© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 - 3000 - 003/20 Streitschlichtungsmechanismus des Nuklearabkommens mit dem Iran Rechtliche Folgen einer Einleitung des Verfahrens nach Art. 36 JCPOA Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Rückzug der USA aus dem JCPOA im Mai 2018 und seine Folgen für den Streitschlichtungsmechanismus 6 4. Rechtsfolgen und Risiken des am 14. Januar 2020 eingeleiteten Streitschlichtungsverfahrens 8 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 003/20 Seite 4 1. Joint Comprehensive Plan of Action und Resolution 2231(2015) des VN-Sicherheitsrats Das sog. Nuklearabkommen zwischen dem Iran auf der einer Seite und den ständigen VN-Sicherheitsratsmitgliedern (China, Frankreich, Großbritannien, der Russischen Föderation und USA) sowie Deutschland und der EU auf der anderen Seite wurde am 14. Juli 2015 in Wien unterzeichnet . Es besteht aus dem sog Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) und fünf Anhängen hierzu.1 Am 20. Juli 2015 hat der VN-Sicherheitsrat die Resolution 2231 (2015) verabschiedet,2 die den gesamten JCPOA als Annex gewissermaßen rechtlich „inkorporiert““, wodurch der JCPOA völkerrechtlich bindend wurde.3 Jedenfalls gilt die völkerrechtliche Verbindlichkeit für die Aufhebung der VN-Sanktionen gegen den Iran gem. Ziff. 7 der VN-Resolution 2231(2015), in dem der VN-Sicherheitsrat ausdrücklich auf sein Handeln mit verbindlicher Wirkung gem. Art. 41 der VN-Charta verweist. Der JCPOA enthält neben der Präambel die Aufzählung der Maßnahmen des Irans und der anderen Unterzeichnerstaaten, insbesondere die Zusagen Irans, auf bestimmte Technologien zu Uran- Anreicherung zu verzichten (Ziff. 1-12 JCPOA) und bestimmte Überprüfungsmaßnahmen durch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) zu dulden (Ziff. 13-17 JCPOA). Im Gegenzug sagten die anderen Unterzeichnerstaaten zu, auf die Aufhebung der VN-Sicherheitsresolutionen aus den Jahren 2006-2015 und der dort enthaltenen VN-Sanktionen gegen den Iran hinzuwirken (Ziff. 18 JCPOA), auch nationale Sanktionen gegen den Iran aufzuheben (insb. Ziff. 19, 20 JCPOA für die EU sowie Ziff. 19, 20 JCPOA für die USA) und keine neuen Sanktionen gegen den Iran zu erlassen (insb. Ziff. 29 JCPOA). Überdies enthält der JCPOA einen Zeitplan für die Umsetzung („implementation plan“) (Ziff. 34, 35 JCPOA) sowie im letzten Abschnitt einen Streitschlichtungsmechanismus („despute resolution mechanism“), der hier der Hauptgegenstand der Untersuchung ist. 2. Streitschlichtungsmechanismus nach Ziff. 36 f. JCPOA Das Nuklearabkommen sieht ein mehrstufiges Verfahren für die Streitschlichtung bei (vermeintlichen ) Vertragsverletzungen vor, das sowohl von Iran als auch von jedem anderen Unterzeichnerstaat eingeleitet werden kann. Die Rechtsfolgen der Einleitung sind teilweise unterschiedlich, sodass eine getrennte Betrachtung sinnvoll erscheint: 1 Jeweils abrufbar unter Europäischer Rat, Gemeinsamer umfassender Aktionsplan und restriktive Maßnahmen, https://www.consilium.europa.eu/de/policies/sanctions/iran/jcpoa-restrictive-measures/. 2 Abrufbar unter https://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/RES/2231(2015). 3 Zu der völkerrechtlichen Verbindlichkeit des JCPOA vgl. im Einzelnen Fischer, Paula; Scholl, Bernd: Rückzug aus dem Atomabkommen: Drohen die USA mit einem Völkerrechtsbruch?, VerfBlog vom 7. März 2018, https://verfassungsblog.de/rueckzug-aus-dem-atomabkommen-drohen-die-usa-mit-einem-voelkerrechtsbruch/. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 003/20 Seite 5 2.1. Streitschlichtungsverfahren aus Sicht des Irans Hält Iran eine Vertragsverletzung seitens eines anderen Unterzeichnerstaates für gegeben, so kann er die Gemeinsame Kommission („Joint Commission“) anrufen, die darüber innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden hat, wobei diese Frist auch einvernehmlich („by consensus“) verlängert werden kann (Ziff. 36 Sätze 1, 2 JCPOA). Gibt sich der Iran nicht zufrieden mit der Beschlussfassung der Gemeinsamen Kommission, so kann er die Runde der Außenminister („Ministers of Foreign Affairs“) anrufen, die ebenfalls innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden hat. Diese Frist kann genauso einvernehmlich verlängert werden (Ziff. 36 Sätze 3, 4 JCPOA). Zusätzlich bzw. anstelle („in parallel with or in lieu of“) der Anrufung der Runde der Außenminister, kann der Iran oder der Unterzeichnerstaat, dem die Vertragsverletzung vorgeworfen wird, einen Beratungsausschuss („Advisory Board“) anrufen, bestehend aus einem Vertreter dieser zwei Parteien sowie einem Vertreter eines anderen Unterzeichnerstaates . Dieser Beratungsausschuss gibt seine – explizit nicht bindende – Stellungnahme ebenfalls innerhalb von 15 Tagen ab (Ziff. 36 Sätze 5, 6 JCPOA). Ist die Angelegenheit danach nicht für den Iran erledigt, hat die Gemeinsame Kommission weitere fünf Tage, um eine weitere Entscheidung herbeizuführen (Ziff. 36 Satz 7 JCPOA). Sollte der Iran auch nach der Entscheidung der Gemeinsamen Kommission von einer wesentlichen Vertragsverletzung („significant non-performance“) ausgehen, so ist er zum einen berechtigt, dies als Grund für teilweise oder vollständige Nichterfüllung seiner Verpflichtungen aus dem JCPOA anzusehen (Ziff. 36 Satz 8 JCPOA). Zum anderen ist der Iran dann berechtigt, die Angelegenheit durch eine förmliche Anzeige („notification“) vor den VN-Sicherheitsrat zu bringen (Ziff. 36 Satz 8 JCPOA), was aus seiner Sicht jedoch wenig sinnvoll erscheinen dürfte (s.u.). Streitschlichtungsverfahren aus Sicht der anderen Unterzeichnerstaaten Die oben geschilderten verfahrensrechtlichen Möglichkeiten stehen allen anderen Unterzeichnerstaaten gleichermaßen zur Verfügung für den Fall, dass sie eine Vertragsverletzung seitens des Irans für gegeben ansehen. Hinzu kommt jedoch, dass eine förmliche Anzeige gegenüber dem VN-Sicherheitsrat ein Verfahren auslöst, welches zur Wiedereinführung der VN-Sanktionen gegen den Iran führen kann (sog. snapback-Mechanismus). So soll der VN-Sicherheitsrat nach dem Eingang der förmlichen Anzeige über die weitere Aufhebung der VN-Sanktionen gegen den Iran entscheiden (Ziff. 37 Satz 1 JCPOA). Kommt innerhalb von 30 Tagen keine Resolution des VN-Sicherheitsrates zustande, so treten die VN-Sanktionen gegen den Iran automatisch wieder in Kraft (Ziff. 37 Satz 2 JCPOA). Eine rückwirkende Anwendung der wiederhergestellten VN-Sanktionen auf die Verträge mit dem Iran oder den iranischen Unternehmen bzw. Bürgern ist dabei jedoch ausgeschlossen, sofern diese ansonsten nicht gegen den JCPOA oder andere Resolutionen des VN-Sicherheitsrats verstoßen haben („would not apply with retroactive effect to contracts …“) (Ziff. 37 Satz 3 JCPOA). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 003/20 Seite 6 Faktisch bedeutet diese Bestimmung für einen Unterzeichnerstaat, der als ständiges Sicherheitsratsmitglied über ein Veto-Recht verfügt, eine Möglichkeit, die Wiedereinsetzung der VN-Sanktionen gegen den Iran im Wege des snapback-Mechanismus zu bewirken.4 Soweit die Sanktionen ganz oder teilweise wieder reaktiviert sind, ist der Iran berechtigt, seine Verpflichtungen aus dem JCPOA ganz oder teilweise nicht zu erfüllen („Iran has stated that if the sancions are reinstated in whole or in part, Iran will treat that as grounds to cease performing ist commitments under this JCPOA in whole or in part“) (Ziff. 37 Satz 5 JCPOA). Bei dieser Bestimmung ist jedoch nicht klar, ob dies lediglich für die Wiedereinführung der VN-Sanktionen nach dem o.g. Verfahren oder für jegliche Wiedereinführung der Sanktionen, also insbesondere auch für nationale Sanktionen der EU oder der USA, gilt. Die systematische Stellung der Bestimmung in Ziff. 37 JCPOA als Satz 5 legt zwar nahe, dass es nur um die Wiedereinsetzung der VN-Sanktionen nach dem Verfahren in den Sätzen 1 bis 4 geht. Dafür spricht auch der Wortlaut des Ziff. 13 der VN-Resolution 2231 (2015), der die Wiedereinführung der VN-Sanktionen aus den Resolutionen der Jahre 2006-2015 voraussetzt („if the provisions of previous resolutions are applied pursuant paragraph 12 in whole or in part“). Andererseits spricht der Wortlaut des Ziff. 37 Satz 5 JCPOA „sanctions“ eher für weiten Sanktionsbegriff, weil der gesamte zweite Abschnitt (Ziff. 18- 33 JCPOA), in dem es sowohl um VN-Sanktionen als auch um nationale Sanktionen geht, die Überschrift „Sanctions“ enthält. 3. Rückzug der USA aus dem JCPOA im Mai 2018 und seine Folgen für den Streitschlichtungsmechanismus Die USA haben im Mai 2018 einen Rückzug aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran erklärt und die nationalen US-Sanktionen wieder eingeführt, bzw. deren (befristete) Aussetzung nicht verlängert.5 Dabei leiteten sie weder zuvor den Streitschlichtungsmechanismus gem. Ziff. 36 ff. des JCPOA ein, noch erstatteten sie eine förmliche Anzeige an den VN-Sicherheitsrat gem. Ziff. 37 des JCPOA. Vielmehr argumentierten die USA, dass das Nuklearabkommen nicht geeignet gewesen sei, die Sicherheit des amerikanischen Volkes angesichts der durch den Iran geschaffenen Risiken zu garantieren („President Trump withdrew from the deal for a simple reason: it failed to guarantee the safety of the American people from the risk created by the leaders of the Islamic Republic of Iran. No more.“).6 4 So Meier, Oliver / Zamirirad, Azadeh, „Die Atomvereinbarung mit Iran“, SWP-Aktuell, August 2015, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A70_mro_zmd.pdf (letzter Zugriff: 14. Januar 2020), S. 5. 5 Siehe Wetzel, Hubert / Krüger, Paul-Anton, SZ online vom 8. Mai 2018, „Trump kündigt Atomabkommen mit Iran auf“, https://www.sueddeutsche.de/politik/abkommen-mit-iran-europaeer-wollen-atomdeal-auch-ohne-dieusa -bewahren-1.3972322. 6 Vgl. Rede des US-Außenministers Mike Pompeo vor der Heritage Foundation vom 21. Mai 2018, „After the Deal: A New Iran Strategy”, abrufbar unter: https://www.state.gov/secretary/remarks/2018/05/282301.htm. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 003/20 Seite 7 Die Frage, inwieweit die Rückzugserklärung der USA als eine formell wirksame Kündigung des JCPOA zu bewerten sind (eine solche sieht der JCPOA formal nicht vor) und ob der Rückzug der USA aus dem „Iran-Nukleardeal“ völkerrechtskonform war, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung .7 Jedenfalls haben sich die USA seit 2018 faktisch von der weiteren Umsetzung des JCPOA zurückgezogen und nehmen z.B. nicht mehr an den regelmäßigen Sitzungen des Joint Commission teil.8 Es ist daher nicht damit zu rechnen, dass sich die USA an weiteren Verfahren im Rahmen des JCPOA beteiligen werden. Die USA haben sich durch den Rückzug aus dem JCPOA faktisch der Möglichkeit begeben, über den snap-back-Mechanismus auf eine Wiedereinführung der VN-Sanktionen gegen den Iran hinzuwirken . Auch wenn es umstritten ist, ob allein die Behauptung einer Vertragsverletzung durch einen Unterzeichnerstaat des JCPOA für eine Anwendung der Ziff. 36, 37 JCPOA ausreicht, oder ob eine tatsächliche Vertragsverletzung vorliegen bzw. bewiesen werden muss,9 so wäre nach Durchführung des Streitschlichtungsverfahrens und einer anschließenden förmlichen Anzeige („notification“) an den VN-Sicherheitsrat eine Reaktivierung der VN-Sanktionen gegen den Iran durchaus denkbar. Die USA haben den Weg von nationalen Sanktionen vorgezogen, die sehr weitgehend sind und den Iran hart treffen, weil sie sog. Sekundärsanktionen beinhalten, die auch deutsche und europäische Unternehmen treffen können, sofern diese Handel mit dem Iran betreiben.10 7 Siehe dazu den Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom 5. Juni 2018, Völkerrechtliche Bewertung der Aufkündigung des Iran-Nuklearabkommens durch die US-Administration, WD 2 – 3000 – 074/18, https://www.bundestag.de/resource/blob/563348/e50a08010717c3e740ca75502deedb07/WD-2-074-18- pdf-data.pdf. 8 Vgl. etwa die Berichte zur letzten Sitzung der Joint Commission am 6. Dezember 2019 in Wien, https://eeas.europa .eu/headquarters/headquarters-homepage/71644/chairs-statement-following-6-december-meeting-jointcommission -jcpoa_en, sowie zur Sitzung der Außenminister vom 25. September 2019 in New York, https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/67911/remarks-high-representativevice-presidentfederica -mogherini-following-ministerial-meeting_en. 9 Vgl. hierzu die Darstellungen im Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages (Fn. 8), S. 8 f. m.w.N. 10 Die völkerrechtliche Zulässigkeit der Sekundärsanktionen ist ebenfalls nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Vgl. zu den praktischen Auswirkungen: Seibt, Christoph H./Ghassabeh, Amir-Said, Manager Magazin, Artikel vom 14. Januar 2020, Nach Trumps Kündigung des Iran-Abkommens, Was deutsche Unternehmen in Iran jetzt beachten sollten, https://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/iran-was-deutsche-firmen-nach-donald -trumps-entscheidung-beachten-sollten-a-1207755-2.html. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 003/20 Seite 8 4. Rechtsfolgen und Risiken des am 14. Januar 2020 eingeleiteten Streitschlichtungsverfahrens Der JCPOA ist durch den Rückzug der USA im Mai 2018 nicht insgesamt hinfällig geworden. Formalrechtlich existiert der JCPOA weiter. Die EU und der Iran haben unmittelbar nach dem Rückzug der USA und auch später mehrmals erklärt, dass sie am Nuklearabkommen festhalten wollen , zumindest solange der Iran sich an seine nuklearen Verpflichtungen hält.11 Der Streitschlichtungsmechanismus nach Ziff. 36 ist zuvor lediglich einmal durch den Iran eingeleitet worden und zwar im Januar 2017 – also noch lange vor dem Rückzug der USA aus dem Abkommen – nämlich im Zusammenhang mit der damaligen Verlängerung des „Iran Sanktions Act“ durch die USA.12 Soweit ersichtlich, konnten die Differenzen damals in der ersten Stufe des Verfahrens bei der Sitzung der Gemeinsamen Kommission einvernehmlich geklärt werden.13 Die am 14. Januar 2020 durch Deutschland, Frankreich und Großbritannien erfolgt Einleitung des Streitschlichtungsmechanismus wurde mit der bisher erfolgten teilweisen Vertragsverletzung des Iran gerechtfertigt: „Zwischenzeitlich jedoch verletzt Iran weiterhin zentrale Auflagen der Nuklearvereinbarung. Irans Handeln ist mit der Nuklearvereinbarung unvereinbar und hat immer schwerere und unumkehrbare Folgen im Hinblick auf die nukleare Nichtverbreitung.“14 Der Iran hat zuletzt am 7. Januar 2020 angekündigt, die Zahl von Zentrifugen über die erlaubte Grenze hinaus zu erhöhen und somit die Uran-Anreicherung voranzutreiben. Abgesehen davon scheint er an seinen anderen Verpflichtungen festzuhalten – so ist etwa von der Wiederaufnahme des gem. Ziff. 8 ff. JCPOA stillgelegten Schwerwasserreaktors Arak bislang nicht die Rede.15 11 Siehe etwa Welt Online vom 8. Mai 2018, EU will an Atomdeal mit Iran festhalten, https://www.welt.de/politik /ausland/article176196918/Trotz-US-Ausstieg-EU-will-an-Atomdeal-mit-Iran-festhalten.html (letzter Zugriff: 14. Januar 2020); Reuters vom 9. Juli 2019, Europäer verurteilen Iran - Dennoch Festhalten an Atomabkommen, https://de.reuters.com/article/iran-eu-idDEKCN1U41IT. 12 Siehe hierzu Germany Trade & Invest vom 3. Januar 2017, Iran hat Streitschlichtungsverfahren eingeleitet, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/recht/rechtsbericht/iran/iran-hat-streitschlichtungsverfahren-eingeleitet- 10672. 13 Siehe European Union, Press release on behalf of the Joint Commission of the JCPOA (10 January 2017), https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/18436/press-release-behalf-joint-commissionjcpoa -10-january-2017_en. 14 Siehe Auswärtiges Amt, Pressemitteilung vom 14. Januar 2020, https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom /wiener-nuklearvereinbarung/2292566?isLocal=false&isPreview=false, Absatz 4. 15 Siehe Deutsche Welle vom 7. Januar 2020, Iran lässt ein Hintertürchen offen, https://www.dw.com/de/iranl %C3%A4sst-ein-hintert%C3%BCrchen-offen/a-51905522. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 003/20 Seite 9 Iran könnte im Rahmen der Sitzung der Gemeinsamen Kommission gem. Ziff. 36 S. 2 JCPOA oder auch der Runde der Außenminister bzw. des Beratungsausschusses seine – aus tatsächlicher Sicht wohl unstreitige – Vertragsverletzung mit Hinweis auf den Rückzug der USA aus dem JCPOA rechtfertigen. Insbesondere könnte der Iran argumentieren, dass die USA kein förmliches Streitschlichtungsverfahren gem. Ziff. 36 JCPOA durchgeführt und dadurch eine – jedenfalls formell – eine Vertragsverletzung begangen hätten und dass dem Iran deswegen das Recht zustünde, von dem Vertrag teilweise Abstand zu nehmen. Dagegen könnte die EU einwenden, dass der Iran ebenfalls zuerst das förmliche Verfahren gem. Ziff. 36 JCPOA hätte anstrengen müssen, bevor ihm ein Recht zur (teilweisen) Nichterfüllung des Vertrages gem. Ziff. 36 S. 8 JCPOA zusteht.16 Denkbar wäre ferner eine Gegenargumentation des Irans, dass jegliche Wiedereinführung der Sanktionen, also auch der nationalen US-Sanktionen, den Iran gem. Ziff. 37 S. 5 JCPOA zur (teilweisen) Nichterfüllung des Vertrages berechtigt.17 Die genannten Argumente werden nun im Rahmen des Streitschlichtungsverfahrens zwischen dem Iran, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, China und Russland möglicherweise diskutiert und hinsichtlich des weiteren Vorgehens nach einem Kompromiss gesucht. Erfahrungsgemäß entwickeln aber solche multilateralen Verhandlungen eine eigene Dynamik, die im Vorfeld kaum prognostiziert werden kann. Kommt ein Kompromiss bereits in der Gemeinsamen Kommission, in der Runde der Außenminister bzw. in dem Beratungsausschuss zustande, so kann der Streitschlichtungsmechanismus damit beendet werden. Sollte ein Kompromiss jedoch nicht zustande kommen, so wäre dann im zweiten Schritt zu überlegen , ob eine förmliche Anzeige an den VN-Sicherheitsrat gem. Ziff. 36 S. 8 JCPOA sinnvoll erscheint . Eine solche Anzeige wird aller Wahrscheinlichkeit nach den snapback-Mechanismus auslösen und damit zur Wiedereinführung der VN-Sanktionen gegen den Iran führen. Denn die USA würden womöglich jede neue Resolution des Sicherheitsrats mit einem Veto blockieren. Die Möglichkeit einer Reaktivierung der VN-Sanktionen erscheint derzeit der größte „Anreiz“ für den Iran, den JCPOA nicht vollständig zu verlassen und seine Verpflichtungen daraus zumindest teilweise weiter einzuhalten. 16 So bereits geschehen bei der Erklärung zur Einleitung des Streitschlichtungsmechanismus, siehe Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes vom 14. Januar 2020 (Fn. 14), Abs. 5: „Das Argument, Iran sei berechtigt, die Nuklearvereinbarung in geringerem Maße einzuhalten als zuvor, akzeptieren wir nicht. Entgegen seiner Aussage hat Iran den Streitschlichtungsmechanismus der Nuklearvereinbarung noch nie in Anspruch genommen und hat keine rechtliche Grundlage dafür, die Vereinbarung nicht mehr umzusetzen.“ 17 Siehe oben unter 2.2. am Ende. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 003/20 Seite 10 Eine gewisse Rolle spielen auch die Bemühungen der Europäer, die Folgen der US-Sanktionen für den weltweiten Handel mit dem Iran durch die Agentur INXTEX, der zuletzt weitere sechs europäische Staaten beigetreten sind, abzumildern.18 Als größtes Hindernis für die Erreichung eines Kompromisses im Rahmen des Streitschlichtungsverfahrens des JCPOA erscheint die Tatsache , dass die USA nicht mit am Verhandlungstisch sitzen werden und die von ihnen verhängten nationalen Sanktionen gegen den Iran auch nicht zur Diskussion stehen werden, obwohl deren Abschaffung für den Iran von zentraler Bedeutung sein dürfte. *** 18 Deutsche Welle, Meldung vom 1. Dezember 2019, https://www.dw.com/de/sechs-europ%C3%A4ische-staatentreten -instex-bei/a-51486773.