Deutscher Bundestag Völkerrechtliche Grundlagen für Drohneneinsätze unter Berücksichtigung der Rechtsauffassungen Deutschlands, der USA und Israels Sachstand Wissenschaftliche Dienste WD 2 – 3000 – 002/14 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 2 Völkerrechtliche Grundlagen für Drohneneinsätze unter Berücksichtigung der Rechtsauffassungen Deutschlands, der USA und Israels Verfasser: Aktenzeichen: WD 2 – 3000 – 002/14 Abschluss der Arbeit: 30. Januar 2014 Fachbereich: WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Rechtliche Rahmenbedingungen 4 1.1. Völkerrechtliche Verbote 4 1.2. Justizielle Praxis 5 1.3. Völkerstrafrecht 6 1.4. US-amerikanische Rechtsauffassung zum War on Terror 6 1.5. Gewaltverbot (ius ad bellum) 7 1.6. Anwendbares Recht für Drohneneinsätze 8 1.7. Israelische Rechtsauffassung zur Politik der „gezielten Tötungen“ 9 2. Drohneneinsätze im bewaffneten Konflikt: Geographische Grenzen der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts (ius in bello) 11 3. Drohneneinsätze außerhalb bewaffneter Konflikte: Zur extraterritorialen Anwendung der Menschenrechte 13 4. Drohneneinsätze unter Parlamentsvorbehalt 16 4.1. Bedienungspersonal und Bodenstation 16 4.2. Schutzzweck des Parlamentsvorbehalts 17 5. Anlagen 18 6. Neuere Literatur zum Thema Kampfdrohneneinsatz 18 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 4 Die völkerrechtliche Zulässigkeit des Einsatzes bewaffneter Drohnen, insbesondere zur gezielten Tötung von Terrorverdächtigen, ist hoch umstritten. Im Mittelpunkt der Diskussion um Drohneneinsätze steht weniger das (unbemannte) Waffensystem als solches, sondern vor allem die Art und Weise seiner Verwendung. Der Einsatz bewaffneter Drohnen richtet sich – für alle Staaten gleichermaßen – nach den Grundsätzen des Völkerrechts. Im folgenden sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen und Rechtsgrundlagen für den Einsatz von Kampfdrohnen herausgearbeitet und analysiert werden (dazu 1.). Praktisch bedeutsam (aber in der völkerrechtlichen Diskussion noch umstritten) erscheint jedoch die Frage nach der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts (dazu 2.) sowie die Frage nach der Anwendbarkeit der Menschenrechte (dazu 3.). Hier treffen die – teilweise – unterschiedlichen völkerrechtlichen Rechtsauffassungen der USA und Deutschlands deutlich aufeinander. Abschließend wird die Frage des Parlamentsvorbehalts für Drohneneinsätze angesprochen (dazu 4.). 1. Rechtliche Rahmenbedingungen 1.1. Völkerrechtliche Verbote Weder das Friedensvölkerrecht noch das humanitäre Völkerrecht verbieten den Einsatz von Kampfdrohnen.1 Während der Einsatz bestimmter Waffen (Chemiewaffen, Streumunition, Blendlaserwaffen) aufgrund ihrer unterschiedslosen Wirkung völkervertraglich geächtet ist, existiert eine solche Regelung in Bezug auf Drohnen nicht. Auf der Ebene der Vereinten Nationen wurden Berichte durch den Sonderberichterstatter zu extralegalen Hinrichtungen erstellt, die eine grundlegende Skepsis bezüglich der Legitimität solcher Einsätze zum Ausdruck bringen.2 Im jüngsten Bericht des VN-Sonderberichterstatters für den Schutz von Menschenrechten bei Antiterrormaßnahmen und Drohneneinsätzen, Ben Emmerson, vom September 2013,3 werden die USA aufgefordert, „to further clarify its position on the legal and factual issues raised herein; to declassify, to the maximum extent possible , information relevant to its lethal extraterritorial counter-terrorism operations; and to release its own data on the level of civilian casualties inflicted through the use of remotely piloted aircraft, together with information on the evaluation methodology used” (Rz 80). 1 Vgl. für viele Frau, Robert, Unbemannte Luftfahrzeuge im internationalen bewaffneten Konflikt, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften (HUV-I) 2011, S. 60-72 (62). 2 Philip Alston, Report of the Special Rapporteur on extrajudicial, summary or arbitrary executions, UN Doc. A/HRC/14/24/Add.6, 28. Mai 2010, Rz. 84, verfügbar unter: http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/ahrc 14-24add6-deu.pdf. 3 General Assembly, UN-Dok. A/68/389 vom 18.9.2013 (“Promotion and protection of human rights and fundamental freedoms while countering terrorism”), verfügbar unter: http://msnbcmedia.msn.com/i/msnbc/sections/news/UN_Drones_Report.pdf. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 5 Der Kritik am US-amerikanischen Drohnenprogramm schließen sich zahlreiche Nicht- Regierungsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch an.4 1.2. Justizielle Praxis Gerichtliche Entscheidungen zu der Thematik, die eine Richtschnur für politische Entscheidungen für oder gegen den Einsatz von Kampfdrohnen darstellen können, existieren nur vereinzelt .5 2010 hatte der US District Court for the District of Columbia über den Antrag des Vaters des sog. „Hasspredigers“ Anwar al-Aulaqi zu entscheiden, diesen von der Todesliste der US- Regierung streichen zu lassen, da er Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren habe. Das Gericht berief sich auf die sog. „political question doctrine“ und verneinte die Justiziabilität der Angelegenheit.6 Im April 2013 entschied ein pakistanisches oberstes Gericht, dass es sich bei den von der CIA auf pakistanischem Boden durchgeführten Drohnenangriffen um Kriegsverbrechen handele und forderte die Regierung auf, diese Praxis notfalls mit Gewalt zu beenden.7 Im Juni 2013 verfügte der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens betreffend die Tötung eines deutschen Staatsbürgers in der nordpakistanischen Stadt Mir Ali durch eine amerikanische Kampfdrohne am 4. Oktober 2010. Die Tötung sei zwar tatbestandlich als Mord zu qualifizieren, als völkerrechtskonforme kriegerische Handlung jedoch gerechtfertigt.8 4 http://www.sueddeutsche.de/politik/pruefbericht-zu-pakistan-amnesty-sieht-in-us-drohnenangriffen-bruch-desvoelkerrechts -1.1800264. 5 Vgl. die nachfolgende Zusammenstellung der Urteile bei Löffelmann, Markus, Der Einsatz von Kampfdrohnen zur Terrorismusbekämpfung im Schnittpunkt von humanitärem Völkerecht und Menschenrechtsstandards, in: Kritische Justiz 2013 (Heft 4), S. 372-381 (373 f.). 6 Al-Aulaqi vs. Obama, Entscheidung vom 25.9.2010. Das Gericht führte aus, „that while the alleged targeted killing of plaintiff’s son was a drastic measure, the Court was barred by the political question doctrine from judicial review.” Nach Auffassung des Gerichts, “it was not for the courts to question the decision textually committed to the political branches, and (…) courts are functionally ill-equipped to make the types of complex policy judgments that would be required to adjudicate the merits of plaintiff’s claims.” 7 Peshawar High Court, Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11.4.2013, Petition Nr. 1551-P/2012, http://www.peshawarhighcourt.gov.pk/images/wp%201551-p%2020212.pdf 8 Einstellungsverfügung des GBA vom 20. Juni 2013, 3 BJs 7/12-4. Vgl. dazu auch Richter, Christian, Tödliche militärische Gewalt und strafrechtliche Verantwortung, in: HRRS – Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht 1/2012, S. 28 ff.; verfügbar unter http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/12- 01/hrrs-1-12.pdf . Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 6 1.3. Völkerstrafrecht Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) stellt bestimmte Handlungen, die gegen das Kriegsrecht verstoßen, unter Strafe. Für Drohneneinsätze relevant erweist sich z.B. § 11 VStGB, der auf dem humanitär-völkerrechtlichen Unterscheidungsgebot aufbaut. Daneben können solche Handlungen aber auch nach dem allgemeinen Strafrecht eine Strafbarkeit begründen. In der Strafrechtswissenschaft wird ganz überwiegend angenommen, dass eine militärische Handlung , die in Einklang mit dem Kriegsvölkerrecht stehe, keine Strafbarkeit nach allgemeinem Strafrecht begründe. Die Völkerrechtsmäßigkeit stelle insoweit einen strafrechtlichen Rechtfertigungsgrund dar.9 Neben den speziellen Tatbeständen des VStGB bleibt das allgemeine Strafrecht (StGB) gleichwohl anwendbar. Akte des Terrorismus stellen nach Maßgabe des internationalen und nationalen Strafrechts Verbrechen dar. Über die Frage, welchem Regelungssystem Maßnahmen des Antiterrorismus unterstehen – dem humanitären Völkerrecht oder den (nationalen und internationalen) Regeln der Kriminalitätsbekämpfung – bestehen nach wie vor Differenzen. 1.4. US-amerikanische Rechtsauffassung zum War on Terror Nach der bis heute vorherrschenden Auffassung der US-Regierung handelt es sich beim „Global War on Terror“ um einen Krieg im rechtlichen Sinne. Mit den traditionellen Kategorien des Völkerrechts und des innerstaatlichen Rechts sei es aber – so die Anhänger dieser Auffassung – nicht möglich, die neuen Formen des transnationalen Terrorismus effektiv zu bekämpfen . Folglich erscheint die Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten seit 2001 geprägt von der Annahme der Zulässigkeit präventiver Angriffe auf Individuen, nichtstaatliche Organisationen und Netzwerke, die in Aktionen involviert sind, die für „terroristisch“ gehalten werden.10 Antiterroroperationen seien grundsätzlich allein nach den Gesichtspunkten militärischer Notwendigkeit und nationaler Sicherheit zu führen.11 So vertritt die US-Regierung seit George W. Bush die Ansicht, die Durchführung von targeted killings sei ein legaler Akt der Kriegsführung in einem „Krieg gegen den Terror.“12 9 BGH Beschl. v. 17.6.2004, NJW 2004, 2316 f.; Jähnke, in. Leipziger Kommentar zum StGB 11. Aufl. 2010, § 212, Rdnr. 16 m.w.N. 10 Vgl. diesbezüglich die U.S. National Strategy for Combating Terrorism vom September 2006. 11 Vgl. US-Department of Justice, Memorandum vom 9. Januar 2002 S. 26, 31, 42. 12 Siehe hierzu die Stellungnahme der ehemaligen Außenministerin der USA Condoleeza Rice vom 10.11.2002, zitiert in: Dworkin, Anthony, The Yemen Strike: The war on terrorism goes global, 14.11.2002, verfügbar unter: http://www.globalpolicy.org/wtc/targets/2002/1114crimes.htm. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 7 Vertreter dieser „Kriegsthese“ erheben die (politische) Forderung, das Recht der bewaffneten Konflikte müsse angepasst werden, um als wichtigstes rechtliches Instrument bei der Bekämpfung transnationaler Akte des Terrorismus eingesetzt werden zu können.13 Dabei wird u.a. argumentiert, dass Personen, die der Beteiligung an terroristischen Akten verdächtigt werden, als „feindliche“ oder „illegale“ Kämpfer zu betrachten seien, die direkt angegriffen.14 Die US-amerikanische Rechtsauffassung schlägt sich nieder bei der Beurteilung der Frage, ob und inwieweit Drohneneinsätze das Gewaltverbot verletzen (s.u. 1.5.) sowie bei der Frage nach der geographischen Anwendbarkeit des Kriegsrechts (s.u. 1.6. und 2.). 1.5. Gewaltverbot (ius ad bellum) Das Friedensvölkerecht (ius ad bellum) untersagt es den Mitgliedstaaten der VN, Gewalt gegen andere Staaten auszuüben (sog. Gewaltverbot, Art. 2 Nr. 4 VN-Charta). Ob die Durchführung bewaffneter Drohnenangriffe auf fremdem Territorium eine völkerrechtswidrige Souveränitätsverletzung darstellt, ist umstritten. Die USA berufen sich seit den Attentaten vom 9. September 2001 auf ihr Selbstverteidigungsrecht (Art. 51 VN-Charta), das gewohnheitsrechtlich eine Ausnahme vom völkerrechtlichen Gewaltverbot darstellt. Es lässt sich darüber diskutieren, ob eine fortgesetzte Selbstverteidigungssituation mehr als 12 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September noch vorliegt.15 Die Aufrechterhaltung des NATO-Bündnisfalles durch die 28 Mitglieder der Allianz – insbesondere als fortlaufende Rechtsgrundlage für die Antiterroroperationen Operation Active Endeavour (OAE) bzw. Operation Enduring Freedom (OEF) – scheinen die amerikanische Auffassung allerdings zu bekräftigen . Andererseits machen die USA im Falle Afghanistans und Pakistans geltend, die Drohneneinsätze erfolgten mit Zustimmung und Billigung der jeweiligen Regierung – was eine Verletzung des Gewaltverbots ausschließen würde.16 13 Dunlap, Charles Jr, Do we need new regulations in international humanitarian law ? One American´s perspective, in: HuV-I 2012, S. 120-127. 14 Näher Thürer, Daniel, Humanitäres Völkerrecht und amerikanisches Verfasungsrecht als Schranken im Kampf gegen den Terrorismus, in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht, 2006/I, S. 157 ff., http://www.ivr.uzh.ch/institutsmitglieder/thuerer/forschung/ZSRI200602Thuerer.pdf 15 Vgl. Antrag der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 18/202 v. 17.12.2013. 16 Orr, Andrew C., Unmanned, Unprecedented and Unresolved: The Status of American Drone Strikes in Pakistan under International Law, in: Cornell International Law Journal vol. 44 (2011), S. 729-752 (736). Ob ein Staat, der Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 8 Ob Pakistan die US-amerikanischen Drohneneinsätze in seinem Luftraum zumindest toleriert, ist fraglich.17 Eine offizielle Zustimmung ist nicht bekannt. Seit 2012 hat sich pakistanische Regierung wiederholt von den Angriffen öffentlich distanziert. 1.6. Anwendbares Recht für Drohneneinsätze Die Frage, an welchem rechtlichen Maßstab der Einsatz von Drohnen zu prüfen ist, hängt von den Umständen des Einsatzes ab. Für Einsätze in bewaffneten Konflikten ist das humanitäre Völkerrecht anwendbar, das Regeln für die Kriegsführung (ius in bello) vorhält (dazu unten 2.).18 Außerhalb bewaffneter Konflikte richten sich Drohneneinsätze nach (allgemeinem) Friedensvölkerrecht ; dabei sind insbesondere die Menschenrechte zu beachten (dazu unten 3.), die im bewaffneten Konflikt durch das humanitäre Völkerrecht – als lex specialis – überlagert (wenn auch nicht völlig verdrängt) werden.19 Das humanitäre Völkerrecht eröffnet weitergehende Handlungsspielräume und vermittelt tendenziell einen geringeren Individualschutz als das Menschenrechtsregime. Im Gegensatz zum humanitären Völkerrecht ist der Staat im Rahmen des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes dafür beweispflichtig, dass ein Eingriff in die Menschenrechte gerechtfertigt ist. Dabei kommt es auf eine individualisierte Betrachtung an. Die Anforderungen für einen gerechtfertigten Eingriff in das Recht auf Leben sind höher als im humanitären Völkerrecht. Alle Eingriffshandlungen stehen ferner unter dem Vorbehalt ihrer unbedingten Erforderlichkeit (Verhältnismäßigkeit). auf seinem Territorium internationale Terrorgruppen toleriert oder wissentlich unterstützt, seinen Anspruch auf territoriale Souveränität verliert, ist umstritten. 17 So jedenfalls die Einschätzungen im völkerrechtlichen Schrifttum, vgl. z.B. Krishnan, Gezielte Tötung, Berlin 2012, S. 77; Frau, Robert, Reicht das geltende Völkerrecht für Drohneneinsätze aus?, in: HUV-I 2013, S. 130; Löffelmann , Markus, Der Einsatz von Kampfdrohnen zur Terrorismusbekämpfung im Schnittpunkt von humanitärem Völkerrecht und Menschenrechtsstandards, in: Kritische Justiz 2013 (Heft 4), S. 372-381 (375) m.w.N. 18 Je nach Konfliktform finden die Genfer Konventionen und das 1. Zusatzprotokoll (internationaler Konflikt) oder eben nur das 2. Zusatzprotokoll und der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen (nicht-internationaler Konflikt ) Anwendung. Mittlerweile werden große Teile des für internationale Konflikte geltenden Kriegsvölkerrechts auf nicht-internationale Konflikte angewendet. Wird ein interner Konflikt durch die Präsenz bzw. Intervention ausländischer Streitkräfte „internationalisiert“ (Bsp. Afghanistan), ergeben sich komplexe Konstellationen (dazu Gasser, Hans-Peter / Melzer, Nils, Humanitäres Völkerrecht, 2012, S. 72 f). 19 IGH, Advisory Opinion on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons, ICJ-Reports 1996 I, Ziff. 25; IGH Legal Consequences of the Construction of a Wall in Occupied Palestinian Territory v. 9.7.2004, ICJ Reports 2004, Ziff. 106; Kälin, Walter / Künzli, Jörg, Universeller Menschenrechtsschutz, 2. Aufl. 2009, S. 282 ff. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 9 Der Unterschied zwischen beiden Rechtsregimen wird insbesondere bei der Problematik der gezielten Tötungen20 (targeted killing) virulent: Anders als im Frieden ist im bewaffneten Konflikt die Tötung von Kombattanten – und in bestimmten Grenzen auch von Zivilisten – völkerrechtlich erlaubt.21 Ein Verstoß gegen das Menschenrecht auf Leben (Art. 6 IPBPR, Art. 2 EMRK) liegt bei rechtmäßigen Tötungshandlungen im Krieg regelmäßig nicht vor.22 An dieser Rechtslage ändert auch der Einsatz von Drohnen nichts. 1.7. Israelische Rechtsauffassung zur Politik der „gezielten Tötungen“ Israel ist einer der wenigen Staaten weltweit, der sich offiziell zu einer „Politik der gezielten Tötungen“ bekennt.23 Die israelische Regierung vertritt dabei die Ansicht, dass die präventiven Tötungen als Maßnahmen der Selbstverteidigung verhältnismäßig seien, zumal sie gegen legitime Angriffsziele und nicht gegen Zivilpersonen ausgeführt würden. Die israelische Politik des targeted killing wurde bisher dreimal vor den Obersten Gerichtshof (Supreme Court) Israels gebracht. Im Januar 2002 wies der Gerichtshof die Klage noch mangels Justiziabilität ab. Die Mittel der Kriegsführung, welche von den Angeklagten genutzt würden, um tödliche terroristische Anschläge zu verhindern, stellten nach Auffassung des Gerichts keinen ausreichenden Grund für ein Tätigwerden des Gerichtshofes dar. Im Jahre 2006 befasste sich der Supreme Court dann mit der Rechtmäßigkeit gezielter Tötungen in den besetzten Gebieten und legte Voraussetzungen fest, unter denen solche Maßnahmen erfolgen dürfen.24 20 Vgl. dazu Melzer, Nils, Targeted Killing in International Law, Oxford 2008, S. 222 ff; Krishnan, a.a.O. (Anm. 17), S. 43 ff. 21 Gasser/Melzer, a.a.O. (Anm. 18), S. 150 f; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG-Kommentar, München 6. Aufl. 2011, Art. 2, Rz. 172. Hier stellt sich dann die Frage, unter welchen Bedingungen ein Kämpfer getötet werden darf, der vorübergehend an den Feindseligkeiten teilnimmt (Art. 51 Abs. 3 ZP I), um danach wieder in seine Rolle als Zivilist zurückzukehren. Das IKRK hat in einer Studie aus dem Jahre 2009 einen Kriterienkatalog dazu entwickelt http://www.icrc.org/eng/assets/files/other/irrc-872-reports-documents.pdf). 22 Art. 15 Abs. 2 EMRK toleriert z.B. Abweichungen vom Recht auf Leben im Fall “rechtmäßiger Kriegshandlungen ”, dazu Krieger, Heike, Notstand, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), EMRK/GG Konkordanzkommentar, Tübingen 2006, Kap. 8, Rn. 31. 23 Siehe hierfür Ben-Naftali/Michaeli Cornell ILJ (2003), 233 (240); Tomuschat VN (2004), 136 (136). 24 Supreme Court of Israel (Sitting as High Court of Justice), The Public Committee against Torture in Israel and the Palestinian Society for the Protection of Human Rights an the Environment vs. Israel, 769/02, 14.12.2006, in: AJIL (2004), 1, 17, verfügbar auch unter: http://elyon1.court.gov.il/files_eng/02/690/007/A34/02007690.a34.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 10 Das Urteil spricht sich weder für oder gegen die Zulässigkeit von gezielten Tötungen aus, noch versucht es, allgemeingültige Definitionen zu finden. Stattdessen nennt der Gerichtshof vier Kriterien für die Legalität gezielter Tötungen, die im Einzelfall ausschlaggebend seien: Zunächst müsse eine wohlbasierte, starke und überzeugende Beweislage bestehen, dass das anvisierte Objekt als Zivilist auch tatsächlich direkt an Feindseligkeiten teilnehme. Vorausgesetzt , das Objekt werde positiv identifiziert, bleibe die Tötung aber dann unzulässig, wenn ein milderes, genauso wirksames Mittel bestehe, um seine Teilnahme an den Feindseligkeiten abzuwenden, wie zum Beispiel seine Befragung oder Gefangennahme. Zudem müsse nach der gezielten Tötung des mutmaßlichen Terroristen eine gründliche und unabhängige Untersuchung des Vorfalles stattfinden. Schließlich müsse jeglicher Aufwand betrieben werden, um den Schaden an unschuldigen Zivilisten zu minimieren und so das Prinzip der Proportionalität zu wahren.25 Zur Frage der Anwendbarkeit des Kriegsrechts (humanitären Völkerrechts) führte das Gericht aus, dass die Auseinandersetzungen zwischen Israel und verschiedenen terroristischen Organisationen , die aus den besetzten Gebieten heraus operieren, bereits seit Beginn der Erste Intifada einen bewaffneten Konflikt darstellen, der als internationaler bewaffneter Konflikt zu klassifizieren sei. Zur Frage der Balance zwischen Menschenrechtsschutz und nationaler Sicherheit führte das Gericht aus: “(…) Confronting the dangers of terrorism constitutes a part of the international law dealing with armed conflicts of international character. (…) The State of Israel is fighting against severe terrorism, which plagues it from the area. The means at Israel's disposal are limited. The State determined that preventative strikes upon terrorists in the area which cause their deaths are a necessary means from the military standpoint. These strikes at times cause harm and even death to innocent civilians. These preventative strikes, with all the military importance they entail, must be made within the framework of the law. (…) Indeed, the struggle against terrorism has turned our democracy into a ´defensive democracy` or a ´militant democracy`. However, we cannot allow that struggle to deny our State its democratic character. (…) The question is not whether it is possible to defend ourselves against terrorism. Of course it is possible to do so, and at times it is even a duty to do so. The question is how we respond. On that issue, a balance is needed between security needs and individual rights. That balancing casts a heavy load upon those whose job is to provide security. Not every efficient means is also legal. The ends do not justify the means. The army must instruct itself according to the rules of the law. That balancing casts a heavy load upon the judges, who must determine – according to the existing law – what is permitted, and what forbidden.” 25 Strüwer, Elisabeth, Zum Zusammenspiel von humanitärem Völkerecht und den Menschenrechten am Beispiel des Targeted Killing, Frankfurt u.a.: Peter Lang Verlag 2010, S. 58 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 11 2. Drohneneinsätze im bewaffneten Konflikt: Geographische Grenzen der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts (ius in bello) Die Frage nach dem Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und damit nach der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts ist ein zentrales Problem von Drohneneinsätzen. Der Drohnenangriff als solcher vermag einen bewaffneten Konflikt nicht auszulösen – für die Anwendung des Kriegsrechts ist es daher erforderlich, dass der Drohneneinsatz im Kontext eines schon bestehenden bewaffneten Konflikts stattfindet. Nach einer Definition des Jugoslawientribunals setzt ein bewaffneter Konflikt „bewaffnete Gewalt zwischen Staaten sowie lang anhaltende bewaffnete Gewalt zwischen Regierungsstellen und bewaffneten Organisationen“ voraus.26 Während dies für die afghanischen Taliban- Kämpfer zweifellos zutrifft, bleibt fraglich, ob es sich bei dem (dezentralen) Terrornetzwerk Al-Quaida, gegen das sich Drohnenangriffe unter anderem richten, um eine organisierte bewaffnete Gruppe handelt und ob insoweit das Kriegsvölkerrecht Anwendung findet. Letzteres wird im völkerrechtlichen Schrifttum zum Teil bestritten, da dem Terrornetzwerk konstitutive Merkmale (wie z.B. Gebietskontrolle, eine gewisse hierarchische Struktur und die Fähigkeit zu anhaltenden kontinuierlichen Kampfhandlungen) fehlen.27 Die Regelungen des humanitären Völkerrechts nehmen zudem auf den räumlichen Charakter bewaffneter Konflikte Bezug28 – d.h. das Kriegsrecht geht regelmäßig von einem geographisch begrenzten Schlachtfeld aus. Ob eine solche Sichtweise im Falle von Drohneneinsätzen noch länger realistisch erscheint, wird in der politischen Diskussion zum Teil in Zweifel gezogen.29 26 ICTY – Tadic-Fall, Entscheidung v. 2.10.1995, IT 94 – 1 , par. 70. 27 Ambos, Kai / Alkatout, Josef, Der Gerechtigkeit einen Dienst erwiesen? Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit der Tötung Osama bin Ladens, in: JZ 2011, S. 758-764 (759, 762); Claus Kreß, Some Reflections on the International Legal Framework Governing Transnational Armed Conflicts, in: Journal of Conflict & Security Law (2010), vol. 15 No. 2, 245–274 (261). 28 Der gemeinsame Art. 3 der Genfer Konventionen lautet: „Im Falle eines bewaffneten Konflikts, der (…) auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht (…). Art. 1 ZP II spricht von Konflikten, die im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei (…) stattfinden (…). 29 So äußerte sich etwa der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hartfrid Wolff: „Es gibt in modernen Kriegen schon lange kein klar abgrenzbares Schlachtfeld mehr. Drohnenangriffe sind für mich aber ein Symbol für einen weiteren Schritt in Richtung unbegrenzter Kriege. Ich habe ein Unbehagen, dass Kriege sich ausweiten und der Einsatz von Drohnen im Einsatzgebiet zu einem Dauergefühl der Bedrohung führt“ (taz v. 13.2.2013, S. 1, http://www.taz.de/!110842). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 12 Ein tendenziell räumlich entgrenztes Verständnis des humanitären Völkerrechts findet sich bereits in Stellungnahmen der Obama-Administration.30 Die US-amerikanische Regierung sieht sich wie erwähnt seit den Attentaten vom 9. September 2001 in einem weltweiten Krieg gegen den Terror („Global War on Terror“), der sie berechtige, nichtstaatliche Gewaltakteure (Terroristen) prinzipiell dort zu bekämpfen, wo diese sich gerade aufhalten bzw. von wo aus sie operieren. Vor diesem Hintergrund führt die US-amerikanische Regierung Drohnenangriffe im Jemen, in Somalia oder Pakistan durch – also weit ab vom bewaffneten Konflikt in Afghanistan . Das deutsche Völkerrechtsverständnis ist der Rhetorik eines „Krieges gegen den Terror“ und der damit einhergehenden Vorstellung eines „globalen Schlachtfeldes“ stets entgegengetreten .31 Gleichwohl wird anhand der Praxis bewaffneter Konflikte im 21. Jahrhundert immer deutlicher, dass sich die räumliche Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts in der Praxis nicht an einer exakten Linie oder Staatsgrenze festmachen lässt.32 Bewaffnete Konflikte wie in Afghanistan mit grenzüberschreitenden Operationen und Rückzugsräumen von terroristischen Gewaltakteuren im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet erweisen sich daher vielfach als transnational.33 In der Völkerrechtsliteratur wird in diesem Zusammenhang die These vom „Überschwappen“ des bewaffneten Konflikts in die grenznachbarlichen Regionen („spill-over-effect“) diskutiert .34 Doch letztlich bleiben diese geographischen Kriterien unscharf. Noch schwerer wird es, diese Territorien mit der gehörigen juristischen Trennschärfe zu definieren, wenn etwa staatliche Drohnenangriffe im Rahmen einer asymmetrisch geführten Auseinandersetzung von fernen Kommandozentralen aus gesteuert werden. Spätestens dann, wenn eine unmittelbare Teilnahme an den Feindseligkeiten nur noch via High-Tech möglich erscheint, wird man kaum mehr von einem räumlichen Bezug zum bewaffneten Konflikt sprechen können. (So ließe sich etwa der Fall konstruieren, dass eine Rebellenführung via Satellit die Aufständischen in einem weit entfernten Konfliktgebiet befehligt). 30 Vgl. z.B. Harold Koh, The Obama Administration and International Law, Remarks at the Annual Meeting of the ASIL, 25.3.2010, www.state.gov/s/l/releases/remarks/139119.htm); zur amerikanischen Position vgl. auch Melzer, a.a.O. (Anm. 20), S. 262 ff. 31 Vgl. für viele Ambos / Alkatout, a.a.O. (Anm. 27), S. 758-764 (759); Löffelmann, a.a.O. (Anm. 5), S. 374. 32 Lubell, Noam / Derejko, Nathan, A Global Battlefield? Drones and the geographical scope of armed conflict, in: Journal of International Criminal Justice (JICJ) 11 (2013), S. 65-88 (82, 86). 33 Grundlegend Kreß, a.a.O. (Anm. 27). 34 Ambos / Alkatout, a.a.O. (Anm. 27). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 13 Geographische Kriterien zur Bestimmung des räumlichen Anwendungsbereichs des humanitären Völkerrechts werden daher zunehmend in Frage gestellt.35 Das Jugoslawien-Tribunal interpretiert den Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts weit und qualifiziert eine Straftat dann als Kriegsverbrechen, wenn diese in einem engen (aber nicht notwendig geographischen oder zeitlichen) Zusammenhang zum bewaffneten Konflikt steht („closely related to the hostilities“).36 Dieser Ansatz, der auch im 2. Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen Niederschlag findet ,37 rückt die personelle Beziehung (des Handelnden) zum bewaffneten Konflikt in den Vordergrund der Betrachtung.38 Fraglich wäre dann, ob und inwieweit ein afghanischer Kämpfer beim Rückzug nach Pakistan oder Jemen seinen Kombattantenstatus „mitnimmt“ und dort legitimes Ziel für Drohnenangriffe sein kann.39 3. Drohneneinsätze außerhalb bewaffneter Konflikte: Zur extraterritorialen Anwendung der Menschenrechte Das Kriegsvölkerrecht findet keine Anwendung, wenn im Operationsgebiet einer Drohne die Schwelle zum bewaffneten Konflikt nicht erreicht wird40 und auch kein erkennbarer Zusammenhang zu einem bewaffneten Konflikt besteht. Dies scheint bei US-amerikanischen Drohneneinsätzen in Somalia und im Jemen der Fall zu sein, da insoweit nicht nachzuweisen ist, ob die angegriffenen Individuen Angehörige einer nicht-staatlichen Konfliktpartei eines nichtinternationalen Konflikts sind. 35 Umfassend dazu Lubell / Derejko, a.a.O. (Anm. 32), S. 73 ff. 36 ICTY Urt. v. 2.10.1995 - Prosecutor v. Tadić (IT 94-1-A) Appeal Chamber, § 70; ICTY Urt. v. 22.2.2001 – Kunarac, Kovac and Vuković (IT-96-23-T), Trial Chamber, § 402; ICTY Urt. Iv. 25.3.2002 – Krnojelac (IT-97-25-T), Trial Chamber, § 51. 37 Art. 2 Abs. 1 ZP II lautet: „Dieses Protokoll findet (…) auf alle Personen Anwendung, die von einem bewaffneten Konflikt i.S.d. Art. 1 betroffen sind“. 38 Lubell / Derejko, a.a.O. (Anm. 32), S. 75. Ebenso Sandoz/Swinarski/Zimmermann (Hrsg.), Commentary on the Additional Protocols, ICRC, Genf 1987, S. 1360: “The applicability of the Protocol follows from a criteria related to persons, and not to places”. 39 Diese Frage stellte sich bereits bei der Tötung Osama Bin Ladens durch US-amerikanische Spezialeinheiten im pakistanischen Abbottabad - vgl. dazu Ambos /Alkatout, a.a.O. (Anm. 26), S. 758-764. 40 Kriterien, wann diese Schwelle erreicht ist, liefert die Tadić-Entscheidung des Jugoslawien-Tribunals v. 2.10.1995 – Prosecutor v. Tadić (IT 94-1-A) Appeal Chamber, § 72. Vgl. dazu auch Gasser / Melzer, a.a.O. (Anm. 17), S. 67. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 14 Drohneneinsätze außerhalb bewaffneter Konflikte sind nach den Maßstäben des Polizei- und Strafrechts (Law Enforcement) sowie der Menschenrechte zu beurteilen.41 Da solche (Drohnen )-Einsätze weit außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets der Staaten stattfinden, stellt sich die Frage, ob und inwieweit ein Staat, der Drohnen im Ausland einsetzt, dabei auch an seine menschenrechtliche Verpflichtungen gebunden ist. In der Regel sind Staaten nur innerhalb ihres eigenen Territoriums an Menschenrechte gebunden , da die Staaten nur auf dem eigenen Territorium Hoheitsgewalt ausüben (dürfen) und menschenrechtlich dafür die Verantwortung übernehmen (können). Art. 2 des Internationalen Pakts für bürgerliche und politische Rechte legt in diesem Sinne explizit fest, dass „jeder Vertragsstaat verpflichtet ist, die in diesem Pakt anerkannten Rechte zu achten und sie allen in seinem Gebiet befindlichen und seiner Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen (…) zu gewährleisten.“ Problematisch erweist sich daher die menschenrechtliche Verantwortung eines Staates für Sachverhalte außerhalb seines Territoriums. Diese Problematik wird unter dem Stichwort der extraterritorialen Geltung bzw. Anwendung menschenrechtlicher Verträge diskutiert. Die US-amerikanische Rechtsauffassung ist hier tendenziell eher restriktiv; so bestreiten die USA etwa die Anwendbarkeit des Internationalen Zivilpaktes von 1966 außerhalb des eigenen Territoriums. Der Supreme Court hat im Fall Hamdan gegen Rumsfeld 2006 die Inhaftierung und Verhörpraxis von mutmaßlichen Terroristen auf Guantánamo/Kuba, denen als „unlawful combattants“ zum Teil fundamentale Menschenrechte verweigert worden waren, folglich am Maßstab der US-Verfassung und der Genfer Konventionen gemessen und für rechtswidrig erklärt .42 Mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) hat sich mittlerweile eine vielfältige Spruchpraxis des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes zur extraterritorialen Anwendung der EMRK herausgebildet. Die konventionsrechtliche Verantwortlichkeit für Auslandseinsätze der Streitkräfte aus der EMRK ergibt sich dann, wenn der extraterritoriale Akt als Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gewertet werden kann. Der betreffende Staat muss dabei im Ausland allerdings eine effektive Hoheitsgewalt („effective control“) ausüben, um konventionsrechtlich überhaupt zur Verantwortung gezogen werden zu können. Eine solche „effektive Kontolle“ eines Staates außerhalb seines eigenen Territoriums ist im Kontext von Besatzungssituationen oder im Falle von Gewahrsam / Festnahmen gerichtlich anerkannt.43 In seiner Spruchpraxis zur extraterritorialen Anwendung der EMRK hat der 41 Waechter, Kay, Polizeirecht und Kriegsrecht, in: JZ 2007, S. 61-68 (61 ff). 42 Hamdan v. Rumsfeld, US Supreme Court, Urteil v. 31.7.2006, docket no. 05-184. 43 Urteil des EGMR v. 12.5.2005 – Öcalan gegen die Türkei; Urteil des EGMR v. 25.3.1995, HRLJ 1995, 15 – Loizidou . Fastenrath, in: Pabel/Schmahl (Hrsg.), Internationaler Kommentar zur EMRK, Köln: Heymanns 2013, Art. 1, Rn. 101-108 (14. Lieferung Oktober 2012). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 15 EGMR zwar selbst eine kurzfristige und punktuelle („Mikro“)-Kontrolle durch Soldaten als Ausübung von Hoheitsgewalt (jurisdiction) angesehen, gleichzeitig aber am Erfordernis einer territorialen Kontrolle bzw. Obhut (State agent authority and control) durch den Konventionsstaat festgehalten.44 Probleme bereiten insoweit Übergriffe gegen Personen aus der Luft ohne gleichzeitige Gebietskontrolle am Boden. Hier ist es bislang bei der Rechtsprechung zum Fall Bancović aus dem Jahr 2001 geblieben, wo der EGMR anlässlich der Bombardierung Serbiens durch NATO- Kampfflugzeuge 1999 die Anwendung der EMRK ratione loci ablehnte.45 Folgte man dieser Auffassung, dann wäre ein Staat für seine Drohneneinsätze im Ausland menschenrechtlich nicht verantwortlich, sofern er dort keine Bodentruppen stationiert hat (z.B. die USA in Pakistan ).46 Mag der EGMR im Fall Bancović davor zurückgeschreckt haben, kriegerische Auseinandersetzungen per se einer menschenrechtlichen Kontrolle zu unterwerfen, so liegt der Fall bei Drohneneinsätzen doch im Ergebnis anders: Anders als das Kampfflugzeug im Fall Bankovic vermag nämlich die Drohne deutlich langsamer zu fliegen und wesentlich länger über einem Gebiet zu verharren – ja sogar Individuen regelrecht zu verfolgen. Insoweit ließe sich bei Drohneneinsätzen durchaus von einer eingeschränkten Ausübung von Hoheitsgewalt über ein klar begrenztes Gebiet bzw. ein Individuum sprechen – mit der Folge einer Anwendung des Menschenrechtsregimes.47 Abgesehen davon bleibt zu bedenken, dass die Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt ihren Höhepunkt gerade dort erreicht, wo eine terrorverdächtige Person gezielt liquidiert und gerade nicht von Truppen vor Ort festgenommen werden soll. So wird dann in der Völkerrechtslehre a maiore ad minus argumentiert, dass es im Ergebnis unbillig sein könnte, wenn ein Staat, der eine Person im Ausland festnimmt und entführt (EGMR-Fall Öcalan), für diese Tat menschenrechtlich haftet, während ein Staat, der von einer Festnahme und dem anschließenden Ge- 44 EGMR Urt. v. 7.7.2011 – Al-Skeini gegen Vereintes Königreich, NJW 2012, 283 (Erschießung von Irakern durch britische Militärpatrouillen auf Streifgängen ohne Ingewahrsamnahme); EGMR Urt. v. 28.6.2007 – Pad u.a.gegen Türkei (Iranische Staatsangehörige wurden von türkischen Streitkräften im türkisch-iranischen Grenzgebiet getötet und befanden sich nach Auffassung des EGMR unter türkischer Hoheitsgewalt – und zwar unabhängig vom genauen Aufenthaltsort zur Zeit der Tötung); EGMR Urt. v. 11.1.2001 – Xhavara u.a. gegen Italien (italienisches Kriegsschiff rammt albanisches Flüchtlingsschiff auf Hoher See). 45 Urteil des EGMR v. 12.12.2001 – Bancović u.a. gegen 17 Mitgliedstaaten, EuGRZ 2002, S. 133 ff. Dazu Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Kehl 3. Aufl. 2009, Art. 1, Rn. 6. 46 So etwa Milanovic, Al Skeini and Al-Jedda in Strasbourg, in: EJIL 23 (2012), S. 130. 47 So Frau, a.a.O. (Anm. 17) S. 130-136 (134 f). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 16 richtsverfahren absieht und die betreffende Person mittels Drohnenangriff tötet, menschenrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.48 4. Drohneneinsätze unter Parlamentsvorbehalt Die Besonderheit beim Drohneneinsatz liegt darin, dass Bodenstation und Bedienungspersonal nicht im Konfliktgebiet, sondern im Hinterland der jeweiligen Konfliktpartei disloziert sind.49 Der Drohnenpilot selbst verbleibt dabei an seinem Standort im Inland und geht keinerlei Risiko ein; allein die Drohne operiert im Ausland. Fraglich ist daher, ob insoweit überhaupt ein Auslandseinsatz deutscher Soldaten vorliegt, der parlamentarisch zustimmungspflichtig ist. Die Bundesregierung hat allerdings darauf hingewiesen, dass der Einsatz eines Aufklärungs-UAV im Ausland den Regelungen zum Parlamentsvorbehalt unterliegt.50 Ein zustimmungspflichtiger „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ liegt nach Auffassung des BVerfG vor, wenn Soldaten der Bundeswehr „in bewaffnete Unternehmungen einbezogen“ werden. Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte greift nach Auffassung des BVerfG, wenn nach dem jeweiligen Einsatzzusammenhang und den einzelnen rechtlichen und tatsächlichen Umständen die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen zu erwarten ist.51 4.1. Bedienungspersonal und Bodenstation Der Einsatz einer Kampfdrohne im bewaffneten Konflikt ist zweifellos eine bewaffnete Unternehmung der Streitkräfte. Das Bedienungspersonal der Bodenstation (also der Drohnenpilot), der am Joystick der Drohne den Befehl zum Töten erteilt, nimmt unmittelbar an den Feindseligkeiten teil.52 Steuerungseinheit (Bodenpersonal) und gesteuertes System bilden dabei rechtlich eine Bewertungseinheit. Soweit das Bedienungspersonal den Streitkräften (im Sinne von 48 So dezidiert Kälin/Künzli, a.a.O. (Anm. 18), S. 130 f. Ähnlich schon die (rechtspolitische) Argumentation des EGMR im Fall Zypern gegen Türkei (Urt. v. 10.5.2001, 25781/94, § 78), der von einer „bedauerlichen Lücke im System des Menschenrechtsschutzes“ spricht. 49 So wird beispielsweise der Einsatz US-amerikanischer Drohnen in Pakistan von einer US-Luftwaffenbasis im US- Bundestaat Nevada aus gesteuert. 50Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 16/12481 v. 26.3.2009, S. 11 (Fragen 20 und 22). Ausweichend dagegen die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion (BT-Drs. 17/11102 v. 17.10.2012) zum Erwerb und Einsatz von Kampfdrohnen (Fragen 36 und 37). 51 St. Rechtspr., vgl. BVerfGE 90, 286 (388); E 108, 34; BVerfG Urt. v. 7.5.2008 (2 BvE 1/03), Rz. 59 ff. 52 Frau, a.a.O. (Anm. 1), S. 68. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 17 Artikel 43 Abs. 1 ZP I) angehört, handelt es sich um Kombattanten und könnte in dieser Eigenschaft auch bekämpft werden. Bodenstationen sind militärische Ziele i.S.d. Art. 52 Abs. 2 ZP I.53 Drohneneinsätze weiten die Kampfzone auf das vermeintlich sichere Hinterland aus. 4.2. Schutzzweck des Parlamentsvorbehalts Der fundamentale Unterschied zwischen einem Drohnenpiloten und einem Tornadopiloten besteht in dem Risiko, im Auslandseinsatz verletzt oder getötet zu werden. Der Unterschied zwischen dem Drohnenpiloten und einem Kommandeur im Einsatzführungskommando besteht darin, dass letzterer für das Leben seiner Soldaten im Operationsgebiet verantwortlich ist und keine Maschine führt. Der Begriff der „Einbeziehung in bewaffneten Unternehmungen “ muss daher mit Blick auf den Schutzzweck des Parlamentsvorbehalts und dessen rechtspolitische Funktion interpretiert werden. Der Zweck des Parlamentsvorbehalts erschöpft sich nicht allein in der Übernahme der demokratischen Verantwortung für die Risiken deutscher Soldaten im Auslandseinsatz. Aufgabe des Parlaments ist vielmehr die umfassende politische Mitverantwortung für militärische Einsätze, vor allem wenn sie innen- und außenpolitisch umstritten und völkerrechtlich heikel erscheinen. Dies schließt eine parlamentarische Mitverantwortung für die politischen Auswirkungen des Handelns der Streitkräfte im Ausland ein. Das BVerfG hat deutlich gemacht, dass der weit bemessene Gestaltungsspielraum der Exekutive im auswärtigen Bereich mit der Anwendung militärischer Gewalt ende. Dem Übergang von der Diplomatie zur militärischen Gewalt entspreche insoweit „eine Veränderung in den Proportionen der innerstaatlichen Gewaltenteilung “.54 53 Art. 52 Abs. 2 ZP I lautet: „Angriffe sind streng auf militärische Ziele zu beschränken. Soweit es sich um Objekte handelt, gelten als militärische Ziele nur solche Objekte, die auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und deren gänzliche oder teilweise Zerstörung, deren Inbesitznahme oder Neutralisierung unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt.“ 54 BVerfG Urt. v. 7.5.2008 (2 BvE 1/03), Rz. 70 f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 2 – 3000 – 002/14 Seite 18 5. Anlagen European Center for Constitutional and Human Rights (Hrsg.), Gezielte Tötungen durch Kampfdrohnen, Berlin, Oktober 2013. Der Einsatz von Kampfdrohnen aus völkerrechtlicher Sicht. Ausarbeitung WD 2 – 2000 – 118/12 vom 27.9.2012. 6. Neuere Literatur zum Thema Kampfdrohneneinsatz Becker, Peter, Rechtsprobleme des Einsatzes von Drohnen zur Tötung von Menschen, in: DÖV 2013, S. 493-502. Frau, Robert, Reicht das geltende Völkerrecht für Drohneneinsätze aus?, in: Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 2013, S. 130-136. Krishnan, Armin, Gezielte Tötung, Berlin 2012. Löffelmann, Markus, Der Einsatz von Kampfdrohnen zur Terrorismusbekämpfung im Schnittpunkt von humanitärem Völkerecht und Menschenrechtsstandards, in: Kritische Justiz 2013, S. 372-381. Lubell, Noam / Derejko, Nathan, A Global Battlefield? Drones and the geographical scope of armed conflict, in: Journal of International Criminal Justice 2013, S. 65-88. Marauhn, Thilo, Der Einsatz von Kampfdrohnen aus völkerrechtlicher Sicht, in: Schmidt-Radefeldt, Roman / Meissler, Christine (Hrsg.), Automatisierung und Digitalisierung des Krieges, Baden-Baden 2012, S. 60-71.