Deutscher Bundestag „Kunst am Bau“ in der DDR Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 10 – 3000/144-10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 2 „Kunst am Bau“ in der DDR Verfasserin: Aktenzeichen: WD 10 – 3000/144-10 Abschluss der Arbeit: 2.2.2011 Fachbereich: WD 10: Kultur, Medien und Sport Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Die Einführung baubezogener Kunst als Teil einer sozialistischen Staatskunst 4 2. Die Suche nach einer Einheit von Architektur und Kunst 6 3. Die Phase der Öffnung für neue Ansätze und einer Lösung von der Staatsdoktrin 7 4. Die Frage des Umgangs mit der baubezogenen Kunst der DDR heute 9 Quellen und Literatur 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 4 1. Die Einführung baubezogener Kunst als Teil einer sozialistischen Staatskunst Als fester Bestandteil von öffentlichen Bauvorhaben sind in der ehemaligen DDR zahlreiche künstlerische Arbeiten für Verwaltungsbauten, Betriebe und Bauten kultureller und sozialer Institutionen entstanden. Obwohl man vielen dieser Werke nicht gerecht wird, wenn man ihnen das Etikett „Propagandakunst“ anheftet1, werden doch gerade die bedeutenderen unter ihnen zuallererst als Symbole der SED-Diktatur wahrgenommen. Das beeinflusst die Debatte um den Umgang mit baubezogener Kunst aus der DDR bis heute und macht diese Kunst zum „Platzhalter eines ideologischen Diskurses“.2 Die Förderung baubezogener Kunst in der DDR geht zurück auf eine „Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz“3, die am 16. März 1950 erlassen wurde - knapp zwei Monate, nachdem der Deutsche Bundestag das „Kunst am Bau“-Programm für die Bundesrepublik beschlossen hatte. Die Verordnung bestimmte: „Bei allen im Investitionsplan vorgesehenen Neubauten und Wiederinstandsetzungen von Verwaltungsgebäuden sind 1 bis 2% der bewilligten Bausummen für die künstlerische Ausgestaltung der Räume mit Werken volksnaher, realistischer Kunst zu verwenden“4, eine Regelung, die bis zum Ende der DDR Bestand hatte. Am 22. August 1952 wurden dann in einer „Anordnung über die künstlerische Ausgestaltung von Verwaltungsbauten“ Durchführungsbestimmungen zu dieser Verordnung herausgegeben .5 Die SED sah es als Aufgabe der bildenden Kunst an, ihre als „Volksaufklärung“ und „Volkserziehung “ verstandenen politisch-ideologischen Botschaften zu vermitteln, idealisierte Gesellschaftsbilder zu propagieren und Fortschrittsutopien zu illustrieren.6 Schon 1946 hatte die SED Richtlinien für ihre Kulturabteilungen erarbeitet, aus denen hervorgeht, dass die Partei sich durch per- 1 vergl. Topfstedt, Thomas, Baubezogene Kunst in der DDR – das Beispiel Leipzig, in: Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin/Bonn 2008: 7. 2 vergl. Marie Neumüllers, Baubezogene Kunst zwischen Affirmation und ästhetischem Anspruch, in: Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin/Bonn 2008: 6. 3 „Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz“ vom 16. März 1950, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Nr. 28, Ausgabetag: 23. März 1950: 185-190. 4 ebd. Kapitel I, Paragraph 1, Absatz 10: 187. 5 Anordnung über die künstlerische Ausgestaltung von Verwaltungsbauten vom 22. August 1952, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Nr. 119, Ausgabetag: 1.9.1952: 790. 6 vergl. Bonnke, Manuela, Kunst in Produktion. Bildende Kunst und volkseigene Wirtschaft in der SBZ/DDR, Köln 2007: 411. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 5 sonelle Durchdringung und inhaltliche Bevormundung der kulturellen Organisationen und Verbände einen entscheidenden machtpolitischen Einfluss auf dem kulturellen Sektor sichern wollte.7 Durch gezielten Einsatz von Vergünstigungen – wie der Bereitstellung von Arbeits- und Wohnräumen und der Beschaffung von Arbeitsmaterial – durch Auftragserteilungen, durch Ausstellungen und Ankäufe affirmativer Werke wollten die Parteiideologen die Künstler für sich gewinnen .8 Auf der Ersten Parteikonferenz der SED im Januar 1949, auf der die SED sich zu einem strikt stalinistischen Kurs bekannte, war erstmals die Rede von der „Erteilung von Aufträgen seitens der Verwaltungen, Massenorganisationen und volkseigenen Betriebe“. Im September 1949 erfolgte die Einrichtung eines Kulturfonds, der mit Steuermitteln gespeist wurde und der über die Vergabe finanzieller Mittel Einfluss auf die Entwicklung des künstlerischen Schaffens nehmen sollte. Nach Gründung der DDR begann die dogmatische Durchsetzung des „Sozialistischen Realismus“ als Staatskunst und eine institutionelle Zentralisierung der Kunstpolitik. Ein entscheidender Schritt hin zur Lenkung und Kontrolle der Künstler war die Gründung des Verbandes Bildender Künstler (VBK) im Juni 1950. Seit Juli 1951 war die „Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten “ (Stakoku) das zentrale Kontrollorgan und Lenkungsgremium auf dem Sektor der bildenden Kunst.9 Diese Kommission war eine Art „Superbehörde“, der der gesamte Kulturbereich unterstellt wurde. Sie hatte dafür zu sorgen, „dass auf allen Gebieten der Kunst der Formalismus überwunden, der Kampf gegen die Dekadenz entschieden weitergeführt und eine realistische Kunst durch Anknüpfen an die großen Meister der Klassik entwickelt wird“.10 Ministerpräsident Otto Grotewohl drückte sich anlässlich der Berufung der Stakoku im September 1951 unmissverständlich aus: „Literatur und bildende Kunst sind der Politik untergeordnet… Was sich in der Politik als richtig erweist, ist es unbedingt auch in der Kunst… Ich will damit sagen, dass die politische Kritik bei der Beurteilung unserer Kunst primär ist und die künstlerische Kritik sekundär ist.“11 Auch die baubezogene Kunst sollte in erster Linie den politischen Prinzipien des „sozialistischen Realismus“ folgen.12 Angestrebt wurde – nach dem sowjetischen Vorbild des „Neuen Bauens“ vor allem eine Einheit von Architektur und Kunst. Dahinter stand die Erwartung, dass Kunst gerade an stark frequentierten Gebäuden am besten ihre erzieherische Funktion erfüllen könne. Zugleich diente die Kunst-am-Bau-Verordnung einer weiteren materiellen Absicherung der Künstler. Über die Größenordnung der insgesamt eingesetzten Gelder gibt es keine zuverlässigen Angaben, zumal auch andere staatliche Organisationen eigene Mittel vergaben. Wer die Mittel bekommen 7 Bonnke 2007: 73. 8 Bonnke 2007: 73. 9 Bonnke 2007: 133. 10 Schütrumpf, Jörn, Die politischen Determinanten und die Herausbildung der organisatorischen Strukturen von Auftragskunst in der DDR 1949-1963, in: Enge und Vielfalt – Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR. Analysen und Meinungen, hg. von Paul Kaiser und Karl-Siegbert Rehberg, Dresden 1999: 66f. 11 zitiert nach Bonnke 2007: 135. 12 Bonnke 2007: 39. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 6 sollte, dazu bestimmte die Anordnung vom 22. August 1952: „Die Auswahl der für die künstlerische Ausgestaltung heranzuziehenden Künstler erfolgt durch die staatliche Auftragskommission .“13 Ab 1952 wurden Bezirkskommissionen eingerichtet, eine zentrale staatliche Auftragskommission wurde erst 1954 gegründet und dem Kulturfonds zugeordnet.14 Hier waren es vor allem Vertreter der Künstler und nicht Parteifunktionäre, die über die Auftragsvergabe entschieden . Aufträge wurden nur an Mitglieder und Kandidaten des VBK vergeben. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre wurden nicht nur die Gremien geschaffen, die eine zentrale Planung, Verteilung und Kontrolle der Aufträge an bildende Künstler gewährleisteten.15 Auch inhaltlich setzte ein härterer Kurs gegen missliebige Künstler ein, der von der „Formalismus -Debatte“ 1949-1951 vorbereitet wurde. Immer nachdrücklicher wurde das sozialistische Kunstverständnis propagiert, Künstler diffamiert und unerwünschte Werke – zum Beispiel das 1948 fertiggestellte Wandgemälde von Horst Strempel im Bahnhof Friedrichstraße – zerstört. 2. Die Suche nach einer Einheit von Architektur und Kunst In den frühen Jahren der DDR entstand eine überwiegend traditionelle Baukunst, die sich einerseits auf architektonische Bautradition der 30er Jahre stützte, zum anderen aber auch Ausdruck der neuen, besseren gesellschaftlichen Verhältnisse sein sollte. Entsprechend blieb auch die baubezogene Kunst meist konventionell geprägt mit straff durchkomponierten Fassaden und Innenräumen . Die Künstler suchten zwar den Dialog mit Architekten und Stadtplanern, allerdings waren die Möglichkeiten zu schöpferischem Zusammenwirken begrenzt, da die Künstler meist nicht im Vorfeld der Planungen konzeptionell beteiligt waren. In dieser Zeit etablierte sich in der DDR auch eine eher dekorativen Bedürfnissen entgegen kommende Kunst, etwa in Sgraffitos oder Mosaiken , ähnlich der westdeutschen „Nierentisch-Moderne“. Nach der Abschottung der DDR durch den Mauerbau 1961 gingen westeuropäische Einflüsse stark zurück. Auch in der baubezogenen Kunst wurde die „Ankunft im Sozialismus“ zelebriert16 und eine neuartige „Synthese von Architektur und bildender Kunst“ angestrebt. Die Auftragswerke wurden durch eine aufwändige Gremienarbeit vorbereitet und ihre Umsetzung bis in Details hinein kontrolliert. Über der konkreten Kunstproduktion entstand ein „Überbau“ aus staatlichen Leitungen, der sich mit allen mit der Beauftragung der Künstler zusammenhängenden Fragen beschäftigte. Die SED übte ihre „führende Rolle“ über eigene Beschlüsse aus, über die Absegnung von Vereinbarungen auf bezirklicher Ebene oder durch die Besetzung gemeinsamer Gremien wie Auftragskommissionen auf Bezirksebene. Ab 1969 wurden Büros für architekturbezogene Kunst gegründet, zunächst in Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), dann auch in Rostock und Leipzig. Der Verband Bildender Künstler der DDR hat in intensiver Zusammenarbeit mit diesen 13 Anordnung über die künstlerische Ausgestaltung von Verwaltungsbauten vom 22. August 1952, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Nr. 119, Ausgabetag: 1.9.1952: 790. 14 Schütrumpf 1999: 73. 15 Bonnke 2007: 142. 16 vergl. Sikora, Bernd, Große Spannweite von Leistungen und künstlerischer Haltung, in: Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin /Bonn 2008: 28. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 7 Büros darauf hingewirkt, dass ein möglichst großer Bedarf an Kunstwerken im öffentlichen Raum bestand, da viele Künstler von solchen Aufträgen lebten. Tatsächlich standen den Künstlern der DDR erhebliche Mittel für baubezogene Kunst zur Verfügung, zumal im Jahr 1960 die Investitionssumme für Auftragskunst auf generell zwei Prozent angehoben wurde – mit der nachdrücklichen Maßgabe, dass es die Hauptaufgabe der Künstler sei, Kunstwerke im Sinne des sozialistischen Realismus zu schaffen. Im Zuge der Erhöhung der Investitionssumme nahm die „Kunst am Bau“ in den 60er Jahren einen deutlichen Aufschwung - der Begriff allerdings wurde nicht mehr verwendet. Die zunehmende Rationalisierung und Typisierung im Bauwesen führte zu einer Neubestimmung des Architekturbegriffs : Architektur galt nicht länger als künstlerische Leistung, sondern als Teil einer „komplexen Umweltgestaltung“ und hatte sich rein pragmatischen Erfordernissen unterzuordnen . Erwünscht war nunmehr eine schmucklose, funktionale Gebäudegestaltung, so dass auch die Notwendigkeit von Kunst am Bau diskutiert wurde.17 Die Diskussion fiel zugunsten der Kunst aus, denn Kunst sollte in den seriell errichteten Neubauten die Funktion der Ideologieträgerin, der Trägerin sozialistischer Botschaften, übernehmen.18 In der monotonen Typenbauweise sah man die beste Voraussetzung für eine neue architekturgebundene Kunst, die „die triste Einheitsarchitektur auflockern, ihr Individualität verleihen und wie bisher die sozialistische Lebensweise propagieren“ sollte.19 In der Folge konzentrierten sich viele Künstler auf die Schaffung von - häufig monumentalen - Wandbildern, deren Zahl und Bedeutung spürbar stieg. Die Monotonie von Neubausiedlungen auf der „grünen Wiese“ führte aber auch dazu, dass Künstler sich neuen Formen der Begegnung zwischen Kunst und Bürgerschaft zuwandten und sich neue Stadträume wie etwa Fußgängerzonen erschlossen. Plastiken und Plastikengruppen entstanden als Ausdruck des Lebensgefühls einer neuen sozialistischen Menschengemeinschaft, die sich nicht mehr ausschließlich über Klassenkampf und Klassenzugehörigkeit, sondern zunehmend auch über individuelle kulturelle Bedürfnisse definierte.20 Mehr und mehr lösten sich die Kunstwerke vom Bauwerk, besetzten den öffentlichen Raum und wurden Träger neuer Artikulationsformen .21 3. Die Phase der Öffnung für neue Ansätze und einer Lösung von der Staatsdoktrin Ab Mitte der sechziger Jahre wuchs der Widerstand der Künstler gegen den staatlichen Kunstdogmatismus . Immer mehr Künstler gingen ihren eigenen, individuellen künstlerischen Neigungen nach und bemühten sich immer weniger, den ästhetischen Anforderungen der Partei gerecht zu werden. Nach dem Scheitern des „Bitterfelder Weges“ - dem Versuch, eine Laienkunstbewegung als Kern einer zukünftigen „sozialistischen Nationalkultur“ zu etablieren - wurde die Kluft zwi- 17 Bonnke 2007: 270. 18 Sikora 2008: 28. 19 Bonnke 2007: 270. 20 Topfstedt 2008: 32. 21 Topftstedt 2008: 34. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 8 schen Anspruch und Wirklichkeit im Bereich der bildenden Kunst immer größer. Der Parteiführung blieb nichts anderes übrig, als neu herausgebildete Kunsttendenzen zu akzeptieren und innerhalb der sozialistischen Kunst als fortschrittlich zu werten.22 Die Phase einer „Politik der Weite und Vielfalt“ begann, die eine Öffnung für neue Gestaltungsansätze brachte, die aber an den ideologischen Grundsätzen des „sozialistischen Realismus“ festhielt. So brachte das „gesellschaftliche Auftragswesen“ in der DDR in den siebziger und achtziger Jahren keinesfalls nur propagandistisch geprägte Werke hervor, sondern zunehmend auch Zeugnisse einer individuell geprägten Produktivität, die auch Stimmungen von Desillusion, Vergeblichkeit, Resignation, Angst und Sinnlosigkeit aufnahm.23 In den letzten Jahren der DDR kamen immer weniger Auftragswerke bei den zentralen Kunstausstellungen der DDR zum Zuge: Bei der IX. Kunstausstellung 1982/1983 waren es nur rund zehn Prozent. Der „Bericht zur Verwirklichung des Maßnahmenplans des Ministeriums für Kultur und des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR zur Auswertung des IX. Kongresses des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR“ dokumentierte Unzufriedenheit mit der Qualität der Auftragswerke, deren Qualität „nicht voll“ dem eingesetzten materiellen und organisatorischen Aufwand entspreche.24 Auch Willi Sitte mahnte 1989 als VBK-Vorsitzender seine Kollegen: „So können wir uns nicht damit beruhigen, dass nach wie vor große finanzielle Mittel für Auftragswerke ausgegeben werden, sondern sollten die Frage nach deren Qualität stellen: an uns selbst und an die Auftraggeber. An uns selbst, weil es sehr wohl darum geht, dass wir als Künstler nur Aufträge annehmen, denen unser Talent gewachsen ist und denen wir uns mit ganzem schöpferischem Einsatz stellen, statt dem Auftraggeber bereitwillig künstlerisches Mittelmaß abzuliefern, das dieser bereit ist anzunehmen.“25 Die Kritik an der Qualität der Auftragswerke ist im Rückblick so gelesen worden, dass „die Künstler, die konnten, in zunehmender Zahl nicht mehr so wollten, und die Künstler, die wollten, nicht so konnten, wie sie sollten“.26 1982 wurden die gesetzlich bereitgestellten Mittel für baubezogene Kunst drastisch gekürzt – von 2 Prozent auf 0,5 Prozent. Es gab immer mehr Künstler, die sich dem gesellschaftlichen Auftragswesen verweigerten – ob sie es sich leisten konnten oder nicht. Zudem traten immer mehr Künstler mit großem Selbstbewusstsein auf, wählten nur ihnen genehme Aufträge oder nahmen Einfluss auf die Formulierung der Aufträge.27 Das galt natürlich vor allem für arrivierte Künstler wie Werner Tübke, Bernhard Heisig, Willi Sitte oder Wolfgang Mattheuer. Auch die Rezeption der baubezogenen Kunstwerke in der Öffentlichkeit blieb in der Summe hinter den Erwartungen der Parteiführung zurück. „Die Verheißungen, die von den Wänden herniederkündeten, wurden so 22 Bonnke 2007: 298. 23 vergl. Lüttich, Jürgen, Joachim Scheel, Claudia Salchow, Funktionen, Mechanismen und Subjekte im gesellschaftlichen Auftragswesen der DDR zwischen 1970 und 1990. Malerei, Graphik und Kleinplastik, in: Enge und Vielfalt – Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR. Analysen und Meinungen, hg. von Paul Kaiser und Karl-Siegbert Rehberg, Dresden 1999: 95. 24 zitiert nach Lüttich u.a. 1999: 119. 25 zitiert nach Lüttich u.a. 1999: 108. 26 Lüttich u.a. 1999: 120. 27 Lüttich u.a. 1999: 106. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 9 recht wohl nur von wenigen geglaubt, jedenfalls aber sehr persönlich interpretiert. Man nahm sie in Kauf, wie man viele andere affirmative Gesten im realsozialistischen Alltagsleben in Kauf nahm – aber ernst nahm man sie nicht“, so beschrieb Peter Guth28 ihre Wirkung. Wenn auch die bewusstseinsbildenden Ziele der DDR-Kunstpolitik unerreicht blieben,29 so wurde doch die Kunst bis zuletzt als bedeutende Trägerin von Politik und Ideologie angesehen.30 Die Künstler der DDR agierten stets in einem Spannungsfeld zwischen den offiziellen Erwartungen und einer individuellen künstlerischen Haltung.31 Bis zum Ende der DDR entstanden daher viele affirmative, plakativ ideologische Werke, aber es entstanden auch – vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten, in denen das Kunstdogma seitens der Parteiführung nolens volens gelockert wurde – viele Werke mit kritischen Aussagen.32 Am Ende der DDR umfasste die architekturbezogene Kunst Leistungen in einer großen Spannweite zwischen staatstragender Propaganda und autonomen künstlerischen Äußerungen. 4. Die Frage des Umgangs mit der baubezogenen Kunst der DDR heute Gerade die baubezogene Kunst spiegelt den vielschichtigen Entwicklungsprozess der zwischen 1961 und 1989 abgeschotteten Kultur in Ostdeutschland wider und gilt daher als historisches Zeugnis der Lebenswelt der Bürger in der DDR.33 Dennoch gibt es bis heute keine zuverlässige und flächendeckende Erfassung des Bestandes baubezogener Kunst auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Nach der Wende führten die Privatisierung von Betrieben und Einrichtungen und der rasante Umbau von Städten vielfach zu Abriss und Zerstörung auch der baubezogenen Kunst, bevor es möglich war, die Werke zu erfassen und zu einem gesellschaftlichen Konsens darüber zu gelangen, wie mit diesem Erbe zu verfahren ist. Ein Teil der Kunstwerke, die nach dem Ende der DDR aus öffentlichen Gebäuden entfernt wurden, wird vom Bundesamt für Zentrale Dienste und Offene Vermögensfragen in Berlin-Weißensee verwaltet, ein Teil lagert im Kunstarchiv Beeskow, das insgesamt 23.000 Kunstwerke aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern beherbergt .34 Einige Werke baubezogener Kunst sind von staatlichen Museen übernommen worden: So zählt das Deutsche Historische Museum die bekannten Wandbilder aus dem Palast der Republik zu seinem Bestand, die unter dem Titel „Dürfen Kommunisten träumen?“ in den siebziger Jahre entstanden sind, darunter das Bild „Mensch – Maß aller Dinge“ von Werner Tübke, das Bild „Unser die Welt – trotz alledem“ von Ronald Paris und das Bild „Ikarus“ von Bernhard Heisig, das zur 28 vergl. Guth, Peter, Wände der Verheißung. Zur Geschichte der architekturbezogenen Kunst in der DDR, Leipzig 1995: 7. 29 Bonnke 2007: 431. 30 Bonnke 2007: 410. 31 Neumüllers 2008: 3f. 32 Bonnke 2007: 424. 33 Sikrora, 2008: 29. 34 vergl. www.kunstarchiv-beeskow.de (Stand: 2.2.2011) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 10 Zeit im Kunst-Raum des Deutschen Bundestages ausgestellt wird. Manches qualitätvolle Werk ist im Rahmen von Gebäudesanierungen erhalten und saniert worden, wie zum Beispiel Walter Womackas Mosaik-Fries „Unser Leben“ am Haus des Lehrers auf dem Berliner Alexanderplatz. Und die Leipziger Universität hat entschieden, Werner Tübkes Wandbild „Arbeiterklasse und Intelligenz “ – trotz des Protestes des Schriftstellers Erich Loest – wieder in der Universität aufzuhängen .35 Viele Wissenschaftler, Künstler und Politiker halten eine systematische wissenschaftliche Aufarbeitung und Bewertung des Bestandes für notwendig. Doch nicht nur ein umfassendes Inventar der Kunst am Bau aus der Zeit der DDR wird vielfach gefordert, sondern auch eine gesellschaftliche Übereinkunft zum zukünftigen Umgang mit dem überkommenen Bestand. In einem „Werkstattgespräch “ des Bundesbauministeriums im Juni 2008 zum Thema „Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR“ hat Silke Wagler als zentrale Forderungen zusammengefasst:36 1. Erfassung und Dokumentation der noch verbliebenen Bestände 2. Festlegung von Kriterien zur Beurteilung dessen, was in Abwägung alle Interessen als erhaltenswert eingestuft wird 3. Entwicklung eines Maßnahmenkatalogs für den Erhalt und die Pflege der für den Verbleib bestimmten Werke und schließlich 4. Entwicklung von geeigneten Vermittlungskonzepten. Im vergangenen Jahr ist die Diskussion um den Umgang mit baubezogener Kunst aus der DDR erneut entbrannt. Auch der Deutsche Bundestag hat sich damit am 7. Oktober 2010 im Plenum auf Antrag der Fraktion „DIE LINKE.“ beschäftigt.37 Aktueller Anlass war die Frage nach dem Verbleib zweier Bilder, des Wandgemäldes „Lob des Kommunismus“ von Ronald Paris aus dem ehemaligen Zentralamt für Statistik der DDR und des Emaille-Wandbildes „Der Mensch, das Maß aller Dinge“ von Walter Womacka aus dem ehemaligen Bauministerium der DDR. Weil die öffentlichen Gebäude veräußert wurden, hatte der Bund als Eigentümer die Kunstwerke über das Internet zum Kauf angeboten. Käufer, die die Kosten für die Abnahme des Bildes hätte tragen müssen, fanden sich aber nicht. Nach einer langen Suche wurde im Herbst 2010 – noch vor der Debatte im Bundestag - für beide Bilder eine Lösung gefunden: Das Wandbild von Walter Womacka hat eine Berliner Wohnungsbaugesellschaft, deren Mieter der Künstler selbst war, abgenommen und zunächst eingelagert. Es soll in einem neuen Wohnhaus Platz finden. Das Wandbild von Ronald Paris wurde vom privaten DDR-Museum übernommen und soll öffentlich zugänglich bleiben. Das Problem der Zerstörung von Werken baubezogener Kunst ist kein spezifisch ostdeutsches Problem: So wurde im Zuge des Umbaus des Reichstagsgebäudes durch Sir Norman Foster eine 35 vergl. Baier, Uta, Vierzehn Meter DDR. Der Streit ist entschieden: Werner Tübkes Propaganda-Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“ wird wieder in der Leipziger Uni aufgehängt, in: Die Welt vom 25.8.2009. 36 vergl. Wagler, Silke, Vier zentrale Aufgaben: Erfassen, bewerten, dokumentieren und vermitteln, in: Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin/Bonn 2008: 26. 37 Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, 65. Sitzung, Berlin, 7. Oktober 2010, Plenarprotokoll: 6935-6943. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 11 Wand abgerissen, auf der sich ein Sgraffito von Carl-Heinz Kliemann befand. Dem Umbau musste auch die monumentale Skulptur „Kosmos 70“von Bernhard Heiliger weichen, die zuvor im Westeingang des Reichstagsgebäudes hing. Seit Jahren ist sie eingelagert, doch bald wird sie im Anbau für das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus einen neuen Platz finden. Im Rahmen des „Kunst am Bau“-Programms des Bundes sind im umgebauten Reichstagsgebäude auch Künstler aus der ehemaligen DDR vertreten, so Carlfriedrich Claus, Jürgen Böttcher-Strawalde , Wolfgang Mattheuer, Gerhard Altenbourg, Hermann Glöckner, Lutz Dammbeck und Bernhard Heisig. Im Kunst-Raum des Bundestages läuft zurzeit eine Ausstellung mit Werken von Bernhard Heisig (Ausstellung bis zum 13. März, nähere Informationen unter www.kunst-im-bundestag .de). Quellen und Literatur: Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz vom 16. März 1950, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Nr. 28, Ausgabetag: 23. März 1950: 185-190. Anordnung über die künstlerische Ausgestaltung von Verwaltungsbauten vom 22. August 1952, in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik Nr. 119, Ausgabetag: 1.9.1952: 790. Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, 65. Sitzung, Berlin, 7. Oktober 2010, Plenarprotokoll: 6935-6943. Baier, Uta, Vierzehn Meter DDR. Der Streit ist entschieden: Werner Tübkes Propaganda-Gemälde „Arbeiterklasse und Intelligenz“ wird wieder in der Leipziger Uni aufgehängt, in: Die Welt vom 25.8.2009. Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin/Bonn 2008. Marie Neumüllers, Baubezogene Kunst zwischen Affirmation und ästhetischem Anspruch, in: Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin/Bonn 2008: 3-6. Sikora, Bernd, Große Spannweite von Leistungen und künstlerischer Haltung, in: Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin/Bonn 2008: 28-29. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 10 – 3000-144/10 Seite 12 Topfstedt, Thomas, Baubezogene Kunst in der DDR –das Beispiel Leipzig, in: Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin/Bonn 2008: 7-19. Wagler, Silke, Vier zentrale Aufgaben: Erfassen, bewerten, dokumentieren und vermitteln, in: Kunst am Bau als Erbe des geteilten Deutschlands. Zum Umgang mit architekturbezogener Kunst der DDR. Dokumentation 2. Werkstattgespräch zu Kunst am Bau, hg. vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin/Bonn 2008: 25-27. Bonnke, Manuela, Kunst in Produktion. Bildende Kunst und volkseigene Wirtschaft in der SBZ/DDR, Köln 2007. Enge und Vielfalt – Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR. Analysen und Meinungen, hg. von Paul Kaiser und Karl-Siegbert Rehberg, Dresden 1999. Lüttich, Jürgen, Joachim Scheel, Claudia Salchow, Funktionen, Mechanismen und Subjekte im gesellschaftlichen Auftragswesen der DDR zwischen 1970 und 1990. Malerei, Graphik und Kleinplastik , in: Enge und Vielfalt: 85-129. Schütrumpf, Jörn, Die politischen Determinanten und die Herausbildung der organisatorischen Strukturen von Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR 1949-1963, in: Enge und Vielfalt: 59-83. Guth, Peter, Wände der Verheißung. Zur Geschichte der architekturbezogenen Kunst in der DDR, Leipzig 1995. Flacke, Monika (Hg.), Auftrag: Kunst 1949-1990. Bildende Künstler in der DDR zwischen Ästhetik und Politik, Katalog zur Ausstellung des Deutschen Historischen Museums vom 27. Januar bis 14. April 1995, München/ Berlin 1995.