Persönlichkeitsrechte im Internet Aufbau und Entscheidungsfindung bei der Enzyklopädie Wikipedia - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 10 - 3000 - 110/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: Persönlichkeitsrechte im Internet Aufbau und Entscheidungsfindung bei der Enzyklopädie Wikipedia Ausarbeitung WD 10 - 3000 - 110/08 Abschluss der Arbeit: 17. Dezember 2008 Fachbereich WD 10: Kultur, Medien und Sport Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Einleitung 5 2. Enzyklopädie Wikipedia 7 2.1. Richtlinien 7 2.2. Entscheidungsfindung 8 2.3. Finanzierung 9 2.4. Inhaltliche Qualität 9 2.5. Wikipedia widersetzt sich staatlicher Zensur 10 3. Selbstregulierung 11 4. Usenet 11 4.1.1. Beschwerde beim Verursacher 11 4.1.2. Beschwerde beim Postmaster 12 4.1.3. Mailbombe 13 4.1.4. Fremdcancel 13 4.1.5. UDP (Usenet Death Penalty) 14 5. Internet Relay Chat (IRC) 14 6. WWW- und FTP-Dienste 15 7. Selbstorganisation/Technische Entwicklung 16 8. Allgemeines Persönlichkeitsrecht 16 9. Allgemeines Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz 18 10. Vergleich Deutschland – USA 18 11. Internationale Aspekte 21 - 4 - 12. Literaturverzeichnis 23 - 5 - 1. Einleitung Seit dem Ende der 90er-Jahre wird das Internet von immer mehr Menschen genutzt. Es sollte nach Meinung vieler Nutzer weitgehend frei von staatlichen Regulierungen bleiben . Doch als mit dem und durch das Internet Geld verdient wird, wurde deutlich, dass klare gesetzliche Rahmen gegeben werden mussten. Ohne rechtliche Grundlagen hätte wohl kein Unternehmen in Geschäftsmodelle investiert, die im Zusammenhang mit dem Internet stehen. Formen der Kriminalität wurden sichtbar, die zwar schon zuvor bestanden , deren Begehung jedoch durch das Internet begünstigt wurden. Die Dynamik und die Geschwindigkeit, mit der sich das Internet entwickelt, bereiten der Rechtsprechung und dem Gesetzgeber erhebliche Schwierigkeiten. Es stellten sich viele neue Fragen. Das lag unter anderem daran, dass nun viele Privatpersonen als Dienstanbieter auftraten und eigene Webseiten erstellen konnten. Dezentralität und Internationalität des Internets machten es zudem schwer, einen konkreten Verantwortlichen zu benennen. Es fehlte an einer zentralen Instanz und es gab keine Stelle, von der die Anwendung bestimmter Regeln verlangt werden konnte. Vor allem fehlte es an Referenzurteilen oder einer herrschenden Meinung in der Rechtsliteratur führen dazu, dass in den Anfangsjahren des Internetrechts zahlreiche Fragen erst vom Bundesgerichtshof geklärt werden mussten. Dies kostete jedoch viel Zeit, in der sich das Internet wiederum stark weiterentwickelt hatte. So zeichnet sich das Internetrecht durch mehrere Besonderheiten aus. Es ist kein homogenes Rechtsgebiet, sondern setzt sich aus einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtsgebiete zusammen. Beispielhaft sind hier zu nennen: Auf dem Rechtsgebiet Zivilrecht hat das Internet Auswirkungen auf die Bereiche Vertragsschluss , Handel und E-Commerce, Gewährleistung und allgemeine Haftungsgrundsätze ; gesetzliche Regelungen finden sich hierzu im BGB. - 6 - Beim Urheberrecht sind Auswirkungen beim Schutz des Urhebers, Verwertungsrecht, Rechteübertragung, Tauschbörsen und bei Privatkopien zu sehen; gesetzliche Regelungen finden sich hierzu im UrhG und im KunstUrhG. Das Wettbewerbsrecht wirkt sich auf wettbewerbsrechtliche Abmahnungen und auf Werbung aus; gesetzliche Regelungen finden sich im UWG. Im Strafrecht wirken sich Cracken, die Veröffentlichung pornographischer Inhalte sowie Volksverhetzung aus; gesetzliche Regelungen finden sich im StGB. Beim Namen- und Markenrecht wirken sich Domainregistrierung, Domainnutzung sowie auch Domainhandel und dem Domainnamensrecht aus; gesetzliche Regelungen finden sich im MarkenG und im BGB. Beim Datenschutzrecht sind Auswirkungen auf E-Commerce, Rechte von Datenschutzbeauftragten sowie Informations- und Belehrungspflichten zu sehen; gesetzliche Regelungen finden sich im TMG und im BDSG sowie im Gesetz über den Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten (ZKDSG). Beim Internationalen Privatrecht (IPR) wirken sich grenzüberschreitende Verträge und/oder Rechtsverletzungen aus; gesetzliche Regelungen finden sich im EGBGB und CISG, dem UN-Kaufrecht. Das Internationale Zivilverfahrensrecht wirkt sich auf die Zuständigkeit der Gerichte aus; gesetzliche Regelungen finden sich hierzu in der EuGVVO und in diversen Abkommen . Beim Telekommunikationsrecht sind Auswirkungen auf Impressum sowie Abrechnung von Telediensten zu sehen; gesetzliche Regelungen: TMG, TKG, IuKDG. Beim Rundfunkrecht sind Auswirkungen im Zusammenhang mit der Erhebung von Rundfunk- und Fernsehgebühren für entsprechende Empfangsgeräte (Computer, Handy, PDA) festzustellen; gesetzliche Regelungen: RGebStV und RFinStV. - 7 - 2. Enzyklopädie Wikipedia Das Projekt der Online-Enzyklopädie Wikipedia startete im März 2000. Initiator war der Internet-Unternehmer Jimmy Wales. Es handelt sich dabei um eine Webseite, bei der jeder Benutzer ohne Anmeldung Beiträge schreiben und bestehende Texte ändern kann. Ausnahmen bilden umstrittene Artikel, die mit einer zeitweiligen Total- oder Teilsperre belegt werden können. Eine Redaktion im engeren Sinne ist nicht vorhanden. Das Prinzip basiert vielmehr auf der Annahme, dass sich die Benutzer gegenseitig kontrollieren und auch korrigieren. Für die Autoren ist der vorgegebene Rahmen sehr weit gefasst. 2.1. Richtlinien Die Initiatoren haben nur wenige Richtlinien aufgestellt, die jedoch als unumstößlich gelten. Der erste Grundsatz ist, dass Wikipedia der Schaffung einer Enzyklopädie gewidmet ist. Welche Themen aufgenommen werden und in welcher Form, entscheidet die Community in einem offenen Redaktionsprozess. Die Grundsätze „neutraler Standpunkt “, „Nachprüfbarkeit“ und „keine Forschungsbeiträge“ legen die inhaltliche Ausrichtung der Artikel fest. Es arbeiten Autoren mit unterschiedlichsten politischen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen mit. Gründer Wales hat die Richtlinie des NPOV1 aufgestellt, wonach ein Artikel so geschrieben sein soll, dass möglichst viele Autoren ihm zustimmen können. Sind zu einem Komplex verschiedene Ansichten vorhanden , so soll ein Artikel fair beschreiben, aber nicht selbst Position beziehen. Wie die Eignung einzelner Artikel für eine Enzyklopädie soll auch die Einhaltung des neutralen Standpunkts durch den sozialen Prozess gewährleistet werden. Das Ziel wird oft nur in mühevollen Diskussionen erreicht. Die Autoren willigen mit dem Speichern ein, ihre Beiträge unter der GNU-Lizenz2 für freie Dokumentation (GFDL)3 zu veröffentlichen. Diese Lizenz erlaubt es anderen, die Inhalte nach Belieben zu ändern und auch kommerziell zu verbreiten, sofern die Bedingungen der Lizenz eingehalten werden und die Inhalte wieder unter der gleichen Lizenz veröffentlicht werden. Die Lizenz macht es damit unmöglich, Wikipedia-Artikel unter Berufung auf das Urheberrecht exklusiv zu verwerten. Die Interpretation der angeführten Grundsätze wird von der Gemeinschaft 1 NPOV – engl. neutral point auf view (Richtlinie des neutralen Standpunktes). 2 für Dokumente. 3 für Bilder. - 8 - der Autoren festgelegt. Sie beruhen vor allem auf sozialen Normen. Der Betreiber von Wikipedia, die Wikimedia Foundation, mischt sich in aller Regel nicht in diesen Prozess ein und vertraut auf die Selbstorganisation der Gemeinschaft. 2.2. Entscheidungsfindung Soziale Konventionen und größtenteils informelle Organisationsprozesse erhalten bei Wikipedia eine interne Organisationsstruktur aufrecht. Angemeldete Teilnehmer, die Autorengemeinschaft, können sich mit ihren Beiträgen in der Community einen Ruf und Vertrauen erwerben. Neben der Überzeugungskraft von Argumenten spielt der – etwa durch Fachkenntnis in bestimmten Gebieten, aber auch das Schließen von Kontakten und Bilden von informellen Gruppen erworbene – soziale Standort innerhalb der Gemeinschaft eine Rolle für die Akzeptanz.4 Bei Entscheidungen über Regeln wird traditionell versucht, einen Konsens zu finden. Praktisch ist ein echter Konsens bei der Vielzahl der Mitarbeiter kaum möglich. Die meisten Regeln und Prozesse etablieren sich in der Praxis dadurch, dass viele Teilnehmer einen Vorschlag aufgreifen und anwenden . Andere Entscheidungen werden in Meinungsbildern getroffen, die zwischen Diskussion und Abstimmung anzusiedeln sind. Formalisiert wird der Prozess durch Administratoren. Besonders engagierte Teilnehmer werden von der Autorengemeinschaft zu Administratoren mit erweiterten Rechten gewählt oder bestimmt. Den größten Einfluss hat der Gründer Jimmy Wales, der lange Zeit Konflikte in der Community als oberste Autorität schlichtete. Einen Teil seiner Aufgaben in der englischen Wikipedia übertrug er Anfang 2004 an ein von den Teilnehmern gewähltes „arbitration committee“. Diese Institution – vergleichbar mit einem Schiedsgericht – existiert auch in mehreren anderen Sprachversionen. Die letzte Instanz über Wikipedia hat schließlich die Wikimedia Foundation als Betreiber und Finanzier. 4 Vgl. Günter Schuler, Wikipedia inside, S. 117 f.; Anneke Wolf: Wikipedia: Kollaboratives Arbeiten im Internet (http://www.annekewolf.de/wolf_wikipedia_dgv.pdf), in: Thomas Hengartner, Johannes Moser (Hrsg.): Grenzen und Differenzen, Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006, S. 648-650. - 9 - 2.3. Finanzierung Wikipedia finanziert sich vollständig über Spenden von Privatpersonen und Unternehmen . Der Betrieb der Wikipedia kostet etwa 75.000 US-Dollar im Monat.5 Davon entfallen rund 30.000 US-Dollar auf die Gehälter der zehn Angestellten. Der Rest wird für den Betrieb der rund 350 Server aufgewandt.6 Bis zum 15. Januar 2009 will die Stiftung sechs Millionen US-Dollar einnehmen, um die laufenden Kosten ihres Web-Angebots zu decken. Das Ziel von sechs Millionen US-Dollar ist jedoch ungewöhnlich hoch. Bis zur ersten Dekade November 2008 waren bereits zwei Millionen US-Dollar gespendet worden.7 2.4. Inhaltliche Qualität Der am häufigsten angeführte Kritikpunkt an der Wikipedia ist, dass jeder Internetnutzer Artikel verändern kann. Während herkömmliche Enzyklopädien mit bezahlten Autoren und redaktioneller Kontrolle für die Einhaltung der Qualitätsstandards bürgen, bietet Wikipedia keine Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der bei ihr publizierten Artikel. Das wohl prominenteste Beispiel über einen Hoax-Eintrag war der Fall des amerikanischen Journalisten John Seigenthaler. In Wikipedia wurde dessen Biografie gefälscht, indem der ehemaligen Kennedy-Berater verdächtigt wurde, in den Mordfall Kennedy verwickelt zu sein. Diese Falschmeldung wurde erst nach Monaten von Seigenthaler selbst entdeckt und im November 2005 auf seine Beschwerde sofort gelöscht.8 Der anonyme Autor bekannte später gegenüber der Zeitung USA Today, er habe einen Scherz gegenüber einem Arbeitskollegen machen wollen. Da die Identität der Wikipedia -Autoren nicht überprüfbar ist, ist es schwierig, ihre Sachkompetenz zu beurteilen. Angaben zur eigenen Personen von Autoren sind freiwillig und im Wahrheitsgehalt kaum überprüfbar. So geriet im Frühjahr 2007 der Fall eines 24-jährigen Wikipedia- 5 Stand Februar 2007. 6 Spiegel Online vom 20. Februar 2007. 7 NZZ vom 9. November 2008. 8 John Seigenthaler: A false Wikipedia „biography“ (http.//www.usatoday.com/news.opinion/editorials/2005-11-29-wikipedia-edit_x.htm), USA Today, 29. November 2005. - 10 - Autors in die Schlagzeilen, der sich fälschlicherweise als Professor ausgegeben hatte und in der englischen Wikipedia in höchsten Community-Ämter aufgestiegen war.9 Ein weiteres Problem stellen Interessengruppen dar, die versuchen, insbesondere politische , religiöse und weltanschauliche Artikelinhalte in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen . Artikel zu umstrittenen Themen wie zum Beispiel Politik, Sekten oder esoterische Theorien entsprechen deshalb oft nicht dem Neutralitätsgrundsatz.10 Um umstrittene Artikel zu schützen ist es Administratoren möglich, diese vorübergehend für die Bearbeitungen zu sperren. Im Januar 2006 wurde bekannt, dass im Jahr zuvor Änderungen an Politikerbiografien vorgenommen wurden, wovon einige eindeutig auf Computer im US-Kongress zurückzuführen waren.11 Die Änderungen enthielten Schönfärbereien bzw. gezielte Herabsetzungen der beschriebenen Politiker. Dieser Vorfall führte in den USA zur zeitweiligen Schreibsperrung von IP-Adressen aus dem Kongress sowie zur Entlassung eines verantwortlichen Kongressangestellten. Bereits 2005 waren ähnliche Fälle in der deutschsprachigen Wikipedia bekannt geworden, bei denen deutsche Politikerbiografien von Computern aus dem Deutschen Bundestag bearbeitet worden sein sollen.12 2.5. Wikipedia widersetzt sich staatlicher Zensur In der Volksrepublik China findet eine Zensur des Internets statt. Provider sind zur Installation einer Software – Große Firewall Chinas genannt – verpflichtet, über die bestimmte Webseiten blockiert werden können. Auch Wikipedia wurde trotz ihrer selbst proklamierten Neutralität bereits mehrmals Ziel chinesischer Blockaden. Im September 2006 widersetzte sich Wikipedia-Gründer Wales einer Aufforderung der chinesischen Regierung, politische Einträge für eine chinesische Version zu blockieren. Damit verhielt sich Wikipedia konträr zu den anderen Internet-Unternehmen wie Google, Micro- 9 Cohan, Noam: After false claims, Wikipedia to check degrees http://www.iht.com/articles/2007/03=12/business/wiki.php), International Herald Tribune, 12. März 2007; letzter Zugriff 16. März 2007. 10 Vgl. u. a. Dorothee Wiegand: Entdeckungsreise: Digitale Enzyklopädien erklären die Welt. In: c’t 6/2007, 5. März 2007, S. 136-145; Vergleich zwischen Bertelsmann Enzyklopädie 2007, Brockhaus multimedial premium 2007, Encarta 2007 Enzyklopädie und der Wikipedia. 11 Evan Lehmann. Rewriting history under the dome: Online “encyclopedia” allows anyone to edit entries, and congressional staffers do just that to bosses’ bios; The Lowell Sun, 27. Januar 2006. 12 Richard Meusers: Wer manipulierte Rüttgers’ Wiki-Einträge. http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0, 1518,356570,00hetm) in Spiegel Online, 19. Mai 2005. - 11 - soft und Yahoo, die sich der chinesischen Zensur beugten und dafür bereits heftig kritisiert wurden. Wales begründete dies damit, dass Zensur der Philosophie von Wikipedia widerspreche. Er erklärte dazu: „Wir stehen für die Freiheit der Information, und wenn wir einen Kompromiss eingehen würden, würde das ein falsches Signal setzen, nämlich dass es niemanden mehr gibt, der sagt: ‚Ich gebe nicht auf.’“ Gleiches Verhalten wünschte er sich auch von den anderen Internet-Unternehmen. 3. Selbstregulierung Trotz seiner ständig wachsenden Größe unterliegt das Internet weder einer zentralen technischen noch einer einheitlichen staatlichen Kontrolle. Gerade deshalb besteht einerseits das Bedürfnis der Benutzer Fehlverhalten selbst regulieren zu können. Andererseits ergibt sich daraus die technische Möglichkeit der Benutzer zu Sanktionierungsmaßnahmen . De facto findet Selbstregulierung durch Sanktionierung statt. 4. Usenet13 Im Usenet, den Net-News, wurden zahlreiche Sanktionierungsmaßnahmen herausgebildet . Bei den ständig wachsenden Nutzerzahlen kam es vermehrt zu Konflikten aller Art. Die relative Flüchtigkeit der News macht es schwer, eventuelle Vergehen juristisch zu ahnden. In den News existieren auch besondere Möglichkeiten zur Regulierung, die in anderen Internetdiensten nicht zur Verfügung stehen, so zum Beispiel die Möglichkeit, Nachrichten zu löschen.14 4.1.1. Beschwerde beim Verursacher Die häufigste Methode auf das Fehlverhalten eines Benutzers zu reagieren ist, sich bei ihm zu beschweren und ihn auf sein Fehlverhalten hinzuweisen.15 Das kann durch eine private Mitteilung (E-Mail) oder öffentlich in den News geschehen. Unterscheiden lässt 13 Usenet urspr. Unix User Network „Netzwerk für die Benutzer von Unix“) ist ein weltweites, elektronisches Netzwerk, das Diskussionsforen (so genannte „Newsgroups“) aller Art bereitstellt und an dem grundsätzlich jeder teilnehmen kann. 14 Request for comments – RFC-1036, Abschnitt 3.1. 15 vgl. „news.admin.net-abuse FAQ“ Abschnitt 4.4. - 12 - sich auch zwischen einem höflichen Hinweis oder einer unfreundlichen Zurechtweisung (genannt „Flame“).16 Eine solche Zurechtweisung ist meistens am effektivsten, wenn an den gesunden Menschenverstand appelliert wird. Praktiziert wird zum Beispiel das Zuschicken einer Sammlung von Verhaltensregeln (Netiquette),17 wenn gegen diese verstoßen wurde. Zeigt sich der Verursacher freundlichen Hinweisen nicht zugänglich, wird oft mit härteren Maßnahmen gedroht. 4.1.2. Beschwerde beim Postmaster Härter als die Beschwerde beim Verursacher ist eine Beschwerde beim Postmaster des Systems, dem der Benutzer angehört.18 Der Postmaster ist eine für das News- und Mailsystem des sprechenden Systems verantwortliche Person.19 Wirksam ist beispielsweise auch eine Beschwerde beim IN-ev.-Vorstand, wenn der Benutzer einer IN-Domain kommerzielle Werbung postet. Den Systembetreiber interessiert das Fehlverhalten seiner User allerdings meistens nur, wenn dadurch sein System in Gefahr gerät. Das kann durch das Fehlverhalten des Benutzers der Fall sein. So reagieren kommerzielle Provider oft, wenn sie durch das Fehlverhalten ihrer Benutzer negative Schlagzeilen in der Presse oder in den News fürchten müssen. Viele kommerzielle Provider ermahnen beispielsweise Nutzer, die obszöne Kontaktgesuche oder Wünsche nach entsprechenden Bildern posten. Häufig ist auch der Fall, dass der Systembetreiber mit schwereren Sanktionierungsmaßnamen zu rechnen hat, die sein System stören könnten, wenn er das Fehlverhalten seines Benutzers nicht unterbindet. Der Systembetreiber hat wirksame Möglichkeiten, Fehlverhalten seiner Benutzer zu unterbinden. Er kann den Benutzer ermahnen, den Vertrag kündigen oder sogar den Zugang zum Usenet sperren. Diese Maßnahme ist also sehr effektiv, wenn man den Systembetreiber zu einer Reaktion bringen kann. 16 vgl. „Flame-Anleitung“ aus de.newusers. 17 z. B. „Netiquette“, aus de.newusers. 18 vgl. „news.admin.net-abuse FAQ“, Abschnitt 4.4. 19 RFC-822, Abschnitt 6.3; RFC-1173, Abschnitt 4. - 13 - 4.1.3. Mailbombe Das wohl bekannteste Sanktionierungsmittel ist die Mailbombe. Als Mailbombe wird das Versenden großer Mengen nutzloser Daten per E-Mail bezeichnet.20 Dadurch sollen die Leitungen und der Plattenplatz des Empfängers belastet werden. Derartige Bomben zu verschicken ist jedoch schwierig und nicht jedem möglich. Erforderlich ist neben dem nötigen technischen Hintergrundwissen auch ein vollwertiger Internetzugang. Bei der Bandbreite der derzeit für den Internetzugang verwendeten Leitungen ist diese Methode jedoch ineffektiv geworden. Da zudem beim Mailbombing fremde Ressourcen in Anspruch genommen werden, kann dies schnell als Missbrauch des Internets angesehen werden.21 So kann es passieren, dass sich der Empfänger einer Mailbombe beim Postmaster des Senders beschwert und der Sender selbst Konsequenzen tragen muss. Deutschen Studenten, die Mailbomben vom Universitätsrechner verschickten, wurde daraufhin wegen des Missbrauchs der Zugang zu den Universitätsleitungen gesperrt. Mit Mailbomben wird mehr gedroht als dass sie wirklich angewandt werden. Häufig werden nur kleine Bomben mit etwa zehn MB oder die „Netiquette“ in hundertfacher Ausfertigung verschickt. 4.1.4. Fremdcancel Im Usernet gibt es die Möglichkeit, bereits abgeschickte Artikel nachträglich zu löschen . Dazu wird eine weitere Nachricht mit einem bestimmten Aufbau abgeschickt, in der Informationen darüber enthalten sind, welcher Artikel gelöscht werden soll.22 Diese Nachricht wird Cancel-Nachricht oder Cancel genannt. Empfängt ein System eine Cancel-Nachricht, löscht es lokal den entsprechenden Artikel und verteilt ihn nicht mehr weiter. Dieser Mechanismus wurde entwickelt, um eigene versehentlich abgeschickte Artikel löschen zu können. Gängige Newsreader bieten daher nur Funktionen zum Canceln von eigenen Artikeln. Kennt man jedoch den Aufbau der Cancel-Nachricht, ist 20 beliebt sind die X11-Quelltexte (ca. 100 MB) oder Audio-CD-Dumps. 21 vgl. RFC-1087. 22 RFC-1036, Abschnitt 3.1. - 14 - es möglich, auch fremde Artikel zu löschen.23 Diese Möglichkeit, fremde Nachrichten zu löschen, ist sehr effektiv, da sie einen Verursacher gezielt schädigt ohne fremde Ressourcen zu belasten. Da Canceln ist aber eine der umstrittensten Sanktionierungsmaßnahmen . Da prinzipiell jeder canceln kann, hat auch jeder die Möglichkeit beliebige fremde Artikel zu löschen. Dadurch würde das Usenet jedoch unbrauchbar. Das Usenet- Prinzip der freien Verteilung von News würde durchbrochen. Das Canceln fremder Nachrichten (Fremdcancel) ist daher verpönt und wird nur in bestimmten Fällen geduldet .24 Da in jüngster Zeit ungerechtfertigte Fremdcancels häufiger aufgetreten sind, wurde auf einigen Systemen die Cancel-Verarbeitung deaktiviert, sodass eintreffende Cancel-Nachrichten ignoriert werden. Dadurch wird aber zum einen den Nutzern die Möglichkeit genommen, eigene Nachrichten löschen zu können; zum anderen geht ein wichtiges und effektives Regulierungsinstrument verloren. 4.1.5. UDP (Usenet Death Penalty) Bei der UDP werden auf mehreren Sites pauschal alle Artikel eines bestimmten Nutzers (einer Site, einer Domain) gecancelt.25 Diese Maßnahme kommt einem Abklemmen des Nutzers von Usenet gleich. Kein Artikel von ihm wird mehr verbreitet, alle Artikel können sofort per Cancel-Nachricht gelöscht werden, sobald sie ins Netz gehen. Da die UDP eine noch stärkere Wirkung als eine einzelne Cancel-Nachricht hat, würde ihr gehäufter und unkontrollierter Einsatz die Funktion des USEnet stark gefährden. Deshalb sind Fälle einer angewandten UDP bekannt; allerdings wird häufig mit einem solchen Verfahren gedroht. 5. IRC (Internet Relay Chat) Im Gegensatz zum Usenet ist das IRC hierarchisch aufgebaut und erlaubt daher andere Sanktionsmaßnahmen. Hier gibt es zwei Instanzen, die zu Sanktionen berechtigt sind. Dies sind zum einen die IRC-Operatoren, die Betreiber eines IRC-Servers. Sie können einzelne User oder ganze Usergruppen von der Benutzung ihres Servers ausschließen 23 Das Canceln fremder Nachrichten ist in RFC-1036 explizit untersagt. Deshalb wurde diskutiert, ob ein Fremdcancel ein technisch falscher Artikel ist. 24 vgl. „FAQ2B: Fremdcancel“ aus de.admin.net-abuse.misc. 25 Ein Script dafür ist frei erhältlich – vgl. <24ug6qINN1f1@ftp.UU.NET> von Rich Salz. - 15 - und auf diese Weise verhindern, dass diese eine Verbindung (K-Line) zu ihrem Server aufbauen. So dürfen zum Beispiel User aus .com-Domains und Telecom-Online-User nicht auf deutsche Server zugreifen. die IRC-Operatoren stehen in Deutschenland untereinander in Verbindung und sorgen dafür, dass eventuelle Sperrungen auf allen deutschen Servern durchgesetzt werden. Da IRC-Verbindungen zu ausländischen Servern meistens langsam und instabil sind, haben die IRC-Operatoren eine äußerst wirkungsvolle Sanktionsmöglichkeit. Zum anderen kann im IRC jeder, der einen Channel eröffnet , einzelne User und ganz Usergruppen von „seinem“ Channel ausschließen. Sanktionsmöglichkeiten der normalen User gibt es nicht. Ein „flooding“, ein mit Mailbombing vergleichbarer Vorgang, bei dem große Mengen sinnloser Daten an einen anderen User geschickt werden, wurde von den IRC-Operatoren wegen Überlastung des IRC untersagt . Wer auf diese Art selbst sanktioniert, riskiert, vom IRC ausgeschlossen zu werden. Inhaltliche Missbrauchsfälle sind aber wegen des Gesprächscharakters des IRC nicht so gewichtig wie im Usenet, sodass weniger Bedarf zu Sanktionierungsmaßnahmen besteht . Das IRC hat den Charakter eines Gesprächs; Mitteilungen sind noch flüchtiger als in den Net-News und werden normalerweise nicht aufgezeichnet. 6. WWW- und FTP-Dienste Die Internetdienste WWW und FTP bieten keine eigenen Regulierungsmöglichkeiten. Da der Nutzer beim WWW und FTP selbst auswählt, was er sehen bzw. beziehen will, ist die Notwendigkeit zur Selbstregulierung geringer. Seiten und Angebote könne gezielt ignoriert werden. Anders als im Usenet können Angebote fremder Systeme auch nicht einfach entfernt werden. Allerdings kann jeder Nutzer versuchen, mit den bereits dargestellten Möglichkeiten andere Anbieter zur Einstellung ihres Angebotes zu bewegen . Missbrauch des FTP ist durch ungefragtes Mirroring26 möglich. Dadurch werden Leitungskapazitäten stark belastet. Solche Fälle kommen jedoch selten vor und werden meistens von den Administratoren im persönlichen Gespräch geregelt. Es ist zudem möglich, Server für Zugriffe bestimmter Domains zu sperren. 26 Bei einem Mirror werden Daten eines anderen FTP-Servers komplett auf das eigene System übertragen . - 16 - 7. Selbstorganisation/Technische Entwicklung Die technischen Standards des Internets – Übertragungsprotokolle und Dienstspezifikationen – entwickeln sich in einem offenen Verfahren. Prinzipiell kann jeder an der technischen Weiterentwicklung des Internets teilnehmen. Die Spezifikation der Standards sind frei erhältlich, sodass jeder Interessierte Soft- und Hardware für den Anschluss an das Internet selbst entwickeln kann. Die technischen Standards im Internet werden in den RFCs dokumentiert27. RFCs sind Dokumente, die im Rahmen eines Internetinternen Normierungsprozess diskutiert und verabschiedet werden. Im Usenet existieren demokratische Strukturen zur Einrichtung und Entfernung von Newsgroups. Über die Einrichtung bzw. Entfernung wird in einem speziellen Verfahren abgestimmt.28 Da andere Dienste wie WWW oder FTP nicht gemeinsam genutzt werden , sondern ein Anbieter-Benutzer-Verhältnis besteht, existiert hier kein Bedarf für Abstimmungen. Im IRC kann jeder einen IRC-Channel eröffnen. Bedarf für Abstimmungen besteht hier ebenfalls nicht. 8. Allgemeines Persönlichkeitsrecht Die Mediengrundrechte nehmen im Grundgesetz eine zentrale Rolle ein. Sie sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Hinblick auf die Funktion der Medien in der Demokratie zusätzlich gestärkt worden. Nicht zuletzt durch den ihnen zugewiesenen starken verfassungsrechtlichen Schutz haben die Medien in der Gesellschaft eine dominante Rolle eingenommen. Eingriffe der Medien in den privaten Bereich des einzelnen Bürgers werden von der Öffentlichkeit nicht weiter problematisiert. Im Gegenteil: Sie werden meist aus Sensationslust begierig aufgenommen. Die Konkurrenz zwischen den und innerhalb der Medien trägt zu einem rücksichtslosen Umgang mit Medienopfern bei. Die Medien haben ein Interesse an packenden Stories konkreter menschlicher Schicksale. Nicht selten wird dabei der einzelne Mensch übergangen, der ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird und dessen Leben durch eine Offenlegung von 27 zu finden auf . 28 vgl. für den deutschsprachigen Teil des Usenets „Einrichtung von Usenet-Gruppen“ aus de.newusers. - 17 - ihm begangener Fehler oder auch nur seines Privatlebens gestört oder gar zerstört werden kann.29 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist die einzige Handhabe, die extensiven Vereinnahmungsversuchen von Individuen durch die Medien Einhalt gebieten kann. Daher kommt diesem Recht im Medienbereich eine zentrale Rolle zu. Es wird sich künftig bei immer stärkerer Nutzung des Internets noch in zunehmendem Maße als wichtig erweisen . Zwischen den Mediengrundrechten und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht andererseits sollte im Kollisionsfall stets der Einzelfall betrachtet werden. Wie wichtig die Einzelfallabwägung ist, wird deutlich, wenn man sich die unterschiedlichen Sachverhalte zwischen dem Bürger und dem Politiker vor Augen führt. Der Politiker muss wissen, dass er sich ins Rampenlicht der Öffentlichkeit stellt, wenn er sich um ein hohes Staatsamt bewirbt. Weiterhin muss diesem Politiker klar sein, dass er auch während seiner Amtszeit auf seine persönlichen Qualitäten hin geprüft wird. Zudem muss er sich während seiner Amtszeit möglicher Kritik stellen. In einer Demokratie, für die unter anderem die Möglichkeit der Abwahl von Entscheidungsträgern charakteristisch ist, ist eine personenneutrale Amtsträgerschaft nicht denkbar.30 Hohe politische Entscheidungsträger müssen es sich beispielsweise gefallen lassen, dass deren politische Ansichten durch Witzzeichnungen oder durch Bühnenaufführungen karikiert werden. Eine Abwägung zwischen Kunstfreiheit und allgemeinem Persönlichkeitsrechts wird in solchen Fällen zu einem Zurücktreten des Persönlichkeitsrechts führen . Eine Ausnahme ist bei grob ehrverletzenden Darstellungen zu machen, die die Menschenwürde des Karikierten verletzen.31 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist ein typisch zivilrechtliches Konstrukt, das von der Rechtssprechung entwickelt wurde.32 Es ist wegen seiner grundrechtlichen Absicherung von besonderer Effektivität. Von der Rechtsprechung wurden Gruppen von besonderen Persönlichkeitsrechten herausgebildet, wobei der Schutz der Privat- und Intimsphäre und das Recht am eigenen Bild besonders zu erwähnen sind. 29 Fechner, Rdnr. 186. 30 Fechner, Rdnr. 187. 31 Beispiele BVerfGE 67, S. 213 ff. „Anachronistischer Zug“ und BVerfGE 79, S. 369 ff. „Strauß- Karikaturen“. 32 „Herrenreiter-Entscheidung“ BGHZ 26, S. 349 ff. - 18 - 9. Allgemeines Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz Die von den Zivilgerichten herausgebildeten Persönlichkeitsrechte sind letztlich in der Verfassung verankert. Sie werden abgeleitet aus der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Verbindung mit der Menschenwürde.33 Können die allgemeinen Persönlichkeitsrechte nicht auf die Verfassung zurückgeführt werden, so wären sie nicht geeignet, geschlossene Grundrechte wie die Kunstfreiheit zu beschränken.34 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist wie ein eigenständiges Grundrecht zu behandeln. Es ist im Verhältnis zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Art. 2 Abs. 1 GG das speziellere Grundrecht und daher vorrangig. Seine Aufgabe ist es, die engere persönliche Lebens- Sphäre des Menschen zu gewährleisten, die durch andere, konkretere Freiheitsgarantien nicht ausreichend erfasst ist.35 Schutzgegenstand des verfassungsrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist der unmittelbare Freiheitsbereich des Individuums, den es vor staatlichen und privaten Eingriffen zu schützen gilt. Dem Bundesverfassungsgericht zufolge soll der einzelne grundsätzlich selbst entscheiden können, wie er sich Dritten oder der Öffentlichkeit gegenüber darstellen und insbesondere ob und wie er mit seiner eigenen Äußerung hervortreten will.36 Hierin liegt die Schutzfunktion des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegen die Medien begründet. Entsprechend kann sich der Betroffene bei einer unrichtigen, verfälschten oder entstellten Wiedergabe seiner Äußerung auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen. 10. Vergleich Deutschland – USA Ein wesentlicher Unterschied zwischen der amerikanischen und deutschen Rechtsprechung liegt in der Behandlung der öffentlich wirkenden Personen, der so genannten „public figures“. Der Schutz dieser Personen entspricht in Deutschland dem Schutz 33 Art. 2 Abs. 1. i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. 34 Fechner, Rdnr. 192, 193. 35 BVerfGE 54, S. 148, 153. 36 BVerfGE 54, S. 148, 155. - 19 - sonstiger prominenter Personen; also Personen, die ins öffentliche Leben getreten sind und es wird nicht danach entschieden, ob der Grund für ihre Berühmtheit auf wissenschaftlichen , kulturellen oder politischem Gebiet liegt. Dagegen schränkt die amerikanische Rechtsprechung die Persönlichkeitsrechte politisch wirkender Funktionsträger besonders ein. Dies stellt wiederum eine Ausprägung der amerikanischen Vorgehensweise dar, die erheblich funktionsorientierter und damit abstrakter vorgeht und sich so von der Einzelfallentscheidung im deutschen Recht unterscheidet.37 Im Verfassungsrecht der USA liegt der Grund hierfür vor allem darin, dass der Supreme -Court einen erheblich genaueren und entschiedeneren Begriff der zentralen Bedeutung der Redefreiheit gebildet hat, als das Bundesverfassungsgericht. Kern der Redefreiheit in den USA ist es, die demokratische Auseinandersetzung zu schützen. In diesem Prozess sind die Teilnehmer der Auseinandersetzung weniger geschützt als diejenigen , die sich an der Auseinandersetzung nicht beteiligen. Demokratie bedeutet danach eine Selbstregulierung. Demokratie ist nicht nur ein Marktplatz der Meinungen mit dem Ziel, die beste Meinung zum Sieg zu führen, sondern schützt in diesem Prozess auch den Kampf miteinander. Demokratie kann danach nur funktionieren, wenn eine „kraftvolle und robuste“ Debatte auf Grundlage weitestgehender Äußerungsfreiheit gegenüber den Amtsträgern zulässig ist.38 Zu dieser Debatte gehört die umfassende Darstellung des Lebens der in der Öffentlichkeit wirkenden Personen. Sie gilt als Voraussetzung dafür, die geäußerte Meinung bewerten zu können. Von diesem Ausgangspunkt her gesehen, ist die Rechtsprechung hinsichtlich der Amtsträger konsequent. Denn die demokratische Selbstregierung soll danach vor allem davon abhängen, ob der Amtsträger ohne Furcht und offen dargestellt kritisiert werden kann. Wird die Rechtsprechung unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, so ist sie weniger Ausdruck einer ungehemmten Ausweitung der Redefreiheit als vielmehr folgerichtige Vorgehensweise. Werden die Auswirkungen dieser Rechtsprechung im Realbereich der Norm betrachtet, stellt sich allerdings die Frage, ob dieser Ansatz tatsächlich demokratieförderlich ist. Stärker noch als im Recht der Beleidigungsdelikte, wirkt sich im Persönlichkeitsrecht eine Berichterstattung , die bis in intimste Details hineinforschen und veröffentlichen darf, hemmend auf die Persönlichkeiten aus, die sich mit dem Gedanken tragen, politisch oder anders öffentlich tätig zu werden. Zumindest in den USA – und Tendenzen zunehmend auch in Deutschland – bedeutet der Schritt in die Politik und damit in den Wettkampf der Meinungen , gleichzeitig den Verzicht auf erhebliche Bereiche des durch das Persönlich- 37 Wittern, Felix; S. 277, http://deposit.ddb.de/cgibin /dokserv?idn=973888938&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=973888938.pdf. 38 Nolte, Georg; Beleidigungsschutz in der freiheitlichen Demokratie (1993), S. 228. - 20 - keitsrecht geschützten Lebensraumes. Wird davon ausgegangen, dass einzelne Individuen die Entwicklung der Politik mitbestimmen, ist durch eine uneingeschränkte Möglichkeit der Berichterstattung aus allen Lebensbereichen zumindest zu befürchten, dass sich bestimmte sensible Menschen, die auch eine neue, im Wettbewerb der Meinungen nicht oder nicht genügend vertretene Auffassung mit in die Arena des politischen Wettbewerbs tragen könnten, von der politischen Aktivität abgeschreckt werden.39 Die Bemühung um den effektiven Erhalt der Persönlichkeitsrechte scheint zumindest unterschwellig in der aktuelleren Rechtsprechung des BGH, der die Persönlichkeitsrechte hoher Schadensersatzsummen stärkt, bekräftigt. Der Prozess des politischen Meinungskampfes wird verlagert auf Bereiche, die mit der effektiven Problemlösung, deren Ziel die Demokratie dient, nur teilweise in Einklang stehen. Wird etwa ein Wahlkampf vorrangig dadurch bestimmt, dass die Auseinandersetzung sich auf Schwächen im privaten wie im Intimbereich bezieht, oder auf sexuelle Vorlieben verweist, die nicht von allen Teilen der Gesellschaft akzeptiert werden, so mag dies zwar seine Berechtigung haben, sofern sich ein Politiker hierzu bereits geäußert hat oder die von ihm praktizierten Verhaltensweisen in einem Gegensatz zu seinen Äußerungen stehen.40 Seine Grenze findet dies allerdings, wenn solche, möglicherweise zutreffenden, Darstellungen ausschließlich die Zerstörung des Rufs der Person und zugleich die Vernichtung des politischen Gegners zum Ziel haben. Unter diesem Aspekt scheint die Freigabe der Berichterstattung über öffentlich wirkende Personen als ausgesprochen problematisch. Es ist denkbar, dass nicht mehr die „besten “ Personen die Politik beeinflussen, sondern diejenigen, die entweder am dickfelligsten oder am „glattesten“ aufgetreten sind.41 Dieser Aspekt darf jedoch nicht überbetont werden. Sonst bestünde die Gefahr, dass die Freiheit in den Bereichen begrenzt wird, in denen ihre Funktion demokratieförderlich ist. Der Handlungsspielraum („Breathing Space“) darf nicht zu sehr eingeschränkt werden . Denn gerade bei Amtsträgern und in Wahlkämpfen ist es natürlich von Interesse, wer hinter den vertretenen Meinungen steht. Eine Aufklärung hierüber hat zur Folge, 39 Burckhardt, S. 207. 40 wie in dem zwar fiktiven, aber doch an tatsächlichen Begebenheiten anknüpfenden Buch „Primary Colors“ (Deutsch: „Mit aller Macht“) von dem Newsweek-Journalisten Klein dargestellt und später ausführlich in der Clinton-Lewinsky-Affäre durchexerziert. 41 Wittern, S. 279. - 21 - dass die vertretene Meinung besser zu würdigen ist und sie damit in ihrem demokratischen Bezug eingestuft wird. Der Einfluss des Persönlichkeitsrechts darf nicht überschätzt werden. Für die Medienschaffenden und deren Material- und Themenauswahl für die Berichterstattung spielen neben den rechtlichen Vorgaben gerade auch ökonomische Notwendigkeiten sowie die Erwartungen der Rezipienten bezüglich der Medieninhalte eine wesentliche Rolle. 11. Internationale Aspekte Für Online-Dienste gelten die territorialen Grenzen der nationalstaatlich geprägten Rechtsordnungen nicht.42 Eine Homepage lässt sich von irgendeinem Server von irgendeinem Fleck dieser Welt aus zum Abruf anbieten, ohne dass der Standort des Servers auf die Zugriffsmöglichkeiten Einfluss hätte. Es können daher virtuelle Rechtsoasen im Internet entstehen, karibische Inseln werden zum Ausgangspunkt von „junk Mails“ oder zum Handelsplatz für verbotene Arzneimittel. Auch für deutsche Anbieter stellt sich die Frage, ob sie bei ihrer Online Präsenz nur das deutsche Recht zu beachten haben oder die unterschiedlichen Regelungen in der Schweiz oder Österreich wegen der dort vorhandenen Abrufmöglichkeiten mit berücksichtigen müssen. So entschied das Tribunal de Grande Instance de Paris,43 dass Yahoo in den USA verpflichtet ist, technische Vorkehrungen zu schaffen, um den Zugriff zu Internetseiten mit rechtsradikalem Inhalt für französische Nutzer unmöglich zu machen. Ein Gericht in Kalifornien44 weigerte sich dieser französischen Entscheidung in den USA zur Durchsetzung zu verhelfen . Dies verbiete das First Amendment der US-Verfassung und die darin geschützte Meinungsfreiheit. Problematisch ist in allen Fällen die Dimension des Internationalen Zivilverfahrensrechts (IZVR). Dies bestimmt, ob ein streitiger Sachverhalt einen Inlandsbezug hat, der es rechtfertigt, den Rechtsstreit vor inländischen Gerichten zu entscheiden – also in welchen Fällen ein nationales Gericht zuständig ist (internationale Gerichtszuständig- 42 Hoeren, Rdnr. 742. 43 Tribunal de Grande Instance de Paris, K&R 2001. 44 US District Court fort he Northern District of California, Entscheidung vom 7. November 2001 – C- OO-21275.JF in Sachen Yahoo vom LICRA, MMR 2002, 26. - 22 - keit).45 Ferner regelt es die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile im Inland. Anders als das Internationale Privatrecht46 betrifft es somit unmittelbar nur verfahrensrechtliche Fragen. Das IZVR kann jedoch mittelbar auch das vom angerufenen Gericht anzuwendende Sachrecht und damit auch die Sachentscheidung des Gerichts beeinflussen. Denn das anwendbare Kollisionsrecht und dadurch wiederum das wendbare Sachrecht hängen von der internationalen Zuständigkeit ab. Bei einer Mehrzahl potenzieller Gerichtsstände kann der Kläger durch eine geschickte Auswahl des Gerichtes über das anwendbare Kollisionsrecht des Forums die zur Streitentscheidung maßgeblichen Sachnormen bestimmen. Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Parteien mit Sitz in verschiedenen Staaten wirft insbesondere die Bestimmung der internationalen Gerichtszuständigkeit Probleme auf. Die dabei potenziell in Betracht kommenden Zuständigkeiten reichen von derjenigen des Gerichts am Serverstandort bis hin zu der Zuständigkeit der Gerichte in allen Abruforten . Die für die Offline-Welt entwickelten Zuständigkeiten bieten oftmals keine befriedigende Lösung im Online-Bereich und bergen vielfach die Gefahr eines nicht kalkulierbaren Gerichtsstandsrisikos. Dies gilt umso mehr, da die Zuständigkeitsregeln national divergieren und eine internationale Vereinheitlichung in naher Zukunft nicht zu erwarten ist.47 45 Hoeren, Rdnr. 743; grundsätzlich bestimmt jeder Staat autonom, wann seine Gerichte international zuständig sind. Sofern jedoch multi- oder bilaterale Abkommen über die internationale Gerichtszuständigkeit getroffen wurden, gehen diese den nationalen Prozessrecht zur internationalen Zuständigkeit vor. 46 ebenda; das internationale Privatrecht (IPR) hat die Aufgabe, bei einem Lebenssachverhalt mit Auslandsbezug das für diesen Sachverhalt anwendbare Recht zu bestimmen. Dabei wird versucht, von mehreren möglichen Rechtsordnungen diejenige anzuwenden, mit welcher der Sachverhalt die räumlich engste Verbindung aufweist. Es geht also immer um die Vorfrage, welches nationale Recht (unter Einschluss des IPR der fraglichen Rechtsordnung) im Einzelfall am besten angewandt werden kann. 47 ebenda, Rdnr. 744. - 23 - 12. Literaturverzeichnis Burckhardt, Jacob; Weltgeschichtliche Betrachtungen – Das Individuum und das Allgemeine (Die historische Größe), 1928 Fechner, Frank; Medienrecht, 4. Auflage, Mohr Siebeck, Tübingen, 2003. Hoeren, Thomas; Internetrecht, PDF-Skriptum, Münster, 2007 Nolte, Georg; Beleidigungsschutz in der freiheitlichen Demokratie, Springer, Berlin, 1993, Wittern, Felix; Das Verhältnis von Right of Privacy und Persönlichkeitsrecht zur Freiheit der Massenmedien – Eine rechtsvergleichende Darstellung des Verhältnisses von Right of Privacy und Persönlichkeitsrecht zu der Redefreiheit in den Vereinigten Staaten von Amerika und der Presse- und Rundfunkfreiheit in Deutschland, Dissertation, Universität Hamburg, FB Rechtswissenschaft, 2004 Schuler, Günter; Wikipedia inside, S. 117 f.; Anneke Wolf: Wikipedia: Kollaboratives Arbeiten im Internet (http://www.annekewolf.de/wolf_wikipedia_dgv.pdf), in: Thomas Hengartner, Johannes Moser (Hrsg.): Grenzen und Differenzen, Zur Macht sozialer und kultureller Grenzziehungen, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2006, S. 648-650.