© 2020 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 002/20 99 Zur Resolution des irakischen Parlaments bezüglich der Stationierung ausländischer Truppen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Völkerrechtliche Folgen einer Truppenpräsenz ohne völkerrechtliche Grundlage 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/20 Seite 4 1. Zuständigkeiten von Parlament und Regierung Iraks in auswärtigen Angelegenheiten Der Auftraggeber fragt nach den denkbaren Folgen einer hypothetischen Erklärung der irakischen Regierung, wonach alle ausländischen Streitkräfte des Landes verwiesen würden. Nach Presseangaben wurde am 5. Januar 2020 eine Resolution entsprechenden Inhalts vom irakischen Parlament verabschiedet.1 Wesentliche Bestimmungen der Resolution wurden in der Presse (in englischer Übersetzung) wie folgt zitiert: „The government commits to revoke its request for assistance from the international coalition fighting Islamic State due to the end of military operations in Iraq and the achievement of victory, […] The Iraqi government must work to end the presence of any foreign troops on Iraqi soil and prohibit them from using its land, airspace or water for any reason.“2 Resolutionen des irakischen Parlaments haben nach innerstaatlichem Verfassungsrecht keine Gesetzeskraft und sind für die Regierung nicht bindend.3 In auswärtigen Angelegenheiten weist die Verfassung dem Parlament im Wesentlichen die Zuständigkeit zu, von der Exekutive vereinbarte völkerrechtliche Verträge zu ratifizieren.4 Im Übrigen ist die Wahrnehmung auswärtiger Angelegenheiten der Exekutive übertragen5 und innerhalb dieser zwischen dem Präsidenten6 und dem Ministerrat7 geteilt. Nach erstem Anschein legen Wortlaut und systematischer Zusammenhang der einschlägigen Artikel der gegenwärtig anwendbaren Irakischen Verfassung von 2005 nahe, dass die vom Auftraggeber unterstellte hypothetische Erklärung der irakischen Regierung nach innerstaatlichem Recht vom irakischen Präsidenten abgegeben werden müsste. Eine abschließende Bewertung der innerstaatlichen Rechtslage ist im Rahmen des vorliegenden Sachstandes jedoch nicht möglich. Allerdings wäre aus Sicht des Völkerrechts der Präsident als Staatsoberhaupt ohne Zweifel zur Vertretung seines Staates in auswärtigen Angelegenheiten berechtigt.8 Die Staatengemeinschaft 1 Arwa Ibrahim, Iraqi parliament calls for expulsion of foreign troops, Aljazeera, 5. Januar 2020, https://www.aljazeera .com/news/2020/01/iraqi-parliament-calls-expulsion-foreign-troops-200105150709628.html. 2 A.a.O. 3 A.a.O. Zu den Kompetenzen des Parlaments siehe im Einzelnen Art. 48 ff., insbesondere Art. 61 der Irakischen Verfassung von 2005, https://www.constituteproject.org/constitution/Iraq_2005.pdf?lang=en, (in englischer Übersetzung). 4 Vgl. Art. 61 Abs. 4 der Irakischen Verfassung von 2005. 5 Vgl. Art. 110 Abs. 1 der Irakischen Verfassung von 2005. 6 Siehe insbesondere Art. 73 Abs. 2 der Irakischen Verfassung von 2005. 7 Siehe insbesondere Art. 80 der Irakischen Verfassung von 2005. 8 Siehe statt vieler und mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur: Arthur Watts, Heads of State, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1418?prd=MPIL#law-9780199231690- e1418-div1-2. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/20 Seite 5 kann sich auf die völkerrechtliche Wirksamkeit einer Erklärung des Präsidenten im Namen des von ihm vertretenen Staates sogar verlassen, ohne dass es dabei auf die innerstaatliche Kompetenzordnung ankommt.9 2. Völkerrechtliche Grundlage der Stationierung ausländischer Truppen im Irak Die Stationierung von Truppen eines Staates auf dem Territorium eines anderen Staates bedarf einer völkerrechtlichen Grundlage. Als Rechtsgrundlage in Betracht kommen bindende Resolutionen des VN-Sicherheitsrates nach Kapitel VII der VN-Charta zur Wahrung der Sicherheit.10 Im Hinblick auf die Sicherheitslage im Irak hatte der VN-Sicherheitsrat mehrfach entsprechende Resolutionen verabschiedet,11 deren letzte jedoch nur bis zum 31. Dezember 2008 Gültigkeit hatte.12 Völkerrechtliche Grundlagen der Stationierung ausländischer Truppen im Irak waren nach dem zeitlichen Ablauf der genannten Resolutionen verschiedene völkerrechtliche Absprachen, insbesondere von 2008 bis 2011 das Agreement between the United States of America and the Republic of Iraq on the withdrawal of United States forces from Iraq and the organization of their activities during their temporary presence in Iraq.13 Zudem lud der Irak die Vereinigten Staaten im Juni 2014 förmlich zu einer militärischen Intervention gegen Aufständische ein.14 Auf der Grundlage der Einladung startete das U.S.-amerikanische Verteidigungsministerium im Oktober 2014 die Combined Joint Task Force – Operation 9 Vgl. Art. 7 Vienna Convention on the Law of Treaties, 1155 UNTS 331, done at Vienna on 23 May 1969, entered into force on 27 January 1980, https://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/conventions/1_1_1969.pdf. In deutscher Übersetzung: Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, BGBl. 1985 II 926, https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl285s0926.pdf%27%5D #__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl285s0926.pdf%27%5D__1578388286671. Siehe auch Arthur Watts (a.a.O.). Rz. 5 f. 10 Charter of the United Nations, 24 October 1945, https://treaties.un.org/doc/Publication/CTC/uncharter-alllang .pdf. In deutscher Übersetzung: Charta der Vereinten Nationen, Kapitel VII, Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen, https://unric.org/de/charta/#kapitel7. 11 UNSC Res. 1546 of 8 June 2004, http://unscr.com/en/resolutions/doc/1546; UNSC Res. 1637 of 8 November 2005, http://unscr.com/en/resolutions/doc/1637. UNSC Res. 1723 of 28 November 2006, http://unscr.com/en/resolutions/doc/1723. UNSC Res. 1790 of 18 December 2007, http://unscr.com/en/resolutions/doc/1790. 12 Operativer Absatz Nr.1 (S. 3) der UNSC Res. 1790 of 18 December 2007, http://unscr.com/en/resolutions /doc/1790. 13 Wiedergegeben in: Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF), Status of Forces Agreement between The Republic of Iraq and the United States of America, https://www.dcaf.ch/sites/default /files/publications/documents/US-Iraqi_SOFA-en.pdf. 14 BBC News, Iraq formally asks US to launch air strikes against rebels, 18 Juni 2014, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-27905849. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/20 Seite 6 Inherent Resolve (CJTF-OIR).15 Die Einladung Iraks an die Vereinigten Staaten kann als zurzeit zentrale völkerrechtliche Grundlage für die Präsenz ausländischer Truppen im Irak angesehen werden.16 Würde der Irak – völkerrechtlich wirksam durch seinen Präsidenten vertreten – seine Einladung zurücknehmen, so entfiele die völkerrechtliche Grundlage der Präsenz ausländischer Truppen auf irakischem Territorium. Die Truppenpräsenz würde damit völkerrechtswidrig. Allerdings wäre es in dieser Situation vorstellbar, dass sich der VN-Sicherheitsrat abermals mit der Sicherheitslage im Irak befasste und er geeignete Maßnahmen ergriffe, um die Aktivitäten terroristischer Gruppen, insbesondere des sogenannten Islamischen Staats (Daesh), auf dem Territorium Iraks nachhaltig einzudämmen.17 Zu solchen Maßnahmen könnte nicht zuletzt vor dem Hintergrund früherer SR-Resolutionen theoretisch u.a. auch die Autorisierung der Gegenwart ausländischer Truppen im Irak zählen. 3. Völkerrechtliche Folgen einer Truppenpräsenz ohne völkerrechtliche Grundlage Der Auftraggeber fragt nach einer völkerrechtlichen Bewertung, falls die irakische Regierung den im Land befindlichen ausländischen Truppen die Aufenthaltsgestattung entziehen sollte und sich die die Entsendestaaten daraufhin weigern sollten, ihre Truppen abzuziehen. Vorausgeschickt sei, dass eine wissenschaftliche Einschätzung hypothetischer Sachverhalte nur begrenzt möglich ist: So kommt es bei jeder völkerrechtlichen Bewertung u.a. darauf an, welche Institution auf welcher Rechtsgrundlage und mit welchen Grenzen der Jurisdiktion über den Sachverhalt urteilt. Zudem ist nicht absehbar, wie sich die rechtliche und tatsächliche Situation nach Eintritt des unterstellten Sachverhalts im Einzelnen entwickeln wird. Nachfolgend können daher nur einige allgemein abstrakte Rechtsfolgen des unterstellten Sachverhalts umrissen werden. Ein Verbleib ausländischer Truppen auf irakischem Territorium nach hypothetischen Wegfall der Rechtsgrundlage wäre eine Verletzung des Völkerrechts, solange keine andere Rechtsgrundlage – etwa eine Resolution des VN-Sicherheitsrats – an die Stelle der gegenwärtigen Rechtsgrundlage tritt. Folgen von staatlichen Rechtsverletzung werden im Völkerrecht unter dem Begriff der Staatenverantwortlichkeit erörtert.18 Die zentralen völkerrechtlichen Leitlinien zur Feststellung und 15 Zu Einzelheiten und Entwicklung der CJTF-OIR siehe deren Webseite, https://www.inherentresolve.mil/. 16 Zu rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen der Intervention auf Einladung siehe Georg Nolte, Intervention by Invitation, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1702?rskey=z4N7Dz&result =3&prd=MPIL. 17 Vgl. zur Diskussion im Rahmen der VN im Hinblick auf die Terrorbekämpfung im Irak, UN Meetings Coverage and Press Releases, SC/13931, 8605th Meeting, 27 August 2019, Islamic State in Iraq and Levant Still Global Threat Boasting Affiliated Networks, Residual Wealth, Top Counter-Terrorism Officials Tell Security Council, https://www.un.org/press/en/2019/sc13931.doc.htm. 18 Zur Staatenverantwortlichkeit siehe im Einzelnen Knut Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage, München 2014, S. 561 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/20 Seite 7 den Rechtsfolgen der Staatenverantwortlichkeit sind insbesondere in den Artikelentwürfen der VN-Völkerrechtskommission (ILC) zur Verantwortlichkeit von Staaten für völkerrechtswidriges Handeln enthalten.19 Die ILC-Artikelentwürfe sind kein völkerrechtlicher Vertrag und als solche rechtlich nicht bindend, wurden aber von der VN-Generalversammlung durch Resolution verabschiedet und spiegeln in weiten Teilen den Stand der Entwicklung des Völkergewohnheitsrechts wider.20 Nach Art. 29 der ILC-Artikelentwürfe bestünde eine fortdauernde Pflicht, die verletzte Verpflichtung zu erfüllen. Konkret würde dies bedeuten, dass die Pflicht zum Truppenabzug nicht einmalig auftritt und erlischt, sondern bestehen bleibt. Bestätigt wird dies durch Art. 30 der ILC-Artikelentwürfe, der ausdrücklich zur Einstellung fortdauernden rechtswidrigen Handelns verpflichtet und darüber hinaus von einem rechtswidrig handelnden Staat verlangt, angemessene Versicherungen und Garantien für eine Nichtwiederholung anzubieten, wenn die Umstände es erfordern. In dem vom Auftraggeber unterstellten hypothetischen Sachverhalt wären die Entsendestaaten mithin auch nach Art. 30 der ILC-Artikelentwürfe verpflichtet, die Truppen abzuziehen und möglicherweise die erforderlichen Garantien der Nichtwiederholung anzubieten. Zusätzlich verpflichtet Art. 31 der ILC-Artikelentwürfe den rechtswidrig handelnden Staat, volle Wiedergutmachung für den Nachteil zu leisten, der durch sein völkerrechtswidriges Handeln verursacht wurde, wobei der Nachteil jeden materiellen und immateriellen Schaden einschließt, der von dem völkerrechtswidrigen Handeln eines Staates verursacht wurde. In dem vom Auftraggeber unterstellten hypothetischen Sachverhalt könnte der Irak also im genannten Umfang Wiedergutmachung verlangen. Die Wiedergutmachung kann neben dem materiellen Schadensersatz gem. Art. 34, 36 der ILC- Artikelentwürfe auch die Verpflichtung des völkerrechtswidrig handelnden Staats umfassen, gem. Art. 37 der ILC-Artikelentwürfe Genugtuung zu leisten. Dabei kann die Genugtuung in einer Anerkennung der Verletzung, einer Erklärung des Bedauerns, einer formalen Entschuldigung oder in einer anderen angemessenen Vorgehensweise bestehen. Der Irak könnte also in dem vom Auftraggeber unterstellten hypothetischen Sachverhalt die genannten einseitigen völkerrechtlichen Erklärungen bzw. Vorgehensweisen von allen Staaten verlangen, die ihre Truppen nach dem unterstellten Wegfall der Rechtsgrundlage in völkerrechtswidriger Weise nicht abziehen sollten. Dabei sei nochmals daran erinnert, dass die genannten Rechtsfolgen nur eintreten, sofern 19 Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts with Commentaries, Resolution der VN-Generalversammlung, 85. Plenarsitzung, 12. Dezember 2001, A/56/589 Corr. 1, http://legal.un.org/ilc/texts/instruments/english/commentaries/9_6_2001.pdf, S. 67. Deutsche Übersetzung der Artikelentwürfe (ohne ILC-Kommentare): John Richard Eydner, http://eydner.org/dokumente /darsiwaev.PDF. 20 Siehe im Einzelnen James Crawford, State Responsibility, in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), MPEPIL, https://opil.ouplaw .com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1093#law-9780199231690-e1093-div1- 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/20 Seite 8 nach dem Wegfall der aktuellen Rechtsgrundlage der Truppenpräsenz keine andere Rechtsgrundlage an die Stelle der gegenwärtigen tritt. ***