© 2017 Deutscher Bundestag WD 2 – 3000 – 002/17 Mindeststandards im VN-Sozialpakt und ausgewählten ILO-Übereinkommen Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 2 Mindeststandards im VN-Sozialpakt und ausgewählten ILO-Übereinkommen Aktenzeichen: WD 2 - 3000 - 002/17 Abschluss der Arbeit: 23. Januar 2017 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einführung 4 2. Sozialpakt und ILO-Konventionen 4 2.1. Zur Auslegung des Sozialpaktes 4 2.2. Zur Auslegung der ILO-Konventionen 5 2.3. Zum Verhältnis von Sozialpakt und ILO-Konventionen 8 3. Gemeinsame Mindeststandards 9 3.1. Die Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit 10 3.2. Der Schutz vor Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf 11 3.3. Das Verbot der Kinderarbeit 12 3.4. Die Entgeltgleichheit 13 3.5. Das Koalitionsrecht der Arbeitnehmer und das Recht auf Kollektivverhandlungen 14 3.6. Die Arbeitsaufsicht 15 4. Zusammenfassung 16 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 4 1. Einführung Die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) ist als Sonderorganisation der Vereinten Nationen (VN) zuständig für die Formulierung und Durchsetzung internationaler Arbeits- und Sozialstandards. Sie definiert Mindeststandards für das Recht auf Arbeit sowie die Rechte bei der Arbeit und fördert deren Implementierung ebenso wie deren Weiterentwicklung innerhalb der Rechtsordnungen ihrer Mitgliedstaaten. Auf Grund der inhaltlichen Überschneidung der ILO-Standards mit den Rechten aus Art. 6-10 des VN-Sozialpaktes1 (IPwskR) trägt die ILO durch ihre Tätigkeit auch zur Förderung der Sozialpaktrechte bei.2 Dieser Sachstand untersucht, inwiefern sowohl die Normsetzung der ILO als auch die Spruchpraxis ihrer Beschwerde- bzw. Klagemechanismen Auswirkungen auf die Auslegung des Sozialpaktes haben können. Insbesondere soll der Sachstand erörtern, ob sich aus den ILO-Kernübereinkommen und den Art. 6-10 des Sozialpaktes gemeinsame Mindeststandards im Sinne eines „kleinsten gemeinsamen Nenners“ ableiten lassen. 2. Sozialpakt und ILO-Konventionen 2.1. Zur Auslegung des Sozialpaktes Für die Auslegung des Sozialpaktes ist das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (WVK)3 maßgeblich. Nach Artikel 31 WVK sind die grammatische, die systematische, die teleologische und ergänzend die historische Auslegungsmethode anzuwenden. Zwar folgte die WVK von 1969 dem Inkrafttreten des Sozialpaktes im Jahre 1966 zeitlich nach. Jedoch ist anerkannt, dass die WVK damals geltendes Völkergewohnheitsrecht kodifizierte, welches wiederum auf den Sozialpakt Anwendung fand.4 Als Auslegungskriterium ist nach Art. 31 Abs. 3 lit. b) WVK „jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrages (zu berücksichtigen), aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht“. Hiernach können Auslegungsentscheidungen der Vertragsorgane – 1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (angenommen am 19. Dezember 1966, in Kraft getreten am 3. Januar 1976), BGBl. 1976, Teil II, S. 428. 2 Riedel, „International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (1966)“ (2011) in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law, Rn. 33. 3 BGBl. 1985, Teil II, S. 927. 4 Duchstein, Das internationale Benchmarkingverfahren und seine Bedeutung für den gewerblichen Rechtsschutz (2010 Springer), S. 9; Melchem, „Treaty Bodies and the Interpretation of Human Rights“, (2009) 42 Vanderbilt Journal of Transnational Law, S. 905 (919). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 5 in diesem Fall des Sozialpaktausschusses – ein Auslegungskriterium sein, wenn sie von den Mitgliedstaaten allgemein mitgetragen werden.5 Der Sozialpaktausschuss überwacht die Umsetzung der Sozialpaktrechte gemäß Art. 16 f. IPwskR. Er ist mit 18 unabhängigen Experten besetzt und erlässt nach Art. 21 IPwskR sogenannte Allgemeine Kommentare (general comments) und Abschließende Bemerkungen (concluding observations).6 Die Allgemeinen Kommentare basieren auf dem Staatenberichtsverfahren und stellen eine Auswertung der darin enthaltenen Erfahrungen dar.7 Sie erzeugen zwar keine strikte rechtliche Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten zum Sozialpakt, werden aber in der Praxis als die wichtigsten Wegweiser für die Auslegung des Vertragstextes herangezogen.8 Da der Sozialpakt eng mit dem Zivilpakt9 verflochten ist, sind die darin niedergelegten Garantien in vieler Hinsicht miteinander verbunden und ergänzen sich. Durch die Verzahnung der Pakte kam es in der Vergangenheit bereits dazu, dass der Menschenrechtsausschuss, welcher grundsätzlich für die Auslegung des Zivilpaktes zuständig ist, auch teilweise zur Auslegung des Sozialpaktes beigetragen hat.10 2.2. Zur Auslegung der ILO-Konventionen Die Internationale Arbeitsorganisation erlässt sowohl Konventionen als auch sogenannte Empfehlungen zu arbeitsrechtlichen Fragestellungen, welche nach Art. 19 Abs. 8 der ILO-Verfassung11 nur Mindeststandards beschreiben und kein Hindernis für die Verabschiedung günstigerer nationaler Vorschriften sein sollen. Konventionen sind völkerrechtliche Übereinkommen, welche nach Art. 19 Abs. 5 lit. a) der ILO- Verfassung von den Mitgliedern der ILO ratifiziert werden sollen. Einmal ratifiziert, sind sie für Staaten rechtlich verbindlich. Sie legen oftmals die allgemeinen Grundprinzipien des jeweiligen 5 Melchem (Fn. 4), S. 921 f. 6 Aktueller Begriff „50 Jahre Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen“ (12. Januar 2017), WD 2 – 01/17; Riedel (Fn. 2), Rn. 39. 7 Nussberger, Sozialstandards im Völkerrecht (2005), S. 240. 8 Riedel (Fn. 2), Rn. 39. 9 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (angenommen am 19. Dezember 1966, in Kraft getreten am 23. März 1976), BGBl. 1976, Teil II, S. 1068. 10 Riedel (Fn. 2), Rn. 40. Bezugnehmend auf Menschenrechtskommission, Pauger v. Austria (30. April 1999), Nr. 716/1996. 11 ILO-Verfassung (1919), verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---europe/---ro-geneva/---iloberlin /documents/genericdocument/wcms_193725.pdf (zuletzt aufgerufen am 5. Januar 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 6 Regelungsbereiches fest.12 Die ILO unterscheidet sogenannte Kernarbeitsnormen (fundamental conventions) und governance-Übereinkommen (governance conventions). Kernübereinkommen beinhalten die nach Ansicht der ILO grundlegenden Arbeitsrechte, zu denen etwa die Koalitionsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen, die Abschaffung von Zwangs- und Kinderarbeit und die Bekämpfung von Diskriminierung zählen.13 Die Ratifizierung von governance-Übereinkommen genießt für die ILO Priorität, da diese eine besondere Wichtigkeit für das Funktionieren des internationalen Systems von Arbeitsstandards haben.14 Demgegenüber dienen Empfehlungen als nicht-bindende Richtlinien zur Auslegung der Konventionen und sind daher oftmals detaillierter ausgestaltet als ILO-Übereinkommen.15 Empfehlungen können jedoch auch autonom, also nicht an eine bestimmte Konvention gebunden, sein.16 Beide Instrumente werden in einem besonderen Verfahren unter Beteiligung der Vertragsstaatenkonferenz (General Conference), des ILO-Verwaltungsrates (Governing Body) und des Internationalen Arbeitsamtes (International Labour Office) erlassen. Damit sind, anders als bei gewöhnlichen internationalen Verträgen, mehr Stakeholder am Entwurf des Textes und damit der möglichen späteren Deutung der Standards beteiligt.17 Ferner können nach Art. 37 Abs. 1 der ILO-Verfassung Auslegungsfragen dem Internationalen Gerichtshof vorgelegt werden. Auf Grund seiner relativ großen Aufwendigkeit konnte sich das Interpretationsverfahren in der Praxis jedoch nicht durchsetzen.18 Als leichter handhabbar hat sich ein Verfahren erwiesen, bei welchem die ILO Anfragen von Mitgliedstaaten zur Auslegung bestimmter ILO-Konventionen beantwortet.19 Dabei handelt es sich 12 ILO, „Conventions and Recommendations“ (2017), verfügbar unter: http://www.ilo.org/global/standards/introduction -to-international-labour-standards/conventions-and-recommendations/lang--en/index.htm (zuletzt aufgerufen am 12. Januar 2017). 13 Ibid. Die acht Kernübereinkommen sind die Übereinkommen Nr. 29, 87, 98, 100, 105, 111, 138 und 182, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. 14 Ibid. Die governance-Übereinkommen sind die Übereinkommen Nr. 81 über die Arbeitsaufsicht in Gewerbe und Handel, Übereinkommen Nr. 122 über die Beschäftigungspolitik, Übereinkommen Nr. 129 über die Arbeitsaufsicht in der Landwirtschaft und Übereinkommen Nr. 144 über dreigliedrige Beratungen zur Förderung der Durchführung internationaler Arbeitsnormen. 15 Ibid. Sauer, „International Labour Organization (ILO)“ in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law (EPIL, 2011), Rn. 13-15. Siehe etwa ILO Empfehlung Nr. 81 betreffend die Arbeitsaufsicht (11. Juli 1947), verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes/documents/normativeinstrument /wcms_r081_de.htm (zuletzt aufgerufen am 13. Januar 2017). 16 ILO (Fn. 12). 17 Sauer (Fn. 15), Rn. 14. 18 Nussberger (Fn. 7), S. 249. 19 Ibid., S. 251. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 7 zwar um nicht verbindliche Auslegungen, die jedoch große Beachtung finden.20 Schließlich hat die ILO mehrere Verfahren zur Überprüfung der praktischen Implementierung ihrer Konventionen eingeführt. Neben regelmäßigen Staatenberichten nach Art. 22 der ILO- Verfassung sind Beschwerdeverfahren nach Art. 24 f. der ILO-Verfassung sowie Klageverfahren nach Art. 26-34 der ILO-Verfassung vorgesehen, an deren Ende der Erlass von (rechtlich unverbindlichen ) Empfehlungen durch das jeweilige Prüfungsgremium steht.21 Die Staatenberichte (periodic reports) sollen der ILO einmal jährlich vorgelegt werden und beinhalten eine Beschreibung jener Maßnahmen, die ein Mitgliedstaat zur Durchführung der Übereinkommen vorgenommen hat, denen er beigetreten ist. Ein Sachverständigenausschuss prüft die Berichte auf mögliche Verstöße gegen ILO-Normen.22 Das Beschwerdeverfahren nach Art. 24 f. der ILO-Verfassung (representations procedure) wird von gesellschaftlichen Gruppen wie etwa Berufsverbänden von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern – nicht aber von einzelnen Individuen – eingeleitet.23 Hierbei kann es zu ungewollten Überschneidungen kommen, da in der Regel dieselben Verstöße über die Staatenberichtsverfahren angegriffen werden.24 Das Klageverfahren nach Art. 26 der ILO-Verfassung (complaint procedure) kann von jedem Mitgliedstaat der ILO gegen einen anderen Mitgliedstaat initiiert werden, wenn nach seiner Ansicht die Durchführung eines von beiden Teilen ratifizierten ILO-Übereinkommens nicht in befriedigender Weise sichergestellt ist.25 Nach eingehender Prüfung der Klage verfasst ein sogenannter Untersuchungsausschuss einen Bericht, in welchem er die ihm geeignet erscheinenden Maßnahmen niederlegt. Ferner empfiehlt er nach Art. 28 der ILO-Verfassung eine Frist für die 20 Ibid., S. 252. 21 ILO, „Applying and promoting International Labour Standards“ (2017), verfügbar unter: http://www.ilo.org/global /standards/applying-and-promoting-international-labour-standards/lang--en/index.htm (zuletzt aufgerufen am 6. Januar 2017). 22 Sachstand, „Verfahren der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bei Verstößen gegen Kernarbeitsnormen und Zusammenarbeit mit der Welthandelsorganisation (WTO)“ (11. Mai 2016), WD 6 - 3000 - 065/16, S. 6. 23 Liste der anhängigen und abgeschlossenen Beschwerdeverfahren unter Art. 24 der ILO-Verfassung: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=1000:50010:::NO:50010:P50010_ARTICLE_NO:24 (zuletzt aufgerufen am 11. Januar 2017). Gegen Deutschland wurden bisher sechs solcher Verfahren geführt: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=1000:50010:0::NO:50010:P50010_ARTICLE_NO,P50010_DIS- PLAY_BY,P50010_COUNTRY_ID:24,2,102643 (zuletzt aufgerufen am 11. Januar 2017). 24 Nussberger (Fn. 7), S. 330 f. 25 Liste der anhängigen und abgeschlossenen Klageverfahren unter Art. 26 der ILO-Verfassung: http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=1000:50011:2390133546176::::P50011_DISPLAY_BY:1 (zuletzt aufgerufen am 11. Januar 2017). Bisher wurde gegen Deutschland ein Klageverfahren eingeleitet: Complaint (article 26), Federal Republic of Germany, C111 (1985): http://www.ilo.org/dyn/normlex /en/f?p=1000:50012:0::NO:50012:P50012_COMPLAINT_PROCE- DURE_ID,P50012_LANG_CODE:2507529,en:NO (zuletzt aufgerufen am 11. Januar 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 8 Durchführung dieser Maßnahmen. Nimmt der betroffene Staat die (unverbindlichen) Empfehlungen nicht an, kann das Verfahren dem Internationalen Gerichtshof zugeleitet werden, der eine endgültige, bindende Entscheidung erlassen kann (Art. 29 Abs. 2 der ILO-Verfassung).26 Das Klageverfahren nach Art. 26 der ILO-Verfassung ist damit nicht mit einem Verfahren vor deutschen Arbeitsgerichten vergleichbar, u.a. weil am Ende des ILO-Verfahrens keine bindende, mit Zwangsmitteln durchsetzbare Entscheidung steht.27 Für die Weiterentwicklung von internationalen Sozialstandards ist das Klageverfahren jedoch nicht relevant, weil ihm ein politisches Element inhärent ist, welches nur genutzt wird, wenn ein Mitgliedstaat ein unmittelbares Eigeninteresse an der Entscheidung gegen einen anderen Mitgliedstaat hat oder wenn der Bruch eines Übereinkommens so schwerwiegend ist, dass ein Tätigwerden unausweichlich scheint.28 2.3. Zum Verhältnis von Sozialpakt und ILO-Konventionen Die ILO beschäftigt sich als spezialisierte Unterorganisation des VN-Wirtschafts- und Sozialausschusses (ECOSOC) auch mit menschenrechtlichen Fragen. Im Jahre 1919 gegründet, hatte sich die ILO bereits u.a. mit Fragen zur Sklaverei und Zwangsarbeit befasst, lange bevor die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 angenommen wurde.29 So wurden die ILO- Konventionen zur Blaupause für den 1966 angenommenen Sozialpakt.30 Art. 8 IPwskR (Vereinigungsfreiheit ) ist etwa vom Wortlaut der ILO-Konvention Nr. 8731 entlehnt.32 Auch der Sozialpaktausschuss hat das ILO-Übereinkommen Nr. 29 als essentiellen Referenzpunkt für die 26 Siehe auch Sachstand, „Verfahren der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bei Verstößen gegen Kernarbeitsnormen und Zusammenarbeit mit der Welthandelsorganisation (WTO)“ (11. Mai 2016), WD 6 - 3000 - 065/16, S. 5-7. Das ILO-Klageverfahren wurde bisher jedoch lediglich in vier Fällen an den Ständigen Internationalen Gerichtshof bzw. seinem Nachfolger den Internationalen Gerichtshof abgegeben, siehe Nussberger (Fn. 7), S. 249-251. 27 Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) (2013), verfügbar unter: file://parlament/daten/DP_wd2-2/Buero /Die-Internationale-Arbeitsorganisation-Ein-Wegweiser-fuer-GewerkschafterInnen.pdf (zuletzt aufgerufen am 11. Januar 2017), S. 15. 28 Nussberger (Fn. 7), S. 329 f. 29 Sibbel, „ILO Conventions and the Covenant on Economic, Social and Cultural Rights: One Goal, Two Systems“, (2001), verfügbar unter: http://library.fes.de/pdf-files/iez/global/02078.pdf (zuletzt aufgerufen am 5. Januar 2017), S. 51 (53). 30 Ibid., S. 51 (53 f.). 31 Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes (angenommen am 9. Juli 1948, in Kraft getreten am 4. Juli 1950) verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/--- ed_norm/---normes/documents/normativeinstrument/wcms_c087_de.htm (zuletzt aufgerufen am 5. Januar 2017). 32 Sibbel (Fn. 29), S. 54. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 9 Auslegung des Begriffs der „Zwangsarbeit“ in Art. 6 IPwskR anerkannt.33 Der Sozialpaktausschuss ist jedoch nicht an die Standardsetzung der ILO gebunden, weil der Sozialpakt einen an der Menschenwürde ausgerichteten, umfassenden Fokus verfolgt, während die hochspezialisierte ILO einen eher technischen, arbeitsbezogenen Ansatzpunkt hat.34 Insofern ist der Sozialpakt einer extensiveren Auslegung zugänglich. Nicht zuletzt wegen der international anerkannten Notwendigkeit konsistenter Vertragsauslegung werden ILO-Übereinkommen und Sozialpakt von einigen Kommentatoren als komplementäre Seiten derselben Medaille angesehen.35 Sie stehen im Normgefüge im gleichen Rang nebeneinander , wobei der Sozialpakt weitere Prinzipien statuiert und die ILO-Konventionen inhaltlich detaillierter auf arbeitsbezogene Regelungsgegenstände eingeht.36 Weil das Klageverfahren nach Art. 26 der ILO-Verfassung indes nicht mit einem Verfahren vor deutschen Arbeitsgerichten vergleichbar ist, entsteht innerhalb der ILO keine Rechtsprechung im klassischen Sinne, an welche die nachfolgenden Ausschüsse gebunden wären. Wegen der faktischen Beachtung der Empfehlungen entsteht höchstens eine Spruchpraxis zu den arbeitsbezogenen Sozialstandards der ILO. Ob diese über den Einzelfall hinaus der Verallgemeinerung zugänglich und zugleich auf die Standards im VN-Sozialpakt übertragbar sind, ist aus juristischer Sicht nicht zwingend. Zwar mag der Sozialpaktausschuss faktisch auf die Grundlagenarbeit der ILO zurückgreifen, um die Rechte des Sozialpaktes auszuformen. Allerdings stellt dieser Rückgriff keine anerkannte Auslegungsmethode der WVK dar. 3. Gemeinsame Mindeststandards Trotz der angedeuteten Zweifel an einer Übertragbarkeit der Spruchpraxis der ILO-Ausschüsse auf den VN-Sozialpakt ist unbestritten, dass die Kernübereinkommen und der VN-Sozialpakt gewisse Schnittmengen haben. Im Folgenden soll daher untersucht werden, ob sich gemeinsame Mindeststandards im Sinne eines „kleinsten gemeinsamen Nenners“ herausarbeiten lassen. Die Zusammenstellung erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 33 Saul, Kinley und Mowbray, The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (2014 OUP), S. 324. 34 Ibid., S. 277. 35 Ibid. 36 Ibid. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 10 3.1. Die Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit Die ILO beschäftigte sich mit dem Thema der Zwangs- und Pflichtarbeit im Rahmen des Übereinkommens über die Sklaverei von 192637, des Übereinkommens über Zwangs- oder Pflichtarbeit von 1930 (ILO-Übereinkommen Nr. 29)38 und des Übereinkommens über die Abschaffung der Zwangsarbeit von 1957 (ILO-Übereinkommen Nr. 105)39. Die darin angelegten grundlegenden Rechte auf Abschaffung der Zwangs- und Kinderarbeit sowie der Abschaffung von Diskriminierung sind auch Art. 6 IPwskR inhärent.40 So hat ein ILO- Untersuchungsausschuss 1998 im Klageverfahren gegen Myanmar/Burma den Schluss gezogen: “(…) there exists now in international law a peremptory norm prohibiting any recourse to forced labour and that the right not to be compelled to perform forced or compulsory labour is one of the basic human rights. A State which supports, instigates, accepts or tolerates forced labour on its territory commits a wrongful act for which it bears international responsibility; furthermore, this wrongful act results from a breach of an international obligation that is so essential for the protection of the fundamental interests of the international community that it could be qualified, if committed on a widespread scale, as an international crime under the terms of article 19 of the draft articles of the International Law Commission on state responsibility. (…) Similarly, the International Court of Justice has qualified the obligation to protect the human person against slavery as an obligation erga omnes since, in view of the importance of this right, all States can be held to have a legal interest in its protection.”41 Da die Pflicht zur Abschaffung der Zwangsarbeit nunmehr in verschiedensten völkerrechtlichen Verträgen universeller und regionaler Art niedergelegt ist, ist sie nach Ansicht der ILO zu einer zwingenden Norm des Völkerrechts aufgerückt.42 Auch der Sozialpaktausschuss unterstreicht, dass der Respekt der Person und deren Menschenwürde Ausdruck in der Freiheit zur Wahl des Berufes finden muss.43 Das Recht auf Arbeit aus Art. 6 Abs. 1 IPwskR impliziere die Freiheit von 37 60 LNTS 253. 38 ILO-Übereinkommen Nr. 29, verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes /documents/normativeinstrument/wcms_c029_de.htm (zuletzt aufgerufen am 6. Januar 2017). 39 ILO-Übereinkommen Nr. 105, verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes /documents/normativeinstrument/wcms_c105_de.htm (zuletzt aufgerufen am 6. Januar 2017). 40 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 277; VN-ECOSOC, „General Comment No. 18“ (6. Februar 2006), VN- Dok. E/C.12/GC/18, Rn. 9. 41 ILO-Untersuchungsausschuss zum Klageverfahren C029, Report of the Commission of Inquiry appointed to examine the observance by Myanmar of the Forced Labour Convention, 1930 (No. 29) (2. Juli 1998), verfügbar unter : http://www.ilo.org/dyn/normlex/en/f?p=NORMLEXPUB:50012:0::NO::P50012_COMPLAINT_PROCE- DURE_ID,P50012_LANG_CODE:2508280,en (zuletzt aufgerufen am 12. Januar 2017), Rn. 203 (Hervorhebung nicht im Original). 42 ILO, „Eradication of Forced Labour“ (2007), ILO Conference, 96th Session, Report III, Part 1B, S. 111. 43 Sozialpaktausschuss, Allgemeiner Kommentar Nr. 18 (6. Februar 2006), VN-Dok. E/C.12/GC/18, Rn. 4. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 11 Zwangsarbeit mit der Folge, dass alle Mitgliedstaaten verpflichtet seien, jegliche Form der Zwangs- und Pflichtarbeit abzuschaffen, zu verbieten und entgegenzutreten.44 Auch die Definition des Begriffs der „Zwangsarbeit“, sowie dessen Bereichsausnahmen45, dürften im Rahmen der ILO-Konventionen und des Sozialpaktes deckungsgleich sein.46 3.2. Der Schutz vor Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf Der Sozialausschuss definiert den Schutz vor Diskriminierung und die Garantie von Chancengleichheit in Beschäftigung und Beruf als Kernverpflichtung der Mitgliedstaaten aus Art. 6 IPwskR.47 Solche Kernverpflichtungen halten alle Mitgliedstaaten zur Herstellung eines essentiellen Mindestschutzniveaus der Rechte aus dem IPwskR an. So schreibt der Sozialausschuss im Zusammenhang mit Art. 6 IPwskR: “Discrimination in the field of employment comprises a broad cluster of violations affecting all stages of life, from basic education to retirement, and can have a considerable impact on the work situation of individuals and groups. Accordingly, these core obligations include at least the following requirements: (a) To ensure the right of access to employment, especially for disadvantaged and marginalized individuals and groups, permitting them to live a life of dignity; (b) To avoid any measure that results in discrimination and unequal treatment in the private and public sectors of disadvantaged and marginalized individuals and groups or in weakening mechanisms for the protection of such individuals and groups; (c) To adopt and implement a national employment strategy and plan of action based on and addressing the concerns of all workers on the basis of a participatory and transparent process that includes employers’ and workers’ organizations. Such an employment strategy and plan of action should target disadvantaged and marginalized individuals and groups in particular and include indicators and benchmarks by which progress in relation to the right to work can be measured and periodically reviewed.48 44 Ibid., Rn. 6, 9, 23-25. 45 Arbeit während der Freiheitsentziehung, Dienstleistungen militärischer Art, im Falle von Notständen und Katastrophen sowie Dienstleistungen, die zu den normalen Bürgerpflichten gehören. 46 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 322-345; Villalpando, “Forced Labour/Slave Labour” in Wolfrum (Hrsg.), Encyclopedia of Public International Law (EPIL, 2007), Rn. 13. 47 VN-ECOSOC, „General Comment No. 18“ (6. Februar 2006), VN-Dok. E/C.12/GC/18, Rn. 31. 48 VN-ECOSOC, „General Comment No. 18“ (6. Februar 2006), VN-Dok. E/C.12/GC/18, Rn. 31. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 12 Das ILO-Übereinkommen über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf von 1958 (ILO- Übereinkommen Nr. 111)49 und Art. 6 IPwskR wenden das Diskriminierungsverbot auf alle Bereiche eines Beschäftigungsverhältnisses – also auch auf die Zulassung zur Berufsausbildung, zur Beschäftigung und zu den einzelnen Berufen sowie die Beschäftigungsbedingungen – an.50 Verboten sind nach Art. 1 Abs. 1 lit. a) ILO-Übereinkommen Nr. 111 sowohl die direkte als auch die indirekte Diskriminierung auf Grund der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, des Glaubensbekenntnisses , der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft. Das ILO-Übereinkommen Nr. 111 erkennt in seinem Art. 1 Abs. 2 an, dass eine Bevorzugung, die in den Erfordernissen einer bestimmten Beschäftigung begründet ist, nicht als Diskriminierung gilt. Daran anknüpfend hat der Sozialpaktausschuss den Begriff der „inhärenten Anforderungen“ (inherent requirements) eines Berufes geprägt.51 Weiterhin gelten nach Art. 4 ILO-Übereinkommen Nr. 111 Maßnahmen gegen Person nicht als Diskriminierung, die in berechtigtem Verdacht einer gegen die Sicherheit des Staates gerichteten Betätigung stehen oder die sich tatsächlich in solcher Weise betätigen. Die Verweigerung einer Beschäftigung auf Grund von Sicherheitsgefährdungen ist auch nach Art. 6 i.V.m. Art. 4 IPwskR zulässig.52 3.3. Das Verbot der Kinderarbeit Nach Art. 1 ILO-Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit von 1999 (ILO-Übereinkommen Nr. 182)53 müssen Mitgliedstaaten effektive Maßnahmen treffen, um sicher zu stellen, dass das Verbot der Kinderarbeit vollumfänglich respektiert wird.54 Der Sozialpakt streift das Thema Kinderarbeit in Art. 10 Abs. 3 IPwskR. Nach Art. 1 ILO-Übereinkommen über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung von 1973 (ILO-Übereinkommen Nr. 138)55 verfolgen alle Mitgliedstaaten eine innerstaatliche Politik, die dazu bestimmt ist, die tatsächliche Abschaffung der Kinderarbeit sicherzustellen und das 49 ILO-Übereinkommen Nr. 111, verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes /documents/normativeinstrument/wcms_c111_de.htm (zuletzt aufgerufen am 6. Januar 2017). 50 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 290. 51 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 284. 52 Ibid., S. 286. 53 ILO-Übereinkommen Nr. 182, verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes /documents/normativeinstrument/wcms_c182_de.htm (zuletzt aufgerufen am 6. Januar 2017). 54 VN-ECOSOC, „General comment No. 18” (6. Februar 2006), VN-Dok. E/C.12/GC/18, Rn. 24. 55 ILO-Übereinkommen Nr. 138, verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes /documents/normativeinstrument/wcms_c138_de.htm (zuletzt aufgerufen am 6. Januar 2017). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 13 Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung oder Arbeit fortschreitend bis auf einen Stand anzuheben, bei dem die volle körperliche und geistige Entwicklung der Jugendlichen gesichert ist. Teilweise wurde vertreten, dass es wegen der geringen Zahl von Ratifikationen schwierig sei, die Standards des ILO-Übereinkommens Nr. 138 in Art. 10 Abs. 3 IPwskR hineinzulesen.56 Da das Übereinkommen mittlerweile jedoch mit 166 Ratifikationen von mehr als dreiviertel der internationalen Staatengemeinschaft ratifiziert wurde, wird es von Kommentatoren als Mindeststandard qualifiziert.57 In diesem Sinne hat auch der Sozialpaktausschuss gegenüber Peru und Portugal angeregt, das ILO-Übereinkommen Nr. 138 zu ratifizieren und damit implizit zu erkennen gegeben, dass das Übereinkommen mit seinem Ziel der unverzüglichen Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit als Mindeststandard für Art. 10 Abs. 3 IPwskR fungiert.58 3.4. Die Entgeltgleichheit Sowohl Art. 7 Abs. 1 lit. a) i) IPwskR als auch Art. 2 ILO-Übereinkommen Nr. 10059 beinhalten den Grundsatz der Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit. Art. 7 Abs. 1 lit. a) i) IPwskR beinhaltet jedoch eine über den Schutz weiblicher Arbeitskräfte hinausgehende Liste an Schutzberechtigten (wie etwa Menschen mit Behinderung, bestimmte Altersgruppen oder Staatsangehörige).60 Das Konzept der gleichwertigen Arbeit beinhaltet einerseits die Entlohnung für gleiche bzw. ähnliche Arbeit. Andererseits umfasst der Begriff aber auch völlig unterschiedliche Arbeiten, die jedoch von gleichem oder vergleichbarem Wert sind.61 Die ILO verfolgt diesen Ansatz, weil sich aus der historischen Betrachtung der Rolle der Frau Klischees und Stereotypen gebildet haben, die dazu geführt haben, dass noch heutzutage bestimmte Berufe überwiegend von Frauen und andere überwiegend von Männern ausgeübt werden. Althergebrachte Stereotype führen in diesem Zusammenhang oft dazu, dass die Entlohnung weiblich dominierter Berufe schlechter ausfällt als die der männlichen.62 Der Sozialpaktausschuss scheint die Linie der ILO im Rahmen 56 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 842. 57 Ibid. 58 Sozialpaktausschuss, Abschließende Bemerkung: Peru (20. Mai 1997), VN-Dok. E/C.12/1/Add.14, Rn. 34; Sozialpaktausschuss , Abschließende Bemerkung: Portugal (1. Dezember 2000), VN-Dok. E/C.12/1/Add.53, Rn. 22; Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 842. 59 ILO-Übereinkommen Nr. 100, verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes /documents/normativeinstrument/wcms_c100_de.htm (zuletzt aufgerufen am 9. Januar 2017). 60 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 428. 61 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 431. 62 ILO, „Equal Pay: An Introductory Guide“ (2013), verfügbar unter: http://digitalcommons.ilr.cornell .edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1304&context=intl (zuletzt aufgerufen am 9. Januar 2017) S. 3. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 14 seiner Allgemeinen Bemerkungen aufzugreifen, in dem er etwa auf die „einschlägigen internationalen Arbeitsstandards“ Bezug nimmt.63 Ferner erkennen sowohl der Sozialpakt als auch das ILO-Übereinkommen Nr. 100 an, dass bestimmte Schutz- oder Hilfsmaßnahmen im Sinne einer sog. positiven Diskriminierung – insbesondere solche zu Gunsten von Frauen – nicht als Diskriminierung gelten.64 3.5. Das Koalitionsrecht der Arbeitnehmer und das Recht auf Kollektivverhandlungen Das Recht aus Art. 8 IPwskR, Gewerkschaften zu bilden oder einer Gewerkschaft beizutreten, ist, wie bereits erwähnt, teilweise dem Wortlaut des ILO-Übereinkommens Nr. 8765 entlehnt.66 So verweist Art. 8 Abs. 3 IPwskR auf das ILO-Übereinkommen Nr. 87 und stellt klar, dass die Mitgliedstaaten unter dem Sozialpakt keine Maßnahmen ergreifen dürfen, welche die Garantien des ILO-Übereinkommens Nr. 87 beeinträchtigen können. Unter beiden Abkommen gilt das Koalitionsrecht sowohl für Inländer als auch Ausländer bzw. Migranten.67 Jedoch unterscheiden sich die Abkommen insofern als unter dem ILO-Übereinkommen Nr. 87 sowohl Arbeitnehmer im privaten als auch im öffentlichen Angestelltenverhältnis das Koalitionsrecht genießen. Demgegenüber sind nach Art. 8 Abs. 2 IPwskR Einschränkungen für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der öffentlichen Verwaltung zulässig.68 Das Recht auf Kollektivverhandlungen wurde im ILO-Übereinkommen Nr. 9869 ausdrücklich festgeschrieben . Demgegenüber wurde es zwar nicht explizit in Art. 8 IPwskR aufgenommen, wurde aber während der Vorarbeiten zum Sozialpakt als inhärent im Recht der Vereinigungsfreiheit bezeichnet.70 Später hat der Sozialpaktausschuss die fundamentale Wichtigkeit des Rechts auf 63 Sozialpaktausschuss, Abschließende Bemerkung: Mauritius (31. Mai 1994), VN-Dok. E/C.12/1994.8, Rn. 9; Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 429-433. 64 Art. 5 ILO-Übereinkommen Nr. 111; Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 426. 65 Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes, verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes/documents/normativeinstrument /wcms_c087_de.htm (zuletzt aufgerufen am 9. Januar 2017). 66 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 503. 67 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 504, mit Verweis auf Art. 2 ILO-Übereinkommen Nr. 87 und den Sozialpaktausschuss E/C.12/CRI/CO/4 (4. Januar 2008) Rn. 20; E/C.12/1/Add.46 (1. September 2000) Rn. 19 und E/C.12/1/Add.98 (7. Juni 2004) Rn. 18. 68 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 506-509. 69 Übereinkommen über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen , verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/---normes /documents/normativeinstrument/wcms_c098_de.htm (zuletzt aufgerufen am 9. Januar 2017). 70 Craven, The International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (1995), S. 275. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 15 Kollektivverhandlungen für die Formulierung von Arbeitsstandards im Rahmen der Allgemeinen Bemerkung Nr. 18 zu Art. 6 IPwskR herausgestellt.71 Im Rahmen des Monitorings von Staaten hat sich der Sozialpaktausschuss zudem immer wieder mit der Stärkung des Rechts auf Kollektivverhandlungen befasst und etwa den ungenügenden Schutz von Gewerkschaften kritisiert.72 3.6. Die Arbeitsaufsicht Um die Einhaltung der etablierten Arbeitsstandards zu kontrollieren, bedarf es nach Ansicht der ILO und des Sozialpaktausschusses einer effektiven Arbeitsaufsicht.73 Während die ILO die Arbeitsaufsicht u.a. im Übereinkommen Nr. 81 über die Arbeitsaufsicht in Gewerbe und Handel74 regelt, findet sich keine explizite Erwähnung in Art. 7 IPwskR. Sie ist gleichwohl in Art. 7 IPwskR angelegt.75 So hat der Sozialpaktausschuss erst 2016 festgehalten, dass Aufsichtsbehörden unabhängig und adäquat ausgestattet sowie mit fachkundigen Mitarbeitern besetzt sein sollten .76 Sie sollten darüber hinaus die Möglichkeit haben, Arbeitsstätten frei und ohne vorherige Ankündigung zu inspizieren und Empfehlungen zur Vermeidung oder Bekämpfung bestimmter Schieflagen auszusprechen.77 Schließlich sollten die Aufsichtsbehörden ihre Arbeit darauf fokussieren , die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte sicherzustellen. Sie sollten hingegen nicht dazu genutzt werden, den Aufenthaltsstatus von Arbeitern zu kontrollieren.78 Diese im Zusammenhang mit Art. 7 IPwskR aufgestellten Standards sind etwa auf Art. 3 Abs. 1 lit. a), Art. 6-7 sowie Art. 9-13 ILO-Übereinkommen Nr. 81 rückführbar.79 71 Sozialpaktausschuss, „General Comment No. 18“ (2006), VN-Dok. E/C.12/GC/186, Rn. 39. 72 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 545. Sozialpaktausschuss, Abschließende Bemerkung: Honduras (21. Mai 2001), VN-Dok. E/C.12/1/Add.57, Rn. 18. Zur Förderung des Rechts auf Kollektivverhandlungen siehe auch Sozialpaktausschuss, Abschließende Bemerkung: Indien (8. August 2008), VN-Dok. E/C.12/IND/CO/5, Rn. 23; Sozialpaktausschuss, Abschließende Bemerkung: Frankreich (30. November 2001), VN-Dok. E/C.12/1/Add.72, Rn. 29. 73 Sozialpaktausschuss, Allgemeiner Kommentar Nr. 23, (27. April 2016), VN-Dok. E/C.12/GC/23, Rn. 24. 74 ILO-Übereinkommen ILO Nr. 81, verfügbar unter: http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---ed_norm/--- normes/documents/normativeinstrument/wcms_c081_de.htm (zuletzt aufgerufen am 12. Januar 2017). Von 183 Mitgliedstaaten haben 141 das Übereinkommen ratifiziert. Siehe ILO, „Report V: Labour administration and labour inspection“ (2011), verfügbar unter: http://www.ilo.org/public/libdoc//ilo/2011/111B09_45_engl.pdf (zuletzt aufgerufen am 13. Januar 2017), Fußnote 11. 75 Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 421-425. Vgl. Sozialpaktausschuss, Allgemeiner Kommentar Nr. 23, (27. April 2016), VN-Dok. E/C.12/GC/23, Rn. 54. 76 Sozialpaktausschuss, Allgemeiner Kommentar Nr. 23, (27. April 2016), VN-Dok. E/C.12/GC/23, Rn. 54. 77 Ibid. 78 Ibid. 79 So auch Saul, Kinley und Mowbray (Fn. 33), S. 422-423. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 - 3000 - 002/17 Seite 16 Dass der Sozialpaktausschuss die Arbeitsaufsicht als Teil des Rechts auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen aus Art. 7 IPwskR ansieht, zeigt sich auch daran, dass er gegenüber einigen Mitgliedstaaten anregte, das ILO-Übereinkommen Nr. 81 zu ratifizieren.80 4. Zusammenfassung Trotz des unterschiedlichen Fokus von VN-Sozialpakt und den ILO-Übereinkommen lassen sich für jeden Bereich der untersuchten Schutzstandards – Abschaffung von Zwangs- und Pflichtarbeit , Schutz vor Diskriminierung, Verbot der Kinderarbeit, Entgeltgleichheit, das Koalitionsrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen sowie die Arbeitsaufsicht – inhaltliche Schnittmengen finden. Im Rahmen dieser Überschneidungen ist eine gegenseitige Bezugnahme der Vertragsorgane nicht nur pragmatisch, sondern auch zweckmäßig. Darüber hinaus kann jedoch nicht geschlussfolgert werden, dass die Spruchpraxis der ILO- Organe automatisch Einfluss auf die Auslegung der Schutzstandards im VN-Sozialpakt hat. *** 80 Sozialpaktausschuss, Abschließende Bemerkung: Philippinen (24. November 2008), VN-Dok. E/C.12/PHL/CO/4, Rn. 34; Abschließende Bemerkung: Republik Korea (17. Dezember 2009), VN-Dok. E/C.12/KOR/CO/3, Rn. 16.