WD 2 - 3000 - 001/18 (3. Januar 2018) © 2018 Deutscher Bundestag Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. 1. Einführung Die vorliegende Kurzinformation gibt zunächst einen historischen Abriss über die geschichtliche Entwicklung der Militärseelsorge in Deutschland und erläutert ihren Auftrag und ihre Struktur. Im Anschluss befasst sich die Arbeit mit der Frage der Militärseelsorge für Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens in Deutschland. 2. Die Militärseelsorge in Deutschland – Historischer Abriss Die Militärseelsorge wurde auf Wunsch der Bundesregierung in der Gründungsphase der Bundeswehr eingerichtet. Beide großen Kirchen, die Evangelische und die Katholische Kirche, sollten sowohl seelsorgerisch tätig werden als auch die Soldaten der jungen Bundeswehr ethisch weiterbilden. Als zentrale Leitungen wurden 1957 das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr (EKA) und das Katholische Bischofsamt (KMBA) mit Dienstsitz in Bonn (ab 2000 in Berlin) eingerichtet. Die gesetzliche Grundlage für die katholische Militärseelsorge in der Bundeswehr bildet das Reichskonkordat. Dieser Vertrag vom 20. Juli 1933 bezog sich ursprünglich auf die Militärseelsorge innerhalb der Reichswehr. „Die Leitung der Militärseelsorge obliegt dem Armeebischof“.1 Hiermit wurde bereits damals, ähnlich wie bei der evangelischen Kirche, die Trennung zwischen Staat und Kirche festgehalten. Dieser Passus wurde auch in den (1989 novellierten) Päpstlichen Statuten aus dem Jahr 1965 beibehalten. Die Statuten sollten die bisherige Grundlage von 1933 auf die veränderte Situation nach 1945 und die daraus folgenden Umstellungen anpassen. Hier heißt es explizit: „Bei ihrer seelsorgerlichen Tätigkeit sind die Militärgeistlichen ausschließlich kirchlichem Recht unterworfen“.2 1 Reichskonkordat 1933, Artikel 27. Abrufbar unter: http://www.vatican.va/roman_curia/secretariat_state/archivio /documents/rc_seg-st_19330720_santa-sede-germania_ge.html (letzter Zugriff: 2. Januar 2018). 2 Päpstliche Statuten 1989, Artikel 13. Abrufbar unter: www.kmba.militaerseelsorge.bundeswehr.de/resource/resource /MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmIzNz- MwNmE2Yzc0NmEyMDIwMjAyMDIw/Paepstliche_Statuten_vom_06121989.pdf (letzter Zugriff: 2. Januar 2018). Wissenschaftliche Dienste Kurzinformation Zur Frage der Militärseelsorge für Muslime in Deutschland Kurzinformation Zur Frage der Militärseelsorge für Muslime in Deutschland Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 2 Die gesetzliche Grundlage für die evangelische Militärseelsorge ist der Militärseelsorgevertrag vom 26. Juli 1957. Hier wird unter anderem in Kooperation aus den „beiden Souveränen Staat und Kirche“ die Notwendigkeit der unabhängigen Kirche herausgestellt.3 „Die Militärseelsorge als Teil der kirchlichen Arbeit wird im Auftrag und unter der Aufsicht der Kirche ausgeübt“.4 In den neuen Bundesländern wurde der Militärseelsorgevertrag nach der Wiedervereinigung aufgrund der damaligen „friedensethischen Zielsetzung“ zunächst nicht direkt übernommen. Dort gab es zwar bereits 1991 erste Regelungen zur Seelsorge für Soldaten, der Militärseelsorgevertrag wurde jedoch erst am 1. Januar 2004 – mit einigen Sonderregelungen – „einheitliche Rechtsbasis “ für die evangelische Militärseelsorge im gesamten Bundesgebiet.5 3. Auftrag und Struktur der Militärseelsorge Die Militärseelsorge hat den Auftrag, eine Brücke zwischen dem christlichen Glauben und dem militärischen Auftrag der Soldaten zu schlagen. In der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-2600/1 der Bundeswehr heißt es hierzu: „Die Militärseelsorge in der Bundeswehr ist der vom Staat gewünschte und unterstützte und von den Kirchen geleistete Beitrag zur Sicherung der freien religiösen Betätigung und der seelsorgerlichen Begleitung der Soldatinnen und Soldaten. Als Teil der kirchlichen Arbeit wird sie im Auftrag und unter Aufsicht der Kirchen geleistet. Sie ist damit Kirche unter den Soldatinnen und Soldaten sowie deren Familien, Partnerschaften und Angehörigen. Sie ist ein eigenständiger Organisationsbereich der Bundeswehr.“ 6 Zur Erfüllung dieses Auftrags sind im Organisationsbereich Militärseelsorge das Evangelische Kirchenamt für die Bundeswehr (EKA) und das Katholische Militärbischofsamt (KMBA) als zentrale Dienststellen eingerichtet worden. Als Bundesoberbehörden sind sie unmittelbar dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) nachgeordnet. Neben den beiden Bundesoberbehörden bestehen jeweils vier Militärdekanate (Erfurt/Berlin, Kiel, Mainz/Köln, München) und etwa 100 evangelische und 80 katholische Militärpfarrämter (MilPfA) – sowohl in Deutschland als auch im Ausland 7 (Holloman/USA, Washington D. C./ USA, Fort Bliss/USA, Mons/Belgien, Neapel/Italien). 3 Scheffler, Horst (2005): Die Militärseelsorge der Bundeswehr. In: Entschieden für Frieden – 50 Jahre Bundeswehr 1955-2005. Hrsg. von Klaus-Jürgen Bremm, Hans-Hubertus Mack und Martin Rink im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, S. 412. 4 Militärseelsorgevertrag 1957: Artikel 2/1, Abrufbar unter: http://www.kirchenrecht-westfalen.de/showdocument /id/5859 (letzter Zugriff: 2. Januar 2018). 5 Scheffler, a.a.O., S. 416 f. 6 Zentrale Dienstvorschrift „Innere Führung – Selbstverständnis und Führungskultur“ (ZDv A-2600/1), Ziff. 671. Abrufbar unter: http://www.reservisten.bundeswehr.de/resource/resource /MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzIz- MDMwMzAzMDMwMzAzMDY5NjQ3MzY0MzA2NTYxMzMyMDIwMjAyMDIw/Zentrale%20Dienstvorschrift %20A_2600_1_%20Innere%20F%C3%BChrung.pdf (letzter Zugriff: 3. Januar 2018). 7 Die Militärseelsorge: Brücke zwischen Kirche, Staat und Militär. Hrsg.: Bundeswehr, 22. Februar 2017. Abrufbar unter: https://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/start/soziales/milseelsorge/!ut/p/z1/04_Sj9CPykssy 0xPLMnMz0vMAfIjo8zinSx8QnyMLI2MQgKcXQw8fY2dnAwDjYwMAsz1wwkpiAJKG-AAjgb6wSmpp FAM8xxmeESaq4frB-lH5WVWJZYoVeQX1SSk1qil5gMcqF-ZEZiXkpOakB-siNEoCA3otyg 3FERAGXQEOU!/dz/d5/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922TPCD0IM3BB1Q22DU7 (letzter Zugriff: 2. Januar 2018). Kurzinformation Zur Frage der Militärseelsorge für Muslime in Deutschland Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 3 4. Herausforderungen der Militärseelsorge aufgrund einer zunehmenden Zahl von Soldatinnen und Soldaten nicht-christlichen Glaubens Die Bundeswehr hat im Zuge der Globalisierung und der stärkeren Vernetzung mit andern Streitkräften eine zunehmend „multikulturelle und damit auch multireligiöse“ (bundeswehr-journal. de) Identität angenommen. Im Umgang mit den muslimischen und jüdischen Soldaten werden besondere Anforderungen an zum Beispiel die Verpflegung oder die Urlaubsvergabe an religiösen Feiertagen beachtet. „Die seelsorgerischen Bedürfnisse für jüdische und muslimische Soldaten in der Bundeswehr werden [bisher] mit Unterstützung der katholischen beziehungsweise evangelischen Militärseelsorger auf überkonfessioneller Basis durch individuelle Maßnahmen mit Schwerpunkt ,Lebensberatung und Krisenbewältigung‘ erfüllt.“ 8 In den vergangenen Jahresberichten des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wurde die steigende Anzahl von Soldatinnen und Soldaten anderer religiöser Überzeugungen in der Bundeswehr zunehmend adressiert. Beispielsweise haben im Berichtsjahr 2013 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr gegenüber dem Wehrbeauftragten ihren Wunsch nach Anlaufstellen für Soldaten anderer Religionen geäußert.9 Bis heute konnte jedoch „seitens der muslimischen Verbände in Deutschland kein allgemein akzeptierter Ansprechpartner dieser Religionsgemeinschaft benannt werden. ,Auch setzt eine eigene institutionalisierte Militärseelsorge zudem einen Staatsvertrag 10 mit einer anerkannten und zu verbindlichen Festlegungen von Inhalten befugten Institution voraus, die die Interessen einer Gesamtheit der jeweiligen Religionsgemeinschaft vertritt‘, so die Bundesregierung weiter. Grundsätzlich bestehe aufseiten der Bundeswehr aber die Bereitschaft, eine seelsorgerliche Betreuung von Soldatinnen und Soldaten muslimischen Glaubens bei Bedarf und bei Vorliegen der Voraussetzungen zu ermöglichen.“11 Im „Vertrag der Bundesrepublik Deutschland mit der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge“ ist festgelegt: „Für je 1.500 evangelische Soldaten wird ein Militärgeistlicher berufen.“ Eine ähnliche Vertragsgrundlage könnte auch das Einführen von Militär-Imamen ermöglichen. Da Soldatinnen und Soldaten jedoch bei der Einstellung in ihr Dienstverhältnis keine Angaben zu ihrer Religion machen müssen, sondern dies nur auf freiwilliger Basis geschieht, sind bis dato keine genauen Zahlen zum Umfang der Soldatinnen und Soldaten nicht-christlichen Glaubens bekannt. Die einzig verfügbaren und nicht mehr ganz aktuellen Angaben zur Zahl muslimischer Soldaten in der Bundeswehr variieren zwischen 1.000 12 8 Dewitz, Christian (2014): Migration, Religion und Integration. Abrufbar unter: http://www.bundeswehr-journal .de/2014/migration-religion-und-integration/#more-2689 (letzter Zugriff: 2. Januar 2018). 9 Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten – Jahresbericht 2013 (55. Bericht). BT-Drs. 18/300 vom 28. Januar 2014, S. 56. Abrufbar unter: http://dip21.bundestag.btg/dip21/btd/18/003/1800300.pdf (letzter Zugriff: 2. Januar 2018). 10 Beispielsweise gibt es mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland seit dem Jahr 2003 einen Staatsvertrag. 11 Dewitz, a.a.O. 12 Djifroudi, Andrea (2010): Die Bundeswehr wird zur multireligiösen Armee. Die Welt vom 11. Mai 2010. Abrufbar unter:. https://www.welt.de/politik/deutschland/article7562534/Die-Bundeswehr-wird-zur-multireligioesen-Armee .html (letzter Zugriff: 3. Januar 2018). Kurzinformation Zur Frage der Militärseelsorge für Muslime in Deutschland Fachbereich WD 2: Auswärtiges, Völkerrecht, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Verteidigung, Menschenrechte und humanitäre Hilfe Wissenschaftliche Dienste Seite 4 und 1.600 13. Obwohl sich damit die Zahl der in der Bundeswehr dienenden Muslime in einem Bereich bewegen dürfte, für den bspw. die evangelische Militärseelsorge einen Militärgeistlichen vorsieht (siehe oben), wurde aus den genannten Gründen (keine Einigung auf einen allgemein akzeptierten zentralen Ansprechpartner für Fragen der muslimischen Militärseelsorge, kein Staatsvertrag) bis dato kein muslimischer Geistlicher in den Dienst berufen. *** 13 Schmidt, Michael (2016): Muslime in der Bundeswehr – Kameraden oder Islamisten? Der Tagesspiegel vom 19. November 2016. Abrufbar unter: http://www.tagesspiegel.de/politik/muslime-in-der-bundeswehr-kameradenoder -islamisten/14855780.html (letzter Zugriff: 3. Januar 2018).