 sowie Voraufl., wonach auch Regierungschefs und Außenministern nur Immunität bei Besuchen in amtlicher Eigenschaft zuteilwird).“ 11 Valerius, in: BeckOK GVG, § 20 GVG Rn. 4. Andreas v. Arnauld, Völkerrecht, Heidelberg: Müller, 4. Aufl. 2019, Rdnr. 328. 12 Bekannt geworden sind etwa medizinische Aufenthalte (Medizintourismus) des saudischen Königs in den USA oder der Schweiz. Zur Lage in Deutschland vgl. Deutschlandfunk Kultur vom 26. Juli 2016, „Medizintourismus in Deutschland. Der Scheich auf Zimmer 7“, https://www.deutschlandfunkkultur.de/medizintourismus-indeutschland -der-scheich-auf-zimmer-7.976.de.html?dram:article_id=361134. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 2 - 3000 - 003/21 Seite 8 3. Prozessuale Klärung Möglicherweise ließe sich die Frage, ob der Privataufenthalt des thailändischen Königs in Bayern der Visumpflicht unterliegt, im Wege einer Feststellungsklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht klären. § 43 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) lautet: „Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (…) begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).“ Prozessual problematisch ist die Darlegung eines entsprechenden Feststellungsinteresses. Unter § 43 Abs. 1 VwGO fällt jedes schutzwürdige rechtliche, wirtschaftliche, persönliche und sogar ideelle Interesse. Zu denken wäre in erster Linie an ein Feststellungsinteresse etwa des Bürgermeisters der bayerischen Gemeinde Tutzing, wo der thailändische König eine Villa am Starnberger See besitzt. Immerhin sorgt der Aufenthalt des thailändischen Königs in Tutzing nicht nur für gewisse Spannungen vor Ort (etwa wenn Zufahrtswege für Anwohner durch Sicherheitskräfte blockiert werden), sondern hat auch wirtschaftliche Implikationen. Mittlerweile hat sich der Aufenthalt des thailändischen Königs in Deutschland – zumindest medial – fast schon zu einer Art „Staatsaffäre“ ausgeweitet, was den Kreis potentieller Feststellungsberechtigter (thailändische Menschenrechtsorganisationen usw.) möglicherweise erweitert. ***